Read Ebook: Beobachtungen über das Gefühl des Schönen und Erhabenen by Kant Immanuel
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Ebook has 99 lines and 22716 words, and 2 pages
Novellen in Gelb Band 3
Heinrich Mann Die Tote und andere Novellen
O. C. Recht Verlag / M?nchen
Alle Rechte vorbehalten.
Copyright 1921 by O. C. Rechtverlag, M?nchen
Titelzeichnung: Ottomar Starke
Die Tote
Als am Ende des Sees der Zug hielt, stieg Leo Cromer, ohne die Gedanken an die gehabte Beratung abzubrechen, aus, ging in dem Mondlicht um den Schuppen herum, der eine Bahnhofshalle bedeutete, und betrat den dunklen Baumgang. Einmal erhob er den Kopf; hinter den St?mmen das Wasser lag weiss wie Gewebe des Lichts, die Ufer schienen unwirklich, die Stille ein Geschrei von Geistern . . . Dies war der dichtere Schatten seines eigenen Grundes, er stand und atmete die verborgene W?rme, das tiefe Alleinsein. Dahinten, zu Wolken versilberten Laubes hinab, stieg die flimmernde Treppe seines Hauses, die Vasen rannen ?ber von Licht, die Stufen hernieder ging es wie eine Schleppe. Sie ward bewegt! Aus ihren Falten neigte sich ein Fuss! . . . >>Was heisst das?<< dachte Cromer. >>Jetzt habe ich also Gesichte? Ich scheine nicht eben gl?cklich zu sein -- wenn gerade sie sich mir zeigt?<< Er fragte noch: >>W?re ich es denn zufrieden, dass sie, wie fr?her, wenn ich aus der Stadt heimkam, bei dem Busch dort auf mich zutr?te? Bin ich schon alt und m?de genug, um billig zu sein und mich zu bescheiden? . . . Sie hat wohl geb?sst,<< sagte er; aber er hob die Schultern. >>Busse? Ein Wesen wie sie, stirbt aus Zorn, seiner Selbstachtung zuliebe, oder einfach um des guten Abgangs willen. Nicht f?r mich ist sie gestorben! Ich habe ihr nicht zu danken gehabt. Ich habe nichts bereut.<<
Auf der Terrasse angelangt, wendete er sich nochmals um; er sah aufw?rts und hinab, zu dem Garten, der dunkel duftete, und in die breiten Sternenstr?me des Augusthimmels. >>Wer schlafen geht, vers?umt viel, -- aber auch, wer denken und handeln geht . . . Unsereiner weiss dies von vormals; ganz erfasslich sind solche N?chte nicht mehr f?r uns . . . Was f?r Gedanken ?brigens bei jemand, der geradeswegs aus einer Versammlung von Machtmenschen kommt! Ich kenne mich l?ngst, die Fragen sind erledigt, ich habe nichts vers?umt, was mir gegeben war. Erfolge: ich habe sie gekannt. Ich habe mit Menschen ?bergenug zu tun gehabt, ich habe Frauen und M?nner erobert und niedergek?mpft, habe vielen die Spur meines Daseins aufgedr?ckt, die mich hassen oder lieben mussten. Ich habe selbst gehasst, selbst geliebt.<<
Er zog sich gegen die Fassade zur?ck, in den Schatten eines Pilasters. >>Wie dies alles schal wird, sobald man es sich r?hmen m?chte! Wie es zerrinnt! Menschen: habe ich denn mehr bei ihnen erfahren, als ein kraftloses und schmerzliches aneinander Hingleiten? Das Leben ist vergangen wie eine Diskussion im Klub; man hat einander am?siert oder weh getan, zum Schluss aber steht jeder auf, mit seiner Meinung. In Wahrheit habe ich keinen Mann ?berzeugt, keine Frau ganz gewonnen, habe niemand je zu mir her?bergebracht.<<
Angstvoll folgte sein Blick der Bahn der Sterne, die herabst?rzten aus dem wimmelnden Schein, und die, bevor das Auge sie erfasste, schon im Dunkel waren. >>Die Menschen halten einander nicht. Ich habe Lida nicht gehalten. Woher der bittere Geist, der Seelen nehmen will und doch nicht an sie glaubt! Ich habe lieber verworfen als standgehalten, und bessere Augen f?r den Verrat gehabt als f?r die Hingabe. Lida wenigstens ist mir die Antwort nicht schuldig geblieben, die Toten haben das letzte Wort. Da stehe ich nun . . .<<
Und er dachte an die l?ngst Vergangene, so nahe, als triebe der Geisterstrom des Mondlichts, in das er hinausstarrte, ihn bis zu dem Ufer, wo ihr Schatten wartete. Sie war das gl?nzende Gl?ck seiner ersten reifen Jahre gewesen. Er hatte Erfolge gehabt, die bekannt wurden; diese Liebe, die er entgegennahm, trug zum erstenmal Zeichen von Tribut und Lohn. Aber auch er huldigte ihrer weltlichen Geltung, dem Reichtum an Bewunderung, dem die sch?ne Schauspielerin gebot. Sie liebten einander, wie Geist und Sinne den Vollbesitz des Lebens lieben. Ihre Beziehungen waren unsentimental und darum gef?hrdet bei jedem Versagen. Monate lang getrennt durch ihre Gastspiele und seine politischen oder Gesch?ftsreisen, erwarteten sie einander immer nur auf der H?he und den Ereignissen ?berlegen. Probleme? Jeder von ihnen hatte sie bei anderen abtun k?nnen; zwischen ihnen beiden lagen keine, sie h?tten sonst, anstatt ihre Heirat zu erw?gen, einen raschen Strich gezogen. Warum nur, bei solchem Einverst?ndnis, die unvermittelte Befangenheit seit ihrem letzten Gastspiel, das Erzwungene jenes Briefes, und als sie zur?ckkam, das unklare Wesen? Er glaubte an Misserfolg, Krankheit, Geldverluste, nur nicht an das, was dann in der Abschiedsszene wund und verworren endlich aus ihr hervorkam, weil er es hervorzerrte. Sie hatte ihn betrogen. Wozu betrogen? Sie war frei, war stolz, nichts n?tigte sie, zu berechnen und zu l?gen. Sie war vor ihm zusammengebrochen und weinte -- und er empfand, was er mit ihr, mit ihr nie h?tte empfinden d?rfen, Mitleid, ein verachtungsvolles Mitleid. Er drehte ihr den R?cken. Gleich nachdem er ihre Wohnung verlassen hatte, geschah das Ungl?ck.
