Read Ebook: Nein und Ja: Roman by Flake Otto
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Ebook has 949 lines and 70677 words, and 19 pages
THE MISSIONS OF PRINCE GORTCHAKOF AND THE D?BUTS OF M. DE BISMARCK 1
A NATIONAL MINISTER AND A FAULT-FINDING DIPLOMAT AT ST. PETERSBURG 75
UNITED ACTION 122
THE ECLIPSE OF EUROPE 188
ORIENT AND OCCIDENT 227
TEN YEARS OF ASSOCIATION 287
TWO CHANCELLORS.
THE MISSIONS OF PRINCE GORTCHAKOF AND THE D?BUTS OF M. DE BISMARCK.
The good old Plutarch, in commencing his long and charming series of Parallels with the account of the lives of Theseus and Romulus, experiences some difficulty in justifying such an association of the two heroes; he can find in them only very vague traits of resemblance, and these by no means striking. "To strength they both joined great powers of mind, both carried off women by violence, and the one as well as the other was not exempted from domestic miseries; indeed, toward the end of their lives they both aroused the hatred of their fellow-citizens." Without doubt a writer of our day, wishing to give a comparative study of the two most prominent figures of contemporaneous politics, the chancellors of Russia and Germany, would only mislead in giving prominence to such points of resemblance. The association in this case is justifiable, for it suggests itself to every contemplative mind, to whoever has meditated on the events of the last fifteen or twenty years. The modern Plutarch who would undertake to write the lives of these two illustrious men, could, as it seems to us, easily resist the temptation of searching too deeply for, or forcing analogies in a subject where similarities abound and are so striking. Perhaps he would rather have to guard against necessary and tiresome repetitions in presence of a commonalty of ideas and of a harmony of action such as history has rarely known in two ministers guiding two different empires.
It is not, the reader may be well assured, a work of this sort which the author has undertaken in the following pages. We have only given the mere sketch of a picture which, to be even in a slight degree full and satisfactory, would have required much larger proportions, and above all a much more skillful hand. Without pretending to present here new and unpublished materials, or indeed to reunite all those which are already known, we have simply chosen a few, and tried to assort and arrange them so as to afford a better perspective. We have been obliged to renounce the wish to give to the different parts an equality of design and depth of coloring, and we have not even bound ourselves to follow a very regular and methodical course in this narration. Before a subject so vast and presenting so many shades and shadows, we have thought that it was permissible, that it was indeed occasionally useful, to vary the points of observation and to present it in different aspects.
Wenn Sie eine Wahrheit, eine Idee gefunden haben und an ihr festhalten wollen, ist das, als wiesen Sie die Erde an, sich nicht mehr zu drehn, da ihre Ruhelage nun feststehe; unm?glicher Befehl. Sie, ich, wir alle, sind Himmelsk?rper wie die Erde, rasend in Rotation -- es l?sst sich vermuten, welche Spannungen in ihnen entstehen, sich entladen, immerw?hrend. Die Spannung, von der Sie sprachen, ist Botschaft solchen Vorgangs, schwache Botschaft, gesandt aus den unbekannten Himmelsr?umen in Ihrem Innern, darin Formung und Entformung unerm?dlich sind. Denke ich daran, so stellt sich das heroische Gef?hl ein, ich meine das der Trag?die, die auch Leben selbstzerst?rerisch in den Rachen des Tods wirft. Ihr Grundbewusstsein von Ihnen selbst ist tragisch, es ist Tapferkeit, Hohn, Demut, Auflehnung darin. Sie neigen leichter als andre zu Spannungszust?nden, deshalb suchen Sie den Druck, das Gebot, wie allgemein, aber auf dem engren Gebiet des Sinnlichen, Ihr Geschlecht.<<
