Read Ebook: Im Land des Lichts: Ein Streifzug durch Kabylie und Wüste by Wolf Thea
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Ebook has 591 lines and 44663 words, and 12 pages
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IM LAND DES LICHTS
IM LAND DES LICHTS
Ein Streifzug durch Kabylie und W?ste
von
THEA WOLF
Mit 64 Bildtafeln und einer Karte
Stuttgart und Berlin Deutsche Verlags-Anstalt 1913
Alle Rechte, insbesondere das ?bersetzungsrecht, vorbehalten
Copyright 1912 by Deutsche Verlags-Anstalt, Stuttgart
Druck der Deutschen Verlags-Anstalt in Stuttgart Papier von der Papierfabrik Salach in Salach, W?rttemberg
MEINEM LIEBEN WEGGENOSSEN
ZUGEEIGNET
An einem grauen, tristen Februartage brachte uns das gehetzte Dampfross aus der Stadt des Kaisers nach Marseille an die Pforte, die in den geheimnisvollen Orient f?hrt. Aus K?lte, Schnee und Eis waren wir pl?tzlich in den Fr?hling versetzt, unter einen tiefblauen Himmel, in eine k?stlich warme Sonne, und ein echter Fr?hlingssturm war gerade dabei, seine unb?ndige Riesenkraft zu erproben.
In Marseille sein und die ber?hmte Kathedrale >>Notre-Dame de la Garde<< nicht besuchen, w?re ungef?hr dasselbe, wie in Rom weilen, ohne den Papst zu sehen.
Der Aufzug, der an einer senkrechten Felsenwand hinaufklettert, brachte uns auf die Spitze der Klippen. Aber seinen sch?tzenden vier W?nden entronnen, war man nur noch ein Spiel des Windes. Mit gr?sster Anstrengung k?mpften wir uns das letzte St?ckchen hinauf bis zum massiven, allen St?rmen trotzenden Gotteshause. Hui, wie da der Wind fauchte, jauchzte, triumphierte! Um dem wilden Sturmgesellen den Eingang zu verwehren, waren alle grossen Pforten fest verschlossen, nur auf Umwegen durch ein kleines, fast verborgenes T?rchen gelangte man in das Innere. Leer und ver?det lag das nach Weihrauch duftende Kirchenschiff. Der junge, starke Fr?hling draussen hielt ihm die vielen frommen Beter fern, die mit ihrem Leid und ihrer Tr?bsal sonst so vertrauensvoll hierhin zur heiligen Gnadenmutter pilgern.
Mit wildem Freudengebraus empfing uns der Sturm, als wir uns wieder hinaus ins Freie wagten, und trieb uns atemlos vor sich her. Kein Wehren half. Hatte einer von uns wohl Zeit gefunden, hinunter in die Tiefe zu schauen, wo die gewaltig aufgepeitschten Wellen an den weissen scharfen Klippen zu Schaum zerstoben, hinaus auf das schwarzblaue Meer, das in hohen dampfenden Wogen heranrollte?
>>Das mag keine sehr bequeme ?berfahrt werden,<< bemerkte einer, als wir, zwischen den vier W?nden des Aufzugs angekommen, wieder Luft schnappen konnten.
Nein, gewiss nicht. Und wir w?nschten, der herrliche Fr?hlingssturm h?tte an dem Tage gerade ein Gastspiel auf dem Mars gegeben, oder wenn es schon bei uns sein musste, dann doch lieber einen Tag sp?ter.
An Bord des >>Charles Roux<<
Wir hatten ihn gew?hlt, weil er uns als der beste und schnellste Dampfer der ganzen Linie bezeichnet worden war. Nur wenige Passagiere fanden sich ein. Das ?berraschte uns nicht, denn im Hotel und von den Gep?cktr?gern hatten wir bereits erfahren, dass eine ganze Anzahl Reisender des Wetters wegen ihre Fahrt verschoben h?tten. Die Erinnerung an das schreckliche Ende des >>General Chancy<<, der wenige Tage vorher auf dem Wege nach Algier mit Mann und Maus untergegangen war, wirkte noch l?hmend nach. Auch dem Kapit?n und den Matrosen schien der Fr?hlingssturm in den Gliedern zu liegen: der eine schrie, die anderen schimpften, und nirgends konnte man etwas von der ruhigen und besonnenen Art bemerken, die auf deutschen und englischen Schiffen so angenehm ber?hrt.
