Read Ebook: Kleinstadtkinder: Buben und Mädelgeschichten by Siebe Josephine Upjohn Anna Milo Illustrator
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Ebook has 1044 lines and 51994 words, and 21 pages
Illustrator: Anna Milo Upjohn
Josephine Siebe Kleinstadtkinder
Kleinstadtkinder
Buben und M?delgeschichten von Josephine Siebe
Verlag E. Nister N?rnberg
Alle Rechte vorbehalten.
Ankunft in Neustadt.
>>Neustadt,<< schrie der Schaffner und lief den Zug entlang; >>Neustadt, ausstei...gen!<<
Einige Passagiere guckten zu den Kupeefenstern heraus. >>So'n Nest,<< sagte der eine, und ein anderer g?hnte, w?hrend ein dritter rief: >>Fenster zu! S'ist ja so kalt!<<
>>Neustadt, abfahren,<< schrie der Schaffner noch einmal. >>Es steigt doch niemand aus, hier steigt nie jemand aus,<< dachte er.
Aber da -- schon pfiff die Lokomotive -- da wurde noch hastig eine Kupeet?re ge?ffnet, ein Fuss wurde sichtbar, eine braune Ledertasche und -- platsch lag mit Koffer und Plaid ein nicht zu grosser, nicht zu kleiner, nicht zu dicker und nicht zu d?nner Herr, so lang er war, auf dem Bahnhof.
>>Na, der hat's aber eilig, hat wohl geschlafen,<< murmelte der Schaffner und sprang rasch auf, denn der Zug setzte sich pustend in Bewegung.
Zwei Bahnbeamte eilten herbei und halfen dem Herrn wieder auf die Beine, gebrochen hatte der sich gl?cklicherweise nichts. Er brummelte etwas von gefrorenen Stufen, ausgerutscht sein, und braun und blau geschlagen, dann nahm er seine Sachen, dankte h?flich und verliess den Bahnhof.
>>Da w?re ich,<< dachte er, >>eine nette Ankunft in dem Nest, wie konnte ich auch nur so fest einschlafen, beinahe h?tte ich Neustadt verschlafen, brrrrrr, wird gewiss ein erzlangweiliges Nest sein.<<
Er trat aus dem Bahnhofsgeb?ude heraus, ging ?ber einen kleinen, von B?umen umstandenen Platz, und gelangte an eine Strasse, die etwas bergab f?hrte; hier sah er pl?tzlich das St?dtchen mit all seinen H?usern und T?rmen und seinem Hintergrund von bewaldeten H?hen liegen. Der Fremde vergass ?ber diesem Anblick seinen Fall auf dem Bahnhof, und sein vorhin so missmutiges Gesicht hellte sich auf. Ja, dies war aber auch schon ein Anblick, der sich lohnte. In der ger?uschvollen Grossstadt, aus der der Fremde kam, sah man selten so eine weisse, schimmernde Winterpracht. Dort fiel der Schnee schon grau vom Himmel, und nach wenigen Stunden war er eine breiige, schmutzige Masse. Hier aber war das ganze St?dtlein in ein weisses Feierkleid geh?llt. Die T?rme von St. Marien ragten steil und schlank in die Luft, wie K?nigst?chter sahen sie aus im Schmuck weisser Hermelinm?ntel, und nicht weit davon erhob sich der dicke, runde Schlossturm mit weisser Kappe, beh?big wie ein biederer B?ckermeister schaute er drein. Und das Schloss selbst auf der H?he mit seinen vielen kleinen Fenstern und seinen altersgrauen Mauern war ?berzuckert von oben bis unten, es glich einer guten Gluckhenne, und all die ?berschneiten H?user und H?uschen waren ihre K?chlein. Im Rauhreif standen B?sche und B?ume, und die Sonne, die gerade noch einen Abschiedsblick auf das St?dtchen warf, ehe sie in ihr Wolkenbett rutschte, ?berstrahlte alles mit einem zarten Rosenschimmer. Die fernen Berge verschwanden schon in blaugrauem Dunst, als wollten sie sagen: >>Schau dir nur erst das St?dtchen an, es lohnt sich schon, zu uns kommst du sp?ter.<<
>>Ja, du lieber Himmel, es lohnt sich wirklich,<< dachte Doktor Theobald Fr?hlich; er guckte rechts und links und gerade aus und meinte, er k?nnte sich nicht satt sehen an dem h?bschen Stadtbild. Und dies kleine St?dtchen sollte nun f?r immer seine Heimat werden, das erschien ihm auf einmal gar nicht mehr so schrecklich.
