Read Ebook: Meine Lebens-Erinnerungen - Band 1 by Oehlenschl Ger Adam
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Ebook has 410 lines and 93617 words, and 9 pages
Madame Leppert war eine muntere Frau, die, wenn wir Kinder die ihrigen besuchten, ihren zweiten Sohn bat, uns aus dem Eulenspiegel vorzulesen. Wir selbst besassen die d?nische Thura'sche Ausgabe vom Reinecke Fuchs. Einmal tauschten wir: wir bekamen Eulenspiegel und die Anderen Reinecke Fuchs. Aber dies reuete mich doch sp?ter, der Holzschnitte wegen, wo der L?wenk?nig und die K?nigin mit Kronen auf dem Haupte sitzen, und die Zunge weit zum Halse herausstrecken, wo der Kater Hinze mit dem B?ren Braun spricht, und wo Reinecke als Kapuziner kommt, auf der Leiter steht und sich vom Galgen losschwatzt; die herrlichen Kaulbach'schen Bilder machten in den Greisesjahren kaum den Eindruck auf meine Phantasie, wie jene schlechten Holzschnitte in meiner Kindheit.
Der ?lteste Sohn Leppert's war Student, ein freundlicher, stiller Mensch, der an der Brust litt. Er gewann mich lieb, es that ihm leid, dass ich so lange umherlief, ohne etwas zu lernen, desshalb nahm er mich zu sich nach Hause; ich schlief oft in der Nacht auf seinem Zimmer, er fing an, mich etwas Geographie zu lehren, und schenkte mir einen Atlas, den ich noch viele Jahre nach seinem Tode benutzte.
Da nun das ungl?ckliche Schicksal meines Onkels den guten Major Lange schmerzte, und er durch Maurerarbeit auf dem Friedrichsberger Schloss die Bekanntschaft meiner Eltern gemacht und oft herzlich mit meiner Mutter von ihrem ungl?cklichen Bruder gesprochen hatte -- so gewann er wohl auch mich armen Jungen lieb, und um doch wenigstens mich zu retten, sprach er mit Storm und verschaffte mir die Freistelle in der obengenannten Schule.
Ich brachte ein nicht unbedeutendes Verm?gen von Friedrichsberg mit, welches ich, da ich nie mehr als zwei, oder h?chstens vier Schilling besessen hatte, auszugeben eilte. Wir hatten n?mlich zu Hause die Einrichtung getroffen, dass wenn wir Kinder eine kleine B?chse voll von dem Zucker sparten, den wir des Morgens zu unserm Thee erhielten, wir zwei Schilling bekamen. Ich gew?hnte mich nun daran, den Thee fast ohne Zucker zu trinken , und dadurch brachte ich es so weit, dass ich die kleine Zuckerb?chse voll sch?ner blanker neuer Zweischillingst?cke bei meiner Ankunft in Kopenhagen hatte. Nun sollte man doch glauben, dass ich mit grosser Sorgfalt bewahren w?rde, was ich so m?hsam und mit so grosser Selbstverleugnung gespart hatte, denn ich war keiner jener Milchb?rte, die im Schlaf zu ihrem Verm?gen kommen und sich desshalb auch mit aller Macht befleissigen, es zu vergeuden, sobald sie m?ndig werden; ich hatte mir, wenn auch nicht mit saurem Schweiss, so doch mit s?ssem Mangel mein Eigenthum, wie der Geizige seinen lieben Schatz erworben. Und doch half es Nichts! In den ersten acht Tagen hatte ich, indem ich beim Spielwaarenh?ndler Violinen f?r meine neuen Kameraden, dagegen Macronen und Feigen beim Italiener f?r mich selbst kaufte, meine Schachtel g?nzlich geleert. -- Ich war besonders ein ausserordentlicher Liebhaber von Feigen; wenn ich mir eine grosse T?te davon gekauft hatte, pflegte ich gew?hnlich, indem ich die erste in den Mund steckte, im vollen Carriere die Strasse entlang zu laufen, und ziemlich laut zu rufen: >>O, gl?cklich' Land, das solche Feigen hat!<<
Herr Gosch warf mir meine Verschwendung vor, als er sie erfuhr; doch -- damit hatte es bald ein Ende, denn als ich nichts mehr besass, gab ich nichts mehr aus. Aber ein anderes Spiel ?bte ich, das mir leicht theuer h?tte zu stehen kommen k?nnen. Einmal, wie sie soeben in der vierten Etage oben im Zimmer sassen, sahen sie einen wunderlichen Gegenstand an dem Strick h?ngen, der vom Giebel bis auf die Erde herunterging; ich war es, der mit dem einen Fuss in dem eisernen Haken stand, und mit dem andern gegen die Wand parirte, wenn ich hin- und herschwankte, um nicht die Fensterscheiben entzwei zu schlagen. Es sah nur etwas gef?hrlich aus. >>Ja, das will noch gar nichts heissen<<, -- sagte einer der Jungen zur Tante, wie wir die Frau im Hause nannten; -- >>aber er geht nie die Treppen hinunter, sondern rutscht immer reitend im vollen Carriere das Gel?nder hinab.<<
Den Abend, nachdem das geschehen war, sassen wir Jungen mit Bruder Drees am Tische. Wir baten ihn, uns etwas vorzuzeichnen, denn er zeichnete h?bsch. Er nahm ein St?ck Papier, zeichnete eine Treppe mit einem Gel?nder und einen Knaben der hinabgefallen war und todt da lag. Die Eltern standen um die Leiche und rangen ihre H?nde vor Verzweiflung. Er reichte mir das Bild, ohne ein Wort zu sagen. Ich betrachtete es, brach in Thr?nen aus, fiel ihm um den Hals und ritt seitdem nie wieder auf dem Gel?nder.
Was mich betraf, so war mir in diesem Punkte nicht bange, denn so lange ich gelebt habe, war es mir unm?glich, Dem Geringsch?tzung zu zeigen, dem ich Ehrerbietung schuldete. Ich und die Meisten waren auch nicht damit gemeint. -- Dickmann machte auch, so viel ich mich entsinne, nur ein einziges Mal Gebrauch von seinem Vorbehalte. -- Er kam einmal in ?bler Laune in die Schule: >>Setzt Euch auf Eure Pl?tze<<, sagte er zu den Jungen, welche in der Klasse spielten. Ein Einziger kroch unter einen Tisch, statt sich auf die Bank zu setzen und bekam ein paar wohlverdiente Ohrfeigen.
Dass diese Tollheiten, ?ber die man fast immer lachen musste, Storm nicht sonderlich zusagten, der ein intimer Freund von J?rgensen's Vater, einem vortrefflichen Uhrmacher, und einem der Stifter der Schule war, ist leicht zu begreifen. Wegen dieser Freundschaft wich Storm auch in Bezug auf den jungen Tollkopf von der Regel ab, und regalirte ihn zuweilen mit eigenh?ndigen Schl?gen, um dem Vater die M?he zu sparen. -- Mehrere Mitglieder der Gesellschaft hielten in den zwei ersten Klassen Vorlesungen, unter Anderen der verstorbene Conferenzrath, damaliger Lector Saxtorph ?ber Anatomie. Der Kammersecretair Rosenstand-Goiske las ?ber Oeconomie und Bergwissenschaft, Storm selbst ?ber nordische Mythologie und d?nische Grammatik. Ich schrieb alle diese Vorlesungen, ebenso wie Dickmann's nach, und machte mehrere Jahre hindurch meine Excerpte, die ich sp?ter verloren habe. Ein Mal vor Rosenstand's Stunde hatte der Sohn des Materialh?ndlers Thomsen eine seiner gew?hnlichen Ladungen Citronats, eingemachten Ingwers u. s. w. mitgebracht, die er mit seltener Freigebigkeit besonders unter Die von uns vertheilte, welche ihm dann wieder bei gewissen Gelegenheiten Souffleurdienste leisten sollten. Diese Collation ward vom Katheder aus vertheilt. Als nun Rosenstand kam und den Tisch etwas von dem eingemachten Ingwer klebrig fand, sagte er mit Ekel: >>Ach da ist Saxtorph wieder mit seinen Leichen gewesen.<< . Wir liessen Rosenstand nat?rlich in seinem Glauben, da wir ihm nicht die Wahrheit sagen durften, und nun musste der Diener hereinkommen und den Tisch abwischen.
