Read Ebook: Fräulein Julie: Naturalistisches Trauerspiel by Strindberg August Brausewetter Ernst Translator
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Ebook has 57 lines and 19543 words, and 2 pages
Translator: Ernst Brausewetter
Fr?ulein Julie
Naturalistisches Trauerspiel von August Strindberg
Aus dem Schwedischen von E. Brausewetter
Autorisierte deutsche Ausgabe
Leipzig Druck und Verlag von Philipp Reclam jun.
Den B?hnen und Vereinen gegen?ber als Manuskript gedruckt.
Von Strindberg erschien in der Universal-Bibliothek:
Nr. 2489. Der Vater. Trauerspiel in drei Aufz?gen. Nr. 4103. Gl?ubiger. Tragikom?die in einem Aufzug. Nr. 5126. Kameraden. Kom?die in zwei Aufz?gen. Nr. 5514. Meister Olaf. Schauspiel in f?nf Aufz?gen.
Vorwort.
Das Theater ist mir schon lange, gleichwie die Kunst ?berhaupt, wie eine "Biblia pauperum" erschienen, eine Bibel in Bildern f?r diejenigen, welche nicht Gedrucktes oder Geschriebenes lesen k?nnen, und der Theaterschriftsteller wie ein Laienpriester, welcher die Gedanken der Zeit in popul?rer Form kolportiert, so popul?r, dass die Mittelklasse, welche haupts?chlich das Theater f?llt, ohne viel Kopfzerbrechen fassen kann, worum es sich handelt. Das Theater ist daher immer eine Volksschule f?r die Jugend, die Halbgebildeten und die Frauen gewesen, welche noch das Verm?gen zur?ckbehalten haben, sich selbst zu t?uschen und sich t?uschen lassen, das heisst die Illusion zu bekommen, vom Verfasser die Suggestion zu empfangen. Es ist mir daher in unserer Zeit, da das rudiment?re, unvollst?ndige Denken, welches sich durch die Phantasie vollzieht, sich zur Reflexion, zur Untersuchung und Pr?fung zu entwickeln scheint, so vorgekommen, als wenn das Theater, gleichwie die Religion, auf dem Wege w?re, sich gleich einer aussterbenden Form hinzubetten, zu deren Genuss uns die erforderlichen Voraussetzungen fehlen. F?r diese Annahme spricht die durchgehende Theaterkrisis, welche jetzt in ganz Europa herrscht, und nicht zum wenigsten der Umstand, dass in den Kulturl?ndern, welche die gr?ssten Denker der Gegenwart hervorbringen, n?mlich England und Deutschland, die Dramatik tot ist, gleichwie gr?sstenteils die andern sch?nen K?nste.
In andern L?ndern wieder hat man geglaubt sich ein neues Drama schaffen zu k?nnen, indem man die alten Formen mit dem Gehalt der neueren Zeit erf?llte; aber teils haben die neuen Gedanken noch nicht Zeit gehabt, popul?r zu werden, sodass das Publikum den Verstand bes?sse zu erfassen, worum es sich handelt, teils haben Parteistreitigkeiten die Gem?ter erregt, sodass ein rein objektiver Genuss nicht hat eintreten k?nnen, da man sich hier in seinem Innersten widersprochen sah und dort eine applaudierende oder zischende Majorit?t ihren Druck so ?ffentlich aus?bte, als es in einem Theatersaal m?glich ist, teils hat man nicht die neue Form f?r den neuen Gehalt gefunden, sodass der neue Wein die alten Flaschen gesprengt hat.
Dass mein Trauerspiel einen traurigen Eindruck auf viele macht, ist also der Fehler dieser. Wenn wir stark werden, wie die ersten franz?sischen Revolutionsm?nner, wird es unbedingt einen guten und frohen Eindruck machen, der Ausrottung eines Parkes von morschen, ?berj?hrigen B?umen zuzusehen, welche anderen zu lange im Wege standen, die ebenfalls das gleiche Recht hatten, ihre Zeit zu vegetieren -- einen guten Eindruck, gleich wie wenn man einen unheilbar Kranken sieht, der endlich sterben kann.
