Read Ebook: Severins Gang in die Finsternis: Ein Prager Gespensterroman by Leppin Paul Teschner Richard Illustrator
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Ebook has 330 lines and 27703 words, and 7 pages
In diesem Schrei war eine Anklage ohnegleichen, eine ?berhitzte Sehnsucht, wie sie mancher hier kannte, und die sich wie ein Echo an den verqualmten W?nden des Ateliers zerstiess. Es wurde still und die Gespr?che verstummten. Alle sahen nach Severin hin, Ruschena legte die Mandoline beiseite und hing mit den Augen an seinem leidenschaftlichen Gesicht. Karla strich mit nerv?sen Fingern den schwarzen Samt ihres Kleides zurecht und beugte sich zu ihm. Die gl?hende Sch?nheit fr?herer Tage wachte m?hsam in ihrer rauhen und zerrissenen Stimme auf und es klang darin wie der Ton in einem gesprungenen Glas. Sie sprach zu ihm von dem Glanz ihres Lebens, als sie noch den Hut mit der roten Straussenfeder trug. Von dem J?ngling, den Severin damals auf der Strasse gesehen und der sie geliebt hatte. Sie sprach von den Untiefen und Niederungen des Gl?cks. Sie fl?sterte und stockte, und mit einem Male war wieder das liebliche Magdalenenl?cheln auf ihren Lippen, auf das er den ganzen Abend vergebens gewartet.
Da kam eine fieberische Lustigkeit ?ber Severin. Er nahm sein Glas, stiess mit Karla an und trank. Immer wieder goss er den kalten Schaumwein durch die Kehle, bis ihm das Atelier zu einem Durcheinander von Gestalten und Gesichtern verschwamm, bis Ruschena mit der falschen Lockenfrisur auf dem Teppich in der Mitte mit fliegenden R?cken einen Cancan zu tanzen begann.
Zwischen Nikolaus, der an dem Atelierabend Doktor Konrads die G?ste mit seinen Handlesek?nsten unterhalten hatte, und Severin war es seither zu einer Art Freundschaft gekommen. Es war etwas Unklares und Unergr?ndetes in der Person des jungen Studenten, das Severin anzog und seine Gesellschaft suchen liess. Niemand wusste etwas Genaues ?ber Nikolaus zu berichten, der vor ein paar Jahren nach Prag gekommen war und an der Universit?t die philosophischen F?cher studierte. Auf den Sportpl?tzen auf dem Belvedere sah man ihn beim Fussballspiel und beim Tennis, und man begegnete ihm in den Bootsh?usern der Ruderklubs an der Moldau. Abends sass er in den Kaffeeh?usern der Stadt, spielte stundenlang Schach mit allerhand Leuten und trank zwischendurch aus einem d?nnen Strohhalme ungez?hlte Gl?ser Schwedenpunsch. Man wusste, dass er reich war, eine grosse und wertvolle Bibliothek besass, mit K?nstlern Umgang pflegte und okkultistische Liebhabereien betrieb. In seiner mit Eleganz und gutem Geschmack ausgestatteten Wohnung gab es eine Menge merkw?rdiger und ungewohnter Dinge, Buddhabronzen mit unterschlagenen Beinen, mediumistische Zeichnungen in metallenen Wandrahmen, Skarab?en und magische Spiegel, ein Portr?t der Blavatsky und einen wirklichen Beichtstuhl. Man erz?hlte, dass in seinem Zimmer einmal ein Mensch auf geheimnisvolle Weise ums Leben gekommen sei. Niemand war Zeuge dieses Vorfalles gewesen und die gerichtliche Untersuchung ergab, dass der Revolver, ein sch?nes und kostbares St?ck, das Nikolaus seinem Besucher zeigte, unversehens sich pl?tzlich entladen und ihn get?tet hatte. Das Verfahren gegen Nikolaus wurde eingestellt, aber ein hartn?ckiges Ger?cht brachte noch lange Zeit eine Dame der Gesellschaft mit dem Ungl?ck in Verbindung und man munkelte von Totschlag und einem amerikanischen Duell, ohne dass Nikolaus in Hinkunft sich bewogen fand, diesen verd?chtigen Geschichten entgegenzutreten.