>>Wenn es so ist,<< sagte sie, >>wie halten dann andre, die Masse der Menschen, die Tragik, den Einbruch dessen, was die Ruhe st?rt, von sich fern, wie ist es m?glich, dass sie ?berhaupt in Ruhe leben?<<
Lehnen sie sich auf, so gibt ihnen dieser Gott im religi?sen Sinn den Druck, den ihre Atmosph?re braucht -- das ist das letzte Geheimnis des menschlichen Gottesbegriffs, und er ist tief, denn er erkl?rt sich unmittelbar aus Energiezust?nden, Gravitationsvorg?ngen unsrer innren Welt. Glaube ist der Druck, durch den die Milliarden Weltk?rper, die mein Ich bilden, zu einer Einheit gezwungen werden. Auch wer glaubt, zersetzt sich wohl, aber er hat eine Gewissheit: dass die Zentralachse, um die er sich dreht, bleibt und st?rker ist als er. Das Bed?rfnis der Menschen nach Gehorsam und Unterordnung haben schon manche festgestellt, keiner als tiefste Beschaffenheit erkl?rt, denn wir treiben wohl Psychologie, aber nicht das, was uns noch zu entdecken bleibt, innre Physik, mathematische Seelengeographie -- Seele ist ein Ph?nomen der kosmischen Physik.<<
>>Ihre Entdeckung, Lauda?<<
>>Mag sein, ich weiss es nicht, meine Entdeckung f?r mich jedenfalls.<<
>>Da Sie die Unterordnung f?r die tiefste Beschaffenheit des menschlichen Organismus ansehn, bleibt noch immer unerkl?rt, wie Sie und Ihresgleichen, die Sie so stolz Heiden nennen, ohne absoluten Glauben, Gott, Religion, nur mit relativem Glauben leben k?nnen.<<
>>Ziehn Sie selbst den Schluss: dass ich wie alle den t?dlichsten Zersetzungen ausgesetzt bin, zw?lfmal im Jahr den Tag habe, der mit Selbstmordgedanken entsetzlich gef?llt ist. Rettung ist immer wieder, dass der Wille, selbst Achse und Mittelpunkt zu sein, nicht zu unterliegen, suver?n, m?nnlich, ganz Energie zu bleiben, die Rolle des Gotts, also des Kristallisationspunkts, spielt.<<
>>Also kommen auch Sie nicht ohne Gott aus, sei es auch nur ein symbolischer?<<
>>So wahres Wort. Das Grundproblem, Hingabe oder ?berlegenheit, Seelendunkel oder Klarheit, Feminit?t oder M?nnlichkeit nimmt Dimensionen an, in die alle Fragen st?rzen.<<
>>Haben Sie in den zwei Jahren gearbeitet, Lauda?<<
>>Theaterst?cke geschrieben? Nein. Auch Kunst st?rzte in diesen Abgrund, denn sie beruht mehr als jede andre T?tigkeit auf Hingabe, Unterordnung, eifrigem Einheimsen der armen Ernte. Pathos, Leiden, Sentimentalit?t, Beredsamkeit, augenblickliche Lombardierung jeder kleinen Entdeckung auf seelischem Gebiet, das ist Kunst. Sie kommen nicht weiter, sie nehmen sich so ernst, sie glauben tief zu sein, und haften an der Oberfl?che der Erde, denn sie variieren das Gegebne, die Einzelexistenz, die l?gnerische Individualit?t, alles was nicht prim?r, nur Manifestation ist. Das alles soll st?rzen; kommt keiner zuvor, durch mein Denken. O, wie verlogen K?nstler sind. Sie f?hlen wohl die Zersetzung der Einheit des Ichs, aber sie haben nicht den Mut, von ihr zu reden, vielleicht haben sie nur die Kraft nicht. Wenn eine Wahrheit in ihnen einst?rzt, f?rchten sie, nicht mehr produzieren zu k?nnen, deshalb kleistern sie und lassen am Ende die alten G?tter wieder aufleben. Sie w?rden sich sch?men, zu gestehn, dass ihnen die Weltanschauung unter den H?nden zerfliesst; statt ihre Zerrissenheit zu gestalten, retten sie sich in die bequeme Heiligkeit des Lebens.<<
>>Seltsam. Ich will Sie mit jungen K?nstlern bekannt machen, die dasselbe zu f?hlen scheinen, von ihrer Kunst bitter sprechen, Ver?chter jener Malerexistenz, die unerm?dlich die Dinge variiert; ihr Hass gilt dem Gegenst?ndlichen; sie malen nicht mehr Existierendes, befremdende abstrakte Gebilde. Und ich kann Sie, wenn Sie nur wollen, mit vielen zusammenbringen, die auf irgendeinem menschlichen Gebiet Opposition treiben. Es ist, als habe der Krieg sie von ?berall her in der Schweiz versammelt.<<
Schlaf im Silberfall des Brunnens und Rauschen der B?ume war begl?ckend; als sich das Jubeln der V?gel hineinmischte, erwachte Lauda.
