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Read Ebook: Die Bibliothek meines Oheims: Eine Genfer Novelle by T Pffer Rodolphe

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Ebook has 898 lines and 56679 words, and 18 pages

Die Bibliothek meines Oheims.

Eine Genfer Novelle.

Von Rudolf T?pffer.

Vollst?ndige Deutsche Ausgabe, mit 137 Bildern von der Hand des Verfassers.

Inhalt.

Seite

Die beiden Gefangenen.

Ich habe Leute kennen gelernt, die an der Schwelle des v?terlichen Kramladens gross geworden sind. Dieselben hatten sich in dieser Lebensweise eine gewisse praktische Menschenkenntniss erworben, und so eine Art spiessb?rgerlichen Sinn, einen Philistergeschmack, eine Gew?hnlichkeit der Ansichten bei kleinst?dtischer Engherzigkeit und Vorurtheilen. Man machte sie zu Advokaten, Beamten, und jeder ?bertrug denn von seiner Ladenschwelle weg gute oder schlechte Eindr?cke, die sich nie verwischten, in diese seine Wirkungskreise.

Andere sassen dieselbe Lebenszeit, ich will sagen etwa ums funfzehnte Jahr, in einem einsamen K?mmerlein unterm Dache, ?ber stillem Hofe. Die wurden nachdenkliche Leute, und -- wie wenig sie mit den Strassenneuigkeiten bekannt waren -- ein kleiner Kreis von Nachbarn gen?gte ihnen, reiche Beobachtungen ?ber diese f?r sich anzustellen. Sie erwarben sich eine zwar minder ausgebreitete, daf?r aber desto innerlichere Menschenkenntniss. Wie manche Zeit verbrachten sie, fern von jeder Zerstreuung, mit sich selbst, w?hrend jene Ersteren auf ihrer Ladenschwelle immer von neuen Gegenst?nden angezogen wurden und so weder Zeit noch Lust bekamen, eine Bekanntschaft ihres eigenen Innern zu machen. Ob Advokat oder Minister, muss nicht der Mann aus dem Dachst?bchen andere Weisen haben, als der von Vaters Th?re!

Oder h?tte das etwa keinen Einfluss, was einem vor Augen geschieht? und die Leute, die um einen herumlaufen, und das Gerede, das man h?rt, und die d?steren oder aufheiternden Gegenst?nde, die man sieht, und die Nachbarschaft und all die tausend Zuf?lligkeiten? F?rwahr! es ist ein eigen Ding um die Erziehung! Indess Ihr mit klarem Bewusstsein nach den Rathschl?gen eines Freundes oder Buchs Geist und Herz Eures Kindes zu dem von Euch erw?nschten Ziele zu lenken sucht, kommen Dinge, Gerede, Nachbarn, Zuf?lligkeiten und verschw?ren sich gegen Euch oder helfen auch wol nach, ohne dass ihr Einfluss zu verhindern oder nur zu entbehren w?re.

Sp?ter endlich, wenn's so ?ber zwanzig, f?nfundzwanzig Jahre kommt, thut der Einfluss der Wohnung wenig mehr. Mag dieselbe d?ster oder heiter, bequem oder ?rmlich sein: sie gleicht einer Schule, worin der Unterricht geschlossen ist. In diesem Alter baut der Mensch seine Lebensbahn; er ist bereits vor jener, die Zukunft einschliessenden Wolke angelangt, die ihm eben noch so fern erschien; seine Seele ist nicht mehr tr?umerisch und gelehrig; die Gegenst?nde spiegeln sich wol in ihr ab, lassen aber keinen Eindruck mehr zur?ck.