Auf Severin machte die Erz?hlung von dem r?tselhaften Tode des jungen Menschen einen ungeheuren Eindruck. Mit einer unverhohlenen Scheu betrachtete er das hagere Gesicht seines neuen Bekannten, wenn er die Abende nun mitunter in dessen Wohnung verbrachte und von den schweren Schn?psen kostete, die Nikolaus in den matt gef?rbten Gl?sern kredenzte. Immer wieder gingen seine Blicke nach dem zierlichen Damenschreibtisch hin?ber, wo scharf geschliffene Dolche zwischen B?chern und Papieren lagen, wo er hinter den gelben Messingschl?ssern die Schusswaffe vermutete, die damals den Tod in dieses Zimmer gebannt hatte. Den Tod. Es war etwas in dem dumpfen Klange der Silbe, das ihm aufreizender, beziehungsreicher zu sein schien, wie alle die schl?frigen ?usserungen eines beh?teten Lebens. Ein kleiner und perverser Neid kroch an die Oberfl?che seiner Seele und blieb in tr?ben Blasen z?gernd stehen. Neid gegen Nikolaus, der mit gleichm?tigen H?nden mit dem Opalring an seinem Finger spielte, ?ber B?cher und Zeitschriften plauderte, w?hrend der Teppich unter seinen F?ssen vielleicht noch das trockene Blut des Mannes bewahrte, der auf ihm gestorben war. Er f?hlte die ?berlegenheit eines Charakters, der sich korrekt und blasiert vor der Welt verriegelte, der trotz seiner Jugend nichts mehr von der unsicheren Gestaltslosigkeit hatte, der dem seinen innewohnte.
Auch Karla kam manchmal mit ihm in das Zimmer zu Nikolaus. Seit ihrer Begegnung mit Severin folgte sie ihm auf Schritt und Tritt und wusste es so einzurichten, dass sie fast t?glich mit ihm zusammentraf. F?r ihre empfindsame, von Fr?sten und Gluten gepr?fte Seele war er ein neues, noch ungenossenes Fieber, dem sie verfallen war und dem sie erlag. Sie warb um ihn mit einer beharrlichen Verliebtheit, mit dem echten und ungek?nstelten Schmachten ihres schwerm?tigen Wesens, mit den erfahrenen K?nsten einer r?cksichtslosen Koketterie. Auch Severin konnte sich der Wirkung ihrer Pers?nlichkeit nicht entziehen, aber es ging ihm mit ihr wie mit allen Erlebnissen, die bisher an ihn herangetreten waren. Es gab Augenblicke, wo sich sein Herz an der Schwelle dessen glaubte, was er nur dunkel tastend verstand und was f?r ihn ohne Namen war. Dann zitterten die H?nde beider ineinander, dann hatte alles, was um ihn geschah, einen goldenen und besonderen Glanz, dann sass er still und unbeweglich und f?hlte die Dinge der Welt um sich in einer bet?renden Sch?nheit. Dann kamen wieder Stunden, in denen ihn die Gnade ganz verliess. Da sp?rte er mit Groll und Trauer, dass ihn eine Laune t?uschte. Er sah die Lichter in Karlas Augen, ihren hohen und schlanken Leib, ihre l?ssigen Glieder. Er sah die kupplerischen Schatten der D?mmerstunde, die fahl und verlegen zur Erde hingen, auf der mit einem Male kein Wunder mehr war. Und er k?sste Karla auf ihren Mund und nahm sie, so wie er Susanna genommen hatte und Ruschena nehmen w?rde, wenn sie ihn darum bat.
Er sprach mit Nikolaus ?ber sein Herz. Er erz?hlte ihm alles, was er bei sich bedachte, wenn er des Morgens im Bureau die Zahlen auf das graue Papier schrieb und das nackte Licht der elektrischen Birne auf der feuchten Tinte flimmerte. Er sprach von dem Buche, das er als Knabe gelesen, von der Angst, die ihn manchmal erfasste, wenn er vor der verschlossenen T?re seiner Wohnung stand und sich minutenlang nicht getraute sie zu ?ffnen, gerade als ob sich etwas Schweres f?r ihn damit entscheiden sollte. Er weihte ihn in seine Liebesabenteuer ein, so weit er sich an alles entsinnen konnte, was ihm in durchschw?rmten N?chten, in den Bars und Tingel-Tangels der Vorst?dte in dieser Hinsicht widerfahren war. Immer hatte er geglaubt, im Innersten ber?hrt zu sein, das grosse und absichtslose Geschehen in sich zu sp?ren, das die andern alle ?berw?ltigte, das die Frauen in die Moldau trieb und den M?nnern die Pistole an die Stirne dr?ckte. Einmal war er dabei gewesen, als die Fl?sser am Flussufer von Podskal die Leiche eines Weibes aus dem Wasser zogen. Es war eine junge Person aus dem Volke, ein Dienstm?dchen oder eine Handwerkersfrau, und die nassen Kleider, die an dem starren K?rper klebten, legten sich straff um die kr?ftigen Schenkel und die runden Br?ste. Severin kam dazu, als die Leute sich um die Tote versammelten und der Polizeimann seine Notizen machte. Er sah ihr im Sterben verkrampftes Gesicht und den bl?ulichen Mund und fragte sich, wie wohl das Dasein dieses Menschen beschaffen gewesen sein musste, welche Gewaltt?tigkeiten und N?te es zu diesem Ende brachten. Er las t?glich in der Zeitung von einem Selbstmord. Bald hatten sich zwei in einem Hotelzimmer erschossen, bald nahm ein M?dchen Gift und starb unter Qualen. Halbe Knaben noch, Schuljungen und F?nfzehnj?hrige t?teten sich, weil sie das Leben nicht mehr ertragen konnten. Severin begriff das nicht. Er sah mit Trotz und Einsamkeit die lange Reihe der Ungl?cklichen, die an einem Hass oder einer Liebe zugrunde gingen, er las in den Gerichtsverhandlungen der Tagesbl?tter von den M?hseligen, die ersch?ttert zwischen den Schicksalen schwankten. Die Zahl der Opfer und der Sieger in diesem Kampfe wuchs vor seinen Augen und er wusste, dass auf der Strasse neben ihm Menschen mit brennenden Seelen gingen, Hasardspieler, die ihr Gl?ck auf eine Karte setzten, Bankrotteure, die es nicht mehr konnten.
