bell notificationshomepageloginedit profileclubsdmBox

Read Ebook: Poems by Manning Frederic

More about this book

Font size:

Background color:

Text color:

Add to tbrJar First Page Next Page

Ebook has 219 lines and 17959 words, and 5 pages

Sammlung abenteuerlicher Geschichten Band 3:

Schwitzky / Das Geheimnis der Gioconda

Das Geheimnis der Gioconda

Das Tagebuch des Diebes

Herausgegeben von Ernst B. Schwitzky

Delphin-Verlag / M?nchen

Copyright 1914 by Delphin-Verlag / M?nchen

Vorwort

Die Papiere, die hier ver?ffentlicht werden, sind auf eine so eigent?mliche Weise in meinen Besitz gelangt, dass ich mich veranlasst sehe, dar?ber Rechenschaft abzulegen. Ich lernte zu Anfang des vergangenen Sommers, also etwa dreiviertel Jahre nach dem Verschwinden der Gioconda aus dem Louvre, in einem Kopenhagener Hotel einen Herrn kennen, der sich mir unter dem japanisch klingenden Namen DACO-NOGI vorstellte. Dieser Herr, den ich, wie die Dinge nun einmal liegen, f?r den Autor des hier ver?ffentlichten Tagebuchs halten muss, besass, ohne von mir irgendwie dazu aufgefordert worden zu sein, die grosse Liebensw?rdigkeit, w?hrend meines Aufenthalts in Kopenhagen mein Fremdenf?hrer zu sein und sich meiner in jeder erdenklichen Weise anzunehmen. Er schien ein ganz besonderes Vergn?gen daran zu finden, mir die mannigfaltigen Sch?nheiten Kopenhagens, das er ausserordentlich liebte, zu zeigen und wenn ich in der kurzen Zeit von etwa zehn Tagen, so ziemlich alles gesehen habe, was Kopenhagen Sehenswertes besitzt, so verdanke ich das lediglich meinem F?hrer und seiner oft erstaunlichen Ortskenntnis. Er war selbst kein D?ne, sondern nach der Klangfarbe seiner Sprache zu urteilen ein Deutscher, aus den rhein-mainischen Gegenden. Aus den Gespr?chen ging hervor, dass er seit Jahren auf Reisen war, China, Japan, die Vereinigten Staaten, S?damerika, Indien genau kannte und sich sowohl in den K?stenl?ndern, wie im Innern Afrikas l?ngere Zeit aufgehalten hatte. Niemals jedoch konnte ich erfahren, zu welchem Zweck diese Reisen unternommen worden waren, und obgleich Herr DACO-NOGI so gar nicht das Aussehen eines Globetrotters hatte, sah ich mich zuletzt doch gezwungen, anzunehmen, dass er lediglich zu seinem Vergn?gen gereist war. ?brigens sprach er ausserordentlich selten von sich. Dagegen fiel es mir bald auf, wie intensiv ihn das Leben anderer besch?ftigte, gleichviel, ob es das eines Kohlentr?gers war, von dem wir im Vor?bergehen zwei oder drei Worte aufgefangen hatten, oder das eines Ministers, dessen Rede uns durch die Zeitungen bekannt wurde. Es wird von Balzac erz?hlt, dass er oft in der Lebhaftigkeit seiner Phantasie von den Gestalten seiner Einbildung wie von lebenden Personen sprach und seine Freunde dadurch in Erstaunen setzte, dass er ihnen von den Schicksalen der Eugenie Graudet und des Vater Goriot erz?hlte, als handle es sich um Menschen, die jeden Augenblick selbst eintreten und sprechen k?nnten. In ?hnlicher Weise ?berraschte mich oft Herr DACO-NOGI, wenn er pl?tzlich ohne jeden erkennbaren Anlass aus dem Leben von Personen erz?hlte, von denen er weder wusste, was sie waren, noch wie sie hiessen. Wie intensiv und ausserordentlich diese Besch?ftigung mit dem Leben anderer war, davon ?berzeugte ich mich zuerst an mehreren Bemerkungen, die er im Verlauf des Gespr?chs ?ber mich und meine Verh?ltnisse machte. Mehrere Male ?berraschte er mich n?mlich durch die Kenntnis von Tatsachen aus meinem Leben, von denen ich bestimmt wusste, dass ich sie ihm nicht mitgeteilt hatte. Das erstemal als er pl?tzlich von meiner Schwester sprach, konnte ich noch glauben, es sei Zufall und ich mass der Sache weiter