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Read Ebook: Das Exemplar by Kolb Annette

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Ebook has 733 lines and 60885 words, and 15 pages

Das Exemplar

Roman von Annette Kolb

Zweite Auflage. Alle Rechte, insbesondere das der ?bersetzung, vorbehalten. Copyright 1913 S. Fischer, Verlag, Berlin.

Das Exemplar

Erstes Kapitel

Zwei Monate aus Maricl?es seltsamem Leben seien hier preisgegeben und der Vorhang weit davon zur?ckgeschlagen; dann falle er wieder zu, und sie mag wieder ihres Weges ziehen. Man nannte sie Maricl?e. Niemand wusste, wer sie zuerst so nannte, aber keiner nannte sie anders. Und es war bezeichnend, denn sie hatte etwas Namenloses, Unzust?ndiges, wie es auch stets ihr Los war, mit gesellschaftlich denkbar verschiedensten Leuten in Kontakt zu kommen und selbst keinem einzigen Kreis anzugeh?ren. Dies f?hrte so weit zur?ck, als sie sich erinnern konnte, und f?gte sich so allerorts, als m?sste es so sein.

Denn in unserem Leben stehen wir wie inmitten einer Landschaft, und m?gen unsere Schicksale noch so bereichert wiederkehren, sie weisen doch einen h?chst gleichartigen Charakter auf; wie etwa ein Gletscher nicht auf einer D?ne steht: diese Art von Uniformit?t, meine ich, tr?gt unser Leben zur Schau.

Und das ihre glich einer Bergstrasse. Wo nur ein Ausblick lag, da w?rde sie stehen; da zog sich ihr Weg hin, doch lenkte er nie bis ins gelobte Land hinein. Nur eines anzuf?hren: Maricl?e kam leicht in Pal?sten zu wohnen, wie die Steinnelke gern an steilen Anh?ngen w?chst. Aber sie hatte kein Geld. An ihr war alles wie hingeflogen und wieder abgerissen: ihr Verh?ltnis zum Leben, zur Natur, zu den Menschen, zu sich selbst. Sie stand sich nicht sehr nahe. Und darum geh?rte sie zu jenen heute nicht mehr seltenen Menschen, von denen behauptet wird, dass sie nicht lieben k?nnen.

Maricl?e hatte viele Freunde und dachte sie diese zu einer Garbe zusammengestellt, so hielt sie eine Probe der verschiedensten, seltensten Blumen, die's heute gibt. Denn auch dies war ihr Geschick, dass sie sp?t oder fr?h, dauernd oder fl?chtig auf ihrem Wege bl?hten. Darum stand sie zu ihnen wie ein Kunstsammler zu seinen Rarit?ten: daher ihr Spleen, vielleicht auch ihre Blasiertheit. Denn wer die Menschen ihrem Wert nach liebt, der sch?tzt den einen gegen den anderen ab, und das schrankenlose Aufgehen in einem einzigen vermag er nicht mehr.

Doch auch die besten Auktionen haben ihre Glanznummern. Und pl?tzlich war es ?ber sie gekommen, dass sie im August des Jahres 1909 nach London fuhr, um nach Jahren ein Wunderexemplar ihrer Sammlung wieder vorzunehmen. Allein es fing gleich damit an, dass sie einander verfehlten. Das >>Exemplar<< -- es soll nicht anders heissen in dieser halb leidenschaftlichen, halb kuriosen Geschichte -- hatte sich eingefunden, aber Maricl?e hatte sich unbegreiflicherweise im Datum geirrt und traf erst am folgenden Morgen ein. Jetzt musste sie zehn Tage bleiben, wenn sie ihn erwarten wollte.

Es war ihr erster Abend. Wie mit einem gelben, welken Schleier umwob die Hitze den Himmel und den tr?umerischen Park von St. James. ?ber die Br?cke gebeugt, hingen ihre Blicke an den Wasserfl?chen und tauchten unter wie gebannt. Die Schw?ne glitten, nie emporblickend, dahin, und so schwerm?tig und weit vibrierte da die m?de Stunde, so riesig waren ihre Schauer, dass Maricl?e sich hastig losriss und zur Ablenkung, und weil sie London ?berblicken wollte, das Dach des ersten Motorwagens bestieg, der ihr entgegenfuhr.

