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Read Ebook: Stories of a Governess by Fisler Annie

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Ebook has 236 lines and 44468 words, and 5 pages

h wich er dem St?ck aus, obwohl seine Neugierde aufs h?chste erregt war und niemand ihn ?berwachte, und nur die Vorrede mit der Inhaltsangabe las er einmal doch, indem er sich sagte, dass die ja nicht eigentlich zu dem gebannten St?ck geh?re. Welch ein Geheimnis, diese ?berbl?tterten und stets wie mit Leim zusammengehaltenen Seiten hie und da, wie durch Zufall, aufzuschlagen, vom Wind aufbl?ttern zu lassen, unbeachtet ein Wort, einen Satz aus dem Zusammenhang zu packen, eine Abbildung vorbeitr?umen zu sehn, niemals aber dem lieben strengen Vater durch wirkliches Lesen der Reihe nach ungehorsam zu werden. Wie peinigte das sein pochendes Herz!... ?berdies hatte der Vater dieses Verbot nur einmal und nur beil?ufig fallen lassen, nie mehr wiederholt, vielleicht selbst nicht so wichtig genommen und l?ngst vergessen. Und als Arnold, zu Jahren gekommen, sp?ter einmal diesen f?rchterlichen >>Othello<< durchnahm, fand er zwar gleich in der ersten Szene eine obsz?ne Phrase, im Ganzen aber nichts, was dieses St?ck vor den vielen, die er lesen gedurft hatte, ausgezeichnet h?tte. Derartige Phrasen hatte er ja als Kind zu hunderten unverstanden eingeschluckt. Und so blieb ihm dieses Verbot seiner Kinderjahre weiterhin ein Geheimnis, ?ber das er seinen Vater aus Respekt auch nachmals nicht weiter auszuforschen sich getraute.

Indessen kam der Hausarzt einmal, anl?sslich einer Masernerkrankung -- man musste dem Kerlchen mit den verklebten Augen unerm?dlich von fr?h an bis in die sp?te Nacht vorlesen -- auf Arnolds ?berreichen B?cherkonsum. >>Ihr Junge ist mit achtzehn Jahren ein Idiot<<, schrie er die t?dlich erschrockene Mutter an, und von nun an war es mit der Lekt?re zu Ende. Furchtsam wachte die Mutter dar?ber, dass Arnold keine Zeile mehr ausser den Schulaufgaben zur Hand nahm. Auf vielfaches Jammern und als sich die Folgen der Langweile in seiner gesteigerten Wildheit zu zeigen begannen , wurde ihm endlich jeder dritte Tag als Lesetag einger?umt ... Arnold erinnerte sich ?berdies sp?ter oft mit Vergn?gen daran, wie grossen Eindruck der Schrei des erz?rnten Arztes auf ihn gemacht hatte. Bis zu seinem achtzehnten Jahre erwartete er allen Ernstes mit Grausen t?glich das Eintreten der prophezeiten Verbl?dung, erst nachher fiel es ihm pl?tzlich als Erl?sung ein, dass der Arzt vielleicht nur in einer Metapher geredet hatte. Ja, als Kind pflegte er eben Ausspr?che ?lterer Leute unausl?schlich ernst zu nehmen ...

Diese Sammlung f?hrte ihn auf dem Wege des Verkehrs und der allgemeinen Sch?tzungen wieder zu den Kameraden zur?ck, denen er eine Zeit lang eigensinnig ausgewichen war. Gegen das Obergymnasium hin wurde er wieder kollegialer und bald entwickelte sich als erste Frucht dieses menschlichen Umgangs eine neue Eigenschaft aufs h?chste in ihm ... die unbez?hmbare Schwatzhaftigkeit. Es war, als m?sse er f?r jahrelanges stilles Vorsichhinspielen auf einmal sich entsch?digen. Angepfropft mit Zitaten, mit B?cherereignissen, wie er war, begann er zun?chst in den Pausen, auf den Korridoren vor den Kollegen lange Reden zu f?hren, in denen keiner ihn unterbrechen konnte, denn er hatte die lauteste m?heloseste Stimme, die selbst, wenn er gem?tlich sprach, zu zanken und zu drohn schien. Man h?rte ihm in einer Mischung von Spott und Bewunderung zu, wenn er einen Professor mit Don Quixote und die andern mit den Pickwickiern spasshaft verglich. So gezierte ausgew?hlte Scherze klangen allen ungewohnt, ja unbehaglich; da er aber in seinem Eifer die frostige Wirkung, die er hervorbrachte, selbst nicht zu bemerken schien, vielmehr immer in derselben Richtung sich steigerte, sich ?berbot, berauscht von eigenem Beifall immer freundliche Zurufe der andern um sich zu h?ren glaubte und so sich noch mehr erhitzte, begann er zu imponieren. Jedenfalls bereicherte er den seit langer Zeit festgewordenen Gespr?chsstoff, brachte ein paar neue Redensarten auf. Man ahmte ihn nach, eine Partei bildete sich um ihn. Einige begleiteten ihn t?glich nach Hause. Auf offener Strasse nun entfaltete sich seine neue Kunst, denn anders als in den ?den glatten G?ngen gab es hier tausend Dinge, an die er seine effektvollen Betrachtungen ankn?pfen konnte. Von der Tramway kam er auf Elektrizit?t zu sprechen, brachte verworrenes Zeug vor, das er sich selbst nach wenigen Andeutungen seiner Erfahrung zurechtgemacht hatte und von dem die andern nur wussten, dass sie >>das noch nicht genommen hatten.<< Wie erbebte er vor Entz?cken, wenn ihn nun einer seiner Anh?nger um Erkl?rung einer Sache bat, wie begann er gleich mit sanftem Anstand, ernsthaft, auch wenn er gar nichts wusste, zu erkl?ren. >>Das ist a sehr einfach<< waren immer die ersten Worte. Allen Ernstes glaubte er, dass es nur eines recht guten innigen Drauflossprechens bed?rfte, um alle Dinge der Welt klar zu machen. Und wenn er es dann nur aushielt, recht lange bei dieser einen Sache zu bleiben, recht ausf?hrlich und immer verwickelter ?ber sie zu reden, meinte er, seine Aufgabe aufs beste vollf?hrt zu haben. Er glaubte n?mlich, auch in den sogenannten wissenschaftlichen B?chern einigemal bemerkt zu haben, dass das Erkl?ren nur in einem recht langen, mannigfachen und undurchsichtigen Brei bestehe, den man um die Dinge giesse, und diese Regel bewahrte er als ein Schlauer, der nun dahintergekommen war und der sich von dem allgemeinen Vorgeben nicht mehr t?uschen liess, wohl im Ged?chtnis. Wenn er aber an seine Kindheit zur?ckdachte und an die M?he, die seine Erzieher angeblich mit seiner Wissbegierde gehabt, so lachte er sie noch nachtr?glich aus. Was f?r Kunstst?cke! Nur ein wenig Geistesgewandtheit geh?rte dazu und man hatte die ganze Welt in der Hand, wie ein Ausleger die Bibel. -- So moralisierte er auch nicht schlecht, hatte Gedanken ?ber den Staat, ?ber Religion, Gott, Theater, Mode, gute und b?se Menschen. Darin vornehmlich war er Meister: wenn er ein Sprichwort irgendwo oder einen Satz aufgegabelt hatte, diesen zum Motto langer Er?rterungen zu nehmen, best?ndig in neuer und ?berraschender Form zu wiederholen, hin- und herzuschrauben, so dass ohne viel inneres Wissen ein verwunderliches farbenreiches Get?n und Hohlwerk aus grossartigen Worten entstand. -- Widersprach ihm jemand, so kam ihm das gerade recht, denn nun konnte er gar erst mit aller Kraft losbrechen, an die fremden Worte wie an K?hne sich anklammern und sich von ihnen durch das Wasser obenauf mitschleppen lassen. Ganz naiv munterte er auch manchmal solche, die ihm dazu geeignet schienen, auf: >>Du, komm, debattier ein bissl mit mir.<< Und das war ein Herumirren in den Strassen, ein Begleiten hin und zur?ck, die Gasse hinunter und nochmals hinauf bis zur Ecke, ehe er nach so einem Schulweg endlich zu Hause anlangte. Gew?hnlich war es eine ganze Gruppe von Burschen, jeder seinen Pack B?cher lose unter dem Arm , Arnold immer in der Mitte, neben ihm die Bevorzugten, die auch schon etwas verstanden, und an den Seiten unbedeutende Fl?gelm?nner, die sich abwechselnd immer wieder bis zum Zentrum der Gruppe durchzuquetschen suchten, immer um die Mittleren mit unbeachteten Fragen und unbegehrten Antworten herumtanzten und immer wieder, wie nach einem Naturgesetz, an die k?hlen ?usseren Enden der Reihe gedr?ngt wurden, wo sie gelangweilt mitstolperten. Vor dem Haus sammelte Arnold nochmals alle um sich, gab gleichsam die Parole aus, irgend eine Schlusspointe, aus dem allgemeinen Lachen aber gerieten die Zur?ckgelassenen, sobald Arnolds Licht verschwunden war, schnell in die gewohnte Balgerei; >>wo bist du wieder so lange gewesen?<< empfingen indessen oben den Helden die besorgten Eltern. -- Nicht zufrieden mit diesen Heimschlendereien ging Arnold bald dazu ?ber, die Freunde zu sich zu laden, am liebsten gleich rottenweise, erz?rnte die sparsame Mutter mit seinen ewigen Kaffee- und Kuchenbestellungen und gab ihr, da er nicht immer die Saubersten sich aussuchte, Anlass zu h?ufiger Wiederholung ihrer beliebten Grussformel: >>Guten Tag. Bitte, putzen Sie sich die Stiefel ordentlich ab, aber ordentlich!<< Er gr?ndete einen Lesezirkel f?r die >>Intelligenz der Klasse<<, der sich im Sommer als Fussballklub fortsetzen sollte; denn Stubenhocker wollten sie ja nicht sein. Da er um diese Zeit mit einigen Genossen das Schachbuch von Dufresne studierte, war man auch von einem Schachklub nicht mehr weit entfernt ... Aber auch sonst noch, auf den Gassen, hielt er die Kollegen fest, f?hrte sie mit sich oder schloss sich an ihre Besorgungswege an, oft auch setzte er sie in Verlegenheit, indem er aus einer Quergasse wie aus einem Hinterhalt hervorst?rzte: >>Da bin ich. Jetzt aber lass ich dich nicht los, ob du willst oder nicht willst. Jetzt bist du mein.<< Und z?rtlich eingeh?ngt ?berstr?mte er den Zuh?rer mit seinen neuesten rhetorischen Eingebungen. Da half kein Abschied, keine Eile, kein Zugvers?umen. Denn es galt ja auch allgemein als interessant, ihm zuzuh?ren, und nur ungern und l?ssig wurden h?here Pflichten gegen ihn geltend gemacht. Bis ins Tor der H?user, bis an die Wohnungst?r vor die Glocke folgte er den Geduckten, geschmeichelt Gepeinigten, eifrig redend, nach und es hatte gar nicht den Anschein, als sei er der Spender und giesse aus seinem Innern etwas in den Krug des andern aus; sondern so war es, als spende der andere, als hinge Arnold mit den Lippen saugend an dem Zuh?rer wie an einem Gef?ss mit s?ssem Wein, das man von ihm wegziehn wolle und dem er deshalb in Abh?ngigkeit, immer saugend, nachfolgen m?sse. Rufend entfernte er sich um einen Schritt, machte aber pl?tzlich noch einmal einen zwei Schritte langen Sprung nach vorn, um aus dem Mann an der T?rklinke noch das Anh?ren von sieben oder acht S?tzen auszupressen.

Es konnte nicht fehlen, dass ein J?ngling solcher Vorz?ge bald auch echte Freunde an sich zog, nebst dem Schwarm geringerer Mitl?ufer. Der erste, der sich n?her ihm zugesellte, war Philipp Eisig und dieser Seelenbund blieb fest durch viele Altersstufen hindurch, obwohl er nur dem kleinen Zufall das Entstehen verdankte, dass die Eisigsche Familie eines sch?nen Tages ?bersiedelt war und nun dem Hause Beer gerade gegen?ber wohnte. Jetzt war ein st?ndiger Gef?hrte f?r die Heimwege gefunden -- und das gen?gte als Grundstein einer so langen und folgenreichen Freundschaft, wie sich ?berhaupt Arnolds Beziehungen oft durch ganz geringe F?gungen und gleichsam ohne seinen Willen ankn?pften, in aller Hast. Arnold st?rzte sich nun gleich mit wahrer Glut in das neue Gef?hl, seine Redestr?me bekamen einen Inhalt, zum erstenmal ein heimliches inneres Zittern zu ihrem glatten ?usseren Schimmer, enthusiastisch schw?rmte er vom Bund f?rs Leben, von Intimit?t und Herzensgemeinschaft, er machte sogar kleine witzige Gedichtchen und ein Akrostichon auf den Namen seines Auserw?hlten. Alles erz?hlte er ihm, was er sich bei allen Gelegenheiten dachte, und sorgsam trug er nach, woran er sich aus der noch nicht gemeinsamen Vergangenheit erinnerte. Offenheit und Mitteilsamkeit waren ihm die selbstverst?ndlichsten Freundespflichten, ja eine gewisse K?hnheit im Aussprechen von Dingen, die man sonst nur mit einer gewissen Scheu nennt, schmeichelte ihm wie ein Opfer, das er dem andern brachte, dem Freunde, der mit seinem grossen dicken gelben Gesicht still neben ihm ging, schaukelnd ?ber dem breiten Bauch. Denn ein Umstand kam dem Verkehr vornehmlich zustatten: Eisig stotterte ein wenig, daher war es dem lebhaften Arnold leicht m?glich, ihm geschickt in die Rede zu schnellen, w?hrend er selbst in seinem Hinst?rmen nie unterbrochen werden konnte. Arnold schien ihn f?rmlich mit seiner Zunge zu regieren, sowie er auch mit den H?nden oft durch einen kleinen starken Ruck dem grossen, aber haltlos wankenden K?rper des Freundes schnell die richtige Wendung gab, um ihn auf irgend eine fl?chtige Erscheinung aufmerksam zu machen oder um ihn in die gew?nschte Gasse einzubiegen. Und dieses angenehme Gef?hl des sofortigen Befolgtwerdens, der Ungehemmtheit, das er ?brigens nicht durchschaute -- so nat?rlich und triebhaft entstr?mten ihm die Befehle -- verschmolz ihm in eins mit den z?rtlichen Aufwallungen der ersten Zuneigung, mit den Geheimnissen, die die beiden einander mitteilten, mit dem erhabenen Beispiel von Orest und Pylades, das ihn seit jeher begeistert hatte. Er f?hlte sich zu jeder Heldentat bereit, h?tte gern stoisch Folterungen ausgehalten, um den andern in nichts zu verraten. Abends gingen sie manchmal, eingeschlossener trotz der ungleichen Statur und mit seltsam gezwungenem Schritthalten, auf den Feldern draussen vor der Stadt spazieren, sie starrten in die Sonne oder vom reinlichen Quai hinab in den grossen tiefen Fluss, dann sprachen sie wieder etwas, und obwohl es nur ein Witz oder Schultratsch war, kam oft eine ahnungsvolle Verworrenheit in ihre Worte, wie Wind in die Seiten einer ?olsharfe, und solche Innigkeit verkl?rte noch ihr geringstes Gespr?ch, dass Arnold nicht selten die Tr?nen in seinen Augen aufsteigen f?hlte. Dann wischte er sie mit dem Rock?rmel ab, w?hrend der Dicke in feinf?hligem Verst?ndnis sich zur Seite wegwandte, um ihn nicht besch?men zu m?ssen. Erst zur Nachtmahlzeit schieden sie voneinander und am n?chsten Morgen, w?hrend des Ankleidens, brannte Arnold unb?ndig schon wieder auf die n?chste Zusammenkunft, denn es hatten sich ihm noch am Abend vor dem Einschlafen so viele Dinge aufgeh?uft, die er dem Freund auf dem Schulweg mitzuteilen hatte und die er nun sorgsam ordnete, das minder Wichtige voran, das Sch?nste zuletzt, um alles in der richtigen Reihenfolge und mit der richtigen Wirkung an den Mann zu bringen ... Indessen war Eisig bei all der aufgedr?ngten Schweigsamkeit der ?berlegene in diesem Verkehr, da er Billard spielen konnte, auch schon hie und da Kaffeeh?user besuchte und den Frauen nicht mehr ganz ferne stand; was alles er dem Mutters?hnchen Arnold binnen kurzem beibrachte. Welch neue interessante Bl?tenwelt! Arnold war bald bis ?ber die Ohren in sie versunken, bestrebt, den Lehrer wom?glich zu ?bertreffen. Denn kein Ding machte ihm eigentliches Vergn?gen, wenn er nicht andere darin ?bertreffen konnte. Nur Geld fehlte ihm, Eisig borgte willig die H?lfte seiner Taschenbez?ge, was Arnold ?brigens als selbstverst?ndlich auffasste und in Eisigs Lage genau so gemacht h?tte. Daf?r half er dem Geliebten bei Haus?bungen nach. Eisig war n?mlich einer der Schw?chsten und Faulsten in der Klasse, Arnold nat?rlich Primus, was ihn jedoch nicht hinderte, auch bei den gr?beren, untergeordneten Naturen, die sonst das Fleissige und Erfolgreiche hassen, sehr beliebt zu sein, an allen ihren Streichen teilzunehmen und bald sogar ihre F?hrung an sich zu reissen, w?hrend er trotzdem bei den Lehrern das Ansehen eines willigen Glanzes behielt.

