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Read Ebook: Timur: Novellen by Edschmid Kasimir

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Ebook has 1035 lines and 36073 words, and 21 pages

Timur

Novellen von Kasimir Edschmid

Kurt Wolff Verlag Leipzig

Geschrieben im Dezember neunzehnhundertf?nfzehn und im folgenden April

Unsere harten Herzen halten wie Berge Bestand Nasreddin von Tus

Inhalt

Der Gott . . . . . . . . 1 Die Herzogin . . . . . . 73 Der Bezwinger . . . . . 143

Der Gott

Seine Mutter verliess ihn, nachdem sie ihn ein halbes Jahr vorher geboren hatte. Er schlug die festen Arme in die Luft und rief zweimal: >>Ma<<. -- Dann losch sie, die ein grosses Segelboot von Honoruru entfernte, aus seinem Ged?chtnis. Seine franz?sische Gouvernante nannte ihn Jean Fran?ois und lieh ihm wenig Zeit und M?he. Seine drei ersten Jahre vollzogen sich am Strand. Gespielen waren ihm Natives, Chinesen und Malaien. Er kroch auf dem Bauch und schrie aus gebr?unter Kehle langgedehnte Vokale und wurde ein gesundes Kind.

Nach drei Jahren kehrte die Mutter zur?ck. Sie suchte ihn im ganzen Haus, den Geb?uden der einzigen Faktorei auf der Insel, lief durch den Garten und fand ihn im Sand am Meer zwischen Muscheln und Farbigen. Sie gab der franz?sischen Gouvernante eine Ohrfeige und nahm ihr Kind auf den Arm.

Sie fragte ihn in englischer Rede schluchzend, wie er sich befinde. Der Junge aber schwieg, denn er verstand sie nicht. Er sprach nur polynesisch und minderes Franz?sisch. Die Mutter war eine feurige Frau. Sie weinte und glaubte, das Kind sei vertauscht. Das Kind sah sie stumm mit grossen Augen an. Sie wies es zur?ck und schenkte ihm einen Monat lang keinen Blick. Kurz darauf verfiel es einer Krankheit, und als sie nun besorgt und gl?cklich es pflegte, sagte es an einem Morgen: >>Ma<<.

Nach geringer Zeit vermochten sie sich in der Rede zu verst?ndigen. Da zwang ein ausbrechendes Leiden die Mutter, die begonnen hatte, in Ruhe ihre schweifende Seele an das Kind anzulehnen, ins Weite. Sie schifften sich auf dem Segler Bounty ein, als die Sonne einen riesigen Kranz um die Insel legte und in dunklem Blau verging. Ein Krater rauchte noch d?nn in die D?mmerung. Dann scholl das unendliche Meer in ihr Ohr.

Sie erlebten am dritten Tage einen Sturm, der das Schiff ?ber die Wellen schleuderte, dass die Kaj?tenw?nde sprangen. Jean Fran?ois hielt verz?ckt den St?ssen stand. Der Kapit?n liess Stagsegel aufziehen. Sie rissen sofort. An den Marquesasinseln warfen sie Anker. Der Meerboden war Muschelgrund und Kalkgriess, der Anker hielt nicht.

Da stiess, w?hrend sie lavierten, ein Kanoe mit rotem Holz und Perlmutter in der Schnitzung aus einer Bucht. Zwei Wilde hielten kupferfarbene Binsen hoch und winkten. Folgend bugsierten sie die Bounty in eine Bay.

Der eine Malaie stieg herauf, seine Glieder hatten wunderbaren Anstand. Sie bedeuteten ihm, sie brauchten Wasser, da schrie er sofort, indem er die Hand wie eine Schale unter den Mund legte, ins Meer hinaus. Der Strand bev?lkerte sich mit Booten, die in breiten Gef?ssen Wasser und Gefl?gel brachten, denn viele der Matrosen litten am Scharbock. Jean Fran?ois, auf dem Arm seiner Mutter an den Mast gelehnt, rief ihnen einige S?tze zu. Da erstaunten sie und verbeugten sich vor ihm. Ihr Oberhaupt aber legte ein Messer vor ihn hin und sagte: >>Rono . . . Rono -- --<<.