Als Saxtorph uns zum ersten Male examinirte, war Storm zugegen. Die Reihe kam an J?rgensen. Saxtorph fragte: >>Wo sondert sich der Speichel ab?<< >>>>In den Nieren,<<<< antwortete J?rgensen. Storm, welcher wusste, dass J?rgensen dies aus Muthwillen gesagt hatte, ging ganz ruhig hin und gab ihm eine t?chtige Ohrfeige. Um nicht mehr zu bekommen, fiel er unter den Tisch. Storm setzte sich wieder hin. J?rgensen kroch wieder auf die Bank mit einem ganz rothen Backen und Saxtorph setzte das Examen mit J?rgensen's Nebenmann in ungest?rter Gravit?t fort, ohne durch irgend eine Mienenver?nderung ein Erstaunen ?ber das Geschehene an den Tag zu legen.
Als J?rgensen ein Mal aus der Schule ging, nahm er einem kleinen M?dchen, die auf der Strasse sass und Obst verkaufte, einen Apfel weg. Als sie zu weinen und zu schimpfen begann, kehrte er sich, den Apfel essend nach ihr um, und sagte ganz ernst: >>Pfui, Du unartiges M?dchen, wirst Du wohl ruhig sein, ich sage es gleich Deiner Mutter.<< Dadurch imponirte er der kleinen Fruchth?ndlerin so, dass sie still schwieg, und er ging mit seinem Apfel von dannen.
Endlich machte er es doch zu arg und der Vater nahm ihn aus der Schule. Wenn er nun in der Th?r von seines Vaters Hause stand, so winkte er den kleinen Knaben, die aus der Schule kamen, als ob er ihnen Etwas zu sagen h?tte. Wenn sie dann in den Flur kamen, schlug er sie mit einem Endchen Tau, das er hinter dem R?cken verborgen hatte, und lief in's Zimmer.
Diese Eulenspiegeleien setzte er in seinem sp?tern Leben fort und sein K?nigthum auf Island war eine Fortsetzung seiner Schulstreiche, nur nach einem gr?sseren Massstabe, der ihm indessen leicht den Kopf h?tte kosten k?nnen.
Obwohl ich nie daran dachte, Dichter zu werden, so machte ich doch schon als Knabe Verse zu meinem eigenen Vergn?gen. In Storm's d?nischer Sprachstunde wurde ich bald der Beste, und ich gab Wochenschriften heraus, die >>Mittwochspost<< in der dritten, und >>Balder<< in der zweiten Klasse, welche meine Schulkameraden mit Schieferstiften bezahlten.
Ich fing auch an Kom?dien zu schreiben, und sie mit meiner Schwester und Winckler im Fr?hjahr und Herbst, wenn es noch nicht zu kalt war, im k?niglichen Speisesaale auf Friedrichsberg aufzuf?hren. Gew?hnlich hatten wir keine Zuschauer. Winckler, der in die Schule >>f?r B?rgertugend<< ging, brachte zuweilen einen Kameraden von dort mit, der nicht viel Sinn f?r solche dramatische Uebungen zu haben schien und gew?hnlich einschlief. Winckler hatte eine ausserordentliche Fertigkeit im Werfen und Treffen. Einmal als unser Zuschauer am entgegengesetzten ?ussersten Ende des Saales sitzend, auf seinem Stuhle eingeschlafen war, -- wir spielten ein St?ck von mir: Die belohnte Gastfreundschaft sagte Winckler, um die Illusion nicht zu st?ren: >>Ach entschuldigen Sie, ich habe noch einen kleinen Hund mit, der auch Etwas bekommen muss.<< Damit nahm er einen halbfaulen Apfel vom Teller und traf den eingeschlafenen Zuschauer mitten auf die Stirn, so dass er erwachte und das St?ck mit gr?sster Aufmerksamkeit bis zu Ende anh?rte.
So wusste Winckler, obgleich eigentlich das negative, widerstrebende Princip meiner ersten Bestrebungen, indem er mit dem Spiele nur spielte, mir oft durch einen gl?cklichen Handgriff in der Noth beizustehen.
Eines Tags f?hrten wir zum Beispiel ein grosses St?ck von mir auf, an dem mehrere Kameraden von mir Theil nahmen. Der Junge, welcher den Vater spielte, hatte eine der alten Per?cken meines Vaters auf, und sah ganz verzweifelt aus, da er auch seine Rolle nicht konnte. Meine Schwester spielte die Tochter, die in Ohnmacht fiel, da sie nicht gleich ihren heimlichen Geliebten heirathen durfte. Der verzweifelte Vater, der seine Rolle nicht wusste, konnte dagegen alle Parenthesen und Anmerkungen an den Fingern hersagen. Indem nun die Tochter hinf?llt, sagt er ganz ruhig: >>Indessen sind sie ihr beh?lflich und bringen sie wieder zu sich.<< Und damit wollte er gehen, weil er nicht mehr wusste. Aber gl?cklicher Weise stand Winckler in der Th?re und warf ihn mit einem ?usserst gewandten Stosse in den R?cken wieder mitten auf die B?hne, so dass das St?ck von Neuem in Gang kam; denn der Stoss hatte eine magnetische Wirkung auf den Schauspieler, und die vergessenen Repliken erwachten alle wieder in seinem Ged?chtniss.
Auch Storm sah uns ein Mal eine solche Kom?die spielen und sagte scherzend zu mir: >>Ei mein liebes Kind, Du bist ja ein gr?sserer Dichter als Moli?re! Man hielt es f?r etwas Ausserordentliches, dass er in acht Tagen ein St?ck schrieb und auff?hrte, aber Du machst das Alles zusammen in einem.<< -- Weder Storm noch ich glaubte damals, dass ich wirklich Dichter werden w?rde. Doch hatte ich eine gewisse geheime Ahnung davon. Auch Dickmann glaubte es nicht; er hatte ?berhaupt keine hohe Meinung von mir, mochte mich aber doch gern, und ich liebte ihn. >>Bilden Sie Sich nicht ein, lieber Oehlenschl?ger,<< sagte er ein Mal in ?bler Laune, >>dass Sie Genie haben, weil Sie diese Verse machen! Sie k?nnen ein t?chtiger Gelehrter, ein gewandter Gesch?ftsmann werden,<< >>Solch Einer,<< sagte er, >>k?nnen Sie werden, aber Sie werden niemals ein Eduard Storm.<< -- >>>>Es ist m?glich,<<<< sagte ich mit verbissenem Zorn und die Hand in der Rocktasche geballt. Ich sah dies f?r eine ungeheure Beleidigung an, und doch hatte Storm nur 200 Thaler j?hrlich und bewohnte zwei kleine Zimmer eines Hinterhauses.
Da mein Geist mich doch stets zu dem Wissenschaftlichen hintrieb, so hatte ich in der letzten Zeit mit einigen Schulkameraden angefangen, Privatunterricht im Lateinischen bei Dickmann zu nehmen.
Meiner Schwester auf Friedrichsberg gab ich wieder in Verschiedenem Unterricht, wenn ich sie dort besuchte. Sie bedurfte nur wenig Anleitung, um Alles, was sie wollte, mit gr?sster Leichtigkeit zu erlernen.
