Read Ebook: Gesammelte Abhandlungen III Vorträge Reden und Schriften sozialpolitischen und verwandten Inhalts by Abbe Ernst
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Auf diesem Wege bin ich im Laufe der Jahre zu ganz bestimmten Ansichten gelangt ?ber Bedeutung und Wirkung gewisser Einrichtungen unserer gegenw?rtigen Wirtschaftsordnung und Staatsgesetzgebung und auch ?ber die Ursachen, aus welchen einzelne als besonders gef?hrlich zu betrachtende Wirkungen hervorgehen. Diese Ansichten unterscheiden sich allerdings in manchen St?cken stark von dem, was zu denken und zu sagen in meinen Kreisen bei den meisten f?r wohlanst?ndig gilt. Indes trage ich kein Bedenken, diese Ansichten, nachdem ich sie seit Jahren zu einer Richtschnur des eigenen Handelns gemacht, aus dem jetzt gegebenen Anlass auch ?ffentlich auszusprechen und geeignetenfalls zu vertreten. Ihnen entnehme ich also die Grundlagen meines Referates ?ber die vorhin gestellte Frage -- indem ich es darauf ankommen lasse, ob das eine oder das andere darin etwa f?r geeignet befunden werden m?chte, als Ausgangspunkt von neuen Bestrebungen de lege ferenda in einer freisinnigen Volkspartei zu dienen. Es w?re aber nicht ehrlich, wenn ich dabei verschweigen wollte, dass die erste Anregung zu eigener Stellungnahme gegen?ber den sozialen Angelegenheiten sich mir ergeben hat aus gelegentlichem pers?nlichen Verkehr mit einem der bedeutendsten und hochachtbarsten F?hrer der deutschen Sozialdemokratie. Die ?lteren unter Ihnen erinnern sich wohl noch der Agitationsrede, welche der >>Drechslergeselle August Bebel<< im Sommer 1871 hier im Engelsaale gehalten hat. Wenn schon diese in den meisten Punkten meinen Widerspruch herausforderte, so hat sie mir doch einen nachhaltigen Impuls gegeben, angesichts der wirtschaftlichen Vorg?nge in meinem Umkreis immer die Augen offen zu halten und insonderheit alles, woran ich selbst beteiligt war, unter dem Bewusstsein strenger Verantwortung zu betrachten. Des weiteren aber waren mir von wesentlicher Hilfe zur Gestaltung meiner Ansichten die wichtigen Ausf?hrungen der Bodenbesitzreformer, die mir durch die Schriften Fl?rscheims und durch unseren Freund Dr. Harmening n?her gebracht worden sind.
F?r den heutigen Abend beschr?nke ich mich ?brigens ganz auf den zuerst angef?hrten Gegenstand, die Besteuerungsfragen -- zu welchem ich das Folgende anzubringen habe.
Solche zerst?rende Wirkungen -- deren Dasein und fortw?hrendes Anwachsen heute keine Kunst der Rede mehr hinwegdisputieren wird -- sind aber zu erblicken in der fortw?hrend zunehmenden Tributpflichtigkeit aller Arbeit zugunsten des Besitzes und in der damit Hand in Hand gehenden fortschreitenden Konzentration des Besitzes auf eine immer kleiner werdende Minorit?t des Volkes. Unter diesem Gesichtspunkt -- den ich sogleich n?her entwickeln werde -- komme ich dazu, dem Programm der demokratischen Parteien in bezug auf die Besteuerungsfrage eine wesentlich anders lautende Forderung an die Gesetzgebung zu empfehlen, die ich vorgreifend -- um gleich hier den Zielpunkt der nachfolgenden Er?rterungen erkennbar zu machen -- dahin formuliere:
Die Begr?ndung einer solchen Forderung entnehme ich aber den folgenden Erw?gungen.
Das Gesamtverm?gen des Deutschen Volkes wird auf nicht viel unter 200 Milliarden anzuschlagen sein -- alles zusammen gerechnet, was an nutzbarem Grund und Boden, an Geb?uden in Stadt und Land, an Inventar der Industrie und an mobilem Kapital in Deutschland sich vorfindet und alles in der ?blichen Weise nach seinem Ertragswert veranschlagt. L?sst auch die Ziffer selbst sich nur sehr unsicher bestimmen, so bietet doch die Einkommens-und Verm?gensstatistik gen?gende Anhaltspunkte daf?r, dass die untere Grenze nicht weniger als 160 Milliarden sein k?nne. Ich nehme diese Ziffer hier an -- eigentlich nur zur Exemplifikation; denn die Schlussfolgerungen w?rden sachlich ebenso bestehen bleiben, auch wenn eine viel niedrigere Zahl eingesetzt w?rde.
Woher kommt nun die vorher genannte grosse Summe, die j?hrlich in Deutschland als Zins- oder Rentenertrag teils bar entrichtet, teils von sonstigen Einnahmen vorweg abgerechnet wird? --Da ausschliesslich die menschliche Arbeit Werte erzeugt, die zuvor noch nicht da waren, so kann kein Zweifel dar?ber bestehen, dass es die Gesamtheit aller Arbeitenden im Volk ist, welche jene Summe f?r die Gesamtheit aller Besitzenden durch ihre Arbeit j?hrlich aufzubringen hat, und zwar daf?r aufzubringen hat, dass die Eigent?mer der Objekte des Nationalverm?gens diese Objekte der Arbeit des ganzen Volkes als Mittel der G?tererzeugung vorhalten oder darleihen.
Das durchschnittliche Einkommen einer f?nfk?pfigen Familie in Deutschland betr?gt nun, hoch veranschlagt, sicher nicht ?ber 1500 Mark j?hrlich, wobei indes gleich vorzumerken ist, dass nach der Einkommenstatistik f?r Preussen und Sachsen ?ber 70 Proz. der Bev?lkerung dieser Staaten dieses durchschnittliche Einkommen noch nicht, und ungef?hr 50 Proz. noch nicht die H?lfte davon erreicht. Hierbei ist aber alles Zins- oder Renteneinkommen bei denen, die dergleichen haben, mitgerechnet. Nach Abzug desselben in der vorher angenommenen H?he verbleibt mithin f?r die ganze eigentliche Arbeitst?tigkeit des Deutschen Volkes nur ein Netto-Ertrag, der wiederum gleichm?ssig verteilt gedacht, pro Familie h?chstens 1000 Mark j?hrlich abwirft -- alles eingeschlossen, was nicht reiner Zins ist, also ausser dem gew?hnlichen Arbeitslohn auch die Geh?lter aller ?ffentlichen und Privat-Beamten und aller Unternehmer- und Handelsgewinn.
