Read Ebook: Die Welt im Kinderköpfchen by Siebe Josephine Pr Fer Johannes Editor
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Ebook has 312 lines and 14687 words, and 7 pages
Die Sorgen nehmen halt kein Ende!
Aus dem Tagebuch einer Mutter.
Wirklich, ich bin keine eingebildete Mutter. Ich finde zwar meinen Erstgeborenen ?ber die Massen lieblich, doch das finden andere auch, die beiden Grossm?tter zum Beispiel, aber ich erkenne doch an, dass es noch andere nette Kinder gibt. Wenn freilich mein kleiner Schelm so seinen blonden Kopf an meine Brust lehnt und mich mit seinen dunklen Augen anstrahlt, dann -- ja dann erscheint er mir eben wie ein kleiner Engel.
Doch ganz engelhaft ist er nicht immer. Leider. Er hat einen Dickkopf. Sein Vater sagt, den hat er von mir, ich sage, darin gleicht er ihm.
Neulich kam Tante Berta gerade dazu, als Mutter und Sohn ?ber das Spazierengehen anderer Meinung waren. Etwas laut ging es zu. Das kann ich nicht leugnen. Das S?hnlein trampelte und schrie, die Mutter schalt und weinte. Nein, engelhaft war es wohl nicht. Doch abscheulichen Trotzkopf brauchte Tante Berta den Buben auch nicht zu nennen. Das war zu viel.
Wenn Bubi nur weniger geschrien h?tte! Zum Davonlaufen war es wirklich und Tante Berta lief auch davon. Ich begleitete sie hinaus, ein bisschen heiss und aufgeregt und just da kam unsere Hausgenossin, die Hofr?tin, die Treppe hinauf. Sie sah meine Tr?nen, h?rte Tante Bertas Ermahnungen, strenger zu sein, und da klagte ich ihr meine Not.
Da strich mir die liebe alte Frau sacht ?ber das heisse Gesicht und sagte sanft: >>Ruhe und Geduld braucht es zum Muttersein. Kind, mit Heftigkeit in Strenge und Liebe richtet man wenig aus.<<
>>Ich w?rde den Bengel t?chtig verwichsen<<, rief Tante Berta, die mit festem Schritt die Stiege abw?rts ging.
Wer hatte nun recht?
Still kehrte ich zu meinem kleinen Unband zur?ck. Mit verheultem Gesichtchen sass er in seiner Ecke und knurrte: >>Will nicht spazieren gehen, will nicht gehen!<<
Ich schwieg. >>Ruhe und Geduld<< klang's in mir nach. Zwang ich ihn jetzt, begann wohl das Geschrei von neuem. Ich setzte mich also an meinen Schreibtisch und begann meine Wirtschaftsrechnung.
Auf einmal kam aus Bubis Ecke ein Seufzerlein.
Ich rechnete weiter -- wieder ein Seufzer!
Nun war er still, dann klang es zaghaft: >>Mutti!<<
Mein Kopf machte eine halbe Wendung. Nein noch war es nicht Zeit. Ich rechnete krampfhaft 15 und 37 sind 74 -- oh welche n?rrischen Summen kamen heraus!
Wieder ein Seufzerlein. Es raschelte. Trapp trapp kam's daher, und dann huschelte es sich weich und warm an mich an und flehend und ach so kl?glich klang es: >>Mutti -- Mutti!<<
Rasch wollte ich den lieben unn?tzen Schelm an mich ziehen und ihn t?chtig abk?ssen, als mir der alten Frau Mahnung einfiel: >>Mit Heftigkeit in Strenge und Liebe richtet man wenig aus.<< Ich streichelte also nur linde meinen Trotzkopf und fragte gelassen: >>Warum hast du denn keine Lust zum Spazierengehen?<<
>>Weil -- weil ich doch in der Eisenbahn sasste und weil ich doch Schaffner war und weil -- weil ich doch nach Berlin fahrte!<<
Also im Spiel hatte ich ihn gest?rt, das war's. Herausgerissen aus seinem heiteren bunten Phantasieland hatte ich ihn.
Ich sagte ganz ernsthaft: >>Schau, Bubi, nun bist du doch einmal ausgestiegen, da kannst du ja auch spazieren gehen. Wenn du heimkommst, f?hrst du dann weiter!<< -- >>Hm!<<
>>Marie, bringen Sie Bubis Mantel, wir gehen jetzt spazieren.<<
Und er ging mit. Erst etwas m?rrisch, dann so froh wie immer.
Mein -- ich muss es leider gestehen -- erster Sieg.
Doch ich hoffe mehr zu erringen. Ruhe und Geduld, ich will immer daran denken und auch daran, meinen Buben nicht zu rasch aus seinem Spiel zu reissen. Ich werde ja selbst ?rgerlich, wenn man mich gedankenlos in meiner Arbeit st?rt, und dem Kinde ist das Spiel Arbeit, Bet?tigung, f?r die es ganz unbewusst von den Erwachsenen Verst?ndnis fordert.
