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Read Ebook: An Deutschlands Jugend by Rathenau Walther

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Ebook has 324 lines and 31018 words, and 7 pages

An Deutschlands Jugend

von

Walther Rathenau

S. Fischer o Verlag Berlin

Alle Rechte vorbehalten, besonders das der ?bersetzung

Inhalt

Zueignung und Aufruf 5

Zweifel 18

Glaube 42

Krieg 74

Charakter 97

Zueignung und Aufruf

In dieser feierlichen Zeit des Abschiedes wende zu euch ich mich, Menschen der deutschen Jugend. Nie hat eine Menschheit so bewusst und verantwortungspflichtig an einer Scheide der Zeitalter gestanden. Die Stunde h?lt ihren Atem an, zu lang f?r das bangende Herz, zu kurz f?r das flatternde Gewissen, der Kl?ppel holt aus. Ist der Schlag verklungen, nach Menschenjahren, Sekunden des ?on, so stehen wir in fremder Welt und Zeit, beladen oder ents?hnt, und blicken durch den Tr?nenschleier des Krieges nach dem entsinkenden Reiche der Gewesenheit.

Unbewusster, zweifelfreier waren die, die vor weniger als hundert Jahren durch den Nebel der Weltkriege das rosenfarbene Jahrhundert verschwimmen sahen. Die Revolution hatte ihnen eine brauntuchene b?rgerliche Sicherheit gegeben, der Krieg hatte mehr geschlichtet als genommen, sie f?hlten besch?ftigt das Nahen von Wissenschaft, Technik und Kapital und konnten sich dem ?berlassen, was sie Restauration nannten, und was der h?sslichste Nutzbau der ?berv?lkerten, mechanisierungsdurstigen Welt war.

Der Bau wuchs; in den h?chsten, luftigsten und frechsten Geschossen des Himmelskratzers sind wir geboren und haben wir gelebt; jetzt bricht er nieder, aus Mangel an Gerechtigkeit und organischer Kunst, die man verschm?ht hatte, hineinzubauen. Er hatte kein Fundament, stand auf dem Schuttplatz der franz?sischen Revolution, die Raum geschaffen hatte, aber keinen Baugrund. Bis in seine h?chsten Zinnen, die Nationalismus und Imperialismus hiessen, trug er keine Idee in sich, nur ein empirisches Gleichgewicht der Kr?fte; alles was Idee hiess, rankte sich ?usserlich empor und zerm?rbte seine W?nde.

Keine neue Revolution kann uns die Arbeit erleichtern, denn die Zerst?rung ist da, wir brauchen sie nicht zu rufen. Was gefordert wird, ist Arbeit, langsamer, heiliger Neubau, Dombau. Aus tiefen, geheiligten Herzen und neuem Geist. Nicht aus der Frechheit, die sagt: Lasst mich nur, ich bin schlau und vern?nftig, ich will einmal versuchen. Nicht aus satter Interessiertheit, die sagt: Wir werden alles reparieren. Nicht aus Stumpfheit und b?rgerlicher Bl?de, die sagt: Kommt Zeit, kommt Rat.

Die Schicksalsstunde webt nicht ?ber Schlachten und Konferenzen, Brand und L?schung, sondern ?ber der Bauh?tte, ?ber ihren Meistern und Gesellen, dem Geheimnis ihres Grund- und Aufrisses und dem Geist ihrer Gemeinschaft. Der entscheidet die Jahrhunderte, deshalb haben wir vom Geist zu reden.

Mit euch, Deutschlands Jugend, will ich reden. Den Genossen meines Alters habe ich nicht mehr viel zu sagen. Mein Herz habe ich vor ihnen ausgesch?ttet, mein Glauben und Schauen, Vertrauen und Sorgen ihnen vor die Seele gehalten. Viele haben meine Schriften gelesen, die Gelehrten, um sie zu bel?cheln, die Praktiker, um sie zu verspotten, die Interessenten, um sich zu entr?sten und sich ihrer eigenen G?te und Tugend zu erfreuen. Wenn warme Stimmen zu mir drangen, so kamen sie von Einsamen, von Jungen, und von denen, die nicht altern und nicht sterben.

