Read Ebook: Der Klosterjaeger: Roman aus dem XIV. Jahrhundert by Ganghofer Ludwig Engl Hugo Illustrator
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Ebook has 2603 lines and 97549 words, and 53 pages
?ne Abend, da ein Klosterknecht den zehnj?hrigen Buben zum Pater Wildmeister in das Jachental brachte; die erste Bergfahrt, der erste Schuss auf die Scheibe und der erste in das Herz eines jagdbaren Hirsches; und dann die sch?nen Jahre hoch oben im freien Revier der Berge mit ihren J?gersorgen und J?gerfreuden -- bis zu diesem letzten Abend, an dem das M?dchen mit den Schneerosen so pl?tzlich vor seinen Augen stand, selbst einer Schneerose vergleichbar, schlank wie eine Elfe.
>>Gittli?<<
Sein Blick bohrte sich in die Nacht. Aber dort unten, wo der rauschende Bergwald den Almenhang und jene H?tte umschloss, in der das M?dchen Schutz f?r die Nacht gesucht, dort unten war Finsternis.
Schlief sie schon? Und fror sie nicht im Schlummer? Sennh?tten sind nur gebaut f?r den warmen Sommer: handbreite L?cken klaffen in den roh gef?gten Balkenw?nden, und es f?hrt der Sturm hindurch, zudringlich und kalt. Da w?re der Schl?ferin ein w?rmendes Fell, eine sch?tzende Decke willkommen.
Haymo sprang in die H?tte. Das Feuer auf dem Herd war fast erloschen; nur eine d?nne Flamme schlug noch aus den zerfallenden Kohlen. Im Herdwinkel hatte Walti sich auf die warmen Steine gestreckt, und im Heubett schnarchte Frater Severin auf dem Wolfsfell und hielt die Lodendecke bis ?bers Kinn gezogen. Was der gute Frater wohl sagen m?chte, wenn Haymo ihn weckte und zu ihm spr?che: >>Gib das Fell her und die Decke, die kleine Gittli friert!<<
Haymo, leis, um die beiden anderen nicht zu wecken, liess sich auf den Herdrand nieder. Da sah er, dass der Laufbub die Augen noch offen hatte. >>Walti!<< sprach er ihn fl?sternd an. >>Gelt, du kennst alle Leut im Klosterdorf?<<
>>Ja!<< g?hnte der Bub.
>>Kennst du eine junge Dirn mit Namen Gittli?<<
>>Wohl. Das ist die M?llerstochter am Seebach drunt, ein festes Weibsbild mit blonden Z?pfen, dick wie mein Arm.<<
>>Die mein' ich nit. Eine andere.<<
>>Halt! Ja! Die Kr?merdirn? Haymo, die hat Moos und kriegt ein Haus. Aber schielen tut sie und einen Buckel hat sie auch. Pfui Teufel!<<
>>Die mein' ich auch nit. Eine andere.<<
>>Eine andere? Gittli? Ich weiss keine mehr.<<
>>Besinn dich!<<
>>Wie soll sie denn ausschauen?<<
Haymo neigte sich ?ber den Herd; seine Augen leuchteten, und von seinen Wangen widerstrahlte die Glut der Kohlen: >>Schlank und fein wie ein junges L?rchenst?mml, flink wie ein Reh, ein Gesicht, so weiss wie die Schneerosen, und Augen so sch?n und so tief wie der See.<<
Walti glotzte den J?ger an und sch?ttelte den Kopf. >>Nein, die kenn ich nit. So eine gibt's gar nit bei uns im Dorf. Die m?sst man draussen in der Salzburg suchen oder im reichen Hall, in den Herrenh?usern.<< Er liess sich g?hnend zur?cksinken in den Winkel, richtete sich aber gleich wieder auf. >>Halt! Eine f?llt mir noch ein. Ja, die heisst auch Gittli. Aber das ist noch gar keine Dirn. Die ist mit mir in die Klosterschul gegangen. Ein kleberes Ding. Hat Augen wie eine Wildkatz und Haar, so schwarz wie des Teufels Grossmutter. Die kannst du nit meinen.<<
Haymo l?chelte. >>Nein, die mein' ich freilich nit! Wer ist denn ihr Vater?<<
>>Sie hat keinen. Bei ihrem Bruder haust sie. Das ist einer! Dem geh ich aus dem Weg. Neulich, wie die Glock zum Essen l?utet, hab ich sein Kindl umgerannt. Da hat er mir die Ohren schier aus dem Kopf gerissen. Der Teufel, der ungute! Ist ein Ausw?rtiger. Vor zehn Jahren ist er zu uns gekommen, weiss nit, woher. Drunten im Salzhaus ist er Sudmann, und sein Haus ist ein Klosterlehen. Jaaa!<< Laut g?hnend drehte sich Walti auf die Seite.
