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Read Ebook: Ratsmädel- und Altweimarische Geschichten by B Hlau Helene

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Ebook has 1342 lines and 49637 words, and 27 pages

Anmerkungen zur Transkription

Das Original ist in Fraktur gesetzt.

Im Original in Antiqua gesetzter Text ist ~so ausgezeichnet~.

Im Original gesperrter Text ist +so ausgezeichnet+.

Weitere Anmerkungen zur Transkription finden sich am Ende des Buches.

Engelhorns Allgemeine Romanbibliothek.

Eine Auswahl der besten modernen Romane aller V?lker.

Dreizehnter Jahrgang. Band 12.

RATSM?DEL- UND ALTWEIMARISCHE GESCHICHTEN.

von

Helene B?hlau.

Stuttgart. Verlag von J. Engelhorn. 1897.

Alle Rechte, namentlich das Uebersetzungsrecht, vorbehalten.

Druck der Union Deutsche Verlagsgesellschaft in Stuttgart.

Die Ratsm?del gehen einem Spuk zu Leibe.

Ich weiss noch so manches aus der Zeit, in der das kleine, nun l?ngst wieder bescheidene Weimar ganz unvermutet anfing, mitten unter den tausend und abertausend europ?ischen St?dten und St?dtchen sich ausserordentlich wichtig zu thun. Es mochte auch alles Recht dazu haben; denn es hatten sich in dem stillen Neste seltene V?gel eingenistet, V?gel, derengleichen vordem in Deutschland nicht gesehen worden waren, und die auch keine Jungen ihrer Art bekommen haben, so dass sie wirklich ausserordentlich seltene V?gel geblieben sind, bis heutzutage.

Von dieser Zeit habe ich schon mancherlei geschrieben, und es hat den Leuten vielleicht gefallen, weil es so ruhig hinerz?hlt war, allem Feierlichen, Schweren aus dem Wege ging, alles Leichtlebige beim Zipfel nahm.

Ich will euch nun wieder aus den Gassen erz?hlen, aus den B?rgerstuben, aus den G?rten vor der Stadt, von jenen alten, gesegneten G?rten, und ich werde mich auch wieder vorsichtig, wie das erste Mal, an den grossen Tieren vorbeidr?cken und mich mit den Vergessenen, Verwehten abgeben.

Die werde ich aus ihren Gr?bern noch einmal in ihre alte weimarische Sonne locken, von der sie so gerne sich wieder bescheinen lassen w?rden.

Es ist eine alte Fr?hlingsgeschichte, die ihr h?ren sollt, eine weiche, hingeschwundene Fr?hlingsgeschichte, in der es sprosst und keimt, in der ein lustiger, feuchter Wind weht, Nebel ziehen, in der Herzen schlagen, und in der allerlei behauptet wird, wor?ber man heutzutage vornehm die Achseln zucken m?sste, wollte man auf der H?he der Zeit stehen; damals aber glaubte und sprach man, was einem Vergn?gen machte. So glaubte man in jenen Tagen und tuschelte es sich gegenseitig wie eine interessante Hofgeschichte zu, dass die verstorbene Hofdame der Herzogin Amalie, von der Karl August gesagt hatte: >>Genie die F?lle, kann aber nichts machen!<< ganz unvornehmerweise spuken gehe, und zwar in Tieffurth, im Park und im Schl?sschen.

Man erz?hlte sich geheimnisvoll die unglaublichsten Dinge. Die b?rgerliche Gesellschaft fasste die Sache ernsthaft, aber doch humoristisch auf. Sie hatte ihren Spass daran, dass die kleine, bucklige, h?ssliche Dame solche Geschichten machte.

Der Adel aber zog ein sehr bedenkliches Gesicht, denn es war absolut nicht ~comme il faut~ von der G?chhausen. -- Ausserdem sprach die Hofgesellschaft mit einem tiefen Bedauern dar?ber, dass ihr so etwas >>arrivieren<< musste -- solch eine >>Kalamit?t<>ridikulisierte<< und unm?glich machte.

Verschiedene Personen waren ihr nachts begegnet, wie sie schimpfend und klagend die Parkwege auf und nieder gehuscht war.

Sie hatten sie ganz genau erkannt, -- daran bestand kein Zweifel!