Nikolaus h?rte ihm nachdenklich zu und schob mit einer kleinen Elfenbeinschaufel die Haut hinter seine polierten N?gel. Und als Severin von Zdenka und Susanna sprach, von den Frauen, die er kannte, wie er in den Armen der Kellnerinnen, im Bette der J?din, unter den Liebkosungen Karlas vergebens auf den Rausch seines Blutes gelauert, meinte er:
Weibergeschichten sind nichts f?r Sie. Ich glaube, dass Sie etwas Gr?sseres erwartet. --
Severin erschrak. Er gedachte der sonderbaren Prophezeiung, die Nikolaus bei ihrer ersten Begegnung im Atelier des Doktor Konrad aus den Linien seiner Hand gelesen hatte. Er f?hlte seine Pulse schlagen und empfand mit Str?uben und Schauer die N?he eines unf?rmigen Geschicks, dem er mit allen Sinnen zustrebte und das er nicht kannte.
Unvermutet war es pl?tzlich Winter geworden. Als Severin eines Morgens aus dem Hause trat, lag der Schnee auf den D?chern und Steigen der Stadt und wirbelte in der Luft, in der noch die letzte D?mmerung der Nacht lagerte. Es war acht Uhr und die Strassengesch?fte ?ffneten laut und umst?ndlich ihre Laden. Der Wind blies eine leichte K?lte in die verschneiten Gassen, und Severin fror ein wenig in dem d?nnen ?berrocke. Er war ?berrascht und ging langsam auf einem kleinen Umwege zur Kanzlei. Zum ersten Male seit Jahren kam es ihm wieder zu Bewusstsein, dass der Schnee einen eigenen Geruch habe, wie ?pfel, die lange Zeit zwischen den Fenstern gelegen sind. Schon als Kind besass er eine empfindsame Witterung f?r das Aroma, das einem jeden Ding und einer jeden Zeit anhaftete. Er dachte an die Tage des Schulanfangs, wenn er nach den Ferien zum ersten Male wieder das Klassenzimmer betrat und ihm der feuchte Duft der Kreide entgegenschlug. Er entsann sich des Behagens, wenn er nach langen und schweren Fr?sten in der Fr?he das Tauwetter durch die Ritzen der T?re sp?rte, wenn er dann draussen von dem Eiswasser kostete, das in glitzernden Str?hnen von den B?umen und Gesimsen niederrann und das in der Sonne ganz anders und milder schmeckte als im Schatten. Seine Kindheit war erf?llt mit dieser Freude an vielerlei Ger?chen, die ihm wohltaten oder ihn bedr?ckten, an denen er Folge und Wiederkehr erkannte und die die Jahreszeiten begleiteten. Nun war er froh, dass der Herbst vorbei und der Winter da war. Ihm war es, als ob sich damit etwas Neues ereignet habe, etwas, das ihm schon lange gefehlt hatte.
Im Bureau sass er still, den Kopf hinter den hohen Aufsatz des Schreibtisches gebeugt und sah hinter den schmutzigen Fensterscheiben die weissen Sterne in den Hof fallen. Auf dem Wege war er an den Buden der Nikoloverk?ufer vorbeigegangen. Die geschnitzten Teufel streckten die roten Flanellzungen nach ihm aus und an den Strassenecken waren ganze Buschen von goldenen Ruten aufgestapelt, mit schreiend bunten Papierblumen beklebt. Auf gr?nlackierten Brettchen standen die Heiligen in ihren steifen Gew?ndern und hatten einen Bart aus Watte.