H?tten wir nicht auch lieber warten sollen, bis sich der Sturm gelegt hatte? Aber w?hrend wir noch ?ber die Frage debattierten, war die letzte Fessel, die das Boot an der Kaimauer festhielt, gefallen, und ein kleiner, keuchender, w?st aussehender Schlepper bugsierte unser Schiff aus dem Hafen. Nach kurzer Zeit schon hatten die ?ber das Deck sich ergiessenden Sturzwellen auch den Mutigsten in das Innere des Schiffes getrieben. Die Hoffnung, dass der Sturm gegen Abend abflauen w?rde, wie es ja h?ufig der Fall ist, erf?llte sich nicht. Je n?her die Nacht kam, desto wilder geb?rdete sich das Meer. Es hob unser armes Boot auf den Gipfel der h?chsten Welle und warf es erbarmungslos hinunter in die Tiefe, dass es in allen Fugen krachte und schauerlich ?chzte und st?hnte. Wie ausgestorben war das Innere. Nicht das geringste Zeichen eines menschlichen Wesens. Selbst der Steward schien verschwunden -- kein Klingelruf brachte ihn herbei. Aber schliesslich ging auch diese Nacht voll Qual und Schrecken vor?ber, und eine strahlende Morgensonne gr?sste uns.
Gegen Mittag tauchten die Bergspitzen von Algier in blauer Ferne auf. Welche Freude dieser Anblick in all den armen Reisenden ausl?ste, deren Gesichter noch deutlich die Spuren der ?berstandenen Qualen zeigten!
Der Zoll wird nur gelinde gehandhabt. Auf frische Blumen aber wird streng gefahndet, und schon sollte ich f?r den Veilchenstrauss, mit dem ich mich geschm?ckt hatte, die n?tigen Abgaben entrichten, als man entdeckte, dass er nur ein Kunstprodukt war, und wir wurden mit einer Entschuldigung entlassen. Ich glaubte zu bemerken, dass meine Veilchen vor lauter Freude err?teten -- wie sch?n mussten sie sein, dass selbst das scharfe Auge eines Zollbeamten sie mit ihren echten Schwestern verwechselte!
Um ein Uhr, also vierundzwanzig Stunden nach der Abfahrt von Marseille, standen wir staunend und entdeckungsfreudig auf afrikanischem Boden.
Algier
Bekannt und doch fremd mutet diese afrikanische Stadt einen beim ersten Beschauen an. Da sind breite, wohlgepflegte Strassen, von Feigen- und Eukalyptusb?umen beschattet. Elektrische Bahnen vermitteln den Verkehr, in den Auslagen der L?den prangen die letzten Erzeugnisse der europ?ischen Mode, die Firmenschilder tragen fast durchweg franz?sische Namen. Elegante Automobile flitzen dahin, und Radler jagen mit ihnen um die Wette -- das alles k?nnte ebensogut in Paris sein. Aber die Atmosph?re ist eine andere, grundverschiedene. Es schwebt ein Duft in der Luft, den man nie und nimmer mit dem Parf?m eines Pariser Boulevards verwechseln w?rde.
Und erst die verschiedenen Menschen, die dieses Strassenbild beleben! Da schreiten gem?chlichen Schrittes zwischen den dahineilenden lebhaften Franzosen die hohen Gestalten der Araber, beturbant und beburnust. Neben ihren Eselsfuhrwerken marschieren mit ernsten Gesichtern die sehnigen Kabylen. Araberinnen, jedoch nur Frauen niederen Standes, wandern zwischen den Passanten. Von Kopf bis Fuss in weite leinene Gew?nder geh?llt, gleichen sie weissen wandelnden W?scheb?ndeln. Kein Fleckchen des K?rpers ist unbedeckt, nur ein dunkles Auge lugt zwischen dem geschickt gerafften grossen Kopfschal hervor.
