Read Ebook: Lebensansichten des Katers Murr nebst fragmentarischer Biographie des Kapellmeisters Johannes Kreisler in zufälligen Makulaturblättern by Hoffmann E T A Ernst Theodor Amadeus
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Ebook has 1158 lines and 140916 words, and 24 pages
Anmerkungen zur Transkription:
Schreibweise und Interpunktion des Originaltextes wurden ?bernommen; lediglich offensichtliche Druckfehler wurden korrigiert. Eine Liste der vorgenommenen ?nderungen findet sich am Ende des Textes.
W?rtliche Rede ist in diesem Text sehr unregelm?ssig gekennzeichnet. Die dargestellten An- und Ausf?hrungszeichen entsprechen den im Original gedruckten.
E. T. A. Hoffmann
LEBENSANSICHTEN DES KATERS MURR
Hamburgische Hausbibliothek
Herausgegeben im Auftrage der Gesellschaft Hamburgischer Kunstfreunde, der Patriotischen Gesellschaft und der Lehrervereinigung f?r die Pflege der k?nstlerischen Bildung
Hamburg 1912
Alfred Janssen
LEBENSANSICHTEN DES KATERS MURR
nebst fragmentarischer Biographie des Kapellmeisters Johannes Kreisler in zuf?lligen Makulaturbl?ttern
Herausgegeben von E. T. A. Hoffmann
Hamburg 1912 Alfred Janssen
Druckerei-Gesellschaft Hartung & Co. m. b. H., Hamburg
Vorwort.
E. Th. Amadeus Hoffmann wurde am 21. Januar 1776 in K?nigsberg geboren. Er wurde Jurist und kam als preussischer Beamter 1804 nach Warschau. Durch die franz?sische Besetzung verlor er 1807 sein Amt. Er fand schliesslich ein Unterkommen als Kapellmeister an dem Theater in Hamburg. Als das Unternehmen einging, wurde er Mitarbeiter an der Allgemeinen Musikzeitung in Leipzig. 1816 wurde er wieder als Kammergerichtsrat in Berlin angestellt, wo er am 24. Juli 1822 starb.
Diese Daten enthalten alles, was den Lebensgang und die Eigenart des Mannes kennzeichnet. Er war preussischer Beamter; der Untergang seines Staates warf ihn in das unsichere Dasein eines fahrenden Musikers und eines lohnschreibenden Journalisten. So wurde die Schriftstellerei sein zweiter Beruf, den er fortf?hrte, als er wieder ins Amt kam.
Er besass in hohem Masse den scharfen Verstand und die unbedingte Sachlichkeit, welche sein Amt verlangte. Aber in seinen Erz?hlungen, auch wohl im Leben ausser dem Dienste liebte seine Phantasie es, die ordnungsliebende Vernunft am hellen Tage durch tolle Launen zu erschrecken. Spiel ist urspr?nglich sein Verh?ltnis zur Kunst. Drei K?nste, Malerei, Musik, Poesie hat er zun?chst als Dilettant ausge?bt. Er zeichnete Karikaturen, er dichtete und komponierte Singspiele und kleine Opern. Von der Musik kam er zur Musikschriftstellerei; aus den Rezensionen wurden Erz?hlungen. So entstand die Figur des Kapellmeisters Kreisler. Malerei und Musik blieben Lieblingsgegenst?nde seiner Erz?hlungen und Kreisler taucht wieder in dem Werke auf, welches zwar nicht das letzte ist, aber als reifer Abschluss seiner Dichtung angesehen werden darf.
In dieser Geschichte laufen zwei Erz?hlungen nebeneinander her. Die Geschichte des Katers Murr zeigt die Entwicklung des Naturburschen, des Autodidakten; seine Seele und sein Geist sind ein unbeschriebenes Blatt, in welches Gott und Welt gern hineinschreiben und das sich daher bald f?llt.
Die parallel laufende Geschichte des Kapellmeisters Johannes Kreisler zeigt dagegen lauter Kulturmenschen. Kreisler ist der edle, hochbegabte stets mit den Widerw?rtigkeiten des Lebens und der Trivialit?t der Menschen ringende K?nstler. In Julia ist ihm ein weibliches Ideal gegen?bergestellt. Meister Abraham, der v?terliche Freund Kreislers, ist der angesehene, wohlgesinnte, t?chtige Mann, der seinen Weg durchs Leben gemacht hat. Er ist der m?nnliche, die R?tin Benzon der weibliche Mentor des mediatisierten F?rsten Iren?us, an dessen Miniaturhofe die Geschichte spielt. Die Familie des F?rsten Iren?us zeigt deutlich die Schw?chen einer durch viele Generationen gepflegten ?berkultur. Er selbst zeigt Z?ge des Serenissimus, ja, man k?nnte sagen, er ist der Prototyp desselben; der Dichter hat sich jedoch sorgf?ltig vor Karikatur geh?tet. Die Prinzessin Hedwiga, die Freundin Julias, ist die zwar in ihrem Charakter an sich aufrechte, aber mit hysterischer Nervenschw?che belastete Tochter eines alten Geschlechts. Ihr Bruder Prinz Ignaz ist ein Trottel.