Am Abende ging er auf den Altst?dter Ring, wo der Jahrmarkt war. Zwischen Pfefferkuchenreitern, gelben Trompeten und farbigen Kindertrommeln dr?ngten sich die Menschen und die M?dchen schoben sich paarweise durch den Schwarm. Die Windflammen taumelten ?ber den ausgebreiteten S?ssigkeiten und beleuchteten flatternd den roten Turban der M?nner, die den t?rkischen Honig feilboten. Vor dem niedrigen Zelte eines Panoptikums lehnte Zdenka und starrte den Mohren an, der an der Kasse sass und die Eintrittsgelder sammelte. Es war lange her, seitdem sie Severin zum letzten Male gesehn. Als er jetzt pl?tzlich ihren Arm ber?hrte, schrie sie vor Schrecken.
Du -- du -- stammelte sie und ihre sch?ne, vom Weinen entstellte Stimme schwankte. Dann aber nahm sie seine H?nde und f?hrte ihn abseits aus dem Trubel in eine stille Gasse. Beim Licht einer Strassenlaterne sah sie in sein Gesicht und da bemerkte auch er, wie schmal und elend das ihre geworden war. Ihre Nase war mager und spitz wie bei einer Kranken und ihr Mund war d?nn. Nur die S?ssigkeit war noch da, in den verh?rmten Winkeln und Schatten ihrer Augen, die sie zu ihm mit einem Blicke aufschlug, den er an ihr nicht kannte. Sie wollte reden, aber sie konnte es nicht. Und wie sie nun vor ihm dastand, wirr und hilflos, von der Liebe bet?ubt, da regte sich in Severin neben dem Mitleid mit Zdenka eine selbstgef?llige Freude an ihrem Schmerz. Er verglich sie in der Erinnerung mit dem M?dchen aus dem Theaterst?ck, an das er immer denken musste, wenn er mit Zdenka beisammen war. Er dachte bei sich, dass nun das St?ck zu Ende sei und der Vorhang fallen m?sse. Und etwas von der alten Z?rtlichkeit des vergangenen Sommers war in der Bewegung, mit der er ihre Wange streichelte und ?ber das Haar hinstrich, das ihr in die Stirne wollte. Da fiel sie ihm mit einem wehen Ausruf vor die F?sse und fasste mit den H?nden seine Knie.
Severin --
Ein paar Leute, die vom Jahrmarkt nach Hause gingen, blieben in der Ferne stehen und sahen auf das M?dchen hin, das weinend auf der Erde kauerte. Severin machte ihre H?nde von seinen Knien los und ging davon, ohne sich umzukehren.
Im Zimmer des jungen Nikolaus war in die Wand ein kleines, mit Edelsteinen und Intarsien ausgelegtes Schr?nkchen eingelassen. Als Severin eines Tages nach dem Inhalt fragte, nahm Nikolaus einen d?nnen Schl?ssel aus der Tasche und ?ffnete es. Drin lagen sorgsam verpackt und ?bereinandergeschichtet rotkugelige Opiumpillen, Giftstaub in winzigen Glasr?hren und indischer Tempelhaschisch in flachen Apothekerschachteln verwahrt.
Eine Liebhabersammlung -- sagte Nikolaus.
Severin stand lange, von einer j?hen Erregung gebannt, vor dem offenen Schranke. Seine Augen tasteten suchend in den zierlichen F?chern umher, in denen die Geheimnisse fremder Kulturen aufgespeichert waren, Stoffe, die einem Tr?ume und Visionen brachten, die schw?le R?usche in das Blut tr?ufelten, Gifte, die t?ten konnten. Ein liebkosender Wohlgeruch stieg ihm daraus entgegen. Nikolaus sah l?chelnd die Spannung in seinem Gesichte und holte aus der Ecke ein blaues Fl?schchen mit gl?sernem St?psel hervor.
Das ist unfehlbar -- meinte er -- Aber Sie m?ssen vorsichtig sein --
Severin sah die trockenen Brocken einer tonigen Masse hinter dem geschliffenen Halse.
Was ist das? -- fragte er.
Ein chinesisches Gift.
Und Sie wollen mir das schenken?
Nikolaus dr?ckte die T?re des Schrankes langsam ins Schloss.
Ich habe mehr von dem Zeug -- Und er drehte den Schl?ssel um.
Als Severin die Treppe hinunterstieg, stiess er mit Karla zusammen. Sie hatte ihn tagelang vergebens erwartet und wollte eben zu Nikolaus, wo sie ihn zu finden dachte. Ihr schwarzes Samtkleid schleifte ?ber die Stufen und ein paar Augenblicke stand sie hochaufgerichtet vor ihm und wandte ihm ihr regungsloses Gesicht zu, das weiss war wie vor einer Entscheidung.