Ich nun wohnte in einem einsamen Stadttheile, n?mlich hinter der Peterskirche in der N?he des bisch?flichen Gefangenhauses. Durch das Gr?n einer Akazie gewahrte ich die Fensterbogen der Kirche, den Fuss des hohen Thurms, ein schmales Fenster des Gef?ngnisses und in der Ferne zwischen den D?chern hin den See und seine Ufer. Wie viel vortreffliche Lehren h?tte ich nicht daraus gewinnen k?nnen; wie sehr hatte mich das Schicksal vor andern Knaben meines Alters beg?nstigt! Mag ich sie nun auch nicht recht zu benutzen gewusst haben, so rechne ich es mir doch zum Ruhme an, aus dieser Schule hervorgegangen zu sein, die edler als eine Ladenschwelle und reicher als ein einsames St?bchen war. Sicher, h?tte ich nur im mindesten Anlage besessen, w?re ich darin zum Dichter geworden.

Indess bei Licht besehen, ist es so besser; denn ich bezweifle gar sehr, dass es jemals einen gl?cklichen Dichter gegeben hat. Oder kennt Ihr etwa einen Einzigen auch unter den Gl?cklichsten von ihnen, der seinen Durst nach Ruhm und Ehre stillen konnte? Kennt Ihr Einen selbst unter den Gr?ssten und gerade unter diesen, der je mit seinen Arbeiten zufrieden gewesen w?re und in ihnen die himmlischen Gebilde wieder erkannte, die sein Genius ihm vorhielt? Ein Leben voll tr?gerischer Hoffnungen, Entt?uschungen, Ueberdruss, das ist alles! Ja, mehr noch! dies ist nur die Oberfl?che, sie muss, denke ich, noch gr?ssere Schmerzen, noch bitterern Unmuth einschliessen. Diese K?pfe bauen sich ein ?bermenschliches Gl?ck, welches jeden Tag zerschellt oder zusammenbricht. Sie strecken ihr Haupt hoch in die Himmel und sind an die Erde gefesselt; sie lieben G?ttinnen und finden nur Sterbliche. Tasso, Petrarca und du, Racine, ihr empfindsamen, kranken Seelen, ihr nimmer ruhigen, ewig blutenden, klagereichen Herzen, sagt einmal, um welchen Preis ihr unsterblich geworden!

Das ist Ursache und Wirkung. Weil sie Dichter sind, leiden sie solche Qualen und weil sie solche Qualen leiden, sind sie Dichter. Aus dem Kampfe in ihrem Innern springt, wie ein Blitz aus der Wolke, der Strahl, welcher aus ihren Versen uns angl?nzt; das Leiden enth?llt ihnen die Freude, die Freude lehrt sie das Leiden; an der Seite ihrer Entt?uschungen bl?hen ihre Hoffnungen. Aus diesem reichen Chaos, aus diesen fruchtbaren Schmerzen entstehen ihre erhabenen Lieder. So entlockt der Sturm der einsamen Aeolsharfe die s?ssesten T?ne.

Ich wundere mich darum gar nicht mehr, dass ich einmal einen gescheiten Mann sagen h?rte: lieber ein Winkelkr?mer als weltber?hmter Dichter, lieber der namenlose Giraud als Dante Alighieri.

Diese Vorstellung, die ich mir vom Dichter mache, ist ganz wahr, denn man sehe nur, wonach diejenigen ringen, welche nach diesem Berufe streben. Ist es nicht, wenn irgend m?glich, nach dieser Verwirrung, diesen Schmerzen, diesem reichen Chaos? Gleich wie man die Tugend durch fromme Redensarten nach?fft, so ?ffen sie die Poesie durch Worte der Klage, der Angst und unaussprechlichen Schmerzes nach. Sie leiden in ihren Versen, sie seufzen in ihren Versen, sie schleppen darin mit zwanzig Jahren das ersterbende Alter eines verbitterten Lebens, sie vergehen darin! Fast Alle beginnen damit. Ach! Freundchen, es ist nicht so leicht als du denkst, traurig, ungl?cklich, betr?bt sein; von W?nschen gefoltert, von Entz?cken gegeisselt zu werden, sein Leben verbittern, sterben wie Millevoye! Darum die Maske herunter und zeige dein Antlitz heiter. Warum, du dicker Freund, o warum deiner Natur nicht folgen? Was f?r einen Vorzug erblickst du darin, seufzend und klagend zu erscheinen, f?r todt und doch nicht im Grabe vergessen zu gelten?

