Read Ebook: Aufsätze by Walser Robert Walser Karl Illustrator
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Ebook has 243 lines and 41215 words, and 5 pages
Der Wald 224
Zwei sonderbare Geschichten vom Sterben 227
Der fremde Geselle 230
Die Einsiedelei 233
Reigen 236
Es kommt mich Lachen und L?cheln an. Was liegt daran! Das sind so Sachen ...
Brief von Simon Tanner
Das alles, was ich jetzt hier schreibe, ist f?r Sie, liebe Frau. Ich sehe so viel Zeit vor mir, die ich zu nichts anderem als zu einer k?nstlichen Spielerei verwenden kann, eine solche Menge, einen solchen Haufen von Zeit, dass ich nur von Herzen froh sein kann, diesen Zeitvertreib gefunden zu haben. Man will und kann mich nicht besch?ftigen, man braucht mich nicht, ich stehe v?llig ausserhalb jedes Bed?rfnisses, wohlan, so gebrauche ich mich eben selber, w?hle mir selber den Zweck und halte mich f?r gut genug, irgendein Werk, w?re es auch das sonderbarste und nutzloseste, zu vollf?hren. Ich bin breit und schwer und voll von Empfindungen. So kl?glich auch meine jetzige Lage sein mag in dieser Spiegelgasse, so seltsam frei und mutig komme ich mir vor, so leicht und erfinderisch in wohltuenden Gedanken ist mein Herz. Nur ab und zu, um es offen herauszusagen, bin ich traurig und hoffnungslos, denke an meine Zukunft als wie an etwas Verlorenes und D?steres, aber das sind Augenblicke, weiter nichts.
Ich schreibe an Sie, weil Sie eine sch?ne und liebe Frau sind, weil ich jemanden im Sinne tragen muss, um lebhaft und aufrichtig schreiben zu k?nnen, weil ich auf Erden immer das N?chste liebgehabt habe, und weil Sie mir die N?chste sind, Sie, von der ich nur durch eine d?nne, dumme Zimmerwand abgetrennt atme und lebe. Ich finde darin etwas Sch?nes, es hat f?r mich etwas Berauschendes und Geheimnisvolles und Weithintragendes. Ich bin zu Ihnen gekommen an einem heissen Tag, Sie wissen es auch, wo die Sonne die Gasse verbrannte, durch Zufall und Einfall, vielleicht auch durch Wunderlichkeit, weil ich dachte, dass in dieser Gasse die Zimmer besonders dunkel, sonnenlos, schattig, eng und auch ... billig sein m?ssten. Sie standen auf dem Treppenansatz und sahen mich mit Ihren Augen ziemlich durchdringlich an, und ich muss gestehen, ich zitterte ein wenig vor diesem Blick, denn ich kam mir so recht vor wie ein Suchender, Bittender, auch hatte ich nur noch eine Kleinigkeit von Geld in der Tasche und glaubte, Sie m?ssten mir das ansehen. Bettler betragen sich bekanntlich immer unsicher. Sie zeigten mir das Zimmer, und ich dr?ckte Ihnen, ich weiss nicht mehr aus welchem Gef?hl des Stolztuns, meine letzten Geldm?nzen in die Hand; Sie nickten befriedigt und der Handel war abgeschlossen. Seitdem habe ich kein Wort mehr mit Ihnen gesprochen, und doch ist beinahe ein Monat seither verflossen, und ich nehme an, Sie halten mich f?r einen stolzen Menschen. Es macht mir Vergn?gen, dies annehmen zu d?rfen und zu denken, dass Sie es gar nicht wagen, mich mit einem Wort anzureden, der doch gl?cklich w?re, wenn Sie es tun w?rden. Nun, ich bin auch so gl?cklich. Ich sehe, ich mache einen g?nstigen Eindruck auf Sie, mein Schweigen erzwingt sich Ihre Achtung, denn gew?hnlich sind Bettler geschw?tzig. Sie halten mich f?r einen armen Menschen, Sie haben schon Mitleid mit mir und f?rchten sicher, dass ich nicht werde bezahlen k?nnen, wenn der Monat zu Ende geht, und doch wagen Sie nicht die geringste Ann?herung, sagen kein Wort, machen immer ein achtungsvoll freundliches Gesicht, wenn Sie mir begegnen, in dessen Z?gen ich den Wunsch, zu reden, lebhaft unterdr?ckt sehe. W?hrend Sie f?rchten m?ssen, von mir hintergangen zu werden, werden Sie immer freundlicher zu mir, erweisen mir kleine Aufmerksamkeiten, die man sch?tzt, weil sie schweigend geschehen, stellen mir einen Teppich und einen Spiegel ins Zimmer und gestatten mir, Sie nachts, wenn Sie schlafen, aus der Ruhe zu schrecken, um mich ins Haus einzulassen, verzeihen mir das und verzeihen sogar, wenn ich nicht einmal daf?r um Entschuldigung bitte. Im ganzen genommen, Sie sehen etwas Besonderes an mir, Sie meinen vielleicht, dass ich ein guter Mensch bin, der etwas in die Klemme geraten ist, Sie sind davon ?berzeugt, dass meine Eltern hochachtbare Menschen gewesen sind, oder noch sind, Sie sch?tzen mich und w?nschen, mich nicht zu kr?nken; nun, aus all diesen Gr?nden, die ich mir zunutze machen will, und die ich deutlich klar sehe, will ich, wenn der Monat zu Ende sein wird, vor Sie hintreten, kurz und rasch, vielleicht mit etwas empfindlicher R?te im Gesicht, mit etwas absichtlicher W?rme in der Stimme, und Ihnen offen bekennen, und Sie dabei anblicken, wie, das weiss ich noch nicht, aber jedenfalls bezwingend, Ihnen einfach frech das Bekenntnis ablegen, dass ich ausser der Lage sei, bezahlen zu k?nnen. Ich weiss, dass ich siegen werde und dass der Sieg nicht einmal ein unfreundlicher sein wird, Sie liebe Frau! Wie ich Sie liebe, dass ich dieses alles so genau weiss. Sie kennen mich und ich kenne Sie, ich finde das so wundersch?n, so erw?rmend. Es kann mir, solange ich bei Ihnen bin, unm?glich schlecht gehen. Nein, unm?glich!
Habe ich es nicht zum voraus gesagt? Sie hatten nicht einmal Zeit, mich zu beruhigen und mir die Versicherung zu geben, dass ich mir doch deswegen nicht die mindesten Gedanken zu machen brauche, so rasch schnitt ich ab, indem ich einfach fortlief. Ich habe nur den Kopf und ein Viertel des Leibes zur T?re ins Zimmer hineingestreckt und ziemlich fliessend und kalt mein Gest?ndnis vorgebracht und bin verschwunden, ohne nur h?ren zu wollen, was Sie auch dazu sagen w?rden. Sie sassen, mit einer Handarbeit besch?ftigt, auf dem Sofa und waren verwundert und wiederum gar nicht im mindesten verwundert dar?ber. Sie haben gel?chelt, und Sie scheinen ?ber diesen Punkt sorglos zu sein. Mein Betragen scheint Ihnen, trotz seiner Kaltbl?tigkeit, oder vielleicht gerade deshalb, gefallen zu haben. Es ist allerdings wahr, ich bin p?nktlich erschienen, absichtlich p?nktlich, mit meiner Er?ffnung: ich bin Ihr Schuldner; ich scheine also in Ihren Augen ein ordnungsliebender Mann zu sein, einer, der genau weiss, wann Termine ablaufen, einer, der den Kalender mit seinen dreissig Tagen genau im Kopfe hat. Es hat also einen guten Eindruck auf Sie gemacht, dass ich so genau wusste, wieviel und von welchem Tage ab ich Ihnen schuldig bin, und ich bin Ihnen ganz gern etwas schuldig und freue mich sehr, eines Tages vor Ihnen zu erscheinen, ebenso rasch und achtlos, wie es diesmal geschah, um meine Schuld abzubezahlen. Sie werden sich alsdann sehr wahrscheinlich f?rchterlich, und in ganz ?berfl?ssig grosser Weise, bedanken, und das wird mich lachen machen. Ich lache sehr gern ?ber solche Sachen, man kommt so am besten dar?ber hinweg. Jetzt verdiene ich etwas Geld, durch Aufs?tze, die ich an eine christliche Zeitung einsende. Ausserdem schreibe ich Adressen und rechne Rechnungen durch, so dass ich hoffen darf, Sie bald zu befriedigen. Wenn Sie nur w?ssten, wie sehr es mir Vergn?gen macht, f?r Sie zu sparen. Es ist doch ganz gut, dass ich Sie nicht bezahlen konnte, nun kann ich doch Ihretwegen etwas tun, Ihre Gestalt erscheint mir freundlich, wenn ich arbeite, ich arbeite dann sozusagen f?r Sie, wegen Ihnen, unter Ihrem Eindruck. Nein, ganz sorglos m?chte ich nie sein. Sorgen haben m?ssen, das verfeinert das Leben und gibt dem Tag einen, wenn auch engen und kleinen, so doch innigen Anstrich. Es ist doch ganz gut so.