Auf dem belebten Stadtplatz, wo stolze Palmen und gigantische Bambusstr?ucher ihre Bl?tter im Winde wiegen, tritt das afrikanische Element stark in die Erscheinung und bietet dem europ?ischen Fremdling ein neues, fesselndes Bild. In der prallen Sonne f?hlen sie sich zu Hause, diese braunen und schwarzen S?hne des Landes, stehen in Gruppen behaglich plaudernd, liegen auf der blanken Erde zum Dominospiel oder zusammengekauert zu einem k?stlichen Schl?fchen.
Den modernen Teil der Stadt kann man gut und bequem allein durchstreifen. Die Richtung nach der Rue Bab-Azoun, der fashionabelsten Gesch?ftsstrasse Algiers, ist nicht zu verfehlen, und die ?ffentlichen Geb?ude von gr?sserem Interesse, wie der in wundervollem maurischem Stil erbaute Palast des Erzbischofs, fr?her die Residenz einer Sultanstochter, die Bibliothek, einstmals der Palast von Mustapha Pascha, und einige andere durch Kunst oder Geschichte ber?hmte Bauten, sind leicht zu finden. Um aber den alten Teil, die Kasba, die sich von der halben H?he des Berges bis zur Spitze hinaufzieht, kennen zu lernen, ist es geratener, einen F?hrer zu nehmen.
Was ist das doch f?r ein Labyrinth von steilen Stiegen und wunderlichen, absch?ssigen G?sschen! Und was f?r eine Ruhe, welch befremdendes Schweigen liegt dar?ber! Nicht einmal Kinderstimmen sind vernehmbar. Stumm schreiten die M?nner nebeneinander. Lautlos, wie Phantome, gleiten die vermummten Frauen und verschwinden in den schmalen, vergitterten Hauseing?ngen.
Die kleinen weissen, oft windschiefen H?uschen mit ihren bunten Fensterl?den neigen sich so nahe zueinander, dass die Sonne M?he hat, mit ihren Strahlen dazwischen hindurch den Weg zu finden. Darum ist es hier aber auch bei grosser Hitze ?berraschend k?hl und noch mehr so in dem Innern der H?user. Auf den T?rschwellen und den Treppenstufen hocken Goldsticker, Garnwinder und Schuhmacher bei der Arbeit. In einigen wenigen der wirren, mit Kieselsteinen gepflasterten Gassen wickelt sich das gesch?ftliche Leben ab. Da reihen sich die L?den aneinander, in denen die Eingeborenen ihre bescheidenen Eink?ufe machen k?nnen. Laden ist allerdings ein etwas euphemistischer Ausdruck f?r einen oft nicht mal zwei Meter grossen, fensterlosen Verschlag. Aber hier ist das Nationalgericht des Arabers, der Kuskus, zu haben, da gibt es kleine, in ?l gebackene Fische und die beliebten, an einem Spiess gebratenen Nierenfleckchen, die als besondere Leckerbissen gelten. Ein anderer hat vielleicht nur ein Dutzend Brote, die er los werden will, und sein Nachbar ein H?ufchen Kohl oder ein paar kleine S?ckchen voll H?lsenfr?chte. Alles erscheint en miniature -- nur der Ladeninhaber nicht. Mit untergeschlagenen Beinen sitzt er neben seinem winzigen Vorrat und bedient mit einer bewunderungsw?rdigen Gem?chlichkeit seine verschiedenfarbigen Kunden.
Die Kasbabewohner, unter denen fast alle Rassen Afrikas vertreten sind, lieben die Fremden nicht, die mit erstaunten und neugierigen Blicken durch ihr Quartier wandern, und sie haben eine ungeheure Abneigung gegen den Kodak. Als ob der Erdboden sie verschlungen h?tte, so verschwinden M?nner, Frauen und Kinder im Nu, wenn der Apparat gez?ckt wird.