W?hrend so der Doktor Theobald Fr?hlich oben am Bahnhofsplatz stand und Neustadt bewunderte, stand unten in der Stadt vor der T?re eines stattlichen, altmodischen Hauses eine alte Frau. Sie hatte ihre H?nde fest in ihre Sch?rze eingewickelt und guckte eifrig geradeaus, denn wer vom Bahnhof kam, musste die Strasse herunterkommen, an deren Ende das Haus lag. Die Strassen von Neustadt gingen alle bergauf und bergab; die B?rger behaupteten, ob es stimmt weiss freilich niemand, ihr Nestlein sei gerade wie das grosse, gewaltige Rom auf sieben H?geln erbaut.
>>Nun muss er doch bald kommen,<< murmelte die Alte, >>wo er nur bleibt!<<
Sie wartete auf niemand anders als auf den Doktor Theobald Fr?hlich, der von nun an in dem stattlichen Hause wohnen sollte. Das Haus hatte er von einer alten Tante geerbt, mit der Bedingung, dass er darinnen wohnen musste, sonst sollte das Haus an entfernte Verwandte fallen. >>Wer mein Haus besitzt, der soll es auch lieb haben und gern darin wohnen<<, hatte die Tante immer gesagt. Der Doktor Theobald Fr?hlich war arm, er hatte auch noch eine Schwester, die in England als Erzieherin sich ihr Brot verdiente, da dachte er, eine richtige Heimat haben mit der Schwester zusammen, und sei es auch in Neustadt, sei schliesslich besser, als in Berlin einsam zu leben.
Zu der alten Frau, die die Dienerin der ehemaligen Herrin des Hauses gewesen war, gesellte sich die B?ckermeisterin Gutgesell, die gegen?ber an der Ecke der Marienstrasse wohnte.
>>Wo er nur bleibt, der neue Herr?<< sagte sie und schaute ebenso eifrig wie die alte Dorothee die Strasse hinauf.
>>Ja eben, 's dauert so lange,<< brummelte Jungfer Dorothee, >>vielleicht kommt er garnicht, n?mlich Frau Nachbarin, er ist 'n Dichter, und die sollen doch was komisch sein.<<
>>Ih nee, 'n richtiger, leibhaftiger Dichter! So was haben wir doch nie in Neustadt gehabt!<< schrie die B?ckermeisterin und schlug die H?nde zusammen.
Und die alte Dorothee reckte sich stolz und belehrte die Nachbarin, was ein Dichter sei, und dass ihr neuer Herr vielleicht mal sehr ber?hmt w?rde, h?tte die Frau Stadtr?tin M?ller gesagt, noch sei er es freilich nicht. --
Doktor Theobald Fr?hlich hatte sich unterdessen das St?dtlein genau angesehen, dann hatte er einen Mann nach dem Weg gefragt und hatte erfahren, dass er erst die Strasse hinunter gehen m?sste, dann links herum, dann k?me die Marienstrasse, die ging steil bergab, und am Kirchplatz st?nde das Haus, das er suchte. Der Doktor fand denn auch die Marienstrasse und schickte sich an, sie hinab zu gehen. Wie er einige Schritte gegangen war, h?rte er pl?tzlich ein wildes Geschrei hinter sich, und eine Schar Buben und M?dels kamen mit ihren Schlitten angefahren. >>Rechts<<, schrie ein langer Bengel, >>links<<, rief ein anderer, und auf einmal gab es ein Purzeln und Fallen, zwei Schlitten waren zusammengefahren, ihre Besitzer plumpsten in den Schnee.
