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Read Ebook: Gedichte in Prosa by Turgenev Ivan Sergeevich

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Ebook has 616 lines and 20497 words, and 13 pages

Die Alte gab keine Antwort. Ich beugte mich zu ihr herab und bemerkte, dass ihre beiden Augen mit einem halbdurchsichtigen, weisslichen ?berzug oder H?utchen bedeckt waren wie bei gewissen V?geln: deren Augen werden dadurch vor allzu grellem Licht gesch?tzt.

Bei der Alten aber blieb das H?utchen unbeweglich und liess die Pupillen nicht hervortreten ... woraus ich schloss, dass sie blind sei.

>>Willst du ein Almosen?<< -- wiederholte ich meine Frage. -- >>Weshalb folgst du mir?<< -- Doch die Alte blieb stumm wie zuvor, nur kr?mmte sie sich ein wenig. Ich wandte mich ab und setzte meinen Weg fort.

Da, wiederum h?re ich hinter mir dieselben leisen, gemessenen, gleichsam schleichenden Tritte.

-- Wieder dieses Weib! -- dachte ich bei mir; -- warum verfolgt sie mich denn nur? -- Doch gleich kam mir auch der weitere Gedanke: sie wird wahrscheinlich in ihrer Blindheit den Weg verfehlt haben und folgt jetzt dem Schall meiner Schritte, um zusammen mit mir zu menschlichen Wohnungen zu gelangen. Ja ja, so wird's sein.

Allein, nach und nach bem?chtigte sich meiner Gedanken eine seltsame Unruhe: nun wollte es mir scheinen, als ob diese Alte mir nicht bloss folge, sondern dass sie mich sogar lenke, mich bald nach rechts, bald nach links stosse, und dass ich ihr willenlos gehorchen m?sse.

Dennoch schreite ich weiter ... auf einmal, gerade vor mir auf meinem Wege, etwas Schwarzes, sich Erweiterndes ... wie eine Grube ... >>Ein Grab!<< durchzuckte es mein Hirn. -- Dorthin also st?sst sie mich! Hastig wende ich mich um. Wieder vor mir die Alte ... aber jetzt sieht sie! Sie blickt auf mich mit grossen, boshaften, unheilk?ndenden Augen ... mit den Augen eines Raubvogels ... Ich schaue ihr scharf ins Gesicht, in die Augen ... Wieder dieses tr?be H?utchen, dieselben leblosen, stumpfen Z?ge ... Ach! denke ich ... diese Alte -- ist mein Schicksal. Jenes Schicksal, dem niemand entrinnen kann. Kein Entrinnen! Kein Entrinnen? -- Welch ein Wahnsinn ... Man muss es versuchen. Und ich wende mich seitw?rts, einer anderen Richtung zu.

Rasch eile ich vorw?rts ... Allein die leisen Tritte rascheln wie fr?her hinter mir, nahe, ganz nahe ... Und vor mir wieder die dunkle Grube.

Aufs neue wende ich mich nach einer anderen Seite ... Und wiederum dasselbe Rascheln hinter meinem R?cken und vor mir derselbe drohende Fleck.

Und wohin ich mich auch kehre gleich einem gehetzten Hasen ... immer dasselbe, immer dasselbe!

Halt! denke ich, -- jetzt will ich sie t?uschen! Ich will mich nicht von der Stelle r?hren! -- und augenblicklich setze ich mich an die Erde.

Die Alte steht hinter mir, nur zwei Schritt entfernt. -- Ich h?re sie nicht, aber ich f?hle es, sie ist da. Und pl?tzlich sehe ich: der dunkle Fleck dort in der Ferne, er schwimmt, er kriecht gerade auf mich zu! O Gott! Ich schaue r?ckw?rts ... Die Alte hat ihren starren Blick auf mich geheftet -- und Grinsen verzerrt ihren zahnlosen Mund ...

-- Kein Entrinnen!

Der Hund

Wir zwei sind im Zimmer beisammen: mein Hund und ich ... Draussen heult w?tender Sturm. Mein Hund sitzt dicht vor mir -- und schaut mir unverwandt ins Auge. Und auch ich blicke in seine Augen. Es scheint, als m?sste er mir etwas sagen wollen. Er ist stumm, er besitzt keine Sprache, er versteht sich selbst nicht -- aber ich verstehe ihn wohl.

Ich verstehe, dass in diesem Augenblick in ihm wie in mir ein und dasselbe Gef?hl lebt, dass zwischen uns kein Unterschied besteht. Wir sind vollkommen gleich; in jedem von uns beiden gl?ht und leuchtet das gleiche zitternde Fl?mmchen.