Ein gew?hnlicher Ungl?cksfall. Die Frau, die nun nicht mehr da war, hatte sich selbst verloren, bevor er sie verlor. Ihr Ende war ?usserlich, schattenhaft; ihn, der als Freund einer beliebten K?nstlerin an ihrem Sarge repr?sentierte, ging es noch weniger an als die anderen. Was ihm ?brig blieb, war Bitterkeit, Zorn und eine Vermehrung seiner Zweifel am Leben selbst. Man konnte noch gewinnen, man konnte nicht mehr glauben, zu besitzen . . . Dennoch hatte er wieder geliebt, Zwischenf?lle, die auch schon dahin waren. >>Ebenso gut k?nnte ich der oder jener gedenken, warum ihrer? Ist es, weil sie sterben musste, und weil solche s?sse und weisse Nacht werben m?chte f?r den Tod? Es ist wahr, sie kam als Letzte, bevor ich alterte. Aber noch jetzt bin ich weit von f?nfzig.<<
Er trat in das Haus; es schien ihm erf?llt von einem Duft, wie wenn das Mondlicht geduftet h?tte. Durch das offene Fenster seines Zimmers fiel es auf die Wand, scharf abgegrenzt und weiss wie ein Spiegel. Er ging im Dunkeln zu Bett, suchte aber nicht einzuschlafen. Es schien ihm eigent?mlich nutzlos, Verzicht zu leisten auf dieses ungewollte Lebendigwerden toter Stunden, toter Augen. Sie waren da, viel eher konnten Stunden und Gesichter des bevorstehenden Tages ausbleiben als sie. Sie war da! Ihre Augen waren da, ihr L?cheln k?hn und lockend wie je! Aus der T?r ihres Zimmers hervorgetreten, stand sie in einer fremden Helligkeit ihm wirklich gegen?ber und sah ihn an! Er fuhr auf: >>Lida!<< -- und ihm setzte das Herz aus. Da begriff er, dass es nichts war als ihr Bild, die grosse Photographie, die er nach ihrem Tod aus seiner N?he entfernt hatte. Das Mondlicht war dorthin ger?ckt, scharf begrenzte es das Bild. Wie aber kam das Bild auf die Tapetent?r, genau auf die T?r? Cromer sah nach; Das Bild war unbeweglich; unten versperrte es den T?rgriff, man konnte nicht ?ffnen. Er drehte die Beleuchtung auf. Durch zwei kleine L?cher in der Tapete lief eine Schnur hin und zur?ck und in die Ringe am Rahmen. Er wollte einen der Knoten l?sen: da war es keine Schnur, es waren viele F?den, seltsam weich und z?h. Er riss; das Bild st?rzte, und in der Hand hielt Cromer eine lange goldblonde Haarstr?hne.
Darauf sah er in das Gesicht der Toten. Er fragte: >>Wozu dies, da es unm?glich ist. Wozu R?tsel aufgeben, die keine sein k?nnen . . .<< Dennoch z?gerte sein Gedanke, nicht anders als sie, die Tote, dastand und z?gerte. Sie hielt eine Hand, eine ihrer vielsagenden H?nde am Saum eines Vorhanges, den sie nicht ?ffnete. Den Kopf verheissend zur Schulter geneigt, die Augen so wissend in ihrer Umschattung, und dieses L?cheln der gel?sten Lippen, -- aber sie ?ffnete nicht den Vorhang. Er zuckte die Achseln. Die Haarstr?hne liess er nochmals sachlich durch die Finger gleiten, dann warf er sie zu dem Bild. Mochten es Frauenhaare sein, so waren es doch nicht ihre. Er hatte sich keine von ihr zur?ckbehalten, er war weit davon entfernt gewesen. Sein Diener, ein eifriger Mensch, hatte in der kurzen Zeit seines Hierseins schon mehrere Zeichen von Selbst?ndigkeit gegeben. >>Er hat es richtig gefunden, mich mit dieser Neuerung zu ?berraschen. Die Art der. Befestigung ist auffallend. Immerhin ist er jung und offenbar romantisch. Ich werde ihn auffordern m?ssen, es weniger zu sein.<< Er wollte l?uten, zog aber die Hand zur?ck. >>Bin ich denn neugierig? Welchen Zweck h?tte es, in der Nacht ein Gespr?ch vor diesem Bild zu f?hren?<< Er zuckte die Achseln, st?rker als das erste Mal, und ging ernstlich schlafen.
