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Read Ebook: Severins Gang in die Finsternis: Ein Prager Gespensterroman by Leppin Paul Teschner Richard Illustrator

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Ebook has 330 lines and 27703 words, and 7 pages

Illustrator: Richard Teschner

Paul Leppin

Severins Gang in die Finsternis

Ein Prager Gespensterroman

Delphin-Verlag / M?nchen

Den Umschlag und das Frontispiz zeichnete Richard Teschner in Wien

Copyright 1914 by Delphin-Verlag / M?nchen

Erstes Buch Ein Jahr aus dem Leben Severins

In diesem Herbste war Severin dreiundzwanzig Jahre alt geworden. Wenn er des Nachmittags, von qu?lender Bureauarbeit zerr?ttet, nach Hause kam, warf er sich auf das schwarzlederne Sofa in seiner Kammer und schlief bis zum Abend. Erst wenn draussen die Laternen angez?ndet wurden, ging er auf die Gasse. Nur im Sommer, wenn die Tage lang und gl?hend waren, fand er noch die Sonne auf seinen Wegen durch die Stadt. Oder auch an den Sonntagen, wo der ganze Tag ihm geh?rte und er auf seinen Wanderungen seiner kurzen Studentenzeit gedachte.

Severin hatte nach zwei oder drei Semestern seine Studien aufgegeben und eine Stellung angenommen. Nun sass er w?hrend der Vormittage in dem h?sslichen Bureau und hielt sein kr?nkliches und bartloses Bubengesicht ?ber die Zahlenreihen gebeugt. Ein ungesunder und nerv?ser Missmut kroch mit der Zimmerk?lte durch seinen K?rper und dann wurde auch die Unruhe in ihm wach. Das einf?rmige Gleichmass machte seine H?nde zittern. Eine l?stige M?digkeit bohrte in seinen Schl?fen und er dr?ckte mit den Fingern die Aug?pfel in den Kopf bis sie schmerzten.

Eine verregnete Oktoberwoche lang hatte er Zdenka nicht mehr gesehn. Ihre Briefe, die ihn t?glich zu kommen baten, schob er ver?rgert beiseite und beantwortete sie nicht. In dem halblauten Takt seines Blutes begannen sich W?nsche zu regen, die Zdenka ihm nicht erf?llen konnte. Und es war immer eine gespannte Erwartung, eine krause und absonderliche Neugier, die ihn befiel, wenn er am Abend, vom Schlafe bet?ubt, auf die Strasse trat. Mit weit ge?ffneten Augen sah er in die Stadt hinein, in der die Menschen sich wie Schattenbilder bewegten. Der L?rm der Wagen, das Gerassel der Strassenbahn mischte sich mit den Stimmen der Leute zu einem harmonischen Brausen, in dem ab und zu ein vereinzelter Ruf oder ein Schrei aufklang, dem er mit einem aufmerksamen Empfinden nachlauschte, als ob ihm eben etwas Besonderes entgangen sei. Am liebsten waren ihm die Strassen, die abseits von dem grossen Getriebe lagen. Wenn er die Augen zusammenkniff und durch die halbgeschlossenen Lider schaute, bekamen die H?user ein phantastisches Aussehn. Dann ging er an den Mauern der grossen G?rten vorbei, die sich an die Krankenh?user und Institute schlossen. Der Geruch des faulenden Laubs und der feuchten Erde schlug ihm entgegen. Irgendwo in der N?he wusste er eine Kirche. Hier war es schon am fr?hen Abend leer und nur einige Fussg?nger kamen. Severin stand im Schatten der H?uservorspr?nge und dachte dar?ber nach, warum sein Herz klopfe.

Lag es an dieser Stadt mit ihren dunklen Fassaden, ihrem Schweigen ?ber grossen Pl?tzen, ihrer abgestorbenen Leidenschaftlichkeit? Es war ihm immer, als ob ihn unsichtbare H?nde streiften. Er erinnerte sich, dass er auch oft bei Tage in l?ngst bekannten und vertrauten Teilen wie in einer neuen Umgebung gegangen war. Am Sonntagmorgen war er manchmal am Siechenhaus und der Karlshofer Kirche vorbei in die Sluper Gr?nde hinuntergestiegen. In ihm war ein Staunen, dass er hier schon seit seiner Kindheit wohnte. Wenn die Sonne schien und auf den abgebr?ckelten Stufen schimmerte, musste er an die Winterabende denken, wenn hier der Schnee in den Gassen trieb und die Lampen in den Kotpf?tzen funkelten. Es kam ihm vor, dass ein Bann ihn dr?ckte. Ein b?ses Verlangen wuchs in ihm auf, den Bann zu l?sen und ihn zu wandeln.

Oft glaubte er, an der eigenen Kargheit verzweifeln zu m?ssen. Es war eine Bitterkeit in ihm, die sich in ohnm?chtige Fl?che verrannte; und eine Mattigkeit, die nach unseligen Stunden verlangte. Zdenka wusste nichts von dem allen. Unmutig, mit zusammengepressten Lippen und aufgeschlagenem Rockkragen ging er heute durch die Stadt, auf Umwegen der Moldau zu, wo sie ihn erwartete.