Ich hatte von Kindesbeinen an Lust, Anderen das zu lehren, was ich selbst lernte, und mochte gern Vorlesungen halten. Auch in der Kirche, wenn ich mich allein glaubte, bestieg ich die Kanzel und predigte laut. Der Prediger, Herr Bruun, war einmal in der Sakristei, ohne dass ich es wusste, mein Zuh?rer gewesen, und rieth meinem Vater, mich Theologie studiren zu lassen.
Im Sommer ging ich jeden Abend nach Friedrichsberg; nur im Winter blieb ich in der Stadt. Einmal hatte ich einem meiner Kameraden versprochen, ihm Anatomie zu lehren; ein Kinderskelett hatte ich mit hinausgenommen. Es stand auf dem Tisch, und ich schlief diese Nacht bei meinem Freunde, um den n?chsten Morgen fr?h in das S?dfeld zu gehen und N?sse zu pfl?cken, was eigentlich nicht erlaubt war. Kaum waren wir ins Bett gegangen und hatten das Licht ausgel?scht, als wir Jemand an die Th?r klopfen h?rten. Wir schwiegen erschreckt und ich dachte an das Skelett, welches uns vermuthlich wegen des projectirten Nussdiebstahls strafen wollte. Wie leicht wurde mir aber wieder ums Herz, als unser Dienstm?dchen mit einem Licht und meiner Nachtjacke hereintrat, die ich vergessen hatte.
Eine andere Schule, in die ich auch gekommen war, musste ich bald wieder verlassen, weil man mich nicht in Frieden liess und der Feind mir zu stark war. Ich liebte das Zeichnen sehr; der Zeichnenlehrer in der >>Schule f?r die Nachwelt<<, Herr Dinesen, fand, dass ich Talent hatte, und da er zugleich Lehrer auf der Kunstakademie war, so schlug er mir vor, dorthin zu gehen. Ich kam in die erste Freihandzeichnenschule. Mit welcher Ehrfurcht betrachtete ich nicht die Gypsabg?sse der griechischen Meisterwerke, im Gef?hl und der Ahnung einer Sch?nheit, die ich noch nicht verstand. Von Thorwaldsen wussten wir damals nichts weiter, als dass er ein ausgezeichneter Sch?ler gewesen und nun in Rom war. Ich sollte gerade in die n?chste Klasse kommen, als ich die Zeichnenkunst aufgab. Wie sollte ich auch dazu die Zeit bekommen, wenn ich den Tag ?ber in die Schule gehen, Abends bei Dickmann sein und dann noch meine Arbeiten machen sollte? Aber es war noch ein Grund vorhanden. Zu einer gewissen Jahreszeit besuchten die Malerburschen die Akademie. Diese grossen Jungen schlugen sich immer, wenn sie kamen, und gingen auf K?nigs-Neumarkt und liessen uns Andere nicht in Frieden. Diesen Angriffen wollten meine Eltern mich nicht aussetzen; ausserdem verstand ich nicht mit dem Rothstift umzugehen und war in der ganzen Zeit, wo ich die Akademie besuchte, von einem strahlenden Heiligenschein umgeben. Ich gab desshalb das Zeichnen auf.
Aber auch bei Dickmann waren mir die Privatstunden zu dr?ckend, wenn der Sommer kam und ich ganz den sch?nen Abendfreuden entsagen sollte, die ich bis dahin in der freien Natur genossen hatte. Hierzu kam noch, dass der gute Dickmann, der an Nahrungssorgen und h?uslichem Kummer litt, t?glich verdriesslicher wurde. Einmal, als er uns eine schwierige Stelle in einem lateinischen Autor ?bersetzt hatte, fragte er: >>Verstehen Sie es nun Alle?<< -- >>Ja!<< lautete die Antwort. >>Sie auch, Oehlenschl?ger?<< >>Nicht ganz<<, entgegnete ich, >>wollen Sie vielleicht so gut sein, es mir noch einmal zu ?bersetzen?<< -- >>Ach<<, sagte er mit einem ver?chtlichen Achselzucken, >>ich sehe schon, wo es fehlt.<<
Er ?bersetzte es noch einmal, aber ich h?rte kein Wort; ich war blass, wie eine Leiche, und zitterte am ganzen K?rper. -- Kein Genie, das liess ich gelten; aber nun nicht einmal Kopf genug zum Studiren, ein schlechterer Kopf, als all' die Anderen, das ging zu weit! -- Ich lief zu meinem Vater und sagte ihm, dass ich keinen Beruf in mir f?hlte, ein gelehrter Mann zu werden; ich h?tte mehr Lust zum Kaufmannsstande und w?nschte meine Abendstunden bei Dickmann aufzugeben. -- Mein Vater liess mir meinen Willen. Als ich Dickmann das letzte Monatsgeld gab, war er sehr gutm?thig und bat mich noch auszuharren. >>Lieber Oehlenschl?ger<<, sagte er, >>k?mmern Sie sich doch nicht um ein Wort, mit dem ich Nichts meinte. Fragen Sie alle meine Sch?ler, ob ich ihnen nicht oft viel schlimmere Dinge gesagt habe.<< Er brauchte nicht so viel zu sprechen, um mich ganz zu vers?hnen und meine alte Liebe zu ihm wieder zu erwecken. Ich suchte nun aus allen Kr?ften, mich in seinen historischen Stunden auszuzeichnen. Wenn er uns unser Pensum aus Kall's Weltgeschichte ?berh?rt hatte , so hielt er uns Vortr?ge ?ber die specielle Geschichte der verschiedenen L?nder. Er hatte zu diesem Zwecke eine grosse Menge Excerpte aufgeschrieben und trug vortrefflich vor. In der ersten Klasse schrieben Einige w?hrend des Vortrags das Wichtigste dessen nach, was er sagte. Ich war in der zweiten Klasse und dort schrieb Keiner, ausser mir. Eines Tages sagte er: >>Ich m?chte doch h?ren, was Sie da schreiben; lesen Sie es einmal vor!<< -- Ich las mein Geschriebenes, gut stylisirt, vor, denn ich hatte die Feder schon fr?h f?hren gelernt. -- >>Wahrhaftig, das ist mehr als ich selbst machen k?nnte<<, sagte er, und gab mir: >>Ausgezeichnet gut!<< eine grosse Seltenheit bei ihm, da es sonst Keiner in der zweiten Klasse bekam. Ich war entz?ckt vor Freude, st?rzte in der Zwischenstunde in die erste Klasse, mit dem Censurprotokoll in der Hand, rief: ich habe >>ausgezeichnet gut!<< bekommen, und zeigte ihnen die Stelle, wo es stand. Einige schlugen ein lautes Gel?chter auf; aber Dickmann setzte sie ernstlich zurecht, und erwies mir von dem Augenblicke an stets Achtung. Ich fuhr fort, die Vortr?ge nachzuschreiben und hatte mein kleines Schreibepult voller Excerpte ?ber Mythologie, Geschichte, Oekonomie, Bergwissenschaft und Anatomie. Aber Dickmann wurde immer melancholischer, von Nahrungssorgen niedergedr?ckt, und seine Gesundheit schw?cher. Die ganze Richtung, welche mein Geist einschlug, war nicht nach seinem Sinne. Wie alle Sch?ngeister der damaligen Zeit, hatte er einen ?berwiegend einseitigen Hang zum Sentimentalen. Ich fing nach der Natur des Knaben lustig und naiv an. Aber es war auch nicht durch seinen poetischen Geschmack, dass er Einfluss auf mich aus?bte. Der war nicht sehr gut; er war, wie Viele jener Zeit, ein grosser Bewunderer von Kotzebue und setzte ihn beinahe ?ber Shakespeare. Doch Holberg, Ewald, Wessel bewunderte er, und sp?ter besonders Schiller. -- Aber Dickmann's Vortrag in der Geschichte, die lebendige, begeisterte Art, in der er uns die Charakteristik der grossen Helden und ihrer Thaten gab -- riss mich hin.