Besonders schlecht stand Eisig beim Professor des Griechischen, Schleiderer mit Namen, dessen Laufbahn auch sonst von vielen Verw?nschungen der unruhigen Sch?ler widerhallte, als eines ungl?cklichen Menschen ?brigens, der er war. Seine Bosheit war ber?chtigt. Und sollte man da nicht wild werden, wenn er dem Eisig die griechische Schularbeitstheke s?ssl?chelnd mit den Worten reichte: >>Eisig Philipp -- diesmal etwas besser gearbeitet. -- -- Nicht gen?gend<<. Eisigs gew?hnliche Note bei Schleiderer war n?mlich >>Ganz ungen?gend<< ... Da trat Arnold als Vertreter eines Gedankens auf, der schon lange ungesprochen durch die Klasse gebebt hatte: >>Wir m?ssen einen Anti-Schleiderer-Verein gr?nden!<< Der Name machte allen alles klar, nun wurde die l?ngst vorbereitete Bewegung grausam organisiert und als alleiniger Zweck des Vereins wurde die Losung ausgegeben: den Schleiderer heraus- oder totzu?rgern. W?hrend aber die schlechten und einge?bten Randalierer zu unfeinen Mitteln, wie: Knallerbsen, Stinkbomben -- rieten, war Arnold erfinderisch. Er leitete es ein, dass einmal w?hrend der Griechischstunde hier und dort einer von seinem Platz aus langsam und allm?hlich sich erhob, das Buch in der Hand, an verschiedenen Stellen der Klasse, so dass es zun?chst nicht auffiel. Die ?ngstlichen standen in geknickter Verrenkung, als sei ihnen nur das Sitzen f?r ein Weilchen unbequem geworden und als wollten sie sich in halb aufrechter Stellung ein wenig ausruhn; andere hielten ihre Hefte oder B?cher dem Lichte zu, als h?tten sie unten nicht Licht genug f?r ihre Arbeit; manche kratzten sich, wie geistesabwesend, verlegen in den Haaren. Unbemerkt standen nun andere wieder auf, immer mehr, bis entsetzt der Professor pl?tzlich die ganze niegesehene Ver?nderung r?tselhaft aufgestellter, gleichsam gespensterhafter Sch?lerreihen vor sich hatte. -- Oder er gab das >>B?nker?cken<< an; langsam schoben die in der ersten Bank ihre Sitze vor, die n?chsten folgten, m?glichst ohne Ger?usch, nur ein kleines Knarren oder Seufzen des Holzes manchmal, angestrengt arbeitete die ganze Klasse dem gemeinsamen t?ckischen Ziel entgegen, keiner passte auf den Homer auf, den der Professor wie ?ber aller K?pfe und Ohren hinweg in die Luft vortrug, -- und schliesslich erschreckte den nichtsahnenden Feind wieder ein so ungewohnter Anblick, als er vom Katheder herabsteigen wollte und keinen Zwischenraum wie sonst zwischen dem Podium und der ersten Bank vorfand, da die B?nke bis an die Erh?hung, wie Belagerer, vorger?ckt standen. Und alle machten ein m?glichst unschuldiges dummes Gesicht dazu, ja sie schienen nicht einmal etwas Auffallendes zu bemerken, so dass sein Blick ratlos an ihren kalten teuflischen Gesichtern hin wanderte. -- Oder die Derbsten in den letzten Flegelb?nken rauchten gar -- auf Arnolds Anreiz --, verborgen hinter B?chern, bliesen den Rauch in ihre H?te, die sie immer wieder sorgf?ltig umklappten, bis endlich diese Sammelb?chsen voll waren und nun schlugen sie sie um, dass ein weisses dampfendes Gew?lk unbekannten Ursprungs langsam zur Decke emporstieg, eindrucksvoll qualmend wie zum Aktschluss einer Zauberposse ... Jetzt war Arnold Liebling und Stolz der Klasse; und immer noch brav, immer noch: >>Sittliches Betragen: musterhaft<< auf dem Zeugnis. Der Verein h?tte ihn aber doch vielleicht entschiedener in den Unfug gezogen: da ereignete es sich eines Tages, dass Professor Schleiderer, der Verhasste, wie von selbst auf der Schlosstreppe hinst?rzte und sich den Sch?del brach. War es Wahnsinn? Selbstmord? Niemand erfuhr es, auch in der Folge nicht. Die jungen Sieger aber standen nicht an, dies als Folge ihrer gutgelungenen sinnverwirrenden Qu?lereien zu erkl?ren und an demselben Tage ein fr?hliches Zusammentreffen in der Eisigschen Wohnung einzurichten, das ohne Reue als eine Art von kannibalischem Triumphfest geplant war, in das sich aber unvermerkt mit immer bedenklicheren Reden und gar nicht mehr knabenhafter Unfrische ein geheimes Todesgrauen einzuschleichen begann -- viele von den Burschen hatten ?berhaupt noch nie einen Todesfall in ihrer n?heren Umgebung erlebt -- und das schliesslich ganz appetitlos, ernsthaft, ja mit dem Entsetzen, das in Erf?llung gegangene Fl?che und Orakel umwittert, und in Angst vor allen unberechenbaren Zuf?llen des Lebens zu Ende ging -- des Lebens, das auf alle diese Kinder draussen lauernd wartete.

Eisigs besassen auch einen Fussball. Dieses an K?rperinhalt so geringf?gige Ding bewirkte, dass f?r Arnold eine neue ?ra und Leidenschaft anbrach, ein Fussballjahr ... Schon vorher hatte er das Spiel geliebt, das als >>roh und gesundheitssch?dlich<< von der Schule aus und gleichfalls von den Eltern verboten war. Man wies gern auf Ungl?cksf?lle hin, man las den Kindern aus der Zeitung vor, dass der oder jener hoffnungsvolle junge Mann durch einen ungl?cklichen Fall oder gar infolge eines Tritts beim Fussballspiel unheilbaren Schaden genommen hatte. Indes verkl?rten solche Nachrichten in den Augen Arnolds den gef?hrlichen Sport, munterten ihn nur auf, und obwohl man ihm strafweise das kleine Taschengeld entzog, wusste er sich doch immer wieder einen Ball zu verschaffen und eilte dann mit Gleichgesinnten in den Stadtpark, um sich f?r zwei, drei Stunden am >>Kicken<< und >>Rempeln<< g?tlich zu tun. Im Stadtpark drohte freilich eine neue Gefahr, denn dort war auf allen Wegen das Fussballspiel ebenfalls verboten, und wenn die Buben mit gl?henden Wangen gerade im besten Laufen waren, erschien manchmal der Parkw?chter mit Tschako und S?bel, ein alter Mann, ergriff wortlos den rollenden Ball, den Puls des Spieles, den Ball, den man mit so viel Schwierigkeiten einem M?derl abgeschwatzt oder irgendwo gestohlen hatte, und steckte ihn, den teuren Ball, in die Tasche, worauf er wortlos hinter den Geb?schen wieder verschwand; denn mit den unverbesserlichen Sportfreunden zu zanken oder ihnen die Vorschriften einzusch?rfen, hatte er l?ngst wegen Aussichtslosigkeit aufgegeben ... Man w?hlte daher, um vor seinen r?uberischen ?berf?llen sicher zu sein, gern die Abendstunden, in denen er seine Rundg?nge nicht mehr so eifrig einhielt und die auch alles leicht verh?llten hinter Nebeln ?ber den Wiesen und langen Schatten. Dann tauchte die Gesellschaft vorsichtig auf, ganz nach Art verfolgter Gottesdienste im Anfang einer Religion wurden abgelegene Pl?tzchen ausgesucht, Vorposten ausgestellt, ?ngstlich wurde das Heiligtum, der Ball, hervorgeholt, doch erst, wenn alles sicher schien. Dieser Ball ... o mit welchen bejammernswerten Surrogaten mussten sich die Enthusiasten manchmal begn?gen. Einmal war es ein leichter roter Gasballon, der zu hoch sprang und der die ganze wohlge?bte Fusstechnik der Mannschaft st?rte, einmal ein grosser, ganz weicher, mit kindischen Bildern, dann ein kleiner billiger weisser Gummiball, der jeden Moment ins Buschwerk lief und kaum mehr aufzufinden war, ein anderes Mal hatte der Ball schon Luft verloren, das heisst er bekam an einer Seite eine kleine r?tselhafte Einsenkung -- und mochte man ihn nun streicheln und dr?cken, wie man wollte, mochte man mit aller Vorsicht die Vertiefung langsam in weicher Hand aufzurunden suchen, immer zeigte sich die t?ckische Grube an einer anderen Stelle, immer wieder genau so tief wie vorher, eher noch tiefer. War einmal ein Ball so weit, so war er unrettbar verloren. Man erkannte das an seinem hohlen scheppernden Ton beim Laufen, man konstatierte es mit einem wahren Todesschreck in den Gliedern. Denn nun war das richtige Vergn?gen vorbei. Trotzdem h?rte man nat?rlich nicht auf zu spielen, wenn auch der Ball nur schlecht sprang und von der graden Bahn abwich. Einige K?nstler behaupteten sogar ganz stolz, sie spielten nicht ungern mit so einem zerkickten Balle, denn sie k?nnten seine >>F?lsche<< berechnen. Indes vergr?sserte sich unaufhaltsam mit jedem Stoss der Fehler, schliesslich hatte sich die Senkung ?ber die halbe Fl?che schlapp ausgebreitet. Doch nicht einmal das war ein Hindernis. Man schob nun den Ball zusammen, machte eine hohle Halbkugel aus ihm, einen Klumpen und in diesen ?berrest stiess man eifrig, trug ihn mehr auf der Fussspitze als man ihn warf, verzichtete auf jede Elastizit?t, auf den Fernkampf, so dass das Spiel endlich in Nahkampf d. h. in eine Pr?gelei ausartete ... Primitiv wie der Ball war auch das Goal eingerichtet, zwischen zwei B?umen, die man durch eine mit dem Stiefelabsatz gezogene Linie im Sand verband. Fehlten die B?ume, so legte man Kleider in zwei B?ndeln auf die Erde und bestimmte die Linie zwischen ihnen als Goal, wobei dann allerdings die Streitfrage entstand, ob es als Goal zu betrachten sei, wenn der Ball ?ber die Kleiderb?ndel fliege oder sie streife. Man nannte das >>Stange<<, denn die R?cke vertraten ja die Goalstangen, und bel?stigte nun die ?lteren Spieler, sogar die Sportzeitungen mit diesem Problem. Und nun gar, wenn es immer dunkler wurde, wer konnte noch entscheiden, ob ein Schuss richtig getroffen hatte oder nicht! Man spielte einfach in die Nacht hinein, erstickend, keuchend, man bewegte sich, es galt auszugleichen oder den Sieg zu entscheiden, in h?chster Spannung und Anstrengung -- und dabei musste man sich zur?ckhalten, durfte nicht schrein, nicht anfeuern und jauchzen, alles musste lautlos vor sich gehn, sonst h?tte man sich dem W?chter verraten. Erst bei v?lliger Finsternis h?rte man auf. Die Feinde und Freunde hinkten nach Hause, hungrig, durstig, zerschunden -- das aber f?hlten sie nicht -- nein f?r Arnold, wie f?r alle, lag ein s?sser Zusammenhang zwischen ihrer Abgeschlagenheit, dem Schweiss, den Schuhtritten, die sie an ihren Waden schmerzten, an den Schienbeinen, l?ngs derer vielleicht ein gegnerischer Schuhabsatz herabgeglitten war oder sich eingehackt hatte, dass innen die Sehnen brummten, zwischen all dem und dem s?ssen Fliederduft des Parkes, dem n?chtlichen Bl?hn und einem leisen, eben entschlafenden Vogelgezwitscher -- o ein Zusammenhang, in dem diese Knaben st?rker als jemals ihre Jugend und die heldenm?tige Kraft des Blutes und eine sich weitende Freude sp?rten bis an das schwarze Himmelsgew?lbe hinauf. Sie marschierten in die Gassen hinein, sie f?rchteten sich nicht vor den Eltern, nicht vor der morgigen Schularbeit, sie summten ein Lied. -- So weit stand die Sache, als Arnold mit Eisigs n?her bekannt wurde. Damit erhielt er pl?tzlich, nach all den dilettantischen Versuchen, Anteil an einem Fussball, an einem wirklichen englischen Fussball, der seine hohe Verehrungsw?rdigkeit schon dadurch bekundete, dass er wie ein belebtes Wesen eine >>Seele<< besass. Nun ?berstieg die Fussballbegeisterung alle Grenzen. T?glich nach der Schule zogen die f?nf Eisigs mit Arnold auf die Wiesen, drei gegen drei teilten sie sich dort und los gings. Nicht genug damit, man ?bte auch in der kurzen Zeit zwischen Vormittags- und Nachmittagsunterricht, und da war der grosse Hof im Eisigschen Haus der geeignetste Platz dazu, dieser Hof mit seinen Kisten, Handkarren, Holzschuppen, alten B?umen, Kellert?ren, dieser Hof in gl?hender Mittagssonne. Nichts konnte die Passionierten abhalten, nicht, dass der Hof gepflastert war und daher jedes Hinst?rzen hart sp?ren liess, auch nicht dass der Ball einmal bei einem Hochkick ein Fenster im ersten Stock zerschmetterte, was zu grossen Misshelligkeiten zwischen Papa Eisig und seinem Mieter f?hrte. Es wurde nur einfach ausgemacht, von nun an keine Hochkicks mehr zu machen. Und unverdrossen kroch man zwischen F?ssern durch, wenn der Ball sich zwischen sie verloren hatte, kletterte ihm nach durch die Fenster in die versperrten Keller und Schuppen, breitete sich immer weiter aus, spielte bei Regenwetter im Vorzimmer der Wohnung, zerbrach Lampen und Spiegel, umging immer wieder die elterlichen Verbote. Ja man ging zum Angriff auf ihre Herzen ?ber, suchte sie f?r den Fussballsport zu gewinnen, indem man sie ?berredete, Sonntags sich einmal ein Wettspiel anzuschaun. Unterwegs wurde ihnen alles auf das Fachlichste erl?utert: die Aufstellung, Goal, Hand, Ecke, der Elfjardstoss, die R?tsel des Offside. Angesichts des Spieles machte man sie auf hygienische N?tzlichkeiten aufmerksam, zog die Olympischen Spiele der Griechen zum Vergleich heran, deutete auf die moralischen Werte gerade dieses Sports hin, der es dem einzelnen verbiete, >>egoistisch<< zu spielen und das Gesamtinteresse seiner Partei auch nur einen Moment aus dem Auge zu lassen ... Um diese Zeit erschien zum erstenmal eine englische Mannschaft in der Stadt. Es war eine Umw?lzung! Man hatte ein ganz neues Zusammenspiel zu erlernen, das Zuspielen auf der Erde, Kopfst?sse. Die sechs Helden trainierten unverdrossen, jeder mit dem festen Vorsatz, ein Champion zu werden. Sie kannten alle Wettspielresultate der letzten Jahre, alle Meisterschaften auswendig, sie umgaben die ber?hmten Spieler mit schw?rmerischer Verehrung. Sich selbst photographierten sie im Hof, in verliebten Stellungen, mit dem Ball im Arm, oder in gestellten Gruppen, wie einer dribbelte und den Gegner dabei >>t?uschte<< oder wie er im letzten Augenblick >>rettete<< oder wie er im Goal dem Schuss entgegensah, die H?nde auf den Schenkeln, den Kopf gesenkt mit sp?hendem Blick. Sie schafften sich >>Treter<< an und hatten dabei ein an Verbrecherlust grenzendes Gef?hl von Grausamkeit und Mut. Ihr Traum war, sich zu einer Mannschaft auszubilden und siegreich den Kontinent zu bereisen ... Arnold hatte sich unbestritten zum Kapit?n aufgeworfen. Er trug auch immer den Ball zum Spielplatz, was ein besonderes Ehrenamt war und ausserdem dem Tr?ger Gelegenheit gab, schon unterwegs einige Kicke in den Ball zu tun. Dies jedoch wurde ihm von den andern stets mit lautem eifers?chtigen Geschrei untersagt. Es war verp?nt. Der Ball sollte getragen, aber nicht gekickt werden. Auf das Kicken behielten sich alle das gleiche Recht vor und wachten streng dar?ber, so ?berirdisch schien ihnen dieses Vergn?gen, dieser geschickte Anstoss an die st?hlern klingende Rundung, diese Kraft und Richtung ... Ging Arnold allein durch die Gassen, so phantasierte er sich auch stets einen Ball vor die Fussspitzen, den er kunstvoll lenkte und an den Spazierg?ngern knapp vorbeitrieb. Das war seine liebste Unterhaltung. Und abends konnte man ihn wild, die M?tze in der Hand, durch leere Gassen rennen sehn. Dann war er in seiner Vorstellung mitten im Wettspiel, draussen auf dem rechten Fl?gel Forward -- dies war sein Posten, wenn er mit Eisigs spielte --, dann ?berholte er Feinde, die mit ihm zur?ckliefen, wich den Mittelst?rmern, die ihm entgegenkamen, gewandt aus. Seine ganze Mannschaft sah er im gleichen Tempo mitrennen, ?ber das gr?ne Feld hin wie einen riesigen F?cher, der sich verl?ngert, sah aller Augen auf sich gerichtet, denn er hatte den Ball, -- knapp an der weissen Outline lief er, w?hrend das Publikum mit >>Hipp, hipp<< ihn anspornte und erregte K?pfe ?ber die Holzstangen ihm sich nachbogen -- sah sich als Teil eines Ganzen, als Anf?hrer, all dies in wenige Sekunden zusammengepresst -- endlich spielt er den Ball in die Mitte, der Centre hat ihn und l?sst ihn mit der Wucht beinah eines senkrechten Falles durch das feindliche Goal in das heftig aufzitternde Netz st?rzen, ... w?hrend der tapfere unegoistische Fl?gel langsamer heranl?uft, alles ?berblickend. Und nun wird applaudiert, es rauscht, es schreit. Sieg! Sieg!

Eine Zeit lang verkehrte Arnold mit niemandem als den Eisigbuben. Bald aber wuchs sein Bekanntenkreis und wurde schliesslich ihm selbst un?bersehbar und unheimlich. W?hrend er in der Schule voran blieb, ?ffentlich und im Geheimen, auch in der Kommerskassa zum Obmann anstieg, die Kneipzeitung nicht nur redigierte, sondern auch auf einem selbstgekochten und selbst in die Blechpfanne eingegossenen Hektographen abzog , w?hrend er sogar eine kleine verbotene Lotterie f?r die Maturakneipe unter den Kameraden und deren m?glichst weit herangegriffenen Angeh?rigen veranstaltete, begann er doch auch noch ausserdem ein schwungvolles Privatleben zu f?hren. Gottfried Eisig, der Schauspieler, brachte ihn in eine Gesellschaft von Konservatoristen, in dunkle Hofzimmer, wo es von Violinskalen und N?sse seufzte; bei einem von ihnen, Waldesau, der durch besondern Ernst ihn ansprach, lernte er mit reissenden Fortschritten Klavier. Nebstbei trat er in einen Tennisklub ein und erw?hlte auch dort, in der vornehmen Welt, seine Freunde. Dies alles steigerte sich noch, als er nach gl?cklich mit allgemeiner Auszeichnung abgelegten Pr?fungen die Hochschule bezog. Eigentlich sollte er in das Gesch?ft seines Vaters eintreten, doch zog er dies durch unschl?ssiges Studium und Berufsprobieren noch einige Jahre hinaus. Er inskribierte dort und da, klaubte aus allen Gegenst?nden die ?ppigen Mandeln heraus, liess sich von Gef?hrten zur rechten und zur linken Seite bald in die >>gerichtliche Medizin<<, bald zu >>Experimentalphysik<< oder >>Sanskrit<< oder den >>Versmassen des Horaz<< ziehn. Er gewann zu ganz intimen Br?dern: L?b, den sachlich strebenden Bakteriologen, der zun?chst im Schul-Mikroskopieren, bald auch mit eigenen Ideen Geschicktes leistete -- ferner den ruhigen kleinen Krause, der mit Jusstudium eine gr?ndliche Erforschung des j?dischen Wesens und zionistische Propaganda verband. Arnold selbst trat einem deutschen Studentenverein bei und war dort eine Zeit lang der Vertraute des in politischen Dingen jugendlich-energischen und wohlvertrauten Technikers Gr?nbaum. Gr?nbaum nahm Malstunden, nat?rlich teilte sie Arnold mit ihm ... Das Seltsame nun bei diesen nach allen Seiten umsichgreifenden Beziehungen war, dass Arnold mit Sicherheit f?r jeden seiner Freunde den richtigen Ton traf, dass er niemals dem Waldesau, sondern immer nur dem eleganten Preisruderer Bobenheim unanst?ndige Witze erz?hlte, dass er mit Gr?nbaum ebenso schw?rmerisch von Rodin, wie mit L?b von >>Ehrlich 606<< sprach, und wieder dass ihm Professor Ehrlich f?r L?b den grossen Arzt und f?r Krause den grossen Juden bedeutete ... Nat?rlich war er l?ngst klug geworden und hatte die schwadronierende Art seiner Gymnasiasten-Reden l?ngst aufgegeben; aber die pr?chtige und befl?gelte Sprechweise, der str?mende Schwall von Ideen, der auch den H?rer in einen Zustand angenehmer Leichtigkeit versetzte, war geblieben. Hierzu gab nun sein wirklich ?bermenschlicher Eifer in allen Bestrebungen, der Mut, mit dem er immer seine ganze Person, seinen edelfunkelnden Geist einsetzte, mit dem er immer furchtlos sofort das Herz der Probleme attackierte, all diese Zauberei einer schnellen Auffassung und eines unverw?stlichen Ged?chtnisses -- gab Untergrund und Quadersteine f?r blendende Bauwerke ... Kein Wunder, dass ihn alle Freunde f?r ein vielseitiges Genie hielten. Als bedeutender oder, wie man unter ?ltern Leuten sagt, als >>gescheiter<< Mensch war er allgemein bekannt. Er war jetzt von ziemlich grosser Statur, seine Augen lagen unter hohen Knollen der trotzdem freundlichen Stirne, in tiefen bl?ulichen H?hlungen also, aus denen sie wie schattige Gebirgsseen, klar und doch von unergr?ndlicher F?rbung, hervorsahn. Diese grossen verfinsterten Fl?chen teilten zugleich mit dem Nasenschatten, der ?ber der glattrasierten Oberlippe spielte, mit den weissen ebenm?ssigen Wangen sein Gesicht ?berblickbar ein, machten es leicht einpr?gsam. Dazu der flache breitgerandete Strohhut, der niedrige Umlegkragen, dem der Hals frei und k?nstlerhaft entstieg, der weite gutgeschnittene ?berzieher -- und die markante Pers?nlichkeit, der angesehene Mitb?rger war beinahe fertig ... Auf solche ?usserlichkeit, die sich ja mit der Zeit von selbst einstellte, gab jedoch Arnold wenig; sein Flammenstreben richtete sich vielmehr nur darauf, mit jedem einzelnen der Freunde zu wetteifern und alle zu ?berfl?geln. Er stieg einfach in alles hinein, ohne Berechnung, aus purer Lust. Wenn L?b zu wissenschaftlichen Lekt?rzwecken Englisch und Franz?sisch erlernte, so begann er gleich noch Italienisch dazu. Las Krause die Bibel im hebr?ischen Urtext, so verschaffte sich Arnold schon Ausz?ge aus dem Talmud.