Von den Alten habe ich nichts gewollt als Mitdenken und Mitsorgen, Pr?fung, Besinnung. Nichts anderes will ich von euch. Pr?ft meine Worte an euren Gedanken, in euren Herzen; seid auf eurer Hut, verwerft, was euch nicht innerlich ergreift, die verbohrte Meinung, den bestechenden Einfall. Nicht ein F?hrer unter euch vermesse ich mich zu sein, nicht ein Berater, ich will mit euch er?rtern und erw?gen. Auch huldige ich euch nicht; ihr seid ein neues Geschlecht, kein anderes Volk als eure V?ter, ihr seid ihnen ?hnlicher, als ihr meint. Ihr seid eine Hoffnung; auch wir sind eine Hoffnung gewesen und keine Erf?llung geworden, obgleich es manche unter uns gab, die den Weg sahen und wiesen. Ich huldige auch daf?r euch nicht, dass ihr in den Krieg geboren und gewachsen seid. Den Krieg haben unsere V?ter verschuldet, also haben wir ihn verschuldet; den Krieg haben wir verschuldet, also habt ihr ihn verschuldet. Derer, die get?tet worden sind und get?tet werden sollen, gedenkt mein Herz in jeder seiner N?chte, und am heissesten umfasst es die, denen es schwer wird, und die sich f?rchten. Jeder, der mit seiner Seele in den Krieg verstrickt ist, alt oder jung, f?rchtet sich und zittert, und weint Tr?nen, die nach innen fliessen und das Herz verbrennen. Auch daf?r nicht, dass ihr ungebrochen und stark, voll Anspruch und ohne Zweifel seid, huldige ich euch. In zwanzig Jahren sind eure Verwegensten alt, entt?uscht und philisterhaft, nicht um des Grossen, sondern um des Kleinen willen, und es wird viel sein, wenn abermals dereinst einige aufstehen, weil sie ihr Herz warm erhalten haben, um zaghaft und ?berw?ltigt zu euren Kindern zu reden. Um des Glaubens willen an unsere deutsche Erde rede ich zu euch, um der Liebe willen zu euren V?tern, euren Kindern und am meisten zu euch, um der Hoffnung willen, die ihr seid und alle, die nach euch kommen. Denn ihr werdet das Reich betreten, das uns verwehrt ist, auf euch liegt die Verantwortung und die erste Entscheidung.

Werdet ihr mich h?ren? Manche von euch, die urspr?nglichsten, sind sorglos, dem Denken abgewendet, mit billigem zufrieden und eng autorit?r; manche, die kl?gsten, sitzen in ihren Schreibstuben und Presszentralen, pochen auf ihre Vernunft und Abstraktion und warten, dass ihrer geschulten Dialektik zuliebe die Welt sich wie Sankt Hieronymus' L?wentier aufblickend zu ihren F?ssen schmiege.

Verschliesst ihr euch aber vor mir, so rede ich zu mir selbst und meinem Sch?pfer, denn reden muss ich und darf nichts verschweigen, obwohl ich weiss, dass jedes Wort mir neuen Unfrieden schafft bei denen, die mich hassen und verfolgen. Dann werden andere kommen, helleren Geistes, reineren Herzens, edlerer Art, die Glauben erzwingen f?r das, was sie verk?nden und was ich nur stammle. Denn das ist freilich wahr: Nichts ist in mir, das den Willen rechtfertigt, geh?rt zu werden, ausser dem Glauben an die Seele und ihre Verwirklichung.

In mir aber ist nichts verwirklicht, und will ich zu euch reden von unseren gemeinsamen Schw?chen, Tr?bheiten und Kl?rungen, so muss ich frei vor euch mich zu der Problematik bekennen, die man mir vorwirft, damit ihr unget?uscht so hart und milde wie ihr wollt urteilt, und muss euch sagen, wer ich bin.

