Read Ebook: Aïssé by Schickele Ren Starke Ottomar Illustrator
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Ebook has 118 lines and 9282 words, and 3 pages
>>Sie sind ja auch noch fast unverdorben . . . Herr von Ferriol wird sich freuen, Sie in solchem Zustand zu bekommen. Wie lange bleibt er denn noch in Konstantinopel?<<
A?ss? err?tete.
>>Madame. Sie tun Herrn von Ferriol Unrecht. Herr von Ferriol ist f?r mich wie ein Vater.<<
>>H?ren Sie? H?ren Sie?<< rief die Herzogin und winkte mit dem F?cher. Der Regent blieb vor ihnen stehen:
>>Braune Diana mit den Honigschultern, sollten Sie endlich meiner Tochter gestanden haben, dass Sie mich nicht mehr verabscheuen?<<
Der Graf von Charolais aber, der wieder getrunken hatte, sammelte schnell einige Herren und stellte sich mit ihnen in die nahe Fensternische, von wo sie A?ss?s Minenspiel beobachten konnten.
>>Aufgepasst,<< fl?sterte er. >>Ich habe zweihundert Dukaten gegen ihre Unschuld gewettet! Wenn ich euch sage, dass Richelieu Bresche gelegt hat . . . .<<
A?ss? sah, wie alle G?ste des Regenten einen Kreis um sie schlossen, und sie bemerkte auch den l?sternen Stolz, mit dem Frau von Ferriol, die sie, mit Spott, ihre Stiefmutter nannten, jetzt durch die wispernden Gruppen auf sie zuschritt. Das war die ganze Belagerungsarmee, die der Regent geworben hatte und mit Versprechen von Gold, Regimentern, Pfr?nden, Titeln und wiederum Geld und -- Liebe in Atem hielt. Und dort aus der T?r trat der bildsch?ne Richelieu, l?chelnd, wie immer. Sie schlug erschreckt die Augen nieder.
>>Besch?men Sie mich nicht. Wie k?nnte ich Sie verabscheuen, wo Sie gut zu mir sind.<<
>>Indes, Sie lieben mich auch nicht, und es ist -- vielleicht eine schlechte, aber, ich versichere Sie, un?berwindliche Gewohnheit von mir, geliebt zu werden!<<
A?ss? hob lachend die Augen:
>>Ich gestand gerade der Frau Herzogin von Berry, dass ich nichts von dieser Liebe verstehe.<<
Hier aber fuhr Frau von Averne dazwischen, die A?ss? allzu kokett fand:
>>Nein, meine Liebe, Sie sind treu, und ich w?nschte sehr, dass diese Tugend hier mehr verbreitet w?re.<<
>>Nun?<< fl?sterte Charolais. >>Seht nur die beiden Weiber an! Wie?<<
>>Treu? Herr von Richelieu, wenn Sie mein Freund sind, so f?hren Sie Frau von Averne an die frische Luft, sie k?nnte sich sonst von ihrem Temperament hinreissen lassen, mich noch einmal zu unterbrechen . . . Treu? Sind Sie treu?<<
>>Wie k?nnte ich treu sein, da ich nicht liebe?<<
>>Gar nicht? Auch nicht den Chevalier?<<
>>Noch lange nicht, wie ich m?chte.<<
Da eine Pause eintrat, w?hrend deren der Regent mit seinen heissgespielten Blicken in den grossen Augen vor ihm nach einem F?nkchen suchte, um es zu entflammen, h?rte man die Herzogin von Berry gelangweilt ausrufen:
>>Wann wird denn endlich das Feuerwerk abgebrannt?<<
Der Regent nickte:
>>Die Z?ndschnur will nicht Feuer fangen . . . Die Hoffnung erh?lt mich am Leben, Mademoiselle.<<
Er reichte seiner Tochter den Arm -- Vor A?ss? und Frau von Ferriol stand der Kardinal Dubois und schw?rmte leise:
>>Madame, Sie sind heute sch?ner denn je, und glauben Sie mir, der Regent hat ebenso gute, wenn nicht bessere Augen, als ich. Kennen Sie schon die Geschichte von der Stiftsdame, die sich in die Venus verwandelte? Herr Graf von Charolais, wenn Sie zuh?ren wollen, m?ssen Sie n?hertreten . . . Ich bitte darum . . . Eine Stiftsdame, wie gesagt. In der Garderobe des Regenten stand auf dem Postament eine Venus, die, weil irgendwie besch?digt, zur Reparatur weggebracht worden war. Unsere Stiftsdame schlich sich ins Zimmer, entkleidete sich, nahm den Platz der G?ttin ein, und wie der Regent sich zur Ruhe begeben wollte -- Ich muss sagen, dass die Dame von Natur wunderbar geformt war. Jedoch, es zeigte sich, dass sie kein Herz hatte. Der Regent musste ihr bedeuten, dass er es nicht liebe, wenn Damen zwischen zwei Bett?chern von Gesch?ften reden, und schickte sie fort . . . Sie scheinen toll vor Liebe und wollen doch nur Gesch?fte machen. Ein Herz fehlt, ein Herz, das zugleich Frankreichs Herz w?re. Denn im Grund ist er der edelste Charakter, ich kann sagen, der edelste von allen, die ich kenne.<<
Er sah A?ss? fragend an.