An die Heimat
Die Sonne scheint durch das kleine Loch in das kleine Zimmer, wo ich sitze und tr?ume, die Glocken der Heimat t?nen. Es ist Sonntag, und im Sonntag ist es Morgen, und im Morgen weht Wind, und im Wind fliegen alle meine Sorgen wie scheue V?gel davon. Ich f?hle zu sehr die wohlklingende N?he der Heimat, als dass ich mit einer Sorge im Wettstreit gr?beln k?nnte. Ehemals weinte ich. Ich war so weit entfernt von meiner Heimat; es lagen so viele Berge, Seen, W?lder, Fl?sse, Felder und Schluchten zwischen mir und ihr, der Geliebten, der Bewunderten, der Angebeteten. Heute morgen umarmt sie mich, und ich vergesse mich in ihrer ?ppigen Umarmung. Keine Frau hat so weiche, so gebieterische Arme, keine Frau, auch die sch?nste nicht, so gef?hlvolle Lippen, keine Frau, auch die gef?hlvollste nicht, k?sst mit so unendlicher Inbrunst, wie meine Heimat mich k?sst. T?nt Glocken, spiele Wind, braust W?lder, leuchtet Farben, es ist doch alles in dem einzigen, s?ssen Kuss, welcher in diesem Augenblick meine Sprache gefangen nimmt, in dem s?ssen, unendlich k?stlichen Kuss der Heimat, der Heimat enthalten.
Brief eines Mannes an einen Mann
Sie schreiben mir, dass Sie sich ?ngstigen, weil Sie ohne Stelle sind, und weil Sie f?rchten m?ssten, lange ohne Verdienst zu bleiben. Ich bin etwas ?lter als Sie und darf Ihnen aus der Erfahrung raten. F?rchten Sie sich doch ja nicht. Denken Sie weiter nichts. Wenn Sie Entbehrungen zu tragen haben, so seien Sie stolz, sie ertragen zu d?rfen. Leben Sie so, dass Sie mit einer Suppe, einem St?ck Brot und einem Glas Wein leben k?nnen. Das kann man. Rauchen Sie nicht, denn das nimmt Ihnen die wenigen k?rperlichen St?rkungen, die Sie sich leisten k?nnen, weg. Sie haben eine ungeheure Freiheit vor sich. Rund um Sie duftet die Erde, Ihnen geh?rt sie, will Ihnen geh?ren. Geniessen Sie sie. F?rchtlinge geniessen nichts. Also weg mit der Furcht. Seien Sie nicht grob, und fluchen Sie keinem Menschen, auch dem B?sesten nicht. Versuchen Sie lieber, zu lieben, wo ein anderer, weniger Besonnener und Starker, hassen w?rde. Glauben Sie mir dieses Wort: Der Hass zerst?rt den Geist im Menschen auf eine vernichtende Weise. Lieben Sie nur gleich alles. Es schadet nichts, zu verschwenden. Stehen Sie am Morgen fr?h auf, sitzen Sie wenig, schlafen Sie korrekt und schnell. Man kann das. Wenn Sie an der Hitze leiden, so achten Sie nicht ?berm?ssig viel darauf, sondern tun Sie so, als ob Sie es nicht bemerkten. Wenn Sie an eine frische Waldquelle kommen, so vers?umen Sie nicht, daraus zu trinken. Wenn man Ihnen mit Anstand schenkt, nur genommen, aber, mit Anstand. Pr?fen Sie sich jede Stunde, rechnen Sie mit sich, unterhalten Sie sich lieber mit Ihrem eigenen Geist, als mit dem Verstand gelehrter Menschen. Meiden Sie die Gelehrten, denn es sind, mit wenig Ausnahmen, herzlose Menschen. Schaffen Sie sich ?fters Gelegenheit, zu lachen, zu t?ndeln. Die Folge davon: Sie werden ein sch?ner, ernsthafter Mensch. Seien Sie, wenn es Ihnen auch oft schwer ankommt, in allem sch?n. Kleiden Sie sich elegant, das verschafft Ihnen Achtung und Liebe. Es braucht kein Geld, nur die Anstrengung der Sinne dazu. Was die M?dchen betrifft, so halten Sie sich die meisten vom Halse. ?ben Sie sich im Verschm?hen. Gew?hnen Sie sich daran, immer eine Leidenschaft zu haben, das kennzeichnet den sch?nen Mann. Der Leidenschaftlichste ist der Beste: lernen Sie es. Man lernt alles. Ich werde Ihnen ein anderes Mal schreiben.
Simon war ein zwanzigj?hriger Mann. Er war arm, aber er tat nichts, seine Lage zu verbessern.
Eine Theatervorstellung
Der Winternachthimmel war ganz mit Sternen gespickt, ich lief den Schneeberg hinunter, in die Stadt, an die Kasse des Madretscher Stadttheaters, liess mir eine Fahrkarte verabfolgen und fuhr wie ein geistig nicht mehr Normaler die steinerne, uralte Wendeltreppe hinauf, die ins Stehparterre f?hrte. Das ganze Theater war dickvoll von Menschen, eine schlechte Luft schlug mir unter die Nasenfl?gel, ich erbebte und versteckte mich hinter einen Technikumssch?ler. Ich war ganz atemlos und konnte nun ein wenig verschnaufen, bis der Vorhang in die H?he ging, das tat er nach etwa zehn Minuten, er erhob sich und liess in ein Loch voll Feuer blicken. Die Gestalten bewegten sich alsobald, riesige, plastische, ?bernat?rlich scharf gezeichnete Gestalten, und spielten Maria Stuart von Schiller. K?nigin Maria sass im Kerker, und ihre gute Kammerfrau stand daneben, und dann zeigte sich ein finster aussehender, mit einer R?stung bedeckter Mann, die K?nigin brach in Tr?nen des Zornes und des Schmerzes aus. Wie wundervoll sich das ansah. Meine Augen brannten. Ich hatte vorher stundenlang in den hellen, weissschimmernden Schnee gesehen und dann in das Dunkel der Logen, und jetzt mussten sie in eitel Feuer, Glut, Pracht und Glanz schauen. Wie sch?n und gross das war. Wie das von den r?tlichen Lippen taktm?ssig herabt?nte, in Uhrmacher-, Techniker- und sonstige Ohren hinein, sch?ne, edel hin und her und auf und nieder tanzende, schwankende, t?nende Verse. Ah, das sind die Verse Schillers, so dachte wohl mancher.
Der junge, schlanke Mortimer, mit einem Busch heller, goldener Locken auf dem Kopf, sprang aus der Szene in die offene Szene hinein und sprach der K?nigin, die l?chelnd zuh?rte, verf?hrerische Worte vor. Er hatte ein merkw?rdig blass gef?rbtes Gesicht, als sei ihm der ahnungsvolle Schrecken darin gelegen, und schwarzumr?nderte Augen, als habe er viele vorangegangene N?chte hindurch, von Tr?umen hin- und hergeschleudert, kein Auge zudr?cken k?nnen. Er spielte meiner Meinung nach herrlich; nicht so Maria, die ihre Rolle nicht auswendig wusste, die sich eher wie eine Kneipenkellnerin niederster Stufe benahm, als wie eine so vornehme Frau, vornehm im zugespitzt k?ltesten Sinne: K?nigin und dazu noch Dulderin, wie man sich Maria Stuart denken musste. Aber sie r?hrte unendlich. Das Nichtsk?nnen r?hrte in erster Linie und dann jener Mangel an Hoheit. Der Mangel dessen, was sein sollte, ersch?tterte und blendete und trieb mir das Wasser der Empfindung schamvoll zu den erregten Augen heraus. O du Zauber der theatralischen B?hne. Ich dachte immer: >>Wie schlecht sie doch spielt, diese Maria,<< und ward im selben Moment von dem unm?glichen Spiel an Leib und Seele hingerissen. Wenn sie etwas Trauervolles sagte, l?chelte sie verschmitzt und ganz unpassend dazu, ich korrigierte in Gedanken an ihren Gesichtsz?gen, T?nen und Bewegungen herum, und indem ich das tat, hatte ich den lebendigeren und ergreifenderen Eindruck von ihrem fehlerhaften Spiel, als ich ihn vor dem tadellosen h?tte haben k?nnen. Sie war mir so nah auf diese Weise, es war, als w?rde da oben eine Schwester, Cousine oder Freundin von mir gespielt haben, um deren ?usserungen ich Ursache gehabt h?tte, ?ngstlich zu zittern. Bisweilen stand sie ganz vergn?gt und ratlos, also ratlos und doch nicht fassungslos da, sah in den dunkeln Zuschauerraum hinein, zupfte an ihrem Schleier und l?chelte ganz keck, liess das Spiel liegen, w?hrend dieses von ihr eine bestimmte Haltung und Empfindung verlangte. Und warum war sie trotzdem wundervoll?