Wenn ich ?brigens von fruchtbaren Schmerzen rede, so will ich damit keinesweges sagen, dass jeder grosse Dichter in seinen Versen nothwendig seufzen und weinen m?sse; im Gegentheil, die reizendsten Phantasien ?berdecken seinen bittern Unmuth. Selbst wenn er uns in ein entz?ckendes Elysium zaubert oder uns die Sch?nheit mit den himmlischsten Farben malt, so ist es die Leere der Erde, die ihn zur Flucht in gl?cklichere H?hen bewog. Er malt die Gesundheit, weil er krank ist, den Sommer, weil er auf Eisfeldern irrt, frische Quellen, weil ringsum D?rre schmachtet. Der Ungl?ckliche kostet einige Minuten lang entz?ckenden Rausch und l?sst uns aus der Schale mittrinken; wir bekommen den Nektar, ihm bleiben die Hefen.

Aber da ertappe ich einen h?sslichen Gedanken, der hinter einer Falte meines Gehirnes hervorguckt, n?mlich den Gedanken, dass ich meiner Lust willen es wol zufrieden bin, dass solche duldende Seelen gelebt haben,... dass Ungl?ckliche sich lange Jahre in Kummer hinschleppten, um einige Gedanken, einige Verse zu hinterlassen, die mich entz?cken, die mich einen Augenblick erregen!... Der entsetzlichen Selbstsucht des Herzens, der grausamen Lust, die sich selbst ganz sich selber opfert! Aber dennoch... Racine, ein D?tenkr?mer, Virgil, ein Ellenh?ndler;... Nein, ich bin noch nicht gescheit genug, ?ber meinen grauen Sch?del sind noch nicht Jahre genug gezogen. Es wird ein Tag kommen, und nur zu bald, wo ich gescheiter, wenn auch nicht minder selbsts?chtig, den jungen Leuten dies zu Gem?th f?hren will. Und wenn so ein alberner Gedanke, wie ich ihn da eben ertappe, in ihrem Gehirn aufsteigt, so soll er ihre Stirne umziehen und ihnen auf den Lippen sitzen bleiben.

Es gibt viele solcher schm?hlichen Gedanken in dem Gehirn, die sich vor Scham verbergen, die aus Furcht, verh?hnt zu werden, schweigen, und die, wenn sie zuweilen einmal aus ihrem Versteck hervorgucken, die Schamr?the bis hoch auf die Stirn treiben. Einstmals hat ein Mann eine Haussuchung in seinem eigenen Gehirn angestellt; er durchforschte alle Falten desselben, suchte zu unterst und zu oberst und liess auch nicht das kleinste Titelchen unbeschauet. Was er so fand, daraus machte er ein Buch voll Lebensregeln, einen treuen Spiegel, in dem sich der Mensch weit h?sslicher sieht als er zu sein glaubte.

Der Herzog, der dies that, befolgte darin die Lehre des Sokrates, welcher den Menschen ermahnt, in sein eigenes Gehirn zu schauen. ????? ??????? will nichts weiter sagen. Ich wenigstens zweifle sehr, ob bei so einer best?ndigen Selbstbetrachtung viel zu gewinnen ist; in gar vielen Dingen ist es besser, sich nicht zu kennen. Manche werden, je besser sie sich kennen lernen, je schlechter; ein anderer, der einsieht, dass auf seinem Acker kein gutes Korn gedeihen will, fasst gar den Entschluss, mit dem Unkraut zu wuchern.

: Franz, Herzog von Larochefoucauld.

