Read Ebook: Der Schäfer: Eine Geschichte aus der Stille by Mann Franziska Thon Alfred Illustrator
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Ebook has 539 lines and 30859 words, and 11 pages
Jachl st?sst Lieschen leise an. Auch ihm ist so seltsam. Gern liefe er davon, aber allein? Nein, das geht nicht. Doch, was tun? Lieschen steht wie angenagelt. Da zieht er scheu ein wenig an ihrem Rock, bald ein wenig mehr, ein wenig st?rker. Noch h?lt Lieschen ihren Kranz auf dem Arm. Ihr fehlt der Mut ihn niederzulegen, ihn der Toten zu schenken; sie wagt sich nicht ganz nahe heran. --
>>Lieschen,<< h?rt sie es leise fl?stern. >>Lieschen, komm.<< Gleichzeitig zieht der Junge sie -- zieht und zieht sie langsam bis zur T?r. Noch ein scheuer Blick f?llt zur?ck auf die Tote, aber pl?tzlich jagen beide -- immer noch Hand in Hand -- durch die T?r, durchs Haus auf die Strasse. Atemlos laufen sie, rasen durch die Heide, durchs Dorf, rasch, so rasch ihre Kr?fte es zulassen, weiter, nur weiter. Jedes tr?gt in der freien Hand seine Pantoffel. Anfangs wagen sie gar nicht zur?ckzublicken. Sie m?ssen laufen; sie selbst wissen gar nicht weshalb. --
Zuerst dreht Jachl sich um. Nein, nichts jagt hinter ihnen her, wirklich, die Strasse ist leer, nichts zu sehen, nur ein paar H?hne stolzieren ?ber die Heide. Da guckt auch Lieschen zur?ck. >>Nichts, gar nichts<<, best?tigt sie. Allm?hlich verlangsamen die Fl?chtenden ihren Lauf. Endlich bleiben sie erhitzt und staubbedeckt stehen.
>>Och --<<
>>Ah --<<
Tiefauf seufzen beide. --
Unter dem ersten Baum sinken sie f?rmlich atemlos zusammen. War das schrecklich! Sie f?hlen sich wie befreit. Von Sterben und Tod und Leiche wagen sie gar nicht zu reden. Nie wieder wollen sie eine Leiche sehen -- nie -- nie wieder. -- -- --
Jachl holt einen vergessenen Apfel aus der Hosentasche. Lieschen f?ngt eifrig an ihr Fr?hst?ck zu verzehren. Schmausend sitzen sie nebeneinander; enger als sonst sind sie zusammenger?ckt.
Sonne und Helle und V?gel erheben ihre Stimmen.
Nur solange sie ihn sahen, war der Tod f?r Lieschen und Jachl auf Erden. Rasch trennt das frohe Leben die Kinder von ihrem grossen Erlebnis. --
Zuerst f?ngt Jachl von etwas anderm an. Seine Gedanken sind schon wieder beim heut fr?h unterbrochenen Tauschhandel. Aber die kurze Zwischenzeit hat seine Forderungen sonderbar beeinflusst: am liebsten schenkte er Lieschen jetzt die sch?ne Muschel. Zwar sch?mt er sich dieser Dummheit , dennoch legt er ihr sein Kleinod wortlos in den Schoss. Und merkw?rdig, das kleine Lieschen, das beim Tauschen immer gern ein bisschen betr?gt, hat l?ngst freiwillig alle gelben Zigarrenb?nder aus ihrer Tasche hervorgezogen, die Jachl zum Fuhrmannspielen so oft vergeblich erbettelt hat. --
Von der Gewalt des Todes haben die Kinder nichts begriffen. Vielleicht haben sie ihn vor?bergehend, wie eine dunkle Macht geahnt, vor der ihnen in der Erinnerung grauen wird. Aber sie werden sich nicht oft erinnern. --
Dr?ben -- fern -- in der stillen Stube -- beim Kerzenschein -- dort, wo die stille Frau gelegen -- dort, ja dort war der Tod. Hier ist ganz etwas anderes, hier ist Bewegung, ist Leben. Nicht nur die F?sschen sind vor dem Tode davongerannt, rasch auch entfloh ihm die Kinderseele. --
