Read Ebook: Die Welt im Kinderköpfchen by Siebe Josephine Pr Fer Johannes Editor
Font size:
Background color:
Text color:
Add to tbrJar First Page Next Page
Ebook has 312 lines and 14687 words, and 7 pages
Editor: Dr. Johannes Pr?fer
Deutsche Elternb?cherei
Herausgegeben von Dr. Johannes Pr?fer
Heft 40
Die Welt im Kinderk?pfchen
Von
Josephine Siebe
Verlag und Druck von B. G. Teubner ? Leipzig ? Berlin 1919
Alle Rechte, einschliesslich des ?bersetzungsrechts, vorbehalten.
Frau Dr. Henriette Goldschmidt
in verehrender Liebe zugeeignet
Inhalt.
Seite Erste Schritte 3
Aus dem Tagebuch einer Mutter 6
Peters Reise in die weite Welt 8
Die grosse Verf?hrerin 12
Hansels Liebe 17
Die Fahrt nach Sch?nblick 19
Pusteblumen 25
Der Brief an den lieben Gott 28
Ein Schl?ssel zum Himmel 32
Einleitung.
Wenn das Kind im M?rchen h?rt, >>er ging bis an das Ende der Welt<<, so scheint ihm das Ziel nicht weiter erstaunlich und der Weg f?r einen M?rchenprinzen schon ergehbar. Denn hinter Stadt, Dorf und Wald, ja vielleicht schon hinter dem Gartenzaun liegt f?r das kleine Kind in seiner Phantasie das Ende der Welt; nahe und doch unendlich weit, weil seinem Welterkennen immer Neues entgegentritt, mit dem es sich erst auseinandersetzen muss. Der Forschungsreisende, der nach langer Fahrt unbekanntes Land erblickt, erlebt im Grunde nichts Wunderbareres als das kleine Kind, das zum ersten Male eine Strasse entlang geht, einen Garten betritt, dem sich eine bisher unbetretene Stube, eine Bodenkammer ?ffnet. Tut das Kind allein seine ersten Schritte und geht etwa bis zu einem Stuhl, so ist ihm der Stuhl im Augenblick Weltgrenze und Ziel. Doch weitet sich f?r das Kind rasch der Weltbegriff. Hinter dem Stuhl liegt die T?re, der Flur kommt, die Treppe, das Haus tut sich auf und Strasse, Hof und Garten dehnen sich vor ihm, neue Gegenst?nde, neue Menschen treten in den Umkreis seines Blickes und jedes Wort, das es h?rt, jede Blume, jedes Insekt, ein Kieselstein, ein Schneckenhaus, eine Regenlache und alles was geht, kommt und f?hrt erweitern des Kindes Weltbild, erweitern es heute namentlich bei dem Grossstadtkind mit be?ngstigender Schnelligkeit; doch auch das Kleinstadtkind, ja selbst das vom Lande, wenn es nicht in v?llig abgelegener Gegend wohnt, lernt im Maschinenzeitalter die Welt ungleich rascher kennen als die Kinder fr?herer Zeiten.
Zum sinnlichen Welterfassen tritt fr?he auch das Streben, sich mit Gott auseinanderzusetzen; freilich, der Himmel, der sich ?ber uns w?lbt mit Sonne, Mond und Sternen, erscheint dem Kinde greifbar nahe, und wie es oftmals begehrt, die lieben kleinen Sterne in seine H?ndchen zu nehmen, es den Mond verlangt und die Sonnenstrahlen fangen will, so nahe, menschlich nahe scheint ihm der liebe Gott zu sein. Der ist ihm meist der gute alte Mann, der irgendwo hinter der blauen Himmelswand sitzt, mit dem es sich abends in seinem Bettchen aussprechen kann, ja mit dem es gelegentlich auch etwas schilt wie jenes kleine M?dchen, das bei einem pl?tzlichen Regenguss auf die frisch geputzten Fenster weisend, mit erhobenem Fingerlein mahnte: >>Na warte nur, lieber Gott, wenn das die Mama sieht.<<
Der Erwachsene hat f?r diesen kindlichen Gottesbegriff leider oft nur ein L?cheln, wie er manchmal auch nur ein L?cheln hat f?r die tausendfachen Fragen der Kinder nach dem Wesen aller Dinge, f?r das dr?ngende, flehende, nie verstummende Warum und doch wollen die Kleinen vom ersten Schritt in die unendliche Welt hinaus, auch wenn diese nur der n?chste Stuhl ist, ernst genommen werden, verstanden sein von den grossen Leuten. So ernst wie der Gelehrte, der am heiligen Born der Weisheit lauschend gr?belt, oder der Forscher, der in nimmersatter Sehnsucht die Welt umschifft. Nur wenn wir versuchen, des Kindes Gedanken nachzudenken, wenn wir im Verkehr mit dem Kinde gleichsam noch einmal schon zur?ckgelegte Wege wiedergehen, uns des eigenen Werdens bewusst werden, dann kann es uns gelingen, einem Kinde gerecht zu werden. Wir m?ssen wieder mit Kindergedanken denken lernen, damit wir anscheinende Torheiten, Unsinn, ja schlimme Fehler als Entwicklungsstufen richtig werten k?nnen.