Ich bin ein Deutscher j?dischen Stammes. Mein Volk ist das deutsche Volk, meine Heimat ist das deutsche Land, mein Glaube der deutsche Glaube, der ?ber den Bekenntnissen steht. Doch hat die Natur, in l?chelndem Eigensinn und herrischer G?te die beiden Quellen meines alten Blutes zu sch?umendem Widerstreit gemischt: den Drang zum Wirklichen, den Hang zum Geistigen. Die Jugend verging in Zweifel und Kampf, denn ich war mir des Widersinns der Gaben bewusst. Das Handeln war fruchtlos und das Denken irrig, und oftmals w?nschte ich, der Wagen m?chte zerschellen, wenn die feindlichen G?ule auseinanderst?rmend sich ins Gebiss legten und die Arme erlahmten. Das Alter s?nftigt. Noch immer ist der ?bersch?ssige Wille nicht ganz gebrochen, noch immer stehe ich im praktischen Handeln, doch nicht um eigener Ziele willen. Und manchmal scheint es mir, als sei aus diesem Handeln auch etwas in meinem Denken befruchtet worden, als habe die Natur mit mir den Versuch vorgehabt, wie weit betrachtendes und wollendes Leben sich durchdringen k?nnen. Ein Zeichen des Friedens wurde mir gegeben. Als ich zum ersten- und zum letztenmal, nicht freiwillig, sondern von Not gezwungen, mich den Getrieben des Staates n?herte, da wurde durch das geringe Werkzeug meines Kopfes und meiner H?nde vom deutschen Willen aus einem Gusse eines vollbracht, das sonst nicht im Schaffen eines Einzelnen beschlossen ist: die bewusste Sch?pfung einer neuen Wirtschaftsordnung, die nicht vergehen kann und alle k?nftigen Wirtschaftsformen in ihrem Schosse tr?gt. Das war wohl die sichtbare Frucht, die der alternde Stamm nach auferlegtem Willen tragen durfte; nun sch?ttet er die versp?teten Knospen und Bl?tter in euren Schoss.

Grund meines Redens ist nicht der Krieg, sondern der geistige Niederbruch, den er offenbart, nicht die Furchtbarkeit dessen, was ist, sondern dessen, was war und was bevorsteht. Die Stumpfesten glauben ein Gewitter zu sehen, kurz und heftig meinten sie zuerst, heftig und absehbar meinen sie jetzt, und denken bald wieder da anzufangen, wo sie aufgeh?rt haben, am liebsten m?chten sie ihn als Mittel betrachten, um einige ihrer alten Zwecke zu erreichen.

Andere tr?sten sich mit einer Theorie wirtschaftlicher Evolutionen: immer haben Kriege die ?berg?nge der Wirtschaftsformen begleitet, dieser ist gr?sser, doch nichts anderes; wir werden den Endzustand erwarten und versuchen, ihn nach unserem Willen zu lenken. Sie haben nur zur H?lfte Unrecht, denn dieser ist wahrhaft der Weltbrand des europ?ischen Sozialgeb?udes, das nie wieder erstehen wird. Doch ist nicht jede Brandst?tte ein Baugrund, manche ist w?st geblieben und manche zur Spukst?tte f?r Gespenster und Gesindel geworden.

Die wenigen, die das Ereignis kommen sahen, so wie es ist, nicht als mannhaften Zweikampf, nicht als frisch-fr?hlichen Reiterkrieg, sondern als Weltgericht: diese wenigen haben es verk?ndet, nicht als politisch-wirtschaftliche, sondern als sittliche Notwendigkeit, als Blutgericht, um zum letztenmal die Seele und das Gewissen, die W?rde und Gerechtigkeit der westlichen Welt zu wecken und zu retten.

Wir gingen zugrunde mit aller ?ppigkeit der Technik und mit dem verruchten Stolze unseres banalen Wissens; und wir gehen weiter und unaufhaltsam zugrunde, mit und trotz und wegen aller Opfer, so wir nicht begreifen und uns ermannen.

Noch jetzt, im f?nften Jahr, sind die Nationen nicht fertig, ihre Kriegsgr?nde, Kriegsursachen und Kriegsziele zu erkl?geln - freilich, sie wissen sie nicht und werden sie nicht wissen! - Weltanschauungen zu erdichten und zu ert?fteln, die sie nicht haben, Charaktere einander vorzuwerfen, die sie aus Zeitungen oder von missvergn?gten Reisenden erlernt haben. Noch heute beschimpfen sich Staatsleute und strafen sich L?gen, und deuteln an ihren Forderungen. N?chterne Polizeiideale werden angepriesen, kapitaldurstige Kreuzz?ge werden gepredigt, un?berzeugte Gerechtigkeiten werden gefordert. Und im Innern der V?lker bl?ht Kriegswucher, Geschw?tz und Roheit, w?hrend treuherzige Jugend an den Fronten verblutet.