Dies jedoch h?tte die Verehrung, die ihm diese so verschiedenartigen jungen Leute zollten, noch nicht erkl?rt. Es muss noch gesagt werden, dass er alle nicht nur begleitete, sondern auch stiess und antrieb und tr?stete. Tr?stete, indem er sie stiess -- nirgends Schwierigkeiten sehend und mit der ihm angeborenen nebelhaften Energie gleich nach Erf?llung aller W?nsche langend. Es war eben seine eigent?mlichste Eigenschaft, dass er, in Gesellschaft mit einem Freunde, ganz und freudig erf?llt von dessen Liebhaberei, unter allen Umst?nden weiterdr?ngte und in hellstem Optimismus sich und den andern f?r f?hig zu allem hielt. War etwas in den Lehrb?chern beiden unverst?ndlich, so war es falsch, eventuell ein Druckfehler. Stimmte eine Theorie nicht zu eigenen Beobachtungen, so verwarf er jedesmal ohne Gewissensbisse die Theorie, niemals die noch so fl?chtige Beobachtung ... So kam es, dass er ?berall nichts als Reformbed?rftigkeit sah. Die Philosophie sollte von Grund aus umgeformt werden, die Physik war l?cherlich, die Welt des ?ffentlichen Lebens beruhte ebenso auf falschen Prinzipien wie das Rudertraining. Wieviel gab es da zu arbeiten, wie zum Verzweifeln wenig war eigentlich fertig! Und wie sch?n war diese Verzweiflung!... Arnold hielt sich nie mit Details auf, nur die grossen Grundideen warf er ?ber den Haufen und schrie: >>Das ist ?berwunden. Da m?sste so und so weitergebaut werden!<< Mit erhobener Hand stand er ?ber den Freunden, die in ihrem m?hsamen ehrlichen Kleingewerbe befangen den grossen Zug verlernt hatten und gern den frischen Hauch so freim?tiger Weltgedanken h?rten, wenn sie auf dem ersten Schritt zu diesem Luftzug hin ?ber irgend ein ernsthaftes Kramzeug stolperten. Hatten sie aber auch nur einen kleinen vorsichtigen Schritt nach vorn getan, gleich war Arnold da und lobte, nannte das eine >>t?chtige Leistung<< und liess das Kommende hochleben. Er verstand sich besonders darauf, gut und einschmeichelnd zuzuh?ren; und dies wieder, weil er das Zuh?ren nicht affektierte, sondern weil er ernstlich glaubte, von seinen in die Spezialstudien detachierten Freunden die reinste Essenz der Wissenschaft einziehn zu k?nnen, die fertigen Resultate, zu deren Erarbeitung er selbst keine Zeit hatte. So sass er and?chtig, behielt immer die Einteilung ihrer ganzen Arbeit sicher im Kopf, wusste, wie weit man neulich gekommen war, konnte durch Ausbessern kleiner Fl?chtigkeitsfehler oder Dispositionsabweichungen seine Aufmerksamkeit wohltuend dem andern beweisen ... Nat?rlich war er nicht so unliebensw?rdig, mit der T?re ins Haus zu fallen, sondern nahm auch an den Familienverh?ltnissen der Freunde einen Anteil, an ihren Liebschaften und Verdriesslichkeiten. Immer aber wusste er, ihre fortschreitenden Fachkenntnisse und die besondere Richtung ihres Denkens als das Wichtigste an ihnen und an ihrem Verkehr mit ihm zu behandeln, wie es ja seiner ?berzeugung entsprach, auf diese Facharbeit kam er nach jeder Einleitung zu sprechen, und da die Freunde bald merkten, dass aus ihrer Umgebung nur er stets und wirklich aus dem Herzen auf dem bestand, was sie selbst als das Edelste an sich, wenn auch manchmal als etwas Unbequemes, ansehn mussten, zogen sie ihn bald allen ?brigen Kameraden vor. Zumindest hatte er eine Sonderstellung. Man plauschte mit ihm, aber es war kein leerer Zeitvertreib, es war eine Anspannung, seinem impulsiven Andr?cken immer gen?gen zu k?nnen, man musste sein Bestes geben. Abschweifungen in andere Gebiete lehnte er ab, indem er sich pl?tzlich uninteressiert verhielt. Solche Laienhaftigkeit schien er nur sich selbst vorbehalten zu haben ... Doch arbeitete er auch selbst, vertiefte sich manche Tage lang in irgend eine Frage, die ihm im Gespr?ch mit einem Freunde gekommen war, schrieb er ein paar Klavierst?cke, einen >>Abriss einer neuen Werttheorie<<, einen >>Entwurf zur Kritik Spinozas vom Standpunkte der Rasse aus<< -- lauter kleine Heftchen, vollgeschmiert mit fl?chtigen, oft klecksartigen Schriftzeichen, Abk?rzungen, Symbolen -- und mit grossem Vergn?gen las er dann die noch unfertigen Darlegungen dem betreffenden Freunde vor, f?r den er eigentlich die Arbeit unternommen hatte. Das Vorlesen war n?mlich das Ziel der ganzen Arbeit; Arnold arbeitete mit Unlust und Ungeduld, unter tausend Ablenkungen, und was ihn w?hrend dieser M?hsale emporhielt, war nichts anderes als der Gedanke an die herannahende geisterf?llte Vorlesestunde. Und war sie da, dann ersch?tterte die Leidenschaft sein blasses Gesicht, seine zuckenden H?nde mit aufschiessenden Blutwellen, dann erst begann seine eigene Arbeit ihm sich zu f?rben und zu beleben, dann schrie er in melodischen Akzenten, hielt nur still, um neue Ausblicke einzuf?gen, entschuldigte sich, dass dies ja noch nicht die endgiltige Fassung sei, man m?ge mehr auf die Absicht sehn als auf das, was wirklich dastehe, schloss dann mit leuchtenden Augen in einer ausf?hrlichen Skizze, was und wie es nun weiter zu machen sei: >>also, lieber Krause, das ?berlasse ich jetzt dir. Da leg dich hinein und schau, dass was draus wird. Es ist ja so einfach ...<< -- Wie er aber selbst gern vorlas, so verlangte er auch von den Freunden r?ckhaltlos die Produkte ihrer T?tigkeit, selbst wenn diese mutlos und schamhaft lieber ihre halbausgereiften Pl?ne verborgen h?tten. Er brach in ihre Schreibtische ein, er zwang sie durch flehentliches Bitten, ihm doch etwas, was sie gerade im Kopf w?lzten, zu erz?hlen. Dass sie in der letzten Zeit nicht gearbeitet h?tten, liess er einfach nicht gelten. Ausreden wie: Zweifel an ihrer eignen T?chtigkeit, Unwohlsein, M?digkeit -- schob er mit burschikosen Fl?chen weg. Schliesslich sch?mte man sich, mit leeren H?nden vor ihm zu erscheinen. Arnold verlangte einfach, dass rings um ihn geleistet wurde; als h?tte er selbst das dunkle Gef?hl, dass er f?r seine Person mit seiner Zersplitterung nichts Nennenswertes hinterlassen w?rde, suchte er seine Spannkraft wenigstens durch das Medium anderer Gehirne hindurch wirken zu lassen. Der starke Wille, der in ihm lebte, in ihm selbst unfruchtbar, wurde auch tats?chlich die St?tze und der Sauerteig vieler Arbeiten seiner Freunde. Der verwickelte Ausbau seiner vielfachen Bed?rfnisse und nat?rlichen Triebkr?fte stand wie ein Turm da, an den sie sich lehnten ... Waldesau zum Beispiel, der Musiker, der in einem best?ndigen Ekel vor sich selbst lebte, gestand oft, dass er keine Note schreiben w?rde, wenn ihm Arnold nicht immer wieder mit kollegialen Schimpfreden den Teufel aus dem Leib triebe. So aber lieferte er Kompositionen, Lieder und Sonaten, die zwar er selbst erb?rmlich, verbrecherisch fand, die aber das enthusiastische Lob nicht nur Arnolds, auch ?lterer Musikkenner hervorriefen.

Arnold ging weiter. Er liebte es -- all dies instinktiv, nicht aus ?berlegung -- seine Freunde, die einander noch nicht kannten, mit einander zusammenzubringen, falls er sich davon gegenseitige Anregung und F?rderung ihrer Arbeiten versprach. Er hatte seine Freude an den neuen Konstellationen, er verfolgte mit einer Art von Z?rtlichkeit die weitere innige Verflechtung der F?den, die er selbst neben einander gelegt hatte und die jetzt ohne ihn lustig und oft mit einer in seinem Anstoss gar nicht zu ahnenden Bedeutsamkeit sich fortspannen. Zu vielen tiefgreifenden Beziehungen legte er so den Grund, nur selten tat er einen Missgriff. Kein Wunder, dass ihn Liebe und Begeisterung der ganzen Gruppe, die er so h?bsch organisiert hatte, umgab. Selbst der spitzige viel?berlegende Gr?nbaum, der jede k?rperliche Ber?hrung mit Menschen scheute, dr?ckte ihm w?rmer die Hand. Alle f?hlten, wenn auch undeutlich, dass die zartgebauten Wurzeln ihres Daseins aus den str?menden ?bervollen B?chen dieses Verschwenders immer neue Bew?sserung zogen und dass dabei gar kein Schwindel oder eine Willk?rlichkeit Arnolds mitspielte; dass vielmehr dies alles nach Naturgesetzen so geschehn musste -- und gerade dieses Unbedingte, Automatische, Gesetzm?ssige war die Ursache, aus der man ihm vertraute, ihm doppelt verpflichtet war ... An seinem Geburtstage empfing er nun auch gl?hende Briefe sonst ruhiger Genossen, Danksagungen in klugen, nicht allt?glichen Worten, selbst Geschenke, und wiewohl er selbst sich der Repr?sentation so aussergew?hnlicher Beliebtheit nicht ohne W?rde und R?hrung unterzog, sagte er sich doch auch manchmal, dass es eigentlich komisch sei, wie selbstverst?ndlich er diese Opfergaben, den Tribut gleichsam, einkassierte. Er selbst schenkte keinem seiner Freunde etwas zum Geburtstage; das fiel ihm auf, die andern schienen es selbstverst?ndlich zu finden. Es beunruhigte ihn ... ?berhaupt wurde ihm, wenn er einmal allein mit sich zu Rate ging, nicht wohl nach all dem metallischen Get?se rings um ihn. Kam er zur Ruhe, so fand er, dass er eigentlich nichts zu Ende f?hrte und nichts ganz von vorne begann. Eine beklemmende Traurigkeit legte sich auf seine Lunge. Was interessierte ihn eigentlich? Was wollte er auf der Welt? Was hatte er geleistet? Dass er der Gschaftlhuber nicht war, als den ihn Missg?nstige gern ausgeschrieen h?tten, f?hlte er sehr wohl. Seiner Redlichkeit und einer gewissen T?chtigkeit im Kern blieb er sich ja stets bewusst. Aber mindestens ebensoweit wie vom Gschaftlhuber war der Abstand zu der >>modernen Goethenatur<<, f?r die ihn manche Anh?nger aus ehrlicher ?berzeugung hielten. War er allein, so f?hlte er sehr wohl, dass er nicht Goethe war, nicht die in sich ruhende und daher so wirksame Vollkommenheit. Was war er also eigentlich?... Nun, eben der Arnold Beer, ein einmaliges Individuum, so und so eingerichtet, mit den und den Fehlern und Vorz?gen, die man noch n?her studieren, entwickeln musste. Also mit Vorz?gen auch -- heraus damit!... Er dachte nach ... Ihm fiel nichts ein ... Mit warmem Kopf rutschte er vom Diwan zum Schreibtischsessel, vom Schreibtischsessel zum Diwan, und vergebens suchte er, w?hrend sein Blick ?ber die D?cher hin in den fernen Himmel, in die rotgl?nzenden Wolkenkelche einschl?pfte, beim Anblick dieser leuchtenden Gebilde auch nur einen jener befeuernden und frischen Einf?lle selbst zu empfinden, wie er sie am Nachmittag seinen Freunden zu Tausenden um die K?pfe geschlagen hatte ... Ja, wenn er neben ihnen ging, neben L?b zum Beispiel ins Kolleg, oder neben Eisig in der Weinstube sass, dann konnte er sich die Wonnen der gedankenreichen Einsamkeit wohl vorstellen. Einsamkeit -- wie eine Fata Morgana schwebte sie vor ihm, eine Stadt mit flachen quadratischen D?chern, alle menschenleer, doch alle wohnlich eingerichtet mit kleinen rauschenden Springbrunnen, seidenen gr?nen Kissen am Gel?nder, s?ssen Speisen und Limonaden in elfenbeinernen K?stchen. Und Arnold stieg von Dach zu Dach, auf kleinen Leitern, ruhte hier und dort aus, sah ?ber die Treppen hinunter in Wohnungen, in denen Stimmen klangen, freute sich -- o Einsamkeit -- ?ber die Strassen und Bazare unten, lebendiges Wimmeln, die grosse Aussicht in den Abendhimmel ... So vertieft war er in dieses Bild, dass er die Reden des Gef?hrten nicht mehr h?rte, und verriet sich eine von ihnen durch die erhobene Stimme als Frage, so musste er geschwind die letzten Worte, die der andere gesprochen hatte, aus seinem unbewussten Ged?chtnis, in dem sie eben beinahe verschwanden, zur?ckholen, um irgend etwas Kleines erwidern zu k?nnen. O wie w?nschte er da den St?rer seiner Einsamkeit hinweg, wie h?tten, ohne den, diese B?ume oder dieser Wohlgeschmack eines franz?sischen Weins zu seinem treuen, auf sich allein gef?llten Herzen gesprochen! War er aber wirklich einsam, so wurde ihm sofort bang und verlassen zu Mute. Die Gestalten dieser f?hllosen un?berwindlichen Natur, die Blumen und Gr?ser, erschreckten ihn durch ihre rohe Gesundheit, die er nicht tr?sten und nicht anfeuern konnte, in der es keine Bravourst?ckchen gab; einsames Trinken gar erschien ihm langweilig und tierisch ... Also lief er schnell wieder unter die Menschen, mit denen man reden konnte, begann dies und jenes in seiner intensiven, aber kurzatmigen Art und brachte sich auch wirklich, wenn er die Zahl der von ihm bepfl?gten Gebiete ?berblickte, seine Jugend, seine Pl?ne, nach allen Richtungen ausstrahlend, seine halbausgef?hrten Werke, seine Talente, seine Hoffnungen und die Hoffnungen, die seine Freunde auf ihn setzten, in einen sch?nen Rausch von Selbstzufriedenheit. -- Klagte er einmal, in einer kleinen Erinnerung an seine einsamen Pr?fungsstunden, den Freunden, dass seine Seele so zerrissen sei, so lachte man ihn immer aber mit der allergr?ssten Entschiedenheit aus: >>Du ungl?cklich? Und was soll ich dann sagen? Du machst das und das. Und ganz vergisst Du an das und das. Solche Erfolge! So eine Arbeitskraft, das ist ja etwas ganz Abnormales! Und du wirst dich noch beklagen! Das w?re aber eine Frechheit ...<< Man ahmte die Art seiner gutgemeinten Scheltreden nach. Er aber wandte sich, mit einer kleinen Tr?ne im Auge, ab: >>Ich k?nnte ja etwas leisten, wenn ich nur Zeit h?tte.<<