Sonne war noch nicht sichtbar; hinter dem Brienzer Horn am jenseitigen Ufer leckte Gold herauf. An der Wand hing Schwinds B?rgerm?dchen, das in kurzem Rock die L?den zur Sonne aufst?sst; er tat wie es, f?hlte sich nicht weniger kindlich. Doch dann kam Bewusstsein der Wirklichkeit; sie war nicht so reinlich, denn es war der Knabe da, sein Kind. Frau Hannah erhob zwar keinen Anspruch auf ihn, er war ihr Gast, der in keines Mannes Frieden einbrach, von Graumann war sie geschieden. Und doch war es geschmacklos, sich in diese Situation zu begeben, weil sie zu nah legte, das Familienleben fortzusetzen, sei es auch nur ein unverbindliches.
Hannah war sachlich genug gewesen, ihn dem Jungen nicht als Vater vorzustellen, ihm das Kind nicht als Sohn. Da sie also des Kinds froh war, und da sie unabh?ngig war, und da er an irgendeinem Tag seines Lebens zu ihnen verschlagen wurde, warum ?berempfindlich sein? Aber es war auch der Gedanke an Claire da, die ihm selbst gesagt hatte, dass er sie mit andren Frauen vergessen werde, und die ihm doch diese Situation nicht vergeben h?tte, das gef?lschte Idyll. Sie h?tte ihm nicht einmal Begegnung mit Hannah allein, ohne das Kind und das Haus gestattet, denn sie h?tte anerkennen m?ssen, dass Hannah das st?rkre Temperament war und die F?higkeit hatte, ihn in geistige Sph?ren zu begleiten, die nicht Claires waren.
Er f?hlte Eifersucht der fernen Frau und wie sie h?hnisch darauf wartete, dass auch diese Geistigkeit nur zu einer erotischen Begegnung f?hrte -- dann durfte sie sagen: L?ge, ihr gefallt euch in Umwegen, das ist schmutzig.
Er ging in den Garten, der eingelegt in Matten zum Fuss der Berge stieg. In sieben F?llen zerst?ubte ein Bach von der Region des Schnees bis zu der des Segelboots. Im Garten fand er den G?rtner, sah ihm zu, wie er Bohnen pflanzte; mit einem tellerartigen Rund machte er Mulden, richtete in der Mitte eine Stange auf, legte darum die Bohnen; sein Messer schnitt den Regenwurm, Teil einer legitimen Handlung, Nahrung der Menschen betreffend.
Lauda sprach mit dem Eingebornen, ward respektvoll angeh?rt, als sei er der Herr des Hauses -- von diesem Haus brauchte nun noch Hannah zu kommen, in W?rme des Schlafs und loses Gewand geh?llt, an der Hand den Knaben, dann stand der G?rtner vielleicht auf, zog sich zur?ck, Diskretion eines T?lpels vor der Herrschaft.
Lauda ging ins Haus, brach in der K?che ein, sich Brot zu holen, nahm in der Bibliothek aufs Geratewohl zwei B?nde und stieg bergan, zum ersten Wasserfall, dem dritten, vierten, bis er in Sicherheit sich f?hlte, weil endlich keine Bank mehr stand.
Er ass das Brot, trank von dem Quell, ?ffnete ein Buch und l?chelte, es war Fouqu?s >>Undine<<, das M?rchen von den Wassergeistern, die ?berall sind, wo Bach h?pft, Wasser st?ubt -- traf ihn ein St?ubchen, war es, als neckte ihn die Nixe mit dem feuchten Saum. Gut, M?rchen zu lesen; M?rchen blieb, wenn Strindberg schon erm?dete. Zwar wurde im Verlauf das M?rchen selbst zur Geschichte, die auf gelegtem Geleis lief; doch ging es leidlich aus, zerrann in Schaum des Donaustrudels, nicht Scheidung, nicht Vers?hnung -- Spiel wie eine Schleife gekn?pft, gel?st; Schleife, die Besch?ftigung f?r eine Stunde war, unbelastet von den Problemen und den dem B?rger so wichtigen Seelenk?mpfen.
Als er aufh?rte, stand die Sonne schon hoch; er dachte an den M?nch von Heisterbach, von dem Claire erz?hlt hatte: ein Jahrhundert war verflossen, als er zur?ckkehrte, alles fremd. Er h?tte unbedenklich, ohne Z?gern, seine Rolle ?bernehmen m?gen, ausgenommen, dass er sofort in Staub zerfiel; Hannah w?re nicht mehr gewesen, das Kind nicht mehr, der Krieg nicht; nicht Claire -- das allein w?rde ihn geschmerzt haben, denkend, wie sie ihn gesucht h?tte. Er w?re unbefangen unter Menschen gegangen, nicht zweifelnd, dass er alles wiederfand, Frauen, Unterhalt und nicht unterliegendes Denken von den Zust?nden Unabh?ngiger.