Es geh?rt nicht hierher, die sehr mannigfaltigen und verwickelten Wege zu betrachten, auf welchen in den verschiedenen Klassen der Arbeitst?tigen der einzelne seine Zinsabgabe direkt oder indirekt leistet, auch wenn er selbst gar keine Schulden hat. Sozialpolitisch hat nur das Endresultat Bedeutung, welches das Verh?ltnis zwischen Arbeit und Kapital f?r die Gesamtheit der Arbeitenden gegen?ber der Gesamtheit der Besitzenden zum Ausdruck bringt. Ich erw?hne also nur noch, dass die zuvor charakterisierte Tributpflichtigkeit der Arbeit alle betrifft, soweit sie in irgend einer Form arbeitst?tig sind -- alle vom letzten Tagel?hner bis zu den obersten Staatsbeamten. Auch die Staatsbeamten haben ihren Anteil redlich zu leisten in einer zwar ganz mittelbaren, aber gerade sehr charakteristischen Form. Abgesehen von den wenigen, welchen die Staatsraison eine repr?sentative Lebenshaltung nach dem Vorbild der Reichsten zuweist, kann auch den Beamten der arme Teufel >>Staat<< von sechs Tagen, welche sie arbeiten, nur die bewussten vier Tage wirklich bezahlen; denn nachdem alles Arbeitseinkommen der B?rger durch die Vorwegnahme der Zinsquote schon stark herabgedr?ckt ist, k?nnen Steuern, welche wiederum fast ganz an dieses Arbeitseinkommen sich halten, unm?glich noch in gen?gender H?he auferlegt werden, um den Beamten des Staats eine befriedigende Bezahlung zu sichern.
Welche Wirkungen aber dieser Zustand mit sich bringt, liegt klar genug zutage.
Die Herabminderung des durchschnittlichen effektiven Arbeitsertrages durch den Abzug der Zinsquote dr?ckt relativ am st?rksten die untersten Volksklassen, weil jede Minderung des Einkommens um so h?rter wirkt, je weniger seine absolute H?he die Erfordernisse der notd?rftigsten Lebensf?hrung ?berschreitet. In diesen untersten Volksklassen ist aber gerade die weitaus gr?sste Majorit?t der unselbst?ndigen Arbeiter enthalten, deren Arbeitsertrag noch einem zweiten Abzug zugunsten des >>Unternehmergewinns<< unterliegt -- kraft der wirtschaftlichen Verh?ltnisse, auf welche mein zweites Referat sich beziehen wird. So ergibt sich also eine starke Herabsetzung des sonst m?glichen durchschnittlichen Niveaus der Lebenshaltung der breiten Volksschichten. Je weniger nun die herabgesunkene Lebenshaltung der ?rmsten ihnen noch einen indirekten Vorteil von der Steigerung des Wohlstandes der Reichen ?brig l?sst, desto mehr gewinnt ihre fortdauernde Beitragsleistung zur Zinsquote des Gesamtverm?gens die Bedeutung und den Charakter der reinen Frone.
Weitere sehr verh?ngnisvolle Wirkungen ergeben sich auf Grund des Umstandes, dass von der Gesamtsumme, die zur Verzinsung des Nationalverm?gens j?hrlich aufgebracht wird, ein sehr betr?chtlicher Teil auf eine relativ ganz geringe Zahl von bevorzugten Nutzniessern entf?llt, den Eigent?mern der sehr grossen Verm?gen, und dadurch diesen ein Einkommen verschafft, welches ?ber die Bed?rfnisse selbst einer sehr erh?hten Lebenshaltung weit hinausgeht. Die Million?re sind aber meist sparsame Leute, die den ?berschuss nicht zu vergeuden oder zu verschenken pflegen. Von jenen grossen Einkommen gelangt daher nur ein Teil zum Verbrauch, der andere -- h?ufig gr?ssere -- Teil wird zur?ckgelegt und figuriert am Schluss des Jahres in dem Zuwachs des Nationalverm?gens, der f?r das n?chste Jahr mit zu verzinsen ist. Von Jahr zu Jahr wiederholt sich dieser Vorgang. Dadurch w?chst das Nationalverm?gen, also auch dessen Zinsabwurf, fortw?hrend rascher als der effektive Ertrag der gesamten nationalen Arbeit w?chst, und die Tributquote, welche die Gesamtheit der Arbeitenden der Gesamtheit der Besitzenden zu leisten hat, wird stetig gr?sser. Gleichzeitig aber muss dabei die Ungleichm?ssigkeit der Verteilung sowohl von Einkommen wie von Besitz immer weiter zunehmen, und von Jahr zu Jahr ein immer gr?sser werdender Teil der gesamten Tributsumme dem kleinen Prozentsatz der Reichen zufliessen. Dabei aber wird die gesamte Wirtschaftst?tigkeit des Volkes -- gleichfalls in immer steigendem Masse -- dadurch gel?hmt, dass fortgesetzt ein grosser Teil des effektiven j?hrlichen Arbeitsertrages der Gesamtheit dem Konsum vorenthalten, dem wirklichen Gebrauch entzogen bleibt.
Die Konstatierung dieser verschiedenen Folgen der gegenw?rtigen Wirtschaftseinrichtungen fordert die Fragen heraus: sind diese Einrichtungen sittlich gesund? -- sind sie gerecht und vern?nftig? -- sind sie notwendig und unab?nderlich?
>>Im Schweiss deines Angesichts sollst du dein Brot essen!<< ist nicht nur ein Bibelwort, es ist zugleich der treffendste Ausdruck tiefer sittlicher Wahrheit. Hier?ber noch ein Wort zu verlieren scheint mir ?berfl?ssig, solange ich nicht den gesehen habe, der den Mut haben wird, beweisen zu wollen: es geh?re zu den Bedingungen einer sittlichen Gesellschaftsordnung, dass solche vorhanden sein m?ssten, die ohne irgend einen anderen Vorzug, bloss weil sie ein gen?gend grosses Verm?gen irgendwie erworben oder ererbt haben, berechtigt sind, ohne alle eigene Arbeit in beg?nstigter Stellung zu leben, nicht etwa von diesem Verm?gen, mittelst dessen Verwendung, sondern durch dieses Verm?gen, ohne Minderung seiner Substanz, allein von der Arbeit anderer.
Von Gerechtigkeit in der Zinswirtschaft k?nnte nur dann die Rede sein, wenn bei ihr der Leistung des einen Teils irgend eine entsprechende Gegenleistung des andern Teils gegen?berst?nde. So war es in der Tat einmal -- vor 200 oder 300 Jahren, also just zu der Zeit, da ein naives Rechtsbewusstsein Zinsnehmen schlechthin als >>Wucher<< stempelte. Zu dieser Zeit hatte der Zins als Gegenleistung die ?bernahme einer besonderen Verlustgefahr, welcher das Eigentum dann ausgesetzt wurde, wenn der Eigent?mer es aus seinem Besitz heraus in die Hand eines anderen gab. Heute ist es gerade umgekehrt. Wenn einer eine Million in natura selbst aufbewahren wollte, so h?tte er damit nicht nur viel gr?ssere Last, sondern auch zehnmal gr?ssere Verlustgefahr zu ?bernehmen, wie wenn er sein Eigentum gegen sichere Hypothek oder unter gleichwertigen Garantien andern behufs wirtschaftlicher Nutzung ?bergibt. Soweit Leistung und Gegenleistung in Frage kommt, w?rde also eher umgekehrt der andere eine Aufbewahrungs-Pr?mie verdienen. Und das gleiche gilt auch f?r das Verh?ltnis von Grundbesitzer und P?chter. Denn wenn jemand ein Landgut nicht selbst bewirtschaften kann oder will, so w?rde er, wenn sich kein P?chter daf?r f?nde, es nicht einfach brach liegen lassen k?nnen, ohne einer raschen Entwertung seines Besitzes durch Verlust der Kultur u. dergl. ausgesetzt zu sein. Um ohne Nutzung, nur unvermindert, den Besitz zu erhalten, h?tte er erhebliche laufende Aufwendungen zu bestreiten, von welchen derjenige ihn befreit, der das Landgut in Verwaltung nimmt, um es sp?ter dem Besitzer unvermindert wieder abzuliefern. Unter dem Gesichtspunkt von Leistung und Gegenleistung verdiente also auch der P?chter eine Aufbewahrungspr?mie. Die vorhin in Rechnung gesetzen 3 Prozent Zins beziehen sich aber gerade auf diejenigen Nutzungsformen des Eigentums, die weder Mitarbeit des Eigent?mers noch Verlustrisiko einschliessen, auf die >>m?ndelsichern<< Kapitalanlagen.
