Read Ebook: Der Schäfer: Eine Geschichte aus der Stille by Mann Franziska Thon Alfred Illustrator
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Ebook has 539 lines and 30859 words, and 11 pages
Illustrator: Alfred Thon
Der Sch?fer
Eine Geschichte aus der Stille
von
Franziska Mann
mit
Scherenschnitten
von
Alfred Thon
Axel Juncker Verlag Berlin W 15
Druck von Frankenstein & Wagner, Leipzig.
Seelen gibt es, die an Sterne mahnen, Unbemerkt auf sonn'gen Alltagsbahnen; D?mmerung und Finsternis erst sagen Euch, wieviel des Lichts sie in sich tragen.
Mutig ragt auf roter Heide eine Fichte in die H?he. Mutig und einsam! Kein Nordwind konnte ihre ?ste bisher verbiegen oder zerbrechen. Die leicht sich wiegenden Zweige bilden sich ein, dass sie immer aufw?rts gestreckt von w?rzigen Wohlger?chen umspielt sein werden. Ja, genau so hoffnungssicher ist diese Fichte, wie junge Menschen, die noch nichts von Wintersnot und Lebensschicksalen erfuhren. --
Durch die sonnige Stille klingt leises Kr?hen. Vergebens versuchen die frohen ?ste sich abw?rts zu neigen; denn gerade neben ihrem Stamm erhebt sich ein Stimmchen. Vogelsang, Sturmgebraus oder menschliches Lachen und Weinen verm?gen sie nicht mit Sicherheit zu unterscheiden.
?ber den Rand einer grob zusammengezimmerten Holzkiste, die hier verlassen stehen geblieben -- welches mag ihr fr?herer Inhalt gewesen sein? -- krallt sich ein rotes, winziges F?ustchen. Es kann nur einem Erdenb?rger geh?ren, der noch nicht lange in der Welt Aufenthalt genommen hat.
Kinderwagen kosten Geld, aber eine alte Holzkiste und starker Bindfaden sind leicht gefunden, und kleine M?dchen sind gern auch ?fter mal Pferd oder Kutscher. Ann-Gret hat zuerst fein behutsam gezogen. Nur Trin und Dortchen h?tten nicht kommen d?rfen. Im Staube liegt die Leine. --
Betrachtete jemand das kr?hende Gesch?pfchen etwas genauer, so w?sste er, dies B?bchen ist nicht f?rs Traurigsein geschaffen. Es lacht und h?tte doch so manchen Grund zum Weinen: grosse Schweissperlen tropfen von seiner Stirn; ein Kr?stchen Brot, an dem die roten Lippen mit Behagen gesaugt hatten, ist seinem M?ndchen entglitten. Auf des Kindes Nase sitzt eine Fliege, die fast halb so gross ist wie die ganze kleine Nase. Ungemach genug f?r das Menschlein, und doch kr?ht Jachl vor Lust. Es bek?mmert ihn wenig, dass Ann-Gret, die Wagenlenkerin, ihn schm?hlich hier verlassen hat.
In dieser Stunde leuchtet alles im Umkreise in schimmerndem Reichtum. Auch der seichte Bach funkelt. Drei pausb?ckige Dirnchen umspringen ihn. Ann-Gret tappt mit den Fussspitzen ins Wasser. Sie hat Mut: sogar an Baden denkt sie, an Kleiderausziehen und weit ins Wasser springen. Lustig, lustig ist alles auf Erden auch f?r Trin und Dortchen. Beide haschen vergeblich nach dem winzigen Getier im T?mpel, das so leicht zu fangen scheint, und das doch immer wieder behend davon schl?pft. Dann wieder bespritzen sich die Freundinnen gegenseitig und laufen voreinander davon. Keine denkt in ihrem Vergn?gen an den, der unter der hoch?stigen Fichte kr?ht. --
Endlich sind die Kinder am Bache des Spielens m?de; Hunger erinnert sie ans Nachhausegehen. Nun wird auch der Jachl in seiner Wagen-Kiste nicht vergessen. Ann-Gret f?rchtet ihn nicht; sie kennt seine Langmut. Drei M?dchen, drei Pferdchen ziehen jubelnd die Leine.
