Read Ebook: The Historians' History of the World in Twenty-Five Volumes Volume 02 Israel India Persia Phoenicia Minor Nations of Western Asia by Williams Henry Smith Editor
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Ebook has 318 lines and 13281 words, and 7 pages
Europ?ische B?cher
Leonhard Frank Der Mensch ist gut
Sechstes bis f?nfzehntes Tausend
Max Rascher, Verlag, Z?rich, 1918
Copyright 1918 by Max Rascher, Verlag, Z?rich
Den kommenden Generationen
Geschrieben 1916 bis Fr?hling 1917
Ihr Otterngez?chte, wer hat denn euch gewiesen, dass ihr dem k?nftigen Zorn entrinnen werdet?
Es ist schon die Axt an die Wurzel gelegt. Darum, welcher Baum nicht gute Frucht bringt, wird abgehauen und ins Feuer geworfen.
Robert war Servierkellner in einem deutschen Hotelrestaurant. Gew?hnlich. Blond. Und wenn er, in devoter Verbeugung erstarrt, vor dem Gaste stand und eine Bestellung entgegennahm, kroch der Gedanke durch sein Gehirn: jeder andere Beruf vertr?gt sich eher mit der Menschenw?rde.
Auf ihn wirkte das hingeschobene Trinkgeld wie eine Ohrfeige, f?r die man sich bedanken musste. Und wenn das Trinkgeld von einem Gaste kam, der ?rmer als der Empfangende war, stieg aus Roberts verletzter Menschenw?rde sichtbar die Verachtung empor, steigerte sich manchmal zu Rachsucht und Frechheit. Es kam vor, dass Robert solch einem Gaste das Trinkgeld zur?ckschob. Vornehmen G?sten Kredit zu gew?hren, war ihm eine Erl?sung.
Im Jahre 1894 bekam seine Frau den lange vergeblich erwarteten Sohn. Und Roberts Liebe st?rzte sich auf dieses Kind. Das bekam alles: ein Kinderzimmer, sterilisierte Kindermilch, einen federnden Kinderwagen, einen weisslackierten Stall, Hampelm?nner. Sp?ter Dampfmaschinchen, Eisenbahnen, Luftballons, Trommeln, S?bel, Schiessgewehrchen, Bleisoldaten. Sp?ter ein Spazierst?ckchen, einen Matrosenanzug mit einer M?tze, auf der stand >>S. M. S. Hohenzollern<<, einen rindsledernen B?cherranzen, eine Rechenmaschine mit roten und weissen Kugeln, einen polierten Griffelkasten.
Der Sohn bekam Geigenstunden, musste Klavierspielen lernen. Und durfte das Gymnasium besuchen. Er sollte studieren. Nicht Kellner werden. Schon mit zehn Jahren besass der Sohn ein Fahrrad. Und geh?rte mit zw?lf Jahren der patriotischen Jugendvereinigung an.
Roberts Leben ersch?pfte sich im Dasein des Sohnes. Und der Satz: jeder Arbeiter ist seines Lohnes wert, war ihm zur Weltanschauung geworden. Robert flog, die Bestellungen auszuf?hren, verbeugte sich, dankte f?rs Trinkgeld, verbeugte sich, dankte, sparte, scharrte zusammen, rechnete, strebte, wurde Zimmerkellner, dann Oberkellner, wies heimlichen Liebesp?rchen stille Zimmer an f?r ein paar Stunden, dr?ckte Augen zu, sank in einen Abgrund der Liebe f?r seinen Sohn, schickte ihn auf die Universit?t, bekam graue Haare, war selig im Dienen, selig in seinem Sohne, besass hundert Photographien von ihm, hatte die Kinderkleidchen aufgehoben, das Spielzeug: die S?belchen, die Gewehrchen, die Bleisoldaten. Das M?tzchen, auf dem stand >>S. M. S. Hohenzollern<<.
Der Sohn war zwanzig Jahre alt. Er bekam die Einberufung an einem Dienstag, bekam ein halbes Jahr sp?ter das eiserne Kreuz.
Und im Sommer 1916 bekam Robert die Nachricht, dass sein Sohn gefallen war. Auf dem Felde der Ehre.
Eine Welt war erschlagen.