Nicht besser wie mit der Gerechtigkeit ist es in dem Zinswesen mit der Vernunft bestellt. Als best?ndiger Faktor der Volkswirtschaft gedacht, ist es voll innern Widersinns und tr?gt den Keim unabwendbarer Zerst?rung in alles, was dauernd zu beherrschen ihm gelingen sollte.
Das Beispiel von dem Pfennig, der, seit Christi Geburt zu ganz niedrigem Zinsfuss auf Zins liegend, heute den Wert eines Goldklumpens gewonnen haben m?sste, schwerer als alles Gold der Erde zusammengenommen, erl?utert die physische Unm?glichkeit dauernden Fortbestehens von Einrichtungen, kraft welcher Verm?gen und Besitz die Eigenschaft haben sollen, in geometrischer Progression anzuwachsen, also, wie niedrig der Koeffizient dieses Wachstums mit der Zeit auch werden m?chte, doch mehr und mehr alles zu absorbieren, was als menschliche Arbeit und G?tererzeugung unter den Daseinsbedingungen auf unserem Planeten steht -- deren Beschr?nktheit doch einstweilen nur in k?hnen Phantasieen als aufgehoben erscheint. Nach dem vorhin gesagten muss das Fortbestehen solcher Einrichtungen schon in absehbarer Zeit dem wachsenden Nationalverm?gen rein fiktive Werte einf?gen, die nichts anderes mehr sind als Anweisungen auf den Arbeitstribut zuk?nftiger, noch ungeborener Geschlechter.
Widersinnig w?re es, den Eigent?mern von Verm?gen das Zinsnehmen etwa gesetzlich verbieten zu wollen. Denn damit w?rde der wichtigste Antrieb zur Darbietung des Besitzes f?r die Zwecke der wirtschaftlichen Arbeit beseitigt und jede nat?rliche Regelung seiner Benutzung aufgehoben sein. Sonach k?nnte es allerdings scheinen, als ob bei Fortbestehen des privaten Kapitalbesitzes das Wirtschaftssystem der Desorganisation verfallen m?sse, beim Zinsnehmen durch den Zins und bei Beseitigung des Zinsnehmens durch dessen Aufhebung.
Die menschliche Gesellschaft unter der Form des Staates ist in der Tat mehr als ein Haufe zusammengew?rfelter Individuen, gleich den K?rnern in einem Sandhaufen. Wie im lebendigen Organismus die Zellen kraft ihres Zusammenhangs und ihrer Wechselwirkung mit Millionen von anderen Zellen Funktionen aus?ben, welche sie nicht auszu?ben verm?chten f?r sich, als selbst?ndige, einzelne Zellen ausserhalb des Organismus, so gewinnen auch in der organisierten menschlichen Gesellschaft Besitz und Arbeitskraft des einzelnen als Elemente des Nationalverm?gens und der nationalen Arbeitskraft eines Volkes Kr?fte und Funktionen, die ihnen nicht an sich zukommen. Ergebnis und Erfolg dieser Funktionen fallen nicht unter das Eigentumsrecht des einzelnen, weil sie nicht Ausfluss des Eigentums selbst sind, vielmehr, richtig betrachtet, Ausfluss der Gesellschaftsorganisation, Ergebnis und Erfolg der Staatsinstitutionen. Sie geh?ren also von Rechts wegen dem Staat.
Illustriert wird dieses Verh?ltnis durch den sehr bezeichnenden Umstand, dass aller Besitz, damit er als Zinsgut fungieren k?nne, ohne eigene T?tigkeit des Inhabers und ohne dass die Herausgabe an einen andern ihn in Frage stellt, immer erst in ein St?ck Papier verwandelt werden muss. Pacht- oder Mietsvertrag, Pfandurkunde oder Staatsschuldschein sind die unentbehrlichen Vehikel, welche allein arbeitslosen Verm?gensertrag dem Eigent?mer zuf?hren k?nnen. Im Naturzustand gibt es dergleichen nicht; es muss erst ein Staat da sein, in dessen Obhut und Verwahrung der Besitz gegeben werden kann, wenn ein anderer seine wirtschaftliche Nutzung ?bernehmen soll. Daf?r zeugt das >>Papier<<.
Die Wirkungen der hier in Betracht gezogenen Massregel w?rden auf wirtschaftlichem Gebiet f?r die einzelnen zun?chst und unmittelbar nur darin in die Erscheinung treten, dass die Beseitigung der indirekten Steuern -- von reinen Schutzz?llen nat?rlich hier abgesehen -- und die Beseitigung der eigentlichen Einkommensteuer alles Arbeitseinkommen jeder Art um den jetzigen Betrag dieser Steuern entlasten w?rde. Dieses Arbeitseinkommen bliebe das nat?rliche Steuerobjekt f?r die Gemeinden und k?me f?r Staat und Reich nur subsidi?r in Betracht f?r den Fall, dass mit der Zeit ein starkes Herabgehen des Zinsfusses, also eine Verbilligung des Kapitals, ohne ausgleichende Vermehrung des ganzen Nationalverm?gens eintreten sollte -- was ?brigens wohl, ausser in Krisen, schwerlich zu gew?rtigen steht.
Schon diese direkte Entlastung des Arbeitseinkommens w?rde f?r die unteren Volksschichten eine sehr erhebliche Bedeutung haben. Viel h?her aber werden die Wirkungen anzuschlagen sein, welche man zu erwarten hat von der Belebung und Steigerung der ganzen Wirtschaftst?tigkeit des Volkes, die dadurch eintreten muss, dass grosse, jetzt dem Konsum vorenthaltene Summen durch den Staat zur Verausgabung gebracht werden.
Niemand kann behaupten wollen, dass ein Steuersystem auf solcher Grundlage steuertechnisch undurchf?hrbar sei. Denn Verm?gensteuer besteht l?ngst in vielen L?ndern, in einigen kleinen Staatswesen sogar in einer H?he bis 1 Proz., in welcher sie eine soziale Bedeutung schon zu gewinnen anf?ngt. Genau so wie man in der >>Erg?nzungssteuer<< 1/2 pro Mille einheben kann, liesse sich auch 3 Proz. einheben.