Man warf k?rzlich meinem Trauerspiel >>Der Vater<< vor, es w?re so traurig, gleich als wenn man ein lustiges Trauerspiel forderte. Man ruft anspruchsvoll nach der Lebensfreude, und die Theaterdirektoren fordern Farcen, gleich als wenn die Lebensfreude darin l?ge, albern zu sein und Menschen zu zeichnen, welche allesamt am Veitstanz oder Idiotismus litten. Ich finde die Lebensfreude in den starken, grausigen K?mpfen des Lebens, und es bereitet mir Genuss, etwas erfahren, etwas lernen zu k?nnen. Und darum habe ich einen ungew?hnlichen, aber lehrreichen Fall gew?hlt, mit einem Wort eine Ausnahme, aber eine grosse Ausnahme, welche die Regel bekr?ftigt, was sicherlich diejenigen, die das Allt?gliche lieben, verletzen wird. Was ferner bei einzelnen Anstoss erregen wird, ist, dass meine Motivierung der Handlung nicht einfach ist, und es nicht nur einen Gesichtspunkt daf?r giebt. Ein Ereignis im Leben -- und das ist eine ziemlich neue Entdeckung -- wird gew?hnlich von einer ganzen Reihe mehr oder minder tiefliegender Motive hervorgerufen, aber der Zuschauer w?hlt meistens dasjenige, welches seiner Urteilskraft das am leichtesten fassliche oder f?r seine Urteilsgabe das ehrenvollste ist. Es ist z.B. ein Selbstmord begangen worden. >>Schlechte Gesch?fte!<< sagt der B?rger. -- >>Ungl?ckliche Liebe!<< sagen die Frauenzimmer. -- >>Krankheit!<< der Kranke. -- >>Get?uschte Hoffnungen!<< der Schiffbr?chige. Aber nun kann es vorkommen, dass das Motiv hier ?berall oder nirgend zu suchen war, und dass der Verstorbene das Grundmotiv dadurch verbarg, dass er ein ganz anderes vorschob, welches das vorteilhafteste Licht ?ber sein Ged?chtnis werfen k?nnte!
Fr?ulein Juliens trauriges Schicksal habe ich durch eine ganze Menge von Umst?nden motiviert: die Grundinstinkte der Mutter; die falsche Erziehung des M?dchens durch den Vater; das eigene Naturell und die Suggestionen des Br?utigams auf das schwache degenerierte Hirn; sodann auch momentane: die Feststimmung der Johannisnacht; die Abwesenheit des Vaters; die Besch?ftigung mit dem Tiere; der aufregende Einfluss des Tanzes; die D?mmerung der Nacht; die starke, berauschende Wirkung der Blumen; und schliesslich der Zufall, welcher die beiden in einen geheimen Raum zusammentreibt, sowie die aufregende Zudringlichkeit des Mannes.
Ich bin also nicht einseitig physiologisch verfahren, auch nicht monoman psychologisch, ich habe die Schuld nicht nur der Vererbung von der Mutter oder ausschliesslich der >>Unsittlichkeit<< aufgeb?rdet, noch bloss Moral gepredigt.
Dieser Mannigfaltigkeit der Motive will ich mich r?hmen, da sie mit der Forderung der Zeit ?bereinstimmt! Und haben es andere schon vor mir so gemacht, so r?hme ich mich mit meinen Paradoxen, wie alle Entdeckungen genannt werden, nicht allein zu stehen.