Der Erschlagene las immer wieder: >>Gefallen auf dem Felde der Ehre<<. Den Zettel trug er bei sich in der Brieftasche, zwischen den Banknoten. Er las ihn, wenn ein Fremder kam und ein Zimmer verlangte, wenn er an der Billardecke stand und Bestellungen erwartete, wenn er, von der Glocke gerufen, durch den langen Gang lief, las ihn, bevor er das Zimmer betrat und nachdem er, die bezahlte Rechnung und das Trinkgeld in der Hand, das Zimmer wieder verlassen hatte. Er las ihn in der K?che, im Weinkeller, auf dem Klosett. >>Gefallen auf dem Felde der Ehre<<. Ehre. Das war ein Wort und bestand aus vier Buchstaben. Vier Buchstaben, die zusammen eine L?ge bildeten von solch h?llischer Macht, dass ein ganzes Volk an diese vier Buchstaben angespannt und von sich selbst in ungeheuerlichstes Leid hineingezogen hatte werden k?nnen.
Das Feld der Ehre war nicht sichtbar, nicht vorstellbar, war Robert nicht begreifbar. Das war kein Feld, kein Acker, war keine Fl?che, war nicht Nebel und nicht Luft. Es war das absolute Nichts. Und daran sollte er sich halten. Sein ganzes Leben lang. Hinter ihm lag nichts und vor ihm lag nichts. Robert stand in der Mitte auf dem Nichts.
Seine H?nde servierten, quittierten, empfingen Trinkgelder. Wof?r? Es gab keine Banknoten mehr. Und sein Sparkassenbuch war f?r ihn das Feld der Ehre. Und das Feld der Ehre war nicht begreifbar.
Robert gab die besten Zimmer auf Wunsch um die H?lfte des festgesetzten Preises ab, gab noch einen Salon dazu, ein Badezimmer. Wurde zum Servierkellner degradiert. Gab im Restaurant ohne Widerstreben die teueren Speisen und Weine billiger ab, wenn den G?sten die Rechnung zu hoch erschien. Wurde daraufhin nur noch zur Mithilfe herangezogen, wenn im grossen Hotelsaal ein Fest, eine Versammlung war.
Gab es etwas Gleichg?ltigeres, als aus der Lebensstellung verdr?ngt worden zu sein? Das alles war nur das Feld der Ehre. War ein absolutes Nichts.
Oft fand er sich in seines Sohnes Zimmer, wohin er w?hrend des Krieges die Photographien, Kinderkleidchen, S?belchen, Trommelchen, Gewehrchen, Bleisoldaten zusammengetragen hatte, und empfand nichts beim Betrachten dieser vergilbten und verkratzten ?berbleibsel, ging, automatisch wie er eingetreten war, wieder hinaus.
Dieser Zustand, in dem Robert sich nur noch wie eine Maschine bewegte, dauerte wochenlang, bis eines Tages der Mensch in ihm die Kraft fand, sich dem Schmerze zu stellen. Seiner Hand entfiel die Photographie des S?hnchens -- in Infanterieuniform, mit pr?sentiertem Gewehrchen --, und Robert sauste, von einem Dampfhammerschlag getroffen, hinunter in den Abgrund, das Herz blossgelegt dem Schmerze und der Liebe. Robert schrie. Nur einmal. Und ganz kurz.
Von etwas Unnennbarem ber?hrt, wich er der Erl?sung, die im Schmerze liegt, aus.
Und als seine Frau ihn tr?sten wollte mit den Worten, die sie von dem unter dem gleichen Leide stehenden Kolonialwarenh?ndler, B?cker, von der Nachbarin ?bernommen hatte: jetzt m?sse man sich halt damit abfinden, schrak sie zur?ck vor Roberts gef?hrlich blickenden Augen und schwieg fernerhin.
Auch Robert schwieg, tat die Arbeit, die man ihm zuwies. Und da man ihn, der wiederholt G?ste fortlaufen liess, ohne dass sie bezahlt hatten, nur noch als Wassertr?ger im Hotelcaf? verwenden wollte, erkl?rte er sich auch hierzu bereit.
Robert wusste, dass etwas geschehen werde. Deshalb ertrug er weiter diese gef?hrliche Ruhe. Denn wie konnte es m?glich sein, dass nichts geschah durch ihn, der nichts mehr verlieren konnte, da er alles schon verloren hatte? Der von einer d?nnen Kellnerhaut ?berzogen war, unter welcher der Mensch schrie, entsetzlich lautlos der Schmerz, die Liebe schrieen? Durch den geringsten Anlass konnte die Haut zerspringen. Dann stieg der Schrei.
Die Kindergewehrchen und S?belchen hatte er, sich aus den Augen, hin?ber ins Hotel getragen und hinter das Klavier gesteckt. Denn wenn er dieses Spielzeug nur anblickte, brannte ihn die Schuld. Aber wenn er einen mit dem Kriegsorden verzierten Leutnant bediente, zitterten seine H?nde nicht.