Wo bist du? --
Severin hob seine Augen zu den ihren, die dunkel und abwesend ?ber ihn hingingen und in denen er die Angst las, ihn zu verlieren. Er pr?fte ihre hohe, k?nigliche Gestalt, die wie eine fremde, sehns?chtige Blume aus den Treppensteinen zu ihm emporwuchs und sah, dass sie sch?n war in dieser Sekunde. Auf ihren Lippen meinte er die Male der K?sse zu schauen, die er noch vor kurzem getrunken hatte. Aber es war ihm wie ein lange gewesenes, l?ngst abgetanes Ereignis, das seine Seele nicht mehr erreichte. M?hsam, wie man im Schlafe die Worte sucht und kann sich nicht an sie besinnen, sagte er zu ihr:
Geh nach Hause, Karla -- Ich liebe dich nicht mehr.
Ihre Hand l?ste sich vom Rande des Gel?nders los. Ein Windstoss kam durch das offene Tor des Hauses und machte sie beide fr?steln.
Geh nach Hause -- sagte er noch einmal und ging an ihr vor?ber, wie er von Zdenka fortgegangen war, ohne den Kopf zu wenden.
In seinem Zimmer blieb Severin eine Weile im Finstern. Er f?hlte nach dem Fl?schchen in seiner Tasche, das die W?rme des K?rpers an sich sog und merkte, wie kalt seine H?nde waren. Dann z?ndete er die Kerze an.
Auf seinem Tische lag ein Brief, auf dessen Umschlag die schiefe und l?sterne Hand eines Weibes seinen Namen geschrieben hatte. Ein Bote musste ihn gebracht haben, w?hrend er bei Nikolaus weilte. Er ?ffnete ihn und sah nach der Unterschrift. Und ungelesen hielt er den Brief der blonden Ruschena ?ber die Flamme.
Seitdem Severin das Pulver aus dem Giftschranke seines Freundes an sich genommen hatte, gewann eine unbezwingliche Unruhe ?ber ihn Gewalt. Er war jetzt wieder ganz allein und verkehrte mit niemandem mehr. Er ging nicht zu Nikolaus, und mit dem alten Lazarus war er schon seit Wochen nicht mehr beisammen gewesen. Zum letzten Male hatte er ihn an jenem Tage gesehen, wo er den Buchh?ndler auf der Strasse getroffen und mit ihm in das Atelier des Doktor Konrad gegangen war. Von Susanna h?rte er nichts mehr. Seit dem Abende im Herbst, wo sie ihn von einer pl?tzlichen Flamme entlodert, in ihr Zimmer gef?hrt, war er ohne Nachricht von ihr. Er hielt sich mit Absicht von dem Laden ihres Vaters fern, der spielerischen Vorliebe gem?ss, die er f?r halbe und unausgeglichene Ereignisse besass. Er f?rchtete sich, die Erinnerung an die J?din durch eine gew?hnliche Folge zu verflachen und ihr den Reiz zu nehmen. Ihm dr?ngten sich die unklaren W?nsche eines Geniessers auf, der es zuwege brachte, ein Zuschauer des eigenen Lebens zu sein. Es kam ihm gelegen, dass Susanna keinen Versuch machte, zu ihm zu gelangen; mit Karla und Zdenka hatte er abgeschlossen. Eine zitternde Sehnsucht bohrte best?ndig in seinem verworrenen Herzen. Wenn er jetzt am Nachmittage aus der Kanzlei nach Hause kam, legte er sich wieder wie fr?her zu einem stumpfen und stundenlangen Schlafe nieder. In der Nacht lag er dann wach in seinem Bette und sah mit offenen Augen in die Dunkelheit. Er z?hlte die Stundenschl?ge der Uhr hinter der Mauer der Nachbarswohnung und wehrte sich gegen die Angst, die ihn befiel. Am Morgen ging er mit ger?nderten Lidern in sein Bureau.