Was die Charakterzeichnung anbetrifft, so habe ich die Figuren ziemlich >>charakterlos<< gezeichnet und zwar aus folgenden Gr?nden:
Das Wort Charakter hat im Lauf der Zeiten eine mehrfache Bedeutung bekommen. Es bedeutete wohl urspr?nglich den herrschenden Grundzug im Seelenkomplex und wurde mit Temperament verwechselt. Dann wurde es der Ausdruck der Mittelklasse f?r den Automaten; sodass ein Individuum, welches ein f?r allemal bei seinem Naturell stehen geblieben ist oder sich einer gewissen Rolle im Leben angepasst hat, welches also mit einem Wort gesagt, aufgeh?rt hat zu wachsen, ein Charakter genannt wurde, und der in der Entwickelung Befindliche, der geschickte Schiffer auf dem Strome des Lebens, welcher nicht mit fester Schote segelt, sondern den Kahn vor dem Windstoss fallen l?sst, um ihn hernach wieder aufzuluven, wurde charakterlos genannt. Im herabsetzenden Sinne nat?rlich, da er ja so schwer einzufangen, einzuregistrieren und zu kontrollieren war. Dieser b?rgerliche Begriff von der Unver?nderlichkeit der Seele wurde dann auf das Theater ?bertragen, wo ja das B?rgerliche immer geherrscht hat. Ein Charakter war dort ein Herr, welcher fix und fertig war, welcher unver?nderlich als Betrunkener, als Spassmacher, als Betr?bter auftrat; und um zu charakterisieren bedurfte es nur, dem K?rper ein Gebrechen anzudichten, einen Klumpfuss, ein h?lzernes Bein, eine rote Nase, oder dass man den Betreffenden einen Ausruf gebrauchen liess wie diesen: >>das war galant<<, >>Barkis will gern<< oder dergleichen. Bei dieser Art und Weise, die Menschen so einseitig aufzufassen, bleibt noch sogar der grosse Moli?re stehen. Harpagon ist nur geizig, obgleich Harpagon h?tte geizig und zugleich ein ausgezeichneter Finanzier, ein pr?chtiger Vater, ein guter B?rger sein k?nnen, und was schlimmer ist, sein Gebrechen ist gerade ?usserst vorteilhaft f?r seine Tochter und seinen Schwiegersohn, welche ihn beerben und ihn daher nicht tadeln d?rfen, wenn sie auch ein wenig warten m?ssen, bis sie sich kriegen. Daher glaube ich nicht an einfache Theatercharaktere. Und gegen das summarische Urteil der Verfasser ?ber die Menschen: der ist dumm, der ist brutal, der ist eifers?chtig, der ist geizig u.s.w. sollte von den Naturalisten Einspruch erhoben werden, welche wissen, wie reich der Seelenkomplex ist, und welche verstehen, dass das Laster eine R?ckseite hat, welche sehr stark der Tugend ?hnelt.
Als moderne Charaktere, die in einer ?bergangszeit leben, welche mehr eilig hysterisch als zum mindesten die vorhergehende ist, habe ich meine Figuren schwankender, zerrissener, von Altem und Neuem zusammengesetzter geschildert, und es scheint mir nicht unwahrscheinlich, dass moderne Ideen durch die Zeitungen und Gespr?che auch in die Gesellschaftsschichten hinabgedrungen sein k?nnen, in denen selbst ein Dienstbote sich bewegt.
Meine Seelen sind Konglomerate von vergangenen Kulturgraden und Brocken der angehenden Zeit, welche aus B?chern und Zeitungen entlehnt wurden, St?cke von Menschen, abgerissene Fetzen von Feiertagskleidern, welche zu Lumpen geworden sind, ganz wie die Seele zusammengeflickt ist. Und ich habe ausserdem ein wenig Entwicklungsgeschichte gegeben, indem ich den Schw?cheren stehlen und Worte wiederholen lasse von dem St?rkeren, die Seelen >>Ideen<<, Suggestionen, wie es genannt wird, voneinander holen lasse.