Bald h?rten sie es donnern. Vogelschw?rme rauschten ?ber sie. In leichter Brise liefen sie gegen eine K?ste an. Es war Peru. Sie ankerten im Hafen von Callao. Zwanzig Matrosen desertierten in der Nacht. Sie stellten Spanier ein. Langsam trieben sie die K?ste hinunter, bis sie Antufugasta erreichten.

Dort stiegen sie aus. Sie blieben wenige Tage, aber das Klima verschlechterte die Gesundheit der Frau. Sie zog in die Berge hinauf zu einer Schwefelquelle, in der sie badete. Jean Fran?ois jedoch vertrug die Luft der H?he nicht und wurde bleich. Deshalb gab ihn die Mutter mit einiger Dienerschaft hinunter nach Valparaiso.

Als die Mutter zur?ckkam, war Jean Fran?ois sechs Jahre alt, hatte blonde Haare und braune Haut und sprach nun spanisch und polynesisch , aber kein Wort englisch. Da beschloss die Frau, den Sohn, der ihr bis zur H?fte reichte, und mit dem sie kein Wort zu wechseln wusste ausser dem Gef?hl, das von Auge zu Auge str?mend redete, nie wieder zu verlassen in seiner Jugend, schiffte sich mit ihm ein, und an einem Morgen kam ihnen wieder unter dem Himmel die grosse K?ste Oahus entgegen.

Sie fanden dort bei ihrem Eintritt in das Haus die Nachricht, dass Jean Fran?ois' Vater gestorben sei, der die Jahre in Rom und in einer Mission des Papstes in Skandinavien verweilt hatte. Die Mutter ward still und nachdenklich, obwohl ihre Seele getrennt von dem Schicksal dieses Mannes lag. Jean Fran?ois begriff dagegen keineswegs, um was es ging, und lehnte ab, als sie es ihm deutlich machen wollte.

Sein Gef?hl verbreiterte sich. Er lebte sein Dasein bis zum sechzehnten Jahre rund herum aus im Kreis der Begriffe und Dinge, die ihn umgaben. Die Gedanken waren schlicht. Die Dinge gestalteten sich einfach, nur im Verkehr mit primitivem Dasein. Selten nur brachten anlegende Schiffe Europa in sein Blickfeld. Aber seine Seele saugte sich fest an K?ste, Meer und Land.

Dann sandte ihn die Mutter, die noch vier Jahre die Welt durchschweifen wollte, von sich, damit er in den europ?ischen Dunstkreis eintrete. Sie stellte ihm grosse Wechsel aus, und sie verplauderten den letzten halben Abend.

Darauf ging er hinaus in den Garten. An der grossen Hecke der weissen Himbeeren stand Kalekua, die dem Geschlecht der K?nige verwandt war, sang vor sich hin und schaute ?ber ihren Garten hinauf zu ihrem hellen sch?nen Haus. Jean Fran?ois, die Brust von Weite erf?llt, rief ihren Namen, mit der er die anf?nglichen Spiele erster Jugend geteilt hatte. Sie wandte sich um.

In diesem Augenblick hob sich das Gef?hl abenteuerlicher Ferne, in die er verlangte, zu einer grossen Welle, und er, dessen H?nde noch keine Frau ber?hrt hatten, ?berstr?mte den K?rper des M?dchens mit Liebkosungen. Ihre d?nnen Gew?nder schwanden unter seiner Hand, und er f?hlte ihre weichen und wunderbar gerundeten Glieder ihm entgegenfliegen. Da fasste er sie auf die Arme und trug sie noch tiefer in den Garten in die Mulde einer Platane.

Ganz umh?ngt von ihrem Duft hob er sich in den Morgen, schiffte sich ein und fuhr nach England.