Am zweiten Wasserfall kam Absteigender in eine Schlucht. Da sah er vier Meter ?ber dem Boden, vier Meter unter den oberen B?umen, eine Gestalt, eingeschmiegt in eine Rinne, Plaid um die H?ften. Wurde das M?rchen Wirklichkeit, lockte die Nixe? Darauf erkannte er ein blasses Gesicht, geschlossne Augen, die ohnm?chtige Hannah. Sie hatte sich verstiegen, konnte nicht vorw?rts, nicht zur?ck. Um ihren Mund lag ein bebender, entschlossen bittrer Zug, er musste denken, dass sie sch?n war. Er rief sie an, sie erwachte. Er liess sie das Plaid zuwerfen, legte es auf seine Brust, den Anprall zu mildern und befahl mit erhobnen Armen: >>Springen Sie.<< Sie gehorchte, sie st?rzten beide zu Boden, aber sie waren nicht verletzt.
>>Wie lang standen Sie da'?<< fragte er.
>>Ich weiss es nicht, eine Sekunde der Ewigkeit, die aus allem heraushob. Es war nicht anders, als wenn der Abgrund unter mir vierhundert Meter tief gewesen w?re, ich rechnete ab. Nicht mehr ich dachte, in mir dachte das Unbekannte, das sich nun enth?llte. Ich verstand, was Todesstunde ist, denn ich merkte nicht, dass ich gesichert war, solange ich mich in die Spalte schmiegte, ich f?hlte nur, dass ich st?rzen und den Kopf auf der Kante zerschmettern w?rde. Denken war zeitlos, ich erkannte mich: keine Furcht vor dem Tod; Missachtung war seltsamer Stolz, ich h?rte, dass die Berge tosend rauschen, und dieses Rauschen war der Fall der Zeit in die Ewigkeit, gleichm?ssiger Donner. Ich begann mit unaussprechlicher Intensit?t eine Gestalt zu schaffen -- Alkestis, die f?r Admet zum Hades ging; Admet erlangt die Erlaubnis, ihren Schatten zu sprechen, bewegt sie, zur?ckzukehren. Sie will nicht mehr, alles ist fern, die Liebe, die Kinder, das Licht. W?re ihr Dialog niedergeschrieben, es w?re vielleicht gewaltig.<<
Sie hatte das Pathos der Ersch?tterten, darnach war sie ersch?pft; unm?glich zum Haus zu gelangen. Er breitete das Plaid auf einer Wiese aus, sie hatte K?rbchen des Fr?hst?cks mitgebracht. Danach schlief sie, er las; nach einer Weile sah er sie nach einem Buch greifen, liess sie gew?hren. Stunde des Mittagspans war vor?ber, die hohe heisse Stunde des fr?hen Nachmittags kam. Da schloss sie das Buch und sagte:
>>Es ist eine Szene darin, die Sie lesen sollen. Sie durchw?hlt mich, f?hrt zur?ck zu dem heute morgen Gef?hlten.<<
Er sah nach dem Titel, es war ein Roman, der die Erobrung Mexikos durch Cortez behandelte.
>>Erz?hlen Sie aus Ihrer Erregung,<< sagte er. Sie:
>>Im Land der Azteken herrscht unerh?rter Luxus und unerh?rte Grausamkeit. Sie reissen den Gefangnen das Herz aus der Brust, bieten sich selbst als Opfer dar. Sie essen das Fleisch der Geopferten in Mais gebacken, nicht mehr Kannibalismus, religi?se Handlung. Ein Krieger hat sein Leben verwirkt. Man schm?ckt ihn, l?sst ihm eine Woche lang jede Freiheit, er wird nun strahlender Gott geheissen, der unter Menschen weilt, jede Frau, zu der er geht, muss ihm zu Willen sein; doch bei diesem ist sein junges Weib, die z?rtlich Sch?ne. Am letzten Tag setzt man ihm ein Gem?se vor, darin sind die Geschlechtsteile seines Weibes gekocht, er isst, unbeschreiblich Schmerz, Stolz, Demut in ihm. Danach geht er zum Tempel, um sich das Herz aus der Brust reissen zu lassen; Volk bewundert, liebt und bleibt doch mitleidlos. Ist diese Mitleidlosigkeit nicht Sinn f?r ein Gesetz ?ber uns, Symbol einer Philosophie, in der das Heroische noch die Gr?sse des Barbarischen hat, die G?tter grausam sind? Welch tiefer, gerechter Sinn, den Todgeweihten zum Gott zu erheben, solang er noch im Licht lebt, denn das Jenseits ist unsicher. Ist das Schlachten der jungen Frau und der teuflische Einfall, ihr Weiblichstes dem Gatten vorzusetzen, kannibalisch?