Haymo sass gegen die Blockwand gelehnt, flocht die H?nde um das aufgezogene Knie und tr?umte mit offenen Augen.
Auf dem Herd erlosch die Glut, Frater Severin schnarchte, und draussen st?rmte der F?hn um das kleine Balkenhaus, dass es zitterte in allen Fugen.
Es war nach den schweren M?hen des Tages keine bequeme Rast, die Haymo auf dem Herdrand hielt. Dennoch schlief er fest. Nach stillen Stunden weckte ihn ein Windstoss, der gegen die H?tte fuhr, als wollte er sie wegtragen in die L?fte. Auch Walti erwachte; sogar Frater Severin stellte das Schnarchen ein und warf sich auf die Seite.
Haymo verliess die H?tte, um sich an der Quelle zu waschen; der Stand der Sterne zeigte die zweite Morgenstunde. Als er zur?ckkehrte, hatte Walti ein Feuer entz?ndet. Frater Severin schnurrte schon wieder im Schlaf wie die S?ge in einer d?rren Zirbe.
Heute brauchte Haymo kein Fr?hmahl, denn er musste n?chtern bleiben f?r den Tisch des Herrn. Er schnallte das Wehrgeh?ng um die H?fte, warf die Armbrust hinter den R?cken und dr?ckte die Kappe ?ber das krause Gelock. Aus dem Schreine nahm er eine ?ltere Armbrust hervor und einen Bolzenk?cher und reichte beides dem Buben, dessen Augen aufblitzten, als er nach der Waffe griff.
>>Kannst du schiessen?<<
>>Auf hundert G?ng treff ich wohl einen Baum!<< sprudelte es ?ber Waltis Lippen.
>>Gut! Lass den Frater schlafen! Du aber geh, wann der Morgen graut, und ?bernimm die Hut!<<
>>Welchen Weg soll ich machen?<<
>>Hin?ber zur Kreuzh?h, dann hinauf durch den Wald bis unter die W?nd und immer an den W?nden fort. Aber nimm dich in acht vor den Lahnen und spring nit talw?rts, wenn du sie rollen h?rst ?ber dir, sondern dr?ck dich an die Wand! Und wenn du einen Steinbock siehst oder ein Rudel Gemsen, dann scheuch mir das Wild nit! H?rst du? Und wenn dir einer begegnet, der nichts hier oben zu schaffen hat, dann zeig, dass du ein richtiger Bub bist, und ruf ihn an! Es ist Klostergut, das du h?test.<<
Walti nickte nur; sein Gesicht brannte, und fester schlossen sich seine H?nde um die Armbrust.
>>Und nun beh?t dich Gott! Und gr?ss mir den Frater Severin!<<
Draussen lag noch die Nacht mit ihrem Sturm und ihren Sternen. R?stigen Ganges folgte Haymo durch das rauhe Steinfeld dem talw?rts f?hrenden J?gersteig. Nach einer Stunde erreichte er den rauschenden Almenwald. Durch die Finsternis, die ihn zwischen den B?umen umgab, wanderte er so sicher dahin, als w?r' es heller Tag. Manchmal h?rte er fl?chtendes Hochwild brechen.