Darum schaue ich nicht mehr so viel in mein Gehirn, dagegen ist es mir der angenehmste Zeitvertreib, Anderen hineinzulugen. Ich nehme die Lupe dazu, das Vergr?sserungsglas, und ihr glaubt nicht, wie viel kleine, sonderbare Eigenth?mlichkeiten ich entdecke, der grossen, die man mit blossen Augen sieht, und der ungeheuern, welche von weitem schon auffallen, gar nicht zu erw?hnen. Gall war gewiss ein Narr, dass er den Inhalt nach der Schale, den Geschmack der Frucht nach ihrem Aussehen, den Balsam nach der B?chse beurtheilen will. Ich mache auf und koste, ich ?ffne den Deckel und rieche.

Denkt, alle Gehirne sind aus einerlei Stoff gemacht; ich begreife es, dass sie alle dieselbe Anzahl Zellen haben, dieselben Kn?tchen enthalten, gleichwie in jeder Orange dieselbe Anzahl Kerne in derselben Zahl gleicher Zellen sich befindet; allein von diesen Kn?tchen misrathen einige, andere gedeihen ?berm?ssig und daraus kommen Misverh?ltnisse, welche jene Unterschiede in den Charakteren bilden, wodurch die Menschen einander un?hnlich werden.

Sonderbar ist es, dass eines dieser Kn?tchen niemals misr?th; dass es sich von Nichts wie von Vielem ern?hrt, eines der ersten seinen Wachsthum nimmt und als letztes von allen abstirbt, so dass man, wenn dies gestorben ist, sicher sein kann, dass der ganze Mensch aufgeh?rt hat zu leben. Dies ist die Eitelkeit. Ich habe dies von einem Todtenbeschauer, der hat mir anvertraut, dass er sich lediglich an dies Zeichen hielte und es als das sicherste von allen andern ansehe; riefe man ihn zu einem Verstorbenen, so ?berzeuge er sich vor allen Dingen, ob derselbe nicht noch nach irgend einem Schein strebe, ob nicht irgend eine Sorgsamkeit in seiner Miene oder seiner Haltung, nicht irgend eine Besorgniss vor fremdem Blicke vorhanden sei. In diesem Falle gab er, ohne nur nach dem Puls zu f?hlen, die Erlaubniss zur Bestattung, und wiewol er dieses Verfahren immer beobachtet hatte, war er doch ?berzeugt, noch niemals einen Lebenden unter die Erde gebracht zu haben, was, wie er sagte, seinen Amtsgenossen ?fterer passire, die auf den Puls, den Athem und andere unzureichende Anzeichen etwas g?ben. Er behauptete, dieser Todtenbeschauer n?mlich, dass nicht so sehr Umst?nde, Verm?gen und Besch?ftigung diese Kn?tchen entfalten, sondern wenn irgend etwas Einfluss ?be, so sei es das Alter. In der Kindheit ist es just nicht das erste, das sich zeigt, in der Jugend eben nicht das st?rkste, aber von zwanzig Jahren an ist's eine gewaltige, gefr?ssige Knolle, welche ihre Nahrung aus Allem saugt.

Ich vergesse aber, dass ich von meiner Wohnung sprechen wollte. Ich verbrachte die heitern Tage meiner ersten Jugendzeit in tiefer Stille, lebte wenig mit meinem Lehrer zusammen, mehr mit mir selber und viel mit Eucharis, Galathea und vorzugsweise mit Estella.

Es gibt ein Alter; aber in der That nur eines und das dauert nicht lange: wo die Sch?ferromane Florians einen eigenth?mlichen Reiz ?ben; in diesem Alter befand ich mich. Mir schien nichts liebensw?rdiger als diese jungen Sch?ferinnen, nichts naiver als ihre zierlichen Redensarten und ihre Rosenwassergef?hle, nichts l?ndlicher, b?urischer als ihre schmucken Mieder und die h?bschen Hirtenst?be mit winkenden B?ndern; bei den h?bschesten M?dchen der Stadt fand ich kaum halb so viel Anmuth, Sch?nheit, Geist und namentlich Gef?hl als bei meinen lieben Sch?ferm?dchen. Darum hatte ich ihnen mein Herz ohne R?ckhalt gegeben und meine junge Phantasie gelobte, es ihnen treu zu bewahren.