Fr?ulein Julie ist ein moderner Charakter, nicht als wenn es das Halbweib, die M?nnerhasserin, nicht zu allen Zeiten sollte gegeben haben, sondern darum, weil es jetzt entdeckt, hervorgetreten ist und L?rm gemacht hat. Das Halbweib ist ein Typus, welcher sich hervordr?ngt, sich jetzt f?r Macht, Ansehn, Auszeichnungen und Diplome, sowie fr?her f?r Geld verkauft und die Entartung andeutet. Es ist keine gute Art, denn sie ist nicht lebensf?hig, pflanzt sich aber leider mit all' ihrem Elend noch ein Glied fort, und entartete M?nner scheinen unbewusst die Auswahl unter ihnen zu treffen, sodass sie sich vermehren und Wesen unbestimmten Geschlechtes hervorbringen, welchen das Leben eine Qual ist, die aber gl?cklicherweise zu Grunde gehen, entweder in Disharmonie mit der Wirklichkeit oder infolge unaufhaltsamen Hervorbrechens des unterdr?ckten Triebes, oder der get?uschten Hoffnungen den Mann nicht erlangen zu k?nnen. Der Typus ist tragisch, da er das Schauspiel eines verzweifelten Kampfes gegen die Natur darbietet, tragisch als ein romantisches Erbe, welches nun von dem Naturalismus zerstreut wird, der nur das Gl?ck will, und zum Gl?cke geh?ren starke und lebensf?hige Arten.
Aber Fr?ulein Julie ist auch ein ?berbleibsel des alten Kriegeradels, welcher jetzt vor dem neuen Nerven- oder Grossgehirn-Adel untergeht; ein Opfer der Disharmonie, welche der Mutter >>Schuld<< in eine Familie hineinbringt, ein Opfer der Verirrungen der Zeit, der Umst?nde und ihrer eigenen schw?chlichen Konstitution, was alles zusammen soviel bedeutet, als: das Schicksal fr?herer Zeiten oder die Weltordnung. Die Schuld hat der Naturalist mit Gott zusammen ausgestrichen, aber die Folgen der That, die Strafe, Haftbarkeit oder die Furcht davor, kann nicht gestrichen werden, aus dem einfachen Grunde, weil sie bestehen bleiben, ob er nun freispricht oder nicht, denn die Leute, denen Unrecht geschehen, sind nicht so wohlwollend gestimmt, wie diejenigen, denen keins widerfahren, es billig sein k?nnen. Selbst wenn der Vater aus zwingenden Gr?nden auf die Strafe verzichten sollte, w?rde die Tochter sie an sich selbst vollziehen m?ssen, wie sie es hier thut, infolge des angeborenen oder erworbenen Ehrgef?hls, welches die h?heren Klassen ererben -- von wo? Von der Barbarei, von der asiatischen Urheimat, von dem Rittertum des Mittelalters? -- und welches sehr sch?n ist, jetzt aber unvorteilheit f?r das Bestehen der Art. Es ist des Edelmannes >>Harakiri<<, des Japanesen Gewissensgesetz, welches ihm gebietet sich den Leib aufzuschlitzen, wenn ein anderer ihn beschimpft, welches in modifizierter Form im Duell, dem Adelsprivilegium, weiterlebt. Darum bleibt der Bediente Jean am Leben, aber Fr?ulein Julie kann nicht leben ohne Ehre. Das ist der Vorzug des Knechtes vor dem Herrn, dass er frei ist von diesem lebensgef?hrlichen Vorurteil betreffs der Ehre; und in uns alten Ariern existiert etwas vom Edelmann oder Don Quijote, was bewirkt, dass wir mit dem Selbstm?rder sympathisieren, welcher eine ehrlose Handlung begangen und so seine Ehre verloren hat, und wir sind genug Edelleute, um Schmerz zu empfinden, wenn wir eine gefallene Gr?sse daliegen sehen, selbst wenn der Gefallene sich erheben k?nnte, und suchen es durch ehrenvolle Handlungen wiedergutzumachen. Der Diener Jean ist ein Artbilder, einer, bei welchem sich die Differenzierung bemerkbar macht. Er ist ein K?tners Sohn und hat sich nun zu einem werdenden Herrn ausgebildet. Es ist ihm leicht geworden zu lernen, da er fein entwickelte Sinne hatte und Sch?nheitssinn. Er hat sich bereits emporgeschwungen und ist stark genug, es sich nicht ?bel zu nehmen, aus den Diensten anderer Menschen Vorteile zu ziehen. Er ist seiner Umgebung bereits fremd, welche er als zur?ckgelegtes Stadium verachtet und dennoch f?rchtet und flieht, da sie seine Geheimnisse kennen, seine Absichten aussp?ren, voll Neid sein Steigen sehen und mit Vergn?gen seinen Fall erwarten. Daher sein zweideutiger, unentschiedener Charakter, der zwischen Sympathie f?r das, was auf der H?he steht, und Hass gegen diejenigen, die nun oben sind, hin- und herschwankt. Er ist, wie er selbst sagt, Aristokrat, hat die Geheimnisse der guten Gesellschaft gelernt, ist gewandt im Benehmen, aber bisweilen roh, tr?gt bereits mit Eleganz den ?berrock, ohne jedoch eine Garantie zu bieten, dass er rein auf dem K?rper ist.