Nun teilte sich der Weg; der eine Pfad f?hrte ?ber die bewaldeten W?nde steil hinunter zum See, der andere quer durch den Wald, auf einem Umweg bei den Sennh?tten vor?ber und dann nach weiten Windungen beim Seedorf in das Klostertal.
Bei den Sennh?tten vor?ber? Haymo f?hlte, wie es ihn zog und zog. Er h?tte gerne gewusst, ob Gittli die st?rmische Nacht auch fahrlos ?berstanden. Um sich loszureissen, musste er des Zweckes denken, der ihn heute hinunter rief ins Kloster.
In doppelter Eile folgte er dem immer absch?ssiger werdenden Pfad. Die Sterne erblassten, immer lichter wurde der Himmel, und ?ber den Spitzen der Berge erwachte das Fr?hrot. Ein rosiger Schimmer erf?llte den weiten Felsenkessel, in dessen Tiefe der See mit weissen Wellen schwankte. Als Haymo das steile Ufer erreichte, wurde dr?ben ?ber dem See, in der Bartholom?usklause, der Morgensegen gel?utet. Er zog die Kappe und sprach ein Gebet. Dann stiess er den Einbaum, der zwischen wirrem Gestr?pp an das Ufer gezogen lag, in das Wasser, sprang mit raschem Satz in das schwankende Fahrzeug und griff zum Ruder. Wohl hatte der wehende F?hn zwischen den tief gesenkten Felsw?nden nur halbe Macht, Haymo musste aber doch seine ganze Kraft zusammennehmen, um bei den h?ufigen Wirbelwinden, die ihn ?berfielen, den plumpen Kahn in gerader Fahrt zu halten.
Es war heller Tag geworden, als er nahe dem Seedorf in einer vor dem Sturme gesch?tzten Bucht den Einbaum wieder ans Land zog. Zwischen den rauschenden Fichten stieg er den sanft geneigten Waldweg empor. Nun verhielt er betroffen den Schritt. Vor ihm auf einem moosigen Steine sass ein M?nch. Netzwerk und Angelschn?re lagen zu seinen F?ssen; er hielt die Arme auf die Knie gest?tzt und das Antlitz in den H?nden vergraben. Die weisse Kapuze war zur?ckgesunken und enth?llte ein edel geformtes Haupt mit kurzgeschorenem, tiefschwarzem Haar; dicht und lang quoll der schwarze Bart unter den H?nden hervor bis auf die Brust.
In Haymo erwachte die Erinnerung. Dieser M?nch vor ihm, das war wohl der >Schwarze<, von welchem Walti geplaudert hatte, der neue >Pater Fischmeister<, den >sie von Passau hergeschickt<, und von welchem Frater Severin erz?hlt hatte, dass er ganze Tage lang stumm und einsam im beschneiten Klostergarten auf und nieder gewandert w?re >wie ein Gespenst
Einen Schritt trat Haymo n?her, sein eisenbeschlagener Schuh streifte an eine Felsplatte, und da richtete der M?nch sich auf. Diese stolze, edle Gestalt h?tte eher in den Harnisch gepasst als in die Kutte; das Gesicht aber, das der schwarze Bart umrahmte, war bleich wie Schnee; Gram und Seelenpein hatten die Z?ge versch?rft und tiefe Furchen in die weisse Stirn gegraben; um die schmalen Lippen zuckte der Schmerz, und die tiefliegenden Augen brannten wie Feuer -- das waren Augen, die lange die Wohltat der Tr?nen nicht mehr kannten. Haymo f?hlte sein Herz ber?hrt vom Anblick dieses Priesters; er zog verwirrt die Kappe und stammelte: >>Hochw?rdiger Vater! Was fehlt Euch? Seid Ihr krank?<<
Der M?nch wandte sich wortlos ab, hob die Fischnetze und Angelschn?re auf seinen Arm und wollte gehen.