?ber Stock und Stein rast die Jagd mit dem Jungen, dem immer Vergn?gten. Einmal nur, als das Gef?hrt umf?llt, und Jachl sich eine t?chtige Beule schl?gt, schreit er auf. Aber nur wenig Zureden ist n?tig, und wieder strahlt Lachen auf seinem runden Gesichtchen. --
Scheltend steht Mutter Bohn vor ihrem H?uslein, als die lustige Gesellschaft angaloppiert kommt. Ein bisschen vorsichtiger h?tte Ann-Gret wohl sein sollen. Ist der Jachl auch nur ein Bauernjunge, aus Eisen ist er deshalb doch nicht. Z?rtlich streichelt ihn Mutter Bohn. Wieder und wieder summt sie: >>Wo will di dat noch gahn?<<
Kein anderes Lied passt wie dieses f?r das B?bchen. Nur immer die eine Melodie kommt Mutter Bohn ?ber die Lippen, f?r die ihr hochdeutsche Worte unm?glich erscheinen:
>>Putt, putt, putt min H?hneken, Wat deist in minen Hof Und pfl?ckst mi all min Bl?meken? Du makst mi dat to grow. Un's Mudder schall di schilln , Un's Vadder schall di slahn, Putt, putt, putt min H?hneken, Wo will di dat noch gahn?<<
Hastig muss der Jachl seinen Mehlbrei schlucken. Sein Magen darf nicht empfindlich sein; er ist es auch nicht. Kaum hat er die Mahlzeit beendet, da fallen ihm schon die Augenlider zu. Trotz der W?rme wird er unter ein schweres Federbett gesteckt.
Mutter Bohn muss in den Stall. Neben Jachl wacht der alte Sch?ferhund. Nichts regt sich Stunde um Stunde. -- --
Vor sechs Wochen ist ihr der Kleine ins Haus geschneit. Was blieb ihr ?brig, als ihn hier zu behalten? Vor die T?re konnte sie ihn doch nicht setzen. Ihre Trude wusste nicht >>wohin<< mit ihm. Nur gut, dass der Ohm einverstanden war. Er murrte bloss: >>Nich fr?h genug k?nnen se hier fort in die grosse Stadt, aber wenn se sich >sowas< da geholt hab'n, find'n se mit'n Mal wieder 'n Weg ins Dorf zur?ck.<< --
Gewundert hat sich niemand; solche ?berraschungen kennen hier Eltern. Zum Gl?ck hat Mutter Bohn nur ihre Eine; da ist das Ungl?ck nicht so schlimm. Und als Schande betrachtet sie es ?berhaupt nicht, nur ist sie selber schon recht m?rbe von mancherlei Lebens-Ungemach. Mit ihren verfurchten Z?gen sieht sie zwanzig Jahre ?lter aus als sie ist. L?ngst musste ihr Mann, unter dem von ihr als Braut gewebten Sarglaken, den Weg zum Friedhof geleitet werden. Schon als sie mit ihm nur >>ging<<, war er auf der Brust nicht fest. Nun haust sie mit dem Ohm, ihrem einzigen Anverwandten; beide m?rbe, gelassen, arbeitssam, wenig gespr?chig. --
F?r den kleinen Joachim -- den Jachl -- hat niemand Zeit. Der Bauer muss auf die Heide oder in den Stall, und die Frau, die mitarbeitet, findet selten eine Viertelstunde, in der sie den kleinen Eindringling auf dem Arm tanzen lassen kann. Zum Herzen und K?ssen kommt's fast nie; Z?rtlichkeit ist in dem niederen H?ttchen nicht heimisch, wenigstens keine ?usserlich sichtbare. Nur am Sonntag Nachmittag, da hat's auch der Jachl gut. Mutter Bohn hebt ihn, der sonst in irgendeinem Stubenwinkel herumkriecht, auf den Schoss, l?sst ihn tanzen und springen und sich von ihm die d?nnen, grauen Haare zerzausen.
>>Die sind zu z?hlen, die hier im Dorf mit'n Myrtenkranz in die Kirche kommen,<< tr?stet sie sich, wenn ihr schwer ums Herz wird. Ihre Trude hat sich damals auch zu fr?h eingestellt, aber Bohn hat sie bei sich behalten und ihr einen ehrlichen Namen verschafft. Wer weiss dagegen, mit wem die Tochter in Berlin gegangen ist? Kein Wort hat sie vom Heiraten gesprochen, als sie den Jachl nach Hause brachte. Mutter Bohn dankt Gott, dass es bei ihr nur bei der Trude geblieben ist; mehr Kinder h?tten ihr wohl leicht auch mehr solcher ?berraschungen ins Haus geschleppt. Was kann man tun als stillehalten?
Wenn nur nicht alles so knapp w?re! Bis jetzt kostet der Jachl ja noch nicht viel, aber wenn er gr?sser sein wird, wie soll ihm dann das hungrige M?ulchen gestopft werden?
Zwischen M?hsal und D?rftigkeit gedeiht der Kleine wie ein bestgehegtes Kind. L?ngst schon traben seine dicken Beinchen durch den Sand der Heide. Nicht einmal krumm sind sie, die doch so viel Entschuldigung h?tten, nicht kerzengrade zu wachsen.