Sie l?chelte.
>>Das begreife ich,<< sagte sie, erhob sich langsam, und dann streckte sie, wie ein M?dchen, mir, mir, der auf sie zueilte, die kleine runde Hand entgegen. Zugleich nahm Charolais den Arm des Kardinals:
>>Kommen Sie, ich m?chte den Kerl erst aufspiessen, wenn der Regent sich zur?ckgezogen hat. Machen wir unterdessen ein Spiel.<<
>>Seit vier Stunden bete ich zur himmlischen Jungfrau, dass sie dich schicken m?ge, um mich zu befreien. Jetzt bist du da.<<
Wir setzten uns nebeneinander an die Wand, den Saal vor uns, und nahmen eine Haltung ein, als ob wir plauderten. So sangen wir einander unsere Liebe zu. Wir h?tten am liebsten geschwiegen, weil wir dann die Stimme am deutlichsten h?rten. Aber wir wagten es nicht. Gleich h?tte sich, mit sp?ttischem Gesicht, ein Kavalier eingefunden und behauptet, dass er die junge Dame unterhalten m?sse. Wir hockten wie halb versteckt an den untersten St?ben eines grossen Papageienk?figs, den von Zeit zu Zeit grelle Fl?ge durchbrausten. Sie st?rten die sich artig und listig drehenden Tierchen gewaltsam auf. Dann war alles ein bunter kreischender Wirbel, der den K?fig selber hochzuheben und fortzureissen schien. Aber pl?tzlich standen sie wieder in Reih und Glied, sch?ttelten zeremoni?s die Fl?gel, verteilten sich gravit?tisch, zu vier und f?nf, auf den vielen St?ben und Ringen und taten feierlich und immer kokett, als hielten sie, in verschiedenen Kommissionen, eine wichtige Beratung ab. Am Boden kauerten Verletzte, andere schaukelten mit eingezogener Pfote auf den Ringen. Sie gaben sich die gr?sste M?he, wohlauf und keck zu scheinen, und wussten die schmerzhaften Zuckungen ihrer Fl?gel so zu deuten, als ob sie sich gar nicht an die Ruhe gew?hnen k?nnten und am liebsten gleich wieder den Verstand verl?ren. Es kam vor, dass einige mit dem Leben auch die Fassung einb?ssten und r?cksichtslos auf den R?cken fielen . . .
Als das Feuerwerk abgebrannt war, kam der Regent auf uns zu.
>>Chevalier,<< rief er, >>ich werde Sie an die Grenze schicken.<<
A?ss?, die er dabei ansah, wurde weiss um die Augen.
>>Kind, wie k?nnen Sie mich f?r so grausam halten. Wenn er Sie heiratet, mache ich ihn zum Hauptmann in der Garde.<<
>>Sie sind ein Volk von Wilden,<< erwiderte sie matt, und der Regent ging lachend davon. Die sch?ne T?rkin durfte sich viel herausnehmen!
Bald darauf entstand L?rm, Frau von Ferriol wand sich durch die nach dem Spielzimmer dr?ngende Menge:
>>Im Spielzimmer schlagen sie einander. Der Graf von Charolais hat verloren . . . Das nennt man ein intimes Fest. Wir wollen nach Hause, -- bevor es ihnen einf?llt, sich ?ber die Frauen herzumachen.<<
Im Spielzimmer sah ich, wie der Graf von Charolais seine Freunde von sich absch?ttelte und mit geschwungenem Degen auf ein Kruzifix losst?rmte, das ?ber dem Kamin hing.
>>Nieder mit ihm!<< br?llte er. >>Nieder mit ihm . . .<<
In der Nacht bekam A?ss?, ohne ersichtlichen Grund, einen heftigen Fieberanfall. Der Arzt liess sie zur Ader. Nun verfiel sie in einen Zustand vollkommener Ersch?pfung, der lange anhielt. Als sie soweit hergestellt war, dass sie das Bett verlassen konnte, bat sie mich, sie fortzunehmen und in der N?he von Paris zu verstecken, so dass es mir m?glich w?re, meinen Dienst in den Gem?chern der Regentin zu versehen und dennoch alle freien Stunden und die N?chte bei ihr zu verbringen.