Ich f?hle die Idee, die denkende Verkettung, die D?monie darin, die Inbrunst, die Menschen heisst, Reiche zu gr?nden und Blumenfeste zu feiern, und den Stoizismus, der von Tod und Schmerz als den elementaren Wirklichkeiten weiss. Ich mag nicht mehr denken, denn die n?chste Frage ist: waren die Deutschen nur Dummk?pfe und Verbrecher, als sie den Krieg zur Achse ihrer Zivilisation machten? Waren die Spanier, Herde von Abenteurern, besser als die Azteken, die sie ausrotteten, um des Glaubens und Gottes willen?<<
>>Verbrecher und Dummk?pfe waren jene nicht,<< antwortete Lauda, >>selbst ihr Einfall in Belgien war nicht schlimmer als der Krieg, den Engl?nder gegen Buren f?hrten. Expansion und Imperialismus eines Volks sind biologisch oder philosophisch gesehn nichts als das Bestreben eines Kosmos, der in sich einheitlich rotiert, die Nachbarzellen in sein System einzubeziehn und zur Stoffwechselgemeinschaft zu zwingen. Es ist der Grundvorgang alles Geschehns, und diese Vitalit?t empfanden die Deutschen wohl, sie hatten eine Philosophie, die auf die ?ltesten Urzust?nde zur?ckgriff. Und doch ist diese Philosophie ein verlorner Posten, denn der Mensch ist, wie jeder Kosmos, dem Gesetz der Mutation unterworfen. Schon die Bildung eines in sich rotierenden Kosmos ist ?berwindung des Urzustands, in dem Zelle Zelle auffrisst. Zelle und Zelle gehn bereits eine Gemeinschaft ein. Der Begriff der Br?derlichkeit, der als Idee G?te heisst, beginnt den Kosmos von sich aus umzuschichten. Das ist der Sinn des christlichen Begriffs und seine ?berlegenheit, die auf die Dauer den Sieg ?ber die grandiose Barbarei eines aztekischen Systems davontr?gt. Flache K?pfe sagen, der Krieg sei eine Verirrung, klare leugnen nicht, dass er der Vater aller Dinge war, aber sie f?gen hinzu, dass er veraltete Methode geworden ist. Es gibt ja zwei Grundtatsachen der Existenz, ich und die andren, deshalb sind Egoismus und Br?derlichkeit gleichberechtigt und der Brudergedanke zuletzt der st?rkre. Die Deutschen werden den Krieg verlieren und b?ssen, wie nie in zivilisierter Zeit geb?sst wurde; sie werden nicht nur f?r sich b?ssen, sondern f?r alle andren, die erst im Begriff sind, das kriegerische Prinzip aus sich auszuscheiden -- sie werden also f?r die Gesamtheit der V?lker ein Problem, das ein wahres Menschheitsproblem ist, durchk?mpfen, und die andren werden von diesem Bruderdienst nichts wissen, sondern nur rufen: kreuzige sie. Das wird die Ungerechtigkeit sein, gegen die Deutschland wehrlos ist, und es wird seine Ents?hnung sein. F?hlt man das, so ist es schwer, noch zu der Schuldfrage in der Tagesform Stellung zu nehmen. Aber es wird gut sein, von dieser h?chsten Betrachtungsweise gar nicht zu sprechen, weil es neben ihr, der elementaren Sph?re, die Fordrung der praktischen Welt gibt, in der man nicht anschaun, sondern Stellung nehmen muss.<<
Hannah sagte, z?rtlich f?r einen Augenblick das Sie verlassend:
>>Du sprichst weise wie ein Gott, erhaben und unber?hrt. Sagen Sie mir, ob Sie nicht auch wie ich vorhin das Bedauern empfinden, dass die grossen elementaren Perioden so in uns sterben m?ssen und nur noch in B?chern m?hsam rekonstruiert werden, unverweilende Erregung einer Stunde.<<
>>Als ich gestern das Tal herauffuhr, beobachtete ich, dass mitten in Mulden, durch die nun die Eisenbahn l?uft, Mor?nenreste, ungeheure Ablagrungen von Gletschern liegen, die auch die W?nde des Tals bis zur ?ussersten H?he ausgeschliffen haben. Ihre Zeit ist vor?ber. Als ich heute auf der H?he stand, bleichten zwischen Moosteppich und starrenden Tannen Bl?cke wie ein entbl?sster Kirchhof von Mammutsch?deln. Die Zeit der Mammutsch?del ist vor?ber. Auch die Natur ist an das Nacheinander gebunden, und was uns erlaubt wird, ist, als sp?te Nachkommen eine Erinnrung an das Elementare zu haben. Wir sind mehr als alles an das Nacheinander gebunden, und unsre Kunst ist in ihrer letzten Absicht ein Versuch, die M?glichkeit, die nicht mehr besteht, zu rekonstruieren; Kunst ist Erg?nzung.