keine Wichtigkeit bei. Aber noch am selben Tage gab er mir ganz unvermutet einen Rat, der die Kenntnis h?chst komplizierter pers?nlicher und finanzieller Verh?ltnisse voraussetzte, deren Intimit?t mich vor dem Eigenverdacht bewahrte, vielleicht davon gesprochen zu haben. Zuerst stand ich vor einem R?tsel, das ich mir nicht im geringsten zu erkl?ren vermochte und ich betrachtete meinen neuen Bekannten mit einer Mischung von Misstrauen und leiser Furcht. Dann aber erhielt ich durch einige Beispiele, die das Leben anderer Personen betrafen, den seltsamen Beweis, dass dieser Mensch in einer geradezu ans Wunderbare grenzenden Art, die F?higkeit besass, aus den unbestimmtesten Redewendungen und den scheinbar unpers?nlichsten Gespr?chen auf Tatsachen und Geschehnisse zur?ckzuschliessen, die einem Menschen mit gew?hnlichem Beobachtungsverm?gen, schlechthin verborgen bleiben m?ssen. Mit dieser ungew?hnlichen F?higkeit erinnerte er mich an die sonderbare Gestalt des Herrn Dupin in den Poeschen Novellen, denn Herr DACO-NOGI besass in Wirklichkeit das ans Fabelhafte grenzende Assoziationsverm?gen jener erdichteten Gestalt. Nur eine ungeheure Beweglichkeit der Phantasie, die selbst die geringf?gigsten Sinneseindr?cke verarbeitete, kann es ihm erm?glicht haben, zu so verbl?ffenden Feststellungen zu kommen, wie sie ihm in meiner Gegenwart gelangen. ?brigens arbeitete dieses fast ?bernat?rlich zu nennende Assoziationsverm?gen, wie die meisten ganz grossen und ?bernormalen F?higkeiten im Menschen, beinahe ganz unbewusst in ihm und er war sich in den allermeisten F?llen auch gar nicht klar dar?ber, irgend etwas erraten zu haben, was zu erraten andern Menschen schlechthin unm?glich gewesen w?re. Nach und nach nahm ich ?brigens wahr, dass es keineswegs eine einfache, ?berm?ssig ausgebildete Assoziationsgabe war, die meinem Bekannten so seltsame Ergebnisse lieferte. Wie sollte es auch durch einfache Assoziationen m?glich sein, Stimmungen, Gef?hle und halbbewusste Empfindungen von Menschen zu erraten, von denen er, wie gesagt, oft nicht mehr als drei Worte geh?rt und die er nur ein einziges Mal gesehen hatte. Es schien mir vielmehr eine Art k?nstlerischen Verm?gens zu sein, das er besass und vielleicht gibt das Wort Einf?hlung den allgemeinsten Begriff von dem, was ich sagen will. Er vermochte sich auch durch den aller geringf?gigsten Anlass etwa so in einen Menschen einzuf?hlen, wie es der Betrachter oder Zuschauer eines Kunstwerkes tut, der damit die Absichten und die Mittel des K?nstlers err?t. Und zwar war die Art der Einf?hlung in ein fremdes Leben so stark, dass sie ihn nicht nur vollkommen beherrschte, sondern ihn auch vollkommen ver?nderte. Oft, w?hrend er sprach, wechselte er seine ganze Haltung und seinen Gesichtsausdruck. Wie ein anderer Mensch wohl seine Rede durch Geb?rden mit den H?nden oder bei lebhafteren Temperamenten auch durch ein bewegliches Mienenspiel zu veranschaulichen sucht, so zwang bei ihm der Gedanke oder das Gef?hl, das er ausdr?cken wollte, den ganzen K?rper in Dienst und ver?nderte alles an ihm. Nichts aber stand sozusagen willenloser unter dieser Kraft der Einf?hlung, wie seine Stimme. Sie war gleichsam diejenige Saite, die die Schwankungen seiner Empfindung am vollendetsten und differenziertesten wiedergab. Sie war nicht nur von einer schier unglaublichen Modulationsf?higkeit, die die leisesten, zartesten und h?rtesten T?ne anklingen liess, nein, sie vermochte geradezu ihren ganzen Charakter zu ver?ndern und oft, wenn ich, die Wirkung dieser Stimme auf mich zu erproben, die Augen schloss, h?tte ich meinen k?nnen, pl?tzlich mit einem ganz anderen, fremden Menschen zu reden.