Immer ist der Jachl vor Tau und Tag draussen. Die hellen Haare stehen ihm stets zu Berge. Den Inhalt seines grauen Fr?hst?cksbeutels stopft er, sobald er unterwegs, schleunigst in das rote M?ulchen. Eifrig sucht er, je nach der Jahreszeit, Bl?tter jeder Art und Heidekraut, violettes oder purpurgef?rbtes oder silbergraues Moos. Die sch?nsten Kr?nze im Dorf winden seine dicken Finger. Stundenlang sitzt Jachl geduldig bei der Arbeit. F?rmlich schwer wird ihm die Trennung von seinen Kunstgebilden. Das darf er aber nicht merken lassen, wenn der H?ndler, der w?chentlich einmal ins Dorf kommt, sie abholt. Mutter Bohn braucht Geld, und Jachl, der kleine Mitverdiener, weiss, dass er sich nicht zu oft an den Indianer- und Kriegsfahrten der anderen Jungen beteiligen darf. --
Heute ist er nicht allein bei der Arbeit. Neben ihm sitzt Lieschen, das grosse Lieschen. Zwei Jahre ist sie ?lter als er. Achtlos hat sie die Schultasche neben sich ins Gras geworfen. Auch sie versucht eifrig mit Bindfaden allerlei Heideblumen zum Kranz zusammen zu binden. -- Bis zur Schule muss sie eine Stunde laufen. Die kleinen, nackten F?sse sind mit Staub ?berweht; denn Lieschen tr?gt ihre festen Holzpantoffeln ?fter in der Hand als auf den F?ssen. Jene Staubschicht geh?rt zur Rotwangigen, wie die Uniform zum Soldaten. Zwar steckt ihre Mutter sie allabendlich ins grosse Regenfass unter die Rinne, und auch mit Seife spart sie nicht, aber in der Fr?he, mit dem ersten Schritt vor die H?tte, ist das kleine M?dchen gleich wieder wie in Sand und Staub getaucht. --
W?hrend Lieschen sich an ihrem Kranze qu?lt, reibt sie des ?fteren mit einem derben, rotgew?rfelten Taschentuch, das sie umst?ndlich aus der Tasche ihres blauleinenen R?ckchens holt, grosse Schweisstropfen von Stirn und N?schen. Manch wohlgepflegtes Stadtkind d?rfte die kleine D?rflerin um ihre tiefschwarzen Haare, ihre blauen Augen, ihre frischen Farben beneiden, auch um die fein geformten F?sse, die noch nie in beengendem Schuhwerk sich verstecken mussten.
Dass der Weg nicht kurz ist, bemerkt Lieschen gar nicht. Gew?hnlich gesellen sich ihr auf der Landstrasse andere Kinder zu. Munter schreitet dann die kleine Schar vorw?rts, heiter ohne beredt zu werden. Wortkargheit haftet fast allen Dorfkindern an, von der ihre Lebenslust aber nicht beeintr?chtigt ist. Zu Haus, bei Vater und Mutter, h?ren sie selten viele Worte, daher kommt wohl auch ihre Einsilbigkeit. --
Heut eilt es Lieschen nicht mit dem P?nktlichkommen zur Schule, heut ist ganz etwas anderes im Schulhause >>los<<. Dem Herrn Kantor ist gestern die Frau gestorben. F?r sie windet Lieschen den Kranz. Ihr will sie ihn schenken. Und vor allem: sie ist heute von Neugier erf?llt, sich die anzusehen, die sie jetzt >>die Leiche<< nennen. --
Lieschens Eltern sind von fr?h bis sp?t auf dem Acker besch?ftigt. Um Kindererziehung sorgen sie sich trotz der wachsenden Zahl ihrer Schreih?lse nicht. >>Lieschen wird schon werden,<< brummelt der Vater, wenn der oder jener ?ber seine Kinder seufzt. Ihre Mutter denkt oft ebenso, w?hrend sie geb?ckt beim Bauern arbeitet. --
Der Kleinen Kranz ist fertig: Heidekraut, Kamillen und Bl?tter, viel gr?ne Bl?tter in buntem Gemisch, nicht kunstvoll gebunden, aber doch als Kranz erkenntlich. Hurtig sch?ttelt sie die Sch?rze ab. Geschwind l?uft sie weiter. Manchmal bleibt sie stehen und guckt sich ringsum. Irgendwo muss ja Jachl stecken; er ist ihr eben davongelaufen; auf irgendeinem Baume wird er sitzen.
>>Ju--hu, ju--hu!<<
Vor die F?sse ist er Lieschen gesprungen. Breitbeinig steht er da, die H?nde in den Taschen seiner braunen Hose.