In den Zwischenpausen bog ich meinen Kopf um und blickte in die Logen hinein, in deren einer eine vornehme Dame sass, in ausgeschnittenem Kleid, dass die Brust und die Arme aus der dunkeln Umgebung nur so herausschimmerten. In der behandschuhten Hand hielt sie ein Lorgnon mit langem Stiel, das sie von Zeit zu Zeit an die Augen f?hrte. Sie schien eine alte, doch noch immer ber?ckende Zauberin zu sein, so allein sass sie dort hinten, abgesondert von den ?brigen Menschen. Sie wohnte, weiss der Teufel, vielleicht in einem jener grazi?s erbauten H?user aus der Zeit Ludwigs von Frankreich, die man in Madretsch h?ufig hinter den hohen B?umen alter, vertr?umter G?rten weiss hervorgl?nzen sieht. In einer andern Loge hockte der Pr?sident des Madretscher Gemeinderats und Mitglied des Verwaltungsrats des Stadttheaters, so ein alter Bock, wie man sich zufl?sterte, der es als ein Vergn?gen empfand, den Schauspielerinnen unter die R?cke zu greifen. Das liess sich ja schliesslich solch eine herumwandernde Maria Stuart noch ganz gerne gefallen. So sah sie n?mlich auch aus auf der B?hne, wie eine Dirne, und nicht einmal wie eine gut-, sondern wie eine minderwertig geartete. Wie kam es, dass sie trotzdem so sch?n war?
Der Vorhang ging wieder auf. Ein breiter, weisslicher Strom Parf?m floss aus dem offenen Loch in die Zuschauerdunkelkammer und beklemmte und befreite die Nasen. Man war froh, wieder diesen holden Duft einzuziehen; ich hinter meinem Technikumssch?ler war es wahrscheinlich ganz besonders. Der B?hnenrachen fing wieder an zu reden, diesmal war die Szene ein Zimmer im k?niglichen Palast von England. Elisabeth sass auf einem mit blauen T?chern behangenen Thron, einen Baldachin ?ber sich, vor ihr die Grossen des Hofes, Lester und jener andere mit der sanften Denkermiene. Im Hintergrund standen dicke Weibsbilder als Pagen, nicht etwa Knaben, nein, vierzigj?hrige Weiber in Trikots. Das war schamlos sch?n. Diese Pagen standen mit der barocken Schwere ihrer gedunsenen Leiber in wahnsinnig kleinen, zierlichen Schuhen auf dem Boden wie unbegreifliche, phantastische Traumfiguren, die ins Publikum hineinl?chelten. Es war, als h?tten sie sich ein wenig geniert, so auff?llig zu sein, aber dann war's wieder nichts mit diesem Genieren. Die Sache verhielt sich so: wer sie ansah, der genierte sich. Ich zum Beispiel genierte mich bis zur Gl?ckseligkeit. Elisabeth stieg dann vom Thron herab, jeder Zoll an ihr lieb und einfach, fast tantlich, m?tterlich, sie gab Zeichen von Ungnade, und die Szene verschwand.
Ein wenig sp?ter gab es eine Parkszene mit gr?nem, verschwommenem Waldhintergrund, Jagdh?rner t?nten in der Ferne in wundervoll fern herklingendem Spiel. Ich glaubte mich augenblicklich in das Dickicht eines Waldes versetzt; die H?nde liefen, Pferde st?rzten aus dem Laubwerk hervor, sch?ne, kostbar gekleidete Reiterinnen tragend, und ?berall sprangen die Knechte und Falkoniere und Pagen, die J?ger in den knappen, gr?nen Trachten herum. Alles das spiegelte sich ganz nat?rlich in den paar Fetzen von Dekorationen t?nend und leuchtend wieder. Maria, die K?nigindirne, trat auf und sang, man kennt ja die Worte, nein, sie sang nicht, aber es h?rte sich ganz wie ein wehklagendes, sehns?chtiges Singen an. Die Frau schien eine Riesin geworden zu sein, so sehr vergr?sserte sie ihr Seelenausbruch. Sie sprang wie irrsinnig vor Freude und Herzensqual umher, und jammerte, als sie zu jubeln meinte. Ausserdem war sie ein bisschen der Rolle wegen, die sie nicht studiert hatte, in Verlegenheit, aber ich glaubte steif und fest, das sei der Wahnsinn des Nicht-mehr-an-sich-halten-K?nnens, die Qual der Freiheit, das Versagen der ruhigeren Frauenvernunft. Als sie weinte, da schrie sie, denn weinen w?re ihr zu wenig gewesen. F?r nichts, was sie empfand, hatte sie einen entsprechenden Ausdruck mehr. Das Empfinden peitschte seinen Ausdruck. Im ?bermass alles dessen, was sie war und sah und h?rte und f?hlte, warf sie sich k?pflings an die Erde, da trat Elisabeth auf.
Die Peitsche in der Hand, hinter ihr her die Trabanten. Die Frau ganz anschliessend, anschmiegend in dunkelgr?nen Samt gekleidet, der Rock hinaufgerafft, dass das m?nnerhaft bestiefelte und bespornte Bein grell sichtbar ist. Zorn, Hohn und Furcht im Gesicht. Auf dem Jagdhut eine schwer herunterfallende Feder, deren Spitze bei jeder Bewegung des Hauptes die Schulter ber?hrt. Und dann sprach sie, ah, sie spielte meisterhaft. ?berdies war sie mir eine liebe Erscheinung. Nicht lange ging es, so prallten sie aneinander und hauchten einander das Feuer des Wehs in die Gesichter; beider Frauen Leiber zitterten wie vom Sturm gepackte Baumst?mme. Maria, die schlechte Schauspielerin, schlug der guten eins ins Gesicht. Darob schmerzhaftes Frohlocken der einen und j?he Flucht der andern. Die liebe Elisabeth muss fliehen, und die dumme Maria muss jetzt in Verlegenheit sein, wie sie es angattern soll, in die Ohnmacht befriedigten Rachegef?hls zu sinken. Sie machte es schlecht, aber in der Art und Weise, wie sie es verpfuschte, lag wiederum das Grandiose. Das ganze Frauengeschlecht, das vergangene und gegenw?rtige und zuk?nftige, schien hinten ?ber, den Kopf seitw?rts gesenkt, in herrlich-s?sser Beugung und Empfindung umfallen zu wollen. So sch?n machte sie's. Dem Verstand war's hurenhaft, dem Gef?hl titanisch. Ich wusste nichts mehr, ich hatte genug, ich packte das Bild mit meinen Augen, wie mit zwei wehrhaften F?usten, an und trug es ?ber die steinerne Wendeltreppe hinunter, zum Theater hinaus, an die kalte, winterliche Madretscher Luft hinaus, unter den eisig-schauerlichen Sternenhimmel, in eine Kneipe von zweifelhafter Existenzberechtigung, um es zu ers?ufen.