Dass er keine Zeit hatte, war eigentlich f?r Fernerstehende das hervorstechendste Merkmal seines Lebens. Und meist befand ja auch er selbst sich, dank seiner fortreissenden Strudeleien, in der Lage dieser Fernerstehenden. Dann fiel ihm auf, dass er sich zu viel aufgeb?rdet hatte; an einem Tage ein Rudermatch, vier Vorlesungsstunden, Besuch bei zwei Freunden, bei einer Familie Tee, Klavier?ben, und dazu die vielen angefangenen B?cher mit winkenden Lesezeichen auf dem Schreibtischregale, das ging entschieden ?ber Menschenkraft. Und da ja die meisten dieser Verpflichtungen in langvergangene Zeit zur?ckreichten, zu denen er sprunghaft immer wieder zur?ckkehrte, ohne sie je durch Beendigung loszuwerden, wurde er sich immer nur bewusst, dass er Verpflichtungen zur?ckwies, nur selten neue aufnahm. Also erschien er sich als armer Verfolgter, Begehrter, Bedr?ngter, vergass bald den eigenen Leichtsinn, mit dem er sich nach einander auf so verschiedene Dinge gest?rzt hatte, und begann einen geheimen Groll gegen seine Freunde insgesamt zu n?hren, die ihn in Anspruch nahmen und ausn?tzten, ja ausn?tzten und zu keiner eigenen Arbeit kommen liessen. Was half es, dass er stets einen Zettel bei sich trug, mit den wichtigsten Pflichten f?r die n?chsten Tage, dass er ein Tagebuch begann, in das er die Dinge schrieb, um sie keinem Freund erz?hlen zu m?ssen und um also auf diesem Wege einen Verkehr mit sich selbst anzubahnen, was halfen alle Anstrengungen, Ordnung in sein so hinausgestreutes Leben zu bringen ... Und grimmig ging er die Schw?chen seiner Freunde durch, die sie an ihn fesselten, die Blutarmut Waldesaus, die diesen melancholisch machte und auf lindernden Zuspruch angewiesen, die Armut Krauses, die ihm den Verkehr mit Arnold als mit dem gesellschaftlich H?heren unentbehrlich erscheinen liess, die Dummheit Bobenheims, der, durch den intelligenten Umgang geschmeichelt, zu einiger Selbstachtung gekommen war, w?hrend er sich vordem nur als einen >>trostlosen W?stling<< gekannt hatte. Und er verfluchte sein gutes Herz, das ihn aus Mitleid an diese fehlerhaften Menschen klemmte. Zugleich war er erbost ?ber seine gr?belnde Scharfsichtigkeit, seine Lieblosigkeit gegen so gut verh?llte Schw?chen der Freunde. In einem allgemeinen Katzenjammer fand er dieses Leben erb?rmlich, nicht l?nger zu ertragen. War dies gemeines Menschenlos, oder nur vielleicht typisches Schicksal eines jungen Juden? So weit hatten ihn Krauses Ideen schon beeinflusst, dass er dies in Erw?gung zog. Schliesslich aber blieb er, ohne Zusammenhang mit Gott, oder mit irgend einem Volk, in der zusammenschlagenden Dunkelheit allein, von allen Teilnehmenden verlassen, verzweifelnd und unsympathisch ... Da traf er den n?chsten auf der Gasse. Sofort heiterte sich sein Antlitz auf, sein Herz zugleich, er fand schnell wieder die freundlichen Worte, die Fragen voll Interesse und Ermunterung, und dabei war dies durchaus keine Heuchelei, sondern die blosse Gegenwart des Freundes eben bewirkte in ihm jene schnellere Zirkulation von Ideen, die ihn sprudelnd auf Flammenpfeilen in die H?he schoss und ihm den Zusammenhang mit einer gl?cklichen Menschheit und ihrem wohlwollenden Wirken zur?ckgab ... Am w?rmsten aber wurde es ihm, wenn er mit Lambert und Genossen auf dem Corso erscheinen konnte, auf dem Bummel, den diese Herren nie vers?umten, mit ihren siegesgewissen Mienen, ihrem arroganten H?tel?pfen. Auch bei ihnen war Arnold beliebt, durch seine schussige Munterkeit und Originalit?t, und obwohl er weder der fescheste noch der witzigste unter ihnen war, r?umte man ihm gern eine beherrschende Stellung ein. Wenn es nur anging, machte er sich t?glich eine Abendstunde daf?r frei, und dies nannte er seine Erholung, mitten in einer dunklen Schar befreundeter K?pfe sich gesch?tzt und gem?tlich zu f?hlen, wie in einer Herde auf- und abzurollen die Gasse entlang, gestossen werden, stehen bleiben und unger?hrt in die Vorbeigehenden starren wie in die beleuchteten Auslagen, durch lustiges Fl?stern und Blicken fest mit der Genossenschaft verbunden, beinahe bewusstlos. --

Und gar wenn er sich niedersetzte und Briefe an seine Freunde aller Heerlager schrieb, in die Ferien hinaus zu Dutzenden! Denn das liebte er, diese Bulletins waren wieder eine Sache, in der er sein ganzes Orkantemperament austoben lassen konnte. So wie es Leute gibt, denen alle Sorgen einfallen, wenn sie einen Brief schreiben und deren Briefe daher ein wesentlich zu trauriges Abbild ihrer Situation geben: so wurde im Gegenteil vor Arnolds Blick, wenn er ihn auf das weisse geradebegrenzte Papier richtete, alles rosig und in gute Linien gekl?rt. Ihm war Briefeschreiben eine gesteigerte Form menschlicher Unterhaltung und alle seine Vorz?ge flossen ihm willig in die Feder, ein Goldglanz ohne irdische Schwere, wenn er seine strammen, beinahe milit?rischen Loblieder auf das, was ihn gerade erregte, losliess. Gern beschrieb er Kunstgen?sse oder gefiel sich in r?ckhaltslosen Offenheiten oder schwelgte in gigantischen Vors?tzen, zu deren Ausf?hrung es Jahre ernsthafter Arbeit bedurft h?tte, in seinem feurigsten Stil, tat sie damit gleichsam f?r sich ab, obwohl er sich w?hrend des Schreibens gar nicht bewusst war, dass er sie nie werde in Taten verwandeln k?nnen, dass gerade dieser Brief als Energieableiter zwischen Plan und Ausf?hrung trat. Nein, die Wahrheit selbst, hinreissende Tatkraft und ansteckend gute Laune sprachen aus solchen Episteln, die unmittelbar, ohne zu ?berlegen, mit allen Querspr?ngen und den schlechtesten Witzen, die ihm gerade einfielen, hingerissen waren; und so verfehlten sie nat?rlich nicht, seine Freunde zu r?hren und zu neuem Schaffen anzustacheln, w?hrend Arnold mit ausgesch?pftem trockenem Herzen zur?ckblieb. ?berdies schwankten diese Erg?sse in ihrer L?nge von der dreissigseitigen Dissertation, deren Erscheinen schon im Kuvert beim Adressaten Erstaunen und ehrf?rchtige Schauer hervorrief, bis zum kurzen Zettel voll mit Gedankenstrichen, Rufzeichen, humoristischen Symbolen, verschiedenen Buchstabengr?ssen und Schriftarten, kurz allen Mitteln einer aufs H?chste gesteigerten Anschaulichkeit, wie sie aus seinem Hitzkopf explodierte. Die Schrift hatte pomphafte Schn?rkel, grosse B?uche, starke Schatten und weit auseinandergezogene Haarstriche, so dass manchmal ein etwas l?ngeres Wort eine ganze Zeile einnahm. -- Hier eine der unbedeutenderen Noten an Waldesau:

>>Lieber Kerl,

Ein Bildchen, die rauchende Jagdflinte, vervollst?ndigte diesen auf einer halbzerrissenen Kuvert-Innenseite in schr?gen Zeilen hingedonnerten Aufruf. Darunter eine Wolke, aus der zwei zackige Blitze schlagen; alles mit der Feder gekritzelt, beim Abtrocknen etwas verwischt ...

Gottfried Eisig, der inzwischen in die Redaktion eines heimatlichen Blattes eingetreten war, munterte nach solch einem Brief Arnold auf, doch einmal etwas >>Selbstst?ndiges<< zu schreiben. Arnold brachte ein paar >>Reisebriefe.<< Sie wurden gedruckt, ohne aber besonderes Aufsehn zu erregen, ausser in Arnolds n?chster Umgebung; ?brigens waren sie auch, da ihnen der pers?nliche Anlass fehlte, ziemlich matt, ja schablonenhaft ausgefallen.

Eines Tages erkl?rte der Vater, das S?hnchen habe nun genug gebummelt -- und am n?chsten Morgen schon ging Arnold in dem grossen Gesch?ft auf und ab, die Schachteln an den W?nden mit neugierigen Blicken musternd.

Der Abschied von der Universit?t wurde ihm nicht schwer. Dass aus den allenthalben verzettelten Kollegien nichts Gescheites werden k?nne, war ihm l?ngst klar geworden. Nun hoffte er, durch eine vollst?ndige Umwandlung seines Lebens, wie sie der Eintritt ins Gesch?ft bedeutete, sich zu konzentrieren; Dinge, die er nur aus Treue gegen das einmal Begonnene mit Unlust weiterbetrieb, abzusch?tteln; ein Mann zu werden. Vielleicht im Gesch?ft. Doch t?uschte er sich da nicht in der Voraussicht, dass der Vater in seinem pedantischen Gesch?ftseifer keinen wichtigen Teil des Betriebs selbst aus der Hand lassen w?rde. Zun?chst versuchte Arnold allerdings Einfluss zu gewinnen, das Gesch?ft umzudrehn, da er nat?rlich sofort, noch ehe er den naturgem?ssen Lauf der Sache kannte, schon Umw?lzungsideen im Kopf hatte. Aber da war er an den Unrechten gekommen; mit nicht misszuverstehender Verwunderung wehrte der Alte ab. Und so gew?hnte sich Arnold bald daran, Vormittags im Kontor B?cher seines Geschmacks zu lesen und an Nachmittagen sich ?berhaupt nicht mehr im Gesch?ft blicken zu lassen. Auf dem einf?rmigen Boden des Gesch?fts- und Familienlebens wucherten seine Launen nun noch ?ppiger und bunter als vordem.

Doch stand er bei seinen Eltern nicht minder hoch als bei seinen Freunden im Wert. Schon seit seiner Jugend, da er als >>Wunderkind<< fr?hzeitig aufsagen, lesen und schreiben gelernt, hatte sich ein grosser Stolz auf ihn in ihren Herzen eingeb?rgert. Dann war er der Einzige geblieben, und immer lebhaft, bei den Mahlzeiten gespr?chig, heiter und ausgelassen, was den Eltern Freude machen musste. Auch z?rtlich wurde er zu angemessenen Zeiten. Sie lobten ihn ?berall deshalb, in den nahen Familien wurde sein Beispiel als eines hochbegabten Musterknaben im Munde gef?hrt. Einen Zirkel ?lterer Damen, der sich an regelm?ssigen Nachmittagen bei Frau Beer einfand, entz?ckte er durch sein Klavierspiel. Die Freunde seines Vaters unterhielt er, bei ihren Kartenabenden manchmal, mit den letzten Kuplets, die in seinem Jugendkreise eben aufkamen. Er war der Liebling, die Hoffnung aller. Und Arnold fragte sich vergebens, wodurch er so viel Enthusiasmus erregt haben konnte. Ja es n?tzte auch gar nichts, wenn er einmal sich vornahm unliebensw?rdig zu sein. Ein Besuch kam aus Berlin, eine Geheimratswitwe, schwarzgekleidet, ?berlaut und temperamentvoll, vor der er in einem fort seine Arme, Beine und Wangen in Sicherheit bringen musste. Zur Strafe sprach er kein Wort mit ihr, erwiderte ihre m?tterlich-verliebten Blicke mit m?glichst gleichgiltigen. Es half nichts, einige Tage nachher schickte sie ihm, in einem Brief an Frau Beer, spezielle Gr?sse, zerschmelzende: >>Dem lieben lieben liebensw?rdigen Sohn, den ich so schnell liebgewonnen habe.<< >>Aber warum denn? -- Ich hab sie gar nicht liebgewonnen. Ich war doch auch gar nicht lieb zu ihr<< fragte er die Mama. >>Du hast sie an ihren Sohn erinnert<< war die Antwort. Er seufzte, sein guter Ruf war st?rker als er ... Nur einmal, erinnerte er sich, in fr?hester Jugend war diese Weihrauchwolke um ihn zerrissen worden -- durch die Grossmutter, die sonst in Wintertal lebte und nach einer von Spektakeln erf?llten kurzen Besuchszeit dahin wieder abreisen musste. Sie hatte an allem etwas auszusetzen gefunden, auch ihm einmal einen Stoss vor die Brust gegeben, weil er ihr nicht schnell genug auswich, das wusste er noch genau ... Doch da sie als unvertr?glich bekannt war, man sprach von ihr als von einer >>Furie<<, dem >>b?sen Geist der Familie<<, tr?stete er sich schnell ?ber diesen Misserfolg und die alte Glorie war bald wieder hergestellt. -- Besondere Triumphe feierte er im Musikzimmer der Kurorte. Oder beim Kurkonzert, wo er in Potpourris die neuen, aber auch die altmodischen Opern wie >>Zampa<<, >>Wassertr?ger<< vom weiten erkannte, zum allgemeinen bewundernden Erstaunen, das ihn dann immer mit Abscheu erf?llte. Von solchen Philistern gelobt werden, pfui! Besch?mt gestand er sich selbst, dass das nur daher komme, weil er seinen Mund nicht halten k?nne, immer gleich sagte, was er wusste. Er ?berlegte eben nicht, vor wem er sprach; jedes Publikum war ihm recht. Dann fiel ihm ein, dass ja wiederum solche Leute in keine andere als eine h?chst bewundernde Stellung ihm gegen?ber geh?rten. Wenngleich er selbst sich f?r nichts Besonderes halte, diese d?rften schon von ihrem Standpunkt aus ruhig es tun, ja sie m?ssten es, und knief?llig dazu. So mischte sich bei ihm Stolz und Ekelgef?hl, Schmeichelei und ?berdruss, und diese Mischung beschwingte ihn zwar nicht, doch dr?ckte sie ihn auch nicht nieder, sie wurde seine gew?hnliche Atmosph?re ... Von allen Anfechtungen unbesiegt blieb er der charmante junge Mann, der gute Gesellschafter, die Seele des Heims, und selbst der Bruder der Mama, Poldi Goldberg, der als armer Verwandter mit der ganzen Familie zerfallen war, machte ihm gegen?ber eine Ausnahme, dankte ihm freundlich auf seinen Gruss ... So h?tte nicht viel gefehlt, dass er ganz in der Sph?re h?uslichen Wohlgefallens eingeschlossen geblieben w?re, in der er so viel Beifall erntete; aber seine Eltern waren zu schwach, um ihn andauernd zu fesseln. Die Mutter eine sanfte Hausfrau, die alles in peinlichster Ordnung hielt, ohne dass man je ein lautes Wort aus ihrem Munde geh?rt h?tte; der Vater mit all seiner nicht unbetr?chtlichen Energie im Gesch?ft, sein einziges Gl?ck >>sich zu vergr?ssern<<, dass heisst: den Laden jedes Jahr umzubauen, W?nde durchzubrechen, Keller des Nachbarhauses mit seinem Hof zu verbinden oder wegen der Portale mit der Stadt zu prozessieren. Beide waren ordentliche gute gewissenhafte Leute, aber ohne jede Spur von Romantik, beide alt; und so wurde eben Arnold zun?chst ins Eisigsche Haus, dann in die Kolonnen seiner Freunde getrieben, wo es so viel Resonanz f?r sein lautes Geschrei gab.