Dickmann hatte eine eigene Art, die er von seinem Rector in Bergen gelernt hatte, uns die Jahreszahlen besser im Ged?chtniss behalten zu lassen, n?mlich durch Worte, statt der Zahlen. Wenn dieses Wort nun in seinem Klange Etwas hatte, welches das Charakteristische bei einem Helden oder einer Begebenheit andeuten konnte, so war dies vorzuziehen, meistens aber war es nicht m?glich. In wie weit diese Art der gew?hnlichen vorzuziehen sei, ist eine Frage. Gall hat ja einen Unterschied in den Organen f?r Namen- und Zahlenged?chtniss gefunden. Dass man im Allgemeinen keine Erleichterung dadurch gehabt habe, muss ich voraussetzen, da diese Art, welche doch von Vielen gekannt war, wieder ganz aufgeh?rt hat. Mir half es unendlich viel, da ich sonst die Zahlen gleich wieder vergass. Zum Examen konnte ich dagegen dem Professor Kjerulf alle Jahreszahlen nennen, nach denen er mich fragte, und wenn die Anderen sie nicht wussten, so wandte er sich l?chelnd an mich, und ich sagte sie ihm gleich, wenn ich nur erst das Wort mit meinem Finger aufs Kniee schreiben durfte, und mir Zeit gelassen wurde, es auszurechnen.
Dickmann hatte, ungeachtet seiner Melancholie, etwas Gutm?thig-Launiges in seinem Wesen, das uns sehr am?sirte. Er scherzte, ohne sich etwas an seiner W?rde zu vergeben. Einer seiner Scherze war, dass er that, als ob er sich nicht unserer Namen entsinnen k?nne, und uns nur abwechselnd >>Christoffersen<< oder >>Blokkus<< nannte. Die Entstehung dieser Benennungen weiss ich nicht. Aber desshalb ging es doch gleich ernsthaft mit den Fragen, und wenn Christoffersen oder Blokkus ihre Lectionen nicht wussten, so bekamen sie Ng., M. oder S., d. h. Nicht gut, mittelm?ssig oder schlecht. Ich habe in der Schule nie >>schlecht<< bekommen, nur zwei Mal >>mittelm?ssig<< und selten >>Nicht gut<<. -- Dickmann liebte es, das Spiessb?rgerliche zu persifliren und erz?hlte uns, wie ein Innungs-Aeltester der Branntweinbrennerzunft einmal sehr gravit?tisch seine Rede mit den Worten begonnen habe: >>Meine Herren und Branntweinm?nner.<<
Oft wenn er in Gedanken und seufzend da sass, sagte er scherzend, wenn er sah, dass wir's bemerkten: >>Ach ja! was sind wir Menschen doch weiter als Lichtgiesserschilde und K?se!<< Das erste Gleichniss hatte er von einem Friseur gelernt, der einmal, als er ihn bediente und ihn seufzen h?rte: >>Ach ja! was sind wir Menschen<<, sagte: >>>>Ja, was sind wir wohl anders als Lichtgiesserschilde!<<<< >>Lichtgiesserschilde?<< fragte Dickmann verwundert. >>>>Ja, Herr Dickmann, wenn wir's recht ?berlegen, so sind wir im Grunde genommen nichts Anderes; wir m?ssen uns ja nichts einbilden.<<<< >>Ich bilde mir gar Nichts ein<<, sagte Dickmann, >>und will sehr gern gestehen, dass wir ungeheuer wenig sind; aber warum gerade Lichtgiesserschilde?<< -- >>>>'s hilft Nichts, Herr Dickmann, dass man sich Honig um den Mund schmiert, wir sind, weiss Gott, nichts Anderes!<<<< Es dauerte lange, ehe Dickmann den Grund zu diesem wunderlichen Gleichnisse erfahren konnte. Endlich sagte der Friseur: >>>>Was sind wir anders? Lassen wir uns vom Winde nicht hin- und herbewegen, gerade wie ein Lichtgiesserschild?<<<< Nun verstand Dickmann ihn, und um das Gleichniss vollst?ndig zu machen, f?gte er >>K?se<< hinzu, weil wir nach unserem Tode ganz so, wie der K?se, von W?rmern verzehrt werden.
Storm behandelte uns zuweilen mit einer gewissen launigen Ironie, die stets sehr gute Wirkung that. Er war weit davon entfernt, den sp?tern deutsch-philantropischen, moralischen, frommen Ton zu gebrauchen, der so leicht zu s?sser Sentimentalit?t und dann zur Heuchelei ?bergeht. Wenn einmal Einer in seiner Stunde die Arme, wie ein Bauer, auf den Tisch gelegt, und den Kopf darauf gest?tzt hatte, so sagte er trocken zu seinem Pflegesohn Paul Rasmussen: >>Ach Paul, gehe hinein und hole f?r N. N. ein Kopfkissen!<< Gleich zog N. N. seine Arme zur?ck. Storm hatte einmal Einem, der immer naseweis und altklug war, Etwas befohlen, das er nicht gethan hatte. >>Warum hast Du Das nicht gethan?<< fragte er nun in Aller Gegenwart. -- >>>>Ich meinte<<<< -- >>Du sollst nicht meinen!<< -- >>>>Ich dachte<<<< -- >>Du sollst nicht denken!<< -- >>>>Ich glaubte!<<<< -- >>Du sollst nicht glauben, sondern thun, was ich Dir sage.<<
Zu Hause bei Gosch war eine Ver?nderung vorgegangen; wir zogen in ein anderes Logis, wohnten aber lange nicht so gut, wie fr?her. Hier bekam ich das Scharlachfieber in ziemlich hohem Grade. Als ich mich zu erholen anfing, aber noch sehr matt war, von meinen Eltern, meiner Schwester, meinem Friedrichsberg und der gesunden Luft getrennt, und ausserdem f?hlte, dass ich den Fremden zur Last sei, weil ich mehr Pflege, als gew?hnlich erforderte, -- lag ich eines Tages im Bette, weinte und verbarg meine Thr?nen; da kam ein Junge zu mir, der Peter hiess und nicht gerade wegen seines brillanten Kopfes bekannt war; er spielte mit dem Papagey, dessen Bauer nicht fern von meinem Bette stand. Es am?sirte ihn, das Thier so w?thend zu machen, dass die Federn auf dem Kopfe sich str?ubten. W?hrend dies nun stets mit seinem scharfen Schnabel nach Peter's Finger hackte, der sich immer zeitig genug von den Stahldr?hten zur?ckzog, starb dieser beinahe vor Lachen und stammelte : >>Ach! ha -- ha -- hat Po -- Po -- Polly eine kleine Per?cke! Soll ich Polly die Pe -- Per -- Per?cke abreissen!<< Dazwischen schrie der Papagey in seinem w?thenden Rasen; und diese Scene trug nicht wenig dazu bei, mich aufzuheitern, so dass ich mich bald erholte. Einige Tage darauf nahm meine Mutter mich nach Friedrichsberg hinaus.