Was sind alle Zerst?rungen und leiblichen Opfer verglichen mit den Zuckungen und Verzerrungen des europ?ischen Geistes? Dies Leiden ist nicht dem Kriege entsprungen, es lag in uns, und was wir schaudernd sehen und f?hlen, ist nur der Paroxysmus des Ausbruchs. Und diese Krankheit geht nicht mit dem Kriege, nicht durch den Krieg zu Ende; in erneuten Schreckensformen, mit inneren Giften und Zersetzungen zehrt sie weiter bis zur t?dlichen Ersch?pfung. Die Geisteskrankheit, der sittliche Wahnsinn Europas ist heilbar nur durch die Macht des Gewissens, die Gewalt der Umkehr und Einkehr. Die n?chterne Wirtschaftsrechnung verschl?gt nichts, sie mag den Apotheker bezahlen.

Ist uns Rettung bestimmt, so dringt sie aus unseren Tiefen. Kein Staatsmann kann helfen, kein Staatsakt, keine ?nderung der Einrichtungen. Denn w?re selbst alles aufs beste geschaffen und bestimmt, es zerschellte und zersplitterte am Wust der Interessen, an der ?berzeugungslosigkeit, an der Indolenz, an der geistreichen T?ftelei, am falschen, eitlen Individualismus, und s?nke zur?ck ins Chaos. Wurstelei und Gewaltherrschaft sind die einzigen Formen, die den anarchischen K?rper im Scheindasein erhalten k?nnen, und beide ert?ten vollends den Geist.

Dies ist die Frage, die dir, deutsche Jugend, gestellt ist: Kannst du noch einmal den deutschen Geist zur Einheit der ?berzeugung, zur Treue der Weltanschauung aufrufen? Es sei nicht die heilige Einheit des Mittelalters, die bleibt uns verloren; es sei eine vielf?ltige Kraft, doch darin einig, dass sie das Geistige ?ber das Irdische stellt. Dann mag sie vielsp?ltig, mag sie vom Glauben aller Welt verschieden sein, denn zwischen echten Anschauungen gibt es zwar keinen Frieden, doch keinen t?tenden Hass und jederzeit die w?lbende Synthese.

Kannst du Menschen finden und sammeln? Nicht Heilige, nicht Genien, doch Geistige, Aufrechte, frei und weit Blickende, W?rdevolle, Spendende, Innerliche, Wirkende; nicht Umh?llte von Interessen, Standesverblendung, Seichtheit, Streberei, Phrase, Liebedienerei, eitler Gesch?ftigkeit? Denn vergiss nicht: W?re ein deutsches Paradies auf Erden verwirklicht, wir h?tten heute die Menschen nicht, es zu verwalten. Blicke um dich, auf diese Parlamente, diese ?mter, diese Akademien -, ?berall der gleiche Ton, die gleiche Redensart, die gleiche mechanisierte Sicherheit, bestenfalls hier und da ein wenig weltfremde, spintisierende Gr?belei, und nirgends ein Mensch, der auch nur von ferne den alten mannhaft Grossen gleicht in allen diesen redenden und schaustellenden Berufen. Die Besten des Landes sind einsam an ihren stillen Werken, einseitig, aufgezehrt, gealtert, dem Treiben abhold. Wir alle m?ssen abtreten, zur?ck in Finsternis und Vergessenheit; wir haben das Unsere nicht getan, wir sind nicht die Rechten.

Unter denen, die weitab, hilflos, ihrer Unzul?nglichkeit bewusst, der Wende unw?rdig das Geschick sich erf?llen sahen, habe auch ich meine Stimme erhoben, das Drohende ausgesprochen, das Geschehene gedeutet und das Kommende dargestellt. Was die Zukunft fordert und dereinst erzwingen wird, die ?nderung von Einrichtungen und Gesinnung, den wirtschaftlichen und sozialen Ausgleich, die Durchgeistigung und Versittlichung der Wirtschaft habe ich geschildert und die Vollendung irdischer Ordnung im Reich der Seele. Unverbr?chlich glaube ich an diese Dinge, denn sie sind im Anzuge, ja sie sind unsichtbares Schicksal geworden, denn sie sind erschaut, ausgesprochen, erh?rt und somit im Geiste verwirklicht.