Sein Kreis hatte sich indessen in den wenigen Jahren nach dem Austritt aus der Hochschule einigermassen ge?ndert; Arnold wusste selbst nicht recht, wie es gekommen war. Da er nicht mehr in die Vorlesungen ging, hatte er die regelm?ssigen Treffpunkte mit einigen verloren. Andere blieben aus, weil er die studentischen Vereine nicht mehr besuchte. Mit Krause, der immer fanatischer das J?dische herauskehrte und gegen die >>Assimilanten<< loszog, hatte er sich nach einem Wortwechsel ganz zerschlagen. Daf?r war Philipp Eisig nach mehrj?hrigem Aufenthalt in Amerika wieder aufgetaucht, g?nzlich ver?ndert in seinem ?ussern, einem eingeborenen Ur-Chicagoer nicht nur in der Kleidung, sondern zum Erstaunen auch in den Gesichtsz?gen gleich, als h?tte das fremde Land ihn von Grund aus umgeboren. Die alte Jugendliebe bl?hte unverwandelt wieder auf und mit ihr auch das alte Pumpverh?ltnis. W?hrend n?mlich Eisig f?r die v?terliche Firma grosse Reisen unternahm und jedesmal mit einem dicken Haufen von Banknoten, die er sich angeblich erspart hatte, in die Stadt zur?ckkam, wurde Arnold f?r seine k?rgliche Bet?tigung mit einem schmalen Taschengeldchen abgefunden und hatte immer unbefriedigte Bed?rfnisse. Eisig stotterte nun auch nur unbedeutend, das hatte er in einer Anstalt dr?ben sich abgew?hnt, und behauptete ?berhaupt in allem die Oberhand, mit seiner tiefen m?rrischen, aber sehr entschiedenen Stimme, seinem wankenden Korpus, dem sich der breite Kopf nur ungern nachschob, so dass er manchmal in der Luft zur?ckzubleiben schien, unsicher schwebend. Er hatte jetzt breite Schultern, ein reines Gesicht mit flachem braunem Haar in Wellen, das in der Mitte gescheitelt war, fast wagrechte Augenbrauen, helle mutige Augen, den Mund regelm?ssig, die Stirn kindlich. Und dieses neue Gesicht trug er mit derselben Selbstverst?ndlichkeit wie die neue ?berseeische Tracht, den niedrigen, wie ein weisser Ring ganz zusammenschliessenden Kragen, die sch?n hellgelben Stiefel, die nach vorn in Keulen statt in Spitzen ausliefen. Unter seinem sehr langen Rock -- er fiel bis fast ans Knie, ein unscheinbarer Stoff, doch von vollendetem Schnitt -- konnte man keine Weste vermuten, eher den Leibgurt eines Trappers oder Patronenreihen. Und ebenso bequem wallten die Hosen herab, oben breit, am Fussgelenk schmal, wallten wie Fahnen im Wind und man hatte das Gef?hl, darunter m?sse gleich das Fleisch nackt und gesund sich regen. So zog er mit Arnold durch die Nachtlokale der Stadt, von denen keines ihm w?st genug war, und statt diesen allt?glichen Dingen zuzuschauen, gab er lieber selbst einen Tanz zum Besten, einen lustigen Niggertanz, der ihm lauten Beifall eintrug. Da trappelte er mit kleinen Schritten, fast auf demselben Fleck, w?hrend die Arme aufw?rts schwebten, sein Kopf sich langsam senkte, wie um den immer schnelleren Schritten immer genauer zuzusehn; dann warf sich der Kopf wieder empor, w?hrend die F?sse abwechselnd im Cakewalk mit Spitze oder Absatz aufklopften; dann waren in die H?nde pl?tzlich fremdartige Matrosenbewegungen gefahren, sie hoben ruckweise ein Tau oder sie schleuderten es unsichtbar in den Saal; zum Schluss glitten die Beine aus, ganz steif fiel der K?rper hin, lag schon ganz schief dem Boden nah, hupfte aber unvermutet wieder gerade in die H?he ... Der Clown verwandelt sich in einen Gentleman, der, die H?nde in den Taschen, ohne L?cheln, ja mit tr?ben Augen an seinen Tisch sich zur?ckbegab, den Applaus ?berhaupt nicht h?rend. Er beklagte sich dar?ber, dass es hier kein starkes Bier gebe. Er probierte die schwersten dunklen Sorten. Nichts. Er hatte sich eben, Gott verdamme es, an Ale gew?hnt ... Arnold war entz?ckt von solchen Kraftausbr?chen. Nun liess er sich von Philipp in die Gesellschaft anderer Gesch?ftsleute und junger B?rsengr?ssen f?hren, die Nachmittags in matten Glaszellen, hinten in einem grossen Kaffeehause, an kleinen gr?nen Tischchen Karten spielten. Bald beteiligte sich Arnold, verbrachte mit dem gr?ssten Eifer Stunden um Stunden mit Mischen, Abheben und Aufschlagen, mit den lustigen Zwischenreden dabei, die ?berlaut klangen, weil sie kurz waren, f?hlte sich gem?tlich und doch kampflustig in den Hemd?rmeln, schloss sich von keiner noch so gewagten Kombination aus. Er verliebte sich ganz in die schlechte aufregende Kaffeeluft; gab es keinen Tarock, so las er n?chtelang Zeitungen. Alle Kellner kannten ihn schon und sch?tteten gleich St?sse von Tagesbl?ttern neben ihn auf das Pl?schsopha, wenn er sich niedersetzte. Eisig starrte neben ihm in die Luft oder malte Zahlen auf den Tisch, wie es ?berhaupt seine Art war, sich lange Weilen schweigsamen Berechnungen hinzugeben, ?ber die er nie etwas N?heres verlautete, die aber den Eindruck von Verwicklung und oft auch ?rgerlichkeit machten, nach seinen dicken Falten auf der Stirn zu schliessen. Oft kam auch Lambert und die Bummelclique ins Kaffeehaus, Arnold wunderte sich, wie bekannt Eisig mit allen war ... Diese Art von Geselligkeit nahm ihn nun fast vollst?ndig in Anspruch; dazu noch Bobenheims Ruderklub, dann S?hne von Gesch?ftsfreunden, die sich ihm nach und nach angeschlossen hatten, jeder mit irgend einer Passion, sei es Okkultismus oder Weiber oder Jagden, und die Arnold nat?rlich in der gewohnten Weise regierte. In B?rsekreisen lernte er damals auch den jungen Walder Nornepygge kennen, einen Chemiker, der sich erfolgreich mit Erfindungen und B?rsenspekulation befasste. Die gemeinsamen Freunde, die das Zusammentreffen der beiden arrangiert hatten, waren ?berzeugt, dass die beiden so ?hnlichen Charaktere, beide so t?tig und so vielseitig, einander schnell verstehn w?rden. Doch unerwarteterweise stiessen sie einander gegenseitig ab, Nornepygge ?usserte sp?ter, dass er Arnold roh gefunden habe, und Arnold nannte den andern im vertrauten Kreise >>einen eingebildeten melancholischen Narren<<. ?berdies, so setzte er fort, habe er keine Zeit und Lust zu neuen Bekanntschaften. Und wirklich war er immer noch ausserordentlich besch?ftigt, in Anspruch genommen, und davon war noch lange keine Rede, dass er endlich einmal Zeit zu seinen eigenen Arbeiten gefunden h?tte. Schon die paar Stunden im Gesch?ft, nicht viele, aber regelm?ssig einzuhalten, nicht nach Belieben zu schw?nzen wie die Universit?t, fielen ihm l?stig, behinderten ihn aller Ende. Im Gesch?ft machte er ?brigens bald gar nichts mehr, auch f?r sich nichts, schon der blosse Gedanke, dass er dort Gelegenheit habe, allein zu sein und seine innere T?chtigkeit und wirkliche Arbeitskraft also zu erproben, reizte und verdross ihn, -- dass dies gewissermassen ein Pr?fstein sein k?nnte. Er erfand also allerlei Ausreden, wie den L?rm und die unziemliche ?rtlichkeit, und nur in Briefen raffte er sich dazu auf, nebst schmetternden und daher eigentlich glanzvollen Klagen ?ber den jetzigen Zustand baldige ?nderungen in Aussicht zu stellen. Und im Anschluss an diese leeren Vormittagsstunden floss der ganze Tag wie von selbst schnell und lustig dahin, ohne dass Arnold jemals das ausgef?hrt h?tte, was ihm im Sinne lag. >>Ja, st?rker wie L?schpapier bin ich eben nicht<< seufzte er manchmal, in humoristischer und doch selbstankl?gerischer Weise ... Im ganzen war sein Umgang jetzt um einiges weniger geistig als vorher, doch er selbst war genau derselbe geblieben, immer t?tig und befeuernd, auch mit grosser Behaglichkeit, wenn er unter Menschen war; immer auf dem Sprung, sich in ein neues Abenteuer zu werfen, immer unterwegs, im Wagen oder zu Fuss, wie er sich denn auch eine eigene, besonders schnelle Gangart angew?hnte, mit weit gespreizten Beinen, um den vielfachen Rendezvous halbwegs zu gen?gen -- und da hatte die Mutter gut sagen: >>Kleine Schritte machen, Arnold, kleine Schritte.<< Sie fand n?mlich, dass seine sch?ne aufrechte Statur unter diesem Galoppieren litt ... Welches Vergn?gen fand er nun, beispielsweise, daran, eine regnerische Abendstunde bei seinem Schneider zu verbringen, in der h?bschen und wohlgeheizten Probierstube, die eng wurde durch allseits anr?ckende Stellagen, behangen mit R?cken und Hosen. L?ssig an den Pult gelehnt sah er dem alten Herrn zu, der mit ge?bter Hand die scharfe Kante seiner Talgkreide, dieser angenehm-klebrigen gelblichen Fl?che, ?ber die Stoffe wandern liess und dann eine Schere -- sie war so schwer, dass sie bei jedem Schnitt herabzusinken schien -- die schnell geschwungenen Linien entlang in das Dunkel der hingebreiteten Stofflagen f?hrte. Arnold bewunderte ihn, wie jede ausgezeichnete T?chtigkeit, aufs innigste. Und dann kamen so viele Bekannte hin, um sich Mass nehmen zu lassen oder zu probieren wie er, man plauderte, der Schneider erz?hlte die neuesten Anekdoten, empfing neue von den Kunden daf?r, es war ein heiteres erbauliches Stelldichein, in dem man doch immer durch den Anblick des Chefs, der bei aller Artigkeit und allen Scherzen eifrig sein ruhiges Gesch?ft weiter besorgte, vor dem Gedanken v?lligen Faulenzens, wie etwa im Kaffeehaus, bewahrt blieb. Man ging auf und ab, setzte sich auf die roten Holzsophas, die mit ihren d?nnen St?bchen einen zerbrechlichen Eindruck machten, stellte sich in Gruppen oder wandte sich in einer zierlichen Langweile ab, um ein Modegruppenbild an der Wand zum hundertstenmal zu studieren, ?ber die Ideen und m?glichen Beziehungen dieser Leute zu einander nachzudenken, die doch nur jeder wegen eines andern Kleidungsschnittes auf dasselbe Blatt gemalt waren, also im Grunde ebenso zuf?llig und ohne innern Trieb beisammen wie die wirklichen Menschen in diesem Raum; pl?tzlich aber lachte man auf ?ber einen Witz, der hinter dem R?cken einem andern erz?hlt wurde, schwang sich wieder zu ihnen herum, f?hlte wieder einen w?rmenden menschlichen Zusammenhang in der beinahe starren Brust. O diese leisen Stimmen, das feine Kommen und Gehn ?ber Teppiche hin, die gebeugten K?pfe, von denen der sch?ne Hut sich entfernt, diese Blicke, still und verbindlich, mit denen ein geeigneter Platz f?r den Schirm im Schirmst?nder gesucht wird, o diese Wunder einer zivilisierten Gegenwart, einer vornehmen reichen Stadt, diese laue Luftstr?mung unserer gef?hlvollen H?flichkeiten! Und dazu klatschte der Regen an die Scheiben, es war nicht ratsam fortzugehn, man sah hinaus auf die belebte Gasse mit eilenden Menschen, deren Schirme im Wechsel der Beleuchtung sich unaufh?rlich zu drehn schienen und wie schwarzes Glas funkelten, und in die gelberleuchteten Auslagen gegen?ber, die mit all ihrer Pracht im Kot zu zerfliessen drohten ...

Arnold liebte jetzt solche Orte, an denen man viele Leute sah und Anregung hatte. Er besuchte alle B?lle, die Rennbahnen, die Tennisturniere. Ohne irgendwo als Mittelpunkt aufzufallen, eignete er sich schnell die entsprechenden Umgangsformen und Gewohnheiten an, entwickelte dann in ihrem Rahmen einen solchen Enthusiasmus, eine solche lustige Unbek?mmertheit, dass stets ein Kreis bed?rftiger und weniger erfinderischer K?pfe ihm Gefolgschaft leistete. Der harmlose Leichtsinn, mit dem er alles mitmachte, hatte von aussen gesehn etwas Sympathisches, und graue w?rdevolle Herren klopften ihm manchmal auf die Schulter als einer Zierde und Hoffnung der Stadt, erfreut ?ber sein frisches Gesicht, das gesunde Aussehn, die flotte Konversation, sie machten tr?umerische Augen, als d?chten sie an ihre Jugend, als h?tten sie eine Erinnerung ihm mitzuteilen, gerade ihm: dass sie fr?her mal es auch so getrieben, ach lange lange vorbei --, als unterdr?ckten sie eben das alles, um ihn nicht aufzuhalten und weil das ja keinen Zweck habe. Das alles lag manchmal in solch einem anerkennenden Auf-die-Schulter-Klopfen, mit dem sie ihn zugleich wegschoben, wieder in das Fest hinein ... Arnold kannte bald alle wichtigeren Personen der Stadt, mehr oder weniger fl?chtig. Einigen Spassv?geln gegen?ber, die ihm besonders gefielen und die ihn nicht minder sch?tzten, hatte er die Gewohnheit angenommen, sich gegenseitig in scheinbarer R?hrung um den Hals zu fallen, so oft sie einander trafen. Dabei begleitete ihn immer noch der Ruf besonderer Bildung, besonderer Begabung; und wenn er hie und da ein kleines Klatsch- und Unterhaltungsfeuilleton im lokalen Blatt ver?ffentlichte, gleich hiess es: >>Sie sind aber fleissig! Wo nehmen Sie nur all die Zeit her?<< und neidisch fast: >>Na, ich gratuliere.<< Er erschrak immer bei so billigem Lob, fand aber zugleich etwas Angenehmes dabei, wie Bet?ubung, wie Halbschlaf. Selbst dachte er immer unlieber ?ber sich nach. >>Ich bin halt eine Fernwirkung<< stellte er bei sich fest >>von fern schaut's nach was aus, was ich treibe. Aber wenn man's n?her anschaut ...<< Nun n?herte er sich bald dem Dreissigerjahr und eigentlich hatte er noch immer keine irgendwie begr?ndete Lebensstellung, frettete sich so im Nebenberuf als Anh?ngsel seines Vaters durch, dessen Gesch?ft er ja sp?ter einmal erben w?rde -- ja, aber eben so sicher auch ruinieren. Seine einzige Hoffnung, sein R?ckzug gleichsam auf sich selbst, war in dieser Zeit -- nichts anderes als seine Markensammlung, die er auf Lamberts Rat und mit dessen Vermittlung durch betr?chtliche Ank?ufe vermehrte. Die gedachte er gelegentlich vorteilhaft loszuschlagen, nach Senff besass sie jetzt schon einen Wert von f?nfzehntausend Mark, und mit dem auf diese Art selbstverdienten kleinen Kapital wollte er sodann etwas Selbst?ndiges und Ehrenvolles beginnen, in irgend einem fremden Land, eine Buchdruckerei in Amerika vielleicht, endlich einmal Ruhe und wirkliche Unternehmungsfreude haben. Liebevoll pflegte er also diese Sammlung, mit grossem Ernst schrieb er allj?hrlich in kleinen Bleistiftziffern den erfreulich steigenden Wert unter jede Marke; wobei er sich nat?rlich nicht verhehlte, dass der wirkliche Verkaufswert kaum mehr als die H?lfte des angegebenen Katalogwerts ausmachte. Aber auch er hatte ja die Marken nicht teurer als zum halben Wert gekauft, noch dazu bei niedrigeren Preisen, gegen diese Art von Kapitalsanlage war also nichts einzuwenden. Und mochte auch der Vater diese ganze Sammlerei als dumme Verschwendung, als hinausgeworfenes Geld beschimpfen, Arnold konnte mit gutem Recht einwenden: >>Und wo w?re das Geld, wenn ich es nicht f?r Marken ausgegeben h?tte? Ich h?tte es f?r andere Dinge ausgegeben und jetzt h?tte ich gar nichts davon.<< >>Und was hast du jetzt davon! Grossartig! Du meinst doch nicht, dass dir irgendwer f?r die Papierl etwas gibt?<< Arnold bestand darauf, dass Marken ein Wert wie jeder andere sei. >>Aber die Zinsen?<< jammerte der Vater, in die Enge getrieben. Arnold lachte ihn aus: >>Vierzig Kn?pfe j?hrlich!<< und wusste ?berhaupt f?r jeden Grund Gegengr?nde in Masse, da war er ja in seinem Element. --

Einmal vertrat ihm Eisig den Weg, dessen Gewohnheit es war, von der Seite pl?tzlich heranzukommen und mit der ganzen Masse seines Leibes sich dem Angeredeten in den Weg zu stellen: >>Du, was sagst du zu Bl?riot?<<

Es war die Zeit, in der die Aviatik ihre ersten Erfolge zum Staunen der ganzen Welt errang. Die Br?der Wright hatten sich mit ihren Apparaten in betr?chtliche H?hen erhoben, Zeppelin war mit seiner ersten Reise gl?cklich gewesen, Bl?riot hatte den ?rmelkanal ?berflogen ... Eisig, der eben von einer Tour aus Frankreich kam, wusste Wunderdinge zu erz?hlen. Er hatte zum ersten Mal Aeroplane gesehn, ja es war so weit gekommen, dass er einmal in Reims, als man in die Restauration von der Gasse hereinrief, draussen fliege eben ein Luftschiff ?ber die Stadt hin, gar nicht vom Tisch aufgestanden war, so sehr war er an diesen Anblick schon gewohnt. Er hatte auch bereits ein Projekt: man m?sse Bl?riot einmal in der Heimatstadt fliegen lassen, wenn nicht ihn, so doch wenigstens einen Sch?ler. Das koste nicht viel und man k?nne damit ein gutes Gesch?ft machen.

Arnold w?re nicht er selbst gewesen, wenn ihn die Neuheit dieser Idee nicht sofort gepackt h?tte. Er geriet in Entz?ckung, beschwor den Freund um n?here Einzelheiten. Wie sehe so ein Aeroplan aus? Wie ein Vogel? Sei er gross, so gross wie die Gasse, gr?sser, nein kleiner? Eisig antwortete, mit seiner tiefen Stimme, der die Langsamkeit der Aussprache stets einen Beiklang von Verdrossenheit gab, und damit kontrastierte merkw?rdig genug die Zielbewusstheit, die List, die aus den Worten selbst sprach. Auch war sein Hals kurz und dick, beinahe null, so dass das dicke Kinn an die Brust stiess, und wollte er einmal lauter reden, ein Wort besonders betonen, so hob er nicht den Kopf, sondern senkte, um den Mund besser zu ?ffnen, mit fauler Miene das Kinn noch mehr, so dass es sich in Falten und mehreren Lagen ?ber einander ?ber die Kravatte hin ausbreitete. F?r Arnold hatte dieses Stockende, Langsame, ihm so Entgegensetzte von jeher einen besondern Reiz gehabt ... Heute bezauberte es ihn so, dass er einen Vereinsabend des >>B?rgerklubs<< ausliess, obwohl er dort neulich als j?ngstes Mitglied in den Ausschuss gew?hlt worden war. Er nachtmahlte mit Eisig im >>Schweizer Keller<< und schon zwischen Vorspeise und Braten war der Plan fertig: ein Konsortium zu bilden, zwecks Veranstaltung des ersten hiesigen Schaufluges.

Am n?chsten Nachmittag konstituierte man sich. Eisig hatte noch einige Herren mitgebracht, von denen Arnold nur Lambert n?her kannte. Es wurden sofort Listen angelegt, um die reichsten Mitb?rger zu einem Garantiefond heranzuziehn. Man musste nun von einem zum andern fahren, ihm die Wichtigkeit, kulturelle und andere, des Unternehmens vorhalten, den sichern Gewinn, musste die Regierung einladen, das Milit?r. Arnold ?berlegte gerade f?r sich, dass er sich da wieder in eine h?bsch zeitraubende Geschichte verwickelt habe; da schlug Eisig vor, ihn zum Obmann zu w?hlen. Es geschah mit freudiger Akklamation.

Unser Held hatte, wiewohl er sich dar?ber nicht klar war, im Grunde nichts anderes erwartet; pflegte er sich selbst doch manchmal in ironischer Laune den >>geborenen Vereinsobmann<< zu nennen. Wie vielen Ballkomitees, wie vielen Versammlungen hatte er schon pr?sidiert!... Nun rannte er in die Sache gleich mit dem frischesten, und doch gleichsam auch schon ge?bten Anlauf hinein. Zun?chst die Presse. Man beherrschte sie durch Gottfried Eisig und da machte Arnold doch noch einmal eine Anleihe bei seiner ehemaligen jugendlich-gegenstandslosen Beredsamkeit, indem er g?nzlich ohne Fachkenntnis, nur aus ein paar andern Zeitungsartikeln und dem Rest der Gymnasialbildung einen neuen Artikel zusammenkochte, und was f?r einen strahlenden, ?ber die >>Eroberung der Luft<<. Er begann mit Ikarus, selbstverst?ndlich, widmete sich in aller K?rze den Br?dern Montgolfier, wobei die drei in die Gondel mitgenommenen Tiere zu leichthumoristischer Wirkung gelangten, entfaltete sich behaglich ?ber das Los der ungl?cklichen Erfinder von ehemals, ?ber das Unm?gliche und unm?glich Scheinende , gewann allgemach Donnerkr?fte, besang in sparsamer Daten-Melodie, aber mit einer Begleitung rauschender vollgriffiger Begeisterungs-Akkorde die letzten Fortschritte der Menschheit, wobei einige Impressionen Eisigs zu geschickter Wirkung kamen, sch?ttete nun, oben angelangt, fast ohne Atem, wie aus einem F?llhorn auf die staunenden Heimatsgenossen die Verheissung nieder, dass man derartiges vielleicht bald auch in allern?chster N?he zu sehen bekommen werde, gipfelte aber klugerweise nicht in diesem Effekt, sondern in einer kurzen farblosen Bemerkung ?ber die Flugwoche in Brescia. -- An anderer Stelle des Blattes wurden sachlich die Namen der Arrangeure und ihr Programm bekannt gegeben. Anfragen und Nachrichten an die Adresse: Arnold Beer u. s. f.

In den nun hereinbrechenden Konferenzen bewies sich Arnold als fest und schlagfertig, geduldig und k?hn, ja mit der Gr?sse der Veranstaltung schienen sich seine Kr?fte zu vervielfachen. Man hatte mit den Fliegern in Frankreich zu korrespondieren, die von allem Anfang die unversch?mtesten Preise verlangten, wie beleidigt und zugleich stolz gemacht als echte Franzosen durch die Zumutung, dass sie ins Ausland sollten. Dagegen dr?ngten sich Deputationen der Vororte heran, von denen jeder den sch?nen Vorrang und Profit des ersten heimatlichen Fluges einheimsen und jeder daher den geeignetsten Platz zur Verf?gung stellen wollte. Indessen w?hlte das Komitee, um dieser Eifersucht auszuweichen und auch aus technischen Gr?nden angeblich, eine weite Wiesenfl?che in der N?he von Waldbrunn, dem kleinen Kurort nahe der Stadt. Jede Etappe der fortschreitenden Verhandlungen ver?ffentlichte Arnold in handfertigen Artikelchen; es wurde bald zum Stadtgespr?ch, dass die Eisenbahndirektion in entgegenkommendster Weise eine eigene neue Station errichten wollte, w?hrend sonst die Z?ge nur in der nahegelegenen Stadt Bischofstein hielten, dass sogar ein Nebengeleise zum Flugplatz gelegt wurde, dass die Postverwaltung ebenso liebensw?rdig die Aktivierung eines eigenen Post- und Telegraphenamtes mit der Stampiglie >>Waldbrunn-Aerodrom<< f?r die Dauer der Aufstiege zugesagt hatte. Die st?dtischen Omnibuslinien nahmen Sonderfahrten in Aussicht, die Hotels erwarteten grossen Zuzug vom Lande und sicherten sich Privatzimmer, die Polizei entwarf Pl?ne f?r diese neue schwierige Aufgabe, auch die Milit?rbeh?rde wurde unruhig. An den Strassenecken, in den Wagen der Strassenbahnen machten sich die ersten Plakate bemerkbar, Witze begannen zu kursieren.

