Read Ebook: Nein und Ja: Roman by Flake Otto
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Ebook has 949 lines and 70677 words, and 19 pages
>>Auch Undine treibt ihr Wesen,<< dachte er und trat in die ?ffnung; weisses Gewand schimmerte.
>>Ich kann nicht schlafen,<< rief Hannah hinauf, >>die Nacht ist warm wie im Juni, kommen Sie noch in den Garten?<<
Sie h?llten sich in M?ntel und stiegen zur gem?hten Wiese. Der B?r stand zwischen den Bergh?rnern, Venus leuchtete wie ein Hospiz auf dem h?chsten Grat, die Milchstrasse zog gleich Rauch eines Holzfeuers unter der W?lbung, als zwinge die W?lbung ihn, sich auszubreiten.
>>Man muss es von unten sehn,<< sagte Hannah und legte wie am Mittag den Mantel, >>ich konnte nicht schlafen. Es machte wohl froh, mit Ihnen zu reden, alles Wirre ordnete sich durch Gespr?ch, Gespr?ch ist Entspannung. Aber als ich allein war, kehrte alles verst?rkt wieder. Es ist ein Unterschied zwischen uns, der des Geschlechts. Mann, der philosophiert, wohnt in seinem legitimen Reich, Frau f?hlt nur ihre Tragik. Was haben wir? Die Sehnsucht nach dem Druck, der ?ber uns komme; was sind wir? Die nicht in sich selbst Schwingenden, die Kosmen ohne eigne Achse, um mit Ihnen zu reden, diejenigen, die Geistiges, wie wir es heute sprachen, erst ganz begreifen, wenn es in die Feststellung der letzten Sinnlichkeit einm?ndet. Warum f?gten Sie diesen seltsamen Schluss hinzu, dieses Wort vom Von-den-H?ften-Philosophieren? Ich bin so weich geworden, es widerstrebt nicht, einem Mann zu gestehn, dass ich ihn nicht erreiche. Ich habe in diesen zwei Jahren alle kennengelernt, die in diesem Land f?r die Selbst?ndigkeit der Frau streiten. Das H?chste, auf das sie hoffen, ist Wahlrecht und Bankkonto ohne Unterschrift des Manns. Es ist eine Fordrung der praktischen Welt und der sanft gewordnen Zivilisation, in der Bahnen fahren. Dahinter liegt die elementare, wie ist ihr das Wahlrecht gleichg?ltig. Was bin ich? Ein Mensch, t?glich dem Einbruch der elementaren Sph?re in die gesittete ausgesetzt. Ahnen Sie, wie er zerrissen sein muss? Was ich Ihnen von dem Verlangen sagte, die Wahrheit durch Zweifel und Hass zu erkaufen, ist nichts als die nie gestillte Begierde, des Elementaren teilhaftig zu werden, damit Existenz in Ordnung ertr?glich und nicht als feige L?ge empfunden werde. O Freund Lauda in schweigender Nacht, die Dinge des mexikanischen Romans haben mich tiefer aufgew?hlt als das extremste Programm. Helfen Sie einem Stolz, der vor Ihnen das Visier ?ffnet. Sei mir Bruder, da Br?derlichkeit Gerechtigkeit ist.<<
>>Br?derlichkeit,<< antwortete er so leise, wie sie gesprochen hatte, und ihr so nah wie sie ihm, >>ist ein andres Wort f?r Inzest. Bruder nimmt die Schwester, es vereinigen sich die Getrennten. Wenn wir anfangen, geistig zu sein, ?berwinden wir die Sinnlichkeit, wenn wir es ganz sind, kehren wir zu ihr zur?ck. Ich wehrte mich, es ist gleich, was geschieht. O warme, brennende Schwester.<<
In seinem Arm sagte sie:
>>Ich gebe hin allen Fortschritt des Jahrhunderts, k?nnte ich jene Prinzessin sein, deren Geliebter Gott wird, bevor er stirbt. Er w?hlt sie unter allen, die ihm erlaubt sind, er k?nnte in den N?chten sie t?ten, um sie der letzten Grausamkeit zu entziehn, er tut es nicht, man muss sein Schicksal erf?llen. Sie stirbt vor ihm, aber w?hrend man sie verst?mmelt, f?hlt sie die Lust, dass er von ihr essen wird, er Held, f?r den es keine Auferstehung nach dem Tod gibt.<<
Am n?chsten Tag erf?llte sich die Szene, die ihn am Morgen vorher imagin?r zur Flucht getrieben hatte. Er stand beim G?rtner, da kam Hannah aus dem Haus, an der Hand das Kind. Kein Grund mehr, zu widerstreben, Tat ist gerecht, so einfach. Es war ihm fremd, beim Anblick einer Frau, die sich in der Nacht in seine Arme gefl?chtet hatte, am Morgen zu denken, nun sei >>alles ge?ndert<<, Recht oder Verpflichtung entstanden. Es war auch ihr fremd; W?rme, im Druck der Hand versp?rt, war gewachsen, darum nur sachlicher geworden; zwangloser Stolz in ihr, gute Haltung.