Die H?rten zu vermeiden, welche in der ?bergangszeit eintreten w?rden dem Spargut und den kleinen Verm?gen gegen?ber, welche von Arbeitst?tigen angesammelt wurden noch unter der Wirkung eines stark verk?rzten Nettoertrages der Arbeit -- dazu g?be es viele Wege.
Auch dem andern praktischen Einwand, den man gewiss zuerst erheben wird: dass bei starker Besteuerung des Verm?gens, wofern das gleiche nicht auch anderw?rts geschieht, die Reichen aus dem Lande gehen w?rden, kann ich eine ernstliche Tragweite nicht zugestehen. Es mag ja sein, dass unter diesen manche eilen w?rden, den Staub deutschen Bodens von ihren Pantoffeln zu sch?tteln, wenn auf ihm kein v?llig arbeitsloses Einkommen mehr wachsen wollte -- und dann ginge der rechnungsm?ssigen Ziffer des Nationalverm?gens eine gewisse Summe in der Tat verloren und dem Abwurf der Verm?gensteuer der entsprechende Betrag. Der Staat als solcher verl?re aber dabei nichts was er jetzt h?tte und die Volkswirtschaft nichts was wirklich einen produktiven Wert besitzt. Denn die Objekte dieser letzteren Art sind nicht transportabel und k?nnen nicht mit auswandern wie das mobile Kapital. Zu gew?rtigen w?re also h?chstens ein Defizit im fl?ssigen Betriebsfonds der Volkswirtschaft. Ein Staat indes, der seine Finanzen auf eine so feste Grundlage gestellt h?tte wie es mit dem Aufruf des ganzen Nationalverm?gens zur Steuerquelle gesch?he, w?rde einen unermesslichen Kredit besitzen und zur vorl?ufigen Erg?nzung seines Betriebsfonds beliebig grosse Summen aus der Fremde geborgt bekommen, die dann doch nur so lange zu verzinsen w?ren, bis der Abgang sich wieder ersetzt h?tte.
Niemand aber darf, angesichts des gegenw?rtigen Vorschlags, auf die Wahrung der >>idealen G?ter<< der Gesellschaft sich berufen wollen, wie es gegen?ber dem Enteignungsprogramm der Sozialdemokratie mit mehr oder weniger Recht geschehen mag. Er m?sste sich sonst sagen lassen, sein Ideal sei das heckende, sich selbst vermehrende Geld -- was allerdings ein sehr ideales Ding insofern ist, als in Wirklichkeit dergleichen nicht existiert. -- Weder die Reichen, die f?r jede Million ihres Verm?gens sei es z. B. 30000 Mk. an den Staat j?hrlich zu geben h?tten, noch die Armen, welche dabei in ihrer Lebensf?hrung erleichtert w?rden, brauchten deshalb irgendwie weniger gottesf?rchtig, kirchlich und monarchisch gesinnt zu sein als sie es jetzt sein m?gen. Und der reiche Mann bliebe nach wie vor derselbe reiche Mann, der alle Vorz?ge erh?hter Lebenshaltung und alle Mittel zur Bet?tigung sittlich wertvoller Privilegien des Reichtums in Wohlt?tigkeit, Freigebigkeit und edlem Luxus behielte -- mit dem einzigen Unterschied, dass er jetzt diese Mittel entweder in dem Ertrag seiner eigenen Arbeit oder in der Substanz seines Verm?gens zu finden h?tte -- wie es vordem doch auch gewesen ist.
Die Unantastbarkeit des Eigentums, als strenge Rechtsforderung, gebietet, den Mantel der Verj?hrung ?ber die Wege zu decken, auf welchen eine Hauptursache der jetzigen sozialen ?bel, die exorbitante Gr?sse vieler Einzelverm?gen, entstanden ist. Soweit einmal diese Wege ausserhalb des Gesichtskreises der lebenden Generation liegen, darf also nicht mehr untersucht werden, wieviel von solchen grossen Verm?gen durch redlichen Erwerb irgend einer Art, wieviel durch blutige Gewalttat, durch >>Bauernlegen<<, durch Arglist und Betrug oder durch schn?den Wucher zusammengebracht sein mag. Alles muss als jetzt unanfechtbares Eigentum der jetzigen Besitzer anerkannt werden. Keine R?cksicht des Rechts aber verbietet, Einrichtungen zu ver?ndern, auf Grund welcher die Ungleichm?ssigkeit der Besitzverteilung fortgesetzt immer neue ?bel erzeugt. Wieviel immer von den Institutionen des Staates und der Gesellschaftsordnung jemand zu den sakrosankten und unber?hrbaren Dingen rechnen mag -- die konkreten Gesetze, welche die Wirtschaftst?tigkeit gem?ss den Anforderungen des Gemeinwohls regeln sollen, geh?ren ganz gewiss nicht zu ihnen, und zu allerletzt das Steuersystem.
Gegen?ber der Sozialdemokratie, anderseits, w?rde die Aufstellung eines derartigen Programms -- zumal wenn ihm noch einiges hinzugef?gt w?rde, was ich in der Fortsetzung meines Referats beizubringen gedenke -- den Beginn einer wirksamen und ehrlichen Bek?mpfung bedeuten. -- Mit Polemik sie bek?mpfen zu wollen, ist ein vollkommen nutzloses, sogar sch?dliches Unternehmen. Durch geistreiche Parodie ihrer Gl?ckseligkeitstheorien kann man zwar die Lacher auf seine Seite bringen und damit den Philister h?heren und niederen Standes ?ber den Ernst der Sache hinwegt?uschen, indem man ihn glauben macht, dass es sich nur um solche >>Theorien<< handele -- der unwiderstehlichen Kraft der Kritik aber, welche die Sozialdemokratie an Einrichtungen und Zust?nden ?bt, kann man damit nicht um ein Deut Abbruch tun. Denn diese Kritik hat nicht Meinungen und Theorien zum Gegenstand, sondern Tatsachen. Tatsachen aber schafft man nicht aus der Welt durch noch so geschickte Dialektik, vielmehr, wenn man sie nicht mehr ableugnen kann, nur durch Beseitigung der realen Ursachen, auf welchen sie beruhen.
B. Arbeiterschutz.
Der Fortgang meiner politischen Betrachtung f?hrt mich heute auf die Er?rterung einer zweiten Quelle von sozialen ?beln, welche ihrem Wesen nach durchaus unabh?ngig ist von dem Verh?ltnis zwischen Besitz und Arbeit und ausschliesslich in dem Verh?ltnis verschiedener Klassen der Arbeitst?tigen zueinander beruht.
