Read Ebook: Moriz: ein kleiner Roman by Schulz Friedrich
Font size:
Background color:
Text color:
Add to tbrJar First Page Next Page Prev Page
Ebook has 697 lines and 42855 words, and 14 pages
Ich stand wie versteinert. Es war mir als s?he ich in einen Guckkasten. Ich wusste nicht, ob ich stehen bleiben, oder vorr?cken, ob ich lachen oder weinen sollte.
Ich war ausser mir vor Angst und Freude. Die Umstehenden l?chelten ger?hrt.
Erhole dich, Kind, sagte meine Mutter, und f?hrte mich zu einer Seitenth?r: wir wollen ein wenig abtreten, du sollst mir erz?hlen, wie es dir auf deiner Reise ergangen ist.
Sie ?fnete die Th?r.
>>Da ist er, da ist er!<< rief ein M?dchen und h?pfte mir entgegen. Ich sah sie an, und siehe da, Fr?ulein Louise! >>Du reisender Handwerkspursche!<< rief sie und riss mich in die Mitte des Zimmers. Ihre Eltern kamen herzu und umarmten mich. Der Oberste besonders dr?ckte mich an seine Brust mit einer Kraft, dass mir der Rest von Athem h?tte ausbleiben m?gen, den ich bey allen den frohen und unerwarteten Erscheinungen noch ?brig behalten hatte. Malchen stand von ferne am Fenster und malte auf den Scheiben. >>Nun, Malchen,<< rief ihr Vater, >>willst du nicht n?her?<< -- Sie kam ganz langsam herbey, und als ich sie bey der Hand nahm, sah sie nach Osten und ich nach Westen. >>Freut ihr euch nicht?<< sagte der alte Lehmniz. Ich weinte mit Malchen in die Wette.
>>Ach, habt euch nicht so n?rrisch, Kinder!<< sagte der Oberste: >>Pfui, Springinsfeld, wer wollte weinen! Das schickt sich nicht f?r einen Kerl, wie du bist!<< Mit den Worten schob er uns in den grossen Saal zur?ck. Mein Vater kam mir entgegen und sagte: du hast nun alle alte Bekannte gesehen, nun muss ich dir noch zwey vorstellen. Er f?hrte mich in die K?che, und Martha trat mir entgegen. Sie konnte vor Schluchsen kaum reden, umarmte und k?sste mich und stotterte die Versicherung dabey, dies sey der erste und letzte Kuss, den sie nach Absterben ihres ewiggeliebten letzten Br?utigams einer Mannsperson gegeben habe.
Unterdessen ?fnete mein Vater eine Seitenth?r und heraussprang -- Phylax. Ich riss mich von Marthen los und ihm entgegen. Er that ganz spr?de, ging um mich herum, beschnupperte mich, und schien mich in meinem neuen Anzuge nicht zu kennen. Als ich ihn aber anredete, tanzte und h?pfte er, was er konnte, und trieb seine H?flichkeit so weit, dass er nach meinem Haarbeutel sprang und ihn um ein Haar zwischen seine grossen Z?hne genommen h?tte.
Jetzt kam mein Vater und f?hrte mich in den grossen Saal zur?ck. Wie gl?cklich ich mich f?hlte! Aber es dauerte lange, ehe ich mich v?llig ?berzeugen konnte, dass diese ganze Begebenheit kein Traum sey.
Moriz.
Drittes Buch.
Erstes Kapitel.
Ich hatte nicht lange das Gl?ck, unter den Augen meiner Eltern erzogen zu werden. Mein Vater ging nach vier Jahren als Gesandter nach Frankreich und nahm meine Mutter mit. Mich liessen sie zur?ck.
Acht Tage vor ihrer Abreise k?ndigten sie mir an, wozu sie mich bestimmt h?tten. >>Du sollst ein paar Jahre Page bleiben,<< sagte mein Vater, >>und sodann Soldat werden. Jenes ist deiner Gem?thsart nicht ganz angemessen, das weiss ich, aber ich w?nschte, deinen Hitzkopf eben dadurch zu b?ndigen. Nur bitte ich dich, lieber Sohn vertausche dein Feuer nicht mit Sklavensinn. Du wirst bald sehen, was ich damit sagen will, und dein eignes Gef?hl, hoffe ich, soll dich davor bewahren. Mache mir die grosse Freude, dich als Mann wieder zu finden, wenn ich zur?ck komme!<<
Zweytes Kapitel.
Ich kam unter eine Gesellschaft von jungen Leuten, funfzehn an der Zahl. Wenn der Instruktor nicht zugegen war, sprangen sie auf Tische und B?nke. Jeder hatte, so lange die Lektion dauerte, seinen kleinen Plan zu irgend einem Schelmst?ck ausgebr?tet, und so bald sie den Nacken frey hatten, ging es Kopf oben Kopf unten. Aus allen ihren Mienen und Geb?hrden sprach Verachtung unserer Aufseher, und doch zitterten sie, wenn einer von ihnen erschien, und Die vorher die meiste Geringsch?tzigkeit ge?ussert hatten, waren dann die geschmeidigsten und h?flichsten.