>>Na, solche Wildf?nge,<< dachte Doktor Fr?hlich gerade, als ein leerer Schlitten ihm zwischen die Beine fuhr. Er verlor das Gleichgewicht, rutschte aus und sass auf einmal auf dem Schlitten und heidi ging es bergab. Sein Plaid fiel rechts herunter, seine Reisetasche links, er sah nichts und h?rte nichts, er hielt sich nur krampfhaft fest, und dann gab es einen Ruck, ein Zetergeschrei, und der Doktor Theobald Fr?hlich lag im Schnee, und auf der einen Seite sass die alte Dorothee und auf der anderen die Frau B?ckermeisterin, und beide schalten und lachten durcheinander, denn der fremde Herr hatte sie beide umgerissen.
>>Verzeihung,<< murmelte der Doktor, >>mein Name ist Dr. Theobald Fr?hlich -- ich<<
>>Du meine G?te, so was, das ist ja mein neuer Herr!<< schrie Jungfer Dorothee und verbeugte sich so eilig, dass sie mit der Nase beinahe in den Schnee stippte. Die lustige Frau B?ckermeisterin lachte hell auf, und nun kamen auch die ?brigen Schlittenfahrer und zwei Buben mit Reisetasche und Plaid herbei. Es gab ein Hin-und-her von Fragen und Erkl?rungen. Der Doktor meinte, so schnell ginge es in Berlin beinahe nicht mit einem Vorortszug wie in Neustadt mit dem Schlitten.
Die alte Dorothee schalt auf die Buben, die verteidigten sich, sie h?tten nichts daf?r gekonnt, die B?ckermeisterin lachte, und der Doktor fand seine Ankunft in Neustadt h?chst wunderlich. Er war herzlich froh, als er endlich in seinem Hause in einem behaglichen Zimmer sass und Dorothee ihm heissen Kaffee und selbstgebackenen Kuchen brachte.
Heisa das schmeckte, und wie behaglich das Zimmer war mit den altmodischen, gr?nen Samtm?beln und den sch?nen Bildern an den W?nden! Sp?ter zeigte ihm Dorothee das ganze Haus von oben bis unten. Da gab es viele uralte M?bel, viel alten, sch?nen Hausrat; ein Zimmer gab es, das war ganz mit steifen, weissen M?beln angef?llt, es f?hrte auf eine breite Terrasse, vor der sich ein grosser Garten ausbreitete. >>Der geh?rt zum Hause,<< sagte die alte Frau stolz, >>so sch?nes Obst hat niemand in Neustadt wie in dem Garten w?chst, 's ist ein Staat!<<
Still war es freilich in dem Hause, und still war es auch in dem St?dtchen, das sich der Doktor Fr?hlich am n?chsten Morgen gr?ndlich anschaute. Still, ja, aber heimlich und traut. Und als er gerade zur Mittagsstunde ?ber den Schulplatz ging, und aus einem alten ehemaligen Klostergeb?ude rechts Buben und links M?dchen herauskamen, da war es vorbei mit der Stille, potztausend ja konnte die Gesellschaft schreien und lachen! Und am Nachmittag sagte die alte Dorothee: >>Morgen ist Nikolaustag.<<
>>Nikolaustag, was ist denn das?<< fragte der Doktor erstaunt.
>>Je, du meine G?te, das weiss der Herr nicht?<< rief die Alte erstaunt. >>Na, Nikolaustag ist halt Nikolaustag, und die selige gn?dige Frau hat immer am Nikolaustag allen Kindern, die in der Marienstrasse und hier auf dem Kirchplatz wohnen, Pfefferkuchen, ?pfel und N?sse geschenkt. Der Herr Doktor kann's mir glauben, die kommen auch in diesem Jahre. ?pfel und N?sse sind da, soll ich noch die Pfefferkuchen holen?<<
>>Freilich, freilich,<< sagte der Doktor Fr?hlich, besch?mt, dass er nichts vom Nikolaustage wusste. Er ging dann in ein Zimmer, in dem viele B?cher standen, dort sah er in einem grossen Lexikon nach, was es mit dem Nikolaustag f?r eine Bewandtnis habe.