Einem weimarischen Fleischermeister, der ein Kalb von Krommsdorf erst sp?t heimgetrieben, war sie im Park auch nachgehuscht, und er erz?hlte, dass sie ihm scheusslich weinerlich und wichtig gesagt habe: >>Ich la--ngweil' mich so!<< -- Weiter nichts. Aber +wie+ sie es gesagt h?tte! Wie aus einer Flasche heraus! Der Fleischer konnte es den M?gden, die die Neuigkeit, samt dem Fleisch von dem armen Krommsdorfer Kalb, das die merkw?rdige Geistererscheinung mit erlebt hatte, pfundweis nach Hause trugen, gar nicht haarstr?ubend genug vormachen.

Sie war, wie gesagt, allen m?glichen Leuten erschienen, immer klagend, immer schimpfend und immer unzufrieden; -- manchmal auch nur murmelnd und brummend; -- aber +wie+ murmelnd! -- eben ganz wie eine arme Seele murmeln muss: durch die Z?hne und wie aus einer Flasche. Es war ?berhaupt das Merkw?rdige und Ueberzeugende an der Sache, dass sich die G?chhausen genau nach Vorschrift benahm, -- nach Vorschrift der alten Kobold- und Geistergeschichten.

Die Weimaraner mussten immer etwas zu schwatzen haben und hatten auch gottlob immer etwas; sie waren an die merkw?rdigsten Dinge gew?hnt, eine solche F?lle von gesegnetem Klatsch hatte sich seit 1775 auf das graue Rattennest niedergelassen. Seit geraumer Zeit aber schon floss diese Quelle sp?rlicher, und die verw?hnten Gaumen mussten mit allerhand f?rlieb nehmen und thaten dies wohl oder ?bel.

Zu allererst tauchen aber in unsrer Geschichte ein paar lachende, bl?tenjunge Gesichter auf, ein paar feste, kindlich behende K?rper, blonde, dicke Z?pfe, junge, weiche, noch etwas tollpatschige H?nde, helle Kleider, die sich lebendig um diese jungen K?rper schmiegen, die sich so jugendsicher auf leichten F?ssen bewegen, so kernig, so wohlgebaut und unschuldig.

All diese sch?nen Dinge miteinander gestalten sich hie zu ein paar M?dchen, die in der alten W?nschengasse daheim sind.

Sie haben ihr Lebtag in der W?nschengasse gewohnt und sind mehr, als ihnen lieb ist, dort bekannt, bei Freund und Feind, Nachbar und Nachbarin.

>>Die Ratsm?del<< heissen sie bei alt und jung und sind die T?chter des Herrn Rat Kirsten, der, ehrsam und w?rdig, nie verstanden hat, weshalb gerade ihm das Schicksal diese blonden Hexen aufhalste, die ihm mehr M?he und Kopfzerbrechen kosteten, als seine Buben. Ja, in der That, er und Frau Rat w?ren auch nie und nimmermehr mit dem h?bschen Paare fertig geworden, wenn nicht die ganze W?nschengasse ihnen beigestanden h?tte, die Rangen zu erziehen; und nicht nur die W?nschengasse f?hlte sich dazu berufen, alle Freunde und Feinde haben an dem merkw?rdigen Werke mitgeholfen. >>Da gehen sie!<< hiess es, wenn sie miteinander durch die d?mmerige Gasse schlenderten. Und wer dies aussprach, schaute ihnen gewissermassen gespannt nach.

Von Jugend auf hatten sie es verstanden, die w?rdige W?nschengasse in Aufregung zu erhalten.

Sehr fr?h war es angegangen, das Ausschauen nach den Ratsm?dchen, das Schimpfen und Lachen, das N?rgeln und Hetzen, das Verh?tscheln und Anraunzen. Nie, solange die W?nschengasse steht, sind aber zwei Schwestern von Kindesbeinen an trotz alledem so ungetr?bt heiter gewesen wie diese zwei, so treu ihren Freunden ergeben.

Sie geh?rten zu den gl?ckseligen Menschen, die ihr Lebtag Freunde haben, -- zu den Menschen, die nie einsam sind, -- zu den sonnigen Kraftmenschen, die W?rme und Strahlen f?r andre ?brig haben.

Von Jugend an waren sie stolz auf ihre Freunde, verstanden keinen Spass, wenn irgend jemand diesen Freunden nahe treten wollte, waren ihnen dankbar, -- und was die Hauptsache ist, unverbr?chlich treu. Und diese Freunde: der blondlockige, kleine, gescheite Heinrich Goullon, den sie auf den weimarischen Strassen >>den Pudding<< nannten, seiner franz?sischen Abstammung wegen; in den weimarischen M?ulern aber war >>der Pudding<< zu einem >>Budang<< geworden. -- Und der sch?ne Franz Horny, der sich als Maler sp?ter einen Namen machte und in jungen Jahren in Amalfi starb; -- sein Bild h?ngt dort in einer Kapelle, wo es von den Landleuten als ein heiliger Johannes oder Sebastian verehrt wird. -- Und der dritte im Bunde: Ernst Schiller, Schillers Sohn.