In der Provinz
Ja, in der Provinz, da kann es der Schauspieler etwa noch sch?n haben. Dort, in den kleinen Landst?dtchen, die noch von alten Ringmauern trotzig umschlossen sind, gibt es keine Premieren und keine f?nfhundertste Auff?hrung ein und desselben Salates. Die St?cke wechseln mit den Tagen oder Wochen wie die blendenden Toiletten einer geborenen F?rstin, die zornig w?rde, wenn einer ihr zumuten wollte, jahrelang immer dasselbe Kleid zu tragen. Auch keine solche schnauzige Kritik gibt es in der Provinz, wie dergleichen der Schauspieler in den Weltst?dten zu ertragen hat, wo es nichts mehr Ungew?hnliches ist, mit anzusehen, wie der K?nstler von oben bis unten von grimmigen Witzen wie von w?tenden Hunden zerrissen wird. Nein, in der guten, ehrlichen Provinz wohnt erstens der Mann mit der Maske vor dem Gesicht im H?tel de Paris, allwo es toll und urgem?tlich zugeht, und zweitens l?dt man ihn etwa noch zu Abendgeselligkeiten ein, in feine, alte H?user, wo es ein ebenso wohlschmeckendes Essen wie eine delikate Unterhaltung mit den ersten Personen der Kleinstadt gibt. Zum Beispiel meine Tante in Madretsch, die gab es nie und nimmermehr zu, dass von den Kom?dianten in unziemlichem, wegwerfendem Ton geredet wurde, im Gegenteil, nichts war ihr angenehmer und erschien ihr passender, als zum Abendessen, dessen Zubereitung sie selber beaufsichtigte, jede Woche einmal mindestens, so lange sie in der Stadt spielten, diese umherziehenden Leute recht lustig und fidel bei sich zu sehen. Meine Tante, die jetzt gestorben ist, war eine geradezu sch?ne Frau, auch noch zu einer Zeit, wo andere Frauen beginnen, ?ltlich und runzelig zu werden. Mit ihren f?nfzig Jahren schien sie noch eine der allerj?ngsten zu sein, und w?hrend in ihrer Umgebung die Frauen plumpe, missf?rmige Figuren zur Schau trugen, zeichnete sie sich durch eine feste, ?ppig-schlanke K?rperform zu ihrem eigenen, sehr grossen Vorteil aus, dass sie jedermann, der sie ansah, f?r sch?n erkl?ren musste. Nie vergesse ich ihr helles, zartes Gel?chter und nie den Mund, aus dessen reizender ?ffnung das Lachen heraust?nte. Sie wohnte in einem seltsamen, alten Haus; wenn man die schwere T?r auftat und eintrat, in den stets dunkeln Korridor, lispelte einem das Pl?tschern eines unaufh?rlich fallenden Brunnens entgegen, der kunstreich in die Mauer eingef?gt worden war. Die Treppen und deren Gel?nder strotzten und dufteten f?rmlich von Sauberkeit, und erst die Zimmer. Ich habe nie nachher wieder solche Zimmer gesehen, solche heitere, polierte, zimmerliche Zimmer. Ich glaube, wenn ich mich nicht irre, man sagt Gemach, wenn man von einem Zimmer redet, das traulich und zugleich ?usserst vornehm und etwas altert?mlich ausgestattet ist. In einem solchen Hause, bitte ich zu beachten, d?rfen also in der Provinz B?hnenk?nstler aus- und eingehen, d?rfen solche Treppen mit ihren wahrscheinlich manchmal ungeputzten Stiefeln ber?hren, solche Klinken, messingene und rasend peinlich gl?nzende, mit ihren H?nden anfassen, um in solche Gem?cher hineinzutreten, und dann einer solchen Frau, wie meiner Tante, ungezwungen Guten Abend zu sagen. Was tut der Schauspieler in der Grossstadt? Er schuftet, l?uft wie wahnsinnig in die Proben und reibt sich auf, um es ja der s?uerlichen Kritik recht zu machen. So etwas gibt es in der Umgegend von Madretsch nicht, meine Damen und Herren. Von Kranksein und Aufreiben wird da kaum die Rede sein d?rfen, vielmehr bummelt so ein Kerl, den Zylinder, den er weiss der Himmel woher hat, auf dem Kopf, die H?nde in wom?glich hellgelben Handschuhen, den Stock in der Rechten, in einem tragischen Mantel, dessen Sch?sse im Winde flattern, so gegen elf Uhr vormittags oder halb zw?lf, um nicht gelogen zu haben, seelenheiter und von allen Passanten auf der Strasse f?r einen illegitimen F?rstensohn gehalten, angeblinzelt von M?dchenaugen, die sch?ne Promenade entlang, um vielleicht zum See hinauszugehen und dort eine halbe Stunde lang, bis es Zeit zum Essen ist, in die Ferne zu schauen. Das, meine Herren, verschafft Appetit, ist gesund und wohl etwa noch zu ertragen. Wo gibt es in der Grossstadt einen See, einen Felssturz, dessen Gipfel von einem im griechischen Stil erbauten, niedlichen Pavillon gekr?nt wird, wo man in der hellen Vormittagssonne mit einer Frau, die man eben hat kennen lernen und die, sagen wir mal, dreissig Jahre alt ist, ein seelenvolles Gespr?ch f?hren kann? Wo gibt es ein Schulhaus in Weltst?dten, in das der Herr jugendlicher Liebhaber, Herr von Beck, so gegen drei Uhr, weil er gerade Lust zu einem solchen Unternehmen hat, eintreten und den kleinen neun- bis zw?lfj?hrigen Schulm?dchen einen Schulbesuch abstatten kann? Es ist gerade Religionsstunde, die M?dchen langweilen sich ein bisschen, da tritt Beck ein und fr?gt an, ob ihm wohl gestattet w?re, dem ihn im h?chsten Grade interessierenden Unterricht beizuwohnen. Der Pfarrer, ein durchaus weltm?nnisch gebildeter, sympathischer Herr, err?tet ?ber die Keckheit und weiss nicht recht, was er sagen soll, im ersten Augenblick n?mlich, wo ihm die Heldenmanieren eines von Beck den Verstand rauben. Aber schon hat er sich gefasst und schiebt den Darsteller des Ferdinand in Kabale und Liebe sanft zur T?r hinaus, wohin er ja schliesslich, wenn man die Umst?nde bedenkt, auch geh?rt. Aber, Hand aufs Herz, ist das etwa nicht reizend, und gibt's in Millionenst?dten etwas Derartiges? Wie h?bsch dieser Herr Pfarrer gehandelt hat, Herrn Beck zu verbieten, in der edlen Religionsstunde mit den Sch?lerinnen Allotria zu treiben. Aber wie entz?ckend wiederum dieser Beck ist, der den Pfarrer zu dem liebensw?rdigen Benehmen veranlasst hat; denn wenn es keine Becks g?be, die die Unversch?mtheit besitzen, den Schulaufsichtsrat zu spielen, am hellen Tag, wo die Sonne ?berall scheint und es in ganz Madretsch nach K?sekuchen duftet, so g?be es auch kein pfarrerlich-sch?nes Betragen, wie denn Spitzbuben nicht fehlen d?rfen, wo man noch hoffen will, Tugenden anzutreffen. Solche Dinge ergeben sich in einer Kleinstadt von selber; das reizende Erlebnis nimmt dort noch gern plastische Gestalt an, und wer eignet sich in der Provinz besser zu Erlebnissen aller Art als die Lumpenkom?dianten, denen der Ruf des Gef?hrlichen, Sch?nen, Geheimnisvollen und Abenteuerlichen immer vorangeht? Da sieht sie der Bewohner von B?zingen oder Mett oder Madretsch in Gruppen vor dem Rathause stehen, gestikulierend und in fremdartigen, eleganten Akzenten sprechend, die Rollen, die sie abends spielen, in den blassen durchgeistigten H?nden, so wildfremd, so sehr scheinbar aus K?nigsschl?ssern und M?tressenboudoirs herkommend, mit so sch?nen, hohen Stirnen und mit wenn immer denkbar goldenen Haarlocken! Kann der hauptst?dtische oder gar reichshauptst?dtische oder gar noch literarische Schauspieler diese Genugtuung auch geniessen, eine wildfremde Figur auf Strassen, Pl?tzen und Promenaden zu sein? Kann er ?berhaupt auch nur noch tiefer und inniger interessieren, als was auf f?nf Spalten im Lokalanzeiger gedruckt passt? Und wenn er gar ber?hmt ist und viel genannt wird, was ist das? Ich muss geradezu l?cheln, daran zu denken, wie oberfl?chlich das Interesse im Laufe der Jahre wird, das man Ber?hmtheiten zollt. Nein und noch einmal nein. Wer gern mag, dass ihm eine rote, warme, saftvolle, gequetschte, spritzende, spr?hende und duftende Empfindung dargebracht wird, der werde so rasch wie m?glich Schmierenschauspieler. Das bisschen finanzielle und ?konomische Elend, das mit diesem Berufszweig ja allerdings immer verbunden sein wird, ist zu ertragen. Ich mache gern noch auf ein paar Einzelheiten