Dies Betragen gefiel mir nicht. Ich machte manchen kleinen Schw?rmer mit, f?hlte aber nicht, dass ich meine Vorgesetzten, aus Furcht entdeckt und bestraft zu werden, verachtete. Dies hatte aber f?r mich die Folge, dass ich fast immer der letzte war, der sich zur?ckzog, wenn wir einen unbesonnenen Streich gemacht hatten, und dass man sich in solchen F?llen jedesmal an mich hielt und mich f?r das Volk b?ssen liess.
>>Auf meine Ehre!<< sagten dann immer die Knaben, wenn ich die Strafe h?tte leiden m?ssen: >>Auf meine Ehre, ich ersch?sse den Kerl, wenn er es mir so machte!<<
F?r diesen Vorschlag hatte ich gar keinen Sinn, und ich begriff nicht, wie ich gegen einen Mann T?cke n?hren k?nnte, der mich mit Fug und Recht bestraft hatte.
Es war nat?rlich, dass ich bey dieser Gesinnung der ganzen Gesellschaft junger, heimlicher Teufel, furchtbar werden musste. Wenn mich einer beleidigte, so brannte im Nu die Strafe auf seinem Backen, statt dass die ?brigen die Beleidigung in sich verschlossen und auf heimliche Rache dachten. Denn wenn sie sich auf der Stelle r?chten, so mussten sie bef?rchten, dass der Geschlagene unsern Aufsehern seine Klagen vorbr?chte; und dann h?tten sie das grosse Ungl?ck gehabt, Vorw?rfe oder Strafe leiden m?ssen, oder wohl gar als unruhige K?pfe ?ffentlich entdeckt zu werden, da sie es doch heimlich seyn wollten. Lieber unterdr?ckten sie ihren Verdruss und bezahlten dem Beleidiger bey einer andern Gelegenheit durch die dritte Hand mit zehnfachem Wucher, und h?tten Wochen und Monate dar?ber hingehen sollen.
Von dem allen that ich gerade das Gegentheil, aber dies hatte f?r mich den Schaden, dass ich bey unsern Vorgesetzten in den Ruf des unb?ndigsten, starrsinnigsten und streits?chtigsten aller Pagen kam.
Diese Leute waren wenig besser, als ihre Untergebenen. Sie schienen gar nicht zu wissen, dass es Charaktere giebt, oder geben m?sse, die offen und geradezu handeln; mithin hielten sie das an mir f?r st?rrische Bosheit, was helle, unversteckte Gutherzigkeit war.
An meinen Lehrern lag es also nicht, wenn ich in kurzer Zeit nicht eben so verdorben ward, als die ?brigen. Sie bothen mir, wie man sieht, h?lfreiche H?nde zu dieser Metamorphose.
Die tiefen Verbeugungen, die sie zu machen pflegten, gefielen mir eben so wenig. Der Tanzmeister hatte seine Noth mit mir. Er predigte und predigte, und reckte und dehnte mich, aber meine Verbeugungen hielten das Mittel, und er war in Verzweiflung, dass er keinen Anstand hineinbringen konnte. Einmal ?usserte er die Vermuthung, mein R?cken m?sse wohl von Eisen seyn. Sogleich setzte ich einen Stuhl mitten in den Saal, legte mich r?cklings ?ber denselben hin, und nahm in dieser Stellung ein St?ck Geld mit dem Munde von der Erde auf. Als dies geschehen war, setzte ich den Stuhl stillschweigend weg und sah den best?rzten Tanzmeister an. Er zuckte die Achseln und sagte zu einem unsrer Aufseher: er hat unerh?rte Geschmeidigkeit, aber will mir nicht den Gefallen thun, und sie zum Guten anwenden. Dies zog mir von neuem Vorw?rfe und Drohungen zu; aber ich achtete sie nicht, weil ich meinem Vater die Freude machen wollte, mich als Mann wieder zu finden. Ich glaubte ihn nun v?llig verstanden zu haben.
Drittes Kapitel.
Als ich ungef?hr ein halbes Jahr Page war, wurde eine neue Hofdame vorgestellt. Ich sah sie im Vorzimmer und sie w?rdigte mich einiger Blicke, die eine mir ganz fremde Wirkung auf mich thaten, und deren Wesen ich mir nicht erkl?ren konnte. Sie starrte einigemal auf mich her, dass meine Blicke unwillk?hrlich zu Boden sanken. Ich f?hlte eine Art von beklemmendem Zittern, und zugleich stieg es mir warm vom Herzen bis zur Scheitel herauf, und meine Haare krisselten auf derselben gerade so, als wenn man zu Winterszeiten den blossen Kopf der Luft aussetzt.