Lieschen und Jachl sind aufgestanden. Am Graben entlang schlendern sie weiter; die Kleine voran und Jachl, wie immer, etliche Schritte hinterher. Vor des Jungen H?tte wird heute haltgemacht. Schnell holt er seinen Hund und spannt ihn vor das kleine W?gelchen, mit dem er ?fter Gras heimholt. Jetzt soll Lieschen es gut haben! Ein Sprung, und die Kleine thront in der Karosse. Der halbwelke Kranz ist ihr auf die Schulter geflogen, das dunkellockige K?pfchen ist ganz von Blumen umgeben. Stolz schwenkt Jachl seine Peitsche mit den rasch angekn?pften gelben B?ndern durch die Luft. Wie ein richtiger Fuhrmann schreitet er neben seinem Gespann dahin. >>H? -- h? -- Karo zieh an.<< Lieschen lacht. Jachl streichelt den Hund. Von Staub umh?llt, von Sonne ?berstrahlt entschwinden beide Kinder dem Blick. --
Nur wenige Tage sp?ter und Jachl windet Kr?nze f?r eigenen Bedarf. Mutter Bohn ist gestorben. Der Junge wagt nicht wie sonst laut aufzutreten. Zwar lag Mutter Bohn wochenlang zu Bett, aber das war doch ganz, ganz anders. Jachl besorgte nach ihrer Anweisung die Wirtschaft. Jeden Augenblick rief sie seinen Namen. Zuletzt -- Jachl glaubte, sie schlafe -- sagte sie immer dieselben Worte: >>Wo wart di dat noch gahn, wo wart die dat noch gahn.<< Dann kamen der Herr Pastor und der Doktor. Jachl schlich aus der Stube. Er wusste gar nicht, wohin. Lieschen war in der Schule. Niemand dachte an ihn. Weit fort wollte er nicht laufen. Mutter Bohn w?rde ihn gewiss bald rufen. Aber sie rief ihn nicht. Da fing er an zu weinen, ohne zu wissen weshalb. --
Eingesch?chtert trat er ins Haus zur?ck, ans Bett der Grossmutter.
Alle Nachbarn haben sich entfernt. Nur zwei d?nne Lichte brennen in der engen Stube. Auf seinem grossen, morschen Korbstuhl sitzt der Ohm. Er ruft den Kleinen zu sich heran und streichelt ihm mit der hagern, faltigen Hand ?ber die hellen Haare. Jachl wagt kein Wort zu sprechen. Vielleicht hat er wieder ein bisschen Angst vor der Leiche. Nahe presst er sich an den Alten, ein Verlassener an den andern. --
Ein Brief nach Berlin, der Herr Schulmeister hat ihn geschrieben, welcher Trude den Tod ihrer Mutter melden soll, kommt mit dem Vermerk zur?ck: >>Unbekannt verzogen!<<
Welch Gl?ck f?r Mutter Bohn, dass sie dies >>Unbekannt verzogen<< nicht mehr miterlebt. F?r sie diente Trude immer auf ihrer ersten Stelle. Die Harmlose hatte sehr unklare Vorstellungen von Berlin und seinen Gefahren. Von einem >>Palais de danse<< h?rte sie nie, und wenn sie von ihm geh?rt h?tte, dann stellte sie sich gewiss keine Autos vor und keine F?sse, die in seidenen Str?mpfen und feinen weissen Schuhen vom Trittbrett springen. Nein, es w?re unm?glich gewesen, dass sich Mutter Bohn ein Bild solchen Glanzes h?tte machen k?nnen. Das Beste ihres Lebens war vielleicht ihre Ahnungslosigkeit bez?glich des Abgrundes, in dem ihre Trude l?ngst untergegangen. Aber dieses Beste konnte sie ja nicht dankbar empfinden. Und niemand sonst liebt die Trude genug, um an ihrem: >>Unbekannt verzogen<< zu leiden.
Jachl, der noch nicht zur Schule geht, dr?ckt sich best?ndig um den Ohm herum. Er folgt ihm ?berall hin wie ein H?ndchen; ob's schneit oder ob die Sonne scheint, das macht den beiden keinen Unterschied.