Allein er trug sie unversehens in eine entsetzliche Welt. Denn jene selbe Gleichf?rmigkeit, die ihr an den glatten, grossfenstrigen H?usern der Reichen so w?rdig, stilvoll und motiviert erschien, wie schmachvoll ist sie in den Slums! Und Sklaven waren das, die hier mit gemordeter Phantasie, ja, wie Geblendete in solch unerh?rten H?usern zu wohnen einwilligten, an denen nicht ein Fenster, nicht eine T?r von der des Nachbarn sich unterschied, sondern die in ihrer schm?hlichen Gleichf?rmigkeit wie Str?flinge dastanden, ihre meilenlangen, niedrigen Reihen verzweifelt ausgestreckt, H?nderingende, Lebendig-Begrabene, Bilder der H?lle!

In dieser Woche sollten viele Leute an Hitze sterben, ihr aber war am n?chsten Morgen, als sei London eine riesengrosse gelbe Schlange, die sie unbarmherzig immer fester an sich dr?cken und ersticken wollte. Aber es war etwas anderes: es hatte sie so hart und unvorbereitet getroffen, das Exemplar verfehlt zu haben, dass sie, um den Schlag aufzuhalten, sich sagte, sie sp?re ihn nicht, die Verz?gerung passe ihr sogar. Nun r?chte sich die L?ge. Was wollte sie in London und was n?tzte ihr jetzt die zierliche, nahe an Westminster gelegene Wohnung, die ihr von Freunden ?berlassen worden war? Selbst die Sonne konnte es ihr nicht mehr recht machen, ob sie grell schien oder wie durch Alabaster: Spleen, Neurasthenie sind ja nichts anderes als ein Erkranken unserer Eindr?cke, und jeder ist da sein eigener Arzt und weiss allein, ob er dem Leiden gebieten kann, oder ob es ?ber ihn hinschl?gt und wie eine Sturzwelle ihn hinabreisst. Maricl?e hatte einen Brief an eine irische Dame in Hampstead -- einem Vororte -- ganz zu unterst in ihrem Koffer liegen, denn sie hatte nie beabsichtigt, sich seiner zu entledigen. Statt dessen gab sie ihn nun auf der Stelle auf. Sonst war -- im August -- von allen ihren Bekannten nur der deutsche Botschaftsrat in London und ihm hatte sie ihr Hiersein erst recht zu kaschieren gedacht, statt dessen st?rzte sie ans Telephon und es fiel ihr ein Stein vom Herzen, als sie die wohlbekannte Stimme h?rte und er sie f?r denselben Abend zu sich lud. Sie nahm sogleich einen Hansom und blickte mit fiebernden, wie erweiterten Augen in den gelb vergl?henden Tag.

Bei ihm sah es ?brigens auch recht verlassen aus: sein Hausstand unterwegs und alle M?bel in ?berz?gen. Aber die rationelle Art, mit der Maricl?e ihm jetzt eine Menge Eindr?cke, von denen sie nichts zu wissen glaubte, Beobachtungen und Vergleiche mitzuteilen hatte, frappierte sie. Sie hatte doch geglaubt, sie sei krank! Und jetzt ging sie so munter das weite Zimmer auf und nieder, blieb wieder stehen, rauchte Zigaretten vor dem Kamine, warf sich in einen Armstuhl, sprang wieder auf, und war ganz Bewegtheit und Bewegung, wie der vom Windstoss gekr?uselte See.

>>Ich finde London ver?ndert wieder,<< rief sie. >>Wie individuell, wie wesenhaft ist doch die Seele einer Stadt. Diese hier gleicht einer Blume, die sich jetzt voll entfaltete, einem vollen Kelche, einer fast ?berreifen Frucht. Neu ist auch in dem alten Zauber, der alten Glut, die ?ber London ausgegossen liegt, der nachsommerliche Puls. Aber die Worte wie ?berschrittener H?hepunkt, absteigende Linie sind hier viel zu bequem! Der Massstab des Altertums ist an unsere ?ra nicht anzuwenden, in uns liegt ein zu grosser Vorrat treibender Kr?fte der Umwandlung und der Verj?ngung. Auch unsre gef?hrlichsten Phasen f?hren nicht mehr zum Verfall.<< Und dabei erhob sie sich, denn gewagte Dinge pflegte sie immer sehr bestimmt zu sagen; hier lag ihre ganze Sicherheit.