Die lange, gesch?ftige Strasse, durch die er schritt, war er jahrelang zur Schule gegangen. Hier hatte er auf dem Heimwege die ersten Zigaretten geraucht und hier wurden auch die grossen Schlachten beraten, die auf den Weinberger Schanzen mit den tschechischen Jungen geschlagen wurden. Als F?hrer und Held hatte er sich niemals dabei hervorgetan, aber er hatte auch seine Feigheit niemals verraten. Es war f?r ihn ein woll?stiger und geheimnisreicher Reiz, den Steinw?rfen der Feinde die Stirne zu bieten. Die Rittergeschichten und Matrosenstreiche, die er zu Hause las, wurden ihm hier zu einer kleinen aber wahrhaftigen Wirklichkeit, die ihm Wangen und H?nde heiss machte und in stummer Erregung den Atem beklemmte. Seit jener Zeit hatte es eigentlich kein gleichwertiges Erlebnis mehr in seiner Jugend gegeben. Aber der blinde Drang, der ihn damals nach der Schule auf die verlassenen Schanzen zu den Schl?gereien trieb, war mit den Jahren ins Ungemessene gewachsen und presste ihm die Kehle. Manchmal befiel ihn eine unsinnige Furcht und ein Entsetzen, dass sein Leben so im Sande verlaufen w?rde. Seit er erwachsen war und sein Brot verdiente, wuchsen n?chterne und kahle Mauern rings um ihn auf, die ihm die Aussicht versperrten. Wohin er auch blickte, ?berall war die allt?gliche und stumpfe Gewohnheit um ihn. Fr?h ging er zur Kanzlei und ging am Mittag nach Hause; den ?brigen Tag verschlief er. Er kam sich vor wie einer, der mit der Schaufel in einer Grube steht. Er gr?bt und schaufelt, aber der feine, bewegliche Sand rinnt immer wieder nach und versch?ttet die Grube.

Als Kind hatte er einmal ein Buch besessen, das sich niemals ganz aus seinen Gedanken verlor. Es war der erste Band eines Romanes aus den Hussitenkriegen. Der zweite Band fehlte und Severin suchte auch nicht danach. So wie das Buch schloss, mitten im Gange grosser Ereignisse, schien es ihm am sch?nsten. Da waren Zigeuner darin, die in den Kl?ften der Teufelsmauer bei Hohenfurt ein R?uberversteck besassen, wilde Krieger, die in den Sch?nken um ihre M?dchen w?rfelten, N?chte, in denen man im Walde beim Mondschein nach der Alraunwurzel grub. Ein Zaubergarten kam darin vor, wo verwachsene Zwerge den Verirrten ?fften, Wundergrotten sich auftaten und wo eiserne L?wen rasselnd in der Tiefe versanken, wenn man in ihre N?he kam. Und der Komet strahlte blutrot am Himmel und in B?hmen war Krieg. An dieses Buch dachte Severin, w?hrend er zu Zdenka ging.

Auf dem Karlsplatze war es still. Nur einige Liebespaare fl?sterten hinter dem Gestr?uch. Severin stiess mit dem Fusse in die welken Bl?tter auf den Wegen. Die elektrischen Lampen brannten schon und hingen wie Monde ?ber den B?umen. Zwischen ihrem Lichte hindurch sp?hte Severin nach den ersten Sternen. Eine verdriessliche Unrast hielt ihn gefangen, die ihn immer wieder in den Park zur?cktrieb, w?hrend Zdenka ihn schon erwartete. Er nahm den Hut in die Hand und die Luft feuchtete seine Haare. Vom Turme des Strafgerichtsgeb?udes schlug die Uhr und ihre Schl?ge hallten langsam durch die Zweige. Severin lauschte ihnen mit einem bitteren Herzen. Eine weiche und schw?chliche L?sternheit zuckte in seiner Seele nach einem bunten und heftigen Dasein, wie es in den Kapiteln des Buches zu lesen stand. In einem verzehrenden Lichte stieg ein ungeheueres und gewaltsames Leben vor ihm auf. Hinter dem Rande des Karlsplatzes f?hlte er die Stadt.

Aus dem D?mmerlichte des Parks trat Severin in die n?chste Gasse. Wieder horchte er in die Ger?usche hinein und h?rte die Stimmen der Leute. Ein wenig von der Erkenntnis d?mmerte in ihm auf, dass die Menschen es sind, die das Leben bedeuten. Dass im Spiel mit ihnen das alles war, was ihm Schmuck und Inhalt und Schauer d?uchte. Kometenn?chte und Ersch?tterungen und die R?tsel des Herzens. Mit einem k?stlichen Erschrecken gedachte er jenes Abends, an dem er mit einem Freunde die Vorstellung eines tschechischen Vorstadttheaters besucht hatte. Er war nie besonders w?hlerisch in solchen Gen?ssen gewesen. Die heischende Sentimentalit?t, die dort einem Publikum von Kleinb?rgern und Banausen schmeichelte, war auch der richtige Stachel f?r seine Sinne. In dem Gehaben pathetischer Kom?dianten, den Tr?nen und dem Gel?chter grobgeschminkter Weiber sp?rte er mehr wie wo anders die heissen und ungepflegten Begehrlichkeiten seiner Seele. Ein M?dchen hatte damals seine Aufmerksamkeit erregt, die das Volk mit ihrer get?uschten Liebe r?hrte. In der Art ihren d?nnen K?rper zu biegen, in den Linien ihres Halses und ihrer Schultern war manches, was ihn an Zdenka gemahnte. In einer merkw?rdigen und uneingestandenen Zerw?hltheit war er damals nach Hause gegangen. Es war das Gef?hl, das ihn auch sonst immer heimsuchte, wenn er in den Nachtkaffeeh?usern w?hrend der Pausen der Musik in die verlegene Stille horchte oder am Abende z?gernd und gespannt an den Strassenecken lungerte. Das Gef?hl, dass etwas in seiner N?he war, so stark und so k?rperlich, dass die Luft davon leise zu zittern begann und das er vergebens mit den H?nden suchte.