Derselbe Zug der Wirtschaftsentwicklung, welcher den Ertrag vorangegangener Arbeit als Kapital zu einem wesentlichen Faktor aller nachfolgenden Arbeit machte, hat gleichzeitig auch die Form dieser Arbeitst?tigkeit der V?lker durchgreifend ver?ndert und innerhalb der Gesamtheit der Arbeitst?tigen durch Teilung der Funktionen den Klassenunterschied zwischen selbst?ndiger und unselbst?ndiger Arbeit, oder von Unternehmer und Arbeiter schlechthin, eingef?hrt. Beides, diese Scheidung der Funktionen und jene Bewertung von Besitz und Verm?gen als Arbeitswerkzeug, ist ganz gleichzeitig und in innerem notwendigen Zusammenhang entstanden; erst in dieser Scheidung und verm?ge derselben gewinnt der Besitz, seine Bedeutung als Kapital.
Vor 200 Jahren war alle wirtschaftliche T?tigkeit noch ganz und vor 100 Jahren noch fast ganz freie, selbst?ndige Einzelarbeit, f?r alle von wesentlich gleichem Charakter, nur verschieden nach der Natur des Arbeitsgegenstandes. Ausgenommen hiervon waren nur der Landbau in denjenigen Bezirken, in welchen das Recht des Eroberers gegen?ber den Besiegten noch fortwirkte, oder ausnahmsweise besondere Rechtseinrichtungen dauernde Abh?ngigkeit einzelner von anderen herbeigef?hrt hatten, im ?brigen aber nur ganz vereinzelte Gewerke, wie z. B. die Gewinnung und Vorbearbeitung der Metalle und anderer Rohprodukte, die Schiffahrt u. a., bei denen die Unzul?nglichkeit der physischen Kraft der einzelnen fr?hzeitig ein genossenschaftliches Zusammenarbeiten vieler angebahnt hatte. Das typische Bild jener urspr?nglichen Arbeitsform ist der alte Handwerksmeister, der mit Lehrling und Gesellen als Gliedern seines Hausstandes, in der Wohnung der Familie als Arbeitsst?tte, und ohne anderes Betriebskapital als sein Werkzeug, sein Erzeugnis vom ersten bis zum letzten vollendete und wirtschaftlich wie pers?nlich in keiner andern Beziehung oder Abh?ngigkeit stand als zu seinesgleichen. Zwar gab es auch bei dieser Arbeitsform unselbst?ndige Arbeiter; diese, die Lehrlinge und Gesellen, standen aber dem Meister nicht als eine andere Klasse von Arbeitern gegen?ber, ihre Unselbst?ndigkeit war vielmehr nur die Vorstufe und Vorbereitung zu sp?terer Selbst?ndigkeit, die der Regel nach auch alle erreichten; und ihre zeitweilige Abh?ngigkeit war dem Wesen nach nur die Botm?ssigkeit des Lernenden gegen den Lehrmeister und die Unterordnung des Hausgenossen unter das Familienhaupt, also nicht sowohl wirtschaftlicher als vielmehr sittlicher Art.
Auch gegenw?rtig ist dieser Typus des alten Handwerksmeisters im Gewerbe und das ihm Entsprechende in Landbau, Handel und Verkehrswesen noch ?berall vertreten, wo Kleingewerbe irgend einer Art sich erhalten hat. ?berall aber sehen wir auch diese Form der wirtschaftlichen Arbeit zur?ckgedr?ngt und deutlich in fortdauerndem Zur?ckweichen begriffen vor einer ganz andern, neuen Arbeitsform, gem?ss welcher je eine gr?ssere oder kleinere Anzahl von Personen, jedenfalls immer ihrer viel mehr, als jemals in ihrem Gewerke selbst?ndige Meister werden k?nnten, als dauernd unselbst?ndige Arbeiter im Dienst von Unternehmern t?tig sind -- in besonderen Arbeitsst?tten getrennt von ihren Familien, mit weitgehender Teilung der verschiedenen technischen Verrichtungen f?r jedes einzelne Arbeitserzeugnis und unter Benutzung elementarer Kraft, sowie wertvoller Maschinen, grosser Geb?ude und sonstiger Einrichtungen, welche durch vorangegangene Arbeit anderer beschafft sind. Die T?tigkeit dieser Unselbst?ndigen richtet sich bei den einzelnen nicht mehr auf Erzeugung eines in sich fertigen Ganzen, sondern nur auf Herstellung von Teilst?cken, welche nachher von andern Unselbst?ndigen zum Ganzen zusammengef?gt werden -- alles nicht nach eigenen Intentionen, sondern nach Plan und Vorschrift des Unternehmers, der allein eine wirkliche Initiative beh?lt, Ziel und Verfahren der Arbeit bestimmt. Dabei gesellen sich aber zur physischen Leistung und zur technischen Fertigkeit der Arbeiter ganz neue Kr?fte, welche teils der Unternehmer pers?nlich stellt, teils durch andere heranbringt, die gleichfalls als Unselbst?ndige in seinem Dienst stehen. Es sind die geistigen Kr?fte der Organisation, welche nicht nur die Gliederung und das richtige Zusammenwirken der einzelnen Arbeitsverrichtungen fortgesetzt ordnen und regeln, sondern zugleich immer neue Antriebe schaffen, neue Aufgaben wirtschaftlicher und technischer Art aufwerfen, neue Wege ersinnen und endlich auch noch die Funktionen des Kaufmanns der Gewerkst?tigkeit des Ganzen einverleiben. -- Also die gemeinsame organisierte Arbeit vieler gegen?ber der Einzelarbeit des alten Kleingewerbes.
Die Ver?nderungen, welche die fortschreitende Ausbreitung der neuen Produktionsform bisher im Volksleben hervorgebracht hat und immer weiter hervorzubringen in sichere Aussicht stellt, sind zum Teil durchaus unerfreulicher Art. Das wichtigste ethische Moment in aller Arbeit, die Freude am Schaffen selbst, die daraus entspringt, dass man seine Arbeit wachsen und allm?hlich ein Ganzes werden sieht, ist dem unselbst?ndigen Arbeiter infolge der Arbeitsteilung stark verk?mmert. Nicht mehr lebendige Anschauung, nur verstandesm?ssige ?berlegung kann ihm noch zum Bewusstsein bringen, dass auch er an einem Ganzen arbeitet, welches, von anderen vollendet, einen wirklichen Wert haben wird. Aus einer Quelle unmittelbarer Lebensfreude wird also f?r sehr viele die Arbeit zur pflichtm?ssigen Erf?llung eines Arbeitsvertrags gemacht. Dazu kommt noch der Verlust der wohlt?tigen Anregungen, welche die M?glichkeit eigener Initiative gew?hrt, und das Gef?hl pers?nlicher Unfreiheit aus der strengen zeitlichen Gebundenheit der Arbeit und aus der notwendigen Unterordnung unter andere Personen, welche die Arbeit zu leiten haben. Die Arbeitsteilung hat aber auch noch unbestreitbare direkte Nachteile, oder doch Gefahren, im Gefolge. Die gr?ssere Einf?rmigkeit der Arbeit der einzelnen, der Mangel ?fteren Wechsels der Verrichtungen, macht die T?tigkeit viel erm?dender, und kann sie, zumal wenn noch die sehr gesteigerte Anspannung der Aufmerksamkeit bei der Arbeit mit Maschinen hinzukommt, zu einer Ursache geistiger Abstumpfung machen. Die Einseitigkeit der Besch?ftigung aber, welche f?r lange Zeit immer dieselben Organe in Anspruch nimmt, ist geeignet, offensichtliche Nachteile f?r das k?rperliche Wohl hervorzubringen.