>>Ein Etwas auf diesem Boden,<< fuhr sie fort, >>heimelt mich immer so uns?glich an. Man ist hier viel weniger intellektuell, aber wie viel vergeistigter ist dennoch das Tierische. Auserlesene Organismen d?rfen sich gewiss am gl?cklichsten potenzieren, wo das ?usserliche Leben den adligsten Zuschnitt findet, als h?tten die Engl?nder nicht nur mehr ?sthetischen Sinn, sondern ?sthetischere Sinne. Auge, Nerv und Sensibilit?t des Gebildeten erfahren so im vornherein mehr W?rdigung und Schonung, weil die Zivilisation in ihrer untersten Stufe -- der dienenden Klasse -- um einige Schichten h?her fundiert. Ich liess mir heute von einer housemaid eine Adresse aufschreiben und war von ihrer sch?nen, ja eleganten Schrift ger?hrt.<<

>>Daf?r ist bei uns die Mittelklasse entschieden schmucker geraten,<< sagte der Botschaftsrat. >>Hier nennt man ja auch middle-class,<< sagte Maricl?e, >>was wir auf deutsch untergeordnet heissen w?rden. Wie anders bei uns! Insofern ist es zutreffend, dies ?berf?llte London leer zu nennen, wenn die vornehmen Leute nicht zugegen sind. Ich habe noch keine sch?nen Menschen gesehen.<<

Und immer lebhaft, immer von neuem angeregt, fuhr sie zu plaudern fort. Wie ein Feuer, das zusammensank, und dann pl?tzlich wieder zu knistern, zu prasseln und zu lodern anf?ngt, so war sie jetzt m?chtig in Schwung geraten, die Dinge nahmen wieder ihre rechten Verh?ltnisse an, und ihr Spleen und alles was sie selber betraf, schrumpfte zu einem so unwichtigen Punkte ein, dass sie ihn nicht mehr gewahrte. Die beiden assen dann allein in dem grossen Speisesaal am verkleinerten Tisch und im Raum verloren wie auf einer B?hne. Der Faden ging ihnen nie aus, und sie waren einander zugetan und vertraut. Allein sie waren zu jung, um nicht zu f?hlen, dass der Rahmen etwas zu romantisch war f?r die Situation, weil sie nie aneinander dachten.

Dies war Maricl?es zweiter Abend in London.

Tags darauf gedachte sie einer Freundin, auf welche sie sich bisher nicht hatte besinnen wollen. Denn ihre Wege lagen so abseits. K?nig Eduard verbrachte allj?hrlich eine Woche bei ihr; sie hielt auf einem der sch?nsten Schl?sser Englands grossen Staat, und Maricl?e scheute aus vielen Gr?nden das Drum und Dran eines solchen Besuches. Und nun schrieb sie ihr doch. >>Wie gerne w?rde ich kommen,<< schrieb sie ihr, >>sofern es sich in einem Tage machen l?sst, denn leider ist es mir ganz unm?glich zu ?bernachten.<< Nachtr?glich riss sie den Brief noch einmal auf, um die Worte >>ganz unm?glich<< zweimal zu unterstreichen.

Diese wenn auch noch fiktive Unterbrechung ihrer Tage musste sie sich jetzt schaffen, denn der Spleen sass ihr immer tiefer im Nacken. Wem er nie widerfuhr, wie k?nnte der begreifen, dass eine ledigliche Stimmung in dem Masse unsere Energie l?hmen darf? Ein paar vor uns liegende Tage nehmen da die bedrohliche, un?bersehbare L?nge finsterer Jahreszeiten an, und man entschliesst sich nicht eine Strasse hinabzugehen, weil einem vor der weiten Reise graut. In Westminster Abbey hatte Maricl?e die Flucht ergriffen, weil in dem grasigen Hofe das Sonnenlicht so qualvoll stille auf dem Gem?uer lag und die etwas rudiment?re englische Gotik ihr das Herz zermalmte. Ihre Fenster sahen auf einen gr?nen Hof, eine gotische Kirche und ein paar B?ume. Und auch hier steigerte sich der helle Tagesschein, der dar?ber leuchtete, zu einem so kranken, unertr?glich wehen Licht, dass sie die schweren Vorh?nge gesenkt hielt, um es auszuschliessen. Maricl?e lag im Dunkeln auf dem Diwan ihres geborgten Salons, als pl?tzlich ein Pfiff ihre stillen R?ume durchdrang. Sie st?rzte an die Tube. Der Liftjunge meldete einen Besuch und fragte an, ob sie empfing.