Das Kind, abwechselnd zwischen aufrechtem Gang und Kriechen, war unbefangen zu ihm, er zu dem Kind. Seejungen nannte er es, Hannah sah ihn verwundert an, er sagte:
>>Auf einem bayrischen See gezeugt, am Z?rcher geboren, aufwachsend am Brienzer.<<
Sie l?chelte, f?hrte ihn in die Ecke des Gartens, bog Geb?sch zur?ck, zeigte die Statuette eines J?nglings; in der wolligen Haarschur, die wie die eines Stiers war, leise Andeutung tierischer Ohren.
>>Pan, von dem du an jenem Tag in Bayern sagtest, er sei nicht bocksb?rtiger Faun, sondern J?ngling aus den olympischen Spielen. D'Arigo machte ihn, ein deutsch-spanischer K?nstler, der ?hnlichkeit mit dir hat, ich lud ihn auf morgen, mit noch einigen.<<
>>Lass ihn in die andre Ecke Eros stellen, der die Spannung l?st, froh macht, straff, untragisch, wie du heute bist.<<
>>Ja, seltsam ist es; heute nacht konstruierte ich mir die n?chsten Tage mit dir, die letzten vor der Abreise: voll Dunkel, gewaltt?tig gegen mich selbst sein, gewaltt?tige Liebe suchen, dann wie eine aufgew?hlte Schauspielerin, Gef?ss des Tragischen, dorthin reisen, wo das Geschick ins Masslose w?chst, Untergang eines im B?rgerkrieg zerfleischten Volks ist -- nichts von allem mehr heute morgen, klar, froh, so hell die Tage vor mir, hinter dem Gewitter.<<
>>Nein, wir sind nicht gemacht,<< best?tigte er, >>im Dunkel zu weilen, sesshaft zu werden in Selbstzersetzung, letzte Heiden, erste wieder.<<
Sie war ihm nah, wie nie vorher, es verband ihn mit ihr das Gef?hl, Vorstadium der Ann?herung, suchendes, zehnmal in Frage gestelltes, sei ?berwunden, durch Gespr?ch und durch Handlung; Abstimmung sei erreicht, die grosse Parallelit?t, jeder f?r sich, einer neben dem andren. Ritterlichkeit, die sich um den Freund k?mmert, war nicht mehr l?gnerische Galanterie -- Herzlichkeit der Selbst?ndigen.
Bukolischer Tag ward Belohnung solcher Harmonie; Villa im Sinn des Horaz lag am alpischen See unter Bergen, die am Abend rosig ergl?hten; Verse des Horaz waren nicht mehr gew?rtig, aber ihre Rebe und Ulme; k?hler Wein zu Mittag, Schatten zum Vesper, Forellen am Abend. Es formte sich das Ideal k?nftiger Lebensm?glichkeit: ein Haus zu haben in Landschaft, ?ber die die Schauspiele des Himmels ziehn, Sitz der Ruhe und des bestellten Bodens; Gegengewicht gegen Geistigkeit, Obst z?chten und Gem?se. Wandrer h?tte einen Ort, wo seine Habseligkeiten, B?cher, Gesammeltes waren -- Ort, von dem er aufbrechen, zu dem er zur?ckkehren konnte; M?rkte beliefern oder auch nur den eignen Tisch; Fischfang treiben und l?ndlichen Wein keltern.