In der Episode der Chiara, der Geliebten des Meisters Abraham und in der Geschichte des M?nches Cyprianus und der Angela kommt der Hang des Dichters zum ?bersinnlichen, Romantischen zu seinem Rechte. Es ist ein eigent?mlicher Zug Hoffmanns, dass trotz aller scheinbar ernsten Versuche, die wunderbaren Ereignisse auf nat?rliche Weise zu erkl?ren, ihnen doch immer ein Zug ins ?bersinnliche anhaften bleibt.
Dr. Ernst Hipp.
Vorwort des Herausgebers.
Keinem Buche ist ein Vorwort n?tiger als gegenw?rtigem, da es, wird nicht erkl?rt, auf welche wunderliche Weise es sich zusammengef?gt hat, als ein zusammengew?rfeltes Durcheinander erscheinen d?rfte.
Daher bittet der Herausgeber den g?nstigen Leser, wirklich zu lesen, n?mlich dies Vorwort.
Besagter Herausgeber hat einen Freund, mit dem er ein Herz und eine Seele ist, den er eben so gut kennt, als sich selbst. Dieser Freund sprach eines Tages zu ihm ungef?hr also. >>Da Du, mein Guter, schon manches Buch hast drucken lassen, und Dich auf Verleger verstehst, wird es Dir ein leichtes sein, irgend einen von diesen wackern Herren aufzufinden, der auf Deine Empfehlung etwas druckt, was ein junger Autor von dem gl?nzendsten Talent, von den vortrefflichsten Gaben vorher aufschrieb. Nimm Dich des Mannes an, er verdient es.<<
Der Herausgeber versprach, sein Bestes zu tun f?r den schriftstellerischen Kollegen. Etwas verwunderlich wollt' es ihm nun wohl bed?nken, als sein Freund ihm gestand, dass das Manuskript von einem Kater, Murr geheissen, herr?hre, und dessen Lebensansichten enthalte; das Wort war jedoch gegeben, und da der Eingang der Historie ihm ziemlich gut stilisiert schien, so lief er sofort, mit dem Manuskript in der Tasche, zu dem Herrn D?mmler unter den Linden und proponierte ihm den Verlag des Katerbuchs.
Herr D?mmler meinte, bis jetzt habe er zwar nicht unter seinen Autoren einen Kater gehabt, wisse auch nicht, dass irgend einer seiner werten Kollegen mit einem Mann des Schlages bis jetzt sich eingelassen, indessen wolle er den Versuch wohl machen.
Der Druck begann, und dem Herausgeber kamen die ersten Aush?ngebogen zu Gesicht. Wie erschrak er aber, als er gewahrte, dass Murrs Geschichte hin und wieder abbricht, und dann fremde Einschiebsel vorkommen, die einem andern Buch, die Biographie des Kapellmeisters Johannes Kreisler enthaltend, angeh?ren.
Nach sorgf?ltiger Nachforschung und Erkundigung erfuhr der Herausgeber endlich folgendes. Als der Kater Murr seine Lebensansichten schrieb, zerriss er ohne Umst?nde ein gedrucktes Buch, das er bei seinem Herrn vorfand, und verbrauchte die Bl?tter harmlos, teils zur Unterlage, teils zum l?schen. Diese Bl?tter blieben im Manuskript und -- wurden, als zu demselben geh?rig, aus Versehen mit abgedruckt!
De- und wehm?tig muss nun der Herausgeber gestehen, dass das verworrene Gemisch fremdartiger Stoffe durcheinander lediglich durch seinen Leichtsinn veranlasst, da er das Manuskript des Katers h?tte genau durchgehen sollen, ehe er es zum Druck bef?rderte, indessen ist noch einiger Trost f?r ihn vorhanden.