Es war die Dame aus Hampstead, die als Antwort des eingesandten Empfehlungsbriefes erschien und ehe Maricl?e die Vorh?nge zur?ckschlagen konnte, stand sie schon an der Schwelle. Sie war sehr provinzlerisch, hatte Z?hne, vor denen man sehr erschrak, und auf ihrem Hute schwankten rote, l?cherliche Blumen. Aber den Ausschlag gab eine anheimelnde Begrenztheit, die Maricl?e unverweilt zu Herzen ging. Sie war die Gutherzigkeit in Person, hielt sich nicht lange auf, und lud Maricl?e ein, den morgigen Sonntag nach Hampstead zu fahren und den Nachmittag und Abend mit ihrer Familie zu verbringen. Gewiss, nat?rlich, mit Vergn?gen w?rde sie kommen. Es war ein kurzer Besuch und weil ihr bangte, so schnell wieder allein zu bleiben, und sie ihren Brief aufgeben wollte, gab sie dem Gast zur naheliegenden Victoriastation das Geleite. Erst auf der Strasse im Sonnenlicht bemerkte sie deren erhitztes und erm?detes Gesicht. Sie hatte die M?he nicht gescheut, in dieser Glut so weit zu ihr herauszufahren und Maricl?e hatte nicht einmal daran gedacht, ihr eine Tasse Tee anzubieten. Dies war unverzeihlich. Allein es stand geschrieben, dass sie sich mit dieser Familie stets schlecht benehmen w?rde.

Und der Sonntag kam: auf heissen, bleiernen Sonnenr?dern kreiste er ?ber die Stadt. Maricl?e musste an M?nchener Freunde denken, die ein junges Krokodil in einem Glaskasten aufgezogen hatten: an einem sch?nen Fr?hlingsmorgen stellten sie ihn auf die Veranda, und vergassen ihn dort; die Sonne prallte gegen das Glas, und nach Verlauf von ein paar Stunden lag hier, verdurstet und verdorrt, ein in dem kalten Deutschland vor Hitze verendetes Krokodil. Und so ward ihr die Einsamkeit, der sie sich zur Unzeit in die Arme geworfen hatte, zum erstickenden Glaskasten.

Sie wohnte in einem sogenannten mansion das heisst, es fehlte die pers?nliche Bedienung, aber l?utete man, oder blies in die Tube, so meldete sich ein Stubenm?dchen oder ein Liftboy oder ein Kellner, und wer nicht ausgehen mochte, konnte zu Hause essen, vorausgesetzt, dass er auf den Sonntag nicht vergass. Als sie da um zwei Uhr klingelte, hiess es, die K?che sei gesperrt und sie h?tte nichts bestellt. Sich aber in den heissen H?userozean zu st?rzen, und nach einem Hotel zu fahnden, dazu fehlte ihr ganz und gar die Kraft. Zur Teezeit w?rde sie ja in Hampstead sein, und so lange hielt sie es schon aus. Sp?ter beim Umkleiden fror sie, woraus sie schloss, dass es k?hler geworden sei, und sie zog sich herbstlicher an.

Aber draussen wehte keine Luft, nur heisser Benzinhauch, und die H?user begannen zu schwanken und zu brausen, und wie Wellen sich zu h?ufen, unbarmherzig und uferlos. Die D?cher glitzerten, die Fenster blendeten . . . so kam sie nach Hampstead. Das Haus der irischen Familie aber war luftig und gross, der k?hle Salon fast ein Saal. Er ?berblickte einen flachen, reizenden Garten, und schweres Silber schimmerte vom Teetisch. Maricl?e warf einen raschen Blick auf die hot-cakes und nahm sich vor, eine h?bsche Anzahl davon zu essen, aber sie brachte, so vorz?glich sie waren, kaum das erste hinunter und zerbr?ckelte es mit etwas zitterigen Fingern.