Der G?ttin Venus wird in der still-verschwiegenen Kasba viel geopfert, und durch lichtblauen Anstrich, lachendes Blau, wie der Himmel, der sich dar?ber w?lbt, verraten sich die H?uschen, wo ihre gef?lligen Dienerinnen wohnen.
Wie eine Tonsur liegt der Marktplatz auf der Spitze des Berges. Hier hat der Fremde das erste, echte und unverf?lschte Bild arabischer Anspruchslosigkeit und arabischen Nichtstuns. Es ist kein Markt, wie wir ihn kennen. Kein Stand, kein Tisch, kein lebhaftes Hin und Her. Auf einem alten Lumpen, der auf dem nackten Boden ausgebreitet ist, liegen die Waren. Auch hier bemerkt man nichts weiter im Handel als die wenigen zum Leben unbedingt n?tigen Dinge, die bescheidenen Nahrungsmittel und daneben noch Burnusse, alt und neu. Es reizt zum Lachen und zur R?hrung zugleich, wenn man sieht, wie der ganze Warenvorrat eines H?ndlers nur aus einem Dutzend Apfelsinen oder aus einer Handvoll Datteln besteht, die fein s?uberlich, etwa f?nf auf ein H?ufchen, nebeneinander aufgereiht sind. Von Waren anbieten ist keine Rede. Die meisten Verk?ufer liegen tr?umend oder schlafend neben ihrem ausgestellten Gut und verlassen sich auf Allah, der ihnen die K?ufer schon schicken wird.
Der Markt ist der Rendezvousort f?r alle, die nichts zu tun haben, und ihrer scheint es eine Menge zu geben. Hier liegen sie, wie auf dem Stadtplatz, auf dem Boden, machen ihr Dominospiel, rauchen und plaudern und ignorieren stolz die Fremdlinge, die in ihre N?he kommen. Auf dem Markt hat auch der Schriftgelehrte seinen Platz, der f?r wenige Sous Briefe schreibt und ?bersetzt, der M?rchenerz?hler, der immer einen aufmerksamen Kreis um sich schart, und der arabische Doktor, der alle Krankheiten mit Schr?pfk?pfen heilt. Mit einer naiven Brutalit?t f?hrt er seine Behandlung aus, bei der noch nicht einmal von reinen H?nden, geschweige denn von Desinfektion die Rede ist. Wie er die Schr?pfk?pfe ?ber einem Feuer erhitzt und in den kahlen Nacken des Patienten setzt, und wie er diese, nachdem sie vollgesogen, mit einem rohen Ruck abreisst, dass das Blut wie ein B?chlein herunterrieselt, mutet wie ein mittelalterliches Verfahren an, und der geduldige Patient, der dies alles ertr?gt, ohne auch nur eine Miene zu verziehen, wird f?r uns ein Objekt der Bewunderung.
Unz?hlige Kinder w?hlen im sandigen Boden wie die Spatzen und erheben sich nur, um von den Fremden mit ausgestreckten H?nden Backschisch zu verlangen. Und diese entz?ckenden, braungebrannten, schmutzigen Kerlchen bringen das einzige laute Leben auf den schattenlosen Platz, auf dem mit sengenden Strahlen die grelle Sonne br?tet.
Viel lieber als durch die steile, enggassige Kasba und das j?dische Viertel, das durch seinen Schmutz und seine laute Gesch?ftigkeit im auffallenden Gegensatze zu dem stillen arabischen Quartier steht, f?hrt uns unser arabischer F?hrer Ali ben Bachir in die k?hlen Moscheen.