In seiner arbeitsfreien Zeit spielt der Junge mit allem, was er in des Alten N?he entdeckt. Und er findet best?ndig Neues und Sch?nes. Da stehen z. B. in der Stube, wie Soldaten aufmarschiert, viele Tabakspfeifen, ganz lange und ganz kurze. Schmauchen zu k?nnen wie der Ohm, das w?re fein. Jachl wird es auch lernen! Er muss es nur mal versuchen.
Vom Herde holt er Streichh?lzer. Alles will er genau nachmachen.
Wahrhaftig! Die Pfeife brennt und das -- das ist ja richtiger Rauch und Dampf.
Stolz und strahlend geht der Jachl auf und ab in der engen Stube. Je mehr Qualm, desto stolzer wird er. Die Augen brennen ihm; er muss sie fest schliessen. Er kann nicht sehen, dass nicht nur aus der Pfeife, sondern auch aus des Ohm Bett Qualm kommt. Ein F?nkchen nur ist aufs Stroh geflogen. Jachl zwinkert ein bisschen mit den Augen: Ist da nicht eine grosse, grosse Flamme?
Schnell reisst er die T?r auf und l?uft davon. --
Auf demselben Heidefleck, der einst die Kiste mit dem ganz winzigen Jachl beherbergte, macht er halt. ?ngstlich duckt er sich unter die Fichte. Schneelast und St?rme dr?ckten deren Krone schon flacher. Sie recken sich nicht mehr ganz so grad und siegessicher in die Wolken, diese ?ste, die meinen Jachl bereits kennen. -- --
Etwas Furchtbares muss er getan haben. Etwas, wof?r sie ihn pr?geln werden und schimpfen, wie niemals vorher. -- Nach einer Weile streckt er seinen schlanken Bubenhals in die H?he und klettert auf einen hohen Steinhaufen. Aus des Ohm kleinem H?uschen sieht er grosse Flammen z?ngeln, und alle Leute laufen mit Wassereimern durch die Strassen. --
Jachls Herz klopft. Ganz kalt sind seine Finger. Er h?rt wie der Ohm und die Nachbarn ihn rufen: >>Jachl -- Jachl!<<
Soll er sich melden?
Je sp?ter sie ihn finden werden, desto besser f?r ihn. Das ahnt er. Aber immer lauter ruft die heisere Stimme, die er so genau kennt: >>Jaachl -- Jaachl -- Ja -- achl!<< --
Alle sind sie zusammengelaufen: der Gendarm und der Schullehrer und der Dorfschulze, die Bauern und die Knechte. Sie alle jammern: >>Ist der Jachl verbrannt? Wo ist Jachl?<< -- Der Ohm sorgt nicht um sein bisschen Hab und Gut; nur an den Jungen denkt er. --
>>Ja--a--chl!<<
Endlich macht sich Jachl auf den R?ckweg. Ganz behutsam schleicht er heran --
Wenn sie ihn nur nicht gleich sehen! -- --
Es ist geschehen!
Des M?llers Knecht hatte die besten Augen. --
>>Halloh -- halloh -- --<<
Der Ohm weint, weint wie ein kleines Kind. Er h?rt gar nicht auf zu schluchzen. Den Stock haben nur die Nachbarn bei der Hand. >>Der verfluchte Bengel!<< h?rt sich Jachl nennen. >>Brandstifter!<< ruft eine andere Stimme. >>Ungl?ckswurm -- von Gott Verlassener!<<
Jachl r?hrt sich nicht; er weiss nicht, was das ist: >>Brandstifter<< und >>von Gott Verlassener<<. Dicht zum Ohm hat er sich gestellt; vermutlich -- er ahnt es dunkel -- wird der es nicht erlauben, dass die andern zu toll losschlagen. P?ffe und St?sse hageln aber doch reichlich auf ihn nieder. --
Endlich steht der S?nder schluchzend allein neben den Mauerresten im Rauch. Jachls Tr?nen gelten nicht so sehr den P?ffen, als der verworrenen Ahnung des Unheils, das er angerichtet hat. Alles, was der Ohm und er besessen und lieb gehabt haben, sieht er verdorben. Das meiste ist verbrannt. --
Abend ist's geworden. Beide merken es kaum. Ohne sich erst noch nach einem anderen Asyl umzusehen, wenden sie sich dem verfallenen St?llchen zu, das ihre einzige Schnucke beherbergt. Platz genug werden sie finden, um sich auszustrecken. Jachl fegt mit einem dicken Strauchbesen die Schlafstelle sauber, bevor er ein paar alte T?cher, die Nachbarsleute herbeischleppten, auf den Boden wirft. Wenige Minuten nur und beide schlafen. Sie besitzen nichts, auch nicht Nerven, die sie ruhe- und schlaflos machen k?nnten.