Es sind ?brigens recht wichtige Aufkl?rungen, die er ?ber die Lebensauffassung der unteren Klassen giebt, wenn er n?mlich die Wahrheit spricht, was nicht oft der Fall ist, denn er spricht mehr, was f?r ihn vorteilhaft, als was wahr ist. Wenn Fr?ulein Julie die Vermutung aufwirft, dass alle in den unteren Klassen den Druck von oben so schwer empfinden, so stimmt Jean nat?rlich bei, da es ja seine Absicht ist, ihre Sympathie zu gewinnen, aber er korrigiert sofort seine ?usserung, wenn er es f?r vorteilhafter h?lt, sich von der Masse zu scheiden.
Ausserdem dass Jean ein Steigender ist, steht er auch darin ?ber dem Fr?ulein, dass er ein Mann ist. Geschlechtlich ist er Aristokrat durch seine m?nnliche St?rke, seine feiner entwickelten Sinne und seine F?higkeit zur Initiative. Seine Unterlegenheit besteht zun?chst in dem zuf?lligen socialen Milieu, in welchem er lebt, und welches er wahrscheinlich mit dem Bedientenrock ablegen kann.
Der Knechtssinn ?ussert sich in seiner Hochachtung f?r den Grafen und seinem religi?sen Aberglauben; aber er achtet den Grafen vornehmlich als den Inhaber des h?heren Platzes, nach welchem er strebt; und diese Achtung bleibt sogar noch zur?ck, wenn er die Tochter des Hauses erobert hat und gesehen, wie leer die sch?ne Schale war.
Dass ein Liebesverh?ltnis in >>h?herem<< Sinne zwischen zwei Seelen von so ungleichem Gehalt entstehen k?nnte, glaube ich nicht, und darum lasse ich Fr?ulein Juliens Liebe von ihr selbst als Entschuldigung oder Verteidigung erdichten; und Jean lasse ich vermuten, dass seine Liebe noch unter andern socialen Verh?ltnissen w?rde hervorwachsen k?nnen. Ich denke, es ist mit der Liebe wohl wie mit der Hyacinthe, welche im Dunkeln Wurzel schlagen soll, bevor sie eine kr?ftige Bl?te treiben kann. Hier schiesst sie empor und setzt Bl?ten an, und darum erstirbt das Gew?chs so schnell.
Christine endlich ist ein weiblicher Knecht, voll Unselbst?ndigkeit und Stumpfsinn, den sie am Herdfeuer erworben, vollgepropft mit Moral und Religion als Deckmantel und S?ndenbock. Sie geht zur Kirche, um leicht und schnell ihre Hausdiebst?hle auf Jesus abzuw?lzen und eine neue Ladung S?ndenvergebung einzunehmen. ?brigens ist sie eine Nebenperson und darum absichtlich nur skizziert, wie ich es mit dem Pfarrer und Doktor im >>Vater<< gemacht habe, da ich sie gerade als Alltagsmenschen haben wollte, wie Landpfarrer und Provinzial?rzte es meist zu sein pflegen. Und dass diese meine Nebenfiguren etwas abstrakt erscheinen, beruht darauf, dass die Alltagsmenschen in gewissem Sinne in Aus?bung ihres Berufes abstrakt, das heisst unselbst?ndig sind; sie zeigen bei der Verrichtung ihres Berufes nur eine Seite, und solange der Zuschauer nicht das Bed?rfnis empfindet sie von mehreren Seiten zu sehen, ist meine abstrakte Schilderung ziemlich richtig.
