Read Ebook: Grevinde by Heiberg Hermann
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Ebook has 1555 lines and 63690 words, and 32 pages
Grevinde
Roman
von Hermann Heiberg
Berlin
Endlich, nach langer, heissstaubiger Fahrt hielt die Postkutsche, und mit den rauh betonten Worten:
"Hier geht's nach Schloss Rankholm--" ?ffnete der Schwager den Wagenschlag und bedeutete einem darin sitzenden Herrn, dass er ansteigen m?sse. Und w?hrend dieser, ein junger, vornehm ansehender Mann seiner Aufforderung folgte, wandte sich derselbe Postillon zu dem Gep?ckkasten, riss des Reisenden Koffer heraus, stiess ihn unsanft auf den Erdboden und liess ihn dort liegen.
Und als der Fahrgast, Graf Axel Dehn, ein Wort ?ber Wegrichtung und Weiterbef?rderung seines Gep?cks hinwarf, setzte er statt zu antworten, die Finger an den Mund und liess in der Richtung eines von Knicken eingefassten Seitenweges dreimal hintereinander einen scharfschrillen Pfiff ert?nen.
Alsbald erschien ein alter, geb?ckt gehender Mann oben an der Biegung des Pfades, erhob mit phlegmatischer Bewegung die Hand zum Zeichen, dass er geh?rt habe, und n?herte sich mit derselben Gem?chlichkeit dem seiner Wartenden.
"Denne Mand besorger alt--" warf der sich nunmehr erst wieder zu Worten anfragende mundfaule Rosselenker hin, nickte obenhin und schritt mit einem m?rrischen Ausdruck das ihm gebotene Trinkgeld wegsteckend, dem Wagen mit den beiden Braunen zu. Alsdann schwang er sich abermals auf den Bock und hieb, nunmehr taktm?ssig mit der Peitsche ausholend, auf die dann auch rasch im Staub der Landstrasse verschwindenden G?ule ein.
"Wie weit ist's noch nach dem Schloss?" warf Graf Dehn, w?hrend sich der Alte, nach ehrerbietiger Verneigung, den schweren Koffer auf die Schultern packte, hin.
"Saa omtrent ti Minuter!" gab der Alte, in auffallend plattem D?nisch sprechend, zur?ck.
Und dann setzen sie sich in Bewegung, und je mehr sie sich dem zwischen m?chtigen Parkb?umen hervorschimmernden Rankholmer Schloss n?herten, desto unfreier wurde dem jungen Fremden zu Mute.
Schon als Knabe hatte er von seinen Eltern von dieser grossen, d?nischen Besitzung vernommen und jedesmal mit einem Gef?hl der Beklemmung zugeh?rt. So viel Absonderliches und Unheimliches hatte sich in den dunklen Prachts?len, den verschwiegenen Kemenaten, den dickwandigen Turmzimmern und Fremdengem?chern, aber auch auf den versteckten Treppen dieses seit Jahrhunderten bestehenden und allezeit in dem Besitz der Grafen Lavard befindlich gewesenen Schlosses abgespielt! Ein wild trotziges Geschlecht hatte dort gehaust, um Erbschaften, Geld und sch?ne Frauen R?nke geschmiedet und sich nicht selten ingrimmig angefeindet.
Die Frau des nunmehrigen alleinigen Besitzers, des Grafen Lavard, war eine Franz?sin aus vornehmem Geschlecht! Er hatte die sehr beg?terte Vikomtesse von Verdeuil bei seiner Anwesenheit in Paris auf einem Balle beim d?nischen Gesandten vor zwanzig Jahren als f?nfzehnj?hriges M?dchen kennen gelernt, und sie war ihm, mit einem schwerm?tigem Verzicht auf die unvergleichbaren Reize ihrer Heimat, hierher in die einsame nordische Welt gefolgt.
Lavards besassen zwei T?chter, Imgjor und Lucile, von denen sich die erstere, etwas ?ltere, zur Zeit auf Rankholm aufhielt, w?hrend sich Lucile gegenw?rtig auf Reisen befand.