Und als eines Tages ein patriotischer Jugendverein -- halbw?chsige Jungen unter Gewehr -- die Strasse herauf und am Hotel vorbei das Lied trug: >>Kann dir die Hand nicht geben, dieweil ich eben lad' . . .<<, frass sich das Schuldbewusstsein gl?hend in Robert hinein. Denn auch er hatte seinen Sohn solche Lieder gelehrt und lehren lassen und voll Vaterstolz ihm zugeh?rt.
In wilder Spannung stand er unterm Hotelportal und f?hlte, dass sein Sprung auf die vorbeimarschierenden, schlecht beratenen J?nglinge ein Sprung in die Luft sein w?rde. Denn hinter den J?nglingen und hinter dem Kampfliede stand etwas, das nicht zu greifen war: ein unsichtbarer, unk?rperlicher Gegner. Gott hielt ihn zur?ck von dem Sprunge. Gott hob ihn auf f?r die Minute, da der Feind greifbar werden w?rde, f?hlte Robert.
Und eines Tages hatte er den Feind, der im Menschen selbst und nicht ausser ihm ist, so scharf erkannt, dass seine Augen die eines schuldbewussten M?rders wurden. Da geschah es, dass Tr?nen wilden Zornes ihm hinter die Augen traten, wenn er ein M?dchen sah, das ihren Br?utigam, eine Frau, die ihren Mann, ein Elternpaar, das seinen Sohn verloren hatte und doch l?cheln und wie immer das Glas Bier bestellen konnte.
Einer Mutter, der ihre St?tze f?rs Alter, ihre Hoffnung, der Zentralpunkt all ihrer Liebe -- ihr einziger Sohn zerstampft worden war auf dem Felde der Ehre und die zu Robert sagte, >jetzt muss man sich halt damit abfinden<, griff er wild an den Hals.
Gott strich ?ber des Kellners H?nde und legte dessen pl?tzlich von Liebe durchbebten Finger der Mutter sanft auf die Schulter. Denn nicht die Frau war schuld, nicht sie war der Feind und nicht ihre Worte, sondern das, was hinter den Worten stand. Und das war etwas, das nicht da war. Es war das Nichtvorhandensein der Liebe.
Das m?rderische Schuldbewusstsein brannte die kleine Vaterliebe weg, so dass das Urgef?hl der grossen Liebe aufstehen konnte in ihm.
In tiefster Demut, in deren Mittelpunkt die unversiegbare Kraft der Liebe stand, verrichtete er die Arbeit des Pikkolos, trug den G?sten Wasser zu, sp?lte Gl?ser aus, ging, als die Glocke ihn rief, in den grossen Hotelsaal.
Schlosser, Maurer, Schreiner, Spengler, Tapezierer, Glaser -- zerarbeitete M?nner, die haarigen, abschreckend h?sslichen Tieren mit Menschenaugen glichen -- f?llten den grossen Hotelsaal: die Bauarbeitervereinigung hielt ihre Jahresversammlung ab.
Robert brachte dem Redner, der auf dem Podium stand, eine Flasche voll Wasser und h?rte, ans Klavier gelehnt, hinter dem die S?belchen und Schiessgewehrchen steckten, dem Redner zu.
Der erkl?rte, dass Unterst?tzungsgelder an arbeitslose und kranke Mitglieder dieses Jahr nicht ausbezahlt werden k?nnten. Denn es seien so gut wie keine Beitr?ge eingelaufen. Zudem habe man den Mitgliedern, die im Felde standen -- und die gingen allen andern vor -- fortlaufend Unterst?tzungsgelder geschickt. >>Die Reserven sind aufgebraucht. Die Kasse ist leer.<< Es frage sich nun, ob die Mitglieder, die noch gesund seien und Verdienst h?tten, ?ber ihren Beitrag hinaus zusammensteuern wollten f?r die kranken und arbeitslosen Mitglieder. Wenn nicht, dann bleibe nur noch ?brig, die seit f?nfzig Jahren bestehende Bauarbeitervereinigung samt der Krankenunterst?tzungskasse aufzul?sen. >>Sozusagen den Konkurs anzumelden.<<
Siebenhundert Augenpaare von siebenhundert dumpf schweigenden Menschen blickten ratlos auf den Redner. Die Frauen, deren K?chent?pfe leer waren, und die Frauen, deren M?nner im Felde standen oder schon gefallen waren, hatten rotgefleckte Wangen bekommen. Die Eisenplatte, die seit zwei Jahren ?ber ganz Europa lag, lag sichtbar auch ?ber diesen siebenhundert in Leid und Not verkrampften Lasttieren.