Kein Muselmann l?sst sich durch die Gegenwart von Fremden in seiner Andacht st?ren. Nichts existiert f?r ihn, solange er, auf dem Boden hingestreckt, mit dem Gesicht nach Mekka gewendet, sein Gebet verrichtet. Und ist er ein m?der Wandersmann oder einer jener Armen, die kein Dach ?ber dem Haupte ihr eigen nennen, so findet er im Hause seines Gottes Ruhe und Erholung. In seinen Burnus gewickelt, die Kapuze ?bers Gesicht gezogen, schl?ft er dort den s?ssen Schlaf des Gerechten. Den Frauen dagegen ist das Betreten der Moscheen streng verboten, denn >>die Frau hat die Seele eines Hundes<<, wie es im Koran heisst, und ihre N?he w?rde die M?nner nur beunruhigen.
Er ist ein t?chtiger und geschickter F?hrer, unser Ali ben Bachir, mit seinem feinen, scharfgeschnittenen, aber leider von der t?dlichen Hand der Schwindsucht gezeichneten Gesicht. Nachdem wir uns verschiedene alte und neue Moscheen angesehen, f?hrt er uns durch den von exotischen Blumen duftenden Jardin de Marengo hinauf zur alten und ber?hmten Moschee Abderrhaman. Gegen ein Entgelt ist es auch den Ungl?ubigen erlaubt, den Ort zu betreten, wo der ber?hmte Prophet Abderrhaman seine Ruhest?tte gefunden. Tausende und Abertausende sind schon hierhergewandert, um im Gebet Erh?rung ihrer Bitten zu erflehen, und wie in katholischen Wallfahrtsorten w?chserne H?nde und F?sse und Herzen ihre Geschichte erz?hlen, so reden hier hunderterlei Gegenst?nde von dem felsenfesten Glauben und der Dankbarkeit der Anh?nger Mohammeds. Es ist allerdings ein seltsamer und wunderlicher Anblick: man glaubt in einen ?berf?llten Tr?delladen zu kommen. Die Gl?ubigen scheinen anzunehmen, dass ihrem Gotte die Erzeugnisse anderer L?nder die gr?sste Freude bereiten. Nur wenige Arbeiten arabischen Ursprungs sind zu sehen, aber sonst ist alles vertreten, vom wundervollen venezianischen Kronleuchter bis zur ordin?rsten bunten Schlafzimmerampel, von herrlich geschnitzten alten Standuhren bis zum Drei-Mark-Wecker, vom k?stlich gewebten Brokatstoff bis zum buntgedruckten Schnupftuch, wie es bei uns die Bauern tragen.
?berhaupt diese Schnupft?cher! Der findige Kopf, der sie einf?hrte, hat nicht schlecht spekuliert, denn es gibt kaum einen Araber, dem es nicht vom G?rtel oder aus dem Knopfloch herunterbaumelt. Aber es wirkt ordin?r und zerst?rt die Vornehmheit, die der Kleidung selbst des ?rmsten Arabers sonst eigen ist.
Die Moschee Abderrhaman ist winklig und verschoben gebaut. Schmale, dunkle G?nge f?hren von einem Betraum in den andern bis ins Allerheiligste, wo der ber?hmte Marabut seinen ewigen Schlaf schl?ft. Verblasste, fadenscheinig gewordene Fahnen und Stoffreste verh?llen seinen Sarg, und ein muffiger Geruch erf?llt den Raum. Wir laufen in grossen Pantoffeln, geradeso wie wenn man deutsche Schl?sser besichtigt, aber nicht etwa um wie dort das Parkett zu schonen -- denn das gibt es hier nicht --, sondern weil der blosse Fuss des Ungl?ubigen den Boden entweihen w?rde. Ich kam mir tief schuldig vor, als ich im Eifer der Besichtigung, ohne es zu f?hlen, den einen Pantoffel verloren hatte und das Entsetzen in dem Gesicht des Moscheenf?hrers sah, als er das Manko bemerkte.