Graf Dehns Vater und Graf Lavard hatten einst zusammen bei den d?nischen Dragonern in Kopenhagen gestanden, aber ihren Abschied genommen, nachdem sie beide gelegentlich einer Urlaubsreise die ihren Augen und Herzen genehmen Frauen gefunden.
Graf Dehn war eine Ehe mit einer Baronesse von Berg eingegangen. Mit ihr hatte er reiche G?ter in der Lausitz geerbt und war infolgedessen nicht nur aus dem d?nischen Unterthanenverbande ausgeschieden, sondern auch dorthin ?bergesiedelt. Immer waren jedoch die beiden Freunde in Verbindung geblieben, und nun eben ging der junge Graf Axel von Dehn, der einzige Nachkomme dieser Familie, nach Rankholm zur Brautschau.--
Mitten in der Einsamkeit lag das m?chtige Schloss. Nur ein zu der Herrschaft geh?rendes, in einer Thalmulde malerisch hingestrecktes Dorf, mit Namen Kneedeholm, teilte diese stille Abgeschlossenheit von der Welt und der grossen Heerstrasse.
Noch bevor die beiden Wanderer in die zu dem Schloss f?hrende Allee eintraten, nahm Graf Dehn das Wort und richtete einige Fragen an seinen F?hrer. Und da er's geschickt begann, empfing er, wenn auch knappe, doch allerlei f?r ihn wertvolle Mitteilungen aus dem Munde des Alten.
Und unter solchen lebhaften Reden gelangten sie dann an das Kastell, das seine Front einem m?chtigen, freien Platz zuwandte.
Da aber dieser und das Geb?ude ringsum von hohen, laubreichen B?umen und dichtem Geb?sch umschlossen waren, erschien's dem Auge, als ob Rankholm--wie ein Dornr?schenschloss--mitten in einem Walde liege.
Freilich war's anders! Aus den Hinterfenstern schaute man durch den zu solchem Zwecke gelichteten Park ins Thal hinab, und da lag in malerischer Sch?nheit und in solcher N?he, dass man bei hellem Wetter die H?user, Wege und Menschen aus den Schlossfenstern genau zu erkennen vermochte, das Dorf Kneedeholm mit seiner schlanken Kirche, seinen reichen Bauerh?usern und einem alten romantisch gebauten Jagdschloss vor einem.
Einen ?berw?ltigenden Eindruck empfing Graf Dehn, als er nach Ueberschreiten der Schlossbr?cke, die auf einen peinlich sauber gepflasterten Vorhof f?hrte, durch das m?chtige, von zwei Steinernen L?wen flankierte Portal in das Innere eintrat.
Er befand sich auf einem grossen, in der Mitte durch einen sprudelnden Neptunbrunnen geschm?ckten und von den Mauern des stolzen Geb?udes eingeschlossenen Innenhof.
Zu Seiten einer im Mittelbau befindlichen, mit dem Wappen der Grafen Lavard gezierten Rampe--eine Faust, die einen Dolch hielt, z?ckte ihn gegen einen sich wild anlehnenden Geier--strebten m?chtige S?ulen empor.
Auf ihnen erhoben sich Marmorgestalten aus der Antike, und zu ihren F?ssen streckten zwei Tiger aus Bronze ihre Leiber und Tatzen aufs Pflaster aus.
Und zwischen diesen mit Vorsprungt?rmen, zahlreichen hohen Eingangspforten, bogenf?rmigen, von Epheu und Schlinggew?chsen umzingelten Fenstern und Altanen geschm?ckten Mauerw?nden herrschte eine lautlose, gleichsam furchterregende Stille. Sie wurde nur jetzt unterbrochen durch das Ger?usch einer sich ?ffnenden Th?r im Portierhause, der sich der Alte soeben gen?hert hatte, um den Gast beim Pf?rtner anzumelden.
Nachdem das geschehen, verabschiedete er sich, nach Empfang eines reichlich bemessenen Trinkgeldes, mit still verbindlicher Miene, und der Pf?rtner, ein ebenfalls geb?ckt einhergehender Alter, stellte sich entbl?ssten Hauptes vor dem Fremden auf und zog, nachdem er geh?rt, wer er sei, wiederholt kr?ftig an einer Schelle.