Am Tage meiner Abreise von Kopenhagen kam Herr DACO-NOGI vormittags auf mein Zimmer, um sich von mir zu verabschieden. Er war im Mantel und Hut, denn er stand selbst gerade im Begriff abzureisen. Unter dem Arm trug er eine kleine Mappe aus dunkelgr?nem Leder, die er bei seinem Eintritt auf dem Garderobenst?nder ablegte. Wir unterhielten uns vielleicht zehn Minuten; es lag mir mehrfach auf der Zunge zu fragen, wohin er reise, aber aus dem Gef?hl heraus, nicht neugierig erscheinen zu wollen, unterliess ich die Frage. Einige Tage vorher hatte er ?brigens davon gesprochen, demn?chst nach Canada gehen zu wollen. Nach zehn Minuten erschien der Hausdiener und meldete das Automobil. Wir verabschiedeten uns kurz und herzlich. Dann, nach einer Stunde etwa, bemerkte ich, dass mein Bekannter die Mappe auf dem Garderobenst?nder hatte liegen lassen. Ich erkundigte mich bei dem Portier, ob Herr DACO-NOGI eine Adresse hinterlassen habe. Es war nicht der Fall. In der Hoffnung vielleicht aus dem Inhalt der Mappe die Adresse des Fremden erfahren zu k?nnen, ?ffnete ich sie mit dem anh?ngenden Schl?ssel. Was ich fand, war nur eine grosse Anzahl d?nner, zerknitterter Bl?tter, die mit einer steilen kritzlichen Schrift bedeckt waren und eine Karte, die an mich gerichtet war und nur die Worte enthielt: Bitte, betrachten Sie diese Mappe und ihren Inhalt als Ihr Eigentum. -- Schon auf der Fahrt von Kopenhagen nach Hamburg habe ich dieses seltsame Schriftst?ck, von dem ich beim fl?chtigen Durchblick bald erkannte, dass es sich auf den Diebstahl der Gioconda bezog, zum erstenmal gelesen. Mein Entschluss, das Manuskript zu ver?ffentlichen, war sofort gefasst. Meine Arbeit dabei ist keine andere gewesen als die einzelnen Bl?tter, die wirr durcheinander lagen, dem Sinne nach zu ordnen und aneinander zu reihen. Ich habe mich nicht f?r berechtigt gehalten, irgendwelche Zus?tze oder auch nur irgendwelche Korrekturen in dem Manuskript anzubringen. Dagegen schien es mir geboten, die Eigennamen der Personen durch freigew?hlte zu ersetzen. Im ?brigen ist das Tagebuch, wie es hier vorliegt, ein wortgetreuer Abdruck des Originals. --

Vielleicht wird es noch interessieren zu wissen, dass der Name DACO-NOGI ein Anagramm ist. Nur durch einen Zufall bin ich darauf gef?hrt worden. Er entsteht durch Buchstabenumstellung aus dem Namen: GIOCONDA.

Im Oktober 1912

Der Herausgeber

Das Tagebuch

Den 5. August 1911. Als ich gestern auf dem Gare de l'Est den Wiener Schnellzug verliess, passierte mir etwas recht Seltsames und wenn man will, R?tselhaftes. Vielleicht ist es auch etwas ganz Nat?rliches, Einfaches und Erkl?rliches. Ich war kaum aus dem Zuge gestiegen, als meine Aufmerksamkeit auf einen Reisenden gelenkt wurde, der eben offenbar auch ausgestiegen war und den Perron hinuntereilte. Er war etwa f?nfzig Schritte von mir entfernt. Ich glaube, er fiel mir nur durch seinen eigent?mlich hellgelben Mantel und seinen hastigen Schritt auf, der etwas Unrhythmisches und Konfuses hatte.

Warum lief ich diesem Herrn eigentlich sofort nach?