Ein kleiner Junge hatte das Kinderschiessgewehr hinterm Klavier, das auf dem Podium stand, hervorgezogen und zielte, den Schaft an der grauen Backe, hinunter auf die siebenhundert reglosen M?nner und Frauen. Alle blickten auf das Loch des Rohrlaufes aus Weissblech.
Und draussen standen, den Gewehrschaft an der Backe, in Schuld und S?nde Millionen Menschen gegen?ber Millionen Menschen, die in Schuld und S?nde standen.
Da tat Robert den Sprung. Es war ein ganz langsamer Sprung. Er ging traumwandlerisch sicher auf den Jungen zu, nahm ihm das Spielzeug von der Backe weg und trat vor, bis an den Rand des Podiums.
Und w?hrend der Redner Wasser trank und seine Abrechnungslisten zurechtlegte, sagte Robert:
>>Das hier ist ein Schiessgewehr. Das habe ich . . . ich selbst habe das meinem Jungen gekauft. Damit hat er gespielt. Damit hat er sich unmerklich die Liebe aus seinem Herzen hinausgespielt. Damit hat er schiessen gelernt. Ich habe ihn das Schiessen, habe ihn das Morden gelehrt. Mein Sohn ist gefallen. Er ist tot. Ich bin sein M?rder . . . Vaterstolz, Ruhmsucht, Gedankenlosigkeit und Gewohnheit haben mich zum M?rder werden lassen. Und doch habe ich nur getan, was auch ihr getan habt. Auch von euch hat mancher seinen Sohn . . . verloren.<<
Robert hieb das Gewehrchen gegen die Knie und legte die zwei St?cke ruhig zu seinen F?ssen nieder. >>Das h?tte ich vor f?nfzehn Jahren tun m?ssen . . . Habt ihr es getan? . . . Also seid auch ihr M?rder.
Unsere M?nner und unsere S?hne erschiessen M?nner und S?hne. Und jene M?nner und S?hne erschiessen unsere M?nner und S?hne. Und jeder Daheimgebliebene hofft: mein Mann, mein Sohn kommt zur?ck; m?gen die anderen fallen und sterben.
Solches kann nur ein Wahnsinniger w?nschen . . . Ich frage euch: ist der kein M?rder, der ein unschuldiges Kind so erzieht, dass es erst zum M?rder werden muss, bevor es selbst ermordet wird? Wird der so erzogene Unschuldige, wenn er einen gleichfalls schlechtberatenen Unschuldigen erschiesst, nicht zum M?rder? Es gibt heute in Europa keinen Menschen mehr, der nicht ein M?rder w?re! . . . Wir sind verblendet und M?rder, weil wir den Gegner ausser uns suchen und zu finden glaubten. Nicht der Engl?nder, Franzose, Russe und f?r diese nicht der Deutsche, sondern in uns selbst ist der Feind. Und wir sehen deshalb in anderen Menschen den Feind, weil der tats?chliche Feind in uns etwas ist, das nicht da ist. Das Nichtvorhandensein der Liebe ist der Feind und die Ursache aller Kriege. Ganz Europa weint, weil ganz Europa nicht mehr lieben kann. Ganz Europa ist wahnsinnig, weil es nicht lieben kann.
Oder ist es nicht Wahnsinn, wenn ihr euch freut ?ber die Notiz: zweitausend franz?sische Leichen lagen vor unserer Linie? Ist die Einwohnerschaft von Paris nicht wahnsinnig, wenn sie sich freut ?ber die Notiz: zweitausend deutsche Leichen lagen vor unserer Linie?
Wir schreien vor Schmerz oder die Augen bleiben trocken vor Schmerz, wenn unser Sohn f?llt. Solange wir nicht ebenso vor Schmerz schreien, wenn ein Franzose f?llt, lieben wir nicht. Solange wir nicht f?hlen: ein Mensch, der uns nichts getan hat, fiel und starb, so lange sind wir Wahnsinnige. Denn dieser Mensch, der fiel und starb, hatte eine Mutter, einen Vater, eine Frau, die vor Schmerz schreien. War ein Mensch. Wollte so gerne leben. Und musste sterben. Wof?r? Warum? Er musste sterben, weil er nicht liebte. Und wir, seine M?rder, liessen ihn sterben, weil wir nicht lieben.<<
Robert machte w?hrend des Sprechens ganz kleine Bewegungen mit der Hand, dass die weisse Serviette baumelte. Es war so schwer, auch den anderen mitzuteilen, was man selbst f?hlte und erkannt hatte. Und dabei war das Ganze doch so einfach, so selbstverst?ndlich. Aber die Menschen hatten sich von der Selbstverst?ndlichkeit weggestellt. Sie hatten die Liebe einfach vergessen, wie man seinen Schirm stehen l?sst.
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