Lauda verriet Hannah nichts von ersten Gedanken, damit sie nicht Pl?ne machen w?rden; aber als sie sah, dass er sich vom G?rtner Sinn jedes Beets erkl?ren und um den Bezirk des Guts f?hren liess, sagte sie:
>>Es bleibt ungenutzt, wenn ich fort bin, der Bonne, dem M?dchen und dem G?rtner ?berlassen; ich wage nicht, ihnen zu sagen, wie lang und wie weit ich fortgehe. Bleibe hier oder benutze es zu Aufenthalten. Mir w?re es ein Dienst und verringerte Sorge um das Kind, dir eine Annehmlichkeit.<<
Er sass an ihrem Schreibtisch und dachte: >>Ist es poetische Reminiszenz an Romane, ist es Atavismus aus Zeiten, in denen die Menschen nachts zusammenkrochen, ist es einfach Wirkung b?rgerlicher Zust?nde, die die vierundzwanzig Stunden in besch?ftigten Tag und freie Nacht teilen -- Hannah zeigt wie alle den Wunsch, Liebesstunde in die Nacht zu verlegen. Vielleicht ist es auch der Reiz, eine doppelte Existenz zu f?hren, tags?ber die eine nichts von der andren wissen zu lassen, den Mann und sich selbst durch den geheimen Gegensatz zu erregen. Wie dem auch sei, mir ist Eros in Tag und Licht am n?chsten.<<
Er sah ein Heftchen liegen, seine Leere lockte ihn, es zu beschreiben. Unerwarteter Gedanke bot sich an, es mit Feststellungen zu f?llen, die sich von allen andren seiner Selbstbeobachtungen durch die ?berzeugung unterschieden, dass sie nicht nur halbwahr, sondern von diktatorischer Bestimmtheit seien. Er schrieb der r?cksichtslosen Diagramme Laudas erstes:
War aber die Frau von Natur aus sentimental, dann verstand sie solche Parallelit?t nicht, und stellte fest, dass er den >Mensch in ihr beschmutzte<, denn um das k?rperliche Opfer, die Bereitwilligkeit zur sachlichen Lust, als reinliche Handlung zu empfinden, in der einer dem andren nur einen Dienst erweist, dazu geh?rte das Verm?gen, die W?rde der Pers?nlichkeit als Fiktion zu erkennen, unpers?nlich, herrisch, elementar zu sein. Aber auch feinf?hlige Frauen litten durch ihn, weil sie fanden, dass er sie in sinnlichen Fordrungen, sinnlichen Deutlichkeiten zu weit f?hre, und sie wahrhaft nackt, seelisch nackt vor ihm waren, der ihnen nicht den Mantel der Scham liess. Eine Frau musste von ?usserster Leidenschaftlichkeit, also individueller Begierde sein, also Hingabe nicht >nur um seinetwillen< vollziehn, und sie musste die ?usserste Gewissheit seiner Freundschaft besitzen, um nicht pl?tzlich in h?chster Lust ihrer Einsamkeit bewusst zu werden oder ihre Sicherheit zu verlieren; sie h?tte vielleicht weniger Deutlichkeit, weniger Sachlichkeit verlangt, denn wenn er von ihr ging, war ihr das Mysterium f?r alle Zeit entschleiert und es blieb eine Kenntnis ihrer Sinne, die zugleich wie ein brennendes Gift weiterwirkte und die Begegnung mit einem andren Mann matt erscheinen liess, in dessen gr?ssrer R?cksicht sie die Klarheit Laudas vermisste.
Das f?hlend litt er an sich selbst, nicht in dem Sinn, dass er sich f?r einen Zerst?rer hielt, aber die Zerst?rung feststellte. Gab sich ein junges M?dchen in seine H?nde, wurde es unter ihnen reif -- das war Zerst?rung und doch nach seiner Auffassung Erf?llung ihres Schicksals. L?ste sich eine Frau von ihm, fluchte sie ihm vielleicht und verleugnete ihn -- es war zu ertragen.
Er sah durchaus, wie das Positive seines Naturells von einem andren Gesichtspunkt her negativ wirkte: zu wenig G?te, zu wenig Bereitschaft, in seelischen Bezirken zu weilen, zu kurze Behandlung des sogenannten Menschlichen. Er konnte nur sagen: Mensch wird dem Mensch Schicksal. Jene M?nnerauffassung, die in der Frau das Bessre, H?hre, Reinre suchte, war nicht in ihm, weil er sie Auslegung nannte, tiefer sah, wenn er dem unber?hrtesten jungen Gesch?pf begegnete: die Z?rtliche in weissen M?dchenstr?mpfen war doch Gef?ss aller Erregungen und forderte heraus, auf den Weg des Erlebens gestossen zu werden -- ihr unbewusst, aber er empfand es, dachte nicht wie andre M?nner: sie muss geschont werden, sondern: sie will nicht zu sehr geschont sein.