Die Familie war sehr zahlreich und bestand aus alten Eltern und gereiften S?hnen und T?chtern. Nach dem Tee wurde gefragt, ob sie lieber zur Hampsteader Heide oder zum Tennisklub ginge. Ach! sie schielte nach dem Garten! aber der Tennis, sie merkte es gleich, stand auf dem Vergn?gungsprogramm des Tages und so zog sie denn mit, und in der Sonne, auf einem unbequemen Klappstuhl placiert, sah sie den Spielenden zu. Was sie da vor Augen hatte, war gute Bourgeoisie, abseits des Snobismus, wie der Eleganz. Wer immer zu ihr sprach, sprach ihr mit einer herzhaften Breitspurigkeit, die wir fast schamlos f?nden, ausschliesslich vom Wetter. Aber Wetter, Politik und Sport sind eben die drei brennenden Themen in England. Und dann war von diesen spielenden M?nnern keiner von des Gedankens Bl?sse angekr?nkelt; sie fanden im Ballwerfen nicht Erholung, sondern Besch?ftigung, und selbst die schon Ergrauten hatten etwas von sympathischen Kindern an sich. Nur f?r den Schneider machte es einen Unterschied.

Maricl?e sass in ihrem heissen Kleide in der Sonne, unbeweglich mit aufgespanntem Schirm und von den Wettergespr?chen grenzenlos ermattet, als pl?tzlich ein neues Klubmitglied in Gestalt eines Franzosen auf dem Platze erschien. Darob entstand nun -- der Entente cordiale zum Trotz -- allgemeine Verwirrung und Konsternation. Ein Ring des Schweigens zog sich um ihn; verstohlene Blicke gingen hin und her, z?gernde Mienen umgaben ihn: er war wie unter die Wilden geraten. Mit einer Geste selbstloser Entschlossenheit legte endlich eine Spielerin ihr Rakett hin und begann mit dem neuen Ank?mmling ein wundervolles Gespr?ch. Der Franzose, der sehr h?flich, aber aus Bordeaux war, gab sich erst alle M?he zu verstehen, dann aber zu vertuschen, wie wenig er von dem entlegenen Franz?sisch dieser Engl?nderin erriet, und statt ihr beizuspringen, hielt Maricl?e ihren Schirm etwas tiefer und horchte so erg?tzt, dass sie alle ihre Leiden dar?ber vergass.

Als es endlich k?hl und angenehm im Freien wurde, brach alles auf, um sich f?r den Abend umzuziehen. Sie indessen blieb wieder in dem luftigen Salon, bald von diesen, bald von jenen Mitgliedern der Familie unterhalten. Und jetzt sprach man nicht mehr vom Wetter zu ihr, sondern von den Kriegspl?nen der Deutschen gegen England. Sie raffte sich auf, sie abzuleugnen, und voll Eifer zu versichern, dass wir die Engl?nder liebten. Dann fragte alles, ja wozu wir dann in so w?tendem Tempo unsere Kriegsschiffe bauten?

>>Weil es nichts R?ckst?ndigeres gibt, als die Gegenwart,<< sagte sie pl?tzlich. Der Satz geh?rte nur weitl?ufig hierher, aber sie hatte ihn irgendwo einmal mit Erfolg ge?ussert, und half sich schnell damit aus. Die Worte fingen n?mlich jetzt an denselben Tanz aufzuf?hren, wie vordem die D?cher und H?user. Mein Gott! dachte sie, wann essen diese Menschen zu Abend? Jetzt wollte gar der Hausherr den Gedanken n?her er?rtert haben, und seine Tochter setzte hinzu: o, sie h?tte schon vernommen, was f?r eine geistreiche und interessante Person sie sei. Maricl?e wollte etwas darauf erwidern, aber statt dessen streckte sie die Hand aus, und fiel zur?ck.