Nun gibt es allerdings noch manche, sogar noch Parteien, welche glauben oder doch zu glauben vorgeben, es k?nne dieser Entwicklungsprozess zum Stillstand, gebracht, vielleicht sogar dem Kleingewerbe aller Art ein Teil des jetzt verloren gegangenen Terrains zur?ckerobert werden. Ich sehe aber in dieser Meinung, da wo sie aufrichtig gehegt wird, die denkbar gr?sste und auch sch?dlichste Illusion, zu welcher die T?uschung ?ber die wahren Ursachen einer wirtschaftlichen Erscheinung nur immer f?hren k?nnte. Wer aber die erw?hnte Umwandlung der Arbeitsform auf einem einzelnen Arbeitsgebiet mit erlebt und pers?nlich mit ?usserstem Widerstreben ihrem Fortgang hat folgen m?ssen, f?r den kommt zur verstandesm?ssigen Erkenntnis ihrer Notwendigkeit und Unwiderstehlichkeit auch noch die subjektive Gewissheit, dass sie zum Stillstand bringen zu wollen das gleiche besagt, wie ein Versuch, die Flutwelle im Ozean aufzuhalten. Man mag menschlich alle Teilnahme haben f?r die, welche im Kampf zweier Wirtschaftsformen zwischen Hammer und Amboss geraten sind; dieses kann aber die ?berzeugung nicht ?ndern, dass alle Versuche, f?r das Kleingewerbe noch etwas zu retten -- nicht nur die kleinen und die grossen Kniffe, wie Schikanieren von Konsumvereinen, Z?nftlerei, Judenhetze u. a. m., sondern leider auch die an sich verst?ndigen und ehrenwerten Bestrebungen zur innern Hebung des Handwerks -- doch nichts weiter mehr sind als: Massnahmen zur Verlangsamung eines Todeskampfes. Die Zukunft geh?rt allein der organisierten Arbeit, und zwar auf allen Gebieten wirtschaftlicher T?tigkeit, Handel und Landbau nicht ausgeschlossen. In 30 oder 40 Jahren wird vom eigentlichen Handwerk gewiss nichts mehr ?brig sein als kleine Inseln solcher Arbeitst?tigkeit, die entweder auf ganz individueller Kunst beruht oder ganz individuellen Bed?rfnissen dienen will und aus dem einen oder dem anderen Grund immer Einzelarbeit bleiben muss.
An diesem Urteil k?nnen auch Erwartungen mich nicht irre machen, die neuerdings von sehr beachtenswerter Seite ausgesprochen wurden im Hinblick auf die Hilfe, welche das Kleingewerbe von der erleichterten Benutzung der Naturkr?fte infolge der raschen Fortschritte der elektrischen Kraftverteilung sehr bald zu hoffen haben werde. Die Berechtigung solcher Erwartungen an sich durchaus zugegeben, wird diese Hilfe doch nicht der Erhaltung und Ausbreitung des eigentlichen Handwerks zugute kommen, sondern nur dem ?bergang vieler vom Handwerk zum Klein-Unternehmertum und der Konkurrenzf?higkeit des letzteren gegen?ber der Grossindustrie. Die Verwendung von elementarer Kraft f?hrt ?berall, wo sie ?berhaupt einen Vorteil bringt, aus der handwerksm?ssigen Arbeit heraus und dr?ngt zur organisierten Arbeit, sei es auch in kleinerem Massstab. Wie wichtig es nun in mehreren Beziehungen sein mag, dass auch kleine Unternehmungen, die nur 10 oder 20 Personen vereinigen, neben den grossen, in denen Hunderte t?tig sind, noch existenzf?hig seien und dass innerhalb des Unternehmertums noch eine Konkurrenz unter vielen, kleinen und grossen, m?glich bleibe, so gering ist die soziale Bedeutung dessen in bezug auf die Hauptsache, die zunehmende Scheidung aller Arbeitst?tigkeit in selbst?ndige und unselbst?ndige. Denn dass durch die M?glichkeit kleiner Betriebe eine etwas gr?ssere Zahl von Personen als es sonst sein k?nnte noch selbst?ndig erhalten wird, ?ndert nichts daran, dass die Zahl dieser Selbst?ndigen schliesslich doch nur ein ganz kleiner Bruchteil der Gesamtzahl aller Arbeitst?tigen bleiben kann.
Ist man aber zu dem Einsehen gelangt, dass das Alte unab?nderlich verloren ist und ein Neues notwendigerweise an seine Stelle treten muss, so gilt kein Str?uben und kein Lamentieren mehr, sondern nur die besonnene Erw?gung: wie die Verluste zu ersetzen, die Nachteile des Neuen unsch?dlich zu machen, seine Vorz?ge aber voll zur Geltung zu bringen seien.
Wie meine vorherige Gegen?berstellung zeigte, ist der Verlust in der Tat sehr gross, zumal in Hinsicht auf die ethischen Faktoren menschlicher T?tigkeit, also auf ideale G?ter des Lebens -- wofern man diese nicht nur bei dem bevorzugten Teil, sondern auch bei dem zur?ckgesetzten sehen will. Aber noch viel gr?sser ist der Gewinn, den das Neue -- und zwar keineswegs nur nach der materiellen Seite hin -- erbracht hat und noch weiter zu erbringen in Aussicht stellt, und der ?berschuss ist gross genug, um alle G?ter, die mit dem Alten verloren gegangen sind, durch entsprechende G?ter vollwertig zu ersetzen -- wenn man es nur darauf anlegen will.
In diesem Sinne schlage ich Ihnen vor, dass wir, einstweilen ohne Er?rterung ganz spezieller Punkte, zur Aufnahme in das Parteiprogramm der Freisinnigen Volkspartei das Folgende, als allgemeine Forderung an die Gesetzgebung des Reichs, empfehlen:
Indem ich zur weiteren Rechtfertigung dieses Verlangens ?bergehe, komme ich nat?rlich auf mancherlei einzelne Forderungen zu sprechen, die darin begriffen sein m?ssen. Es geschieht dieses aber wesentlich nur im Sinne von Erl?uterung und Exemplifikation, keineswegs mit dem Anspruch, dabei solche Einzelforderungen f?r den Ausbau des allgemeinen Programms schon zu formulieren.
Ich betrachte zun?chst die pers?nliche Seite des Verh?ltnisses zwischen Unternehmer und Arbeiter.
Selbstverst?ndlich legen die Anforderungen aller organisierten Arbeit dem einen Teil in bezug auf alles, was seine Arbeitst?tigkeit betrifft, eine weitgehende Unterordnung unter den andern, zur Organisation und Leitung berufenen Teil oder dessen Organe auf und mancherlei Einschr?nkungen individueller Freiheit, die das geordnete Zusammenarbeiten vieler, zumal in grossen Betrieben, unerl?sslich macht. Hiervon abgesehen, muss aber jede unbefangene Erw?gung zu dem Schluss f?hren: dass dieses Verh?ltnis, soweit der einzelne dem einzelnen gegen?bersteht, ein rein b?rgerliches Vertragsverh?ltnis geworden ist, in welchem Leistung und Gegenleistung v?llig sich decken und keinerlei Rest zwischen sich lassen, der durch etwas anderes als durch Arbeit oder Bezahlung ausgeglichen werden m?sste -- also seitens des Arbeiters etwa durch pers?nliche Dankbarkeit, Unterordnung oder R?cksichtnahme ausserhalb seiner Arbeitst?tigkeit.