Mit diesen dreien haben die Ratsm?dchen sich so k?stlich vergn?gt, wie dies jetzt im lieben Deutschland nimmermehr geschieht.

Die Leute in unserm Zeitalter haben die sch?ne, heitere Urw?chsigkeit wie ein altmodisches Kleidungsst?ck abgelegt.

Die guten Freunde sind oftmals miteinander ausgegangen und haben sich oben im Ettersberg, im alten Gutshofe von R?ses Paten Sperber, einquartiert. Sie sind ins Wasser gefallen, haben miteinander getanzt, wenn es ihnen passte; sie haben getollt und gelacht, sie sind Schlitten gefahren, sie haben R?uber und Prinzess in den Gassen gespielt, sie haben >>Budang<< als M?dchen verkleidet und sind mit ihm spazieren gegangen. Und die beiden sch?nen M?dchen sind recht eigentlich von den etwas ?lteren Kameraden erzogen und in die Lehre genommen worden, haben ihnen ihre Schularbeiten vorweisen m?ssen und sind von ihnen belobt und gestraft worden, wie das alles ausf?hrlich schon einmal erz?hlt worden ist. Herr und Frau Rat w?ren ohne die Kameraden nie mit der Erziehung ihrer beiden Schelme zu Ende gekommen.

Ein feuchter Fr?hlingssturm f?hrt heut durch die W?nschengasse. Zerrissene dunkle Wolken jagen ?ber den Himmel, und in die D?mmerung dr?hnt die grosse Glocke im Schlossturm. Der Sturmwind f?hrt in das m?chtige Gel?ute; er reisst die grossen, vollen T?ne wie Wolken auseinander und nimmt diese Riesent?ne mit sich fort, zerstreut sie, l?sst sie hie und da aufdr?hnen und pl?tzlich verhallen.

Die Glocke l?utet die Osternacht ein.

Es ist ein wunderbares Get?se, ersch?tternd, wie ?berirdisch; so voll, so rein, so tief wie die tiefste Menschenwonne und das tiefste Menschenleid.

Die alte Glocke, die sie im dreissigj?hrigen Kriege, weiss Gott wo, erbeutet haben, ist das lebendige Herz des St?dtchens Weimar geworden. Ein jeder versteht dies Herz da oben im gr?nen Turm. Es dr?hnt m?chtig aus, was die andern Eintagsherzen f?hlen. Es ersch?ttert sie, es erweckt sie, es reisst sie im Gef?hle mit sich fort, wie von jeher ein grosses, m?chtiges Herz die kleinen mit sich gerissen hat. --

Die Ratsm?del, R?se und Marie, schauen zum Fenster hinaus.

>>H?rst du?<< sagt Marie.

Sie sind bisher immer, wenn die grosse Glocke gel?utet wurde, zum Schloss hinunter gelaufen und haben hinauf nach der gr?nen Turmspitze gesehen, die von der Wucht der Glockenschl?ge langsam, aber deutlich hin und her schwankte; oder sie haben das Ohr an die alte Turmmauer gehalten, und das Dr?hnen ist ihnen schauervoll durch den K?rper gezittert; oder die Kameraden nahmen sie bis hinauf in den Glockenstuhl, und sie haben da, schwankend und schwindelnd und ganz bet?ubt von den ungeheuren Schl?gen, die den Turm zu zersprengen drohten, sich aneinander geklammert und an den riesigen Balken festgehalten.

Heute schauen sie aber, wie gesagt, nur gedankenvoll zum Fenster hinaus.

Es ist, als l?ge irgend etwas auf ihnen.

R?se hat auf das >>H?rst du?<< von Marie nicht einmal geantwortet.

Sie stecken beide feierlich in weissen Kleidern und tragen gr?ne Sch?rpen.

Gr?ne Sch?rpen sind f?r sie noch immer der Inbegriff von aller Sch?nheit und Eleganz.

>>R?se! Marie! Schliesst das Fenster! Gleich! -- Was f?llt euch ein! -- Der Wind!<< So ruft Frau Rat, die Mutter der Ratsm?dchen, die eben ins Zimmer tritt.

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