Es war jedoch keine Ohnmacht. Denn sie sah genau, wie die alte Mutter dieser gereiften S?hne und T?chter ihrem Manne und ihren Kindern ein Zeichen gab, dass sie das Zimmer verlassen sollten; und sie blieb allein mit ihr zur?ck. Maricl?e sprach eine Zeitlang nichts, dann sagte sie, es sei die Hitze, die ihr solche Kopfschmerzen gebe. Aber die Alte wollte nicht dulden, dass sie sich aufrichtete, sondern hiess sie schweigen, und ergriff ihre Hand. Dabei murmelte sie Worte wie zu sich selbst, mit einer leisen, ver?nderten Stimme. Maricl?e betrachtete sie mit einem Male voll Neugier. Ihre Schlichtheit hatte etwas so Edles -- wem in aller Welt glich nur diese Frau? an wen erinnerte dies gebleichte Haupt und diese unbewegte und versteinerte Gestalt? Ja wahrhaftig, jetzt hatte sie's, sie hatte etwas rein Antikes, sie gemahnte an die alte Schaffnerin der Odyssee.

Maricl?e sank wieder zur?ck und liess sie gew?hren, ihre H?nde streicheln und ihre Worte murmeln. Denn ihre Gedanken wanderten jetzt weit von hier. Ach wie ferne stand ihr dieses Haus, und diese g?tige Alte! und sofern das Leben ein Wandern ist, hatte sie nicht Jahre winterlichen Bodens ?berschritten, und war sie nicht traurig und fremd wie Demeter unter diesem Dache eingekehrt? Sie weinte nicht, ihre Z?ge verhielten sich ja unbeweglich: es war nur als quoll ein heisser Saft tropfenweise aus ihren geschlossenen Augen. Warum hatte sie ein falsches Datum angegeben? welch freudloser Stern hatte es so gewollt? und was hatte sie vermocht, sich selber vorzul?gen, dass es sie nicht betr?fe? Nichts f?llt ja so schwer auf unsere Schultern zur?ck, als wie ein abgeworfenes Kreuz.

Dies war ihr vierter Tag in London. Jedoch der Wein und der Schinken, den es an diesem Abend gab, blieben ihr unvergesslich.

Zweites Kapitel

Bis jetzt war Maricl?es Reise ein fortw?hrendes Fiasko gewesen, und zwar gleich von der ?berfahrt an. Sie hatte sich nicht vorgesehen, und alle Einzelkabinen besetzt gefunden. Im Ankleideraum aber boten -- wie auf Order hier eingeschifft -- die h?sslichsten Damen des Kontinents ein wahrhaft t?ckisches Bild. Und die Abscheulichste, mit hornharten, zielsicheren Augen, seifte und striegelte ihre Arme, die S?nderin, als w?ren sie sch?n. Maricl?e wich vor ihrem Anblick erschrocken zur?ck und floh an Deck. Denn lieber als mit den h?sslichen Frauen verbrachte sie die kalte Nacht ohne Mantel auf einer harten Bank. Dort hatten sie gegen Morgen recht tr?bselige Tr?ume heimgesucht . . . .

Am Montag zog die Sonne wieder am wolkenlosen, gelb umdunsteten Himmel, wie inmitten eines Strahlenkranzes, auf und dr?ckte wie eine feurige Krone auf London hernieder. Auf den Simsen der Fenster lag ?berall ein feiner Russ, doch standen am Vormittag ihre Zimmer im angenehmsten Licht, und ganz erf?llt von Londons penetrantem und rauchigem, jedoch so stimulierendem Geruch. Freilich durfte man jetzt nicht denken: ein paar Stunden von hier, da frohlockt eine beschauliche Luft, da summen Bienen, da atmen W?lder und das gl?ckliche Meer -- -- -- und wie sie eben dennoch daran dachte, pfiff und klingelte es wieder in ihrer Wohnung, und ein kleiner Telegraphenjunge stand mit einer Depesche vor ihrer T?r. Jene Freundin, auf die sie sich nicht hatte besinnen wollen, von der sie sich vergessen glaubte, und der sie dann doch geschrieben hatte, lud sie dringend bis zum Samstag zu sich ein. Maricl?es Herz stockte vor Freude. Vor Sonntag hatte sie keine Aussicht das Exemplar in London zu sehen. Wie sich das traf! Auch zauderte sie keinen Augenblick, schrieb eine Zusage und reichte sie dem Boten. Erst als er mit ihrer Antwort abgezogen war, fiel ihr das dickunterstrichene >>ganz unm?glich<< aus ihrem Briefe ein.

Den Abend verbrachte sie mit dem Botschaftsrat. >>Eigentlich wollte ich morgen nach Glenford,<< teilte sie ihm mit.