Aber wer sagt, dass darum ein aufw?hlender Eindruck wie der Ihrige nur Unterhaltung einer Stunde sei? Er durchsetzt Sie ja, wird weiter wirken und vielleicht schon heute abend einen Einfluss auf die Gestaltung Ihres Lebens haben, der ohne diese Lekt?re unm?glich gewesen w?re. Wenn es uns gel?nge -- vielleicht gelingt es einmal -- eine einzige unsrer Ideen in ihrer Chemie darzustellen, dann w?rde sich zeigen, dass in einem Traum, einer Handlung, einer Vorstellung dieselben Elemente gebunden sind, die in irgendeinem heroischen Zeitalter ungebunden, elementar vorhanden waren. Um ganz weise zu sein und Ihr sp?ttisches Kompliment zu verdienen: alles ist Variation, fortw?hrende Verbindung und Scheidung, nur das Format wird immer kleiner und reduzierter.
Die innre Kosmogonie ist noch nicht gefunden, w?re sie es, w?rde ich sagen: Hannah, Sie sind ein Stern aus Milliarden Sternchen, ich neben Ihnen wie Jupiter neben dem Abendstern; das ist die neue Religion, des Himmelsk?rpers Mensch. Es gibt einen Grad von Identifikation mit den Mitmenschen, der mir manchmal wie Irrsinn erscheint. Ich sehe eine Frau und philosophiere von ihren H?ften aus, f?hle, h?re das Rasen ihrer Zellen, steige in ihren S?ften, breite mich in ihren ?stchen aus, aufgehoben jede Fremdheit, jeder Ekel. Lust, nach ihr zu greifen, sie durch Akt des Eros in mich zu ?berf?hren, dieses kannibalische Stadium, das wir Liebe nennen, wird ersetzt durch das geistige und darum nicht weniger absolute, mich in ihr zu wissen, Blutk?rperchen in ihrem Blut.<<
Sie sah ihn unsicher an, ihr Mund ?ffnete sich, zweimaliger Ansatz zum Reden, und Lauda bereute ein wenig, das Gespr?ch in jene Region gef?hrt zu haben, wo alles Geistige zur prim?ren Sinnlichkeit zur?ckkehrt, aber sie bezwang sich, fragte ablenkend:
>>Und was haben Sie gelesen?<<
>>Das Eingangskapitel von Eugenie Grandet. Es ist bewunderungsw?rdig. Das ist Diktatur des Geists, die einzige, die erlaubt ist, Architektur einer Intelligenz, die alle Erscheinungen der realen Welt in Bausteine aufl?st, aus denen das Fundament aufgef?hrt wird. Es ist die anschauliche irdische Welt, die Welt der Anwendung, nicht der Ideen, in denen ich mich bewege. Aber in meiner Welt nicht weniger klar, fugenlos, ?berlegen zu sein, das ist das h?chste Ziel, das noch locken kann. Nur ein Franzose kann Balzac sein, kein Franzose kann der Balzac der elementaren Welt sein, dem doch die lateinische Klarheit unentbehrlich w?re.<<
Lauda lag im halben Schlaf und suchte den ganzen zu finden, indem er auf das Rauschen des Falls lauschte, der am Morgen wie der Silberbart K?hleborns gewesen war, da h?rte er zweimal ein Steinchen durchs Fenster fallen.
>>Auch Undine treibt ihr Wesen,<< dachte er und trat in die ?ffnung; weisses Gewand schimmerte.
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