Es kam auch vor, dass er mitten in der Nacht aufstand und sich ankleiden musste. Es litt ihn nicht l?nger in dem zerw?hlten Bett, in dem niedrigen und langen Zimmer, aus dem die Finsternis sich nur z?gernd entfernte, wo es noch dunkel war, w?hrend draussen schon die Fr?hstreifen ?ber den Himmel gingen. Oft schloss er in der zweiten oder dritten Stunde nach Mitternacht die T?re seiner Wohnung hinter sich zu und tappte die schwarzen Treppen hinunter zur Strasse. Die Stadt, die er sonst tags?ber oder in den Abendstunden kreuz und quer durchstreift hatte, erhielt eine ungekannte und scheue Macht ?ber ihn. Sie zerrte ihn aus schreckhaften Tr?umen in ihren Schoss. Dann ging er frierend, die verkohlte Zigarette zwischen den Lippen, an den schlafenden H?usern vorbei, sah in die sp?ten Lichter einsamer Fenster hinein und horchte auf den Gesang der heimkehrenden Schw?rmer und auf den schweren Schritt der Schutzleute. Fr?her war er auch h?ufig mit weinheissen Augen und ermattet vom L?rm in den Kneipen in den Nachtstunden nach Hause gegangen. Nun merkte er erst den Unterschied. Seine Sinne waren hell und wachsam; er sah, wie die Nacht alle Dinge ver?nderte, dass sie ein zweites und anderes Leben als am Tage lebten. Er sah, wie sie aus n?chternen und kahlen Pl?tzen melancholische Landschaften machte, aus engen Gassen feuchtwandige Burgverliesse. Seine Unrast trieb ihn bis zu der ?ussersten Grenze der Vorst?dte, wo die Zinskasernen in endloser Reihe hintereinander standen, in das f?nfte Viertel, in dessen langweilig modernen Strassen man sich bei Lichte verirrte. Hie und da krochen noch ein paar Tr?mmer der alten Judenstadt aus dem Dunkel hervor, das Kloster der barmherzigen Br?der schob seinen ungeheuern Rumpf gegen die nachr?ckenden Neubauten, an denen noch die Ger?ste hingen. Am Ufer des Frantischek brannten nur ein paar vereinzelte Lampen, und das Wasser des Flusses schlug schwer und gleichm?ssig gegen die Br?cke.
In den Nachtlokalen spielten die Musikanten auf den heiseren Violinen. Severin blieb vor den tr?ben Scheiben stehen und sp?hte zwischen den Fenstervorh?ngen ins Innere. Er h?rte die Billardkugeln auf den gr?nen Brettern aneinanderschlagen und das Klappern des B?fettgeschirres. Wenn sich die T?re ?ffnete, kam der fade Geruch der Fr?hsuppe auf die Strasse. Der Winter war kalt, und Severin dr?ckte die H?nde mit den schmerzenden Gelenken in die Tasche. Zuweilen ging er auch zu der Musik hinein. Dann liess er sich einen brennenden Punsch bringen und hielt die Finger ?ber die blaue Flamme. Der abgestandene Zigarrenrauch beizte ihm die Augen, aber die W?rme tat ihm wohl.
Es waren zumeist immer dieselben Lokale, in denen sich Severin vor der K?lte versteckte, der >>Weisse Kranz<< auf dem Obstmarkte, wo die G?ste den Kopf auf die ?berschlagenen Arme legten und bei den Tischen schliefen, die >>Falte<< in der Kleinen Karlsgasse, wo er oft stundenlang der einzige Besucher blieb, oder das russische Kaffeehaus an der Grenze zwischen Prag und Weinberge, wo die s?dslawischen Studenten verkehrten. Er kannte das alles noch von fr?her her, als er in den N?chten den Abenteuern nachgegangen war. Jetzt sass er fremd und erwartungslos in dieser Welt, die ihm unwirklich und automatenhaft erschien, in den Spelunken, wo die sch?bigen Reste der Lustigkeit an der eigenen Stumpfheit erloschen, in den Kaffeesalons, wo die B?nke mit rotem Samt gepolstert waren und wo die G?ste wie Kellnerburschen und die Kellner wie Lebem?nner aussahen. Er musste ?ber sich selber l?cheln, dass er hier einmal den Hunger der Seele zu stillen gedachte. Jahre waren seitdem vergangen und es hatte sich nichts gewandelt in ihm. Nur bitterer, eigensinniger und verstockter war er inzwischen geworden. Seine ?bern?chtige Erregung hatte nichts Gemeinsames mit dem l?ssigen Taumel um ihn her, und die Starrheit, die ihn l?hmte, war eine andere als die auf den Gesichtern der Kokotten, die sich an den Marmortischchen r?kelten oder zu ihm kamen und um ein Glas Tee zu betteln begannen. Er wusste es nicht, wie lange er sich nun schon in den N?chten in der Stadt herumtrieb und in den Wirtsstuben lungerte, die bis zum Morgen ge?ffnet hielten. Aber er f?hlte, dass er im Kreise um einen Punkt herumging wie ein angepflocktes Tier an der Kette. Mit einem ohnm?chtigen Grauen tastete er ?ber sein Kleid, wo er das Giftfl?schchen aufbewahrte. Als einmal die Winterfr?he nach einer durchwachten Nacht in den Strassen d?mmerte, ging er zu Nikolaus.
Es war noch sehr zeitlich am Morgen, als die T?rklingel hastig und verdrossen durch den Flurgang t?nte. Nikolaus lag noch zu Bett und empfing den Besucher mit unverhohlenem Staunen. Aber als er in das verfallene, von Schatten durchfurchte Gesicht Severins blickte, gab er ihm die Hand.