Ich habe seit gestern dar?ber nachgedacht und weiss es doch nicht. Aber eigentlich, was ist denn so Unerkl?rliches daran? Warum soll ein Reisender wie ich es bin, ein Mensch, der lediglich zu seinem Vergn?gen, na -- Vergn?gen? -- also ein Mensch, der nur reist, um zu reisen, der nichts zu tun hat, gehen und kommen kann, wann und wie und wo er will -- warum sollte er nicht pl?tzlich auf den Einfall kommen, auf dem Gare de l'Est in Paris hinter einem Herrn mit einem hellgelben Mantel und einem unrhythmischen Gang herzulaufen?

Wenn ich es allerdings recht bedenke, so scheint es mir doch wieder seltsam oder zum mindesten auff?llig. Denn ich liebe das Unrhythmische keineswegs. Ich gehe ihm sonst aus dem Wege, wo ich kann. Ich setze mich weder in ein Familienrestaurant noch in eine Elektrische. Warum also, warum ging ich ausgerechnet hinter diesem scheusslich konfusen und verzwickten Schritt her? Warum qu?lte ich mich mit s?mtlichen Taktarten, diesen Schritt einzufangen?

Ja -- vielleicht hatte dieser Schritt doch etwas Rhythmisches, und ich rede mir nur ein, dass er verworren war. Immerhin -- er war wie zwei ?bereinander gepurzelte Takte und gar nicht zum aushalten.

Ich glaube, der Herr trug eine grosse schottische M?tze und in der Hand eine rote Ledertasche. Aber das weiss ich nicht bestimmt. Denn ich war wie hypnotisiert von dem Zwickzwack der Beine unter dem hellgelben Paletot und hatte, so lange ich ihm folgte, f?r nichts anderes Auge und Aufmerksamkeit.

Und nun geben Sie mal acht, was geschah. Ich gehe stracksweg hinter dem gelben Herrn da her, immer mit den Augen auf seinen Beinen. Und als er in eine Droschke steigt, rufe ich den n?chsten Kutscher und weise ihn an, hinterher zu fahren. Es ist das sch?nste Wetter, ich kann meinen Freund -- denn so nenne ich ihn schon in heimlicher Wut -- da vorne gem?chlich und bequem in der Droschke sitzen sehen. Das heisst, eigentlich sehe ich nur ein St?ck von dem gelben Mantel und dar?ber die grosse schottische M?tze. Sein Gef?hrt ist immer etwa 100 Schritte voraus. Endlich h?lt es in der Rue Saint Honor? 41. Die Nummer f?llt mir sonderbarerweise sofort auf, denn sie gibt mein Alter an. Er steigt aus, der Wagen f?hrt weiter und er tritt ins Haus.

Und nun habe ich eben in diesem Hause, im zweiten Stock, bei Frau Witwe Labrouquet gestern ein Zimmer gemietet! --

So -- ja so, als sei ich besonders hierher nach Paris gekommen, um bei Frau Witwe Labrouquet und ihrem lahmen Sohn zu wohnen!

Es ist einfach l?cherlich!

Den 6. August. Ich verfalle wieder auf ein altes Mittel: alle qu?lenden Unruhen und zerm?rbenden Gedanken, die ganze Vergangenheit, die sich hinter mir auft?rmt und auf mich herabzust?rzen droht, die Unrast und Unbest?ndigkeit, die mich von Ort zu Ort treibt, die mir nirgends Ruhe l?sst, meine Tage und N?chte durchtobt, dadurch zu bannen, indem ich schreibe . . .

Wenn ich mir wieder etwas aus meinem Leben erz?hle, wenn ich aus meinen grauen und gr?nen Erinnerungen wieder kleine, zarte Gespinste hervorsuche, Tr?ume, Leidenschaften, Gebete, -- Begegnungen mit anderen und mir -- gefl?sterte, ungeh?rte, verwehte Dinge herbeirufe . . . ach, vielleicht werde ich dann noch einmal alles zur?ckdr?ngen k?nnen. Ich werde den M?chten, die mich und alle verfolgen, entrinnen, wie ein Dieb. Ja, wie ein Dieb, der sich geschickt in einem Kellergew?lbe zu verbergen wusste, von dem niemand weiss, wo er geblieben ist, und an dem die hastigen Polizisten vorbeirennen, bis sie sp?t ihren Irrtum gewahr werden. Aber hallo! Jetzt hat der Dieb zwischen seinen grauen Kellerw?nden neue Kr?fte gesammelt und rasender als je fliegt er die langen Strassen hinab. Hinein in ein Haustor, durch den Korridor in den Hof, einen Blitzableiter hinauf, auf das Dach des allerh?chsten Hauses und ratsch -- weg ist er. Weg, als h?tte ihn der Himmel verschluckt.