Was schliesslich den Dialog anbetrifft, so habe ich mit der Tradition insofern ein wenig gebrochen, als ich meine Personen nicht zu Katecheten gemacht habe, welche sitzen und dumme Fragen stellen, um eine prompte Replik hervorzurufen. Ich habe das Symmetrische, das Mathematische in dem franz?sisch konstruierten Dialog vermieden und die Gehirne ungehindert arbeiten lassen, wie sie es in der Wirklichkeit thun, wo in einem Gespr?ch das Thema ja nicht v?llig ersch?pft wird, sondern das eine Gehirn von dem andern gleichsam aufs Geratewohl einen Radzahn empf?ngt, in welchen es eingreifen kann. Und darum wogt der Dialog auch hin und her, versieht sich in den ersten Scenen mit einem Material, welches sp?ter bearbeitet, wiederaufgenommen, repetiert, entwickelt und wiederaufgelegt wird, gleich dem Thema in einer musikalischen Komposition.
Die Handlung ist reich genug, und da sie eigentlich nur zwei Personen angeht, habe ich mich auf sie beschr?nkt, und nur eine Nebenperson eingef?hrt, die K?chin, und den ungl?cklichen Geist des Vaters ?ber und hinter dem Ganzen schweben lassen. Dieses Letztere habe ich gethan, da ich zu bemerken geglaubt habe, dass f?r Menschen der neueren Zeit die psychologische Entwicklung das ist, was sie am meisten interessiert, und unsere wissbegierigen Seelen sich nicht damit begn?gen, etwas vor sich gehen zu sehen, ohne zu erfahren, wie es zugeht! Wir wollen gerade die F?den, die Maschinerie sehen, die doppelbodige Schachtel untersuchen, den Zauberring in die Hand nehmen, um die Fuge zu finden, in die Karten gucken, um zu entdecken, mit was f?r Zeichen sie versehen sind.
Was das Technische in der Komposition anbetrifft, so habe ich die Akteinteilung gestrichen, weil ich bemerkt habe, dass unser Mangel an F?higkeit, uns von einer Illusion beherrschen zu lassen, m?glicherweise durch Zwischenakte erzeugt wird, in denen der Zuschauer Zeit bekommt zu reflektieren und sich dabei dem suggestiven Einfluss des Verfasser-Magnetiseurs zu entziehen. Mein Drama w?hrt wahrscheinlich sechs Viertelstunden, und wenn man eine Vorlesung, eine Predigt oder eine Kongressverhandlung ebenso lange und l?nger anh?ren kann, so habe ich mir gedacht, dass ein Theaterst?ck w?hrend anderthalb Stunden nicht erm?den w?rde.
Der Monolog ist von unsern Realisten als unwahr verbannt, aber wenn ich ihn motiviere, mache ich ihn wahrscheinlich und kann ihn also mit Vorteil verwenden. Es ist ja wahrscheinlich, dass ein Redner allein in seinem Zimmer auf- und abgeht und laut seine Rede durchgeht, wahrscheinlich, dass ein Schauspieler laut seine Rolle memoriert, dass ein M?dchen mit seiner Katze plaudert, eine Mutter mit ihrem Kinde scherzt, ein altes Fr?ulein mit ihrem Papagei schwatzt, ein Schlafender im Schlafe spricht. Und um einmal dem Schauspieler zu selbst?ndiger Arbeit Gelegenheit zu geben und einen Augenblick dem Zeigefinger des Verfassers zu entschl?pfen, ist es am besten, dass die Monologe nicht ausgef?hrt, sondern nur angedeutet werden. Denn da es ziemlich gleichg?ltig ist, was im Schlafe, zum Papagei oder zur Katze gesprochen wird, da es ja keinen Einfluss auf die Handlung aus?bt, so kann ein begabter Schauspieler, der mitten in der Stimmung und Situation drinnen ist, dies besser improvisieren, als der Verfasser, der nicht im voraus berechnen kann, wieviel und wie lange geschwatzt werden kann, bis das Publikum aus der Illusion erweckt wird.