Er hatte nie eine rechte Heimat gekannt. Als er f?nf Jahre alt war und seine Schwester nur erst wenige Monate z?hlte, waren Vater und Mutter rasch hintereinander gestorben; die beiden Kinder wuchsen bei fremden Leuten auf. Eins hier, das andere dort. Der Knabe kam bald in eine Erziehungsanstalt; waren Ferien und seine Kameraden fuhren heim, dann blieb er allein in der Anstalt. An seine traurige Jugend und an seine ferne Schwester musste er denken, als am n?chsten Tage Buben und M?dels angelaufen kamen, um sich ihre Nikolausgaben zu holen. Eine lustige Gesellschaft war es, die da herantrappelte, wie strahlten die Augen, wie blitzten die weissen Z?hne, wenn jedes seinen Teil bekam. Einmal kamen f?nf zusammen, zwei M?dels und drei Buben.
>>Na, das sind die rechten Schelme,<< sagte die alte Dorothee lachend, >>Schatzgr?ber ihr, gelt, ihr habt gerade den rechten Pfefferkuchenhunger?<< >>Ja,<< riefen die f?nf, und ein Bube, der braune, krause Haare hatte und Augen rund und dunkel wie zwei Herzkirschen, aber so unn?tz wie ein paar Spatzenaugen, rief: >>Es k?nnte jede Woche Nikolaustag sein, das w?r mal fein!<<
>>So fein wie Schatzgraben, gelt?<< rief die Alte, da wurden alle f?nf rot wie reife Erdbeeren und lachend liefen sie davon.
>>Wer waren die f?nf, und warum werden sie Schatzgr?ber genannt?<< fragte Doktor Fr?hlich.
>>Die f?nf sind dicke Freunde; es sind Nachbarskinder und ihren Namen haben sie von einem dummen Streich, den sie unl?ngst ausgef?hrt haben. Ich will dem Herrn gern die Geschichte erz?hlen, wenn es recht ist.<<
Am Abend des Nikolaustages schrieb der Doktor Fr?hlich an seine Schwester: >>Komm bald zu mir, hier wird es dir gefallen. Komm noch vor Weihnachten, damit wir das erstemal das Fest im eigenen Heim, in unserer neuen Heimat, feiern k?nnen!<<
Und dann, als das Abendessen abgetragen war, erz?hlte die alte Dorothee die Geschichte von den f?nf Schatzgr?bern. Die gefiel dem Doktor Fr?hlich so gut, dass er sie gleich in ein Buch schrieb. Dahinein schrieb er im Laufe der Zeit noch manche Geschichte von den Neust?dter Kindern, manche, die ihm erz?hlt wurde, und manche, die er selbst sah und h?rte. Auch zwei M?rlein kamen dazu und eine Geschichte aus vergangenen Tagen.
Und so stehen denn die Geschichten in diesem Buch, eine nach der anderen, so wie sie der Doktor geh?rt, sie erlebt und niedergeschrieben hat.
Die f?nf Schatzgr?ber.
In fr?heren Zeiten, in denen die St?dte noch nicht so gewaltig gross wie heutzutage zu sein brauchten um m?chtig zu sein, war auch Neustadt eine gar angesehene Stadt im deutschen Reiche gewesen. Wohlstand herrschte, und die B?rger wussten sich gut in mancher Fehde zu verteidigen. Der dreissigj?hrige Krieg aber, der so vieles in Deutschland vernichtete, zog auch verheerend ?ber Neustadt hin, die Stadt wurde zum Teil zerst?rt, gepl?ndert, und seitdem gelang es ihr nie wieder, sich zu einstiger Gr?sse emporzuschwingen. In jener Zeit nun, so berichtete die Sage, h?tten die B?rger einen grossen Schatz vergraben, viel Geld, edle Steine und silberne und goldene Prunkgef?sse. Die aber, die den Schatz vergraben hatten, wurden nachher, als die Feinde die Stadt einnahmen, get?tet, und darum wusste sp?ter niemand mehr, wo eigentlich der Schatz vergraben lag.