Die Ferdinandsstrasse gl?nzte vor ihm auf und der Schein der Auslagenfenster blendete ihn. Es war schon sp?t geworden und er eilte. Beim Nationaltheater sah er Zdenka stehn und ihr s?sses Gesicht gr?sste ihn l?chelnd aus der Menge.

Das war auch der Herbst, in dem Severin mit Lazarus Kain bekannt wurde. In der oberen Stephansgasse, unfern von dem grossen botanischen Garten, hatte er seinen Laden. Ein paar abgegriffene Leinenb?nde und der rostfleckige Umschlag vergilbter Brosch?ren hinter der Glasscheibe des Schaukastens machten die Vor?bergehenden darauf aufmerksam, dass hier eine Buchhandlung sei. ?ber der T?re, auf einem vom Schnee und vom Regen getauften Schilde stand unter dem Namen des Eigent?mers in verwaschenen Buchstaben das Wort >>Antiquariat<<.

Der Laden war niedrig und schmal und eine Gasflamme erhellte ihn auch tags?ber. Aber im Winter konnte es hier sehr gem?tlich sein, wenn der eiserne Ofen in der Ecke beinahe rotgl?hend vor Eifer wurde und Lazarus hinter dem Pulte in dickb?uchigen Katalogen bl?tterte oder dem Raben Anton Kunstst?cke lehrte. In den Ferienmonaten und im Fr?hherbst war ja ohnehin nichts mit dem Gesch?fte. Da liess der alte Lazar f?r gew?hnlich seine Tochter im Laden zur?ck und machte Streifg?nge in der Umgebung. Mit kleinen Schritten ging er die Gasse auf und nieder und sah nach den Stockwerken der H?user hinauf. Er war etwas kurzsichtig und das Gaslicht in dem finstern Laden hatte seine Augen geschw?cht. Er sah den Dienstm?dchen zu, wie sie die festen Br?ste an den Fensterrand lehnten und den Staub aus den T?chern in die Gasse hinunterschwenkten. Das Blut stieg in sein gelbes Gesicht und er blinzelte. Oder er blieb bei der S?ule des heiligen Adalbert stehn und verfolgte die W?rterinnen der nahen Geb?ranstalt mit den Blicken. Dicht daneben stand die sch?bige Bude der >>Gifth?tte<<. Lazarus Kain erinnerte sich der Zeiten, wo hier die Mediziner zusammenkamen und am Abende mit den Hebammen tanzten. Da war er auch mitunter zu Besuch gewesen und hatte sich aus einem Winkel das Treiben angesehn. Jetzt hatte das Wirtshaus den Besitzer gewechselt und am Tage war die Gastwirtschaft vollst?ndig einsam. Nur ein paar tschechische J?nglinge schoben in dem verwahrlosten Garten Kegel und eine m?rrische Kellnerin brachte das tr?be Bier in zersprungenen Gl?sern.

Oft sass er auch in der kleinen Pilsner Stube gegen?ber der Stephanskirche. Auch hier war es nicht sehr lebhaft an den Sommervormittagen, wenn er zu Gaste war. Erst sp?ter kamen dann die Priester aus der nahen Dechantei zum Mittagessen. Lazar sass beim Fensterplatz, hinter der gr?nen Gardine und bewunderte die feinen Kn?chel der vorbeieilenden M?dchen. Er hatte schon bald ein halbes Jahrhundert auf dem R?cken, aber trotzdem waren die Weiber noch immer seine liebste Passion. Zu Hause, auf den hohen Regalen in seinem Buchladen, bewahrte er manchen kostbaren Band f?r die Kenner und seine besten Kunden. Gef?hrliche und unversch?mte Romane, franz?sische und deutsche Privatdrucke, Kupferstiche, seltene ?bersetzungen aus der Zeit des R?tif de la Bretonne. Er hing mit einer verliebten Z?rtlichkeit an diesen Sch?tzen, die er oft und wieder hernahm und sich an ihnen erg?tzte, die er mit seinen d?rren Fingern streichelte und nur ungern und zu hohen Preisen verschacherte. Mit ehrlichem Bedauern sah er sie in den H?nden der K?ufer und ihm war, als ob sie mit ihnen ein St?ck eines liebgewordenen Inventars aus seinem Hause tr?gen. Nur zwei Wesen liebte er mehr wie diese B?cher: den Raben Anton, ein altes und zerzaustes Tier, das ihm seit Jahren in seinem Buchladen Gesellschaft leistete und seine Tochter Susanna.