Gosch bekam eine Anstellung als Zollverwalter auf Fehmarn, und ich kam nun in das Haus eines Controleurs bei der westindischen Compagnie, der Laasbye hiess. Sein gutes sanftes Weib war eine vortreffliche Hausmutter; er war auch freundlich und erwies mir alles Gute, war aber ganz unwissend und ohne Bildung. In den ersten Tagen, um mir das Bittere der Trennung von meinen andern Lieben zu mildern, nahm er mich ein Mal auf die Zollbude mit hinaus, wo grosse Zuckerf?sser aufgeschlagen wurden. Bei dieser Gelegenheit schenkte Einer der Leute mir einen ungeheuer grossen Klumpen Zucker. Ich war bisher immer gierig auf Zucker gewesen, und hatte, da er mir nur in kleinen Quantit?ten zugetheilt wurde, nie meiner Lust gen?gen k?nnen. Ich fing nun an, den Zuckerklumpen aus allen Kr?ften zu bearbeiten, aber am Ende schmeckte ich gar nichts mehr, und ich wurde seiner zuletzt so ?berdr?ssig, dass ich ihn ins Meer warf, was mir sp?ter sehr Leid that, und mit schmachtenden Blicken stand ich oft am Ufer und starrte an dem Orte in die Wellen, wo der sch?ne Zucker ohne Nutzen geschmolzen war.
Indessen war ich in die erste Klasse gekommen und war ein ganzes Jahr Primus, weil ich in der Schule blieb und keine andere Bestimmung hatte. Die Anstalt war in vielen Beziehungen vortrefflich und in ihrem ersten bl?henden Zustande eine Art Gymnasium und die erste im Lande, wo Ordnung und Geschmack in der Einrichtung herrschten, wo f?r die Bildung der Sitten und des Herzens gesorgt wurde. Die meisten der alten Schulen waren noch Pferde- oder Schweinest?lle, wo Einem zwar griechisch und lateinisch eingepr?gelt wurde, die man aber oft noch roher verliess, als man hineingekommen war, ja die Knabenstreiche arteten nicht selten in Niedertr?chtigkeit und Schurkerei aus. Der einzige Fehler, welchen unsere Schule hatte, war, dass sie f?r eine Vorschule eine zu sch?ne Einrichtung besass, und etwas Anderes war sie im Grunde doch f?r die Meisten nicht. Wer Militair werden sollte, kam von hier auf die Akademieen, wer studiren sollte, verliess die Schule, wenn er sie zur H?lfte durchgemacht hatte, oder nahm Privatstunden, was f?r einen muntern Jungen, dessen Phantasie auch der Freiheit und Natur bedurfte, zu anstrengend war. Ich wenigstens konnte mich noch nicht darein finden, zwei Stunden zu sitzen, wenn ich schon sechs gesessen hatte und dann noch zu Hause an meinen Aufgaben zu arbeiten. Die Schule >>f?r B?rgertugend<< war ungef?hr zu derselben Zeit, wie die Schule >>f?r die Nachwelt<< gestiftet, es war eine gelehrte Schule, in der der alte M?ller gute Studenten bildete; aber als Erziehungsinstitut hatte unsere Schule doch gewiss bei Weitem den Vorzug. Indessen f?hlte ich doch selbst bald, dass sich auf diese Weise kein Weg f?r mich er?ffnen w?rde; durch Winckler, der in die Schule >>f?r B?rgertugend<< ging und starke Fortschritte machte, bekam ich auch Lust, dorthin zu kommen; ich bat meinen Vater darum, aber er schlug es mir rund ab. Storm hatte meinen Plan erfahren; als er ihn h?rte, l?chelte er und schwieg. Es blieb beim Alten; noch wusste ich selbst nicht recht, weshalb, endlich erfuhr ich, was man mir bisher aus einer falschen Schaam verschwiegen, dass ich einen Freiplatz h?tte, und dass mein Vater nicht die Mittel bes?sse, f?r mich zu bezahlen, wenn er mich zugleich in der Stadt in Kost und Logis geben sollte. Sobald ich dies erfuhr, so fand ich mich geduldig in mein Schicksal und suchte in den letzten Jahren so viel als m?glich von der Schule zu profitiren.
Kinder machen, wie die Affen, Alles nach. Wir hatten auch ein Directorium gemacht, wo ich der erste Consul war, sowie Bonaparte, und ich hatte zwei Mitconsuln, die auch Nichts zu befehlen hatten, ebensowenig wie Si?yes und Cambac?r?s. Das Spasshafteste war, dass ich Gesetze f?r meine Republik entwarf, deren erster Artikel also lautete: >>Da kein Staat ohne einen obersten Anf?hrer bestehen kann, so wollen wir einen solchen w?hlen.<< Diesem Obersten musste nun die Republik unbedingten Gehorsam schw?ren, und so ahmte ich, ohne es selbst zu wissen, Bonaparte vollst?ndig nach, und stiftete eine Republik, wie sp?ter Dr. Francia in Paraguay. An der Spitze meiner Republik zog ich auch ein Mal gegen ein Heer der Schule >>f?r B?rgertugend<< aus, und wir beabsichtigten eine Schlacht zu liefern, aber es wurde Nichts daraus, sondern blieb nur bei M?rschen und Man?vern.
Das Merkw?rdigste, das ein Jahr, bevor ich die Schule verliess, eintraf, war Storm's Tod. Er hatte einen schlimmen Husten, der ?berhand nahm, und ihn ins Grab legte; kurz vor seinem Tode war er zum Theaterdirector ernannt; und, ich h?tte beinahe gesagt, es war gut, dass er starb; -- denn es w?re nie gut gegangen. Ich kannte keinen Menschen, weniger zu diesem Posten geeignet, als den edeln, vortrefflichen Storm, wenn ich einige Andere aus sp?terer Zeit ausnehme. Er hatte ein mittelm?ssiges St?ck geschrieben, welches >>Erast<< hiess und allgemein missfallen hatte; -- ob er auf Grund dieses St?ckes zu dem Posten vorgeschlagen war, weiss ich nicht. Zur Administration des Theaters war er durchaus nicht geeignet; Er, der launische, sonderbare Junggeselle ohne Weltkenntniss, dessen ganzes Streben bisher nur dahin gegangen war, die Unschuld der Kinder zu bewahren, und mit frommer, stiller Weisheit die unverdorbenen weichen Herzen zu bilden. -- Dieses Amt w?rde ihm gewiss viele Unannehmlichkeiten bereitet haben, vielleicht h?tte er dadurch selbst Etwas von seinem herrlichen Gleichgewicht verloren. Er starb, da seine Gesundheit doch untergraben war, zu rechter Zeit. Dass er auch gleich in ein eigenth?mliches Verh?ltniss zu dem ersten Theaterdirector gekommen w?re, welches sich nicht so leicht zur Befriedigung beider Parteien h?tte ausgleichen lassen, wenn er sich wieder erholt h?tte, erfuhr ich erst einige zwanzig Jahre sp?ter, eines Mittags beim Grafen Schimmelmann, als ich neben dem Oberkammerherrn Hauch sass und das Gespr?ch auf Storm kam. Ich lobte ihn, und Hauch sagte in der gutm?thigen Laune, die ihm eigen war und ihm so gut stand: >>Ja, es war gewiss ein pr?chtiger Mann; aber mir hat er, trotzdem wir Amtsbr?der waren, nur ein einziges Wort gesagt, und das war: >>Scheusslich!<< -- >>Wie, Ew. Excellenz?<< fragte ich verwundert. -- >>Ja!<< fuhr Hauch fort, >>ich hatte ihn nie gesehen, noch gesprochen, als er Director wurde. In denselben Tagen erkrankte er. Ich schickte meinen L?ufer hin und liess fragen, wie er sich befinde. Er begegnete dem L?ufer in der Th?re, antwortete >>Scheusslich!<< und warf ihm die Th?re vor der Nase zu. Er hatte ganz Recht, denn wenige Tage darauf starb er.<<
Es herrschte eine ausserordentliche Betr?bniss in der Schule, als wir eines Morgens hinkamen und h?rten, Storm sei todt! W?hrend er kr?nkelte, brachte ich ihm regelm?ssig Melonen, Pfirsichen und Weintrauben von Friedrichsberg, die mein Vater sich f?r mich vom Hofinspector erbat, da ich wusste, dass Storm ein grosser Liebhaber von feinen Fr?chten sei, und dies das Einzige war, was ihn in den letzten Tagen erquickte. Es war mir ein seliges Gef?hl, wenn er meine kleinen Gaben freundlich annahm, er, der mir so viel geschenkt hatte, und sagte: >>Hab' Dank, mein liebes Kind!<< -- Nun aber hatte er mehrere Tage auf dem Friedrichshospital gelegen, und heute war er gestorben. Fast Alle weinten. Die Liebevollsten unter uns sehnten sich darnach, ihren entseelten Lehrer mit dem guten freundlichen Gesicht zu sehen, und ihm das letzte Lebewohl zu sagen.