aufmerksam: Schauspieler Beck wird eines Nachts von einem unkultivierten Burschen einfach mir nichts dir nichts Hundsfott genannt. Das ist allerdings starker Schnupftabak. Beck st?rzt vor, und beide, der l?mmelhafte Sohn des Uhrenfabrikanten und das zierliche S?hnchen der dramatischen Kunst packen einander am beiderseitigen Stehkragen, an den Haaren, beim Genick, am Schopf, bei den Nasen, an den Lippen und Ohren, unterm Knie, rund um die Leiber, um den Kampf zweier erz?rnter Gottheiten aufzuf?hren. Auch nicht denkbar in Reichsmetropolen, wo die Menschen anfangen, so windig gesittet zu werden und ihren Zorn immer in die Taschen stecken, wenn zu bef?rchten ist, dass er losbrennen will. Im H?tel de Paris sind immerhin noch ganz andere Sachen m?glich. Dort k?sst man beispielsweise den Kellnerinnen die H?nde, so fein sind sie, und plaudert englisch mit der Leiterin des Gesch?fts am Bufett, so lange, bis einer kommt und einem von hinten her quer eins hin?berhaut, bis man genug hat. Und dann die Natur in Kleinst?dten. Das ist nun geradezu die Wunderquelle, in der sich Karl Moor bis zum Strotzen gesund baden kann, denn ?berall lockt's ihn, in Schluchten zu gehen, in denen Wasserf?lle sch?umend und zischend und k?hlend niederbrausen; ?ber ebene, weite Felder bis an den Rand m?chtig-hoher und gr?ner Eichenw?lder; ?ber Waldh?gel hin?ber, allwo er Blumen suchen und sie in seine Botanisierb?chse stecken kann, um sie zu Hause in ein Glas Wasser zu tun; auf breite, tausend Meter hohe Berge, entweder zu Fuss oder zu Ross, wenn er eins auftreiben kann, oder per Drahtseilbahn, zu der entz?ckend gelegenen Weide mit ihrer Blumen- und Gr?serpracht, bis er am Abend, ersch?pft und erf?llt von sch?nen, m?den Empfindungen, unter einer hundertj?hrigen Tanne in die Matte sinkt, um den herrlichen Sonnenuntergang zu betrachten. In Kr?chen und Schluchten liegt noch der winterliche Schnee, obgleich es schon toller, ?ppiger Fr?hling ist. Oder es lockt ihn, in eine leichte, schwankende Gondel zu steigen, die zu haben ist bei Frau H?gli, Schiffsvermieterin, dicht am Ufer des Sees, und aufs sch?ne, spiegelglatte Wasser hinauszufahren, zwischen knirschenden Schilfgew?chsen hindurch, bis er in der Mitte des Sees angelangt ist und, die Ruder fahren lassend, sieht, wie k?stlich die Rebberge und Landh?user und kleinen J?gerschl?sser sich im tiefen Wasser naturgetreu widerspiegeln. Und so noch vieles, und zu allen Jahreszeiten, im Winter, Herbst, Sommer und Fr?hling. Die Natur ist bekanntlich in allen ihren Verkleidungen erfrischend und bezaubernd und immer des ganz und gar innigen Ansehens und Genusses wert. Geht in die Provinz, in Kleinst?dte; dort habt ihr noch Hoffnung, dass man euch an euerm Benefizabend einen Lorbeerkranz vor die F?sse und Nase wirft, den ihr dankend aufheben und freudig nach Hause tragen k?nnt. Den schauspielenden Damen nicht minder als den Herren sind diese St?dte zu empfehlen, auch sie werden sehr bald finden, dass ich nicht unrecht gehabt habe, ihnen anzuraten, es einmal wieder mit der Provinz zu versuchen. Zu guter Letzt: Es wird gut gekocht an solchen Orten, und es muss ratsam erscheinen, bald einmal hinzugehen und diese vortreffliche Kost zu probieren. Schmackhaftes Essen ist nicht zu verachten.
Frau und Schauspieler
Mein Herr, ich bin gestern abend im Stadttheater gewesen und habe Sie als Prinzen Max in der >>Hofgunst<< gesehen, und ich schreibe Ihnen jetzt. Ich bin, damit Sie es gleich im voraus wissen, eine Frau von dreissig Jahren, etwas dar?ber, interessiert Sie das? Sie sind jung und h?bsch, machen eine gute Figur und sind wohl schon viel von Frauen angeschw?rmt worden. Apropos, rechnen Sie mich nicht zu den Frauen, die f?r Sie schw?rmen, und doch, ich muss es Ihnen nur gleich gestehen, Sie gefallen mir, und ich sehe mich gen?tigt, Ihnen zu sagen, warum. Dieser Brief wird vielleicht etwas zu lang werden, glauben Sie? Als ich Sie gestern spielen sah, ist es mir gleich vom ersten Moment an aufgefallen, wie unschuldig Sie sind; jedenfalls haben Sie viel Kindliches an sich, und Sie haben sich den ganzen Abend auf der B?hne so benommen, dass ich mir sagte, ich w?rde Ihnen vielleicht einiges schreiben d?rfen. Ich tu es ja jetzt; werde ich diesen Brief abschicken? Verzeihen Sie, oder so: Sie sollen stolz sein, dass man wegen Ihnen im Zweifel sein muss. Vielleicht schicke ich diese Worte nicht ab, dann wissen Sie nichts und werden auch keinen Grund haben, in ein unsch?nes Gel?chter auszubrechen. Machen Sie so etwas? Sehen Sie, ich vermute ein sch?nes, frisches, reines Herz in Ihnen, aber Sie sind vielleicht noch zu jung, um wissen zu k?nnen, dass das wichtig ist. Wo verkehren Sie, sagen Sie mir das, wenn Sie mir antworten, oder sagen Sie es mir m?ndlich, kommen Sie zu mir, morgen nachmittag um f?nf, ich erwarte Sie. Die meisten Menschen setzen ihren ganzen Ehrgeiz in die unedle Unm?glichkeit, einer Torheit f?hig zu sein, sie lieben den Anstand des Benehmens nicht, obwohl das so scheint. Die Sitte liebt eines nur dann, wenn es sich um ihretwillen einiger Gefahr unterziehen mag. Denn Gefahren erziehen, und ohne die best?ndige Lust mit sich zu tragen, auf lebendige Art ?ber wichtige Dinge belehrt zu werden, ist man sittenlos. ?ngstlichkeit scheint oft die wahre Sitte zu sein -- welch eine tr?ge Gedankenlosigkeit! H?ren Sie mir noch zu, und tun Sie's auch aufrichtig? Oder sind Sie einer der leider vielen Menschen, die glauben, alles, was ein wenig besch?mend und anstrengend ist, langweilig finden zu m?ssen? Spucken Sie auf dieses Schreiben und zerreissen Sie es, wenn es Sie langweilt, aber nicht wahr, es reizt Sie, es kann Sie anregen, es ist nicht langweilig. Wie h?bsch Sie sind, mein Herr, mein Gott, und so jung, sicher kaum zwanzig. Ein bischen steif habe ich Sie gestern abend gefunden und Ihre sch?ne Stimme ein bischen geschraubt. Entschuldigen Sie es, dass ich so rede? Ich bin zehn Jahre ?lter als Sie, und es tut mir so wohl, mit einem Menschen reden zu d?rfen, der jung genug ist, dass ich mich als zehn Jahre ?lter ihm gegen?ber f?hlen darf. Sie haben in Ihrem Benehmen etwas, was Sie noch j?nger erscheinen l?sst, als man Sie, wenn man mit dem Verstand nachrechnet, sch?tzen muss; das ist das bischen Geschraubtheit. Gew?hnen Sie es sich, ich bitte Sie, noch nicht so rasch ab, es gef?llt mir, es w?re schade um dieses St?ck, ich m?chte sagen, nat?rlicher Unnat?rlichkeit. Kinder sind so. Beleidige ich Sie? Ich bin so offen, nicht wahr, aber Sie wissen gar nicht, welche Freude f?r mich in der Einbildung liegt, die mir zufl?stert: er gestattet es, er liebt das. Wie Ihnen die Offiziersuniform gut gestanden hat, die engen Stiefel, der Rock, der Kragen, das Beinkleid, ich bin entz?ckt gewesen, und was f?r prinzliche Manieren Sie gehabt haben, was f?r energische Bewegungen! Und wie Sie gesprochen haben: so ganz ?berfl?ssig heldenhaft, dass ich mich beinahe ein bischen vor mir, vor Ihnen, vor alle dem habe genieren m?ssen. So laut und wichtig haben Sie im Salon Ihres oder Ihres Herrn Vaters Schlosse gesprochen. Wie Ihre grossen Augen manchmal hin und her rollten, als wenn Sie jemanden aus dem Zuschauerraum h?tten aufessen wollen, und so nah waren Sie. Einmal zuckte es mir im Arm, ich wollte unwillk?rlich die Hand ausstrecken, um Sie, wo Sie standen, anzur?hren. Ich sehe Sie so gross und laut vor mir. Werden Sie bei mir, wenn Sie morgen zu mir kommen, auch so gewichtig auftreten? In meinem Zimmer, m?ssen Sie wissen, ist alles so still und so einfach, ich habe noch nie einen Offizier empfangen, und es hat noch nie eine Szene bei mir gegeben. Wie werden Sie sich