Doch die Liebe zur Heimat ?berwiegt alles und verlangt, die kommende Gerechtigkeit und Adelung m?chte als ein Werk deutschen Geistes, als ein Geschenk deutschen Herzens an die V?lker in die Welt treten, Deutschland m?chte nicht zag, sp?t und verdrossen dem Weltlauf folgen, Deutschland m?chte den Anspruch auf F?hrung und Verantwortung, also den Anspruch auf eigenes Leben nicht m?rrisch und verbittert j?ngeren V?lkern preisgeben, um sich, so lange es geht, feindselig alternd hinter trockenen Rechten und b?ser Gewalt zu verschanzen.

Und abermals werde ich mutlos und frage: Wo sind die Menschen? Wo sind in dieser Zerfahrenheit der Interessen, der Stumpfheit, der selbstverliebten Geschw?tzigkeit, in dieser Unklarheit der Wertungen, in der pr?fungslosen Verbohrtheit der Standesmeinungen, in der Verfilzung der Staatseinrichtungen - wo sind noch Ans?tze m?glich f?r die Keimkr?fte des neuen, reinen, freien Lebens? Kann es ausserhalb einer politisch beeinflussten Tagesmeinung ?berhaupt noch eine geistige deutsche ?berzeugung geben? Wenn deutsche Gedanken entst?nden, wirkliche Gedanken des Geistes und Herzens, Ideen, nicht Forderungen allt?glicher N?tzlichkeit noch geh?ssiger Zeitungs- und Versammlungsdunst -, k?nnen solche Gedanken in Deutschland noch Tr?ger und Verwirklicher finden? Ist unser Volk einer nicht bloss herk?mmlichen, nicht bloss interessierten, nicht bloss agitatorischen Anschauung noch f?hig? Was sind ?berhaupt die Voraussetzungen f?r die M?glichkeit einer deutschen Anschauung? Und sind sie verwirklichbar?

Die erste Pr?fung endet freilich schlimm. In keinem Lande der Erde wird soviel wie bei uns von Anschauung, Weltanschauung, Kultur und Ideal geredet. Das kommt daher, dass wir in der vormechanistischen Epoche eine wundervolle Bl?te des Geistes erlebt haben. Das war in einem kleinen, in den Tiefen kaum emanzipierten Volke mit einer Schicht von knapp f?nftausend Gebildeten, einem Volk also, das eigentlich nur aus sichtbarem Geist bestand, oder in dem nur der engverschwisterte, uninteressierte Geist das Wort hatte. In den letzten drei Menschenaltern war die Zahl und Kraft der idealistischen Geister so gering, dass es zweifelhaft erscheint, ob unsere wissenschaftliche, technische und organisatorische Zivilisation noch den Namen einer Kultur verdient.

Als wir in den Krieg zogen, fragten uns die Neutralen nach der Weltanschauung und den Idealen, f?r die wir k?mpften. Wir erkl?rten ihnen, unsere Feinde seien H?ndler, wir aber vertr?ten eine heldenhafte Weltanschauung, wobei denn freilich der ganze bei uns herrschende Kapitalismus abgeschaltet werden musste, der technisch-organisatorische Teil der Kriegf?hrung im Dunkel blieb, und die Gegenfrage abgelehnt wurde, wieweit wir Kellner, Barbiere und Handlungsreisende, die in unserem Namen die Welt versorgten, in das Heldenideal einzubeziehen w?nschten.

Dann haben uns Gelehrte ein Ideal der deutschen Freiheit beschieden, das weniger eine Freiheit als eine sympathische Unfreiheit war, das auff?llig mit den herrschenden Zust?nden ?bereinstimmte und im Kern auf einen Lobpreis der Professorenlaufbahn hinauslief.

Auch das altliberale B?rgerideal hat man uns anzupreisen versucht, mit sch?chterner Losl?sung von seinem englisch-franz?sischen Ursprung, das gern auf demokratische Ausgelassenheit verzichtet, sofern es einem jeden freisteht, ungest?rt und unbek?mmert vom N?chsten und vom Staat, seinem f?rderlichen Beruf nachzugehen.

Die sogenannten Machtideale bed?rfen keiner Erw?hnung. Sie passen auf jeden, der die Mittel zu haben glaubt oder sucht, um sich auf Kosten anderer Vorteile zu schaffen.

Nun ist es von Weltanschauungen stiller geworden, und wir besch?ftigen uns wieder vorwiegend mit Interessen und Tagesfragen. Wo sind die deutschen Ideale, wo sind ihre Tr?ger?