Gleich beim Eintritt sah der Diener das Bild, das am Boden lehnte. Er stutzte, sein eifriges, blondes Gesicht erschrak, und er schien dem Bilde seine Missbilligung auszudr?cken, weil es seinen ordentlichen Platz verlassen hatte. >>Er m?sste schon ein guter Kom?diant sein,<< dachte Cromer, >>sonst ist er eine wohlgeratene Dienerseele.<< Er sagte: >>Philipp, Sie bringen mir den Tee ohne die Sch?rze, die Sie anhaben.<< Der junge Mensch betrachtete seine Sch?rze, blinzelte mit seinen ger?teten Lidern und erwiderte: >>Beim Herrn Grafen von Alten kam ich in der Sch?rze.<< Nein, er verstellte sich nicht, die nat?rliche Erkl?rung des Vorfalles schien misslungen. Aber Cromer f?hlte nicht das Bed?rfnis, eine fernerliegende zu suchen. Auf der Fahrt zur Stadt verlor er die Sache aus dem Gesicht.
Warum war er dennoch gegen Abend wieder draussen? Er vers?umte sogar eine Verabredung zum Essen. Leichter Kopfschmerz? Ruhebed?rfnis? Gewiss; darum schien es aber nicht n?tig, den Garten zu durcheilen, als wartete Jemand. Es war noch hell, Haus, Wege und Terrasse lagen nackt und klar unter blauem Himmel. Im Zimmer an der Tapetent?r -- nein, nichts, ganz selbstverst?ndlich nichts. Aber wenn begreiflicherweise niemand und nichts auf ihn gewartet hatte, blieb doch zu bemerken, dass er selbst nicht frei von Spannung gewesen war -- und vielleicht nicht frei von Hoffnung? >>W?re es mehr als Kinderei, wenn ich etwas zu erleben w?nschte, was eine Fortsetzung des gestern Erlebten w?re? . . . Ach! Das Beunruhigende ist keineswegs, dass ein Bild ohne erkennbaren Grund den Platz gewechselt hat, sondern meine gleichzeitigen Gedanken. Indes sie kam, f?hlte ich sie kommen,<< sagte er halblaut und mit Kopfsch?tteln. >>Anderen soll ein Sterbender von fern sich ank?ndigen, wenn sie ihn nur genug liebten. Ich habe eine bevorstehende R?ckkehr geahnt.<< Denn es lag in ihm, trotz seinem besseren Wissen, als h?tte er ihre Spur ber?hrt und von ihrem sich wieder belebenden Schatten ein Zeichen erhalten. Das bessere Wissen sagte: >>Vorgef?hl und Gesichte heissen mit ihren ehrlichen Namen Sehnsucht und Reue. Man lebt nicht ungestraft ein illusionsloses und ungl?ubiges Leben -- nicht ungestraft, wenn man weder einen leichten Kopf noch ein stumpfes Herz hat. Der Augenblick ist wohl gekommen, wo ein Wesen mir nicht unwillkommen w?re, das ich verachtet und verworfen hatte.<<
Er stand vom Stuhl auf, er wiederholte sich sein Gest?ndnis am anderen Ende des Zimmers, als m?sste es dort anders klingen. Aber er vernahm nur immer den Zweifel, ob es denn n?tig war, dass sie starb. Da hielt er schon das lederne K?stchen in H?nden, mit ihren Briefen. Er las -- und er fand es sonderbar, wieder ganz diesen Tonfall zu h?ren, als sei er erst gestern ausgeklungen. Angesichts ihrer grossen, raschen Schrift traten einem unverhofft die wechselnden Mienen ihres im Ausdruck ge?bten Gesichtes wieder vor Augen. Alle ihre fr?heren Mitteilungen waren offen, ohne R?ckhalt, und glichen so wenig diesen letzten, andeutungsvollen, fieberhaften. Von dem ganzen Gastspiel nur der eine Brief -- und aus ihm bebte die Hast des Zusammenraffens von Ruhm, Geld, Lebensgef?hl. Feststimmung jeden Abend, nach dem zweiten ihr Kontrakt verl?ngert, ihr Auto vor dem B?hneneingang immer umlagert. Den Erfolgen entsprachen die Huldigungen, und des Nachts hiess es, Rollen lernen. Jagd des Vergn?gens, Jagd der Arbeit, nie schnell genug, nie ergiebig genug -- aber mitten darin etwas wie ein Atemstocken, verhaltenes Erschrecken: es ist nicht mehr weit . . . >>Wie lange soll dies alles noch dauern?<< fragte sie. >>Manchmal habe ich es satt zum Sterben -- und sehne mich nach etwas, das kein Erfolg w?re, kein Triumphieren, o, durchaus kein Triumphieren! Es muss Dinge geben, die st?rker sind als unser Wille: hier, gestern, bin ich zum erstenmal darauf gestossen worden; kann sein, dass ich noch mehr erfahre, etwas wie eine Niederlage; denn Erlebnisse, die wir weder beherrschen, noch verstehen, sind doch Niederlagen?<<
Welch tiefinnere ?berreiztheit, diese verderbte Neugier nach der Selbstaufgabe! Cromer ward gequ?lt davon, wie damals, beim ersten Lesen. Er sah lange durch die offene Gartent?r hinaus in die grau d?mmernde Luft. Als er zu dem Brief zur?ckkehrte, liess sich im Zimmer nur schwer noch lesen. Er entzifferte: >>Der Herr, der mich auf diese Gedanken gebracht hat, scheint an sich selbst nicht sehr empfehlenswert. Er sieht aus wie . . .<< Hier ward das Blatt geknickt von einem Luftzug, der so pl?tzlich einsetzte, als sei auch die T?r im Hintergrund ge?ffnet worden. Sie stand offen; Cromer, der niemand eintreten sah, tat eine raschere Bewegung, sein Stuhl fiel um. >>So finde ich doch Menschen hier?