Das kommt nicht mehr wieder -- sagte er und eine aufrichtige Trauer klang in dem Tone der Worte. Eine Weile sassen dann die beiden schweigend beisammen und sannen in dem Halbdunkel der Wirtsstube den galanten Wundern vergangener Zeiten nach, w?hrend dr?ben die Kirchenglocken verstummten und nur ein goldenes Summen, immer feiner und leiser, unmerklich zum Schlusse in der Luft zur?ckblieb. Severin sah verstohlen nach dem kahlen Sch?del des alten Lazarus, der sein Gesicht wieder dem Fenster zuwandte und betrachtete sein j?disches, von unz?hligen F?ltchen zerrissenes Profil. Eine Ahnung ?berkam ihn, dass dieser Mann ein ?hnliches Leiden litt wie er, dass er an einer ungestillten Inbrunst krankte, die sich aus einem engen und t?richten Leben in alte B?cher gefl?chtet hatte. Ein Mitleid fasste ihn mit dem Alten, der seit Jahren seine Seele an tote Bilder vergeudete. Sie sprachen dann noch einiges miteinander und Lazarus erz?hlte von seiner Tochter und dem Raben. Als er fortging, lud er Severin ein, ihn in seinem Laden zu besuchen.

Severin kam der Einladung in den n?chsten Tagen nach. Auf einem niedrigen, gepolsterten Stuhle neben dem Ofen sass Susanna. Die Tage waren noch sch?n und der Buchh?ndler brannte noch kein Feuer. Trotzdem kam nach Sonnenuntergang eine feuchtrieselnde K?lte in die H?user der Gasse. Susanna hatte ein schwarzes Tuch um ihre Schultern geschlagen und ?ber die Seiten des ge?ffneten Buches auf ihrem Schosse tanzte das Gaslicht. Lazarus stand hinter dem Ladentische und begr?sste Severin ohne ?berraschung. Sein nackter Kopf gl?nzte in dem Lichtschein, als er sich ?ber ein paar wertvolle Kuriosa beugte und durch die Lupe untersuchte. Severin h?rte geduldig seine Erkl?rungen an und sah zerstreut nach Susanna hin?ber, die schweigend in ihrem Buche las. Ihr braunes Haar war glatt gescheitelt und auf den Wangen spielten die Schatten ihrer langen Wimpern. Als sie einmal das Gesicht erhob, begegneten einander ihre Blicke.

Von nun an kam Severin oftmals zu Lazarus Kain. Der Gedanke an die junge J?din liess ihn nicht schlafen. Susanna war eigentlich nicht sch?n. Aber in ihren Augen z?ngelte eine verd?chtige Flamme, die in einem j?hen Gegens?tze zu ihrem ruhigen Munde stand. In der samtenen Tiefe glomm eine verr?terische Andacht, die Severin befangen machte und ihn reizte. So hatte er manchmal die Sterne flackern gesehn, wenn er ausgesch?pft von einem unbegreiflichen Drange bei sp?ten Heimg?ngen nach dem Nachthimmel schaute. Severin suchte diese Augen hinter dem Rauche seiner Zigarette, hinter dem kahlen Vogelkopfe des Vaters und dem kurzen Geflatter des Raben, der in dem engen Raume wie in einem K?fige aus einem Winkel in den andern sprang. Susanna bot sie ihm mit einem unergr?ndlichen Ernste, ohne sich an dem Gespr?che zu beteiligen und ohne jemals das Wort an ihn zu richten. Wenn er sie ansprach, stand sie knapp und teilnahmslos Rede, dass er sich ?rgerte und es aufgab. Dann schw?tzte er mit dem Buchh?ndler und liess sich von ihm alte Steindrucke und Heliograv?ren zeigen.

Eines Tages, als Susanna gerade nicht anwesend war, versprach ihm Lazarus, ihn bei Doktor Konrad einzuf?hren. Z?gernd brachte er seinen Antrag vor wie das letzte St?ck eines vorsichtigen Vertrauens. Und er erz?hlte Severin auf dessen verwunderte Frage von dem grossen Atelier in einem der neuen H?user, die man im Assanationsgebiete an Stelle der H?tten des Judenviertels baute. Hier hatte Doktor Konrad mit den letzten Resten seines vor Jahren einmal bedeutenden Verm?gens eine Malerwerkstatt gemietet, die in Wirklichkeit ganz andern Zwecken galt. Palmenk?bel und Teppiche gaben den R?umen ein exotisches Aussehn und ein paar Bilderrahmen in der Ecke, eine Staffelei und einige zur Wand gekehrte Studienk?pfe markierten das Metier des Bewohners. In Wahrheit hatte Doktor Konrad schon seit langem keine Palette mehr anger?hrt. Er lag stundenlang auf dem bequemen, t?rkischen Sofa, rollte parf?mierte Zigaretten in der Hand und liess sich von seinem Diener franz?sischen Kognak mit Selters bringen. Oder er h?rte seiner Geliebten zu, wenn sie gelangweilt auf der Mandoline klimperte. Sie war ein blondes und verw?hntes Gesch?pf und hiess Ruschena. In den Nachmittagsstunden kam ein Schwarm von G?sten: Junge Herren im Smoking, mit mausgrauen Gamaschen ?ber den Lackschuhn; alte und erfahrene Lebem?nner im eleganten Strassenkleide, den Elfenbeinknopf ihrer Reitst?cke am Munde; K?nstler mit Schlapph?ten und unsauberer W?sche; Modelle in Seidenblusen und engen R?cken, die hier ihre freie Zeit bei den s?ssen Lik?ren des Doktors verbrachten; und hie und da auch ein M?dchen oder eine Frau aus der besseren Gesellschaft, unsicher und scheu die einen, mit mehr Frechheit als gerade n?tig war die andern, von jener vielgestaltigen Anziehungskraft hergetrieben, die ein ungebundenes Leben f?r den Aussenstehenden hat. Davon berichtete Lazarus, und Severin erriet an der verkniffenen Aufregung, den fahrigen H?nden des Alten das ?brige.