Wir haben sieben Millionen Arbeiter, die zum grossen Teil von Schulagitatoren gef?hrt werden. Wir haben acht Millionen unselbst?ndige in der Landwirtschaft Besch?ftigte, die sich nicht organisieren d?rfen und nicht Tr?ger eigener Gedanken sind. Wir haben zwei bureaukratisch geordnete Kirchen, die dem Austretenden mit Minderung b?rgerlicher Rechte drohen d?rfen. Wir haben die St?nde der Interessierten, die mit der Dialektisierung ihrer Gewerbe befasst sind. Wir haben eine Beamtenkaste auf Grund eines Gesinnungsnachweises. Wir haben einen selbst?ndigen Mittelstand, der nach den Gr?nden seines Niederganges sucht. Wir haben ein Grossb?rgertum, das nach Beziehungen und Bef?rderungen lechzt. Wir haben einen staatsbeamteten Gelehrtenstand, der zur Verteidigung alles Bestehenden erzogen ist. Wir haben Interessenvertreter und Ortsgr?ssen, die im politischen Leben stehen und ihre W?nsche und Kritiken mit denen ihrer Auftraggeber in ?bereinstimmung zu bringen suchen.

Und dennoch! Solange noch Selbstbewusstsein und Willenskraft in uns ist, lieber in t?tigem Glauben und edlem Irrtum vergehen als in kranker Resignation und galliger Verneinung leben. Abermals rufe ich zu dir, deutsche Jugend! Noch haben dich die Kleinheiten des Lebens nicht zerm?rbt, die w?tenden Interessen und giftigen H?ndel dich nicht verfeindet, ein grosses Schicksal hat dich verschmolzen und gel?utert, hilf die Quellen des schmachtenden Landes erschliessen.

Lasst uns diesen einen Gang gemeinsam gehen. Lasst uns durch die ?de des Zweifels schreiten, lasst uns an das Tor des Glaubens pochen, lasst uns das Schicksal unserer Pr?fung befragen und unserer eigenen Seele tief ins Antlitz blicken, und glaubt mir, wir kehren nicht entmutigt heim. M?ssten wir auch ein schweres Teil der V?lkerschuld auf uns selbst nehmen, m?ssten wir tiefe S?hne und Einkehr von uns selbst verlangen: Lasst uns hart sein aus Liebe und arg aus Treue. Lassen wir anderen das Behagen der Besch?nigung und des Selbstlobes, das seit vier Jahren zur schamlosen Pest der V?lker geworden ist, und suchen wir den Weg zur alten Wahrhaftigkeit und Furchtlosigkeit, die unser vornehmstes Erbteil war.

Mag unser Gang beklemmend sein, mag er uns zeigen, wie fern wir dem Lande unserer Verheissung sind, genug, wenn wir heimkehren mit der Botschaft, dass unser Schicksal bei uns selbst steht, dass wir inne geworden sind dessen, was uns von neuer Geistigkeit, von innerer Wiedergeburt und Weltverantwortung trennt.

Was trennt, kann sinken. Den Kampf, den wir k?mpfen, und den h?rteren, den wir k?mpfen werden, beendet nur ein Sieg: der Sieg der Einkehr. Und die Nation wird ihn erstreiten, die ihrer eigenen Seele entgegentritt und sie zum Ph?nixopfer weiht.

Zweifel

Wir ?lteren hatten keinen Grund, die Epoche unserer Jugendjahre zu preisen. Politisch herrschte der Kampf gegen den Sozialismus in der Form einer liberal aufgekl?rten Reaktion, geistig die sogenannte exakte Wissenschaft, wirtschaftlich der beginnende Hochkapitalismus, gesellschaftlich die b?rgerliche Streberei. Das Reich und die Grossmacht war begr?ndet, einen Schritt dar?ber hinaus gab es nicht; das Bestehende hatte recht, wer Einw?nde erhob, bekam es mit Bismarck zu tun oder mit dem Satz von der Erhaltung der Kraft, oder mit den >>besseren<< St?nden. Alle Gebiete des Lebens ?berschattete die Autorit?t des unbestrittenen sichtbaren Erfolges, sogar die Kunst fand es selbstverst?ndlich, Urteil und Rat vom bereicherten und kaufenden B?rger und der gebildeten Hausfrau zu empfangen. Die Jugend, soweit sie nicht als verderbt galt, f?gte sich den genehmigten Idealen, ja ?berbot sie; der oberste der genehmigten Begriffe war die Karriere. Der wachsende Staat verlangte Beamte, das heisst Juristen, die Laufbahn verlangte gesellschaftliche Garantien, das heisst studentische und offizierm?ssige Korporation. Die Vorbilder wirtschaftlichen Aufstiegs waren noch vereinzelt und nicht so machtgesteigert, um zu verlocken, der Wissenschaftsbetrieb hatte eine gesonderte Aufstiegsordnung, in der ein umfangreiches Assistentenwesen und Einheirat eine gewisse Rolle spielten.