Diese Empfindung war mir unertr?glich. Ich wandte der Frau den R?cken zu und f?hlte Verachtung gegen sie, ohne mir einen Grund davon angeben zu k?nnen.
Hu! wie mir das ans Herz schoss! Es konnte niemand gelten, als mir, denn ich war gerade der einzige Page im Vorzimmer. Aber hier konnte meine Wuth nicht ausbrechen. Nie erinnere ich mich, in so einem f?rchterlichen und so v?llig unertr?glichen Zustande gewesen zu seyn.
Verachtung war mir von jeher die t?dtlichste Beleidigung gewesen, und jetzt ward ich von einer Frau verachtet, die ich verachtete, die ich nie beleidigt hatte. Dabey sah ich keinen Weg vor mir, mich an ihr zu r?chen, und musste den Trost entbehren, der den andern Pagen bey einer solchen Gelegenheit nicht entgangen w?re. Diese h?tten sich in Geduld gefasst und ihren Verdruss mit s?ssen Aussichten auf eine schleichende, stille Rache niedergedr?ckt. Es fehlte wenig, so h?tte ich ihnen diese Gem?thsart beneidet.
Man wollte die Dame gern ehren, und gab ihr einen Pagen zum Dienst. Wie froh war ich, dass es mich nicht traf!
Viertes Kapitel.
Aber man denke sich meinen Unmuth, als mir der Hausmarschall den folgenden Tag ank?ndigte: ich sey zum Dienste der neuen Hofdame bestimmt, und m?sse sogleich den Pagen Neuberg abl?sen. Ich w?re lieber durch Feuer gelaufen, aber hier galt keine Widerrede. >>Seyn Sie h?bsch gelehrig!<< sagte der Marschall zu mir, als er sich entfernte.
Ich verstand nicht, was er damit sagen wollte und ging murrend auf meinen Posten. Der Page Neuberg kam mir entgegen und schien etwas gegen mich auf dem Herzen zu haben.
Ich sah ihn ernsthaft an und sogleich sprang er auf einen andern Ton ?ber.
>>Ach, der kleine Runde!<<
Das Wort rund war mir unbeschreiblich verhasst geworden, von dem Augenblicke an, wo es Neuberg mit einem bedeutenden Accent von meinen Backen brauchte.
>>Sind Sie nicht ein Lemberg?<<
Zu Befehl, gn?dige Gr?fin!
>>Lange keine Briefe aus Frankreich?<<
Vorgestern!
>>O, Ihre Mama ist meine Herzensfreundin! Wie gef?llt es ihr, wie lebt sie in Paris?<<
Davon hat mein Vater nichts geschrieben!
In dem Moment sprang sie auf mich zu, nahm mich bey der Hand, zog mich rasch und ?ngstlich ans Fenster und rief: Lemberg, Sie sind ein Schl?ger, das werde ich Ihrer Mama schreiben!
Ich sah sie mit grossen Augen an.
>>Hier! hier ist eine grosse Narbe! Mit wem haben Sie sich geschlagen?<<
Narbe? Geschlagen?
>>Ja, ja! Nur n?her, junger Herr!<<
Sie zog mich n?her ans Fenster, blinzelte, strich mir noch einmal mit den zwey Fingern ?ber den Backen, brach in ein erzwungenes Lachen aus und sagte am Ende: sie h?tte einen Schatten auf meinem Backen f?r eine Narbe angesehen, und mich f?r einen Schl?ger -- beydes sey nicht wahr.
Die Gr?fin wusste dies nicht, und ein Gl?ck f?r sie, dass in eben dem Augenblicke, wo ich die Fassung verlor, der Hausmarschall ins Zimmer trat.
F?nftes Kapitel.
Ich entfernte mich und kaum war die Th?r hinter mir zu, so h?rte ich ein starkes Gel?chter. Dies konnte vielleicht gar keinen Bezug auf mich haben, aber ich glaubte mit H?nden zu greifen, dass es mir g?lte. Es fuhr mir kalt durch alle Adern, das Athmen ward mir unendlich schwer, und meine Brust war wie mit starken Ketten zusammengeschn?rt.
Nach einer halben Stunde entfernte sich der Marschall, und die Gr?fin liess mich rufen. Ich trat herein und fand sie nachl?ssig auf eine Ottomanne hingegossen. Ihre damalige Figur und Stellung werde ich nie vergessen, und ich glaube, dass mir der Anblick des Todesengels in den letzten Sekunden meines Lebens nicht widriger seyn wird.
Add to tbrJar First Page Next Page Prev Page