Nikolaus schlief in einem Boudoir. Sein erlesener Geschmack hatte die hundert Dinge einer k?nstlerischen Kultur in dem Raume zusammengetragen, der eher dem ?ppigen Nest einer Kurtisane als dem Schlafzimmer eines Junggesellen glich. Eine silberne Ampel hing von der Decke herab, in der das Licht hinter honigfarbenen Gl?sern glomm. Auf den St?hlen und den niedrigen Tischchen leuchteten die schweren Farben der Seide und des Brokat. Statuetten aus dunkler Bronze, Sandelholzb?chsen und japanische Lackmalereien standen neben zierlichen Gl?sern und Schatullen, neben Messkelchen und asiatischen Nippes, und ein grosser, vom Alter geschw?rzter Leuchter hielt sieben dicke und feierliche Kerzen in seinen Armen. Durch das gotische Muster des Vorhangs fiel der erste und trostlose Schimmer des Wintertages. Severins Augen gingen durch das Gemach, ?ber die matten Linien der Tapete zu der Stelle, wo Nikolaus halbaufgerichtet in seinem goldenen Bette sass. Es war ein Ausdruck in ihnen, als ob sie sich nicht zurechtfinden k?nnten in der Umgebung, in der schw?len und gediegenen Sch?nheit, die sie schm?ckte. Es war ein Schrei, mit dem er die Hand erfasste, die Nikolaus ihm bot. Alle Not, alle Gequ?ltheit offenbarte sich in seiner Stimme. Er lag vor dem Bette des J?nglings und hatte den Kopf in die Kissen gew?hlt.
Nikolaus -- schrie er -- wie war das, -- -- als Sie damals Ihren Freund get?tet hatten -- -- -- -- -- --
Nikolaus sah zu ihm nieder, wie sein K?rper in einem namenlosen Krampf sich streckte. Ein Schrecken stieg mit dem Blute in sein Gesicht. Er hob den Arm und hielt ihn in die H?he und seine Finger spreizten sich. Es war eine grosse, mitleidige Trauer, mit der er immer von neuem den Namen des andern rief:
Severin! Severin!
Doktor Konrad war tot. Nach einer laut verl?rmten Nacht, die seine G?ste zum letzten Male bei ihm vereinigte, hatte er sich eine Kugel in den Kopf geschossen. Mit der ungef?hren Sinnlosigkeit, die in seinem Leben gewesen, war auch das Sterben zu ihm gekommen. Er lag auf dem Boden neben dem t?rkischen Sofa zwischen zerbrochenen Gl?sern und versch?tteter Zigarrenasche, die noch feucht vom vergossenen Wein war. Aus einer kleinen Schl?fenwunde rann das Blut auf die Parketten. In dieser Nacht hatte er den letzten Rest seines Verm?gens ausgegeben. Als die G?ste gegangen waren, schoss er sich tot.
Es war eine bunt zusammengew?rfelte Gruppe von Trauernden, die ihm die letzte Ehre gab. Junge Akademiker in abgeschabten ?berziehern, die frostroten H?nde in den Taschen vergraben. Sie blickten mit aufrichtiger Teilnahme auf den Sarg vor ihnen. Der, den sie heute zum Grabe geleiteten, hatte immer eine offene Hand f?r sie gehabt. Bummler mit K?nstlerh?ten und verwahrlosten Gesichtern. D?mchen mit enganliegenden R?cken, die beim Gehen die Beine sehen liessen. Elegante Frauen mit Pelz und ungeheuern M?ffen, und Herren mit sorgf?ltig geb?gelten Zylinderh?ten, die sich kokett in der modischen Taille ihrer Winterr?cke wiegten. Die blonde Ruschena ging hinter dem Leichenwagen. Severin war auf sie zugetreten und dr?ckte ihr schweigend die Hand. Sie antwortete mit einem b?sen und flackernden Blick, aber sie sagte nichts. Ihr glattes, ein wenig zu sehr gepudertes Gesicht liess nichts davon erraten, dass sie dem Toten mehr gewesen, als die ?brigen. Severin forschte in ihren Augen, aber sie wandte den Kopf zur Seite.
Neben einem grossen Menschen mit schmalen Lippen ging Karla. Ihre hohe Figur war wom?glich noch schlanker geworden und sie hielt sich ein wenig vorn?ber geneigt. Der weite Mantel schlotterte um ihren K?rper und sie ging mit unsichern und schleppenden Schritten, ohne die hochm?tige Anmut, die Severin an ihr kannte. Ihr Gesicht war alt und straff geworden in den wenigen Wochen, seit er ihr auf der Treppe begegnet war. Und er konnte es nicht unterscheiden, ob die Farbe ihrer Wangen von der K?lte oder der Schminke herr?hrte. Vor dem Museum in der H?he des Wenzelsplatzes stockte der Zug. Der Priester nahm die Einsegnung vor und die Schar der Teilnehmer verlief sich. Nur die n?chsten Bekannten folgten dem Sargwagen im Fiaker auf den Friedhof.