Wo der Monolog unwahrscheinlich werden sollte, habe ich zur Pantomime gegriffen und hier lasse ich dem Schauspieler noch mehr Freiheit, zu dichten und selbst?ndig Ehre zu gewinnen. Um gleichwohl das Publikum nicht zu stark auf die Probe zu stellen, habe ich die Musik, die durch den Tanz in der Johannisnacht wohl motiviert ist, ihre verf?hrerische Macht w?hrend des stummen Spiels aus?ben lassen, und bitte den Musikdirektor wohl zu beherzigen, dass er nicht fremde Stimmungen erwecken darf durch die Erinnerung an das Operetten- oder Tanzrepertoire des Tages oder durch allzu ethnographisch volkst?mliche Melodieen.
Das Ballett, welches ich eingef?hrt habe, konnte durch keine Volksscene ersetzt werden, da Volksscenen schlecht gespielt werden, und eine Menge Spassmacher die Gelegenheit benutzen w?rden, sich bemerkbar zu machen und dadurch die Illusion st?ren. Da das Volk seine B?swilligkeiten nicht selbst improvisiert, sondern bereits fertiges Material benutzt, das einen doppelten Sinn geben kann, habe ich das >>Schm?hgedicht<< nicht gedichtet, sondern ein weniger bekanntes Tanzspiel benutzt, welches ich selbst in der Umgebung von Stockholm aufgezeichnet habe. Die Worte treffen ungef?hr die Sache, und das gen?gt v?llig, denn die Feigheit der Menge gestattet ihr nicht direkte Angriffe. Also keine ausgesprochenen Sp?sse in einer ernsten Handlung, kein rohes Grinsen gegen?ber einer Situation, die den Deckel auf den Sarg eines Geschlechtes legt.
Was die Dekorationen anbetrifft, so habe ich von der impressionistischen Malerei das Unsymmetrische und Abgeschnittene entlehnt und glaube dadurch die Illusion zu erh?hen; denn dadurch, dass man nicht die ganze Scene und das ganze M?blement sieht, ist es einem m?glich gemacht den Raum zu ahnen: die Phantasie wird erregt und ersetzt das Fehlende. Auch habe ich es dadurch erreicht, dass ich das erm?dende Gehen und Kommen durch die Th?ren los wurde, besonders da die Theaterth?ren aus Leinwand sind und bei der geringsten Bewegung flattern. Ebenso habe ich mich an eine einzelne Dekoration gehalten, damit die Personen sich mit der Umgebung verschmelzen k?nnen, und um mit dem Dekorationsluxus zu brechen.
Eine andere vielleicht nicht unn?tige Verbesserung w?rde die Entfernung der Rampe sein. Dieses Licht von unten scheint die Aufgabe zu haben die Schauspieler im Gesichte voller erscheinen zu lassen; aber ich muss fragen: Warum sollen alle Schauspieler volle Gesichter haben? Ob das Licht von unten nicht eine Menge feiner Z?ge in den unteren Partieen des Gesichtes, namentlich der Kiefer, verwischt, ob es nicht die Form der Nase ver?ndert und Schatten ?ber die Augen wirft? Und wenn nicht, so ist doch sicher, dass es den Augen des Schauspielers unangenehm ist, sodass das wirkungsvolle Spiel des Blicks verloren geht, denn das Licht der Rampe trifft die Netzhaut auf Stellen, die sonst gesch?tzt sind und darum sieht man selten andere Bewegungen der Augen, als ein dummes Starren zur Seite oder hinauf zu den Logenreihen, sodass das Weisse im Auge zu sehen ist. M?glicherweise kann man derselben Ursache das m?de Blinzeln mit dem Augendeckel bei den Schauspielern und namentlich bei den Schauspielerinnen zuschreiben. Und wenn jemand auf der B?hne mit den Augen sprechen will, kann er nur geradeaus ins Publikum sehen, mit dem er ausserhalb des Rahmens des St?ckes eine direkte Korrespondenz einleitet; eine Unsitte, die mit Recht oder Unrecht >>Bekannte begr?ssen<< genannt wird.