<< sagte eine Stimme, -- und von der Farbe des Schattens und schlecht aus ihm herausgel?st, zeigte sich eine Gestalt, die auf hohen Beinen einen kaum erkennbaren K?rper fortbewegte. Zwei lange Schleichschritte, ein zuckendes Anhalten, und wieder ein Anlauf, mit Verbeugungen ?ber jeden Schritt des linken oder rechten Beins: so kam es herbei. Cromer, im unwillk?rlichen Drang, es aufzuhalten, drehte die Tischlampe an; der grelle Schein fiel genau auf die Gestalt, da stand sie. Cromer sah einen grossen und scharfen Kopf, der sp?ttisch gr?sste, und, mit seinen Brillen funkelnd, sagte: >>Ich komme wegen des Hauses. Es ist zu verkaufen.<< Und auf Cromers trockenes Nein: >>Wie, nicht zu verkaufen? Man h?tte mich falsch berichtet . . .? Oder, die Wahrheit zu sagen. --<< Der Besucher spreizte die Hand, mit einer bedeutsamen Rundung zwischen Daumen und Zeigefinger. >>Vielleicht hat niemand mich berichtet. Nur meine Einbildung verhiess mir, dies Haus, abseits und verschollen<< . . . Er wiederholte: >>Verschollen . . . Genug, ich ziehe mich zur?ck. Es war dunkel ?berall, kein Mensch trat mir entgegen, Verzeihung f?r mein Eindringen, ich bin . . .<< Er murmelte, sich abwendend, etwas wie einen Namen, wobei er den gefalteten Sommermantel wieder hinaufschob auf die Schulter, die h?her schien als die andere. Dabei z?gerte er und sp?hte die Wand hinan. Auch Cromer wendete sich hin -- und er fuhr zur?ck, das Bild sah ihn an, ihr Bild, mit ihrem k?hnen und lockenden L?cheln, an dem Vorhang, aus dem sie kam, oder in dem sie verschwinden sollte.
>>Ihnen ist unwohl?<< fragte der Besucher. Cromer fasste sich.
>>Nein.<< Seiner noch nicht sicher, setzte er hinzu: >>Sie scheinen das Bild wiederzuerkennen?<<
>>Nicht im geringsten.<< Der Besucher spreizte schon wieder bedeutsam die Hand. >>H?chstens, dass es mich erinnert hat, an eine ber?hmte Schauspielerin, die ich kannte.<<
>>Die Sie kannten.<<
>>Will sagen, ich weiss nicht einmal, ob sie ber?hmt war. Ich bin kein Weltmann.<< Dabei l?chelte er bescheiden und geistreich. >>Aber es gibt Stunden, und eben Frauen, wie jene, die mir einmal begegnete, haben wohl solche Stunden, da spricht man zu einem Erstbesten, was man nicht einmal zu sich selbst sprechen w?rde -- geschweige zu seinem N?chsten.<<
Hier schien sein Blick hinter den Gl?sern den Tisch zu streifen, mit den Briefen darauf, ihren Briefen. >>Wollen Sie sich nicht setzen?<< sagte Cromer.
>>Danke. Ich verweile nicht ungern ein Wenig. Der Zug f?hrt erst in einer halben Stunde hier vor?ber. Ich bin erm?det vom Reisen. Eine Reise, das Leben,<< sagte er und legte, einer Anerkennung gew?rtig, die rasierten Lippen in Falten. Cromer wechselte ungeduldig den Platz. >>War es denn so bemerkenswert, was die Dame Ihnen erz?hlte?<< fragte er nachl?ssig. Der Besucher machte es sich bequem, er st?tzte den schwachen K?rper gegen seine umeinander gewundenen Beine, liess eine Hand, die schmale Hand eines Verkr?ppelten, ?ber das Knie h?ngen, und lugte hervor unter seiner niedrigen, aber umw?lkten Stirn, in die L?ckchen fielen.
>>Bemerkenswert?<< sagte er klangvoll und mit runder Aussprache. >>Keineswegs f?r den Freigeist, der ich bin. Aber wenn Sie es h?ren wollen, wohlan denn! Ich glaube nicht, dass die ber?hmte Schauspielerin mir z?rnen w?rde. Sehr wahrscheinlich, dass sie alles nur in der Phantasie erlebt und es l?ngst wieder vergessen hat . . . Sie war damals der Gast eines kleineren Theaters, dessen Spielplan sie unbedingt beherrschte. Sie hatte sich Rollen mitbracht, darunter eine, die nirgends erprobt und niemanden bekannt war. So wenigstens sagte sie mir -- und setzte hinzu, dass trotzdem in einer Gesellschaft ein Unbekannter ihr den Inhalt eben dieser Rolle deutlich vorhergesagt habe, ihn ohne weiteres erraten habe aus ihrem Gehaben, aus unmerklichen Zeichen, einem Lachen, einem Nichts . . . Eine Taschenspielerei, wie? Die K?nstlerin -- man begreift, eine K?nstlerin -- kann es nicht so leicht nehmen, wie sie m?chte. Der Unbekannte verfolgte sie nun.<<
Der Unbekannte auf dem Stuhl dort l?chelte durchdringend. Oben auf seinen Wangen war ein wenig R?te erschienen. >>Sie spielt die Rolle, die er erraten hatte, und glaubt ihn im Theater. Sie spielt matt, wie bet?ubt! mit einem Schlag wacht sie auf, legt los, erreicht alles, was sie will! Nachher erf?hrt sie . . .<< Der Unbekannte stiess die Worte einzeln aus, er punktierte sie mit seinen langen Fingern auf dem Knie, und sein spitzes Gesicht ward unerbittlich anzusehen. >>Bei dieser Szene hatte er das Haus betreten . . . Hier fasst sie die Angst, zum erstenmal echte Angst; sie schilt sich aus, weil sie versucht ist, abzureisen, nur um nie dem Menschen wieder zu begegnen, -- der ?brigens pers?nlich nicht weniger unheimlich gewirkt haben soll, als durch seine Taten.<< Das L?cheln des Unbekannten ward feucht und krampfhaft, ein L?cheln, gemacht aus Bosheit, Eifer und Scham.