War eine Frau ihm nicht restlos gut, nannte sie ihn sinnlich. Es war wahr und sagte doch nichts aus: er konnte ganz neutral mit ihr verkehren, musste sie nicht >haben<, aber solche Beziehung war eine M?glichkeit und das Gegenteil eine andre, jene nicht moralisch besser, denn Unsinnlichkeit ist kein ethisches, sondern ein geistiges Prinzip, Vorgang in einem, der manchmal die Sinnlichkeit aufheben muss, um nicht von ihr abh?ngig zu sein. Er glaubte also in dieser Frage ganz sachlich zu sein, was auch hiess, dass er ganz seinem Naturell treu war. Von andren her hatte sein Naturell Grenzen, von ihm, Lauda, her gab es sich Grenzen, indem es das ausschied, was nicht zu ihm passte, zum Beispiel ?bermass des Seelischen.<<
Nach dem Abendessen wollte Hannah auf dem See rudern, vorausgesetzt, dass er eine halbe Stunde wartete, bis das Kind zu Bett gebracht war. Sie forderte ihn auf, zugegen zu sein, aber es lockte ihn nicht. Er leugnete nicht, dass kleines Kind, rosig unter dem Schwamm strampelndes, h?bsch anzusehn war, aber er mied noch die Sph?re des Kinds. Eine junge Frau hatte ihn einmal gefragt: Sind Kinder nicht das Wertvollste, was wir haben? Er verstand es von der Frau aus, aber nicht vom Mann. Die junge Frau, vor der noch das eigne Leben lag, fand das Wertvollste schon ausserhalb ihrer selbst; vor f?nf Jahren war sie noch selbst Kind gewesen -- erwuchs sie, ging alsbald der Wert von ihr auf die J?ngren ?ber. Sich in dieses Nacheinander einzuordnen, solche Verlegung auf die Zukunft der Rasse war ihm undenkbar. Der erwachsne Mensch war ebenso wertvoll.
Er rief Hannah zu, dass er vorausgehe, stieg zum See hinunter. Ein Igel lief ?ber den Weg, er hob ihn auf, sah ein auf M?rchenformat reduziertes verrunzeltes Menschengesicht zwischen winzigen ?rmchen, r?ckw?rts in Urzeiten verzaubertes, nahm das Tier ins Boot und fuhr nun selbst r?ckw?rts in Urzeiten. D?ster der See, wie im Pfahlbaualter, feucht, vom Schatten der Berge belastet. St?rker mit jedem Tag wurde ihm die F?higkeit, sich aus der Gegenwart zu l?sen, f?nfhundert Jahre r?ckw?rts, f?nfhundert auch vorw?rts zu denken. M?rchen des M?nchs von Heisterbach wurde dank ?bung eines Hirnmuskels Wirklichkeit, und entspannte sich durch die Kontr?rfigur Chidhers, des ewig Jungen, der, wenn er wieder des Wegs gefahren kommt, Hirt mit dem Stab findet, wo eine Stadt gestanden war.
Aus dem Ablauf der Geschehnisse, aus der Kette der eignen Tage heraustreten k?nnen, sich dem Ablauf entgegenstellen, die Zeit aufheben, das gab das spezifische, ihm eigent?mlichste Gef?hl, in den Ereignissen seines Lebens nur Gast zu sein, der ganz da ist, danach ganz fort sein wird. Das hiess auch, dass eigentlich die andren das Leben ihm vorlebten, er nur Zuschauer war: er sah die Gefahr. Erhob er seine Wanderschaft zum Prinzip, dann schloss er sich nicht nur aus, das w?re das Geringste gewesen -- er wurde auch abh?ngig vom Prinzip, sein Tr?ger.
Ausweg war, zu wechseln; aber Wechsel war selbst wieder nur ein Prinzip, das von andren M?glichkeiten ausschloss. Andrer Ausweg: die Erg?nzung im Geist vollziehn: entweder Wandrer bleiben und die Sesshaftigkeit der andren nicht missachten, oder selbst sesshaft werden und den Vorbehalt, dass das nur eine Handlung der praktischen Existenz ist und durch die Idee des Wanderns relativ wird, frisch erhalten.