Kindische Liebe, erster Glanz jenes Feuers, das sp?ter alles ergreifend und verheerend auflodert! ...... Welchen Reiz, welch' heitere reine Lust gew?hrt die unschuldige Vorempfindung eines Gef?hls, das so reich an St?rmen ist!

Das Ungl?ck bei meiner Leidenschaft war, dass ich mich nicht so recht sicher ihr hingeben durfte, und dies einer h?chst ernsthaften Unterredung wegen, die ich ganz k?rzlich mit meinem Lehrer gehabt hatte. Die Veranlassung gab Telemachs sch?nes Benehmen auf der Insel der Kalypso, als er in seiner Tugendhaftigkeit Eucharis verliess; wir ?bersetzten dies Benehmen zusammen in schlechtes Latein:

Und er st?rzte Telemach in das Meer...

Die Frage setzte mich sehr in Verlegenheit, denn so viel wusste ich schon, dass man in Gegenwart seines Lehrers den Mentor nicht tadeln darf. Im Grunde genommen fand ich aber, dass Mentor sich bei dieser Gelegenheit etwas grob benommen habe. -- Ich meine, versetzte ich, dass Telemach froh sein konnte, mit einigen Z?gen Meerwasser davongekommen zu sein.

Du begreifst meine Frage nicht, versetzte Herr Ratin; Telemach war in die Nymphe Eucharis verliebt; die Liebe aber ist die unseligste, die ver?chtlichste, der Tugend feindlichste Leidenschaft. Wenn ein junger Mann verliebt ist, so verf?llt er in Schlaffheit und Weichlichkeit, er taugt zu nichts mehr, als bei den Frauen zu schmachten, wie Herkules zu den F?ssen der Omphale. Dies Benehmen des weisen Mentor, den Telemach vom Rande des Abgrundes zu retten, war daher das Bewundernsw?rdigste von Allem. So, setzte Herr Ratin hinzu, h?ttest du mir antworten sollen.

Auf diese mittelbare Weise wurde es mir klar, dass ich mich in einem schwierigen Falle befand und bereits weit von der Tugend abgewichen sei, denn die Estella liebte ich in meinen Augen offenbar eben so sehr als Telemach die Eucharis. Ich beschloss also, ein so frevelhaftes Gef?hl zu bek?mpfen, welches, der Bewunderung nach zu urtheilen, mit der Herr Ratin das Benehmen Mentors erhob, fr?her oder sp?ter zum Schlimmen f?hren musste.

Herrn Ratins Worte hatten ?brigens einen grossen Eindruck auf mich gemacht; wol weniger weil ich sie begriff, als darum, weil sie dunkel und geheimnissvoll erschienen. Um weise zu sein und nicht in den Abgrund zu st?rzen, unterdr?ckte ich ein unschuldiges Feuer, meine Einbildung heftete sich an die unheilk?ndenden Worte Ratins, um deren Sinn zu erforschen und grosse Offenbarungen daraus zu ziehen.

Das war meine erste Liebe; wenn sie auch, ihrer durchaus eingebildeten Natur gem?ss, keine Folgen hatte, so dr?ckte doch die Weise, wie sie durch Herrn Ratins Belehrung verscheucht wurde, jeder meiner andern Liebe einen eigenth?mlichen Stempel auf, wie man aus den nachfolgenden Erz?hlungen sehen kann.

Das schon erw?hnte Gef?ngniss hatte nur ein einziges Fenster nach meiner Seite her. Gef?ngnisse sind ?berhaupt nicht reich an Fenstern.