Als er wieder ins Freie trat, kam ihm im Nebel der abendlichen Strasse Susanna entgegen. Sie sah ihm mit einem L?cheln ins Gesicht, dass sein K?rper pl?tzlich wie im Schreck zu zittern anfing. Mechanisch nahm er ihre Hand, die sich warm anf?hlte, ohne zu zucken.

Kommen Sie -- sagte Susanna zu ihm und hatte noch immer das L?cheln auf den Lippen. Er ging mit ihr in das Haus, wo die Treppen noch im Finstern lagen. Hier k?sste er sie auf den Hals, den ihr Kleid im Nacken frei liess.

Der Vater ist unten im Laden -- sagte er.

Susanna nickte nur und f?hrte ihn ?ber schmale Stiegen und durch Flurg?nge in ihr Zimmer.

An einem frostklaren Abende im vorigen Winter hatte sich Zdenka in Severin verliebt. Die Strasse f?hrte sie zusammen, in der sie beide planlos zwischen den hastenden Leuten gingen. Die kleinen Lokomotiven der Kastanienverk?ufer standen mit roten Augen am Rande der Fahrbahn. Langsam und ganz vereinzelt fielen ein paar taumelnde Flocken in das Licht der Lampen. Zdenka sah ihnen zu und dachte an die hellen Fl?gel der M?cken, die im Sommer um die leuchtenden Kugeln gaukeln. Sie war noch ganz versunken, als Severin sie ansprach. Dann aber lachte sie heiter und als sie in sein h?bsches, von der K?lte versch?ntes Knabengesicht schaute, wurde ihr leicht und fr?hlich zumute. So gingen sie miteinander durch die Stadt. Sie betrachteten zusammen den lustigen Kram in den Auslagen der Spielwarengesch?fte, wo eine kleine Eisenbahn auf wirklichen Schienen lief und bewunderten den ausgestopften Tiger, den ein Teppichh?ndler zur Reklame ins Fenster gestellt hatte. Sie blieben vor den vereisten Scheiben der Delikatessenhandlungen stehn, hinter denen die goldenen Sprotten in den weissen Holzkistchen gl?nzten. Dann kaufte Severin ein Abendessen f?r beide und sie ging mit ihm in seine Junggesellenstube.

Zdenka arbeitete bis sechs Uhr abends in einem Kontor. Ihre Eltern waren beide gestorben und sie wohnte allein in einem Zimmer auf dem Altst?dter Ring. In der Zeit, in der sie ihre unfrohe Jugend selbst betreuen musste, hatte sie sich schon einige Male an fremde M?nner fortgegeben und sie bat es Severin unter K?ssen weinend ab, dass er nicht der erste war, dem sie ihre Liebe schenkte. Er nahm ihre zitternde Z?rtlichkeit grossm?tig entgegen und auch sp?ter, als er sah, wie aus der spielerischen Laune jenes Abends eine Leidenschaft in ihr emporwuchs, gab er sich keine M?he. Sie war ihm ein Trost in der Leere seines gelangweilten Herzens, das durch die Gl?ubigkeit und den Glanz ihrer Liebe nicht verwirrt wurde. Er h?rte ihr zu, wenn sie mit einer singenden Altstimme von ihrem Gl?cke sprach und freute sich ?ber die unge?bten Worte, die sie w?hlte. Im Grunde aber liess sie ihn kalt. Sie hatte nichts von der verzehrenden Flamme, von dem Blitzlichte an sich, das seine Seele brauchte. Sie war eine niedliche und schw?rmerische Begebenheit, die ohne Wucht und ohne Fatum geschah und die ihn nicht interessierte.

F?r Zdenka aber war Severin ein wundervolles Erlebnis geworden. Mit einer unabwendbaren Kraft hatte es sie ergriffen, als er sie damals von der Strasse nach einer kurzen Stunde mit in seine Wohnung nahm. Und einmal sein eigen, liebte sie ihn mit einer scheuen und grenzenlosen Verz?cktheit. Das slawische Blut, das bei den M?nnern ihres Volkes in Hass und Revolten losbrach, hatte in ihr einen ?berschwang geboren, dem sich nun alle Schleusen ?ffneten. Sie f?hlte erschreckt, dass sie dagegen nichts vermochte und sp?rte es zuinnerst mit Seligkeit und Grauen.