Immer schloss sich der Kreis, Ja und Nein gingen ineinander ?ber. Das war die allgemeine Richtung seines Denkens, aber das Problem von Tat und Betrachtung, Praktisch und Elementar, Ja und Nein darum noch nicht gel?st. Er begann zu ahnen, dass er selbst in die Sph?re der Tat gef?hrt werden musste, dass er irgendwelchen grossen Entscheidungen nicht entgehn konnte, dass er sich ganz in Bindung im Dienst eines menschlichen Glaubens begeben, in irdischer T?tigkeit verwachsen, und danach schmerzhaft sich losreissen musste. Die Ehe mit Claire war eine solche Arena, in der Ja und Nein miteinander stritten, aber es gab wichtigre Angelegenheiten als die Ehe, sie lagen in der Sph?re des Sozialen. Hannah fuhr nach Russland, und er f?hlte: diese Sozialisten, die heimkehrten, um Revolution aus dem ersten Stadium ins zweite, dritte zu f?hren, wuchsen in M?glichkeiten, die das Problem der Tat geschichtliches Format annehmen liessen.
Er h?rte Hannah vom Ufer rufen, nahm sie an Bord. Sie brachte ihren Dachshund mit, sechsj?hrigen, ?ltren, in dessen Augen, sprach Mensch mit ihm, so erstaunlicher Funke von Intelligenz trat, und der seine Eigenheiten so ausgebildet hatte, dass Lauda ihn nur mit Mynheer anredete. Der Hund st?rzte unter den Sitz, zog sich verwandelt zur?ck, Lauda ward an den Igel erinnert, hob ihn zu Hannah empor und sagte:
>>Tat wam asi, die einzigen indischen Worte, die ich kenne, man braucht nicht mehr.<<
Sie lachte, es war ihm Ernst:
>>Sieh ihn an, wie menschlich sein Gesicht ist, ein dumpfer verarbeiteter Proletarier. Sahst du jemals in einem Koben Schweine? Erschreckend, wie noch menschlicher sie sind. Wo ist der Unterschied? Die Tiere sind, der Mensch wird; die Mutationsf?higkeit ist der Unterschied, nicht die Seele; denn die Seele ist ein Ph?nomen der Mutation, eine Beunruhigung zwischen zwei Zust?nden. Weil Tiere sind, Kinder aber verlangen, dass ich sie in mein Leben einordne, also eine Mutation vornehme, liebe ich Tier mehr als Kind. Daran wird mir klar, dass eine Abneigung gegen Mutation in mir oder uns besteht, also meine Eigenwilligkeit, meine Abneigung, Ideen und Gebote st?rker als mich werden lassen, einem Beharrungsbestreben entspringt -- Beharrungsbestreben, Tr?gheit im Gravitationssinn, ist die Definition von Egoismus. Mag sein, dass wer stolz auf seine Geschlossenheit ist, nur egoistisch ist, und dass, wer sich Vater- und Familienpflichten nicht entzieht, tapfrer ist, gehorsam dem Gebot der ewigen Umwandlung. Was mich zu Tieren zieht, ist die Gemeinsamkeit des Triebs, nur sein zu wollen, nicht zu werden -- bei ihnen Gesetz, mir Wunsch. Nicht untertan werden, suver?n bleiben: wahrlich, ich beginne auch da eine Gefahr zu sehn.
Seltsame Epop?e, die mein Denken heisst, ich umkreise mich von allen Seiten. Verzeih, du hast die Eigent?mlichkeit, dass ich mit dir fessellos diskutiere; jeder, mit dem man zusammenkommt, veranlasst so zu einer besondren Haltung, die man sofort, automatisch, einnimmt, sooft man ihn wiedersieht. Du wirst noch, an mich denkend, definieren, dass Lauda jemand sei, der mit Damen philosophiert, bevor er mit ihnen schl?ft. Es gibt niemand, der nicht komisch w?rde, denn komisch ist, was konsequent ist.<<
>>Daf?r hast du ja deine Theorie und Taktik der Aufhebung,<< sagte Hannah.