Ich war gl?ckselig. Ich brachte sie in das Haus eines P?chters, der uns ein grosses Dachzimmer abliess, von wo wir, aus drei Fenstern, ?ber hohe Wiesen blickten, die sich tief und gleichm?ssig ausbreiteten, bis sie, auf der einen Seite, vor einem Walde Halt machten, auf der anderen aber in den offenen Himmel str?mten. Wir waren wie auf einer Insel in einem gr?nen Meer.
A?ss? hatte das Haus der Frau von Ferriol in einem einfachen Kleid verlassen. Sie tat es ab, l?ste ihre Haare und legte sich nackt ins Bett, und ich musste alles, was sie besass, bis auf die Haarspangen, Frau von Ferriol ?berbringen mit A?ss?s Dank f?r die Wohltaten, die sie in ihrem Haus empfangen habe: Sie wolle leben und sterben, wie sie gewesen, als Herr von Ferriol sie gekauft habe. Auch bat sie Frau von Ferriol, sie in Schutz zu nehmen, wenn man zu schlecht von ihr spr?che.
In A?ss?s Umarmungen verlor ich bald das Bewusstsein von ihrer Krankheit. Gab sie mir nicht so viel und mehr, als je zuvor? Zum erstenmal besass ich sie ganz, ohne R?cksicht auf andere, nicht nur f?r Stunden, in den Zwischenakten der h?fischen Kom?die, sondern Tage und N?chte, wachend und im Schlaf. Ich nahm sie nicht mehr in jenem wilden, schwindelerregenden Anlauf, als m?ssten wir uns schnell aus einer Welt von Verstellung und H?sslichkeit in einen Abgrund st?rzen, um in dessen Tiefe endlich zusammen zu kommen und einander zu geh?ren. Immer war sie bereit f?r mich, die Zeiten des Tags und der Nacht wechselten auf ihrem K?rper, Hell und Dunkel lag in ihren H?nden, ihre Stimme hielt alles zusammen.
Sie schien das Geheimnis des ewigen Lebens zu kennen.
Sie war unersch?pflich.
Ihre Arme hoben mich in den Himmel. Sie rief, den schw?rmerischen Tod auf den Lippen, und hielt mich an sich, bis ich wie in Feuer und Schnee in ihr versank. Ihr Blick, die geringste Bewegung ihres K?rpers brach str?mende Kraft in mir auf, und wenn ich m?de war, deckte sie mich mit einem Fr?hlingshimmel zu. Ein k?hlender Wind wehte und trieb Schafw?lkchen ?ber den Himmel. Die Erde roch feucht und erquickend, wie nach einem Regen. Weit fort, am Waldrand, sangen die V?gel.
Jetzt hingen der Hof und Paris wie eine traumhafte Erscheinung in der Luft, zitternd, ungewiss, ich sah den mir wohlbekannten Chevalier d'Aydin mit Verwunderung sich in diesem Bild bewegen, die Sinne versagten mir, dann erwachte ich in A?ss?s Armen zur Wirklichkeit . . . >>Seht nur das Gespenst!<< riefen die Leute, wenn ich auf meinem Pferd durch die Strassen jagte. >>Der Chevalier ist blind und taub geworden,<< sagte man bei Hof. Ich tat meinen Dienst mit einer Art schlafwandlerischer Sicherheit, ohne mich einen Augenblick bei etwas aufzuhalten, was nicht zu der Funktion geh?rte, die ich, wie mir schien, seit undenklichen Zeiten aus?bte. Wie ich mich so gehen und sprechen, l?cheln, den Nacken beugen f?hlte, empfand ich mich selbst immer mehr als ein Gespenst.
Im selben Masse wuchs die Macht meiner Vereinigung mit der Geliebten. Es war ein Strudel, der alles anzog. Eltern, Kindheit, die kleinen und grossen Ereignisse meines Lebens, Hoffnungen und Begierden, alles dr?ngte hier zusammen und hatte nur noch Leben in ihren Armen. Manchmal sah ich halbvergessene Menschen k?rperhaft herbeiwandern, ich h?rte ganz nah den Klang von meines Vaters Stimme, der aus dem Fenster des Wohnzimmers nach mir rief, ferne Gegenden kamen geschwommen, wie Treibeis, mit H?usern, ?ckern, Herden darauf. Alles, was ich kannte, machte sich vom Boden los, verliess die Welt des Scheins und kehrte in die Heimat zur?ck und nahm Platz in meinem und der Geliebten einem Herzen.