Durch die kleine Luke f?llt ein Mondstreifen. Friedlich schnarchen Ohm und Jachl. Sie scheinen zu l?cheln: der Kleine vielleicht, weil er weiss, dass er einen Besch?tzer hat, und der Alte, weil er f?hlt, dass er auf Erden noch jemandem n?tig ist. --
Erst der n?chste Morgen zeigt ihnen deutlich, was sie verloren haben. Wie in die Tr?mmer eines Palastes schauen sie auf ihre vernichtete H?tte.
Ohne langes Besinnen f?ngt Jachl an mit einem Beil zwischen dem Schutt zu r?hren. Zu heiss ist er noch f?r seine H?nde. Jeden Scherben, den er aus der gl?henden Asche holt, begr?sst er gl?ckselig. Behutsam legt er ein St?ck auf das andere. Einen ganzen Berg schichtet er rasch auf; wie ein Schatzgr?ber jubelt er bei jedem Fund.
Mittags, als der Ohm von der Arbeit heimkehrt, gr?bt Jachl immer noch so eifrig, wie wenn er sich die sch?nste Burg baue. Trotz allen Bem?hens bleiben die beiden aber von jetzt ab Stallbewohner. Zum Wiederaufbauen der kleinen H?tte langt des Alten Beutel nicht. So voll wird seine Kasse auch niemals werden. Der Ohm ist schon zufrieden, etwas ?hnliches wie eine Stube an den Stall geklebt zu haben. Eine Kochgelegenheit t?pfert er auch zurecht.
Um den Jachl haben alle ein paar Tage einen weiten Bogen gemacht. Rasch ist der Bogen kleiner geworden. Seine Freunde wissen eine Weile nicht, ob sie ihn nun als Helden, Indianer oder B?sewicht behandeln sollen. Jedenfalls rufen sie den Stallbewohner nur noch neckend >>Scheper<<. Und weil sie wissen, dass dieser Sch?fer nichts zu h?ten hat, br?llen sie h?hnend:
>>Scheper, Scheper, dudeldei, L?t de Schap in unse Wei .<<
Jachl hat aber nicht lange Zeit, sich ?ber ihr Gebr?ll zu ?rgern. Er wird in die Schule geschickt. Ein anderes Leben beginnt. --
Joachim malt in stiller Begeisterung Buchstaben. Niemand k?mmert sich um seine Schularbeiten, wie sich niemand um seine Spiele bek?mmert hat. Er buchstabiert eifrig; nicht, weil er fleissig zu sein f?r n?tig h?lt, sondern weil er neugierig ist, >>was kommt<<. Bevor er ein halbes Jahr zur Schule geht, kennt er sein Lesebuch auswendig, jedes Gedicht und jede Geschichte. Immer hat er an dem Ohm einen geduldigen Zuh?rer. >>Verstehste auch, Ohm?<< fragt er fortw?hrend. Jachl hat das nicht unbegr?ndete Empfinden, dass das Nicken des Alten mehr der Gewohnheit, als dem Verst?ndnis entspringe. Furchtbar laut muss er sprechen; der Ohm ist im Laufe der Jahre recht taub geworden. Sehen kann er auch schlecht. Dass man einen Arzt fragen k?nnte, f?llt beiden nicht ein. F?rs >>doktern<< war der Alte nie. Auch nicht f?rs Nachdenken. --
>>Ohm, wo bleib' ich, wenn du tot bist?<< fragt ihn der Junge.
>>Ich leb' schon noch, Jachl.<<
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