F?r's erste wird der geneigte Leser sich leicht aus der Sache finden k?nnen, wenn er die eingeklammerten Bemerkungen: Mak. Bl. und M. f. f. g?tigst beachten will. Dann ist aber das zerrissene Buch h?chst wahrscheinlich gar nicht in den Buchhandel gekommen, da niemand auch nur das Mindeste davon weiss. Den Freunden des Kapellmeisters wenigstens wird es daher angenehm sein, dass sie durch den literarischen Vandalismus des Katers zu einigen Nachrichten ?ber die sehr seltsamen Lebensumst?nde jenes in seiner Art nicht unmerkw?rdigen Mannes kommen.
Der Herausgeber hofft auf g?tige Verzeihung.
Jedem jedoch das Seine! Weder der Kater Murr, noch der unbekannte Biograph des Kapellmeisters Kreisler soll sich mit fremden Federn schm?cken, und der Herausgeber bittet daher den g?nstigen Leser dringend, bevor er das Werklein liest, nachfolgende ?nderungen zu veranstalten, damit er von beiden Autoren nicht besser oder schlechter denke, als sie es verdienen.
?brigens werden nur die Haupterrata bemerkt, geringere dagegen der Diskretion des g?tigen Lesers ?berlassen.
Schliesslich darf der Herausgeber versichern, dass er den Kater Murr pers?nlich kennen gelernt und in ihm einen Mann von angenehmen milden Sitten gefunden hat.
Berlin, im November 1819. E. T. A. Hoffmann.
Vorrede des Autors.
Sch?chtern -- mit bebender Brust, ?bergebe ich der Welt einige Bl?tter des Lebens, des Leidens, der Hoffnung, der Sehnsucht, die in s?ssen Stunden der Musse, der dichterischen Begeisterung, meinem innersten Wesen entstr?mten.
Werde, kann ich bestehen vor dem strengen Richterstuhl der Kritik? Doch Ihr seid es, Ihr f?hlenden Seelen, Ihr rein kindlichen Gem?ter, Ihr mir verwandten treuen Herzen ja Ihr seid es, f?r die ich schrieb, und eine einzige sch?ne Tr?ne in Eurem Auge wird mich tr?sten, wird die Wunde heilen, die der kalte Tadel unempfindlicher Rezensenten mir schlug!
Murr, Berlin, im Mai . .
Vorwort, unterdr?cktes des Autors.
Mit der Sicherheit und Ruhe, die dem wahren Genie angeboren, ?bergebe ich der Welt meine Biographie, damit sie lerne, wie man sich zum grossen Kater bildet, meine Vortrefflichkeit im ganzen Umfange erkenne, mich liebe, sch?tze, ehre, bewundere, und ein wenig anbete.
Sollte jemand verwegen genug sein, gegen den gediegenen Wert des ausserordentlichen Buchs einige Zweifel erheben zu wollen, so mag er bedenken, dass er es mit einem Kater zu tun hat, der Geist, Verstand besitzt, und scharfe Krallen.
Murr, Berlin, im Mai . .
N.S. Das ist zu arg! -- Auch das Vorwort des Autors, welches unterdr?ckt werden sollte, ist abgedruckt! -- Es bleibt nichts ?brig, als den g?nstigen Leser zu bitten, dass er dem schriftstellerischen Kater den etwas stolzen Ton dieses Vorworts nicht zu hoch anrechnen, und bedenken m?ge, dass, wenn manche wehm?tige Vorrede irgendeines andern empfindsamen Autors in die wahre Sprache der innigen Herzensmeinung ?bersetzt werden sollte, es nicht viel anders herauskommen w?rde.
D. H.
Erster Teil.
Erster Abschnitt.
Gef?hle des Daseins, die Monate der Jugend.
Es ist doch etwas Sch?nes, Herrliches, Erhabenes um das Leben! -- >>O du s?sse Gewohnheit des Daseins!<< ruft jener niederl?ndische Held in der Trag?die aus. So auch ich, aber nicht wie der Held in dem schmerzlichen Augenblick, als er sich davon trennen soll -- nein! -- in dem Moment, da mich eben die volle Lust des Gedankens durchdringt, dass ich in jene s?sse Gewohnheit nun ganz und gar hineingekommen und durchaus nicht Willens bin, jemals wieder hinauszukommen. -- Ich meine n?mlich, die geistige Kraft, die unbekannte Macht, oder wie man sonst das ?ber uns waltende Prinzip nennen mag, welches mir besagte Gewohnheit ohne meine Zustimmung gewissermassen aufgedrungen hat, kann unm?glich schlechtere Gesinnungen haben, als der freundliche Mann bei dem ich in Kondition gegangen, und der mir das Gericht Fische, das er mir vorgesetzt, niemals vor der Nase wegzieht, wenn es mir eben recht wohlschmeckt.
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