Lauda: >>Und laufe Gefahr, Don Quichotte zu werden, Wotan-Wandrer, der die grosse Arie vom ewigen Wechsel singt.<<
Hannah: >>So kritisch gegen dich selbst?<<
Lauda: >>Durchaus. Man muss sich selbst Wahrheiten sagen. Manchmal, wenn ich dir erkl?re, wie ich etwas sehe, ist es, als sei ich der liebe Gott, der sich ?ber seelische Probleme interviewen l?sst, Besserwisser und Tyrann -- einziger Unterschied, dass er einen langen Bart tr?gt, ich als bartloser J?ngling mit Fauns?hrchen in deinem Garten stehe.<<
Hannah: >>Wer sich selbst verspottet, ist der Gefahr des Hochmuts fern.<<
Lauda: >>Keineswegs, er spiegelt sich in dieser Verspottung. Die W?nde in unserm Innern, W?nde der Individualit?t, sind Spiegelglas, in dem wir uns beobachten und -- gef?llig finden. Dass mir jedes Ja in Nein umschl?gt, Aufhebung, Schliessung des Kreises wird, das erkl?rt sich daraus, dass wir buchst?blich in k?rperliche W?nde eingeschlossen sind, in denen nur der Kreis m?glich ist; ohne sie strahlten wir in das All hinaus, uns aufl?send, materielle Erkl?rung eines Seelengesetzes. Je mehr ich in Seelisches eindringe, desto h?ufiger wird die Erkenntnis, dass es nicht Tiefres gibt als das Materielle, dass es das letzte Wort ist, hinter Seele und Metaphysik gelegen. Metaphysik ist die Zur?ckf?hrung der seelischen Ph?nomene auf das Wunderbarste, nie zu Erkl?rende, die k?rperliche Existenz.<<
Hannah: >>Hast du noch nie daran gedacht, Komik, Humor, Satire als Ausdrucksmittel zu gebrauchen? Du liebst nicht Seele, sondern Unbelastung, nicht Dunkel, sondern Helle. Von Helle zu Heiterkeit ist nur ein Schritt.<<
Lauda: >>Daran habe ich gedacht, ja. Es ist nur eins gegen die komischen Gattungen zu sagen: dass sie im Grund die Fragen, die den Mensch besch?ftigen, ebenso ernst nehmen wie die ernsten Gattungen selbst. Sie sind Ausgleich zwischen Ja und Nein, mittlere Linie, also zwar Vorbehalt dem Ja gegen?ber, aber auch Verleugnung des Nein. Die komischen Gattungen sind beschaulich -- ich f?rchte, dass ich nie beschaulich werde, den Florettstoss ins Herz der Dinge vorziehe.<<
Hannah: >>Also setzt du dich immer mit einem Gegner auseinander, lebst von ihm?<<
Lauda: >>Wie wir alle. Man k?nnte wie ein Freisinnsmann von einer Theorie der Notwendigkeit des Gleichgewichts der Kr?fte sprechen -- drei Genitive.<<
Hannah: >>Gleichwohl wirst du auf die Dauer nicht umhin k?nnen, Ausgleich, mittlere Linie zu w?hlen, denn soviel glaube ich zu verstehn, dass Durchf?hrung der Aufhebung in der Praxis zu einem reinen Nein f?hren muss, da Leben in einer fortlaufenden Reihe positiver Angebote besteht. Wenn du alles, woran Menschen glauben oder auch nur ihre Energie setzen, aufgehoben hast, bleibt nur noch ?brig, die Existenz selbst aufzuheben, Nein zu ihr zu sagen.<<
Lauda: >>Gut Dialektik getrieben, Frau Hannah; du vergisst, dass danach Aufhebung des Nein sich automatisch einstellen, zum modifizierten, durchdachten Ja werden wird, und dass ich nicht ein solcher Pedant sein werde, von diesem zweiten Ja zum zweiten Nein und so fort in Ewigkeit weiter zu gehn.<<
Hannah: >>Und wenn die Bereitwilligkeit, Ja zu sagen, eines Tags versagt?<<
Lauda: >>St?rzt alles zusammen wie in jedem, der nicht an absolute Werte glaubt. Du selbst fandst ja an jenem aztekischen Paar sch?n, dass es f?r die, die zum Tod verurteilt sind, kein Wiedersehn im Jenseits gibt, und zogst daraus die wahre, einzig starke, heroische Stimmung der Tapferkeit.<<
Hannah: >>Wohl wahr. F?r dich aber w?nsche ich die Tat, mein Vorschlag ist nun nicht mehr, das Haus in meiner Abwesenheit zu beziehn, sondern -- komm mit mir nach Russland, st?rze dich in den Strom, er tr?gt den, der nicht schwer ist.<<
Lauda: >>Was versprichst du?<<
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