betragen? Aber das ganze, hochaufgepflanzte, fahnenstangenhafte Wesen an Ihnen gef?llt mir, es ist neu, frisch, gut, edel und rein f?r mich, ich m?chte es kennen lernen, weil, wie ich es empfinde, etwas Unschuldiges und Ungebrochenes in ihm steckt. Zeigen Sie es mir, wie es ist, ich achte es im voraus und ich glaube, ich liebe es. Sie kennen keinen Hochmut mit diesem Ihrem ganzen scheinbar so hochm?tigen Wesen. Sie sind keines Truges f?hig, Sie sind zu jung dazu und ich zu erfahren, um mich in Ihnen t?uschen zu k?nnen, und jetzt zweifle ich nicht mehr, dass ich diesen Brief an Sie abschicken werde, aber lassen Sie mich Ihnen noch einiges sagen. Sie kommen jetzt also zu mir, es ist abgemacht. Putzen Sie dann zuerst Ihre Stiefel vor der Treppe ab, bevor Sie ins Haus treten, ich werde am Fenster stehen und Ihr Benehmen beobachten. Wie ich mich darauf freue, so dumm zu sein und das zu tun. Sie sehen, wie ich mich freue. Vielleicht sind Sie ein Unfl?tiger und werden mich daf?r strafen, dass ich es unternommen habe, Zutrauen zu mir in Ihnen zu erwecken. Wenn Sie so sind, so kommen Sie, machen Sie sich einen Spass, strafen Sie mich, ich habe es ja verdient. Aber Sie sind jung, das ist ja das Gegenteil von unfl?tig, nicht wahr? Wie deutlich ich Ihre Augen vor mir sehe, und ich will Ihnen etwas sagen: f?r gar so klug halte ich Sie nicht, aber f?r recht, f?r gerade, das kann mehr sein als klug. Bin ich da auf einem Holzweg? Geh?ren Sie zu den Raffinierten? Wenn das ist, muss ich in Zukunft allein und verlassen in der Stube sitzen, denn dann verstehe ich die Menschen nicht mehr. Ich werde am Fenster stehen und Ihnen dann die T?r auftun, Sie brauchen dann vielleicht gar nicht erst noch lange zu klingeln, und dann werden Sie mich sehen, so bald schon. Eigentlich w?nschte ich -- nein, ich will nicht so viel sagen. Lesen Sie noch? Ich bin ziemlich sch?n, ich muss Sie auch darauf im voraus aufmerksam machen, damit Sie sich ein wenig M?he geben und Ihr Bestes und Geb?rstetstes anziehen. Was wollen Sie trinken? Sie werden es mir ungeniert sagen, ich habe Wein im Keller, das M?dchen wird heraufholen, aber vielleicht ist es am besten, wir trinken zuerst eine Tasse Tee, nicht? Wir werden allein sein, mein Mann arbeitet zu dieser Zeit im Gesch?ft, aber fassen Sie das nicht als eine Aufforderung, unehrerbietig zu sein, auf, das muss Sie im Gegenteil sch?chtern machen. So will ich Sie sehen, sch?chtern und sch?n, sonst laufe ich dem Briefboten nach, der Ihnen diese Zeilen ?berbringen will, schreie ihn an, nenne ihn einen R?uber und M?rder, begehe Ungeheuerlichkeiten und komme ins Gef?ngnis. Wie mich danach verlangt, Sie anzusehen, Sie in der N?he zu haben; weil ich so mutig auf meiner guten Meinung von Ihnen beharre, spreche ich so, und wenn Sie nach all dem Gesagten kommen, so haben Sie Mut, und dann werden die anderthalb Stunden, die wir miteinander verbringen, sch?n sein, und dann ist es ?berfl?ssig gewesen, zu zittern, wie ich jetzt tue, denn es ist dann keine solche Tollk?hnheit gewesen, Sie zu mir eingeladen zu haben. Sie sind so schlank, ich werde Sie schon erkennen, wenn Sie noch unten auf der Strasse vor der Gartent?re stehen werden. Was machen Sie jetzt? Was meinen Sie, soll ich jetzt aufh?ren zu schreiben? Sie werden lachen, wenn ich vor Sie hintrete und Ihnen vormache, wie Sie als Prinz Max dagestanden haben. Ich beschw?re Sie, verneigen Sie sich tief vor mir, wenn Sie mich erblicken, und seien Sie steif und benehmen Sie sich herk?mmlich, gestatten Sie sich keine freie Bewegung, ich warne Sie, und ich werde Ihnen daf?r danken, dass Sie mir gehorcht haben, wie man Ihnen vielleicht nie in Ihrem Leben wieder danken wird.
Entwurf zu einem Vorspiel
Eine B?hne
Der Vorhang geht auf, man sieht in einen offenen Mund hinein, in eine r?tlich beleuchtete Kehle hinunter, daraus hervor eine grosse, breite Zunge leckt. Die Z?hne, die den B?hnenmund umrahmen, sind spitz und blendend weiss, das Ganze sieht dem Rachen eines Unget?ms ?hnlich, die Lippen sind wie ungeheure menschliche Lippen, die Zunge bewegt sich nach vorn, ?ber die Rampe hinaus und ber?hrt mit ihrer feurigen Spitze beinahe die K?pfe der Zuschauer, dann geht sie wieder zur?ck, und ein anderes Mal tritt sie wieder vor, ein schlafendes sch?nangekleidetes M?dchen auf ihrer breiten, weichen Fl?che dahertragend. Die golden-hellen Haare des M?dchens fliessen wie eine Fl?ssigkeit von ihrem Kopf um ihr Kleid herum, in der Hand h?lt sie einen glitzernden Stern, ?hnlich einem grossen, weichen, sonnigen Schneeflocken. Auf dem Haar eingedr?ckt sitzt eine zierliche gr?ne Krone, ihr Mund l?chelt im Schlaf, w?hrend sie so liegt, auf ihren Ellbogen gest?tzt, auf der Zunge wie in Bettkissen ruhend. Auf einmal ?ffnet sie ihre Augen, und das sind Augen, wie man sie manchmal in Tr?umen sieht, wenn sie sich, von irgendeinem ?bernat?rlichen Licht umflossen, zu den unsern herabneigen. Diese Augen haben einen wunderbar erfrischenden Glanz, und sie schauen jetzt so nach allen Seiten herum, wie es Kinderaugen tun, die fragend und suchend und schuldlos in die Welt blicken. Aus der feurig-schw?rzlichen Kehle klettert jetzt ein Mann hervor, angezogen mit fliegenden, scheinbar von einem halbtollen Schneider entworfenen T?chern, die wie Fetzen seine massiven Glieder umgeben, schreitet auf der unter seinen Tritten zusammenzuckenden Zunge nach vorn, zu dem M?dchen hin, beugt sich ?ber sie und k?sst sie. Im selben Augenblick spr?hen aus dem Schlund Feuerflammen und Funken hervor, die ?ber die beiden, ohne sie im mindesten ?ngstlich zu machen, herabregnen. Der schlanke Mann hebt die junge Dame in seinen Arm und tr?gt sie nach r?ckw?rts, die grosse Zunge wirft sich, indem sie sich hoch aufb?umt, ?ber das Paar, um es im Rachen krachend und hinabpolternd zu verschlingen. Der weisse Stern des M?dchens blitzt vorn bei den Z?hnen, da schiessen mit einem Male blaue, gr?ne, gelbe, hochrote, dunkelbl?uliche und schimmernd weisse Sterne in einem feurig-farbigen Sturzregenbogen aus der dunkeln Kehle hervor, Musik spielt dazu, und die Sterne zerspringen immer in der Luft ins Nichts, endlich bewegen sich die Lippen des grossen Maules und sprechen das stille, aber deutlich und warm h?rbare Wort:
Das St?ck beginnt.
Vorhang.
Zwei kleine M?rchen
Es schneite in der Strasse. Da kamen die Droschken und Autos vorgefahren, setzten ihren Inhalt ab und fuhren wieder von dannen. Die Damen staken alle in Pelzen. An der Garderobe wimmelte es von Leuten. In den Foyers gab es ein Gr?ssen, Anl?cheln und gegenseitiges H?ndedr?cken. Die Kerzen schimmerten, die Roben rauschten, die Stiefelchen fl?sterten und knarrten. Der Boden war ganz glatt gewichst und Diener standen da und machten Handbewegungen, bald so, bald anders. Die Herren waren in Fr?cke geschn?rt, so ein Frack muss sitzen. Man verbeugte sich. Artigkeiten flogen wie Tauben von Mund zu Mund, die Frauen strahlten, manche alte auch noch. Alles stand aufrecht bei den Sitzpl?tzen, um Bekannte zu sehen, nur wenige sassen. Die Gesichter waren so nahe beisammen, der Atem des einen ber?hrte die Nasenfl?gel des zun?chst Stehenden. Die Kleider der Frauen dufteten, die Scheitel der Herren waren glatt, die Augen blitzten, die H?nde sagten: Na, auch wieder, du? Wo denn solange gewesen? In der ersten Reihe sassen die Kritiker wie Gl?ubige in einer hohen Kirche, so still, so and?chtig. Der Vorhang bewegte sich ein bischen, da ert?nte das Zeichen zum Anfang, wer sich r?uspern zu m?ssen glaubte, tat es rasch, und da sassen sie alle wie Kinder in der Schulstube, gradausschauend, m?uschenstill, da erhob sich was und spielte sich was.