In der ersten Stunde kam Lindrup, ein braver, t?chtiger Lehrer der Mathematik, aber so kalt, wie die Wissenschaft, in der er Unterricht gab. Er begegnete unserer Betr?bniss mit einem unzufriedenen Gesicht, tadelte unser Gef?hl als schwach, und als wir ?usserten, dass es uns unm?glich sei, aufzupassen und um Erlaubniss baten, fortzugehen, um Storm's Leiche zu sehen, merkte ich deutlich, dass er es f?r Heuchelei und einen Deckmantel unserer Faulheit ansah. Er befahl uns, uns zu setzen, aufzupassen und versicherte, dass wir Storm keine gr?ssere Liebe erweisen k?nnten, als wenn wir fleissig w?ren und unsere Arbeiten gut machten. Wir setzten uns hin; aber ich ergl?hte und bebte vor Zorn. Das nat?rliche Dankbarkeitsgef?hl f?r einen edeln Wohlth?ter in einem jungen Herzen sollte unterdr?ckt werden, um Etwas ohne Aufmerksamkeit zu treiben, was wir eben so gut und noch besser morgen lernen konnten. Mit jedem Triangel und Zirkel, den er an die Tafel schrieb, wuchs mein Zorn. Ich veranlasste meinen Nachbar Falch, den Lindrup gern mochte, um Erlaubniss zu bitten, dass er einen Augenblick hinausgehen k?nne. Er erhielt sie. Gleich lief er nach meiner Anweisung zum Etatsrath Professor N?rregaard hin?ber, der im Vordergeb?ude wohnte und einer der Schuldirectoren war. Falch schilderte ihm unsere Trauer und bat, uns heute frei zu lassen, da wir nicht aufmerksam sein k?nnten. Er gab uns die Erlaubniss. Falch hatte sich wohl geh?tet, von Lindrup's Ansicht zu sprechen. Er eilte wieder in die Klasse zur?ck und rief uns Anderen zu: >>N?rregaard hat uns frei gegeben!<< -- >>Adieu, Herr Lindrup!<< rief ich, riss meinen Hut vom Nagel und st?rzte mit den Uebrigen hinaus. -- Obgleich Trotz in Dem lag, was wir thaten, hat Lindrup doch wohl durch n?heres Ueberlegen gefunden, dass es ein verzeihlicher Trotz war, denn er fasste keinen Groll gegen mich und sprach nicht mehr von der Sache.
Ich ging mit mehrern Anderen nach dem Friedrichshospital. Als wir eintraten trugen zwei M?nner eine Bahre mit einer zugedeckten Leiche ?ber den Hof. >>K?nnen Sie uns nicht sagen, wo Storm's Leiche ist?<< -- >>Hier!<< -- Wir folgten den Leichentr?gern und waren somit das erste Grabgeleite des todten Freundes. Als die Bahre in der Kammer hingesetzt wurde, enth?llte man sein Gesicht; wir sahen es zum letzten Male, ?berliessen uns unseren Gef?hlen und gingen.
Einige Tage darauf wurde er auf dem Assistenzkirchhofe begraben. Die Z?glinge der Schule waren alle zugegen. Ueber seinem Grabe wurde sp?ter ein Monument mit einem Basrelief in Marmor, sein Kopf, nach einer sehr ?hnlichen Zeichnung, welche sein Pflegesohn Paul Rasmussen aus dem Ged?chtniss entworfen hatte, errichtet. Besser als in Marmor findet man dieses Bild in Kupfer gestochen, vor Storm's gesammelten Gedichten.
Es herrschte stets ein munterer Ton zwischen Laasbye's und mir. Ich mochte gern scherzen und die Frau nannte mich Eulenspiegel. Ein kleiner Zug unsers gem?thlichen Verh?ltnisses mag statt mehrerer anderen hier stehen. Ein Freund des Mannes kam einmal, und schlug uns vor, auf die Spatzenjagd zu gehen. Es war im Winter. Ich war nie fr?her auf der Jagd gewesen, und so viel ich weiss, war dies auch das letzte Mal. Wir bekamen Jeder eine geladene B?chse und gingen nun die Landstrasse nach Friedrichsberg hin, wo Spatzen genug zu sein pflegten. -- Heute aber war ungl?cklicher Weise keiner da, oder mochte es vielleicht daher kommen, dass wir keinen treffen konnten? Genug, ein einziger Spatz war unsere ganze Beute. Den bat ich mir aus und ersuchte die Anderen, mich machen zu lassen, wenn wir zur Frau nach Hause k?men, die eine vortreffliche Haush?lterin war, und uns versichert hatte, sie w?rde die Spatzen, die wir sch?ssen, braten, dass sie wie Lerchen schmecken sollten. Aber zuerst liess ich mir die Taschent?cher der Anderen geben; damit stopfte ich mir die Taschen aus und liess unseren einzigen Spatz halb aus der Tasche heraush?ngen. Mit vergn?gtem Gesicht trat ich ins Zimmer und die Anderen folgten mir. >>Na<<, rief die Frau, >>wie ist's gegangen, habt Ihr eine gl?ckliche Jagd gehabt?<< Ich sagte kein Wort, sondern zeigte auf meine Tasche. >>Jesus, mein Herzensjunge!<< rief sie, >>Du hast ja so viel, dass sie herausfallen.<< Sie griff begierig zu, fand sich aber bitter get?uscht, und ich wurde wieder Eulenspiegel genannt.
Meine gr?sste Freude war's, wenn ich zuweilen ein Parterrebillet bekommen konnte. Dann spielte ich schon im Voraus damit, schloss die Augen, warf es in einen Winkel, ohne zu wissen, wohin, da ich mich erst auf der Hacke umdrehte; darauf suchte ich es, und wenn ich es fand, st?rzte ich wie ?ber einen wirklichen Fund und wunderte mich sehr und jubelte ?ber das grosse Gl?ck, gleich dem Bergmanne, der pl?tzlich im Kupferwerk eine neue Silberader entdeckt. -- Dieses Spiel, die Augen zu schliessen, Etwas fort zu werfen, um es dann wieder zu finden, wandte ich auch bei anderen Dingen an; aber es kam mir einmal bei einem neuen Federmesser theuer zu stehen, mit dem ich so im Friedrichsberger Garten spielte, und es nie wieder fand, da es sich im Sande verborgen hatte.