Haymo vertrat ihm den Weg. >>Ich bitt Euch, redet ein Wort zu mir! Vielleicht kann ich Euch was zulieb tun? Sagt mir, was bedr?ckt Euch?<<
>>Das Leben!<< glitt es leise von den Lippen des M?nches, als h?tte er dieses Wort f?r sich allein gesprochen, nicht aber als Antwort auf die herzliche Frage des J?gers. Dann neigte er das Haupt -- es war ein Gruss und eine Abweisung zugleich -- und ging zu dem Pfade hin?ber, der von den Bergen herunterf?hrte gegen das Seedorf.
Betroffen blickte Haymo ihm nach; nun hob er lauschend den Kopf; eine klingende Stimme t?nte von einer h?heren Stelle des Pfades durch den Wald. Haymo erkannte die Stimme, und heiss schoss ihm das Blut in die Wangen. Jetzt sah er auch zwischen den B?umen schon das rote R?ckl schimmern. Gittli war es. Und sie sang:
>>Auf steiler H?h, Tief unterm Schnee, Da bl?ht ein Bl?ml gr?n und weiss. Es gr?bt in Stein Die Wurzen ein Und streckt sein K?pfl aus dem Eis, Schneeweiss!
Die Winterszeit, Wenn's eist und schneit, Das ist sein Lenz auf weisser Hald. Doch bringt der F?hn Den Fr?hling sch?n, Dann siecht es hin und welket bald, Schneekalt!
Im Herzen tief Ein Bl?ml schlief, Gar lieblich und an Sch?nheit reich; Es bl?hte rot, Da kam der Tod Und trug's hinunter in sein Reich, Schneebleich!<<
Wie Lerchengesang hob Gittlis Stimme sich ?ber den wehenden Sturm und das dumpfe Rauschen des Waldes. Und als sie die letzte Strophe gesungen hatte, sah Haymo, wie Gittli auf dem schmalen Pfad erschrocken stehen blieb, den scheuen Blick auf den Pater Fischmeister gerichtet. Dieser stand vor ihr, mit erstarrtem Gesicht und mit Augen so voll Entsetzen, als w?re das M?dchen vor ihm nicht das lieblichste Bild des Lebens, sondern ein dem dunkelsten Schoss der Erde entstiegenes Gespenst. Die Knie drohten ihm zu brechen, Netze und Schn?re fielen von seinem Arm, taumelnd griff er nach einer St?tze, und von seinen zuckenden Lippen klang es mit heiserem Laut: >>Wer bist du?<<
>>Ich bin die Gittli,<< stammelte das M?dchen mit versagender Stimme.
>>Wer ist dein Vater?<<
>>Mein Vater ist tot, und meine Mutter auch. Ich hause bei meinem Bruder, der heisst Wolfrat und ist Sudmann im Salzhaus des Klosters.<<
Das hatte Gittli scheu hervorgestottert, wie ein Kind die Litanei in der Schule stammelt, wenn der Kaplan die Haselrute schwingt. Nun stand sie schweigend, das K?rbchen mit den Schneerosen an ihren jungen Busen dr?ckend, ein Bild, so hold, dass Haymo von diesem Anblick sein Herz zum Springen schwellen f?hlte. Es zuckte in seinen F?usten, und es war ihm, als m?sst' er auf den unheimlichen Wegelagerer losst?rzen und ihm zuschreien: Was willst du von dem Kind? Lass das Kind in Ruh! Oder du hast es mit mir zu tun!
In wachsender Verst?rtheit war der Blick des M?nches auf das M?dchen gerichtet. R?te und Bl?sse wechselten auf seinen Z?gen, seine Augen waren wie zwei Flammen, heiss und verzehrend. >>Wer gab dir dieses Gesicht?<< so brach es fast wie ein Schrei von seinen Lippen; nun streckte er die Arme, als wollte er das M?dchen umschlingen -- und da wich Gittli erbleichend vor ihm zur?ck; einen Augenblick stand sie ratlos, dann schwang sie sich mit einem herzhaften Sprung ?ber den steilen Rand des Pfades auf den moosigen Waldboden und flog mit flatterndem Rock an Haymo vor?ber, um zwischen den B?umen zu verschwinden.
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