Sollte nicht gen?gend starkes Seitenlicht dem Schauspieler dieses neue Hilfsmittel bieten k?nnen: die Mimik durch den ausdrucksvollsten Teil des Gesichtes, die Augen, zu st?rken?
Die Illusion, die Schauspieler dahin zu verm?gen, f?r und nicht mit dem Publikum zu spielen, n?hre ich nicht, wenn dieses auch in hohem Grade w?nschenswert w?re. Ich glaube nicht, dass ich eine ganze Scene hindurch den ganzen R?cken eines Schauspielers werde zu sehen bekommen, aber ich w?nsche von ganzem Herzen, dass die Hauptscenen nicht, gleich Duetten, vorn am Souffleurkasten gespielt werden m?gen, in der Absicht, Beifall zu ernten, sondern ich will sie auf einen Platz haben, der zu der Situation passt. Also keine Revolution, sondern nur kleine Modifikationen.
Wenn ich nun beginne vom Schminken zu sprechen, so n?hre ich keine Hoffnung, von den Damen geh?rt zu werden, die lieber h?bsch, als wahr sein wollen. Aber der Schauspieler sollte doch genau ?berlegen, ob es f?r ihn vorteilhaft ist, durch das Schminken seinem Gesichte einen abstrakten Charakter zu geben, der wie eine Maske auf demselben sitzen bleibt. Denken wir uns einen Herrn, der sich mit Kohle einen scharfen, zornigen Zug zwischen den Augen anbringt, und nehmen wir an, dass dieser st?ndig zornig aussehende Mensch bei einer Replik lachen soll. Welch' schauderhafte Grimasse wird das nicht werden? Und wie soll eine falsche Stirn, die blank ist, wie eine Billardkugel, gerunzelt werden k?nnen, wenn der Alte zornig wird.
Mit einem modernen psychologischen Drama, wo die feinsten seelischen Empfindungen sich mehr in den Gesichtsz?gen als in den Bewegungen und im Geschrei widerspiegeln sollen, th?te man wohl am besten, es mit starkem Seitenlicht auf einer kleinen B?hne und mit Schauspielern ohne Schminke oder zum mindesten einem Minimum davon zu versuchen.
Indem wir auf dieses Theater warten, m?ssen wir auf Lager schreiben und das Repertoire der Zukunft vorbereiten.
Ich habe einen Versuch gemacht! Ist er missgl?ckt, so ist noch Zeit genug, einen neuen zu machen.
Fr?ulein Julie.
Die Handlung spielt in der Johannisnacht in einer gr?flichen K?che.
Schauplatz:
Eine grosse K?che, deren Decke und Seitenw?nde von den Draperien und Soffiten verdeckt werden. Die Hinterwand zieht sich von links schr?g in die Scene hinein; auf der linken Seite zwei Gestelle mit Kupfer-, Messing-, Eisen- und Zinngeschirr; die Gestelle sind mit zackigem Papier garniert; etwas weiter rechts sieht man dreiviertel des grossen gew?lbten Ausganges mit zwei Glasth?ren, durch welche ein Springbrunnen mit einem Amor, bl?hende Fliederb?sche und einige Pappelb?ume sichtbar sind. Eing?nge rechts und links.
Links auf der B?hne eine Ecke eines grossen Kachelherdes mit einem Teil des Rauchfanges.
Rechts das eine Ende eines Gesindeesstisches aus weissem Fichtenholz mit einigen St?hlen; auf dem Tisch eine grosse japanische Kruke mit Flieder.
Der Herd ist mit Birkenzweigen ausgeputzt, der Boden mit Wachholder bestreut.
Ein Eisschrank, ein Waschtisch und ein Aufwaschtisch. Eine grosse, altert?mliche Schlaguhr ?ber der Th?re und ein Sprachrohr auf der linken Seite derselben.
Schwache Violinenmusik in einiger Entfernung im Takt eines Schottisch.
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