Was ist aber die Wirkung solcher Pr?tentionen des Unternehmertums dem Arbeiterstand gegen?ber? Sie treten ?berall klar zutage als pers?nliche Versch?rfung des in dem Verh?ltnis selbst liegenden Interessengegensatzes. -- Es geh?rt der angeborene Hochmut des Junkers oder der erworbene D?nkel des Protzen dazu, nicht sehen zu k?nnen, dass die Tausende, die in russigem Kittel ihre t?gliche Arbeit im Dienst von Unternehmern verrichten, nicht etwa Menschen einer inferioren Rasse sind, sondern Glieder desselben Volkes, denen nichts weiter fehlt, als dass ihre V?ter nicht reich genug waren, sie 6 oder 8 Jahre l?nger auf der Schulbank zu belassen; dann w?rden sie alles, was jetzt ihre Vorgesetzten zu leisten haben, im Durchschnitt ebensogut tun k?nnen -- etliche von ihnen aber noch viel besser. Leuten gegen?ber, die doch nicht so dumm sind, solches nicht selbst zu wissen, muss die Anforderung von Botm?ssigkeit und Gehorsam notwendigerweise zum Erfolg haben: bei den starken, widerstandsf?higen Naturen Erbitterung und grimmigen Hass, bei den schwachen aber Heuchelei oder Knechtsinn. -- Ich betrachte es als ein wahres Gl?ck f?r das Deutsche Volk, dass es in seinen unteren Schichten noch eine gen?gende Zahl von solchen enth?lt, die auf jene Zumutungen reagieren m?ssen mit Erbitterung und Hass. Denn viel schlimmer als dieses akute Gift ist f?r die Volksseele das schleichende Gift der Gew?hnung an Heuchelei und Knechtsinn. Kein Volk hat eine ehrenvolle Stellung unter den V?lkern behaupten k?nnen, wenn seine Einrichtungen dazu f?hrten, die Bediententugenden bei sich zu z?chten, Gehorsam und Unterw?rfigkeit. Und diejenigen, welche der Sozialdemokratie gegen?ber mit Vorliebe die >>idealen G?ter<< ausspielen, sollen besonders bedenken, dass es f?r jeden, auch f?r den schlichten Arbeiter, eines von den idealsten G?tern ist: sich nicht als Knecht eines ?ndern f?hlen zu m?ssen.
Ich wende mich nunmehr zu den materiellen Interessen, welche in dem Verh?ltnis der selbst?ndigen zur unselbst?ndigen Arbeit einander gegen?ber treten -- wobei ich hier auf das Markieren einiger Hauptpunkte mich beschr?nken muss.
Wenn dagegen einzelne, oder ihrer mehrere zusammen, als Unternehmer in Aktionen eintreten, die keinen Rauch, Gestank oder L?rm verursachen und keine verm?gensrechtlichen Kollisionen herbeif?hren, so k?nnen diese Aktionen dadurch, dass viele in gleicher Art verfahren oder dass andere durch den Zwang der Konkurrenz das gleiche zu tun vielleicht gen?tigt werden, die allergr?sste, einschneidendste Tragweite f?r das Gemeinwohl haben und weite Volkskreise unmittelbar oder mittelbar stark benachteiligen -- das ?ffentliche Recht bek?mmert sich darum nicht. Diejenigen, welche davon zun?chst allein betroffen werden, k?nnen der Regel nach am Besitz nicht gesch?digt werden, weil sie keinen haben.
Kraft >>wirtschaftlicher Freiheit<< kann also jeder, der aus Tatendrang oder auch nur aus Gewinnsucht die Funktionen des Unternehmers auszu?ben w?nscht, dazu mitwirken helfen, dass immer mehr Menschen einen gewohnten Beruf aufgeben und in den Industriezentren sich zusammendr?ngen ohne irgend eine Gew?hr von Stetigkeit und Dauer ihrer neuen T?tigkeit. Er kann ein begonnenes oder seit langer Zeit schon bestehendes Unternehmen so lange fortsetzen, als es ihm noch gen?gend Vorteil zu bringen scheint, und wenn er meint, dass er auf andere Art sich besser stehen werde, etwa indem er seinen bis dahin gewonnenen Erwerb gr?sser werdendem Risiko entziehe, so kann er es zuschliessen und diejenigen, welche inzwischen von solchem Unternehmen abh?ngig geworden sind, m?gen sehen, wo sie bleiben. Wenn Jahre g?nstigen Gesch?ftsganges ihm grosse ?bersch?sse gelassen haben und dann Krisen oder sonstige St?rungen zu zeitweiliger oder dauernder Einschr?nkung des Umfangs seiner Unternehmungen n?tigen, so kann er pl?tzlich so viel Arbeiter entlassen, als n?tig ist, um f?r ihn ein neues Gleichgewicht zwischen Ertrag und Aufwendungen herbeizuf?hren; denn niemand kann ihm zumuten, den fr?heren Gewinn wieder teilweise herauszugeben um anderen ?ber Krisen hinwegzuhelfen. Auch kann er alle, welche in seinem Dienst ihre Kr?fte verbraucht haben oder sonst arbeitsunf?hig geworden sind, der F?rsorge der Gemeinde ?berlassen, soweit nicht neuerdings die Versicherungsgesetzgebung in diesem Punkte einige Hilfe hat eintreten lassen; denn weiteres tun zu sollen, w?rde gleichfalls eine nachtr?gliche Herausgabe des Gewinnes besagen, den er fr?her von ihrer T?tigkeit gehabt und l?ngst in sein pers?nliches Eigentum genommen hat.