Der Vorhang ging in die H?he, alles war gespannt, was es geben w?rde, da trat ein Knabe auf, und der fing an zu tanzen. In einer Loge im ersten Rang sass die K?nigin, umringt von den Hofdamen. Der Tanz gefiel ihr so gut, dass sie sich entschloss, auf die B?hne zu gehen, um dem Knaben etwas Liebevolles zu sagen. Bald darauf erschien sie auf der B?hne, der Knabe schaute sie mit seinen jungen, sch?nen Augen an. Er l?chelte. Da durchfuhr es die K?nigin wie ein Blitz, an dem L?cheln erkannte sie ihren eigenen Sohn, sie st?rzte zu Boden. Was hast du, fragte der Knabe. Da erkannte sie ihn immer deutlicher, an der Stimme auch noch. Da war es mit ihrer k?niglichen W?rde vorbei. Sie warf die Hoheit beiseite und sch?mte sich nicht, den Jungen fest an ihr Herz zu pressen. Ihre Br?ste hoben und senkten sich, sie weinte vor Freude, du bist mein Sohn, sagte sie. Das Publikum klatschte Beifall, aber was wollte der Beifall? Das Gl?ck dieser Frau war gewiss ?ber allen Beifall erhaben, es w?rde auch ein Zischen haben ertragen k?nnen, der Kopf des Knaben wurde immer wieder genommen und an den wogenden Busen gedr?ckt. Sie k?sste ihn, dann kamen die Hofdamen und erinnerten ihre Gebieterin an die Unschicklichkeit der Szene. Da lachte das Publikum, aber die Hofdamen streuten Verachtung auf die vielk?pfige Plebs herab. Sie zuckten mit dem Mund, da zuckte der Vorhang und fiel herab.
Vier Sp?sse
Bei Wertheim, zu oberst, dort, wo man Kaffee trinkt, ist gegenw?rtig etwas K?stliches zu sehen, n?mlich der dramatische Dichter Seltmann. Er hockt auf einem kleinen Rohrstuhl auf erh?htem Gestell, allen Blicken eine leichte Zielscheibe, h?mmert und nagelt und klopft in einem fort und schustert, wie es denen vorkommt, die ihn betrachten, Blankverse. Das kleine, viereckige Gestell ist mit dunkelgr?nen Tannenzweigen geschmackvoll bekr?nzt. Der Dichter ist anst?ndig angezogen worden, Frack, Lackschuh und weisse Binde, das alles ist da, und keiner wird sich zu genieren haben, dem Mann seine Aufmerksamkeit zu schenken. Das Wunderbare aber ist der rostgelbe, herrliche Haarsturz, der sich von Seltmanns Kopf, ?ber die Schulter weg, m?chtig bis an den Fussboden niederw?lbt. Er gleicht der M?hne eines L?wen. Wer ist Seltmann? Wird er uns von der Schmach befreien, unser Theater etlichen Salpeterfabriken ausgeliefert zu wissen? Wird er das nationale Schauspiel schreiben? Wird er uns eines Tages als der Kerl erscheinen, nach dem wir uns jetzt alle wieder mal so blutw?rstig sehnen? Jedenfalls aber muss man der Leitung des Warenhauses Wertheim f?r die Ausstellung Seltmanns Dank wissen.
Wie dem Theater allm?hlich die besten und gediegensten Kr?fte dahinschwinden, geht zu unserm grossen Leidwesen aus einer Zuschrift hervor, die Frau Gertrud Eysoldt an uns adressiert hat. Sie teilt uns mit, dass sie an der Kantstrasse, Ecke Joachimsthaler Strasse, n?chstens einen Korsettladen er?ffnen werde, um sich allda g?nzlich als Gesch?ftsfrau zu etablieren. Welch sonderbarer Entschluss, und wie schade! Auch Schauspieler Kayssler will wegmachen, und zwar, wie wir h?ren, aus der Empfindung heraus, dass es sich in die Zeitl?ufe besser schicke, hinter einem Schanktisch zu stehen, als Figurinen auf den Brettern zu spielen. Er soll zum ersten Mai eine kleine Kneipe im Osten ?bernommen haben, und er freut sich schon darauf, sagen einige, Bier einzuschenken, Gl?ser zu putzen, Butterbrote zu streichen, B?cklinge zu servieren und nachts die Besoffenen zur Bude herauszustiefelwichsen. Ein Jammer! Wir aber m?ssen aufs tiefste bedauern, zwei so sehr bewunderte und wertgesch?tzte K?nstler ihrer Kunst untreu werden zu sehen, und wir wollen hoffen, dass solches nicht Mode werde.
In den Kammerspielen ist noch kurz vor Toresschluss eine kleine ?nderung getroffen worden. Die Direktion hat den Dramaturgen kleidsame hellblaue Fr?cke ?bergeworfen, mit grossen, silbernen Kn?pfen dran. Wir halten das f?r h?bsch, denn wir halten's f?r richtig. Die Theaterdiener sind abgeschafft worden, und die Dramaturgen nehmen nun an den Spielabenden, also zu einer Zeit, wo sie ja sowieso nichts zu tun haben, den Damen die M?ntel ab und weisen den theaterbesuchenden Herrschaften die Pl?tze an. Auch ?ffnen sie T?ren und geben allerhand kleine, aber notwendige Ausk?nfte. An den Beinen tragen sie jetzt lange, dicke, ledergelbe, kniehohe Getern, auch k?nnen sie einem schon ganz ausgezeichnet, unter einer eleganten Verbeugung, Programme darreichen und Guckgl?ser anbieten. In der Provinz w?rden sie ausserdem noch Zettel vertragen; dies ist aber hier in Berlin nicht n?tig. Kurz und gut, kein Kritiker wird nunmehr noch fragen d?rfen, was ein Dramaturg sei, und was er f?r Obliegenheiten zu erf?llen habe. Sie tun jetzt ihr ?usserstes, und man wird sie in Zukunft in Ruhe lassen m?ssen.
Um endlich einmal dem ewigen Gejammer und den best?ndigen Vorw?rfen, er gebe nur Ausstattungen, keine St?cke, energisch auszuweichen, ist Direktor Reinhardt auf die Idee gekommen, zuk?nftig seine St?cke einfach vor weisser W?sche spielen zu lassen. Seine Dramaturgen haben nat?rlich das Geheimnis bereits ausplaudern m?ssen, und er wird erstaunt, wenn nicht entr?stet sein, uns schon heut mit der Neuigkeit auftrompeten zu sehen. Weisse W?sche! Muss es denn gerade schneeweisse sein? Kann sie nicht von irgendeiner unbekannten Riesendame aus dem Panoptikum, sagen wir, etwa anderthalb Tage lang getragen worden sein? Alsdann w?rden die Dekorationsst?cke einen sicherlich bezaubernden Schenkelduft ausstr?men, was den Herren Kritikern nur gut tun k?nnte, die dann verg?ssen, wo sie s?ssen, und bet?ubt w?rden in ihren sch?rfern Sinnen. Ohne Spass. Reinhardts Idee scheint uns entwicklungsf?hig, also gl?nzend. Auf den weissen T?chern werden sich die Gesichter und Spukgestalten der Akteure und Aktricen ausserordentlich farbig abheben. Ob Reinhardt das aber auch am Hoftheater durchsetzen wird?
Tell in Prosa
Hohlweg bei K?ssnacht
Ber?hmter Auftritt
Gr?fliches Zimmer. Der alte Moor ist gegangen.