Cromer sagte nach einer Pause: >>Nat?rlich ist sie nicht abgereist.<<
>>Weit entfernt! Menschen von Rasse sind nicht feige vor dem Unerkl?rlichen -- vor dem scheinbar Unerkl?rlichen! Sie weicht ihm aus, jenem Wesen, leider hilft es nichts. Ein Abend erscheint, an dem sie in ihrer Garderobe sitzt, im ersten Stock des Theaters, dies ist wichtig, und bis ihr Stichwort kommt, noch einmal ihre Rolle durchliest. Das Buch liegt im vollen Licht der Lampe, die ?ber dem Toilettetisch h?ngt, aber auf einmal ist ein Schatten darauf. Die K?nstlerin erkennt eine Nase, eine gewisse lange, gebuckelte Nase, ihr nur zu wohl gel?ufig.<< Und der Unbekannte hielt, wie zur Erl?uterung, sein eigenes Profil hin. >>Aufspringen, schreien -- das tut sie nur innerlich. In Wirklichkeit wendet sie ruhig den Kopf und sagt: >>Wie kommen denn Sie dahin?<< Seltsam, er ist nicht da, niemand ist da. Sie kehrt zu dem Buch zur?ck, das weiss und leer ist. Kaum aber will sie lesen, schiebt sich wieder der Schatten darauf. Da ist sie freilich vom Stuhl gefahren, hat alles durchsucht in dem Raum, das Fenster aufgerissen, aber es lag zu hoch und in einer glatten Mauer. Die K?nstlerin weiss nicht mehr ein noch aus, ihr schwindelt, sie w?re einfach davongelaufen; zum Gl?ck klopft der Inspizient an und holt sie. Er geht vor ihr her ?ber die Treppe, es ist halbdunkel, und merkw?rdigerweise weiss sie, dass soeben jemand hinuntergehuscht ist, an ihr vorbei, wenn sie auch nichts gesehen hat. Und sie ist nicht im geringsten ?berrascht, dass auf der B?hne statt ihres Partners ein anderer steht: man weiss schon, wer. Sie spielt wahnsinnig aufgepeitscht, wie vor einer Katastrophe, wie um das Leben. Man sagte, dass sie gut sei. Hinter der Szene trifft sie den Direktor, der klatscht. Sie fragt ihn: >>Warum haben Sie mir denn im letzten Auftritt einen anderen Partner hingestellt?<< Und er ganz verbl?fft: >>Einen anderen?<< worauf sie macht, dass sie fortkommt.<<
Der Unbekannte stand auf. >>Da w?re wohl mancher gelaufen. Ich selbst, nachdem ich Ihnen alle diese M?rchen aufgetischt habe, weiss nichts anderes mehr, als das Weite zu suchen. Leben Sie wohl!<<
>>Einen Augenblick!<< Cromer trat drohend auf ihn zu. >>So schliesst die Geschichte nicht.<<
Da sah er, dass durch die Brillengl?ser des Unbekannten eine Flamme stach.
>>M?glich, dass sie nicht so schliesst. Die sch?ne und ber?hmte K?nstlerin fiel gewiss, je sch?ner und ber?hmter sie war, um so unrettbarer in die Macht jenes Unbekannten. Das sind Aff?ren, zu denen kein Blick mehr reicht.<<
Und er ging. Cromer kam ihm zuvor, stiess die T?r auf und ?berraschte dahinter seinen Diener. >>Geleiten Sie den Herrn hinaus,<< sagte Cromer; aber der junge Mensch blinzelte fragend, r?hrte sich nicht und sah nicht einmal hin, als der Besucher vor?berkam. Cromer selbst ?ffnete ihm das Haus und auch draussen blieb er dicht hinter ihm.
>>Liebliche Nacht,<< sagte der Unbekannte. >>Man durcheilt sie, war da und kehrt nie wieder. Aber ich habe nun doch auf Ihrem Stuhl gesessen; und von jetzt an, so oft Sie in Ihrem Zimmer jenes Bild wiederfinden --. Ah! Niemand hat das Recht, zu glauben, dass die Menschen nur aneinander vorbeistreifen und nichts sei geschehen.<<
Damit stieg er spinnenartig aus der Gartenpforte. Vor Cromer hielt er sie zu. >>Ich h?re meinen Zug schon. Wenn Ihr Haus zum Verkauf steht, sehen Sie mich wieder.<< Und er verschwand im Schatten. Cromer ging schnell zur?ck, um nach dem Polizeipr?sidium zu telephonieren, man m?ge das Individuum im Bahnhof erwarten. In der N?he des Hauses z?gerte er, er ?berlegte, dass nichts Greifbares vorliege; im Grunde aber wusste er wohl, dass er gar nicht gewillt sei, einzugreifen in die Vorg?nge um ihn her, nicht f?hig, das Geheimnis, das heranwuchs, vor der Zeit zu zerreissen. Die Terrasse ward soeben beleuchtet; der Diener hatte den Tisch gedeckt und stand eifrig wartend. Cromer ging hinauf. >>Philipp, warum haben Sie den Herrn unangemeldet eintreten lassen? . . . Nun?<<
>>Welchen Herrn meinen der Herr?<<
>>Den, der soeben mit mir fortging.<<
>>Ich habe niemand mit dem Herrn fortgehen gesehen.<<
>>Sie haben niemand gesehen?<<
>>Nein.<<
Cromer sah ihm in die Augen. Der Diener blinzelte fragend wie je. Da sein Herr mit der Hand andeutete, die Sache sei erledigt, ging er voll Beflissenheit an das Servieren.