Es kamen sch?ne Tage f?r sie. Sie ging mit Severin in der Stadt umher, wie er es seit Jahren gewohnt war. Sie bekam jene Feinh?rigkeit f?r die Ger?usche und fernen Rufe in ihr, die ihm innewohnte und die er sie lehrte. An dem Geruche der Steine und des Pflasters erkannte sie die Strasse, in der sie schritt, wenn sie die Augen schloss und sich von ihm f?hren liess. Er erschloss ihr die monotone Sch?nheit in der Landschaft der Vorst?dte, die Schauer des Wyschehrad mit den grossen Steintoren, wo das Denkmal des heiligen Wenzeslaus stand. Sie lernte die Moldau lieben, wenn in der Dunkelheit die Lichter des Ufers auf dem Wasser schwankten, und den Duft des Teers auf den Kettenbr?cken. Sie sass mit ihm in den Wirtsh?usern der Kleinseite und war bezaubert von der breitspurigen Gem?chlichkeit der alten Herren, die hier ihren Schoppen tranken. In dem dicken Zigarrenrauche verschwammen die Bogenw?lbungen der niedrigen Decke, die Napoleonbilder an den W?nden in einem farblosen Grau. Sie besuchte mit ihm die Vikarka auf dem Hradschin, wo ein paar Arml?ngen von der T?re entfernt der Dom in die H?he ragte, wunderliches Mauerzierat und Steinfiguren in den Nischen. Sie verstand allm?hlich die stille Sprache der Stadt, die Severin gel?ufiger war als dem Tschechenm?dchen. Sie begriff es, dass zwischen ihren gedunkelten Mauern, ihren T?rmen und Adelsh?usern, ihrer fremdartigen Abgestorbenheit eine verhaltene Phantastik mit ihm gross geworden war, dass er immer mit dem Gef?hle die Strasse betrat, dass ihn heute ein Schicksal erwarte.

Als das Fr?hjahr und der Sommer sich meldeten, stand sie mit ihm vor den Weihern des Baumgartens und f?tterte die Schw?ne. Oder sie fuhr mit ihm auf der F?hre nach Troja. Durch die Tore der Schanzw?lle und der Festungswerke gingen sie nach Pankraz hinaus und sassen mitsammen bei dem steinernen Gasthaustische im Garten, wo schon der ein?ugige Zizka in den b?hmischen Kriegen gerastet hatte. Unweit erhob sich die Strafanstalt wie eine kleine Stadt im Felde und auf den Rasenpl?tzen arbeiteten die Gefangenen mit dem Spaten. Hinter den einst?ckigen H?usern f?hrte die Strasse in das nahe Dorf und in den Wald. Die Melodie der Leierkasten mischte sich mit dem Get?ne der Pappeln und der Telegraphenstangen. Ausfl?gler kamen und die Fiaker warfen den handhohen Staub nach der Windseite. Manchmal kehrten sie auch in der Strassensch?nke >>Zum gr?nen Fuchsen<< ein. Vor Jahren, als Severin noch ein Kind war, gab es hier ein vorz?gliches Bier und eine gute K?che; auch viele Deutsche machten damals einen Spaziergang zu der Fuhrmannskneipe. Jetzt wurde hier Sonntag f?r Sonntag getanzt und die rotweissen Fahnen flatterten ?ber dem Haustore. Aber ein paar Schritte weiter l?rmte ein Ringelspiel. Da setzte sich Zdenka zuweilen mit Severin in eine der goldenen Schaukeln und machte eine Reise. Ein Mann mit hohen Stiefeln schlug die Trommel und die Kinder jauchzten. Die Musik spielte die Barkarole aus >>Hoffmanns Erz?hlungen<<.

Das waren k?stliche Stunden f?r Zdenka. Sie bemerkte es kaum, wenn Severin unwirsch und einsilbig wurde und tr?stete sich mit dem n?chsten L?cheln, das er ihr gab. Aber als dann der Herbst hereinbrach und ihr Severin immer mehr entfremdete, war sie zaghaft wie nie. Es kam vor, dass sie ihn tagelang nicht zu Gesichte bekam. Still und mit traurigen Schritten ging sie nach Hause und setzte sich in ihr St?bchen. Auf dem grossen Platze unter ihrem Fenster war es lebendig, nur die Dienstm?nner faulenzten an den Ecken. Zdenka wartete, bis es ganz finster wurde. Erst sp?t am Abende machte sie Licht.

Mit einer unbegreiflichen und zwecklosen Grausamkeit hatte ihr Severin von Susanna erz?hlt. Mit kalten Augen forschte er in ihren Z?gen nach dem Fl?mmchen der Eifersucht, w?hrend er mit breiter Deutlichkeit sein Abenteuer schilderte. Es missfiel ihm, dass ihre Liebe so standhaft und unverletzt dabei blieb und dass kein Vorwurf ihre Lippen regte. Jenes M?dchen im Theater fiel ihm ein, das die Bewegungen Zdenkas hatte und das St?ck, in dem sie spielte. Wie stand sie damals schlank und zerbrechlich auf den Brettern und das Schicksal sch?ttelte sie! Aber nichts von alledem geschah. Nur ein Schmerz flog wie ein Gleitschatten ?ber Zdenkas Gesicht und er wusste nicht einmal, ob er sich t?uschte.

Es kam jetzt immer seltener vor, dass sie einander Sonntags trafen. Dann gingen sie meistens durch die Anlagen der Stadt, wo schon die kalten Herbstblumen brannten. Die eisernen St?hle im Stadtpark standen unben?tzt in dem nassen Sande und die Sodawasserbuden waren leer. Hie und da fuhren sie auch mit der Drahtseilbahn auf die Hasenburg hinauf. Zdenka blieb vor den Bildern des Kreuzweges stehn, wo j?hrlich in der Nacht auf den Karfreitag die Leute beteten. Dort war auch die Kapelle des heiligen Laurenzius. Von oben sah man die Stadt im Sp?tnachmittagsdunste und ein tr?ger Wind fegte die d?rren Bl?tter langsam in die steinernen Regenrinnen der Wege. Zdenka trat mit dem Fusse auf die weissen Beeren, die von den Str?uchern auf die Erde rollten. Als Kind hatte sie sich immer ?ber den kurzen Knall gefreut, mit dem sie zersprangen. Ein Soldat kam ihnen entgegen, der sich zu seinem M?dchen beugte und sie k?sste. Zdenka ging neben Severin mit einer Seele voll Tr?nen.