>>Wie am?sant!<< sagte er.

>>O nein!<< seufzte Maricl?e. >>Wenn viele G?ste dort sind, setzen sie des Abends ihre Tiaren auf, und meine Situation ist dann unhaltbar. F?rs erste w?re ich nat?rlich die einzige, die nicht ihre eigene Jungfer br?chte. Wie stehe ich dann da?<<

>>Ich versichere Sie, wegen Ihrer Pretiosen ladet Sie niemand ein.<<

>>Wie herzlos Sie oft reden!<< sagte sie. Aber er liess sich nicht aus seiner Ruhe bringen.

>>Ich bin auf Ihre Eindr?cke gespannt,<< gab er zur?ck.

>>Aber ich kenne den Schauplatz, und weiss, was ich riskiere.<<

>>Ich meine, dass Sie es dennoch riskieren sollten,<< sagte er.

Und sie sprachen von etwas anderem.

Von allen gedankenlosen Ausspr?chen ist der gedankenloseste: >>Les extr?mes se touchent<<. Zum mindesten bei Individuen. Wo Kontraste sich ber?hren, geschieht es immer durch irgendwelche geheime ?hnlichkeiten. So bestand zwischen den Beiden infolge ihrer Kontraste eine Kluft, aber die Gleichheit ihrer Interessen war ein starkes Band.

Maricl?e war vorhin einem sehr komischen Herrn begegnet, der mit fliegenden Fracksch?ssen seiner Mahlzeit entgegeneilte. Von ihm erz?hlte sie nun. Er schien so ohne jeglichen Vorbehalt und auf so groteske Weise mit dem Leben einverstanden und eine so froschhafte Befriedigung machte sich auf seinem alten Gesichte breit, dass zu ihm gehalten selbst der d?mmste Deutsche denkerisch veranlagt schien. Und sie vertieften sich wieder in ihr ?bliches Gespr?ch. Er meinte, selbst die gescheiten Engl?nder d?chten sehr oft nicht. >>Aber,<< rief sie, >>wie haben es daf?r die paar Nachdenklichen hier sch?n! Und wie fr?h gelangen sie zur Macht. Sie haben nicht wie bei uns wider die ?berhitzte Intellektualit?t jener Legion von Halbgescheiten anzuk?mpfen.<<

Von draussen wogte und brauste die m?chtige Stadt wie von der Ferne herein. Maricl?e hatte sich behaglich in eine Sofaecke zusammengerollt und starrte vor sich hin. >>Ich habe eine grosse Entdeckung gemacht,<< hub sie an, >>aber es ist so hart, dass ich f?r meine Entdeckungen nie etwas bekomme!<<

>>Was denn f?r eine Entdeckung?<< forschte er.

>>Ich entdeckte etwas, indem ich etwas wissen wollte,<< sagte sie. >>Ich wollte wissen warum die deutsche Dummheit sich so gar nicht zur englischen Borniertheit verh?lt, da der englische und der deutsche Geist einander doch so zug?nglich, so verwandt, ja in mancher Hinsicht fast identisch sind. W?hrend der franz?sische und der deutsche Geist solche Not haben einander zu durchdringen, und zwar am f?hlbarsten wohl in der Politik, wo Ihr beim besten Willen vor Reibereien zwischen der Gloriole Fran?aise und dem deutschen Starrsinn nicht vom Flecke kommt. Dies Kompliment muss ich Euch en passant schon machen.<<

>>Aber die Entdeckung?<<

>>Ferner wollte ich wissen,<< fuhr sie fort, >>warum dagegen bei so grosser Divergenz des Geistes die Sottise fran?aise und die B?tise allemande so stammverwandt sind, und so ausgezeichnet harmonieren, dass sie die reine Terz abgeben! Dies ist meine Entdeckung. Was geben Sie mir daf?r?<< und sie streckte lachend die Hand aus. Denn Maricl?e wurde stets sehr aufger?umt, wenn man auf ihre Worte achtete. Vor leidlich klugen Leuten konnte sie nicht bestehen. Es bedurfte wirklichen Scharfsinns, denn sie war allzu elektrisch: wer nicht fest auf die Klinge dr?ckte, vernahm keinen Ton.

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