Und all dies im Zuge erhalten, bewegen, treiben und wieder beruhigen, war Arnolds Aufgabe. Eisig und die andern besorgten das Gesch?ftliche, die Verrechnungen, den Kampf mit den Lieferanten, das Engagement des Aviatikers, den Kern der Sache gleichsam, alles hingegen, was das ?ussere betraf, Repr?sentation und ehrenvolle Fassade gegen die Mitb?rger, oblag Arnold, und es zeigte sich bald, dass das Komitee allen Grund gehabt hatte, ihm diesen Verkehr mit der Welt zu ?bertragen, denn an vielen Stellen, wo er vorfuhr und Anh?nger warb, sagte man ihm: >>Wir tun's nur Ihretwegen. Sonst scheint uns ja die ganze Sache nicht sehr reell.<< Man fragte ihn nach der Solidit?t dieses und jenes Mitglieds, einer wollte sogar wissen, dass der Grund, den das Aerodrom beanspruchte, vorher von Lambert gekauft und durch einen Vormann dem eigenen Konsortium gegen geh?rigen Preisaufschlag weiterverkauft worden sei. Entr?stet wies Arnold derartige Anw?rfe zur?ck, was f?r Verleumdungen, und in seinem Innern war er eigentlich nur dar?ber verwundert, dass diese jungen Leute, die mir ihrem Schliff die vornehmsten Gesellschaften in Erstaunen zu setzen pflegten, doch irgendwie aus r?tselhaften Gr?nden nicht f?r voll angesehen wurden, wie sich jetzt herausstellte, w?hrend er, Arnold, ein redliches Ansehn genoss. Doch dachte er dar?ber nicht weiter nach, nahm solches nur f?r die ?blichen Schwierigkeiten, die sich grossen unvorhergesehenen Unternehmungen seit jeher in den Weg stellen m?ssten, und nicht etwa in seinem Vertrauen machte es ihn wankend, sondern wie ein leises Prickeln der Gefahr dr?ngte es ihn nur noch ungeduldiger vorw?rts, trieb ihn noch mehr, alle Kr?fte aufzubieten, das Zerbr?ckelnde zu st?tzen mit den Armen eines Atlas, und zu leisten, was nur zu leisten war, in eigener Person. Er kam nun oft von fr?h bis Abend nicht aus dem Automobil. Das Telephon h?rte nicht auf zu klingeln. Mittag war er einmal bei Tisch so zerstreut, dass er die Suppe mit der Gabel zu essen versuchte. ?ngstlich sahn ihm die Eltern zu. >>Ich warne dich<<, sagte der Vater, >>aber du machst ja doch nur immer, was du willst.<< -- >>Er ?rgert sich, weil ich jetzt ?berhaupt nicht mehr ins Gesch?ft komme,<< registrierte der Sohn und war im Grunde seines Herzens froh, dass er nun auch die Vormittage mit geistspr?hender geselliger T?tigkeit anf?llen konnte. Er schlief jetzt nur wenige Stunden, so dass er morgens vor dem Spiegel manchmal erstaunte, gleich nach dem Aufstehn, wie unversehrt noch seine Nachtfrisur auf dem Kopfe stand, noch gescheitelt und noch wie zusammengepresst vom Rauch der Weinlokale. Aber unter der Stirn ging es wirr und polternd, die Ideen wie Steinlawinen. Er ?berredete Bobenheim und seine Sportsfreunde dem Komitee beizutreten und durch das Ansehn dieser wirklich patrizischen Familien, nicht solcher Windbeutel, befestigte sich nun die allgemeine Neigung, mit ihr die Sicherheit des Unternehmens. Die Beitr?ge liefen jetzt betr?chtlicher ein. Der Landesausschuss gab eine Subvention. Man trug sich mit Unerh?rtem, nach dem ersten Flug sollte ein ganzer Zyklus veranstaltet werden, ein Wettbewerb der verschiedenen Systeme, ein Rundflug ?ber viele St?dte hin, man wollte die Maschinen kaufen und eine Schule gr?nden, das Aerodrom sollte jedenfalls f?r st?ndige Veranstaltungen stehen bleiben. Kurz, Arnold glaubte endlich den Beruf gefunden zu haben, f?r den er passte. Wer weiss, vielleicht lernte er selbst fliegen, vielleicht gelang ihm eine epochemachende Verbesserung, und, von dort aus gesehn, w?rde dann sein ganzes Leben bisher einen Sinn bekommen, alle seine mannigfachen Kenntnisse und Beziehungen w?rden ihn dann wie nach einem Plan zu diesem grossen Ziel hingeleitet haben. Er hatte jetzt nichts im Kopf wie diese ungeheure Zusammenfassung seines Seins in einer nahen st?rmisch-blitzenden Zukunft, und nur wie ein dunkler Wind w?lzte sich noch der Schwall anderer Lebensverkn?pfungen hinter ihm her, die Vergangenheit mit ihren Anspr?chen, die er m?glichst schnell und nebenher abtat.

Draussen in Waldbrunn erhoben sich schon die gelben rohen Holzplanken des Aerodroms, und f?r Arnold, der auch die ganze Korrespondenz besorgte, war aus ein paar Brettern mitten im Bauplatz ein kleines Zimmer errichtet worden, sein Bureau. Er arbeitete zwar das Wichtigste in der Stadt, im Palasthotel, in dem das Komitee ?ber einige Zimmer verf?gte, doch fuhr er gegen Abend t?glich auf den Rennplatz hinaus, um sich vom Fortgang der Arbeiten selbst zu ?berzeugen, oft brachte er auch Journalisten, Offiziere, Sportsleute, G?nner mit. Und da fand er, dass ihm manchmal da draussen, im k?hlen Abend, aus der wehenden duftenden Waldluft, die besten Gedanken kamen -- sofort schreiben, Brief aufgeben, das war ihm Bed?rfnis, und da man ja im Kleinen das Geld nicht sparte, das ganze Komitee vielmehr die herrlichsten Dinge je nach Geschmack der einzelnen, in Erwartung des sichern Gl?cks, herunterschluckte, hatte er eiligst dieses >>Wigwam<<, wie er es nannte, sich bauen lassen. Nirgends noch hatte er sich so wohl gef?hlt wie zwischen diesen schnell zusammengenagelten, groben, harzig-riechenden Brettern, die man nicht anr?hren durfte, ohne einen Span in die Finger zu kriegen, und die nicht einmal bis ganz auf den Boden reichten, so dass man untendurch den Wiesenboden sah, die Schuhe der Vorbeigehenden. Herein klangen unaufh?rlich Hammerschl?ge und Kommandorufe, ein rhythmisches Pfeifen, schwache Stimmen verwirrt. Man f?hlte f?rmlich das Werk, wie es r?stig wuchs, wie es mit wonnevollem Gebraus aus dem Tal gegen die Waldanh?hen hin emporstieg, und Arnold, der sich als das Herz dieses Lebens f?hlte, seinen Willen im entferntesten Maurerjungen noch, schrieb auf elegantem bl?ulichen Briefpapier, das eine Art Wappen des Konsortiums in Reliefpressung trug, seine befehlshaberischen oder einschmeichelnden Manifeste. O hier war er zu Hause, hier hatte sein Leben, das f?hlte er wohl, zum erstenmal einen H?hepunkt erreicht. O Gott, hier sich einklammern, dachte er, um diesen Mittelpunkt Zellen ansetzen, sonst komme ich nie zum Eigentlichen. Aber was ist es denn, das Eigentliche im Menschenleben, das, weshalb man lebt? Gibt es das ?berhaupt? Ist es nicht vielmehr eine Phantasie von mir? Vielleicht habe ich dieses Eigentliche schon einmal in der Hand gehabt und habe es nicht gewusst. Vielleicht geht es allen Menschen so wie mir. O nein, vielleicht erlebe ich eben jetzt das Eigentliche oder marschiere geradeaus darauf los ... Seine Angst verschwand, er atmete tief und k?hl, er schaute einen Augenblick durch das kleine Fensterchen in die Sonne, die dem Untergang entgegenzitterte. >>Die ist doch das gr?sste Etablissement hier in der N?he<< sagte er leise vor sich hin, wie einen kleinen verliebten Witz, ein Kompliment, als st?nde er auf du und du mit dem roten Gestirn, als streichle er diese Fl?che, von der jetzt wie von einer ungeheuren Pfanne aus die letzte Hitze emporschlug. Und er err?tete bei diesem Gedanken, als f?hle er sich heute, in der Bl?te seiner Energie, einer solchen Freundin nicht unw?rdig. Man konnte jetzt den Glanz dieser Sonne mit dem Blick schon aushalten, man sah ihre Kreiseinfassung deutlich als d?nne zitternde Linie, und die gelbe gl?nzende Fl?che schien gleichsam tiefer in den Himmel hineingedr?ckt, wie eine M?nze mit scharfem Rand ...

Abends nach getaner Arbeit ?berfiel ihn ein ruhiger tiefer Gl?cksrausch. Er kreuzte die Arme und trat aus seiner Brettert?re ins Freie, f?hlte den schwachen Waldwind an seinen Schl?fen, in die Haare hinein, und obwohl er gar nicht wusste, wohin mit all der Kraft, machte er keine Bewegung, sie abzuleiten, liess gleichsam den Deckel ?ber seine inwendige Zufriedenheit st?rzen und sie sorgsam gar kochen in ihrem eigenen Dunst ... Manchmal rief er auch die Kinder zu sich, die von der Strasse her dem bewegten Arbeitstreiben zusahn, und begann mit ihnen zu spielen. Es waren Dorfkinder und Kinder von Waldbrunner Kurg?sten, alle freuten sich ?ber das, was da gebaut wurde, waren gespannt auf das Kommende, verstanden am Ende mehr davon als ihre erwachsenen blasierten Eltern. Arnold liebte Kinder; unter ihnen erwachte seine noch kaum verschwundene Lust am Fussballspielen aufs neue, sein Vergn?gen an jedem tollen Herumschrein und Vorw?rtsst?rmen, sein oft sinnloses Kommandieren und Kommandiertwerden. Von Zeit zu Zeit, wenn er zuf?llig in eine Kindergesellschaft geriet, f?hlte er sich auch immer schnell als einer der ihren, fand unter ihnen Trost gegen?ber dieser langsam klebrigen Welt, ohne jedoch ein Prinzip daraus zu machen, sondern von einem zum andern Mal vergass er diesen Eindruck und war immer aufs neue ?berrascht ... Einmal arrangierte er jetzt, in Waldbrunn, ein Wettrennen l?ngs des Waldsaums. Der blonde Gerhart, ein grosser Junge von etwa f?nf Jahren, fiel ?ber jede Baumwurzel hin, endlich aber so derb, dass er zu schrein anfing ...

Eine Dame eilte heran und Arnold begann sich bei ihr zu entschuldigen.

>>Im Gegenteil, sie haben ganz recht, Wichse verdient er, t?chtige.<<

Jetzt erst, erstaunt ?ber diese in devotem Ton hervorgebrachte und, wie ihm gleich auffiel, ziemlich unsinnige Rede, blickte Arnold die Dame an, w?hrend er bisher nur an dem kleinen qu?kenden Kerlchen herumgearbeitet hatte, um ihm einen Schmutzfleck von der Nase zu wischen ... Es war eine grosse auffallende Blondine, die er schon mehrmals gesehn haben mochte, und nun wusste er auch, wo: sie hatte ihm einigemal, wenn er hier auf Baupl?tzen und Ger?sten herumregierte, mit einer Andacht zugesehn, die ihm zugleich schmeichelhaft und widerlich vorgekommen war, ohne dass er sich ?brigens viel um sie bek?mmert h?tte.

>>Aber verzeihn Sie, gn?dige Frau ...<<

>>Ich bin nur die Gouvernante<< entgegnete sie in einem Ton, als k?nne sie sich nicht schnell genug dem?tigen. >>Im Gegenteil, ich habe Ihnen zu danken, Herr Beer ...<<

>>Sie kennen mich ...<<

Sie l?chelte und nickte: >>Par Renomm?e! Ich war einige Jahre bei Gr?nbaum, bei der j?ngeren Schwester des Herrn Technikers Gr?nbaum. Da hat man so oft von Ihnen geredet und immer nur das beste ...<<

Etwas, was nicht oft geschah: Arnold wurde verlegen, err?tete sogar ein wenig. Er konnte sich im Augenblick absolut nicht vorstellen, welches Gute denn die Schwester Gr?nbaums mit ihrer Gouvernante von ihm gesprochen haben d?rfte ... Als m?sse er so unverdientes Lob abwehren, stotterte er: >>Daf?r treffen Sie mich jetzt in einer Situation ...<<

>>O nein, ich bewundere Sie ja -- wie Sie sich auch noch mit Kindern abgeben k?nnen, ein so besch?ftigter Mann ...<<

>>Ja, ich treibe viel unn?tzes Zeug,<< seufzte er.

>>Unn?tz? O wer d?rfte das sagen. Im Gegenteil ...<< Sie stockte, und Arnold fand es grausam s?ss, sie bei diesem Wort, das sie jetzt schon zweimal in der kurzen Weile gebraucht hatte, ein wenig zappeln zu lassen. Endlich fuhr sie fort: >>Was Sie leisten, davon erz?hlt ja die ganze Stadt.<<

>>Was man erz?hlt, das ist nicht immer wahr.<<

>>Sie sind zu bescheiden, Herr Beer, ich habe es ja auch selbst gesehn ... nur in den letzten Tagen zum Beispiel ...<<

>>Das war ein h?bscher Oberleutnant neulich ... was?<<

>>Wollen Sie mich auslachen?<< Sie machte ein beinah beleidigtes Gesicht, mit gerunzelter Stirn, doch etwas st?rte die Wirkung des Gekr?nkt-Aussehens: die Wichtigkeit und der durch nichts geforderte, allzu liebevolle Ernst, mit dem sie das Folgende erkl?rte: >>Sie meinen, dass ich auf buntes Tuch fliege? O nein, das imponiert mir gar nicht ...<<

>>So, so ...<< Arnold sch?ttelte den Kopf. Obwohl ihn diese Beobachtung wenig interessierte, fand er bei sich, dass das Fr?ulein allerdings so aussehe, wie er sich im allgemeinen Frauen oder Geliebte von Offizieren vorstellte. Sie war gross, blondhaarig, eine >>Fernwirkung<<. Ihr starker, doch nicht mehr als anmutig geschwellter Busen zog die Blicke auf sich. Im Gesicht aber lag eine eigent?mliche Disharmonie. Arnold durchforschte es, kam jedoch zu keiner Erkl?rung dieses Eindrucks ... Dabei hatte er sich langsam neben dem M?dchen, das den Knaben an der Hand f?hrte, in Bewegung gesetzt. Er redete etwas vom Milit?r, ganz unklare Dinge, denen ein aufmerksames Lauschen seitens der Dame begegnete. Er wusste kaum, was er sprach. Vielmehr war er einzig damit besch?ftigt, unter dem Vorwande, dass er die M?tze des Knaben studierte -- der Knabe ging zwischen ihm und dem Fr?ulein -- zu bemerken, wie bei jedem Schritte des Knaben ?ber dem roten Bummerl der M?tze die sch?ne weibliche H?ftenrundung im blauen Rock auftauchte und wie eine Welle wieder versank, er sah das mit jenem Anflug willenloser Schl?frigkeit, die den Beginn sinnlicher Erregungen zu begleiten pflegt. Dabei h?rte ein Widerstand, eine Art von Ekel, nicht auf, sich in seinem Innern f?hlbar zu machen. Pl?tzlich hatte der Widerstand gesiegt, Arnold wachte auf, und begann nun die Scheinbesch?ftigung mit dem Knaben in eine wirkliche umzuwandeln. Er brach mitten im Satz ab, neigte sich wieder, und w?hrend sie durch den Wald weiter dem Kur?rtchen zuschritten, kitzelte er das Kind links am Ohr, indes er sich rechts von ihm hielt. Gerhart sah zum Fr?ulein auf. Nun zupfte ihn Arnold geschwind am rechten Ohr und schaute sofort in die Luft. Der Knabe aber verstand schon den Witz und drehte sich mit w?tendem Gel?chter gegen Arnold, um ihn ins Knie zu boxen. >>Wirst du nicht unartig sein!<< ermahnte die Bonne und wollte ihm in die Hand fallen. Inzwischen hatte aber auch Arnold eine Abwehrbewegung gemacht und so trafen sich vor seinem Bein pl?tzlich die drei H?nde. Die des Kindes l?ste sich gleich wieder los, um mit aller Gewalt auf Arnolds zweites ungesch?tztes Knie loszuschlagen; aber die Finger des Fr?uleins und Arnolds blieben fest beisammen, verschlangen sich einen Augenblick lang ineinander, w?hrend auch ihre Blicke offen ineinander tauchten. Beide waren still; eine herrliche Gelegenheit f?r den kleinen Rangen, mit beiden F?usten auf Arnolds Knie sich der Rache hinzugeben. Und er trommelte, bis Arnold mit gleichg?ltigem, gar nicht mehr kinderfreundlichem Schub ihn absch?ttelte ...