Was ist das, Bubi schreit nebenan! Ganz aufgeregt klingt seine Stimme. >>Marie, Marie, Sie gehen ins Wasser.<< -- >>Ih nee!<< brummt Marie und schlurft aus dem Zimmer.
Ich gehe hin?ber. Da sitzt Bubi auf einem Kissen auf dem Fussboden und ruft mir gl?ckselig zu: >>Ich bin Schiff, Mutti, fall nicht ins Wasser!<<
Nein, ich will nicht in das rinnende klare Traumw?sserlein treten, auf dem er so selig dahinf?hrt, wie der Schiffer auf dem blauen Meer der Insel des Gl?cks zuschifft.
Peters Reise in die weite Welt.
Wenn ein kleiner Peter H?slein tr?gt mit Taschen darin und vier Jahre alt ist, dann kann er schon in die weite Welt reisen. Nur die Unvernunft der grossen Leute sieht das nicht ein.
Ach, die grossen Leute! Man hat es manchmal schwer mit ihnen, wenn man selbst noch nicht zu ihnen geh?rt. Da sagt zum Beispiel der Vater an einem sch?nen lichten Sommertag ganz ungew?hnlich streng: >>Peterle, wenn du wieder wie gestern die Kaninchen aus dem Stall l?sst, dann gibt es Haue, merke es dir!<<
Peter hat heute gar nicht an die Kaninchen gedacht, aber nun l?uft er schnell zum Stall, nat?rlich nur, um den Kaninchen ihr Schicksal zu verk?nden. Er redet mit den geliebten Schnupperchens und denkt nicht daran, die kleine Stallt?re zu ?ffnen. Bewahre. Wenn nur das weisse Kaninchen, sein besonderer Liebling, nicht so eindringlich bitten m?chte. Peter nimmt dies beharrliche Am-Gitter-Sitzen f?r eine sehr flehende Bitte, und er redet dem Weissling betr?bt zu: >>Musst drin bleiben!<<
Aber da hopst ein gelbes heran, auch ein schwarzes n?hert sich, alle sehen Peter so bittend an, und auf einmal, Peter weiss selbst nicht, wie es geschehen konnte, ist das T?rlein auf, und husch, husch! laufen die Kaninchen in den Garten, in den sch?nen gepflegten Garten.
Wer soll sie nun wieder einfangen?
Peter weiss gleich, das kann er nicht. Vorgestern hat er die Ausreisser heulend gejagt, aber keines ergriffen, und dazu f?llt ihm noch des Vaters Drohung ein. Und Vater spasst nicht.
Peter rennt durch den Garten, dahin, dorthin. Dabei kommt er an das Ausgangstor, ein Sp?ltchen steht es auf, man kann gut hinausschl?pfen. Ausreissen, wie die Kaninchen ausgerissen sind, in die weite Welt hinauslaufen!
Peter denkt es nicht, er f?hlt es nur halb unbewusst, und pl?tzlich steht er draussen auf der Strasse. Zum erstenmal allein. Peterle ist ein wohlbeh?tetes Kind, immer geht er sonst nur mit den Eltern oder mit Fr?ulein spazieren und immer nur in den G?ngen des nahen Parkes, er kennt nur die Strasse, in der seines Vaters Villa liegt, und die nachbarliche, in der die Grosseltern wohnen, nicht jene Strassen, in denen die H?user dicht gedr?ngt stehen, himmelhoch aufgebaut. Und doch braucht man nur ein paar Schritte zu gehen, und schon l?uft so eine lange H?userzeile dahin, eine Strasse voll Leben. Wagen fahren, Menschen hasten sie entlang und Kinder spielen auf ihr, immer zu jeder Tageszeit, viele, viele Kinder.
So viele Kinder hat Peter noch gar nicht gesehen. Wenn nun einer in die weite Welt reisen will und nicht fahren kann, dann muss er laufen, und Peterle l?uft, ein bisschen Angst, erwischt zu werden, ist auch dabei, also rennt er trapp trapp die Strasse entlang, und so eilig hat er es, dass er eine dumme Bordschwelle nicht sieht, er stolpert und pardauz! gibt es den ersten Aufenthalt auf der Reise in die weite Welt hinaus.
Wenn Peter daheim f?llt, dann heult er, bis man ihn aufhebt, ihn tr?stet, ihm einen Leckerbissen verspricht, und darum heult er jetzt auch, heult j?mmerlich, aber -- es hebt ihn niemand auf. Nur eine d?nne schrille Stimme schreit ihn an: >>Biste gefall'n?<<
Es ist, als ob diese Stimme den Kleinen in die H?he zieht, er steht auf und sieht sich h?chst verwundert um, da steht ein M?del, etwas gr?sser als er, die sieht ihn sp?ttisch an und fragt h?hnisch: >>Haste dich dreckig gemacht?<<
Dass die weissen H?slein schmutzig sind, bek?mmert Peter nicht weiter, denn daheim liegen noch viele saubere weisse H?slein, er sieht nur die Fragerin, wie ein Weltwunder starrt er sie an. Sie tr?gt ein verschlissenes Kleid, im schwarzen Wuschelkopf brennt ein rotes B?ndchen und in den festen braunen H?ndchen h?lt sie eine unglaublich dicke Schnitte, deren Musbelag seine Spuren dem ganzen Gesichtchen aufgedr?ckt hat.