Dieses Fenster nun sitzt in einer schwarzen d?stern Mauer. Eiserne Stangen wehren dem Gefangenen den Kopf herauszustecken und eine Vorkehrung draussen beraubt ihn der Aussicht auf die Strasse und l?sst nur wenig Himmelslicht in die Tiefe seiner Klause dringen. Ich erinnere mich, dass der Anblick dieses Mauerlochs mir damals nichts als Schrecken und Zorn einfl?sste. Ich bildete mir ein, dass die ganze Welt voll ehrlicher Leute sei, und darum schien es mir ruchlos, dass ein Einzelner darin sich herausnahm, Dieb oder M?rder zu sein, und die Gerechtigkeit, welche ehrliche Leute gegen dergleichen Ungeheuer beschirmte, erschien mir als eine heilige, strenge Matrone, deren Urtheile nicht zu streng sein konnten. Sp?ter ?nderte ich diese Ansicht: die Gerechtigkeit erschien mir nicht mehr so heilig, die ehrlichen Leute sanken in meiner Achtung und in jenen Ungeheuern fand ich allzuoft nur Opfer des Elendes, der Verf?hrung, der Ungerechtigkeit.... Da kam das Mitleid und milderte meinen Zorn.

Der Geist eines Kindes ist entschieden, weil sein Auge beschr?nkt ist. Alle Fragen sind ihm einfach, weil es nur eine Seite derselben sieht, und deshalb scheint seinem minder aufgekl?rten als geraden Sinne die L?sung eben so einfach als klar. Aus diesem Grunde sagen die Sanftesten unter ihnen zuweilen Hartherzigkeiten und die Aeusserungen der Zartf?hlendsten sind grausam. Ohne dass ich darum gerade diesen Zartf?hlendsten angeh?rt h?tte, begegnete mir dies oft. Wenn ich einen Menschen nach dem Gef?ngniss bringen sah, so sprach meine ganze Theilnahme f?r die Gendarmen, mein ganzer Abscheu gegen den Gefangenen. Dies war weder Grausamkeit, noch Gemeinheit, sondern Rechtlichkeitssinn. Bei minder kindlichem Gem?the h?tte ich die Gendarmen verabscheut und den Gefangenen beklagt.

Eines Tages sah ich einen solchen vor?berziehen, der meine ganze Entr?stung erregte. Es war ein Mitschuldiger an einem grausamen Morde; sie hatten zu zweien einen Greis get?dtet, um das Geld desselben zu bekommen, und dann hatten sie sich eines unschuldigen Zeugen, eines Kindes, das bei dem Morde anwesend war, durch einen zweiten Mord entledigt. Der Genosse dieses Menschen war zum Tode, er aber durch die Geschicklichkeit seines Vertheidigers oder durch sonst mildernde Gr?nde blos zu lebensl?nglichem Kerker verurtheilt. In dem Augenblick, wo er ins Gef?ngniss treten sollte, ging er unter meinem Fenster vor?ber, er sah die benachbarten H?user neugierig an, seine Augen begegneten den meinigen; er l?chelte, als ob er mich kennte! Dies L?cheln machte einen tiefen, widerw?rtigen Eindruck auf mich. Den ganzen Tag konnte ich es nicht mehr aus den Gedanken bringen. Ich beschloss, meinem Lehrer es mitzutheilen, und dieser ergriff die Gelegenheit, mir eindringliche Vorstellung ?ber die viele Zeit zu machen, die ich durch das Schauen auf die Strasse verl?re.

Mein Lehrer war doch, wenn ich es recht bedenke, ein drolliger Mann: brav und pedantisch, ehrbar und komisch, ernst und l?cherlich, so dass er auf mich zu gleicher Zeit einen Ehrfurcht und Lachen erregenden Eindruck machte. Die Gewalt strenger Ehrbarkeit, der Einfluss strenger Grunds?tze ist aber, wenn das eigene Benehmen ihnen nicht widerspricht, so gross, dass Ratin trotz des wahrhaft l?cherlichen Eindruckes, den er auf mich machte, eine weit gr?ssere Gewalt ?ber mich ?bte, als mancher weit geschicktere oder t?chtigere Lehrer, bei dem ich aber den geringsten Zwiespalt zwischen den Vorschriften, die er mir aufstellte, und denen, die er selbst befolgte, bemerkt h?tte.