Das erste St?ck, welches ich in meinem Leben sah -- ich war sieben bis acht Jahre alt, -- hiess >>die verliebten Handwerker<<. Mein Vater nahm mich von Friedrichsberg mit. Es war ein kalter Winterabend, Schnee lag auf dem Wege, aber es war sternenhell. Mit tiefem Gef?hle sehe ich noch immer, wenn man dieses St?ck spielt, dieselbe Decoration, welche damals meinen kindlichen Augen begegnete. Die kleine Tischlerwerkstatt im Hintergrunde mit ihrem Gitter und ihrer Hobelbank, die H?user des Schuhmachers, des Schmiedes und der Jungfer Engelke, wie bezauberte mich Das! Und es bezaubert mich noch immer durch seine sch?ne Musik, durch seine lustigen und komischen Charaktere und Situationen. Das Satyrische darin konnte ich als Kind noch nicht verstehen; aber das eigentliche Poetische, das lustige Leben der Handwerker, wo Musik und Liebe sich mit der t?glichen Besch?ftigung vermischen; der Gegensatz des franz?sischen Friseurs zur Plumpheit des Schmiedes und des Schuhmachers, wie wenn ein Schmetterling um einen Mistk?fer umherflattert, -- all' Das bewegte sich in dem bezaubernden unsichtbaren Elemente der Musik, welches das Plumpste zu etwas H?herem idealisirte. Ich befand mich, wie im Paradiese. Ich fragte meinen Vater, ob ich auch klatschen d?rfe, und als er mir sagte, dass Jedem, der bezahlt habe, das Recht zustehe, seine Meinung zu erkennen zu geben, zog ich meine wollenen Handschuhe aus und schlug in die H?nde, bis sie ganz warm wurden. Etwas aber, was ich gar nicht begreifen konnte, war, wie sie all' die H?user, G?rten und Strassen gemalt h?tten; denn ich glaubte, das w?rde immer gleich gemacht. Ich fragte meinen Vater, aber er hatte, so viel ich mich entsinne, auch keine deutliche Vorstellung davon.
In die zwei letzten Jahre meines Schulbesuchs fielen die grossen Feuersbr?nste von Christiansburg und Kopenhagen. Die erste 1795 mitten im Winter, brach eines Nachmittags aus, als ich auf dem Friedrichsberger Schlosse sass und mit meiner Schwester zeichnete. Wir hatten einen Farbenkasten bekommen und es am?sirte uns, Papier zusammenzukleben und uns selbst ein Spiel Karten zu machen. Mein Vater sah in der D?mmerung zum Fenster hinaus: >>Was ist das<<, rief er, >>steigt der Mond ?ber Christiansburg hin auf? Wir haben ja nicht Mondschein?<< -- Bald erfuhren wir, was es war, und ich ging mit meinem Vater nach der Stadt, wo wir von der Marmorbr?cke aus Zeugen des f?rchterlich sch?nen Schauspiels waren. Ich habe nie in meinem Leben ein solches Feuermeer gesehen, weder fr?her, noch sp?ter. Die Flammen waren erst in den S?len eingeschlossen, die kostbaren Gardinen brannten in den Fenstern, wie ein St?ckchen angez?ndetes Papier. Endlich durchbrach das Flammenmeer das Kupferdach, schmelzte es, und mit den sch?nsten Farben stiegen die rothen, blauen und gr?nen Flammen in die Luft. Noch stand der Thurm, wie ein dunkler Riese, mitten im Feuer, lange spottete der ungeheure Riesenk?rper den l?sternen Flammenk?ssen, mit denen die Salamander an seinem Harnisch emporleckten. Endlich wankte der Riese, und mit einem entsetzlichen Krachen st?rzte er durch alle Stockwerke hinab. Von diesem Augenblicke an war Alles Flamme, als ob die H?lle ihren Schlund ge?ffnet h?tte, als ob Vesuv oder Aetna auf den Schlossplatz hin versetzt w?ren; und ich bin ?berzeugt, dass kaum jene Berge so viel Feuer auf ein Mal ausspeien, wie die Mauern hier in der rabenschwarzen Nacht. -- Als ich mit meinem Vater wieder nach Hause kam, war es bis zu Friedrichsberg und gewiss noch eine Meile weiter ganz hell. Bei uns zu Hause konnte man bei dem Scheine des Schlossbrandes deutlich lesen. Eine lange lichtgelbe Rauchs?ule zog mit dem Winde ?ber das S?dfeld dahin, und einiges verbrannte Papier, das durch die Luft gef?hrt wurde, fiel dort erst nieder. Man hatte gar nicht geglaubt, dass das Schloss brennen k?nnte, und die Mauern brannten auch nicht; aber die unz?hligen Ofenr?hre, welche durch das Geb?ude kreuz und quer, oft in der N?he leicht brennbarer W?nde liefen, sollen die Veranlassung dazu gegeben haben. Man erz?hlte, dass die Leute im Schlosse gar nicht h?tten r?umen wollen, und als die Matrosen kamen, um zu retten, sagten Einige: >>Wir d?rfen nicht eher r?umen, als bis wir Ordre haben.<< >>>>Da ist, hol' mich der Teufel, die Ordre<<<
Im n?chsten Jahre, 1796, w?thete in Kopenhagen eine Feuersbrunst, die ebenso prosaisch, wie jene poetisch war. Das Gef?hl des Verlustes der k?niglichen Burg war nicht mit schmerzlichem Mitgef?hl ?ber grenzenloses Ungl?ck verbunden. Es ging damals gerade ?ber den Mann im Lande her, welcher die besten Mittel hatte, sich ein neues Haus zu bauen. Das historisch Merkw?rdige bei dem alten Schlosse verschwand nicht ganz, die riesenstarken Mauern blieben stehen; man hoffte, dass die Burg sich sch?ner aus der Asche erheben w?rde, und dies ist auch geschehen, wenngleich ich aristokratische Seelen dar?ber habe klagen h?ren, dass der Steinkoloss dadurch an seiner Grossartigkeit verloren habe, dass er auf einer Seite nach den Colonnaden zu der frischen Luft ge?ffnet worden, und dass der Thurm fort sei. -- Die Feuersbrunst der Stadt brach mitten im Sommer im blendenden Sonnenlichte aus, das kaum die Flammen sehen liess, die sich nach und nach, wie ein verzehrender Krebs immer weiter ?ber den grossen K?rper ausbreiteten. Ich wagte mich in eine solche Strasse hinein und bemerkte kaum den flammenden Balken, welcher nicht weit von mir herabfiel. -- Aber obgleich diese Feuersbrunst weder poetisch noch malerisch war, so war es doch ein Trost, dass sie im Sommer in der mildesten Jahreszeit ausbrach, wo die Natur so viele Obdachlose in ihren freundlichen Schoos aufnahm; w?re das Feuer im strengen Winter ausgebrochen, so w?ren Unz?hlige grenzenlos ungl?cklich geworden.
Ein einziger, ungeheurer Fensterraum in den Schlossmauern war gen?gend, um, ein wenig zugemauert, Zimmer f?r eine ganze arme Familie zu werden. Es war, als ob Reichthum und Pracht verschwunden w?ren, um der Armuth und der Gen?gsamkeit zu weichen. Dass die Versch?nerung der Stadt eine nat?rliche Folge dieses Brandes werden musste, konnte freilich Diejenigen nicht tr?sten, die durch den Brand gelitten hatten. Es ist dies erst eine Frucht, welche das kommende Geschlecht erntet.