Weiss Gott wie heiss mir wird, wenn ich an eine solche Diebsjagd denke!

Aber sch?n ist das, wundervoll. Das heisst nat?rlich, wenn man der Dieb ist. So alles auf den Fersen zu haben, einer gegen zwanzig, gegen hundert, und dann mit allen Anstrengungen des Geistes und K?rpers arbeiten, arbeiten, arbeiten, dass einem der Schweiss perlt. Alles gedoppelt: Gesicht, Geh?r, Geruch; sp?hen, jede Kleinigkeit berechnen, ausn?tzen und Sieger sein zuletzt, Sieger!

Ach ja . . . . wenn es nur leichter w?re, Diebst?hle zu begehen . . . .

Ich erinnere mich noch deutlich an die furchtbare Angst, die ich in Messina ausstand, als ich mir einmal vorgenommen hatte, eine Apfelsine zu stehlen.

Ja -- ich wollte mir die Langweile damit vertreiben, mir zu zeigen, ob ich Mut h?tte. Mut, eine Apfelsine zu stehlen.

Gott, wie deutlich steht doch alles vor mir: da ist das kleine Hotel mit der gr?nlich grauen Fassade und der schmierigen T?r. Da ist der Stall nebenan und da ist der kleine deutsche Hausknecht mit den feuerroten Haaren und den unwahrscheinlich grossen Ohren, die immer -- offenbar von Stiefelwichse -- ein wenig schwarz waren. Ja, ja -- dieser Hausknecht. Er hatte ?brigens trotzdem zarte Beziehungen zu der K?chin, die etwas bucklig war, und man sagte mir, sie erwarte ein Kind. Mein Gott --! Und da ist der schmutzige kleine Speisesaal mit den abgeschabten Tapeten und dem Kellner Luigi.

Aber das geh?rt nicht zur Sache.

Ich langweilte mich scheusslich in diesem verfluchten Nest und aus lauter Langerweile kam ich, wie gesagt, zuletzt auf den Gedanken: mir meinen Mut zu beweisen! Haha, -- ich wollte eine Apfelsine stehlen. Das sollte mir wahrhaftig ein Beweis f?r Mut sein!

Es war just um die Zeit der Ernte. Was f?r prachtvolle goldene Fr?chte gab es doch da. Wenn sie wie goldene Kugeln geschichtet in den K?rben lagen, und die Sonne darauf schien, konnte man wirklich die Augen nicht weit genug aufreissen, um all dies kostbare Licht in den K?rper einzulassen. Ja, man h?tte sich am liebsten ?berall Augen in den K?rper geschnitten, um all diese Fruchtbarkeit aufsaugen zu k?nnen.

Am Montag hatte man vor meinen Augen einen dieser braunen, nackten Bengel, die da ?berall umherlungern, dabei erwischt, als er gerade im Begriff stand, sich mit sechs grossen roten Orangen aus dem Staube zu machen. Weiss Gott, beinahe w?re es ihm gegl?ckt, diesem verflixten, kleinen Teufel. Was er f?r Augen hatte! Aber er hatte die Rechnung eben ohne seine Hose gemacht.

Ja, er trug n?mlich als einziges Kleidungsst?ck eine graugr?ne Hose auf dem Leib, aus der unten die Beine wie braune Streichh?lzer herauskamen. Und in diese Hose hatte er die sechs Orangen vor dem Stand der Verk?uferin ganz unbemerkt hineingestopft. Er hatte sie wahrhaftig alle schon drin. Aber zuletzt bekam die Alte hinter dem Stand doch Wind von der Sache. Sie hatte eine kolossale braune Hakennase im Gesicht und trug eine blaue Bluse. Pl?tzlich stiess sie einen gellenden Schrei aus, fuchtelte mit den Armen in der Luft rum und kam hinter dem Stand hervorgesprungen.

Das war eine Pracht zu sehen, wie die braunen Beine der Raubkatze ?ber die Strasse flogen! Und die Alte schreiend mit gebl?htem Rock hinter ihm her!

Mein Gott, ich stand und lachte aus vollem Halse.