Sie hiess Feistnig und stammte aus Deutschb?hmen, aus dem Erzgebirge. Ihre Eltern waren sehr arm, er solle nur ja nichts anderes dahinter vermuten, ein armer Bauer, eine arme Spitzenkl?pplerin; und deshalb musste sie dienen. ?brigens hatte sie die Lehrerinnenbildungsanstalt absolviert, ja gelernt hatte sie etwas, Gott sei Dank. Einer ihrer Lehrer habe sie heiraten wollen, aber das hatte sie ausgeschlagen, weil er ein Witwer war. >>Ein Wittmann hat zwei Herzen.<< Nein, das mochte sie nicht. An Heiratsantr?gen war kein Mangel. Mochte Gott wissen, was die Leute an ihr fanden ... Arnold machte ihr ein Kompliment ... Sie erz?hlte schon etwas von einem Berg und einem Bach bei ihrem Heimatsdorfe. Wenn sich ein M?dchen in einer M?rznacht in diesem Bach wasche, dann werde sie sch?n. >>Und das habe ich ein paar Jahre hinter einander gemacht, so dumm war ich. Ja, wenn man jung ist. Ja die Heimat ...<< Diese sanfte Poesie fand Arnold unausstehlich, diese schw?rmerischen Augen. Zudem bemerkte er mit Missvergn?gen, dass das Gespr?ch immer wieder stockte, dass es ihn solche M?he kostete, als m?sse er jeden Augenblick es von neuem ankn?pfen. Er hatte das Gef?hl, als mache er mit jeder seiner Fragen eine wichtige und schwierige Erfindung, die indes von seiner Partnerin nur ganz oberfl?chlich ausgesch?pft wurde; und im n?chsten Moment stand er schon wieder vor der Notwendigkeit, etwas Neues zu erfinden. Also los, er gab sich einen Anlauf und fragte sie nach ihrem Vornamen. Sie wollte ihn nicht sagen. Er bestand darauf. Nun aber blieb sie seltsamerweise eigensinnig, gerade den Vornamen wollte sie nicht sagen. >>Warum denn nicht?<< >>Sie m?ssen nicht so neugierig sein.<< Er bat sie: >>Nein, das ist aber nicht nett von Ihnen<< und dachte dabei: Endlich ein Gespr?chsstoff gefunden! Sie lachte: >>Muss ich denn immer nett sein?<< >>Aber jetzt haben Sie mir schon so h?bsch erz?hlt.<< >>Wer zu viel weiss, wird bald alt.<< Endlich gab sie es ihm frei, zu raten. Er riet: Anna, Toni. >>Das i w?r richtig.<< Er strengte sich an und jetzt erst zum erstenmal empfand er eine Art geistiger Erregung ihr gegen?ber. Pl?tzlich wandte sie sich dem Kleinen zu, der auch besch?ftigt sein wollte und unaufh?rlich an ihrem Kleid riss. >>Du, fang mich!<< ... Sie lief voraus. Ihre Gestalt war m?chtig und dabei schlank in der Taille. Einfach, aber gerade infolge der Gl?tte wie durchsichtig zeichnete der Rock, in der Bewegung jetzt, ein reizendes Spiel langer Beine, das sich im Ungegliederten fast geheimnisvoll verlor und erst an den sich drehenden H?ften eine Fortsetzung fand. Der volle Busen lehnte sich wie ein kleiner Polster neben den Baumstamm, an den sie sich schmiegte, um sich umzudrehn und aus dem Versteck hervorzugucken, und zugleich wirbelte es unten am Rocksaum weiss wie Wellenschaum aus dem Innern hervor, um leichte spitze F?sschen. Dazu str?mte der gewaltige Geruch der Tannen im Abendwind, als verstreue ihn das M?dchen mit ihren lebhaft hin und hergeworfenen Armen, mit ihren Wendungen, denn bald lief sie davon, bald stand sie und rief das Kind, machte einen Tanzschritt zur Seite. Arnold konnte es nicht lassen, er beteiligte sich am Spiel. Zun?chst stellte er dem Knaben die Wahl, ihn oder das Fr?ulein zu fangen, und jauchzend trieb sich Gerhart hinter beiden her, ohne sich zu entschliessen. Er war noch zu jung f?r vern?nftiges Spiel, er wollte nur strampeln und schrein. Dann schrie Arnold -- mehr um sich mit ihr als mit dem Knirps zu verst?ndigen --: nun w?rden sie also beide das Fr?ulein fangen, und jagte schon hinter ihr drein. Und dabei hatte er eigentlich nur die Absicht, das Gespr?ch fortzusetzen, ihren Widerstand wegen des Namens zu brechen. Aber schnell blieb Gerhart zur?ck, das Fr?ulein floh immer entschiedener, Arnold bekam immer mehr Lust sie einzuholen, sie bog, da er schon ganz nahe bei ihr war, mit einem geschickten weiblichen Ruck zur Seite, ins Geh?lz, er verfitzte sich zwischen den ?sten, ihr nach, die ihm ins Gesicht schlugen, -- da ?ffnete sich eine freiere Stelle und sie konnte ihm nicht mehr entrinnen. Von hinten her umklammerte er sie, dr?ckte sich an sie: >>Also wie heissen Sie, schnell, wie heissen Sie?<< Sie suchte sich loszumachen, ermattete und seufzte: >>Lina,<< wie besiegt ... damit fiel ihr R?cken an seine Brust zur?ck, ihr K?pfchen hob sich, das bisher wild geduckte, w?hrend der seine ?ber ihre Schulter her?berkam. Das hatte kaum eine Sekunde gedauert. Schon sp?rte er den fremdartigen Geruch ihrer Haare, ihres Atems, und in demselben Augenblick erschien es ihm widerstrebend bis zur Unm?glichkeit, einem unbekannten Menschen pl?tzlich, unvermittelt so nahe an die Haut zu geraten. Eine bittere Wolke schien ihm aus ihren dunkelroten, halbge?ffneten Lippen emporzuquellen, die er jetzt knapp vor den seinen hatte, und allem Widerstreben zum Trotz zog ihn dieser warme unangenehme ungesunde Dampf in sich hinein, wie man manchmal Freude daran findet, die Fingern?gel ?ber die eignen Finger schneidend und immer tiefer zu ziehn, vom Schmerz nicht ablassen kann ... Er hatte sie auf den Mund gek?sst. Sie stiess ihn zur?ck, nun energisch und mit einer ganz erstaunlichen Unfreundlichkeit, eilte wieder auf den Weg zur?ck ... Arnold glaubte, sie beleidigt zu haben, folgte ihr langsam. Sie tat ihm leid. Eben hatte er noch in einer leichten Stimmung von Verf?hrungsk?nsten und von Gedanken wie: >>Na, man muss dem M?del den Gefallen tun<< herrschaftlich geschwelgt, jetzt sagte er sich: Ich bin ein Barbar, was mag sie sich von mir denken ... Sie f?hrte nun den kleinen Gerhart an der Hand und sprach kein Wort, die Augen niedergeschlagen. Er neckte wieder den Knaben, ziemlich geistesabwesend, nur weil es ihm peinlich war, ganz stumm zu sein. Allm?hlich redete auch sie: >>Nun also, wirst du dem Herrn die Hand geben, wirst du h?bsch artig sein?<< Ein Stein fiel Arnold von Herzen, da er ihre unver?nderte, etwas zu blendendweiche Stimme wieder h?rte; er erhob den Kopf: >>Er ist artiger als Sie, Fr?ulein Lina ... Lina<< wiederholte er leiser und fuhr fort >>er hat keine Launen, benimmt sich artig, nicht war, du?<< und b?ckte sich zu dem Gesicht des Kleinen herab. >>O Sie sollten ihn nur sonst kennen, was, Geri? Er kann schon sein St?ckl bestehn<< ... So kam das Gespr?ch wieder in Gang, ganz ruhig, als ob nichts geschehen w?re. Es war so dunkel geworden, dass man einander nicht mehr die Gem?tszust?nde vom Gesicht ablesen konnte, das gab einen guten ?bergang zur Unbefangenheit, in die sich ?brigens das Fr?ulein, so schnell ging es, auch ohne Dunkelheit bald hin?bergedreht h?tte. Nun klang ihr Lachen wieder wie vorhin, etwas ?bertrieben und k?nstlich, bei jeder Wortwendung Arnolds, die nur ein wenig von der geraden Ausdrucksweise abwich. Es war ein gewissermassen tiefernstes, beinahe tragisches Lachen und verwandt jenem speichelleckerischen, das Schulkinder bei den kleinen Witzen des Lehrers hervorstossen. In seiner Pedanterie blieb es niemals aus, kroch einem wie ein Hund nach. Arnold, der sich durch Linas Zur?ckweichen nach dem Kuss angezogen gef?hlt hatte, wurde wieder verdriesslich ... Endlich m?ndete die Waldchaussee auf die Landstrasse mit ihren Obstb?umen, bald war man bei den ersten H?uschen von Waldbrunn angelangt, wo sich Arnold mit einem Handkuss vom Fr?ulein, von Gerhart mit einem Backenzwickerl verabschiedete.

Am n?chsten Tag dachte er nur mit Unlust an diesen Vorfall. Was f?r eine neue St?rung!... Arnold war von wenig sinnlicher Anlage, sein rasches Leben schien tieferen Eindr?cken der Frauensch?nheit gleichsam zu entgleiten, so wie etwa ein reissender Bergbach von der Sonne nicht bis auf den Grund durchw?rmt werden kann. Es sind ja meist die schwerbl?tigen Naturen, nicht, wie man meinen sollte, die lebhaften, die an den Frauen untr?stlich kleben bleiben ... Er hatte zwar die ganze nicht eben umfangreiche Skala grossst?dtischer Verderbtheit mitgemacht, mit den Freunden eben, war eine Zeit lang von einer Dirne mit mehr als bezahlter Liebe geliebt worden, hatte Stubenm?dchen und Weinstubenkellnerinnen Sonntags ins Hotel gef?hrt, oder hatte in der Garderobe eines Klubhauses ein Familienm?dchen eilig abgek?sst, aber all dies ohne rechten inneren Anteil, nur schnell und stundenweise und mit dem stets wachen Bewusstsein, dass daran nicht viel sei. Das Vergn?gen ?berhaupt war seine Sache nicht, er strebte nach Anstrengungen, Leistungen, Wirkungsm?glichkeiten. -- Diesmal aber schien er an ein anst?ndiges M?dchen geraten, die die Sache ernst nahm, und das machte ihn unruhig. Ein langes Verh?ltnis konnte etwa daraus entstehn, mit Z?rtlichkeiten, Verpflichtungen, gebundenen Rendezvous, kurz all den Dingen, zu denen er keine Zeit und Lust hatte. Sie gefiel ihm auch nicht besonders. Er sagte sich, indem er ernst wie ein Kaufmann Aktiva und Passiva gegen einander hielt: No ja, ein fesches G'stell, aber das Gesicht mutet mich nicht an, eine typische Fernwirkung ... Den Fehler ihres Gesichtes hatte er allerdings noch nicht herausgefunden, konnte sich ?berhaupt nichts mehr an ihr genau vorstellen, nur noch die feine d?nne Empfindung seiner Fingerspitzen an ihrer leise aufrauschenden Seidenbluse, als er sie umfasst hatte, und diese Erinnerung regte ihn freilich doch ein wenig auf. Ueberdies war sie ja so dumm, so simpel. Arnold hielt die Weiber ?berhaupt f?r unfeine inferiore Gesch?pfe; l?cherlich, mit ihnen sich abzugeben. Und mehrmals kam er erleichtert auf den Gedanken zur?ck, dass ja nichts Grosses zwischen ihnen vorgefallen war, Gott sei Dank. Er stellte sich erschauernd sein Gef?hl heute vor, wenn ... Nein, das auf keinen Fall! Und doch wusste er, dass es dazu gekommen w?re; gut, dass der kleine Junge dabei war, o, er segnete ihn nachtr?glich. Und die ganze Sache wurde ihm mehr und mehr unheimlich, da er fand, dass sie ihn doch von seinen wichtigeren w?rdigeren Gesch?ften mehrfach in Tr?umereien abzog.

Am Nachmittag blieb er in seinem Wigwam, schrieb und k?mmerte sich um nichts anderes ... Da stand sie in der T?r, den Jungen an der Hand: >>Ich musste mir doch mal ansehn, wie Sie wohnen<<. Er fand kein Mittel unh?flich zu sein, auch nicht die Neigung dazu. Mit einem gewissen Stolz setzte er sich zwanglos vor ihr in Szene, zeigte ihr den beladenen Tisch, den riesigen Einlauf, das ganze einfache Geh?use, das so recht seine eigene Sch?pfung war, die einzige bisher. >>Hier m?chte ich ganz gerne wohnen<< kn?pfte er bedeutungsvoll an ihren Scherz an, mit einem tiefsinnigen Blick gleichsam in die eigene Seele >>hier ist der einzige Ort auf Gottes weiter Welt, wo ich mich zu Hause f?hle ...<< Sie f?rchtete zu st?ren, er hatte so viel zu tun, nicht wahr. Diese Zur?ckhaltung r?hrte ihn, er erkl?rte, dass es nicht so arg sei, und las den halbfertigen Brief vor, der auf dem Tisch lag, um ihr zu zeigen, f?rmlich herablassend, dass das alles doch gar kein so besonderes Kunstst?ck sei. >>Das w?rde ich auch zusammenbringen<<, lachte sie. Er ermunterte zu einer Probe. >>Gerhart, spiel da draussen<<, sie f?hrte das Kind vor die T?r, wo noch grosse Sandl?cher um die eingerammten Pfl?cke offen lagen, >>da hast du Mehl und Zucker.<< Und schnell kehrte sie zur?ck, entwarf ein paar Briefe, nach kurzen Andeutungen, die Arnold machte. Ihre Intelligenz ?berraschte ihn. >>Da h?tte ich ja einen perfekten Sekret?r, das w?nsche ich mir schon lange, nur hab ich's bisher nicht so weit gebracht.<< >>Ich komme jeden Nachmittag, wenn Sie wollen,<< stimmte sie erfreut zu und eifrig schrieb sie weiter, sorgf?ltige Buchstaben, wobei sie ihre ohnedies grossen hellgrauen Augen noch mehr herausw?lzte. Arnold ging zuerst auf und ab, blieb aber dann stehen und betrachte sie von der Seite, irgend etwas fesselte seine Aufmerksamkeit, ohne dass er sich dar?ber Rechenschaft ablegte, erst nach geraumer Weile bemerkte er, dass es wieder diese im Verh?ltnis zur d?nnen Taille reizend sich vorbiegende weiche Linie ihrer Brust war. Er bemerkte es ?rgerlich, trat aber, noch halb im Taumel, hinter ihren Sessel und pr?fte mit schwerem Ernst, ja mit Bek?mmernis, die W?lbung ihres Rocks um die H?ften, dann die Falten der Bluse, denen man es anmerkte, dass darunter der Leib eng geschn?rt war, betrachtete voll Interesse die scharfe, wenn auch nur wenig gehobene Kante, die der obere Rand des Mieders deutlich in den Blusenr?cken presste, glitt zum G?rtel mit seinem Blick und tiefer hinab, wo ihn das in jedem der zart eingewebten Rockstreifen ausgedr?ckte Anschwellen und dann das im finstersten Schatten ganz undeutliche Abschwellen zur Verzweiflung brachte. Endlich raffte er sich auf; ein Coupletrefrain, oder war es nur ein Spottvers, ging ihm im Kopf herum, immer lauter: >>Er regt soch auf, hat nichts davon.<< O pfui, wie ordin?r war das, wie ordin?r erschien er sich, ordin?r, ordin?r, und welch ein erb?rmlicher Kontrast zu diesem M?dchen, die in ihrem Eifer und Sch?lerschreiben im Grunde einen so netten Anblick bieten musste. -- >>... regt soch auf, hat nichts davon.<< Wie ordin?r! Die Schamr?te stieg ihm ins Gesicht. Und so sind also die M?nner. O wenn sie w?sste ... Wahrscheinlich hatte sie gar keine Ahnung davon, welche ihr gewiss ganz entlegene Wirkung die Profilansicht ihres K?rpers, ihr R?cken auf diesen -- gebildeten jungen Mann aus?bte. Sie arbeitete da, zeigte voll harmloser Begl?cktheit, was f?r ein kluges M?dchen sie war ... Oder wusste sie es? Verstellte sie sich so gut? In diesem Gedanken legte ihr Arnold teuflische Krallenh?nde zu, H?rner unter der blonden, welligen Frisur. Er entfernte sich von ihr, bis in die entfernteste Ecke der H?tte, von wo aus er sie anrief: >>Nun, sind Sie bald fertig?<< -- Jetzt erst bemerkte er, wie lange er nichts gesprochen hatte. Was war denn vorgegangen? Wieder stieg der Coupletrefrain in seinem Kopfe auf, so dass er sich sch?ttelte. -- Sie nahm es f?r ?rger und beeilte sich noch mehr: >>Ja, ja, gleich<<, dabei legte sie eine Wange auf den linken Arm, schob das Papier weit nach rechts und jagte mit schr?ger Feder dar?ber hin. Als sie fertig war, bewegte sie den kleinen Finger der rechten Hand hin und her: >>... tut weh.<< >>... regt soch auf<<, dachte er unwillk?rlich in demselben Moment, durch den Rhythmus ihres kurzen S?tzchens aufgestachelt, wie ein h?hnisches Echo. >>Bin's halt nicht gew?hnt<<, setzte sie fort. Ihm fiel der zweite Teil des Couplets ein, unaufhaltsam. >>Wird das so weitergehn?<<, dachte er w?tend. Zugleich sp?rte er eine kindliche Wichtigtuerei aus ihren Worten heraus, die ihm gefiel, aber nichtsdestoweniger seine ?berlegenheit zur?ckgab. >>Rufen Sie Gerhart<<, befahl er und h?tete sich, ein >>Bitte<< dazuzusetzen. Er sah sie streng an, mit einer energischen Miene, die eigentlich ihm selbst galt. Sie ging an ihm vorbei, durch die T?re hinaus. An seinem gespannten unt?tigen Stehnbleiben in diesem Moment merkte er, dass er, wieder verlockt, sie bl?de anstarrte ... Erst unterwegs dankte er ihr f?r die M?he. >>Jetzt sind Sie so lange gesessen, da m?ssen Sie Bewegung machen.<< Das war nat?rlich der ?bergang zu derselben Fang- und Kussszene wie gestern, nur erleichtert dadurch, dass Lina sofort von der Chaussee bereitwillig zwischen die Baumst?mme einbog.