Laut und zudringlich, ja, schreckhaft t?nte sie ?ber den einsamen Hof, und im Nu erschien der Haushofmeister in einem schwarzen Frack oben auf der Schlosstreppe, eilte die Stufen hinab und geleitete den Grafen mit einer Ehrerbietung, wie sie nur K?nigen dargebracht zu werden pflegt, in das Schloss.
"Nein, es ist kein Brief eingetroffen, sonst w?rde jedenfalls Fuhrwerk am Bahnhof oder am Wege gewesen und ohne Zweifel der Herr Graf selbst zum Empfang des gn?digen Herrn, der schon seit mehreren Tagen erwartet wurde, erschienen sein," erkl?rte der Haushofmeister Frederik, als welcher er sich, unter bescheidener Verneigung, dem Grafen vorstellte.
Und der Graf sei nicht zu Hause, auch die Komtesse Imgjor sei nicht anwesend. Aber die gn?dige Frau bef?nden sich in ihren Gem?chern. Er bitte, dass der gn?dige Herr geruhen m?ge, in seine Zimmer einzutreten, er werde inzwischen dessen Ankunft der Herrschaft zu melden sich beeilen.
Unter solchen Erkl?rungen schritt der Haushofmeister, ein hagerer Mann mit grauschwarz meliertem Haar und ernsten, ?beraus vertrauenerweckenden Mienen, neben dem Grafen Dehn die grosse Freitreppe im Innern empor und f?hrte ihn hinten links durch einen durch zahlreiche Familiengem?lde etwas verdunkelten, hohen und langen Korridor. Am Ende desselben befanden sich die f?r den Gast bestimmten R?ume.
Und gleichzeitig erschienen auch schon zwei rotlivrierte Lakaien und luden des Grafen Gep?ck ab, und nachdem dies geschehen, entfernte sich Frederik unter ehrerbietiger Verneigung.
Die Gem?cher waren ebenso reich, wie geschmackvoll und bequem eingerichtet.
Blaue, venetianische Seidentapeten bedeckten die W?nde, helle, sanftgebl?mte Fussteppiche den Fussboden und dunkle M?bel fesselten das Auge.
Auch boten die R?ume einen Ausblick auf die G?rten, den Park und das Dorf, das gleich einem Zauberbilde in dieses entz?ckende Tableau hinein geschoben schien.
Nach einer Viertelstunde, nach Auspacken und Ordnen der Toilette, erschien auch schon Frederik wieder, verbeugte sich mit der ihm eigenen nat?rlichen W?rde und meldete, dass die gn?dige Frau sehr gl?cklich sei, den Herrn Grafen empfangen zu d?rfen. Sie w?rde schon gleich diese Botschaft gesandt haben, wenn sie nicht geglaubt h?tte, dass ihm eine Pause der Erholung angenehm sein werde.
Sie durchschritten denselben Korridor, machten einen kurzen Halt auf dem mit m?chtigen Jagdbildern geschm?ckten, in weissem Marmor get?felten Flur und nahmen den Weg durch einen grossen, mit gr?nseidenen Tapeten, schmalen, hohen Spiegeln und seidenen Polsterm?beln ausgestatteten Saal.
Und nachdem sie diesen verlassen und noch zwei daranstossende Prunkgem?cher durchmessen, traten sie in einen kleineren Gartensalon, der mit verschwenderischer Pracht eingerichtet war. An diesen stiess wieder ein zweifenstriges Kabinett, und in ihm lag, umgeben von franz?sischen M?beln, bl?henden Blumen, Statuetten und Bequemlichkeiten, auf einem hellen, seidenbezogenen Divan die Gr?fin Lucile Lavard.
Sie hatte braunes Haar, braune Augen und ebensolche Wimpern. Ueber einer geschmeidigen Figur hob sich eine volle B?ste, und die Formen und die Linien ihres K?rpers zeigten ?berhaupt jene ?ppigeren Reize, durch die sich die ges?ttigte F?lle einer verheirateten Frau von der sprossenden Sch?nheit junger M?dchen unterscheidet.