Kleine Kapellchen sind der Moschee angebaut, in denen ebenfalls die sterblichen Reste einiger Marabuts ruhen. Fromme Beter lehnen aussen an den vergitterten Fenstern. Alte, ber?hmte Geschlechter haben hier oben ihre Grabst?tten, deren Schmuck aus gemalten Kacheln besteht, meist blau und gelb, in wundersch?nen satten Farben und in alter arabischer Arbeit. Vereinzelte hohe Sykomoren spenden Schatten auf die Gr?ber. Vermummte Frauengestalten wandeln dazwischen auf schmalen Pfaden. In einer lauschigen Ecke murmelt ein Br?nnchen; Ali ben Bachir sagte, es sei eine Wunderquelle. Meilen- und meilenweit k?men die Kranken, um von dem Wasser zu trinken, denn es mache gesund. Und die Armen und Bedr?ckten k?men, denn es bringe ihnen Gl?ck. All seine ?berredungskunst half jedoch nichts. Selbst auf die Gefahr hin, alle diese sch?nen Dinge zu verscherzen, konnten wir uns nicht entschliessen, aus einem Becher zu trinken, den eben erst ein von Schmutz und Ausschlag starrender Araber an die Lippen gef?hrt hatte. Aber Ali qu?lten keine solchen Bedenken, mit einer geradezu ergreifenden Andacht leerte er den Inhalt. Armer, beneidenswerter Kerl! --
Die Sonne muss so leuchtend scheinen, der Himmel so herrlich blauen und Land und Meer in solch ?berm?tigen Farben einem zu F?ssen liegen, wie es hier von der H?he der Moschee Abderrhaman der Fall ist, dass man seine fr?hliche, leichte Stimmung so schnell wiedergewinnen kann, wie es bei uns geschah.
Fatme
Wir hatten an verschiedenen Abenden das bunte Leben und Treiben der Stadt an uns vor?berfluten lassen, hatten zwischen berauschend duftenden und bl?henden Str?uchern, wie sie nur eine s?dliche Vegetation hervorbringt, den Weg hinauf nach Mustapha gemacht, wo entz?ckende Villen unter hohen Palmen tr?umen, wir hatten arabische Caf?s besucht und zu orientalischer Musik aus winzigen T?sschen den braunen Trank geschl?rft, wir waren im Eukalyptusw?ldchen gewandelt und hatten dem lebhaften Fl?stern der sch?nen Baumriesen gelauscht, und nun wollte uns Ali ben Bachir zu Fatme, sozusagen als der Pi?ce de r?sistance, f?hren. Nicht zu der schon seit vielen Jahren ber?hmten -- denn die sei alt und dick und nur selten noch zum Tanzen gestimmt --, aber zu einer jungen, sch?nen Fatme, deren Anblick eine Augenweide gew?hre.
Voller Aufregung und Erwartung machten wir uns auf den Weg. Ins arabische Viertel ging es nat?rlich, ?ber steile, steinerne Treppen, durch enge, stockdunkle, totenstille Strassen, bis wir in einer kleinen Sackgasse landeten. Nach einer bestimmten Art von Klopft?nen, in denen sich Ali wohl schon ?fter ge?bt haben mochte, ?ffnete sich die kleine Pforte, und wir traten in einen m?ssig grossen, nach der Gasse zu fensterlosen Raum, der das ganze Erdgeschoss einnahm. Ein kleines, schwelendes Petroleumlicht warf einen unsicheren Schein auf eine Frau, die Zigaretten rauchend auf einer Matte kauerte. Kein Stuhl, kein M?belst?ck, nichts als ein Brunnen in einer Ecke, kaum erkennbar. Ein paar Worte des F?hrers, und eine Handbewegung von ihr zeigte an, dass wir uns nach oben begeben konnten. Wir kletterten die schmale Treppe hinauf und kamen auf eine Art Balustrade, von der aus man hinunter in den dunklen Raum mit dem flackernden Lichtchen und der rauchenden Frau auf dem Boden blicken konnte.