Sie wurde ihm von nun an unentbehrlich. Sie schrieb seine Memoranden ins Reine, die er in fl?chtiger Stenographie skizzierte, sie ?bersetzte Franz?sisches, sie machte ihm die Korrespondenz so weit fertig, dass er nur noch lesen und unterschreiben musste. So einen Diener, einen Ausf?hrer konnte er gerade brauchen, dem er nur die Keime seiner zahllosen Ideen hinwarf, und schon wurden sie sorgsam aufgelesen, gereinigt, aufgezogen. Alles ging richtig, der kleine Gerhart spielte indessen draussen vor der Baracke, sie konnte sich mit einem Blick durch die T?re oder unten durch die Bretterluken durch schnell davon ?berzeugen ... Doch mit all ihrer Dienstfertigkeit war sie Arnold nicht angenehm. Gerade dieses Nutzbringende an ihr, diese Sklavennatur stiess ihn ab, weil er f?hlte, dass er dadurch an sie gefesselt war. Die Verehrung, mit der sie ihn umgab, fand er unsinnig, ganz anders als die Anbetung der Freunde, die er doch zu verdienen geglaubt hatte. Wie sie ihm von fern himmelnd mit den Blicken folgte, wenn er die Ger?ste inspizierte oder Besichtigenden flink zur Hand war: das l?hmte ihn fast. Ihre Kugelaugen waren wohl auch das entscheidend H?ssliche im Gesicht, diese w?ssrigen, ausdruckslosen Glasb?uche, doch nicht minder missfiel ihm, dass ihre Nase und die Kinnw?lbung rot waren, die Backen derb und, aus der N?he gesehn, nicht ganz glatt. Daf?r entsch?digte das reiche blonde Haar und die auffallend volle, doch biegsame Figur; jedoch, weiter betrachtet, war es gerade diese unl?sliche Verbindung eines weichen, anmutigen Leibes mit einem so durchaus ungrazi?sen Gesicht, eines d?monisch Anziehenden mit einem eiskalt Abstossenden, was Arnold unheimlich und widerw?rtig wie eine ?tzende ?belriechende Fl?ssigkeit vorkam. Und mit diesem heillosen Eindruck wieder verbunden ihre offenbare Sanftmut, die Ergebenheit: o es war eine Disharmonie in allem. Und hatte er denn Zeit, das zu ordnen und zu entschuldigen, wie ein Verliebter etwa?... O, diese Liebe machte ihn ganz und gar nicht gl?cklich, nein, nur unruhig und niedergeschlagen. Er f?hlte sich schwach gegen dieses M?dchen, er beneidete sie manchmal, denn sie war gewiss beseligt in ihrer aufrichtigen Neigung zu ihm. Sie sprachen ?berdies nie ?ber Liebessachen, es fiel ihm nicht einmal ein, sie zu duzen. Als sie ihm gestand, sie sei einmal schon get?uscht worden, der Br?utigam habe sie nach schm?hlichem Tun im Stiche gelassen, erschrak er heftig. Zwar nicht wegen einer etwaigen Heirat, dieser Gedanke lag wohl beiden gleich fern; aber dass sie schon einem angeh?rt hatte, musste ihre Eroberung beschleunigen, und er selbst war, das wusste er, im gegebenen Moment zu unbesonnen, um aus eigenem Willen einzuhalten. So sah er die Gefahr vor sich und keine M?glichkeit, ihr auszuweichen ... Zudem peinigte ihn der Gedanke, dass dieses Verh?ltnis wenig standesgem?ss sei, dass er es zu wichtig nehme, und nur wenn ein Freund ihn neidisch fragte: >>Du, wer war denn gestern diese Fesche?<< beruhigte er sich ein wenig. Von aussen her, durch die Wirkung auf andere musste er sich ihre Sch?nheit und Begehrensw?rdigkeit deutlich zu machen suchen. Auf ihn selbst blieb diese Wirkung erstaunlich oft aus. Dann musste er sich ins Ged?chtnis rufen, wie er sich gestern oder vorgestern in ihrer N?he in Erregung wohlgef?hlt hatte; sonst h?tte er sie ?berhaupt nicht ertragen. Oder er h?rte gern zu, wenn sie erz?hlte, wie ihr einer nachgegangen war, sie vergebens angesprochen hatte. Er forderte sie selbst zu solchen Berichten auf, die ihm ihren Wert ins Bewusstsein brachten. Daher hielt sie ihn f?r eifers?chtig, freute sich dar?ber, wenn sie auch viel zu dem?tig war, um diese seine Schw?che irgendwie auszun?tzen. Sie verschwieg ihm also lieber solche Begebenheiten; er, der beinahe das Gegenteil von eifers?chtig war, musste sie mit List hervorlocken. So war ein versteckter Krieg entbrannt, ohne dass sie es wussten ... Es war nicht zu vermeiden, dass seine Leidenschaft, die auf blosse Sinnlichkeit ohne die leiseste Spur eines seelischen Anteils gestellt war, in ihrer St?rke heftige Schwankungen zeigte, je nach dem Wetter oder seinem Ausgeschlafensein. Sank sein Feuer, so war es ihm schmerzlich, denn dann kannte er sich in diesem Verh?ltnis ?berhaupt nicht mehr aus, wusste nicht, was er wollte und was das Ganze bedeutete. Deshalb geriet er auch jedesmal in Unruhe, wenn Lina hie und da schlecht aussah oder wenn ihr ein Kleid nicht passte. Es verdross ihn, wenn ihre Gestalt in gewissen Stellungen nicht vorteilhaft wirkte, er konnte dann den Gedanken nicht abweisen: Am Ende ist gar nichts an ihr -- er f?hlte sich wie betrogen. Manche Tage erschien sie ihm zur Verzweiflung unscheinbar, eine Pustel entstellte den Mundwinkel. Sorgsam kontrollierte er ihr Abmagern oder Zunehmen, bat sie, nun in dieser Fasson innezuhalten, scheinbar scherzhaft, mit verh?lltem innerstem Ernst. Er fragte sie, ob sie gut schlafe, wie viel sie gegessen habe -- alles nur zu dem einen Zwecke: um auf dem Umwege ?ber ihre Sch?nheit seine Behaglichkeit zu erlangen. Er hatte auch einen gewissen z?rtlichen unmerklichen Griff, um sie gleich beim Kommen an der Taille anzur?hren und rasch festzustellen, ob die diesmalige gute Wirkung mit oder ohne Zuhilfenahme eines Korsetts zustande gebracht sei. Dabei geriet er halb unbewusst in inbr?nstige Gedankeng?nge wie diese: >>Da sie heute so wenig fesch aussieht, so hat sie doch hoffentlich wenigstens kein Mieder an<< -- oder: >>Mein Gl?ck w?re vollst?ndig, wenn der heutige s?sse Effekt ohne Mieder hervorgebracht w?re.<<

So kam es, dass er niemals an dem, was sie war, an ihrer nat?rlichen und begrenzten Organisation ein endgiltiges Wohlgefallen fand. Sondern oft, wenn er sie in Musse beobachten konnte stellte er sich vor, wie ihre Nase oder die H?nde etwas besser zu machen w?ren, er probierte in Gedanken, ob ihre Brust noch etwas voller reizend w?re oder schon unschicklich und ?bertrieben, ob man ihr nicht mit Brillantohrgeh?ngen oder mit einer Brille beispringen k?nnte. Er kleidete sie in Trachten verschiedener Zeit, er operierte sie. Wie schwer war es doch, sich in die Liebe hineinzureden. Da er den naturgem?ssen Zusammenhang ihrer Eigenschaften nicht kannte, auch sich keine Zeit dazu nahm, ?ber ihn nachzudenken, hatte er Angst, es k?nnte eines Tages ihre ganze Sch?nheit pl?tzlich verschwunden sein. So war er stets angespannt, stets auf dem Posten, nerv?s und erregt. Sie jedoch, nat?rlich ohne jedes Verst?ndnis f?r seine Qualen, st?rte ihn obendrein durch Reden wie: >>An mir ist ja nichts<< oder >>Ich weiss, dass ich nicht sch?n bin<<. Das war immer wie ein Fusstritt in seinen kunstvollen Ameisenbau, dann kribbelten schnell seine Ideen und Reden heran, um den Schaden wieder gut zu machen. Er stellte ihr vor, dass er solche Selbsterniedrigung hasse, dass sie ja damit ihn selbst angreife und blamiere, denn was sei er, wenn er mit einer, >>an der nicht viel sei<<, so viel verkehre. Sie versprach zerknirscht es nie mehr wieder zu tun, vergass das aber schnell, da sie es im Grunde nicht begriff, lobte ihn: >>Was bin ich gegen Sie?<<, sehr erstaunt, dass ihn das ?rgerte. Dann weinte sie. Er musste sie tr?sten, doch wiederum fand er bald den Unterschied gegen?ber seiner fr?heren Trostwirkung auf Freunde: Damals hatte es sich um Taten und Ermutigungen zur Arbeit gehandelt, hier umfasste der Trost die ganze Person und war eben deshalb ein leeres Gerede ... Alles in allem empfand er ein Gemisch von Mitleid, Dankbarkeit, Neugierde, Unmut, Eitelkeit, auch ein wenig Hingezogenheit und starken Kitzel, all dies wechselnd und heftig, wie es sich f?r sein unstetes Gem?t eben schickte.

Inzwischen war auch das Flugunternehmen an einen kritischen Punkt gelangt. Aus nichtsw?rdigen Quellen h?uften sich die Angriffe, anonyme Briefe flogen, die Sicherheitsbeh?rden schritten ein. Ein radikales Blatt sprach offen von >>Schwindel und Bankrott<<. Farman, Bl?riot sagten ab und so hatte sich der Ausschuss an den jungen hoffnungsvollen Aviatiker Ponterret gewendet, einen Belgier, der einen Apparat eigener Konstruktion vorf?hren sollte. Er war einverstanden und bald sah man in den Auslagen Photographien eines h?bschen Herrn, frisiert und schlank, der aus dem Hohlsitz seines Monoplans die M?tze schwenkte oder k?hn wie Latham Zigaretten rauchte oder aus kriegerischer Schutzbrille in die Luft starrte, die Hand am Lenkhebel. Die Zeitungen brachten seine Biographie, er hatte sich ?ffentlich noch wenig hervorgetan, umso mehr privat, auch zitierte man einen Ausspruch Paulhams, dass dieser junge Mann der Einzige sei, der ihm jemals gef?hrlich werden k?nnte. Auf den Plakaten f?hrte er daher das ehrende Attribut >>Der Rivale Paulhams<<, und bald war sein Name so sehr in aller Munde, dass man ganz vergass, ihn vor einer Woche noch gar nicht gekannt zu haben, dass man beim Aussprechen schon jenen illustren unbeschreiblichen Beiklang herausschmeckte, den die Namen der grossen Helden und Meister haben: Ponterret!... Der Apparat kam, per Sonderzug, wurde ausgestellt, photographiert, erkl?rt, von Mittelsch?lern klassenweise offiziell besichtigt, unter sachverst?ndiger F?hrung des Physikprofessors. Endlich traf der Champion selbst ein, von der Stadtvertretung begr?sst, ?brigens sehr bescheiden und sympathisch, nur auf seine Arbeit bedacht. Man beschrieb ihn in den Zeitungen, wie er eigenh?ndig, selbst geschickter als seine Monteure, die niedrigsten Dienste an seiner Maschine zu leisten sich nicht scheute, keinen Bestandteil f?r unwichtig hielt, jede Schraube tausendmal ausprobierte. Schon am n?chsten Tag versuchte er einen Flug, der Motor ging nicht, das Benzin war schuld daran. Bei der n?chsten Probe geriet die wertvolle Dogge des Fliegers in die Schraube, die gerade angelassen wurde, die Schraube brach, die Dogge blieb auf der Stelle tot. Ohne mit der Wimper zu zucken, liess Ponterret sofort eine neue Schraube anmontieren, doch setzte der Motor bald darauf aus, die Probe musste abgebrochen werden. Die Journalisten konnten nichts tun als immer wieder den >>Piloten<< beschreiben, der nach solchem Missgeschick mit kaltbl?tigem L?cheln vor dem Hangar auf- und abspazierte, winzige Zigaretten rauchte, dann aber gleich wieder im blauen Arbeitermantel, unter dem die gelben Lackstiefelspitzen hervorschauten, unverdrossen ans Werk ging, die Verbindungsdr?hte wechselte oder das Traggestell ausbalanzierte. Ponterret plagte sich unerm?dlich, er setzte sein Leben bei den fortgesetzten Proben mehrmals aufs Spiel, er war zugleich liebensw?rdig und energisch, mutig und auf das Schlimmste gefasst, er bot eine Vereinigung s?mtlicher Heroentugenden; trotzdem erzielte er nicht den mindesten Erfolg, der Apparat funktionierte einfach nicht. Kurz und gut, Ponterret bot das unserer Zeit schon etwas entfremdete, aber f?r die damalige Kinderstammelperiode der Flugtechnik typische Bild des hingebungsvollen, t?chtigen, durchaus ehrenwerten Aviatikers, dem trotz aller Anstrengungen und Aufopferungen ein leiser Hauch von Komik anhaftet, weil ihm so gar nichts gelingt, dem vielleicht nur ein kleiner Handgriff fehlt oder am Ende gar nur ungl?ckliche Zuf?lle im Weg stehn. Man w?nscht ihm ja das Beste, man w?nscht aber zugleich, peinlich ber?hrt, der beweinenswerte Held w?re h?bsch zu Hause geblieben, da man ja nicht die M?glichkeit hat, seine Handgriffe oder Zuf?lle irgendwie g?nstig zu beeinflussen. Er stellt, man mag ihn entschuldigen wie man will, das konzentrierteste Symbol menschlicher Unsicherheit und Machtlosigkeit dar; und das kann man ihm nie verzeihn ... Drei Tage vor dem angesetzten Schauflug brach Ponterret einen Fl?gel seines Aeroplans, nun musste man Ersatz aus Paris herantelegraphieren, den Flugtag um vierzehn Tage verschieben. Das Publikum wurde allm?hlig ungeduldig. Zwei Holzh?ndler liessen es aber bei akademischer Ungeduld nicht bewenden, sondern f?hrten Exekution gegen das Konsortium, das sie auf den Flugtag vertr?stet hatte, und liessen den Apparat mit Beschlag belegen. Die Pf?ndung musste nat?rlich aufgehoben werden, denn der Apparat war Privateigentum des Fliegers. Die Sache aber machte Aufsehn, und nur wer finanziell nicht beteiligt war, lachte.

An diesem Nachmittag erschien ihm Lina angenehmer als sonst. Ihre G?te und Unterw?rfigkeit tat ihm wohl, schon die weiche klagende Stimme verscheuchte ein wenig seine Sorgen. Das war doch ein befreundeter Mensch, auf den man sich verlassen konnte. O, ein Gl?ck, dass er die hatte, so ein braves anst?ndiges M?dchen! Er dr?ckte ihr warm die Hand, doch eilig, denn heute hatte er ihr besonders viel zu diktieren und anzuregen, ihre Feder flog nur so. Es fiel ihm zugleich ein, dass er Unrecht tat, ihre Liebe so auszubeuten, sein moralischer Sinn war gleichsam durch die Unterredung mit Philipp gesch?rft. Sie tat ihm leid. Doch heftiger erf?llte ihn wie ein Nebel die Angst um die eigene n?chste Zukunft, tausend Rettungspl?ne, das Notwendigste f?r den Moment. Es war, als entfache das drohende Fiasko nun noch die letzten Reserven seiner Willenskraft und Anspannung, seine ?ussersten Gedanken. Heute bewunderte er sich selbst, und als er gegen Abend den Haufen der fertiggestellten Briefe ?berschaute, darunter ein paar wirklich gelungene, -- um vorzubeugen, R?ckzug zu sichern -- atmete er zufrieden auf ... Ein Schrei Linas erschreckte ihn. Der kleine Gerhart war nicht da, verschwunden. Sie suchte vor der H?tte, ?berblickte von den Stufen des Amphitheaters aus die Rennbahn, vergebens. Verzweifelnd gab sie sich, nur sich selbst alle Schuld an dem gr?sslichen Unfall, sie hatte heute weniger aufgepasst als sonst, das Kind mochte sich verirrt haben, ins Wasser gefallen sein, Gott im Himmel, was war da zu tun! -- Arnold forschte indessen die Arbeiter in der N?he aus. Ja, man hatte den Kleinen auf dem Wege zum Weidengestr?pp gesehn, das auf der andern Seite der Flugwiese in menschenleerer ?de sich erstreckte, gegen den Fluss zu. Schon eilte Lina in dieser Richtung, Arnold ihr nach. Sie kreuzten durch die niedrige Wildnis, b?ckten sich unter verflochtenen ?sten durch, rissen sich wund, schwitzten. Der Boden wurde schwarz und fett; setzte man den Fuss auf ihn, so quoll kotiges Wasser hervor. Die Weiden standen dicht wie ein Kornfeld beisammen, Lina bog sie auseinander, hielt sie fest, um dem Nachfolgenden Raum zu geben, liess sie aber doch noch einen Augenblick zu fr?h los, so dass sie ihm gerade recht ins Gesicht peitschten. Gereizt bat er sie umzukehren. Sie waren ?ber glitschrige Steine an das Schilfufer des Flusses gelangt. Man sah fast gar nichts mehr, denn der Tag war regnerisch gewesen und jetzt gegen Abend erf?llte warmer aufsteigender Dunst die Luft. Nun wateten sie durch Binsen und R?hricht zur?ck, gerieten wieder in die B?ume ... pl?tzlich erblickten sie, beide zugleich, durch eine dichte Brombeerhecke von ihnen getrennt, das Kind, das arglos ruhig auf einem steinigen Pl?tzchen einen Sandturm aufbaute. Ein Anblick, so voll Kontrast zu der angstzerrissenen Stimmung der beiden, dass sie trotz ?rgers und Kopfsch?ttelns und Hastens wie auf einen Schlag stehn blieben und, wie man es einer Vision gegen?ber tun mag, unter langsamem H?ndeaufheben beide die Lippen zu einem notwendigen, gar nicht lustigen L?cheln dehnten ... Den Sand hatte das Kind offenbar in seinem kleinen Blechk?bel vom Flugplatz hierhergetragen, beschwerlich, in mehrmaligen G?ngen, und es gefiel ihm so gut, in dieser neuen Umgebung zu schippen, wo es eigentlich von rechtswegen gar keinen Sand gab, als ein kleiner Herrgott also, dass es Augen und Ohren an sein Spiel verloren hatte ... Lina, aus dem Bann erwachend, unterdr?ckte einen Jubelschrei, ihre Augen gl?nzten dankbar gegen Arnold, als schulde sie ihm den gl?cklichen Ausgang dieses Zwischenfalls. Einen Moment lang fand er sie wirklich sch?n, in diesem feuchten dunklen gr?nen Laubwerk, mit ihren gl?nzenden roten Wangen, der klopfenden Brust. Lau brodelte es aus dem Moos, den alten St?mmen, wie ein Bad, das alle Glieder in Wohlbehagen l?st. Dicke Fliegen setzten sich ihm auf die Stirn, die Augenlider, und wenn er sie verscheuchte, fielen sie wie besinnungslos wieder auf ihn zur?ck, ber?hrten ihn heftig zitternd, kleinen schweren H?ndchen gleich. Es schien ihm, als tr?gen sie ihm Linas K?rperduft n?her, als balle er sich um diese schwarzen K?rperchen, ja als seien die Fliegen nichts als kompakte Pillen dieses bet?ubenden Geruches, o dieses gar nicht mehr fremden, nein wohlvertrauten Geruches einer Frau, die er schon oft gek?sst, gek?sst, aber nur gek?sst hatte, ... die jetzt so dicht bei ihm war, wie in einem Zimmer bei ihm. Und das spielende gerettete Kind so nah, so nichts ahnend, so unwissend, blind gegen das, was jetzt sofort neben ihm geschehn wird: diese eigent?mliche Vorstellung, die ihn wie mit der allerdurchtriebensten Freude erf?llte, entschied. Vielleicht wirkten auch die vielen ?berstandenen Aufregungen dieses Tages mit. Pl?tzlich f?hlte er sich sicher, nicht wie sonst im Kurw?ldchen von Menschen bedr?ngt. Eine seltsam qualvolle Lust ergriff ihn, wie ein letzter Ausl?ufer der raschen Gehbewegungen vorhin, die nicht unvermittelt abbrechen wollten, er strauchelte vorw?rts, ?ber eine Wurzel, er fasste mit beiden H?nden geradeaus langend, die beiden Br?ste des M?dchens, diese vorstehenden nachgiebig-festen Br?ste, die ihn immer so gelockt hatten, fasste sie mit einem Griff, dem man h?tte anmerken k?nnen, dass er ihn in eben dieser Art und mit dem gl?hendsten Feuer in Gedanken oft schon ausgef?hrt hatte, er dr?ckte sie wie Ballons, wie um sie auszupressen, wie um sich an ihnen festzuhalten, ?ber einem Abgrund schwebend gleichsam, und nun, keuchend, heiss, ausser sich, mit h?pfenden Augen, die Haare gestr?ubt, singend, matt, verz?ckt, dr?ngte er Lina an den n?chsten Baum, dessen trockene Rinde in kleinen St?ckchen herabsplitterte. Einen Augenblick sp?ter war sie sein.

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