>>Willste mal beissen?<<
Peter isst zu Hause nicht alles, was man ihm reicht, aber in die dicke Schnitte beisst er herzhaft hinein, und w?hrend er kaut und schluckt und auch ein Musb?rtlein bekommt, sagt die Spenderin: >>Ich heisse Mine, wie heiste denn?<<
Peter gurgelt seinen Namen heraus, und die Freundschaft ist geschlossen. Mine pflegt schnell Freundschaften zu schliessen, und weil weder Guste noch Marie, Liese, Otto, Fritze und Paul just auf der Strasse sind, um mit ihr zu spielen, kommt ihr der kleine Weltreisende gerade recht. Sie fragt: >>Wo kommste denn her?<<
Peter weiss nicht, wo seines Vaters Haus liegt, er ahnt aber dumpf, Mine w?rde Verst?ndnis haben f?r seine Reise in die weite Welt. Er erz?hlt. Nicht ganz so zungenschnell, wie Mine redet, aber die versteht ihn gut, sie nickt und antwortet beif?llig: >>Wenn ich Haue kriegen soll, reiss ich immer aus. Vater haut so sehr. Woll'n mer Himmel und H?lle spielen?<<
Peter kennt das Spiel nicht, und Mine nennt ihn ohne viel Umst?nde dumm, sie sieht ihn etwas ver?chtlich an, aber sein weisser Anzug, seine wohlgepflegte Niedlichkeit vers?hnen sie doch wieder, und sie nimmt den kleinen Ausreisser gn?dig als Lehrling an. Und dann kommen Guste und Marie, Fritz und Paul gesellen sich dazu, und alle blicken halb misstrauisch, halb verlegen den >>feinen Neuen<< an. Doch Mine erkl?rt, und das Zauberwort: >>Er ist ausgerissen<< bef?rdert das Vertrauen; Peter darf mittun.
Sie spielen auf der Strasse. Peter hat es noch nicht geahnt, welche wunderbaren Spiele es gibt. Himmel und H?lle ist bald abgetan, Feuerwehr wird gespielt und Schutzmann. Paul mimt zur johlenden Freude der anderen einen Betrunkenen, so wie gestern einer auf der Strasse herumgetorkelt ist. Er schimpft wie der Betrunkene, st?sst Worte aus, die Peter noch nie geh?rt hat, aber die er sich flinker merkt als die Verslein in seinen Bilderb?chern, die Fr?ulein ihm manchmal vorsagt. Fritz ist ein sehr schneidiger Schutzmann, die M?dels kreischen, und Peter kreischt mit. Er findet das Spiel so k?stlich wie noch keins zuvor, und er vergisst dar?ber den Garten, die entlaufenen Kaninchen, alles; er ist draussen in der weiten, unbekannten Welt, und er geniesst sein erstes Abenteuer mit vollen Z?gen. --
In Peters Elternhaus ist die Sorge wach geworden.
Fr?ulein hat des Kleinen Verschwinden zuerst entdeckt. Sie meint, er habe sich versteckt, und sie sucht ihn, erst l?ssig mal seinen Namen rufend, dann besorgter, aufgeregter; sie l?uft mit ihrer Angst zu den anderen Hausbewohnern und zuletzt sind alle auf der Suche nach dem Ausreisser. Sie rennen auf die Strasse, fragen da und dort, niemand hat Peter gesehen, und die Mutter weint verzweifelt; sie sieht ihr Kind bereits ?berfahren, verschleppt, sie ruft nach ihrem Mann, nach der Polizei. Der Fernsprecher klingelt, und als die Aufregung auf das h?chste gestiegen ist, erscheint Fr?ulein mit dem heulenden widerborstigen Peter. Er sieht schmutzig und erhitzt aus, dass er seine Weltreise so schnell aufgeben musste, bereitet ihm offenbar wenig Vergn?gen.
Mit Strassenkindern hat er gespielt. Unglaublich!
Die Mutter ist entsetzt, Fr?ulein ist entsetzt, und die M?dchen stellen sich an, als w?re ein goldenes Kr?nlein in einen tiefen Brunnen gefallen.
Der Vater lacht. Doch er ist ein Mann der Tat und vergisst nicht, sein v?terliches Wort einzul?sen. Diesmal hilft kein Bitten der Mutter, nicht Fr?uleins Tr?nenstr?me. Vater und Sohn reden eindringlich und recht unangenehm miteinander, und zuletzt sagt der Vater stolz auf seine Erziehungskunst: >>So, das Ausreissen habe ich ihm gr?ndlich ausgetrieben.<<
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