>>Da hockt sie immer,<< sagte uns Ali ben Bachir. >>Das ist ihr Platz und das Rauchen ihre Besch?ftigung.<<
Wir hatten nicht erst Zeit, ?ber die Freuden und Annehmlichkeiten eines solchen Daseins nachzudenken, denn im selben Augenblicke wurde ein Vorhang zur?ckgeschlagen, und im Rahmen einer T?r erschien die entz?ckendste M?dchengestalt, die man sich tr?umen konnte. Ali hatte nicht zuviel versprochen. Auch ohne dass man es uns sagte, wussten wir, dass dies nur Fatme sein konnte. Mit einer sch?chtern-anmutigen Handbewegung lud sie uns ein, n?herzutreten. In einem Raum, der kaum so breit war, dass man sich darin umdrehen konnte, lagen bunte Matten und Kissen auf dem Boden, und nach Arabersitte liessen wir uns mit untergeschlagenen Beinen darauf nieder. Es wurde in winzigen Sch?lchen Kaffee serviert, und w?hrend wir daran nippten, weideten wir uns an Fatmes Sch?nheit. Von mittlerer Gr?sse, nicht ?lter als h?chstens dreizehn oder vierzehn Jahre, hatte sie schlanke, weichgerundete Formen, ein feingeschnittenes Gesicht mit grossen dunklen Rehaugen und einem Teint, anzuschauen wie altes Elfenbein, so mattgl?nzend und k?hl. Bunte Seide schmiegte sich um ihre Glieder, und ein weisser, reich mit Silber bestickter Schleier verdeckte zum Teil ihr tiefschwarzes, ?ppiges Haar. Wir plauderten, hatten ungez?hlte Fragen zu stellen, und Fatme, die etwas Franz?sisch gelernt hatte -- nur der fremden Besucher wegen -- antwortete, so gut es ging. Aber sehr oft gab sie sich, wie ein tr?ges Kind, gar nicht erst M?he, die Worte zu suchen, sondern Ali musste als Dolmetscher dienen. Er ?bersetzte unseren Wunsch, dass wir sie tanzen sehen wollten. Sie zierte sich und liess sich bitten. Dann trug sie ihm auf, die Mutter zu holen. Es war die Zigaretten rauchende Frau aus dem Erdgeschoss. Eine bessere Folie als dieses dicke, h?ssliche Weib h?tte die junge Fatme wahrlich nicht haben k?nnen. Das Leben mochte die Frau hart mitgenommen haben. Aber neben dem Zug, den die Sorge gegraben, lag noch so viel Verschlagenheit, List und Gemeinheit in diesem Gesicht, in der ganzen Erscheinung, dass man sich des Widerwillens nicht erwehren konnte. Wir nahmen an, es w?re vielleicht nur eine Art Theatermama. Doch Ali versicherte uns, er kenne die Familie seit langem und wisse bestimmt, es sei die richtige Mutter.
Sie behandelte das Gesch?ftliche der Angelegenheit und setzte den Preis fest, den wir zu zahlen hatten, wenn ihre Tochter tanzte. Nachdem dieser Punkt zu ihrer Zufriedenheit erledigt war, liess sie sich von einer alten Dienerin ein Holzinstrument bringen, das in der Form einer ?gyptischen Vase glich. Auf dem flachen Boden dieser Vase schlug sie nun den Takt, zu dem Fatme tanzte -- nein, tanzen konnte man es wohl kaum nennen, es war eigentlich nichts weiter als ein wohliges Sichwiegen, anmutige Arm- und H?ftbewegungen. Sie erinnerte an ein junges K?tzchen, das sich spielerisch dehnt und streckt. Aber man vermisste die Krallen. Die bezaubernde H?lle schien wenig Temperament zu bergen, und da half auch alles Zureden der Alten mit dem Kupplerinnengesicht nichts. Fatme, die sch?n war wie ein M?rchen, konnte wohl nicht etwas geben, was sie nicht besass. Interessanter war es, sie als Bild zu geniessen, w?hrend die Alte erz?hlte, dass sie den Mann schon fr?h verloren und ihr von neun Kindern nur dieses M?dchen geblieben sei, ihr Stolz und ihre St?tze. Sie k?nnte ohne diese Tochter nicht leben, versicherte sie, und man glaubte es ihr, wenn man den Strahl von fast h?ndischer Treue und Ergebenheit sah, der dabei aus ihren rotger?nderten Augen leuchtete.
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