O wunderbare, lebensl?ngliche Umarmung! Sie offenbarte mir die tiefe G?te selbst der Verzweifelten. Wie alle jungen M?nner, hatte ich genossen, um zu geniessen, der Zerstreuung wegen, und weil andere ebenso taten, und auch, um mich von einem Alb zu befreien, -- und die brennende Scham der Entt?uschung gekannt. Die ersten Frauen, die sich geben, sind ja selten die Geliebten. Ich sah sie wieder und erkannte allerhand Zeichen, die ich fr?her ?bersehen hatte, dass in ihrem Lachen, in ihrem Fieberdurst, in ihrer bald koketten, bald frechen Sachlichkeit, ihrer zerreissenden Neugierde alte M?dchentr?ume um Erf?llung schrien. Sie betranken sich an der Liebe, wie auch oft am Wein. Sie mussten hinaus ins Grenzenlose, kostete es, was es wollte. Versuchten immer wieder die Himmelfahrt, erwachten als Dirnen und begannen von neuem, die M?nner verdarben sie, indem sie die Verf?hrten an ihr Laster gew?hnten. Hatten nicht vier Edelleute die Marquise von Grac?, der Regent und der Graf von Charolais eine junge Witwe, Frau von Saint-Sulpice, betrunken gemacht und die eine den Lakaien vorgeworfen, die andere unter grausamen Belustigungen fast get?tet? Der Regent nicht versucht, Frau von Rochefoucault mit Hilfe seiner Tochter, die sie festhielt, gewaltsam zu verf?hren? Die Frauen wurden nachts in ihren Betten ?berfallen, ihre Gatten, ihre Geliebten verkauften sie, des Gewinnes wegen, oder um selbst ungehindert nach ihrer Laune zu leben. Sie konnten nicht anders, als sich verachten, so sanken sie immer tiefer. Der Regent gab das Beispiel, da er eines Abends bei Tisch sass mit Frau von Parab?re, dem Kardinal Dubois und dem Bankier Law. Gegen Ende der Mahlzeit brachte man ihm eine Verordnung, die seiner Unterschrift bedurfte. Er konnte nicht schreiben, weil er betrunken war, und reichte das Papier Frau von Parab?re mit den Worten: >>Unterschreibe, schlechtes Frauenzimmer.<< Sie weigerte sich. Da hielt er es dem Kardinal hin: >>Unterschreibe, du Zuh?lter<<, und als auch der ablehnte, wandte er sich an Law: >>Dieb, so unterschreibe du.<< Law unterschrieb nicht. >>Ein sch?nes K?nigreich,<< seufzte der Regent, >>das eine Dirne, ein Zuh?lter, ein Dieb und ein Trunkenbold regieren!<< und unterschrieb. Aber selbst die Verdorbensten waren nicht ohne Leidenschaftlichkeit! Frau von Nesles und Frau von Polignac hatten sich im Bois von Boulogne duelliert, weil keine wollte, dass die andere Herrn von Richelieu begl?ckte. Und Frau von Nesles war durch einen Schuss in die Schulter verletzt worden. Das Verlangen verbiss sich rasend in sich selbst. Sie suchten alle die Liebe, aber mit der Selbstachtung und dem Glauben rissen sie auch die Wurzeln der Freude aus. Schliesslich glichen sie alle mehr oder weniger dem Kardinal Dubois, der sich f?r die Nacht eine Dirne kommen liess und zwischen Bett und Schreibtisch hin und her ging, ohne seine Arbeit zu unterbrechen, und der jedem versicherte, dass die Liebe nichts sei, als eine manchmal am?sante Gewohnheit . . . Und verirrten sich nicht selbst die Gedanken dieses v?llig ern?chterten Teufels zu anderen, lieblicheren Gestalten, w?hrend er seiner stumpfsinnigen Gewohnheit fr?hnte? Auf seinem tierischen Mund -- nun sah ich es! -- schwebte schon das Wort, das ihn befreien sollte, sein l?sterner Blick war bereit, vor der Wahrheit abzudanken . . . Gleich ginge die schwelende Inbrunst in Flammen auf . . . Ich nannte ihn Bruder. Wie sie in meine Liebe einzogen, waren sie schon halb erl?st -- alle! Das Leben gl?hte auf, von einem ?berirdischen Strahl getroffen. Das Leben erf?llte seinen Sinn. Die Schmerzen hatten, litten ohne Hass, und die Gl?cklichen spendeten mit reichen H?nden. Zwischen Geburt und Sterben stand das schwarze Kreuz des Todes wie der Zeiger einer Wage. Ich lebte -- wie das Leben selbst.
A?ss? aber starb ewig den Liebestod.
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