Als sie des Grafen ansichtig wurde, erhob sie sich mit dem ruhig ausgeglichenen Wesen einer Huldigungen gewohnten Frau, und reichte ihm gleichzeitig mit einem so bezaubernden Ausdruck und einem so bestrickenden L?cheln die Hand, dass sich der sympathische Eindruck ihres jede Wirkung verschm?henden, liebensw?rdig einfachen Wesens nur noch erh?hte.
"Ich bin wirklich sehr ungl?cklich, dass niemand zu Ihrem Empfange da war, lieber Herr Graf--" stiess sie heraus. "Aber Sie haben schon von Frederik geh?rt, dass wir wirklich nicht schuld sind. Lassen Sie mich in jedem Falle hoffen, dass sich die Ihnen dadurch gewordenen ung?nstigen Eindr?cke inzwischen bereits wieder verwischt haben!"
Freilich trat nach diesen Einleitungsworten ein anderer Ausdruck in ihre Z?ge, ein abwartender, etwas forschender.
Auch sprach sie, nachdem er ihr geantwortet, auch kavalierm?ssig den Arm geboten und sie gebeten hatte, die fr?here bequeme Lage wieder einzunehmen, fast ein wenig schroff:
"Nein, nein, ich danke! Ich habe genug geruht. Auch m?chte ich mich nach Ihren W?nschen erkundigen. Sie werden flau sein, lieber Herr Graf. Wir speisen erst in einigen Stunden. Darf ich Ihnen nicht irgend etwas anbieten? Vielleicht nehmen Sie ein wenig alten Portwein und scharfen K?se?"
Und als Graf Dehn erkl?rte, keinen Hunger zu haben, h?rte sie nicht einmal hin, zog vielmehr an einer breiten, seidenen Glockenschnur und hiess einem sogleich durch die Korridorth?r eintretenden Diener das von ihr Erw?hnte bringen.
"Es ist besser, Sie geniessen etwas, lieber Herr Graf. Die Zunge wird freier, das Gem?t belebter, wenn man eine gewisse N?chternheit verbannt. Ich m?chte, dass Sie sich gleich heimisch, behaglich f?hlen. Ich kenne die Indisposition nach einer Reise. Niemals ist eine Erfrischung angebrachter--"
"Schon Ihre wenigen g?tigen Worte haben alles Unbehagliche verscheucht, gn?digste Gr?fin. In der That, man kann liebensw?rdiger, herzlicher nicht empfangen werden. Mir ist, als ob ich schon jahrelang das Gl?ck gehabt h?tte, Sie zu kennen--"
"Ich freue mich, dass Sie so sprechen, Graf Dehn. Aber mit derselben Offenheit: Sie geh?ren zu jenen Menschen, bei deren Anblick man den Eindruck empf?ngt, man k?nne nie entt?uscht werden, bei welcher Gelegenheit man immer die Hand nach Ihnen ausstreckt. Werden Sie nicht sehr geliebt von Ihrer Umgebung, von Ihren Freunden--von den Frauen? Gewiss, gewiss, Sie sind ein Sonnenkind! Und hoffen wir, dass wir noch weit engere Freundschaft schliessen--" f?gte sie mit einer Anspielung auf die Zwecke seines Kommens hinzu und lud ihn zugleich durch eine liebensw?rdige Geste ein, sich des inzwischen gebrachten Fr?hst?cks zu bedienen.
"Bringen Sie auch Champagner und die Florentiner Krystallgl?ser! Vite!" befahl sie dem Diener, liess sich neben dem Grafen nieder, schenkte ihm ein und goss sich, als nach wenigen Minuten Champagner erschien, selbst das k?hl sprudelnde Getr?nk in das ungew?hnlich geformte, unten und oben schmale, in der Mitte sanft ausgebogene und hier hellgold, sonst aber krystallhell schimmernde Glas und setzte es an die Lippen.
Aber auch Axels Glas hatte sie gef?llt, und als sie das ihrige abermals voll gegossen, stiess sie mit ihm an und sagte:
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