Cromer suchte alsbald wieder sein Zimmer auf. Er nahm den Brief vom Tisch, ihren letzten und traf mit dem ersten Blick die Stelle, bei der er unterbrochen worden war. >>Er sieht aus wie eine Spinne, und so unheimlich und unentrinnbar geb?rdet er sich auch . . . Nat?rlich klingt dies, von mir gesprochen, l?cherlich. Nicht wahr, Lieber, was ist unentrinnbar f?r unsereinen. Meine Nerven, die neugierig sind, machen sich Erlebnisse vor, mit denen mein bisschen Wirklichkeit nichts zu schaffen hat. Ich spiele; und mir geschieht nur, was ich will . . . Um zu dem bewussten Herrn zur?ckzukehren, so soll er verschuldet und etwas wie ein Hochstapler, nicht nur ein geistiger, sein. Es w?rde stimmen zu meinen Eindr?cken. Ich will nachsehen, ob mir noch keine Wertsachen fehlen. Sobald ich Zeit habe, N?heres. Aber das ist es, Zeit haben. Ich habe keine, und mir ist, als sollte ich nie mehr welche haben.<<
Die ?berhasteten S?tze keuchten das Papier hinauf, die Buchstaben brachen zusammen. Hier endete ihr letztes Wort. Schweigend war sie dann an das Ziel getaumelt, bis in eine b?se, wirre Nacht, auf die f?r sie kein Morgen mehr gefolgt war. Cromer sah sich in der Friedhofskapelle, die H?ndedr?cke, die er erwiderte, und gleich neben ihm, auf einem schwarzen Kasten, in Metall geritzt, ihren Namen. >>Habe ich Schuld daran? Es war wohl ein unabwendbares Schicksal, auch f?r mich . . . Unabwendbar? So ist allein das Schicksal derer, die nicht lieben. Ich h?tte anders zu ihr sprechen m?ssen damals. Jene Nacht war gemacht, damit ich sie in Wahrheit gewinnen sollte! Mein Gott, was habe ich vers?umt! Lida, du hast gelitten, unverst?ndlich dir selbst; und ich, der verstehen musste, habe nur hingeblickt, um zu argw?hnen und zu entlarven. Ich war nat?rlich nicht ohne Feinheit, das war ich nie -- aber so tr?gen Gef?hls, misstrauisch gegen mein eigenes Herz und ohne die G?te, die keine Einsicht braucht. Verzeih' meiner Ungl?ubigkeit. Wenn du kannst, so komm' -- auf die Gefahr, dass ich auch jetzt nicht an dich glaube!<<
Hinter ihm raschelte es, er fuhr herum. Ihre Briefe auf dem Tisch bewegten sich. In der offenen T?r war die Luft schwach und kaum zu sp?ren, aber eins der Bl?tter ward umgewendet, wie von einer Hand. Ihr letzter Brief: das Innere des zweiten, halbleeren Bogens ge?ffnet, und Worte darauf. >>Ich will zu Dir! Ich will zu Dir!<< Leo Cromer fasste sich an das Herz, er stand, sein tiefster Gedanke wagte keine Regung. Pl?tzlich ein Griff nach der Lampe, er st?rzte hinaus, er durchsuchte mit den Augen den Schein, den er in den Garten warf. Heftig ausatmend kehrte er zur?ck, er hielt den Brief unter das Licht. Diese beiden Zeilen waren fr?her nicht dagewesen . . . Waren sie dagewesen? Ihre Schrift schien echt, klarer h?chstens und wie bes?nftigt. So w?ren sie nicht dagewesen -- und dennoch von ihr? Noch nicht gedacht, emp?rte ihn sein Zweifel. Weit unerh?rter war sein Zweifel, als das, was hier vorging! Er durchmass mit starken Schritten das Zimmer. Da hielt er an, die Mienen gel?st zu einem L?cheln des Selbstvergessens. Er l?schte die Lampe, setzte sich lautlos in den dunkelsten Winkel und sah, wie rufend vorgeneigt, in jenes mondbleiche Gesicht, das lockte zu Geheimnissen, auf die Hand am Vorhang, diese zweideutige Anmut einer Scheidenden, die zaudert, ob sie umkehre.
Nichts geschah mehr, nichts kam hinzu, aber Leo Cromer, der die Tage verbrachte wie immer, trug an irgendeinem schweren Gef?hl, wie von einer Krankheit, die ausbrechen sollte, oder als w?re er in Dinge verwickelt gewesen, die den Gesetzen widerspr?chen. Etwas Ausserordentliches ?ngstigte und lockte. Zehnmal t?glich und auch des Nachts zwischen dem Schlaf erinnerte er sich ihres Briefes, des gef?lschten Briefes -- und war gl?cklich, ihn dazuwissen. Er wartete nur darauf, dass ihr Bild noch einmal in sein Zimmer zur?ckkehre. Es war verschwunden, in derselben Nacht, als er davorsass: kaum, dass ihm die Augen zufielen. Er wartete darauf, wie auf das Zeichen, dass sie ihn ganz in Besitz nehme und ihm verbiete, noch fortzugehen, noch Schmerzen oder Genugtuungen zu suchen, die nicht von ihr k?men . . . Und eines Morgens beim Erwachen sah sie ihn an. Sie schien erwacht mit ihm.