Sie h?tte ihn nicht bekommen, den Teufel, den kleinen. Aber an der Hose lag es, die brachte ihn an den Galgen. Denn w?hrend ihm eine der Orangen im Lauf aus dem Gurt sprang und rot durch den Staub der Strasse rollte, sackten sich die andern immer tiefer in das rechte Hosenbein und -- bums, da lag er. Da hatte die Alte ihn aber auch schon am Kragen.

Donnerwetter, was das Tier aber auch f?r Raubfinger hatte; biegsam wie Fischbein und fest wie Stahl.

Na ja -- so kam ich selbst auf den Gedanken, eine Apfelsine zu stehlen. Und das gab mir Besch?ftigung bis zum Schluss der Woche. Besch?ftigung? Es war ein St?ck Arbeit, ein St?ck ganz verzweifelte Arbeit. Ich bekam in diesen Tagen ordentlich eine gute Meinung von den Dieben. Denn wenn ich nur die Hand ausstrecken wollte, um die Orange von dem Stand der Verk?uferin zu nehmen -- am ersten Tage probierte ich es dreimal -- dann zitterte ich am ganzen Leibe und f?hlte kaum mehr den Boden unter den F?ssen.

Ich glaube, ich habe in diesen f?nf Tagen im ganzen zwanzig Pfund Orangen gekauft, nur um mir immer am Stand der Alten zu schaffen machen zu k?nnen. Ich konnte das Zeug ja gar nicht aufessen. Ich schenkte es im Hotel dem rothaarigen Hausknecht oder dem Oberkellner Luigi.

Am zweiten Tag l?chelte mich die Alte schon immer von weitem an. Hole der Teufel ihr Lachen, ich werde meine Apfelsine schon bekommen, dachte ich. Aber ich ging wieder und trug nur das gekaufte Pfund nach Hause.

Dann wurde die Geschichte interessant, das Weib hatte offenbar meine Absicht erraten, sie l?chelte jetzt jedesmal recht sp?ttisch, wenn sie mich kommen sah.

Ich nahm allen meinen Mut zusammen und versuchte eine g?nstige Gelegenheit abzupassen. Aber wenn sich die Alte einmal wegkehrte, dann war es mir beinahe, als seien mir die H?nde mit einem unsichtbaren Strick an den Leib gebunden.

Ich wurde w?tend, zu Hause in meinem Zimmer nannte ich mich einen erb?rmlichen Feigling und schlug mit der Faust auf den Tisch, dass er umst?rzte und die Platte zerbrach. Ich sagte mir, so kann es nicht weitergehn. Ich setzte also den Freitag als Ruhetag an und schwor mir, die Tat am Sonnabend zu vollbringen.

Ich hielt mein Wort. Allerdings das tat ich. Aber wie erb?rmlich benahm ich mich doch. Es war in der Mittagsstunde und die Alte hatte eben ihre Bude verlassen, um an einem hundert Meter entfernten Brunnen Wasser zu holen. Weit und breit war keine Menschenseele zu sehen. Und da also -- in diesem Augenblick fand ich wirklich den Mut, meine Apfelsine zu stehlen. Pfui! Was war ich f?r ein feiger Dieb. Und ich lief wahrhaftig noch davon als h?tte ich schon den Polizisten im Nacken. Pfui Teufel!

?brigens hatte die Alte nat?rlich gar nichts bemerkt. Sp?ter sagte ich ihr einmal, dass ich lange die Absicht gehabt h?tte, ihr eine Orange zu stehlen. Aber da lachte sie und wollte es nicht glauben; obgleich ich es beschwor, bei Gott.

Den 7. August. Nun da w?re ich denn hier bei Frau Witwe Labrouquet, geschiedenen Blissot und ihrem lahmen Sohn. Ob sich der Herr mit dem gelben Mantel, der schottischen M?tze und den Zwickzwackbeinen noch einmal sehen lassen wird?

Was dies ?brigens f?r eine Wohnung ist. Drei Zimmer und K?che. Drei graue Schachteln mit L?chern, die man Fenster nennt. ?ber die langweiligen gelben Gardinen habe ich ein Paar alte Priestergew?nder aus Tokio geh?ngt. Sie sind aus Seide und ich mag es gern, wenn Licht durch Seide f?llt. Es f?hlt sich dann ganz anders an.

Add to tbrJar First Page Next Page

 

Back to top