Im Atelier des Doktor Konrad waren schon die G?ste versammelt, als Lazarus Kain und Severin eintraten. Ein Gewirr von Stimmen schlug ihnen aus dem Zigarettendampfe entgegen, das ungewohnte Durcheinander deutscher und tschechischer Gespr?che und das gezierte Lachen der Frauen. In einer Ecke waren einige auffallend gekleidete Modellm?dchen um einen Tisch besch?ftigt und unterhielten sich mit einem italienischen W?rfelspiele. Nachl?ssig an den T?rpfosten gelehnt stand die wunderbar schlanke Figur einer Dame im schwarzen Samtkleide neben der blonden Ruschena und sah zu. Severin erkannte sie sofort. Scharf und lebendig wie ein eben geschauter Vorgang stieg ihm ein Bild in der Erinnerung auf, an das er nun schon lange nicht mehr gedacht hatte. Als Schulbub in dem Jahre vor der Matura war er in den Ferien einmal vormittags ?ber die Ferdinandsstrasse gegangen, w?hrend gerade die elegante Welt ihre Promenade machte. Da war sie ihm aufgefallen mit der grossen, blutroten Straussfeder auf dem Hute, in ihrer seltenen, kostbaren Schlankheit, mit dem lieblichen und gef?hrlichen L?cheln, das er nur einmal sp?ter auf einem Gem?lde der b?ssenden Magdalena wiedergesehn hatte. Ein sch?ner junger Mann trat gr?ssend auf sie zu und k?sste ihre behandschuhten Finger. Dieser Augenblick war ihm im Sinne haften geblieben und wurde jetzt wieder deutlich in ihm: die festt?gig bewegte Strasse, das glatte Ger?usch der Gummir?der, mit dem die Kutschen ?ber das Pflaster fuhren und mitten im Gew?hle der Menschen und der Toiletten jene Bewegung voll unnennbarer Gnade, mit der die Fremde dem jungen Dandy die Hand zum Kusse reichte. Sp?ter war er ihr noch manchmal begegnet, fl?chtig und unaufmerksam und dann lange nicht mehr. Sie war eine S?ngerin des Nationaltheaters, die damals gerade auf der H?he der Volksgunst stand. Jetzt erz?hlte ihm Kain, der seinen unverwandten Blick bemerkte, ihre Geschichte. Durch eine Krankheit, die sie von einem ihrer Liebhaber ?bernommen, verlor sie die Stimme. Sie versuchte noch ein paarmal ihr Gl?ck bei den B?hnen der Provinz, bis es dann nicht mehr ging. Jetzt war sie wieder in Prag und Kain hatte sie schon verschiedene Male in Doktor Konrads Atelier getroffen.

Es war nicht Sitte in diesem Kreise, dass die G?ste einander vorgestellt wurden. Jeder kam und ging nach Belieben. Als aber dann der Hausherr die Neueingetretenen begr?sste, bat Severin trotzdem, ihn zu der schwarzen Dame zu f?hren. Er stand vor ihr und verbeugte sich, als Doktor Konrad seinen Namen nannte. Er forschte in ihrem Antlitz nach der Anmut jenes Moments. Dann nahm er die Hand, die sie ihm reichte, in die seine und k?sste sie. Sie sah ihm erstaunt in die Augen und l?chelte. Aber es war nicht mehr das L?cheln, das er an ihr kannte. Ihr Mund war weiss und ohne Schminke und verzog sich ein wenig in einer gezwungenen Gleichg?ltigkeit.

Wo ist denn Ihr Hut mit der roten Straussenfeder? -- fragte Severin.

O -- meinte sie verwundert. Sie hob den Kopf und drehte ihn in der Runde, als ob sie sich auf einen Traum bes?nne. Dann sagte sie langsam und ihre Worte hatten einen spr?den, von einer leisen Heiserkeit verschleierten Klang:

Der Hut mit der roten Feder -- der ist schon lange perdu --

Severin hielt sich den ganzen Abend ?ber an Karlas Seite. Die Stimmung war allm?hlich immer lauter geworden und die blonde Ruschena, geputzt und frisiert wie eine Puppe, holte ihre Mandoline. Die Modellm?dchen hatten das W?rfelspiel aufgegeben, sie sassen schwatzend beim Tische, assen belegte Br?tchen und schl?rften den Sekt, den der Diener servierte. Lazarus Kain hatte sich zu ihnen gesellt und erz?hlte Anekdoten. Einige der Herren waren mit ihren M?dchen gekommen. Die sassen nun kauend in den bequemen Atelierst?hlen und zeigten unter den kurzen R?cken ihre Beine. Ein unglaublich magerer Mensch im modischen Gehrock und mit noblen All?ren sass neben Doktor Konrad und weissagte den G?sten, die zu ihm kamen, der Reihe nach die Zukunft aus den Linien ihrer Hand. Auch Severin ging zu ihm hin und bat ihn darum. Der magere Mensch blickte ihn hinter den runden Brillengl?sern forschend an und hielt seine Hand l?nger als die der andern vor sein Gesicht.