Da verliess er nicht mehr das Haus und den Garten. Die ersten Wochen ihres Zusammenlebens waren einst hier vergangen; -- und die alten Stunden teilten ihm jetzt nachtr?glich mehr mit, als sie damals konnten. Unter den Augen der Toten hatten sie sich angef?llt mit Reiz, S?ssigkeit und Kraft. Ja, in ihr Gesicht auch, in die vielsagende Hand am Vorhang schien eine neue Unruhe zu kommen: als wollte sie reden, als dr?ngte sie zu ihm. In solchen Minuten wendete er sich ab, um das Geschehen des R?tselhaften nicht zu st?ren; -- und kam er zur?ck, lag unter ihren Briefen ein neuer, einige Zeilen auf einem Blatt, das fr?her halb unbeschrieben war, oder ein Zettel, der herausfiel aus einem unscheinbaren Versteck. Das Erste, was er fand, f?gte sich ein in ihre alten ?usserungen; noch vor kurzem w?rde Cromer geglaubt haben, es sei ihm solange einfach entgangen. Er glaubte es nicht mehr; jedesmal deutlicher sagte sie ihm Dinge, die sie fr?her verschwiegen hatte. Ihre wahre Natur, immer verkannt von ihm, er?ffnete sie ihm nun, den ?berdruss am Weltlichen, am Ruhm, an den kaltherzigen Erregungen, und ihre Sehnsucht nach Z?rtlichkeit, die sich bekennt, nach Hingabe ohne Zur?cknahme. Er las S?tze ihres Tonfalls und Wesens, unverkennbar, und doch vom Klang des Unwirklichen, l?ngst Entr?ckten. Sie erw?hnte die letzten Wirren ihres Lebens, aber von fern und nachtr?glich. Jener Mensch, der damals die Hand nach ihr ausgestreckt hatte, sie wusste jetzt, wozu sie ihm gefolgt war. >>Es sollte zu Dir f?hren, Lieber. Er war nicht als ein Gleichnis der Macht, die mich und Dich ?berschattete, und die wir nicht anerkennen wollten. Ich bin ?berzeugt worden, Du weisst es, wie grausam; und Du? . . .<< An dieser Stelle las er nicht weiter, trat vor sie hin und antwortete ihr. Das Winken ihrer Augen vor dem geschlossenen Vorhang ward dringlicher, sie sagte: >>Gib dich hin! Glaube! Sei gew?rtig, dass ich komme und endlich dein sei!<< >>Komm!<< rief er.
Mit der Erm?dung ergriff ihn wohl die Besinnung. >>Was tue ich! Ich weiss, dass ich betrogen werde, -- und ich selbst helfe dazu! Ach, mein Bed?rfnis zu lieben, ist schon gr?sser als das, die Wahrheit zu sagen. Diese Briefe sind untergeschoben von einem Schwindler, es steht zu vermuten, von welchem. Hier spricht er von sich, er droht. >>Wenn er Dir begegnen w?rde, Du k?nntest noch tausendmal besser als ich verstehen, dass er Dich betr?gt, und w?rdest doch nicht wollen, dass es aufh?rt. Er ist um Dich her, t?uscht Dir Erscheinungen vor, f?lscht Deine Eindr?cke und Gedanken, wacht ?ber Dir, lenkt Dich und weiss allein wohin. Aber ?berraschtest Du ihn selbst in dem Augenblick, wo er Dir eine neue Falle legt, Du h?ttest doch nicht den Mut, ihn zu entlarven.<< . . . >>Welche Herausforderung!<< sagte Cromer laut. >>Wie er seiner Sache gewiss sein muss! Er weiss wohl, ich werde seine gef?lschten Briefe weder einem Sachverst?ndigen noch dem Untersuchungsrichter bringen. Ich werde das Zimmer meines Dieners, der f?r ihn arbeitet, nicht durchsuchen lassen, werde mich gar nicht wehren, ihm nie in den Weg treten. Denn was w?re mir seine Entlarvung? Eine Befreiung? Leider nichts weniger als das. Oder ein Beweis? Dass er betr?gt, beweist nichts gegen das Mysterium, auf das er sich beruft. Ich war ein zu sauberer Geist, ohne Falsch, und darum ohne Verz?cktheit. Das Mysterium ergibt sich wohl in den Charlatanen, die es ausn?tzen, aber empfinden. Mir bleibt nur ?brig, dem Charlatan zu folgen, wie sie selbst ihm gefolgt ist, -- wenn ich denn reif bin f?r das, was er verspricht. Die Liebe einer Toten: w?re es denn das ?usserste? Das Wunder der Ankunft aus der Ewigkeit, des Sichfindens, Einswerdens und nicht mehr Zweifelns -- wie? Sollte alles dies Unm?gliche den Toten m?glicher sein als den Lebenden? Sie komme, ich bin bereit.<< Und wieder unter ihrem Bild: >>Ich liebe dich, Lida, so sehr, dass du wahrhaftig wiederkehren solltest. Ich w?rde es dir glauben -- und auch nicht glauben. Sieh! ich k?sse dein Haar, und weiss doch, es ist gar nicht deins. Wenn es noch von deinem Nacken hinge und dein Atem noch warm w?re, w?rde ich dich wohl wieder sterben lassen, wie das erste Mal. Diese Sehnsucht ist ungeheuerlich, sie ist verworfen und l?cherlich . . .<< Er stiess einen Schrei aus; hinter dem Rahmen des Bildes hervor glitt ein Papier; in ihren Schriftz?gen las er: >>Niemals habe ich Dich betrogen.<< Und er, der ihr Gest?ndnis empfangen und ihren Tod gebilligt hatte, sagte: >>Ich glaube dir! Verzeihe mir!<<