Das sozialpolitisch bedeutsamste Moment in dem ungeregelten, sich selbst ?berlassenen Verh?ltnis zwischen Unternehmer und Arbeiter liegt aber in den Wirkungen, welche die Konkurrenz der Unternehmer untereinander f?r die Arbeiter gewinnt. Das wichtigste und meistgebrauchte Mittel in einem nur durch R?cksichten des eigenen Vorteils geleiteten Wettbewerb ist immer das Unterbieten anderer in den Preisen der Arbeitserzeugnisse, und hierzu stachelt namentlich der Handel immer mehr an, je mehr er als Vermittler zwischen Konsument und Produzent ?berall sich eindr?ngt. Denn der Zwischenhandel hat ein ganz besonderes Interesse daran, den Konsum dahin zu lenken, wo der geringere Preis ihm Spielraum f?r gr?sseren eigenen Gewinn l?sst. Der Unternehmer selbst will dabei von seinem Verdienst m?glichst wenig abgeben und kann auch auf Arbeitsgebieten mit sehr starker Konkurrenz ?fters nicht anders, wenn ihm ein m?ssiges ?quivalent f?r eigene Arbeit noch ?brig bleiben soll. Die Herabsetzung des Produktionspreises in der Konkurrenz der Unternehmer geht daher, soweit sie nicht durch die fortschreitende Verbesserung der Arbeitsmethoden getragen ist, durchaus auf Kosten der Arbeiter. Sie erzeugt die ausgesprochene Tendenz, f?r den gleichen Lohn gr?ssere Arbeitsleistung durch l?ngere Arbeitszeit oder st?rkere Anspannung der Arbeitskraft zu gewinnen. Wo aber, nachdem auf vielen Gebieten der Industrie das ?usserste von Ausnutzung der menschlichen Arbeitskraft auf diesem Wege zustande gekommen, hierin ein Stillstand, an einigen Stellen sogar schon ein erfreulicher R?ckgang eingetreten ist, beh?lt das Streben der Unternehmer nach Verbilligung der Arbeitserzeugnisse zur Erleichterung des Wettbewerbs mit anderen Unternehmern immer noch die Tendenz, den Arbeitern einen Anteil an der fortschreitenden Steigerung ihrer Leistungsf?higkeit durch Verbesserung der Methoden und Einrichtungen, erweiterte Anwendung der Maschinen usw., m?glichst vorzuenthalten. Die Verbilligung der Industrieerzeugnisse kommt aber nur zu einem relativ kleinen Teil den Arbeitern selbst, zum weitaus gr?sseren Teil den wohlhabenden Klassen zu gut. Denn sie betrifft vorzugsweise Gegenst?nde, die, soweit sie nicht wieder den Unternehmern als Arbeitsmittel dienen, erst f?r eine gehobene Lebenshaltung Wert haben. Auch hat die Verbilligung in sehr grossem Umfang -- z. B. bei fast allen Massenartikeln f?r Kleingebrauch und Luxus, also gerade in den Industriezweigen, welche die gedr?ckteste Lage der Arbeiter aufweisen -- keineswegs die wohlt?tige Wirkung, diese Dinge auch solchen zug?nglich zu machen, denen sie sonst versagt blieben, sondern sie veranlasst nur eine masslose Vergeudung menschlicher Arbeit bei reich und arm, weil das einzelne seiner Billigkeit wegen der Schonung gar nicht mehr wertgehalten wird.
Wie nun im Zinswesen das Verh?ltnis des einzelnen zum einzelnen ein redliches bleibt, Ungerechtigkeit und Widersinn erst zum Vorschein kommen in dem Verh?ltnis der Gesamtheit der Zinsempf?nger zur Gesamtheit der Zinszahler, so ist auch in dem eben betrachteten Interessenstreit von Unternehmer und Arbeiter die Beziehung des einzelnen zum einzelnen korrekt und unanfechtbar, wenn sie den privatrechtlichen Normen entspricht, die Recht und Sitte f?r die gegenseitige Abgrenzung von Einzelinteressen aufgestellt haben. In diesem Punkt k?nnte also h?chstens einige Sch?rfung gewisser Rechtsbegriffe und Gew?hnung an etwas strengere Sitte in Frage kommen. Ebensowenig aber, wie die Wirkungen des Zinswesens vern?nftigerweise abgewandt werden k?nnten durch Beseitigung des Zinsnehmens, ebensowenig liessen sich die Folgen der Klassenscheidung in der organisierten Arbeit aufheben durch Ausserkurssetzen der Triebkr?fte, die der Wettbewerb und die Ausgleichung von Angebot und Nachfrage in die Wirtschaftst?tigkeit einf?hren. So sicher es nun ist, dass die im Staat gesammelte menschliche Gesellschaft durch vern?nftige Einrichtungen nachteilige Wirkungen von Formen der Wirtschaftst?tigkeit ?berwinden kann, so sicher ist es also auch, dass solche Einrichtungen nur zu finden sind unter dem Gesichtspunkt einer Staatsidee, welche sich nicht ersch?pft in der Betrachtung des privatrechtlichen Verh?ltnisses zwischen den einzelnen, sondern daneben die gleichartige, ?bereinstimmende T?tigkeit ganzer Klassen als wesentliche Funktionen des Volksorganismus begreift.
In bezug auf den ersten Punkt: Vorsorge f?r Schonung und Erhaltung der Volkskraft, bemerke ich, unter Absehen von allem mehr Nebens?chlichen, folgendes:
Es ist eine ganz willk?rliche, durch den tats?chlichen Stand der Dinge auch ?berall widerlegte Annahme, dass im Arbeitslohn selbst die durchschnittliche Abnutzungsquote f?r die pers?nliche Arbeitskraft der einzelnen schon mit enthalten sei und dass also Sparen oder Privatversicherung aus diesem Arbeitslohn f?r die regelm?ssigen Wirkungen des fortschreitenden Kr?fteverbrauchs aufzukommen habe. Der Staat selbst erkennt hinsichtlich seiner Beamten das Unzutreffende jener Annahme an, indem er in seinem Pensionsetat f?r den Kr?fteverbrauch in seinem Dienst besonders aufkommt. In demselben Verh?ltnis aber, in welchem die Beamten zum Staat stehen, stehen in diesem Punkte kraft der organisierten Arbeitst?tigkeit die unselbst?ndigen Arbeiter zur Gesamtheit der Unternehmer. Die vorher betonte ?ffentliche Funktion des Unternehmertums im Organismus der Volkswirtschaft, die Organisation und Verwaltung der physischen Arbeitskraft des Volkes, weist jenem die Aufgabe zu, auch aufzukommen f?r den Verbrauch dieser Arbeitskraft in seinem Dienst.
Unter den Versicherungsgesetzen, welche darauf ausgehen, die Deckung f?r Verbrauch und Abnutzung der Arbeitskraft in der Volkswirtschaft in geordnete Bahnen zu leiten, hat das erste, die Unfallversicherung, den richtigen Gedanken konsequent durchgef?hrt: dass die Gesamtheit der Unternehmer f?r solchen Verbrauch ausschliesslich aufzukommen habe, und hat dabei auch hinsichtlich des Masses der Leistungen einigermassen befriedigende Regelung geschafft. Die bekannte R?ckw?rtskonzentration der sozialen Ideen hat aber nachher aus der andern, ihrer Intention nach viel bedeutsameren Einrichtung, der Alters- und Invalidenversicherung, einen ?rmlichen Zwitter werden lassen, ohne innere Folgerichtigkeit im Aufbau, und im Effekt nur eine etwas verbesserte Armenverpflegung -- und zum Ungl?ck hat sie auch noch den wertvollen Gedanken der berufsgenossenschaftlichen Organisation der Unternehmer gerade da preisgegeben, wo er angefangen h?tte, eine wirkliche Bedeutung zu gewinnen.
Nach dieser positiven Begr?ndung meines vorher ausgesprochenen Vorschlags bedarf es nur noch einiger Bemerkungen nach der negativen Seite hin -- in Hinblick auf die Ansichten, welche die L?sung der sozialen Frage von der >>Selbsthilfe<<, sei es von unten oder von oben her, erhoffen.
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