>>Ju--hu, ju--hu!<< Einen richtigen Jodler bringt Jachl nicht zustande, aber Fr?hlichkeit klingt doch aus seinem Ju--hu. --
Auch Mutter Bohn geh?rt zu denen, die sich um Erziehung nicht sorgen. >>Die B?ume wachsen ja von selbst, und mit kleinen Jungen wird es nicht anders sein<<. -- Niemand hat eigentlich je f?r diese zwei Kinder Zeit. Aber beide merken es gar nicht. Sie entbehren weder v?terliche noch m?tterliche F?rsorge. --
Jachl bewundert zuerst nochmal Lieschens Kranz. >>Och, is der aber sch?n.<< Dann holt er wieder aus der Tasche die grosse Muschel hervor, die bereits seit vier Tagen Lieschens h?chste Sehnsucht ist. Aber das Tauschgesch?ft, das die zwei Kinder er?rtern, f?hrt zu keinem befriedigenden Endziel. Jachl gibt seinen kostbaren Fund nicht nur f?r drei Griffel her. Im Augenblick ist Lieschen auch nicht ordentlich bei der Sache, sie ist von ganz anderen Vorstellungen erf?llt; kaum sieht sie ordentlich hin, kaum h?rt sie wirklich Jachl's Versicherung, dass er >>so dumm nich is wie sie denkt<<. Ihr ganzes Verlangen richtet sich nur auf die Leiche. Wenn Jachl ihr doch ordentlich Bescheid sagen k?nnte, aber er hat nicht mehr Erfahrung mit dem Tode als seine Freundin. Ihre d?rftigen H?uschen liegen vereinzelt abseits; so sind die Kleinen bisher weder mit Werden noch Vergehen auf Erden in enge Ber?hrung gekommen. --
Sorglos marschieren sie bis ans Kantorhaus. Alle Fenster sind dort weit ge?ffnet. Viele Leute aus dem Dorfe str?men hinein. Lieschen m?chte gern erst mal von draussen in die Stube sehen. Sie hebt sich auf Zehenspitzen, aber die Augen reichen nicht bis ins Fenster. Da nimmt Jachl sie ein wenig in die H?he. Doch erschreckt st?sst Lieschen einen leisen Schrei aus. So richtig gesehen hat sie eigentlich nichts, aber ?ngstliche Scheu hat sie gepackt. Z?gernd bleibt sie mit ihrem Kranz auf dem Arm vor der T?re stehen. Ihre Holzpantoffeln h?lt sie in der andern Hand. --
Erwartungsvoll und bedr?ckt schieben sich endlich beide Kinder zwischen die Erwachsenen durch die T?r. Unbewusst haben sie einander zum ersten Male, seit sie sich kennen, fest an die Hand genommen. Kr?ftig halten sich die runden F?ustchen umschlossen. Immer weiter treten sie vor.
Auf die flackernden Kerzen, die zu H?upten der Toten brennen, richten sich zuerst Lieschens Blicke. Von diesen gleiten sie hernieder auf die Frau, welche sie frisch und beweglich t?glich gesehen hat. Noch vorgestern ist ihr Lieschen im Schulgarten begegnet. Nun sieht sie ein Gesicht, bekannt und doch fremd, das r?hrt sich nicht und bewegt sich nicht, und die H?nde liegen lang ausgestreckt auf einer weissen Decke und halten weisse und rote Astern.
Dem lustigen Lieschen dr?ckt etwas in der Kehle. Sie m?chte davon st?rzen, aber ihre F?sse zittern. Die Blumen, der starke Duft, das Licht, die Stille, die schwarzen Gestalten, das murmelnde Beten der andern und die Frau, die stumm und starr, und doch als ob sie l?chle, ausgestreckt daliegt -- -- wie ein schaurig Sch?nes umf?ngt es die Kinder.
>>Tot<< -- denken sie -- >>tot? Das ist tot?<<
Lieschen hat ja ?fter mal von Leuten reden h?ren, die gestorben sind, aber wirklich besch?ftigt hat sie sich nie mit dem Tode. Wohl ist ihr K?tzchen gestorben, aber das war doch ganz anders.
Niemand beachtet die Kinder. Niemand f?hrt die Kleinen liebevoll hinaus. Niemand empfindet das j?he Erschrecken der Seelen.
Jachl st?sst Lieschen leise an. Auch ihm ist so seltsam. Gern liefe er davon, aber allein? Nein, das geht nicht. Doch, was tun? Lieschen steht wie angenagelt. Da zieht er scheu ein wenig an ihrem Rock, bald ein wenig mehr, ein wenig st?rker. Noch h?lt Lieschen ihren Kranz auf dem Arm. Ihr fehlt der Mut ihn niederzulegen, ihn der Toten zu schenken; sie wagt sich nicht ganz nahe heran. --
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