Ehe ich meine Kindheit verlasse, muss ich noch Etwas erw?hnen, das theils j?hrlich, theils nur ein Mal eine Unterbrechung meines gew?hnlichen Lebens herbeif?hrte. --
Das j?hrliche war die Fahrt nach dem Thiergarten, die in jedem Sommer auf einem grossen Stuhlwagen von der ganzen Familie und ein paar Freunden an einem sch?nen Nachmittage unternommen wurde. Der Speisekorb wurde voll gepackt, das Flaschenfutter gut versehen; mein Vater zog einen Nanking-Ueberrock, des Staubes wegen ?ber, und wir fuhren fort. -- Diese Tour riss mich hin, obwohl ich daran gew?hnt war, in der Natur und den sch?nen G?rten zu leben -- doch aber zwei Dinge vermisste, die sich mir nun in ihrer ganzen Herrlichkeit zeigten: das Meer und der Buchenwald! -- Mit welcher Begeisterung betrachtete ich die sch?umenden Wogen, die, wenn sie gleich in der Ostsee nur Zwerge gegen die Wellen des Kattegats und der Nordsee sind, doch gross genug f?r den armen Knaben waren, der nur daran gew?hnt war, den Wind den Kanal im Friedrichsberger Garten kr?useln zu sehen. Wohl ging ich zuweilen nach der Zollbude; aber hier draussen, in den Fischerd?rfern war es doch viel fremdartiger und sch?ner. Die armen Fischerh?tten sah ich durch Ewald's Zauberglas, und die Armuth erschien mir, mit Muth, Gen?gsamkeit und Abenteuern gepaart, viel edler als die faule Ruhe; was auch unstreitig der Fall ist. Der Fischer am Ufer des Meeres repr?sentirt eigentlich den D?nen. Der Seeheld entspringt aus ihm. Im Walde, umgeben von den m?chtigen breiten Buchen, f?hlte ich mich in Frigga's Heiligthum versetzt, und ahnte ihre tiefsten Geheimnisse. Die heilige Quelle, die ihr sch?nes Wasser so freigebig aussprudelt, zauberte mir alle Elfen aus den K?mpeweisen herbei. Dass sich Scherz, Volksgewimmel und fremde Gaukler in die grosse Natur mischten, dass der Tand des Augenblickes dem Ewigen, Unverg?nglichen einen kurzen Besuch machte, und das Ernste, Erhabene dadurch steigerte, dass es einen Gegensatz zu dem Lustigen, Ueberm?thigen, ja sogar Niedrigen bildete -- wirkte stark auf die Phantasie des Dichterknaben. -- Aber wenn ich ?ber Casperle und Harlequin gelacht hatte, ging ich in den tiefen Wald und verirrte mich ein wenig auf eigene Hand. Einmal auf einer solchen Wanderung war ich erstaunt, eine Schlange zu finden, die sich durch das Gras schl?ngelte. Eine solche hatte ich noch nie gesehen; denn -- sonderbar genug -- auf Friedrichsberg gab es gar keine Schlangen, wenigstens habe ich sie nie dort gesehen.
Wenn wir nun, nach all' diesen Bildern, zu dem grossen Baume an der Quelle zur?ckkehrten, wo unser Wagen hielt und unser Proviant auf einem Tische uns erwartete -- dann w?hrte der Jubel bis zur sp?ten Nacht, und in Staub und Gewimmel fuhren wir mit den Anderen wieder nach Hause. -- Sie sind verschwunden, die sch?nen Jahre der Kindheit! Vater, Mutter, Schwester, Freunde sind gestorben, -- aber der grosse Baum steht noch da, in den Bernt Winckler und ich, vom Jahre 1792 ab viele Jahre hindurch unsere Zeichen hineinschnitten. In einer sp?teren Periode bin ich oft mit meinen eigenen Kindern dort hinausgewallfahrtet, und habe die Zeichen im Baume fortgesetzt, und meinen Namen hineingeschnitten, der doch nicht ganz fertig wurde.
Ich war nun sechszehn Jahre alt, und sollte confirmirt werden. In der letzten Schulzeit war mir Alles leicht von der Hand gegangen; ich erhielt eine Belohnung meines Fleisses und ?ffentliches Lob, und dennoch hatte ich noch Zeit genug, um die erw?hnten Wochenbl?tter f?r meine Schulkameraden zu schreiben, und Kom?die zu spielen. Einmal spielen wir ein St?ck: >>Der Sklave in Tunis<< bei dem vortrefflichen Schauspieler und Instructeur Schwartz. Ich spielte die Hauptrolle, den Sklaven, der in seinen Fesseln seufzt und sich nach seiner Familie sehnt. Es war eine ganze Gesellschaft erwachsener Leute als Zuschauer zugegen. Ich spielte den armen Sklaven recht r?hrend, die Damen weinten, und Herr Schwartz lobte mich. Das verdross meine Spielkameraden; in einem grossen Monolog wollten sie mich aus der Fassung bringen, indem sie mir von den Coulissen aus Fratzen schnitten und mir Spitznamen zufl?sterten. Aber es half nichts! Ich empfand mein Ungl?ck dadurch nur noch tiefer, und dies passte gerade hier sehr gut in meine Rolle. Herr Schwartz lobte mich auf's Neue, als das St?ck zu Ende war, und dieses Lob hat viel zu meinem einige Jahre sp?ter gereiften Entschlusse beigetragen.
Ich wurde mit Winckler in der Friedrichsberger Kirche confirmirt. Uns gegen?ber in der Kirche standen zwei junge Damen, welche wir nicht kannten, da sie die Stunden bei dem Prediger im Hause gehabt hatten. Die Eine, mir gegen?ber, war sehr h?bsch, geschmackvoll und pr?chtig gekleidet, und sehr ger?hrt. Es war damals Gebrauch, dass die Knaben nach der Confirmation den M?dchen den Arm boten, und sie so Paarweise aus der Kirche gingen. Aber gerade weil ich so grosse Lust dazu hatte, wagte ich es nicht, sondern nahm die Flucht, lief fort, und blieb nicht eher stehen, als weit draussen auf dem Kirchhofe, auf einem Leichenstein, wo ich mich ?ber meine Verlegenheit ?rgerte. Die Sch?ne wohnte in der N?he und sass oft in einem Lusthause, das nach dem ?ffentlichen Spaziergang hinauslag. Da gr?sste ich sie denn sehr ehrerbietig, wenn ich vor?ber ging. Erst viele Jahre sp?ter sprach ich mit ihr, und machte ihre Bekanntschaft als die Frau des Hofintendanten Sch?nberg.
Bei der Confirmation war, ausser meinen Eltern, noch eine f?r uns merkw?rdige Person zugegen, welche viel Aufsehn in der Kirche machte, und zum Theil die Feierlichkeit st?rte; aber man musste inniges Mitleid mit ihr haben. Es war die Tochter meiner alten Schulmadame. Die alte Jungfer, die keinen Mann bekommen konnte, hatte endlich den Verstand verloren, sich in eine hohe Person verliebt, und ging nun seltsam und l?cherlich geschm?ckt umher, wie eine travestirte Ophelia. Bei Wincklers und meiner Confirmation war sie mit einem wunderlichen Kopfputze zugegen, der sehr viel Aehnlichkeit mit einer Mandeltorte hatte.
Als ich confirmirt war, verliess ich die Schule. Was sollte ich nun vernehmen. Ich kannte Geschichte, Geographie und meine Muttersprache recht gut; ich schrieb eine h?bsche Hand, zeichnete recht nett, und hatte auch Geometrie und Trigonometrie gelernt. Deutsch verstand ich gut, konnte aber noch keine Zeile richtig schreiben; mit dem Franz?sischen ging es mittelm?ssig. Mit einigen Wissenschaften, Physik, Chemie, Anatomie, Oekonomie hatte ich eine oberfl?chliche Bekanntschaft gemacht; ich rechnete schlecht. Etwas lateinische Grammatik wusste ich, und verstand einen leichten Autor.
So ging es nun in dieser Morgenstunde von 8 bis 9 Uhr: aber wie ging es den ganzen ?brigen Tag? Den brachte ich im Garten und im S?dfelde, im Gespr?che mit meiner Mutter und Schwester und mit sogenannter Unterhaltungslekt?re zu -- d. h. ich machte mich mit der sch?nen Literatur vertraut, was gerade meinem Talent und meiner nat?rlichen Bestimmung entsprach. Aber ich betrachtete dies doch immer als eine Art blutiger S?nde, als einen M?ssiggang, und weinte oft, weil ich nicht Kraft genug besass, H?isgaard's lateinische Versionen von Paulus' Brief an die Korinther, Ewald's Fischern, Holberg's Kom?dien und Wessel's Liebe ohne Str?mpfe vorzuziehen.
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