Er war ein Ausbund von Tugend. Wir ?berschlugen ganze Seiten im Telemach, weil sie den guten Sitten gef?hrlich w?ren, und mit der gr?ssten Sorgsamkeit suchte er mich vor jeder Neigung zu der verliebten Kalypso zu bewahren, wobei er mir bemerklich machte, dass ich in der Welt noch eine Menge gef?hrlicher Weiber antreffen w?rde, die ihr ?hnlich w?ren.

Diese Kalypso verabscheute er, Kalypso, obwol eine G?ttin, war ihm ein Gr?uel. Die lateinischen Klassiker lasen wir ?brigens nur nach dem ges?uberten Texte des Jesuiten Juventius und dennoch sprangen wir ?ber eine Menge Stellen hinweg, die der strenge Jesuit f?r ungef?hrlich gehalten hatte. Hieraus war die entsetzliche Vorstellung, die ich mir von vielen Dingen machte, entsprungen, wie nicht minder die entsetzliche Furcht, dem Herrn Ratin meine unschuldigsten Gedanken merken zu lassen, wenn sie auch nur den leichtesten Anflug von Liebe hatten, oder im entferntesten mit Kalypso in Ber?hrung standen, diesem Gespenste Ratins.

Es liesse sich Vieles hier?ber sagen. Diese Methode entz?ndet weit mehr, als sie l?scht; sie l?sst nicht zum Ausbruch kommen, aber sie beugt nicht vor. Sie erzeugt viel eher Vorurtheile als Grunds?tze. Ihre erste Wirkung ist namentlich, dass sie sonst unfehlbar immer die Unschuld, diese zarte Blume, die ein L?cheln beugt, die nichts wieder aufrichten kann, in Gefahr bringt.

Uebrigens war Herr Ratin ganz vollgepfropft von Latein und alten Rom, sonst aber ein guter Kerl, der nicht so streng war, als gern er Strafpredigten hielt. Beim Dintenfleck citirte er den Seneca, bei einem Schelmenstreich den Cato von Utika als Beispiel. Eines aber konnte er mir nimmer vergeben, und das war mein unsinniges Lachen. Der Mann sah in meinem albernen Gel?chter die sonderbarsten Dinge: den Zeitgeist, eine fr?hzeitige Verderbtheit, das sichere Vorzeichen einer bejammernswerthen Zukunft. Ueber diesen Punkt redete er leidenschaftlich und ohne Aufh?ren. Ich schreibe dies einer Warze zu, die er auf der Nase hatte.

Diese Warze war von der Dicke einer Kichererbse und mit einer kleinen Anzahl sehr feiner und sehr hygrometrischer Haare besetzt; denn ich hatte bemerkt, dass sie mit der Ver?nderung der Witterung bald steifer, bald schlaffer dastanden. Nun kam es zuweilen, dass ich w?hrend meiner Stunden auf die unschuldigste Weise von der Welt, aus blosser Neugierde und ohne einen Gedanken an Spott die Warze betrachtete. Dann fuhr er mich heftig an und kanzelte mich ?ber meine Zerstreuung t?chtig ab. Ein anderes Mal, freilich seltener, wollte eine Fliege sich durchaus, trotz des ungeduldigen Zorns meines Lehrers, darauf setzen. Er beschleunigte alsdann die Erkl?rung unsers Autors, damit ich ?ber der Arbeit diesen sonderbaren Kampf nicht bemerken sollte. Allein das war f?r mich eben ein Zeichen, dass etwas vorgehe, und eine unwiderstehliche Neugierde trieb mich an, meinen Blick verstohlen auf sein Gesicht zu werfen. Je nachdem, was es nun eben gab, fasste mich meine n?rrische Lachlust, und je eigensinniger die Fliege war, desto unwiderstehlicher wurde es bei mir und ich platzte heraus. Herr Ratin schien dann durchaus in der Welt nicht die Ursachen eines solchen Scandals zu begreifen; er donnerte gegen das unsinnige Lachen im allgemeinen und f?hrte mir die schrecklichen Folgen desselben zu Herzen.