Sie haben ein Schicksal erlebt -- sagte er dann, als er wieder aufsah -- ein grosses Schicksal, was war das? --

Ich habe nichts erlebt -- sagte Severin und zog seinen Arm zur?ck.

Dann kommt es noch -- Sie haben eine Hand, vor der man sich f?rchten k?nnte.

Severin ging auf seinen Platz zur?ck und setzte sich wieder neben Karla. Es ?rgerte ihn, dass er dem Buchh?ndler gefolgt und mit heraufgegangen war. Der sass nun vergn?gt unter den lachenden Dirnen und am?sierte sich. Seine eckigen Schultern h?pften und sein kahler Judensch?del zitterte. Severin lauschte in den L?rm mit einem Gef?hle des Ekels und der Traurigkeit. Der Tabakqualm stieg in breiten B?ndern in die Luft und legte sich um das Licht der Lampe, die an kunstvoll gearbeiteten Ketten von der Decke hing. Ab und zu ging Doktor Konrad von einer Gruppe zur andern und spielte mit der ?bertriebenen H?flichkeit des Slawen den Wirt. Er war ein grosser vollb?rtiger Mann und mochte ungef?hr dreissig Jahre alt sein. Unter dem Smoking trug er eine helle Phantasieweste mit blauen Kn?pfen. Sein kluges Gesicht war von einer etwas tartarenhaften Sch?nheit. Severin sah ihm zu und suchte zu ergr?nden, warum dieser Mann, dessen Doktortitel in seiner Umgebung einen fremdartigen Klang annahm, die Tage in kostspieligen und inhaltlosen Schlemmerein verbrachte. Ihm fehlte der erotische Anreiz von Situationen, wo ein paar Modelle mit frecher Grazie die R?cke ?bers Knie schoben, die h?bsche Ruschena sentimentale Strophen und unanst?ndige Lieder klimperte, wo der Sekt die Weiber betrunken machte und der alte Lazarus sein Repertoir von Kalauern aufbrauchte. Ihn d?rstete mehr wie je nach dem wirklichen Leben, das Blumen und Grauen bescherte und das mit Sturmbacken den Alltag zerblies. Bisher waren es nur Surrogate gewesen, die ihm gen?gen mussten. Sein Verh?ltnis mit Zdenka, das jeder grossen Form entbehrte, das Spiel mit Susanna und nun hier der w?ste Kehraus in Konrads Atelier, wo er ?bellaunig neben der schlanken Karla sass. Er sah sie von der Seite an und studierte die Spuren, die ein wechselvolles Dasein in ihr feines Gesicht gegraben hatte. Er wusste, dass auch sie in kurzer Zeit ihm geh?ren werde, denn es ging von ihm eine Kraft aus, die die Weiber zu ihm zwang, die sie lockte, seinen verschlossenen und schweigsamen Mund zu k?ssen. Auch hier merkte er es, wie sie alle mit matten Augen nach ihm l?chelten, wie auch die blonde Ruschena ihn mit heissen Blicken ansah. Und neben ihm lag die schmale Hand Karlas, die damals der sch?ne Kavalier gek?sst hatte, auf der Polsterlehne des Stuhles. Sie kannte das Theater und das Leben. Er wollte sie fragen, ob es denn nicht m?glich sei, sich ein k?nstliches Leben zu schaffen, das dem wirklichen zum Verwechseln ?hnlich war und das man meistern konnte. Ob es nicht anging, Trag?dien in die Tage zu bauen, Operetten mit tiefen und nachklingenden Pointen? Was war denn die B?hne? Auch da war es ja doch nur ein Spiel und dennoch weinten und jubelten die Leute, Verbrechen geschahn und die Angst schlug mit den Fl?geln gegen papierene W?nde. Aus den Launen und Eigenwilligkeiten des Herzens ein Schicksal machen, f?r sich und f?r andere, so wie man Landschaften und St?dte im Theater aus Holz und Pappe macht -- war das so schwer?

Aber Karla sch?ttelte nur leise den Kopf.

Wozu? Wozu? -- Es kommt ja doch alles von selbst --

Nein! Nein! -- schrie Severin -- das ist nicht wahr!

In diesem Schrei war eine Anklage ohnegleichen, eine ?berhitzte Sehnsucht, wie sie mancher hier kannte, und die sich wie ein Echo an den verqualmten W?nden des Ateliers zerstiess. Es wurde still und die Gespr?che verstummten. Alle sahen nach Severin hin, Ruschena legte die Mandoline beiseite und hing mit den Augen an seinem leidenschaftlichen Gesicht. Karla strich mit nerv?sen Fingern den schwarzen Samt ihres Kleides zurecht und beugte sich zu ihm. Die gl?hende Sch?nheit fr?herer Tage wachte m?hsam in ihrer rauhen und zerrissenen Stimme auf und es klang darin wie der Ton in einem gesprungenen Glas. Sie sprach zu ihm von dem Glanz ihres Lebens, als sie noch den Hut mit der roten Straussenfeder trug. Von dem J?ngling, den Severin damals auf der Strasse gesehen und der sie geliebt hatte. Sie sprach von den Untiefen und Niederungen des Gl?cks. Sie fl?sterte und stockte, und mit einem Male war wieder das liebliche Magdalenenl?cheln auf ihren Lippen, auf das er den ganzen Abend vergebens gewartet.

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