In den nachfolgenden Bildern aus dem Kleinkinderleben ist versucht worden, das vielgestaltige Welterkennen des Kindes, sein Verh?ltnis zu seiner Umwelt, zur Natur und zu Gott in leisen Umrissen festzuhalten. Nicht als Geschichtchen aus Kindermund etwa m?chten diese kleinen Schattenbilder angesehen werden, sondern als ein Beitrag zu dem grossen Kapitel >>Eltern und Kinder<<, dem die vorliegende Elternb?cherei in allen ihren Erscheinungen dienen will.
Erste Schritte.
>>Unser Traudchen lernt leider so schwer laufen.<<
Die junge Mutter sagte dies immer ein wenig bedr?ckt, denn von einem Erstling verlangt doch die ganze liebe Sippe ein linschen Wunderkindtum; wenn es da mit dem Sprechen und Laufen nicht so flink gehen will, wenn Kleinchen nicht Spuren ganz ungew?hnlicher Fassungsgabe zeigt oder bedeutende Talente verr?t, dann ist das f?r junge Eltern, namentlich wenn der Verwandtenkreis gross ist, immerhin peinlich. Und Traudchen war zwar rund und rosig, es lachte, versuchte sich auch mit wundersamen Lauten in der Redekunst, aber der kleine Ernst von Tante Elli konnte doch alles schon viel besser, und Maiers Lotte erst, die nur um zwei Tage ?lter als Traudchen war, erstaunlich, was die alles leistete!
?berhaupt Maiers Kinder! Gegen die kam so leicht kein Kind auf, und Frau Maier f?llte ihre Besuchsstunden damit aus zu erz?hlen, was ihre Kinder alles sagten, taten, meinten und vermutlich f?hlten und dachten.
Vielleicht achte ich doch nicht genug auf mein Kind, dachte Frau Irma wohl, wenn sie von der fabelhaften Entwicklung der Maierschen Kinder h?rte. Und sie versuchte mit Bitten und sanfter Gewalt das schwerf?llige Kind zum Laufen zu bringen. Traudchen tat dann auch ein paar schwankende ?ngstliche Schritte an der Mutter Hand, doch sobald diese losliess, gab es ein Zetergeschrei, und meist fiel Traudchen einfach hin, heulte und rutschte heulend zu ihrem Spielteppich zur?ck. Alle K?nste versagten. Selbst der Vater, der einmal tatkr?ftig eingriff und der schw?chlichen Muttererziehung nachhelfen wollte, erreichte nichts, ja Frau Irma und Minna, das M?dchen f?r alles, riefen, so j?mmerlich habe Traudchen noch nie geschrien.
Der Arzt erkl?rte Traudchen dabei f?r ein v?llig normales gesundes Kind, er riet zur Geduld und redete l?chelnd von Erstlingssorgen. Ach Geduld, wenn man sein Kindchen doch etwas bewundert sehen m?chte und heimlich, trotz aller Versicherungen des Arztes, doch die Angst im Herzen tr?gt, vielleicht ist das Kindchen nicht ganz gesund, vielleicht bleibt es zur?ck im Wachstum an K?rper und Geist.
Was man f?r Sorgen hat um so ein Kindchen!
>>Man muss es mit Lockmitteln versuchen<<, erkl?rte der Vater. Und er ging hin und kaufte als erstes Lockmittel einen bunten Hampelmann, nach dem Traudchen kreischend griff. Zwei Minuten durfte es damit spielen, dann wurde der Hampelmann an der T?r befestigt und der Vater rief: >>Komm Traudchen, komm, sieh Hampelmann!<<
>>Dada!<< Traudchen griff mit den H?ndchen in die Luft, stellte sich mit Hilfe der Mutter auf ihre Beinchen, doch als die losliess, gab es das ?bliche Zetergeschrei. Plumps! sass Traudchen und dar?ber vergass es den Hampelmann.
Am n?chsten Tag versuchte der Vater es mit einem schwingenden Ball, den l?ste ein Holzpapagei ab, ein schnurrender Blechhahn folgte und jedesmal gab es den gleichen Verlauf. Traudchen freute sich, griff danach, versuchte auch das Gehen, schrie und versuchte schliesslich kriechend ihr Ziel zu erreichen.