Nach zwei Jahren schon zog seine Mutter ihm nach; Sie nahmen ein Haus in der N?he des Hydeparks. Sommers zogen sie auf ein Landgut in Schottland. Sie empfingen viele Menschen, gaben grosse Gesellschaft und hatten ausgew?hlte Freunde. Aus ihren Besitzungen flossen gewaltige Mittel immer erh?ht ihnen zu, sp?ter verkauften sie Anwartschaft und Faktoreien und breiteten das Kapital in englischen Anlagen aus.

Vor der Wirklichkeit dieses fest gegr?ndeten Daseins sank die Jugend der S?dsee, fast vergessen, in Traum zur?ck. Jean Fran?ois studierte in Cambridge, z?chtete Hunde und hatte Anspruch auf die diplomatische Laufbahn. Mit neunzehn Jahren hatte sich die Luftschicht weltm?nnischer Beherrschung dicht um ihn gelegt.

An dem Tage, wo er den grossen Preis im Ballspiel f?r das westliche England errang, starb seine Mutter. Er erfuhr es, als er, den Kopf zur?ckgelegt, sich von der Richtertrib?ne wendend, nach der Seite ging und den Diener sah, der ihm den Brief ?berreichte.

Er war einundzwanzig Jahre, hatte einen gl?nzenden K?rper und gute Zukunft, wie viele sagten.

Er kehrte nach London zur?ck, verschloss die Fenster und nahm am brennenden Kamin das Bild seiner Mutter vor und beschaute es. Sein Herz ?ffnete sich nicht, sie heftig zu beweinen. Kaum ward ihm die eingetretene Leere bewusst. Eine Unbegreiflichkeit waltete ?ber seinen Gef?hlen, dass sie ihn, dem Schwung erh?hter Seelenlagen fernhaltend, alle Empfindungen nur von der Oberfl?che diktiert und durch etwas von seinem inneren Dasein getrennt erleben liessen. Er zog in der Folge roten Dress an und jagte F?chse und legte die Sachen der Mutter beiseite. Beim Jagen und raschen Leben kam ihm geringer das Gef?hl, in leichter Bet?ubung sich zu befinden.

Bei einem ausgesuchten Diner sass ihm eine S?ngerin gegen?ber, deren zarte Haut und grosse Augen seinen Blick anzogen. Um sie besser zu sehen, nahm er eine breite Blumenattrappe und setzte sie auf den Boden hinter seinen Stuhl. Ihr Blick begann, entgegenkommend, gleichfalls auf ihm zu ruhen. Ihr Reden war schnell und heiss. Unmerklich hob sie ein spitzes Glas, als sie mit einem Nachbar anstiess, her?ber zu ihm. Als nach Tisch alles in den Musiksaal str?mte, stellte er sich hinter ihren Fauteuil und redete zu ihr. Sie, ohne sich umzudrehen, sagte: >>Ich kenne Sie nicht<<.

>>Sie sollen es lernen,<< sagte er. Verbeugte sich kurz und ber?hrte knapp ihr Knie im Gehn mit dem seinen.

Sie trug an diesem Abend eine gelbe Robe, und ihre sch?nen Br?ste standen voll und fest in dem schmalen Ausschnitt. Leichter Puder machte die Locken grau, die tief in ihren Kopf hineinhingen.

Sie liess ihn zweimal durch ihren Diener abweisen, bis er eindrang und sie ihm Geliebte wurde.

In einer Nacht fragte sie ihn, als sie ihn ?berm?ssig ihrer sicher glaubte, wie alle Frauen fragen: nach denen, die vorausgingen.

Es seien einige, doch nicht allzuviel, denn dies sei billig, sagte er. Sie fragte, wie lange es her sei, dass er die letzte gehabt habe, und er zuckte die Achseln.

>>Was waren sie, Lieber?<<

>>Was soll die Frage, die nicht sch?n ist?<< sagte er langsam.