Auch Severin fuhr mit den andern. Er wischte mit dem Handschuh den Hauch von den Fenstern, der an den R?ndern der Scheibe sich langsam zu Eis zu verkrusten begann. Draussen sah er die Wolschaner Strasse mit ihrem tr?ben und einf?rmigen Panorama. Seit seiner Kindheit war er bei keinem Begr?bnis gewesen. Er erinnerte sich, wie damals der Wagen, in dem er mit seinen Eltern sass, in einen Trupp tschechischer Demonstranten geraten war. Sie hatten auf dem Kirchhofe einen ihrer M?rtyrer bestattet und kehrten nun nach Hause. Ein von tausend Stimmen gesungenes Kampflied kam drohend mit ihnen des Weges, dass die Pferde sich b?umten und zitternd stehen blieben. Severin dachte an die wundersch?ne, mit Andacht und Grausen vermischte Angst, die ihn damals umklammert hatte und horchte auf das Rollen der R?der.
Es war beinahe schon dunkel, als er draussen vor dem Tore des Friedhofs ausstieg. Er stand neben Karla, als die gefrorene Erde in die Grube rollte und polternd auf den Sarg aufschlug. Erst jetzt in der N?he bemerkte er, wie verbraucht und gelb ihr Gesicht aussah. Die Schminke lag in kreisrunden Flecken darauf und ihre sch?ne Stirne war welk und traurig. Und hier auf dem Friedhofe neben dem offenen Grabe erkannte er ihr Geschick; wie sie aus einem Schmerz in den n?chsten und aus einer Liebe in die andere geriet. Sie zuckte zusammen, als er mit den Augen nach dem grossen Menschen wies, neben dem sie heute unter den Leuten gegangen war. Leise und weich, wie man mit einem Kinde redet, fragte er sie:
Der da ists? --
Ja -- sagte sie einfach und nickte nur.
Severin kehrte zu Fusse in die Stadt zur?ck. Er hatte den Kutscher entlohnt und verliess als Letzter den Friedhof, als die ?brigen alle schon gegangen waren. Das bleiche Violett des Sp?tnachmittages lagerte ?ber den Feldern und aus der Ferne kam das ged?mpfte Brausen eines Eisenbahnzuges. Hie und da stand ein Baum am Rande der Strasse und streckte die nackten ?ste gegen den tr?ben Himmel. Der aufsteigende Abend spann langgedehnte Schatten und aus dem R?benacker stieg der Nebel auf. Die Spatzen flogen ?ber den Weg und flatterten wie grosse und schwarze V?gel in der D?mmerung. Die elektrische Strassenbahn fuhr mit gelben Augen vor?ber und in der Stadt entz?ndeten sich die Lichter. Severin dachte an Konrads Tod. Ein lahmer und l?cherlicher Gedanke hockte in seinem Gehirn, der ihn nicht losliess und dem er nachsinnen musste. Er stellte sich das Antlitz des Mannes vor, den sie dr?ben gerade begraben hatten, wie es unter dem Sargdeckel in der Erde lag. Ein Schauer strich leise ?ber seine Haut, fr?stelnd, wie die Wolken am Horizonte. Er pr?fte den Pulsschlag in seinen Handgelenken; aber er hatte gar keine Furcht. In der Weite rollten sich weisse Gestalten zusammen, aber er wusste, es war nur der Winterdunst. Die ersten H?user der Weinberge l?sten sich aus dem Grau. Er sah noch einmal den Weg zur?ck. Die Luft hing schlaff und reglos vom Himmel und der Frost hatte zugenommen. Aus den Schaufenstern der Kaufmannsgesch?fte fiel schon der Lampenschein auf den Gehsteig der Vorstadtstrassen.
Vor der T?r eines Pferdeschl?chters blieb Severin stehen. Ein warmer Blutgeruch schlug ihm entgegen und der Ekel sch?ttelte ihn. Zwei M?nner mit aufgestreiften Rock?rmeln trugen eine Sch?ssel vorbei, aus der ein feuchter Dampf aufstieg und sich widerlich mit der K?lte vermengte. Severin kn?pfte bed?chtig seine Handschuhe zu, bevor er die Finger auf den schmutzigen T?rgriff legte. Ein breitschultriger Mann mit roten Haaren sah ihn misstrauisch an, als er f?r ein paar Kreuzer ein St?ck Fleisch verlangte. In Zeitungspapier eingeschlagen trug er ein weiches und klebriges B?ndel aus dem Laden. Beim Licht einer Strassenlaterne l?ste er vorsichtig die Schnur und ?ffnete es. Er nahm das Giftfl?schchen aus der Tasche seines Rockes und sch?ttete den Inhalt auf das Fleisch; aufmerksam sah er zu, wie der feine und trockene Staub zwischen den blutigen Fasern gl?nzte.
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