Er wartete, damit zwischen ihm und ihr der weite Raum geringer werde. Auch empfing er Zeichen, als sei sie schon nahe. >>Halte Dich fertig, mit mir zu kommen; ich darf nicht bleiben.<< Mit ihr? Wohin? Was n?her kam in Wirklichkeit, war also der Schlussakt des Betruges, der ihn umkreiste, -- und schloss der Plan mit seinem Tode? >>Muss ich nun doch, mehr als ich m?chte, auf meiner Hut sein? . . . Ich hoffe es nicht. Ich und der unbekannte Andere, wir haben viel seelische Kraft aneinander gewendet; ich bin sicher, er w?rde so ungern einen Revolver auf mich abdr?cken wie ich auf ihn.<< ?brigens war schon der n?chste Brief deutlicher: >>Bereite alles vor. Wir werden lange und weit fort sein; Du kannst nicht verstehen, wie weit und wie lange. Nimm mit, was wir brauchen.<< Er nickte; man deckte das Spiel auf. Er sollte bestohlen werden, im grossen Stil, wie es schien, aber doch nur bestohlen . . . An diesem Abend sass er ihr gegen?ber und dachte: >>Nun hast du den Vorhang fast schon gehoben. Eine letzte Anstrengung! . . . Denn sieh, dir glaub ich, unbeschadet dessen, dass ich das Spiel des anderen durchschaue.<< Cromer lachte leise. >>Er, der ?rmste, durchschaut mich keineswegs. Nur du hast schon l?ngst begriffen, dass man glauben, den Abenteuern des Glaubens sich ergeben und doch klarsichtig bleiben kann; lieben, sehr lieben, und dabei noch wissen . . . Was ich morgen in der Stadt vorhabe, w?rde dich laut auflachen lassen -- und nur dich!<< Dabei lauschte er auf ein noch ged?mpftes Lachen, das stolz, leichtsinnig und nach geheimer Trauer klang.
In der Stadt blieb er einige Tage. Als er eines Abends heimkehrte, fuhr soeben durch das stille Welken des Sommers der erste Sturm. Die Bl?tter des Gartens sausten um ihn her, am Haus schlugen die L?den, T?ren ?ffneten sich, und dahinter das Dunkel leuchtete manchmal fahl auf vom letzten Licht der fliegenden Wolken. Pl?tzlich stand vor ihm der Diener Philipp, weiss im Gesicht, so fassungslos, dass er es vergass, seinen Eifer zu bekunden. Cromer beruhigte den jungen Menschen ?ber die Gefahren einer Nacht wie diese und ging in sein Zimmer. Er machte Licht, legte ab -- da hielt er ein: sie folgte ihm mit den Augen! Ihr Bild bewegte die Augen, ihre graublauen Augen, die sachlich blickten und doch voll Spiegelungen sch?nerer Himmel waren. Nie vergessen, da strahlten sie wieder; sie war da! Ein langer Schauer durchlief Cromer mehrmals. Der Betrug vollendete sich, dieser ungeheuerliche Selbstbetrug, der die tiefste Wahrheit seines Lebens war. Ohne ihre Augen loszulassen, mit befangenen Geb?rden, nahm er aus seinem Rock die Brieftasche, ?ffnete sie, breitere die Wertpapiere, eigens mitgebracht, auf den Tisch, z?hlte sie den Augen vor, die allem folgten. Eine Minute stand er noch, atmete schwer und hielt angstvoll den Blick erhoben. Die Augen dort oben schlossen sich gew?hrend: und Leo Cromer ging leicht schwankend aus der T?r. Mit verhaltener Hast tastete er sich im Dunkeln zur Schwelle des Nebenzimmers, des Zimmers der Toten. Ein Lichtschein fiel heraus. Cromer z?gerte lange, dann ?ffnete er wie im Traum. Da lag nun ihr Zimmer; selten seit ihrem Verschwinden und nur leichthin hatte er es betreten. Er h?tte nicht gedacht, dass es auss?he, als habe sie es auf Augenblicke verlassen; das Licht brannte, gleich musste sie zur?ck sein. Ihr Schritt? Nein, noch nicht; nur sein Herz f?hlte er gehen. Die alten, leichten Tafeln von Rosenholz, deren zerbrechliche Schnitzereien diese W?nde ?berzogen, nachdem sie hundert Jahre lang in einem unbekannten Haus ihre Gl?tte verloren hatten, sie bebten noch wie sonst bei jedem Windstoss, wie Kulissen, aufgestellt um die sch?ne, erfahrene Spielerin, die hier zu Gast war. Ein st?rkerer Schlag des Sturmes, ein ?chzen im Holz -- und ein aufgest?rter Duft. Ihr Duft! Ihr F?cherschlag! Die Sinne so sehr gespannt, dass er zu schweben meinte, h?rte Cromer dicht hinter der d?nnen Wand das Rauschen ihres Kleides. Er wollte rufen; da ging das Licht aus -- und mitten im schwarzen Sausen des Wetters unterschied er das trockene Klappen der T?r, der schwanken Kulissent?r, durch die sie eintrat. Sie war im Zimmer.
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