Von diesem Schatz nun wurde in Neustadt in den Zeiten, die kamen und gingen, viel gesprochen. Fr?her hatte wohl mancher in aller Heimlichkeit sein G?rtlein umgegraben, und wurde ein Grundstein zu einem neuen Hause gelegt oder ein altes, bauf?lliges Haus eingerissen, immer gab es etliche, die hofften, der Schatz sollte sich schon finden. Er fand sich aber nicht, und zuletzt suchte niemand mehr so recht ernsthaft danach. Die Geschichte von dem Schatz wurde zu einem M?rchen, das den Kindern erz?hlt wurde, und mancher Bube dachte wohl, wenn ich gross bin, suche ich den Schatz; wuchs er heran, dann vergass er gew?hnlich sein Vorhaben.
Von dem vergrabenen Schatz nun sprachen an einem sonnenhellen Herbsttag f?nf Kinder, die eintr?chtiglich, wie Schw?lbchen auf dem Dachfirst, auf der alten Stadtmauer sassen. Dieses letzte St?ck der einst so trutzigen Stadtmauer zog sich jetzt als Grenze zwischen einer engen Gasse und h?bschen, schattigen Anlagen hin. Am Ende dieses Mauerrestes stand ein runder Turm, es war dies der letzte der acht Wachtt?rme, die Neustadt einst besessen hatte. In dem Turm, der noch fest und unversehrt dastand, wohnte nicht mehr wie einst eine Schar eisenbewehrter W?chter, sondern ein Pantoffelmacher, Klaus Hippel genannt. Und kriegerisch sah der ganze Turm auch nicht mehr aus, statt der Feuerb?chsen fr?herer Zeiten hingen an sch?nen Tagen zu den kleinen Fenstern des Turmes bunte Pantoffel heraus, und auf schwankendem Blumenbrettlein bl?hten Rosen, Geranien und lichtrote Kapuzinerkresse. Und Klaus Hippel selbst konnte keiner Fliege etwas zu Leide tun, er hantierte allzeit fr?hlich mit seinem Handwerkszeug herum, fertigte wundersch?ne, warme, weiche Pantoffel und war gut Freund mit allen Kindern, die sich die Anlagen an der Stadtmauer zum Spielplatz erkoren hatten.
Auf der alten Stadtmauer zu sitzen war eigentlich von Rats wegen verboten, aber von Pantoffelmachers wegen durften die Kinder darauf sitzen so viel sie wollten, sie taten es auch, und niemand k?mmerte sich weiter darum. Vom Turmtor aus f?hrte ein eisernes Wendeltreppchen auf die Stadtmauer hinauf, und Klaus Hippel lachte nur gutm?tig, wenn er die Kinder das Treppchen hinaufklettern sah. Er selbst sass in seinem St?bchen hinter dem Blumenbrett bei seiner Arbeit, und seine ebenso fr?hliche, wie gutm?tige Frau Pauline wirtschaftete eifrig in ihrem kleinen Reich herum, und wenn die beiden alten Leutchen lachten, dann pfiff Mausel, der Dompfaff, vergn?gt: >>O Tannenbaum, o Tannenbaum, wie gr?n sind deine Bl?tter!<<
Oben im Turm war ein kleines Museum, da hingen allerlei Waffen und R?stungen, auch ein paar alte M?bel gab es zu sehen; das Sch?nste aber war die Aussicht von oben, ?ber das weite Land hin bis zum fernen Gebirge. Paulinchen Pantoffelmacher, wie die lustige kleine Frau im St?dtchen genannt wurde, brauchte zwar selten das Turmgemach aufzuschliessen, weil selten genug Fremde sich nach Neustadt verirrten. Kam wirklich mal jemand, dann rief Klaus Hippel: >>Aufgepasst, ein weisser Spatz fliegt in den Turm.<<