>>Mein Herz st?rmt, dass ich es weiss. Um Sie mehr zu lieben.<<

Da dr?ckte er die Ampel aus und sagte: >>Eine Blumenverk?uferin von den Docks, eine Dame, ein M?dchen, eine T?nzerin, eine liebe Frau . . .<<

Sie schloss die Augen und ?ffnete sie verwirrend vor den seinen: >>Keine hielt Sie in dieser Reihe?<<

Sie sah an seinem starken K?rper hinunter, und im Gef?hl, dass in solchen Erlebnissen sich das Weibliche in seiner ganzen Art ersch?pft habe, legte sie sanft ihre Br?ste an seine Wange und fragte das Gleiche ein weiteres Mal.

Da warf er sich hoch, und indem es schien, dass er sie ganz in sich schlinge, sagte er ihr, dass er auch sie verlasse, wenn der Nebel vor den Fenstern heller werde. Er blieb noch einige Stunden bei ihr, indem er sie streichelte und ihr Wesen ein letztes Mal einsog, denn sie war sch?n und edel und weinte, die H?nde vor die Augen geschlagen. Dann verliess er sie.

Er ging den Morgen in die Themse und badete.

Dann ging er nach Hause, liess packen und fuhr nach den schottischen G?tern. Aber am ersten Tage der dritten Woche glitt er, jagend an einem Bergr?cken, aus und brach das linke Bein. Sein Hochl?nder trug ihn ins Tal.

Sie tauchten immer tiefer hinunter, wo die Dunkelheit ihnen entgegenkam, und je mehr sie in die verdichtete Landschaft hineinschritten, ?berfiel ihn Beklemmung, deren Sinn er nicht begriff. Sie erreichten ein Licht, ein ge?ltes Haus. Sie schrieen nach dem Besitzer und befahlen ihm, mit dem Pferd in die Finsternis hineinzureiten, damit er Hilfe bringe. Erst am Morgen kam er mit einem weissb?rtigen Mann, der das Bein einrenkte. Als die Knochen wieder aneinanderstiessen, schrie Jean Fran?ois vor Schmerz, so sehr l?hmte der Alp seine Brust.

Der Hochl?nder schaute abgewandt durchs Fenster, und Jean Fran?ois, der f?hlte, wie jener sich f?r ihn sch?me, schrie ihn an, und wurde ungerecht. Am n?chsten Tage aber schenkte er ihm das Elengeweih seiner Sammlung, damit dieser beides verg?sse, die Scham und den Schrei.

Da er lange lag, haderte er mit dem Geschick. Denn er f?hlte, dass der Druck ?ber ihm blieb. Er wollte ihn vertreiben. Er fuhr mit dem Auge die Berge hinauf und liess den Blick herabfallen in die Wiesen, ?ber denen Kuhgebr?ll erdwarm donnerte. Er trieb Studien, er las. Er f?rbte Stoffe. Er focht zwei Stunden des Morgens angeschnallt ans Bett mit einem grossen Fechter des Clans, damit seine Muskeln hart blieben. Aber es half nichts.

Nach sechs Wochen zog er wieder in London ein.

Sein seitheriges Leben kam ihm in gleicher Form entgegen.

Er griff es, nahm es und lebte weiter.

Eines Abends reizte ein M?dchen sein Gef?hl, das mit einer herrischen Kopfbewegung aus dem Nebel ihm entgegenkommend in den Laternenschein hineintrat. Sie war untersetzt mit geschmeidigen Lenden und trug einen ausl?ndischen Pelzhut. Er drehte um und folgte ihr. Sie gingen durch Strassen und Gassen, es war eine ganze Stunde, dass er sie verfolgte, da kamen sie in die Gegend des Hafens. Die Gassen verwirrten sich immer verzogener ineinander. Da bog sie zur Seite und verschwand. Das Haus, in das sie getreten war, hatte einen w?sten Eingang voll Winkel. Ein gr?nes Licht flammte davor. Die Fenster waren aus ?lpapier und erleuchtet.

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