Nichts desto weniger ist das tolle Lachen eins der herrlichsten Dinge, die ich kenne. Es ist eine verbotene Frucht und darum vortrefflich. Mich haben nicht so sehr die Strafpredigten meines Lehrers davon geheilt, als das Alter. Um so recht mit Herzenslust unsinnig zu lachen, muss man Sch?ler sein und wo m?glich einen Lehrer haben, der auf der Nase eine Warze mit drei spasshaften H?rchen besitzt.

.... Dies Alter ist ohne R?cksicht!

Beim Nachdenken ?ber diese Warze ist mir die Ansicht gekommen, dass alle reizbaren Leute irgend eine physische oder moralische Schw?che haben, eine sichtbare oder unsichtbare Warze, welche sie auf die Meinung bringt, dass man ?ber sie spotte. Vor solchen Leuten lache man nicht: das hiesse ?ber sie lachen; man rede niemals von Lupe und Warze: das sind Anspielungen; nimmer von Cicero und Scipio Nasica, sonst hat man es mit ihnen zu thun.

Es war die Zeit der Maik?fer; sie hatten mir bis dahin ungemein viel Vergn?gen gemacht, aber ich verlor den Spass daran. Wie man doch altert!

Indess, wenn ich allein in meiner Kammer sass und unter t?dtlich langer Weile meine Aufgaben arbeitete, so verschm?hte ich die Gesellschaft von einem oder einem Paar solcher Thiere nicht. Ich muss ?brigens bemerken, dass sie nicht mehr an einen Faden gebunden, um sie fliegen zu lassen, oder an einen kleinen Wagen gespannt wurden, zu dergleichen kindischen Spielereien war ich schon zu alt geworden. Wenn man aber meint, dass sich weiter nichts mit einem Maik?fer anfangen liesse, so irrt man gewaltig. Zwischen den Kinderspielen und den ernsten Studien des Naturforschers liegen noch viele Stufen.

Ich hatte einen unter einem umgekehrten Glase sitzen; das Thier qu?lte sich ab, die W?nde desselben hinanzuklettern, um im Augenblick wieder herunterzufallen, und das ging endlos so weiter; zuweilen fiel es auf den R?cken, das ist bekanntlich f?r einen Maik?fer ein grosses Ungl?ck; ehe ich ihm zu Hilfe kam, bewunderte ich seine Langm?thigkeit, mit der er seine sechs Arme in der leeren Luft herumstreckte, in der immer fehlschlagenden Hoffnung, an irgend einen K?rper anzuhaken, obgleich keiner da war. -- Die Maik?fer sind doch dumme Thiere, sprach ich bei mir.

In der Regel half ich ihm dadurch aus der Noth, dass ich ihm die Spitze meiner Feder hinhielt; dies f?hrte mich zu der gr?ssten, gl?cklichsten Entdeckung. Ich kann in diesem Betracht mit Berquin sagen, dass eine gute Handlung niemals unbelohnt bleibt. Mein Maik?fer hatte sich an den Bart der Feder angeklammert, und w?hrend er sich erholte, schrieb ich eine Zeile, wobei ich mehr auf ihn und seine Thaten achtete, als auf die des Julius C?sar, den ich eben ?bersetzte. Wird er davonfliegen oder die Feder herunterklettern? Von welchen Zuf?llen h?ngen doch alle Dinge ab! H?tte er sich zu dem ersten entschlossen, so w?re es um meine Entdeckung geschehen gewesen, ich h?tte sie nicht einmal geahnt; gl?cklicherweise kletterte er bergab. Als er sich der Dinte n?herte, empfand ich eine Vorahnung; ich f?hlte, dass grosse Dinge geschehen w?rden. So ahnte Columbus, ohne die K?ste zu sehen, sein Amerika. Wirklich netzt mein Maik?fer, als er an dem Ende des Schnabels angekommen ist, seine Schwanzspitze mit Dinte. Schnell ein weisses Blatt...... ein Augenblick der h?chsten Spannung.

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