Die f?nf Kinder nun, die an diesem hellen Herbsttag auf der Stadtmauer sassen und von dem Schatz sprachen, waren Pantoffelmachers besondere Freunde. Im zierlichen, weissen Kleidchen sass in der Mitte Brigittchen Sch?n; so ganz unrecht trug die Kleine ihren Namen nicht, sie war wirklich sehr lieblich, hatte lockiges, dunkelblondes Haar, ein zartes, feines Gesicht und Augen so blau wie zwei Veilchen. Brigittchen war das einzige Kind eines wohlhabenden Kaufmannes. Reich war der Herr Sch?n, dabei aber doch arm, ihm waren vor wenigen Jahren sein liebes Weib und sein kleiner Sohn gestorben, und nur Brigittchen war ?brig geblieben. Eine ?ltere Verwandte, Fr?ulein Mathilde, h?tete das Haus; sie meinte, es sei genug wenn sie daf?r sorgte, dass die Kleine immer weiss wie ein Maigl?ckchen angezogen sei. Dass ein Kind recht viel Liebe braucht, gerade so wie eine Blume den Sonnenschein, daran dachte sie nicht, und wenn der Vater verreist war, was oft geschah, dann w?re Brigittchen recht verlassen gewesen, wenn es nicht so gute Freunde gehabt h?tte. Freunde hatte nun freilich die Kleine, wie man sie sich nicht besser w?nschen kann, Freunde, die, wenn es darauf angekommen w?re, f?r sie durch Feuer und Wasser gegangen w?ren. Auch heute sassen ihre Freunde mit ihr zusammen auf der Stadtmauer. Da war zuerst ihre allerallerbeste Freundin Anne-Marte Fabian und deren Bruder J?rgel. Der Vater der Kinder war ein t?chtiger und beliebter Arzt im St?dtchen, und das Doktorhaus lag am Kirchplatz, dicht neben Brigittchens Vaterhaus. Dann waren auch noch die beiden B?ckerbuben Wendelin und Severin Gutgesell da, die in der Marienstrasse wohnten, und die dem Brigittchen so treu ergeben waren, dass sie mit Vergn?gen die sch?nsten Pr?gel eingeheimst h?tten, wenn sie damit der Kleinen einen Gefallen getan h?tten. Das verlangte Brigittchen nun freilich nicht, ja, wenn ihren Freunden nur ein geringes Leid geschah, so weinte sie so bitterlich, dass es beinahe eine ?berschwemmung gab. Und dem Weinen nahe war die Kleine auch an diesem Herbsttage; ?berhaupt sahen alle f?nf Freunde so aus, als sei ihnen die Petersilie verhagelt, und trotzdem war es doch der erste Tag der Herbstferien und acht schulfreie wundervolle Tage lagen vor ihnen. Sie waren auch am Morgen in seliger Lust ausgezogen, um allerlei Vergn?gliches zu unternehmen; der erste Besuch sollte Pantoffelmachers gelten, Frau Paulinchen hatte versprochen, ihnen wieder mal das kleine Museum recht gr?ndlich zu zeigen, und Klaus Hippel wollte ihnen eine Geschichte aus seinem Lieblingsbuch vorlesen; dies war eine alte Chronik der Stadt Neustadt. Aber ach, die erhofften Freuden wurden bald zu Wasser. Statt sie wie sonst mit Singen, Pfeifen und schalkhaften Worten zu begr?ssen, murmelte der Pantoffelmacher an diesem hellen Morgen nur verdriesslich: >>Na, seid ihr da?<< Und tief seufzend n?hte er so emsig an seinem Pantoffel weiter, als st?nde jemand barfuss neben ihm und schrie: >>Eil dich doch, ich friere ja an meine F?sse!<<
An dem Kachelofen aber sass Frau Paulinchen und weinte herzbrechend, und weil Brigittchen nun mal niemand weinen sehen konnte, ohne mit zu weinen, flossen auch gleich ihre Tr?nen, und wenn die Freundin weinte, musste Anne-Marte auch weinen, und so schluchzten denn die M?dels j?mmerlich los. Den Buben wurde es ungem?tlich, Tr?nen waren ihnen ein Greuel, Severin, der blonde B?ckerbube, riss krampfhaft die Augen auf, und Wendelin, der Schwarzkopf, knipste sie fest zu. Nur nicht etwa mitheulen! J?rgel zupfte seine Schwester und brummte: >>Heul' man nicht so, es ist ja schrecklich!<<
Die Ermahnung half nicht viel, und so trat J?rgel dicht an den alten Klaus heran und fragte: >>Was ist denn los?<<
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