Und immer wieder die Frage: >>Kann Traudchen noch nicht laufen?<< -- >>Nein, immer noch nicht!<<
Eines Tages kam Frau Maier, die Mutter der vortrefflichen Kinder, sie kam von einem Einkaufsgang, und da sie sich nicht allein als besondere Mutter, sondern auch als besondere Hausfrau f?hlte, kaufte sie immer besonders billig, und nachdem sie ihr Erstaunen ?ber Traudchens Nichtlaufenk?nnen wortreich ge?ussert hatte, fing sie an, ihre Eink?ufe zu zeigen. Sie hatte im Warenhaus allerlei Tand erstanden, f?r den sie Bewunderung heischte. Darunter war auch ein kleiner feuerroter Milchtopf, der bei dem Auskramen seine Umh?llung verlor, Frau Maier stellte ihn etwas achtlos neben sich auf einen Hocker und vergass ihn ?ber den vielerlei weisen Reden, die zu halten sie sich verpflichtet f?hlte.
Da stand das T?pfchen und die Sonne blinkerte auf ihm herum, vielleicht weil sie nichts anderes zu tun hatte. Denn ein besonderes sch?nes T?pfchen war das kleine feuerrote Jahrmarktdings gerade nicht, keins, das auf Ausstellungen oder in einen Glasschrank geh?rt, aber dem Traudchen gefiel es. >>Dada!<< jauchzte es und patschte in die H?nde.
Dada hatte vielerlei Bedeutung. Die Mutter sah auf, doch da Traudchen ganz vergn?gt an einem Stuhlbein herumkletterte und Frau Maier kein P?uslein in ihrem Redefluss eintreten liess, achtete sie nicht weiter auf die Kleine.
>>Dada!<< Traudchens H?nde griffen in die Luft und ihre Blicke hingen wie gebannt an dem roten T?pfchen. Wenn's nur nicht so weit gewesen w?re!
Traudchen stand auf einmal auf seinen zwei Beinchen und niemand sah es. Und die Kleine vergass das haltgebende Stuhlbein, ihr Eifer, zu dem roten seltsamen Dings zu gelangen, war zu gross. Ein Schrittchen tat es in die grenzenlose Weite der Stube hinein, noch einen. >>Mein Gott, sehen Sie!<< Frau Irma liess Frau Maier nicht Zeit, das notwendige Gew?rz unter den Kuchen zu mischen, dessen geheimnisvolle Zubereitung sie gerade verraten wollte, >>sehen Sie doch, unser Traudchen l?uft. Fritz, Fritz, Minna kommt schnell herein, Traudchen l?uft!<<
Doch ehe die Gerufenen anlangten, hatte Traudchen schon ihr Ziel erreicht und -- es klirrte, platsch lag das rote T?pfchen auf dem Boden.
>>Dada!<< Traudchen sah sich nicht ohne einen gewissen Stolz ?ber das vollbrachte Werk um. >>Dada<<, sie griff nach einem geheimnisvollen P?ckchen, was Frau Maier auch auf den Hocker gelegt hatte, doch die kam ihr zuvor und mit dem entr?steten Ruf: >>mein sch?nes Milchk?nnchen<<, entriss sie Traudchen den neuen Raub.
>>Traudchen l?uft, da vom Stuhl bis hierher ist sie gelaufen!<< Der Vater und Minna bekamen beide das Wunder verk?ndet und Traudchen platschte mit ihren H?ndchen auf den Hocker und kreischte vor Lust.
Frau Maier l?chelte sauers?ss. Nein, so hatte sie sich mit ihren Kindern wirklich nicht angestellt, und nicht einmal ein Wort der Entschuldigung sagten die Eltern. Sie stand auf und erkl?rte, sie m?sste gehen.
>>Ist es nicht entz?ckend, wie sicher das Kind gegangen ist?<< Frau Irma strahlte. Sie schob mit dem Fuss ein wenig die Scherben beiseite und sagte gleichm?tig: >>Morgen bringe ich Ihnen einen andern Topf, liebe Frau Maier. Im Warenhaus gibt es ja noch so viele.<<
Frau Maier kam gar nicht dazu, eine h?fliche Abwehr zu sagen, denn der junge Vater rief eifrig, man m?sste etliche von diesen T?pfen holen, denn es sei immerhin erstaunlich, warum das Kind es gerade darauf abgesehen h?tte und man m?sste untersuchen, ob Farbe oder Form den Anreiz gegeben h?tten.
Frau Irma war das gleichg?ltig. Sie dachte nur: mein Kindchen l?uft, Gott sei Dank, es hat keinen verborgenen Fehler.
Und nach zwei Jahren klagte die junge Mutter: >>Unser Traudchen ist ein Quirl. Nicht zehn Minuten sitzt das Kind still, heute ist es wieder heimlich auf die Strasse gelaufen, wenn es nur nicht so eine Range wird wie Maiers Kinder.<<
Die Sorgen nehmen halt kein Ende!
Add to tbrJar First Page Next Page