Der Tod fliegt heran, schwingt seine eisigen, gewaltigen Fittiche ... Es ist zu Ende!

Wer verm?chte dann wohl zu entscheiden, welches Fl?mmchen in ihm und welches in mir gegl?ht hat? Nein! nicht Tier und Mensch tauschen diese Blicke ... Es sind zwei gleiche Augenpaare, die aufeinander gerichtet sind. Und in jedem dieser Augenpaare, in dem des Tieres und dem des Menschen -- schmiegt sich ein und derselbe Lebenstrieb bebend an den des anderen.

Der Widersacher

Ich hatte einen Kameraden, der best?ndig mein Widersacher war; zwar nicht im Studium, auch nicht im Amt oder in der Liebe; nur unsere Ansichten waren stets unvereinbar, und jedesmal, wenn wir uns trafen -- entspann sich zwischen uns ein endloser Wortstreit. Wir stritten ?ber alles: ?ber Kunst, ?ber Religion, ?ber die Wissenschaft, ?ber das Leben auf Erden und im Jenseits -- namentlich ?ber das im Jenseits. Er war ein gl?ubiger, schw?rmerischer Mensch. Einst sagte er zu mir: >>Du besp?ttelst doch auch alles; sollte ich jedoch vor dir sterben, dann werde ich dir vom Jenseits her erscheinen ... Wir wollen doch sehen, ob du auch dann noch wirst lachen k?nnen!<< Und wirklich, er starb vor mir, ein Werdender in der Bl?te der Jugend; doch Jahre vergingen, und ich vergass seines Gel?bdes -- seiner Drohung.

Einst lag ich des Nachts im Bett -- und konnte nicht, mochte nicht einmal einschlafen.

Im Zimmer wars nicht finster, aber auch nicht hell; ich begann in das graue Halbdunkel hineinzustarren. Pl?tzlich erschien es mir, als ob zwischen den beiden Fenstern mein Widersacher st?nde -- und stumm und traurig mit dem Kopfe nicke, auf und ab.

Ich erschrak nicht -- wunderte mich nicht einmal ... vielmehr richtete ich mich ein wenig auf und blickte, auf den Ellenbogen gest?tzt, nur noch sch?rfer auf die unerwartete Erscheinung.

Der dr?ben fuhr fort, mit dem Kopfe zu nicken.

>>Was gibts?<< begann ich schliesslich. >>Triumphierst du? oder trauerst du? -- Bedeutet dies eine Warnung oder einen Vorwurf?... Oder willst du mir zu verstehen geben, dass du unrecht hattest? oder dass wir beide unrecht hatten? Welches Los ist dir denn geworden? H?llenpein oder Paradieseswonne? So sprich doch wenigstens ein einziges Wort!<<

Aber mein Widersacher gab nicht den geringsten Laut von sich -- nur wie vorher nickte er bloss immer traurig und still ergeben mit dem Kopfe -- auf und ab. Da lachte ich laut auf ... und er verschwand.

Der Bettler

Ich ging die Strasse hinunter ... Ein d?rftiger, gebrechlicher Greis hielt mich an.

Entz?ndete, tr?nende Augen, fahlblaue Lippen, zerfetzte Lumpen, unsaubere Schw?ren ... O, wie schrecklich hatte die Not dieses ungl?ckliche Gesch?pf verunstaltet! Er streckte mir seine ger?tete, verschwollene, schmutzige Hand hin ... Er st?hnte, er ?chzte um Hilfe.

Ich begann alle meine Taschen zu durchsuchen ... Aber weder Geldbeutel noch Uhr, nicht einmal das Taschentuch war da ... Ich hatte nichts mitgenommen. Der Bettler aber wartete noch immer ... und seine vorgestreckte Hand bebte und zitterte vor Schw?che. Verwirrt und verlegen ergriff ich mit kr?ftigem Drucke diese schmutzige, zitternde Hand ... >>Z?rne mir nicht, Bruder; ich habe gar nichts bei mir, mein Bruder.<< Der Bettler richtete seine entz?ndeten Augen auf mich; ein L?cheln kam auf seine fahlen Lippen -- und dann dr?ckte auch er meine erkalteten Finger.

>>Lass es gut sein, Bruder,<< sagte er leise; >>auch daf?r bin ich dir dankbar. -- Auch das ist eine Gabe, mein Bruder.<<

Da f?hlte ich, dass auch ich von meinem Bruder eine Gabe empfangen hatte.