Percy
Wenn man sagt, er sei ritterlich vom Scheitel bis zur Fusszehe, so ist das noch lange keine Portr?tskizze. Sein Gesicht ist nicht gerade sch?n. Fast gar keine Nase. Die Nase ist in den Gesichtsball eingedr?ckt, als w?re sie in irgendeiner Stunde von einem unbarmherzigen Schwerthieb zur H?lfte abrasiert worden. Ich sage absichtlich: wegrasiert. Die Nichtachtung des Schicklichen passt zu dieser Manneserscheinung. Percy hasst die treffenden Worte, die Grazie, die Parf?ms. Die Zeichnung seines Mundes dr?ckt Wehmut und Zorn zugleich aus, aber in seine grossen Augen scheint sich das Entz?cken von hundert blauen Himmeln ein f?r allemal verliebt zu haben. Wenn der Mann diese Augen schliesst, erwarten die Umstehenden etwas Furchtbares, die Gegend zuckt zusammen, die Welt wird finster. Die Gestalt ist eher klein als gross, eher unscheinbar als imponierend. Die R?stung ist einfach, aber die Haltung ergibt das unsichtbar-sichtbare Bild des K?niglichen. Die Lippen sind unbeweglich, sie l?cheln wunderselten, und wenn sie es einmal tun, so schiesst Hohn zum Gesicht heraus. Spott bedeutet bei Percy, infolge der Rauheit, die ihn beherrscht, die Spitze der Gutm?tigkeit. Wen er verspottet, den liebt er, und er kann lieben. Sein K?rper macht nicht die geringste ?berfl?ssige Bewegung. Er hasst das Sch?ne, er bem?ht sich, eckig aufzutreten. Was an ihm sch?n erscheint, ist unbewusst. Wenn er w?sste, wie h?bsch er ist, zerrisse er sein eigenes goldenes Wesen, ja, er w?rde sich selber ins Gesicht spucken. Aber dazu m?sste er einen Spiegel haben, und diesen Gebrauchsgegenstand kennt er gar nicht. Was er liebt, verachtet er, was er bevorzugt, findet er langweilig, wovon er tr?umt, das ist lebensgef?hrlich. Wo das Leben nicht auf dem Spiel steht, mag er nicht leben. Nie ist ein Ehemann von seiner Gattin so geliebt worden und nie mit mehr Ursache. Percy kennt gar keine Tapferkeit. Man kennt nur, was man studiert. Percys K?hnheit ist Percy angeboren, er kann nichts daf?r, dass er ein Held ist. Seine Leibfarbe ist grau, sein Schmuck gr?n, der Federbusch rot. Einer seiner Diener st?lpt ihm den Helm auf den Kopf, gleichviel welchen; Percy ist geschmacklos. Er ist zu voll von Ahnung, als dass er in solchen Dingen eine Wahl treffen k?nnte. Er ist zu frech zu irgendwelcher Bekleidungsfrage und zu zartf?hlend zur Farbenlehre. Seiner Frau ist er Gott, er weiss das, und das plagt ihn, wenn er fr?hst?ckt. Die Z?rtlichkeit, die er empfindet, sobald er sein Weib nur anschaut, will ihn >>jedesmal kaput machen<<. Hoffentlich sind das seine eigenen Worte. Er macht dann Witze, sagt Adieu und reitet zum Teufel. Die Manieren des Rittertums sind ihm viel zu fade, er benimmt sich wie ein heutiger einfacher Arbeiter. Die Musik liebt er wie nicht gescheit. Wenn sie ihm, abends, nach der Schlacht, wenn er sich erm?det an einen Baum anlehnt, ert?nt, will ihm das Herz, von Tr?nen getragen, wegschwimmen. Er, der am Tag eine stattliche Sammlung von abgehauenen Armen, Beinen, K?pfen und H?nden auf die blutiggef?rbte Wiese zusammengej?hzornt hat, versteht es, unmittelbar nach Vollendung des schrecklichen Werkes, aus der Natur sch?ne und sonderbare Stimmungen zu ziehen und sich denselben, wenn auch nur f?r kurze Zeit, hinzugeben. Seine Stimme, wenn sie genug geschrien und trompetengeblasen hat, will sich zur Abwechslung auch mal die Wonne des Erzitterns g?nnen. Zur Religion steht er sich, na! Lieber nicht aussprechen. Ich glaube, sie ist ihm mehr als gleichg?ltig. Sie ist ihm eine Kr?he oder sonst was, genug, er bedarf ihrer nicht. Er hat H?lle und Himmel auf Erden. Ideale hat er keine, nicht einmal Ehrgef?hl; es reisst ihn zum Wagnis hin, zuf?llig ist das gerade sein Ideal, er tobt und erwirbt Ehre. Er tr?umt davon, den Prinzen von Wales kampfunf?hig zu machen, dann zu lachen und den ?berwundenen zu k?ssen. Bis dahin t?tet er, was ihm unter das Schwert l?uft, von da an w?rde er m?glicherweise ein gesitteter Mensch werden, aber wahrscheinlich auch dann nicht, sein Trotz w?rde es ihm kaum gestatten. Er stirbt als Junge, aber man hat, wenn man ihn r?cheln und sterben sieht, das Gef?hl, ein Riese hauche da seinen Atem aus.
Gebirgshallen
Kennen Sie die Gebirgshallen unter den Linden? Vielleicht probieren Sie einmal einen Gang dorthin. Der Eintritt kostet nur dreissig Pfennige. Wenn Sie die Kassiererin auch Brot oder Wurst essen sehen, so m?ssen Sie nicht degoutiert umkehren, sondern sogleich bedenken, dass es Abendbrot ist, welches da verzehrt wird. Die Natur fordert ?berall ihre Rechte. Wo Natur ist, da ist Bedeutung. Und nun werden Sie eintreten, ins Gebirge. Und da wird Ihnen eine grosse Figur, eine Art R?bezahl, begegnen, es ist der Wirt des Lokals, und Sie werden gut tun, ihm durch Hutl?ften zu salutieren. Er sieht das gern, und er wird Ihnen artig f?r Ihre H?flichkeit danken, dadurch, dass er sich halb vom Stuhl, auf dem er sitzt, hochhebt. In der Seele geschmeichelt, treten Sie n?her an den Gletscher heran, es ist dies die B?hne, eine geologische, geographische und architektonische Merkw?rdigkeit. Sowie Sie sich gesetzt haben, bekommen Sie Trinkofferten von einer vielleicht leidlich h?bschen Kellnerin. Man muss vorlieb nehmen mit dem, was da ist. Es strotzt auch an Kammerspielabenden vielleicht nicht einmal von fraulichen Finessen. Geben Sie acht, dass sich nicht allzu viele geschlagen und geworfen volle Apfelweingl?ser um Ihre Zahlperson herum gruppieren. Die M?dchen machen sich zu gern an solche Herren ran, die Mitleid mit ihnen haben. Mitleid ist unschicklich bei Kunstgen?ssen. Haben Sie jetzt auf diese T?nzerin acht gegeben? Kleist hat auch jahrelang auf Anerkennung lauern m?ssen. Klatschen Sie nur tapfer in die H?nde, auch wenn es Ihnen beinahe missfallen hat. Wo haben Sie Ihren Bergstock? Zu Hause gelassen? Das n?chste Mal m?ssen Sie wohl oder ?bel sportm?ssig ausger?stet im Gebirge erscheinen, f?r alle F?lle. Besser ist besser. Was trippelt da f?r eine reizende Sennh?tten-Prinzessin auf Sie zu? Das ist die Kleine. Die will ein geschmettert Volles f?r f?nfzig Pfennig von Ihnen. Werden Sie diesen Lippen, diesen Augen, dieser s?ssen, dummen Bitte widerstehen k?nnen? Sie w?ren zu beklagen, wenn Sie das k?nnten. Nun ?ffnet sich Ihnen wieder der B?hnen-Gletscherspalt, und eine d?nische Lieders?ngerin wirft Sie mit T?nen und Anmutsschneeflocken an. Sie nehmen gerade einen Schluck von Ihrer kuhwarmen Gebirgsmilch. Der Wirt macht die aufpassende Rausschmeissrunde durch das Lokal. Er sorgt f?r den Anstand und f?r das gute Betragen. Gehen Sie doch mal hin, ich kann Ihnen sagen, na! Vielleicht treffen Sie dort auch mich wieder einmal an. Ich aber werde Sie gar nicht kennen, ich pflege dort, von Zaubereien gebannt, stillzusitzen. Ich l?sche dort meine D?rste, Melodien wiegen mich ein, ich tr?ume.
Auf Knien!
Wo sind die sch?nen Zeiten hin, da es noch Kavaliere gab?
Kann es eine reizendere Liebhaberrolle geben als den jungen R?mer Ventidius? Sonst k?nnen etwa Liebhaber auf die Nerven fallen, anlangweilen, an?den, dieser da in keinem Moment. Der Elegant aus dem alten Rom vermeidet es, ?berfl?ssige Worte zu machen, und doch fliesst ihm die Rede nur so sturzweise, nicht nur glas-, sondern literflaschenweise zum Mund heraus.
Vergib, erlauchte Frau, dem Freund des Hauses --
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