Jugendlicher Drang, von freier Tat ferngehalten, halb freiwillig, halb unbewusst in das ungeistige, unfromme, phantasielose Joch der Autorit?t und Streberei gezw?ngt, schuf ein Zerrbild, so unerfreulich wie kaum eines seit der Zeit des lanzknechtlichen Hosenteufels, des altmodischen Bramarbas und des bezopften Renommisten: den Patentscheisser. Aufgeschwemmte Burschen, schn?de und zynisch im Auftreten, mit geklebtem Scheitel, gestriemten Gesichtern, Reiterstegen an den gestrafften Beinkleidern, schnarrender Stimme, die den Kommandoton des Offiziers nachahmte. Den Hochschulbetrieb verachteten sie, die k?mmerliche Pr?fungsreife erlangten sie durch sogenannte Pressen, ein feindseliges und herausforderndes Wesen trugen sie zur Schau, ausser wenn es sich um Konnexionen handelte, ihre Zeit verbrachten sie mit Pauken, Saufen und Erz?hlen von Schweinereien. Solche Gestalten wurden geduldet, ja anerkannt; sie waren bestimmt, zu denen zu geh?ren, die das Volk regieren, richten, lehren, heilen und erbauen. Gewiss, es gab auch zahlreiche andere Vertreter der akademischen Jugend, vor allem die, deren Mittel zur Erreichung dieser Stufe nicht langten; doch meine Bef?rchtung, dass die Generation der achtziger Jahre uns den Ausfall einer geistigen Ernte im ?ffentlichen Leben kosten w?rde, hat sich erf?llt.

In den Formen des l?ndlichen und kleinb?rgerlichen Lebens haben wir uns stets bescheiden, sicher und w?rdig bewegt. F?r gesteigerte b?rgerliche Lebensform ist ein g?ltiges neuzeitliches Vorbild in Deutschland nicht geschaffen worden. Der kleinere Adel blieb gutsherrlich, patriarchalisch, stadtfeindlich, der gr?ssere international und abgesondert. Der Soldatenstand liess nach aussen nur einen k?hlen Schliff erkennen, der zu brutal ?bertreibender Nachahmung verf?hrte, das Beamtentum, wirtschaftlich gedr?ckt und stolz verzichtend, machte in seinen Formen die Abwehr f?hlbar, die ein Leben in unterordnenden und spaltenden hierarchischen Gepflogenheiten bedingt. Patriziat und alter Reichtum, in Deutschland selten und versprengt, fand in sich kein Gleichgewicht und dr?ngte zum Adel und Hof.

So fand sich bei uns niemals ein anerkanntes Vorbild der Lebensform, des Benehmens und der Gesellschaft; unzusammenh?ngende Konventionen wurden unverstanden gelehrt und als Unterscheidungszeichen gewertet, zur Schaffung eines geschlossenen ?usseren Erscheinungsbildes reichten sie nicht aus. Der erzieherische Nachteil dieses scheinbar ?usserlichen Mangels f?r jedes heranwachsende Geschlecht wird untersch?tzt. Er l?sst den jungen Menschen die W?rde und Sicherheit einer anerkannten Schulung entbehren, verf?hrt zu einem billigen Individualismus, der nur Formlosigkeit ist, erschwert die Sch?tzung und Gemeinschaft einer k?rperlichen Kalokagathie, bewirkt R?ckschl?ge in eine pomadisierte P?belhaftigkeit und erm?glicht die Entstehung von wechselnden Zerrbildern, die nirgends in der Welt geduldet werden w?rden, und von denen das der achtziger Jahre ein teuer bezahltes Beispiel bildet.

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