Erfahren wirst du noch, wie Toren richten ...

>>Erfahren wirst du noch, wie Toren richten ...<< Immer sprachst du die Wahrheit, grosser, vaterl?ndischer Dichter du, auch diesmal hast du wahr gesprochen. >>Wie Toren richten und die Menge spottet ...<< Wer h?tte es nicht an sich selbst erfahren, so dies wie jenes? All dies kann -- und muss ertragen werden; wer die Kraft dazu hat -- der mag es auch verachten!

Doch es gibt Schl?ge, die h?rter und mitten ins Herz treffen ... Ein Mann tat alles, was er vermochte; wirkte in unabl?ssiger, hingebender, ehrlicher Arbeit ... Da wenden sich ehrliche Herzen ver?chtlich von ihm ab; ehrliche Gesichter flammen auf in Unwillen bei Nennung seines Namens. >>Hinweg! Fort mit dir!<< schallen ihm ehrliche junge Stimmen entgegen. -- >>Dich und deine M?he brauchen wir nicht; du sch?ndest unser Heim -- du kennst und du verstehst uns nicht ... Du bist unser Feind!<<

Was soll dieser Mann nun tun? Fortfahren soll er im Bem?hen, soll nicht versuchen, sich zu rechtfertigen -- soll nicht einmal die Hoffnung auf k?nftige gerechtere Beurteilung n?hren.

Einst haben Landleute einen Reisenden verflucht, der ihnen die Kartoffel brachte, den Ersatz des Brotes, die t?gliche Nahrung des Armen ... Aus seinen H?nden, die er ihnen entgegenstreckte, schlugen sie die kostbare Gabe, warfen sie in den Kot, traten sie mit F?ssen.

Jetzt n?hren sie sich davon -- und kennen nicht einmal den Namen ihres Wohlt?ters.

Nun, wenn auch! Was soll ihnen sein Name? Auch als Namenloser bewahrt er sie vor dem Hunger.

Wir aber wollen emsig darauf bedacht sein, dass die Frucht unseres Fleisses wahrhaft n?tzliche Speise sei. Bitter freilich ist ungerechter Tadel aus dem Munde derer, die man liebt ... Doch auch dies kann man verwinden ...

>>Schlage mich! aber h?re mich an!<< sprach der athenische Feldherr zum spartanischen.

Ein Zufriedener

Durch eine Strasse der Hauptstadt eilt mit munteren Schritten ein noch junger Mann. -- Seine Bewegungen sind freudig und lebhaft; seine Augen leuchten, L?cheln spielt um seine Lippen, in frischer R?te strahlt sein freundliches Antlitz ... Er ist ganz Zufriedenheit und Freude.

Was ist mit ihm vorgegangen? Hat er eine Erbschaft gemacht? Wurde er im Amte bef?rdert? Eilt er zu einem z?rtlichen Sch?ferst?ndchen? Vielleicht hat er auch bloss -- gut gefr?hst?ckt, -- und das Gef?hl der Gesundheit, der vollen Kraft schwellt alle seine Glieder! Man wird doch nicht gar seinen Hals mit deinem sch?nen achteckigen Kreuz geschm?ckt haben, o polnischer K?nig Stanislaus!

O, wie zufrieden, ja wie brav ist in diesem Augenblick dieser liebensw?rdige, vielversprechende junge Mann!

Eine Lebensregel

>>Wenn Sie mal den Wunsch haben, Ihrem Gegner geh?rig mitzuspielen und ihn wom?glich zu kr?nken,<< sagte mir einst ein alter Schlaukopf, >>dann werfen Sie ihm nur denselben Fehler oder dasselbe Laster vor, dessen Sie sich selber bewusst sind. -- Spielen Sie den Entr?steten ... und tadeln Sie ihn!

>>Denn erstens -- bringt dies dem anderen die Meinung bei, dass Sie von diesem Laster frei w?ren.

>>Zweitens -- darf Ihre Entr?stung sogar eine aufrichtige sein ... Sie k?nnen aus den Vorw?rfen Ihres eigenen Gewissens Nutzen ziehen.

>>Sind Sie beispielsweise ein Renegat -- dann werfen Sie Ihrem Gegner vor, er sei ohne jede ?berzeugung! Sind Sie selber eine Lakaienseele -- dann sagen Sie ihm in vorwurfsvollem Tone, er sei ein Lakai ... ein Lakai der Zivilisation, der Aufkl?rung, des Sozialismus!<<

>>Man k?nnte vielleicht sogar sagen: ein Lakai des Lakaienhasses!<< bemerkte ich.

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