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Read Ebook: Drei Monate Fabrikarbeiter und Handwerksbursche Eine praktische Studie by G Hre Paul

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Ebook has 638 lines and 77959 words, and 13 pages

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Anmerkungen zur Transkription

Der vorliegende Text wurde anhand der 1891 erschienenen Buchausgabe so weit wie m?glich originalgetreu wiedergegeben. Typographische Fehler wurden stillschweigend korrigiert. Ungew?hnliche und regional gef?rbte Schreibweisen bleiben gegen?ber dem Original unver?ndert.

Das Inhaltsverzeichnis wurde vom Bearbeiter der ?bersichtlichkeit halber an den Anfang des Textes verschoben. Die Fussnote wurde an das Ende des betreffenden Abschnitts gesetzt.

Das Original wurde in Frakturschrift gedruckt. Besondere Schriftschnitte wurden in der vorliegenden Fassung mit den folgenden Sonderzeichen gekennzeichnet:

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Drei Monate Fabrikarbeiter

Drei Monate Fabrikarbeiter

und

Handwerksbursche

Eine praktische Studie

von

Paul G?hre

Kandidaten der Theologie Generalsekret?r des evangelisch-sozialen Kongresses in Berlin

Erstes bis zehntes Tausend

Leipzig

Fr. Wilh. Grunow

Das Recht der ?bersetzung bleibt vorbehalten

Seinen Arbeitsgenossen in der Fabrik

Der Verfasser

Inhalt

Seite

Erstes Kapitel: Mein Weg 1

Zweites Kapitel: Die materielle Lage meiner Arbeitsgenossen 12

Drittes Kapitel: Die Arbeit in der Fabrik 40

Viertes Kapitel: Die Agitation der Sozialdemokratie 88

F?nftes Kapitel: Soziale und politische Gesinnung meiner Arbeitsgenossen 108

Sechstes Kapitel: Bildung und Christentum 142

Siebentes Kapitel: Sittliche Zust?nde 191

Achtes Kapitel: Ergebnisse und Forderungen 212

Vorwort

Die nachstehenden Mitteilungen sind auf Grund ausf?hrlicher Notizen, die ich w?hrend meiner Arbeiterzeit aufgezeichnet habe, gemacht worden. Einiges ganz Wenige davon ist aus Artikeln, die ich im vergangenen Herbste in die ,,Christliche Welt" ?ber meine Erlebnisse geschrieben habe, her?ber genommen. Die L?ckenhaftigkeit meiner Mitteilungen gestehe ich zu. Das ist bei einem nur dreimonatlichen Studium selbstverst?ndlich. Was ich aber gesehen und gefunden habe, habe ich mit der Objektivit?t darzustellen versucht, die nur immer einem Menschen m?glich ist, der nicht aus seiner Haut heraus kann. Ich warne dann noch ernstlich vor einer Verallgemeinerung der von mir gefundenen Ergebnisse. Ich gebe zu bedenken, dass alles, was ich berichte, nur von den s?chsischen Industriearbeitern Geltung hat.

Ich habe das Buch meinen ehemaligen Arbeitsgenossen in der Fabrik gewidmet als ein Zeichen des Gedenkens, der aufrichtigen Liebe und Zuneigung, die ich immer gegen sie hegen werde. Sie m?gen darin das Bekenntnis sehen, dass ich meine ganze Lebenskraft in den Dienst ihrer Sache stellen will. Trotzdem bin ich auf Verd?chtigungen gefasst. Aber ihnen allen gegen?ber erhebe ich den Anspruch, dass ich, selbst aus einfachsten Kreisen herausgewachsen, es nicht weniger ehrlich mit ihnen meine, als es andre von sich behaupten.

Mit einem Appell an meine Alters- und Standesgenossen m?chte ich diese Worte beschliessen. Ich bitte sie dringend, es mir nachzuthun, allein oder zu zweien, aber mit offnem Visier, zu keinem andern Zwecke, als die ?rmern Mitbr?der und ihre Lage, ihre Gedanken, ihr Sorgen und ihr Sehnen kennen zu lernen, ihnen durch solche Opfer die Liebe und Achtung zu zeigen, auf die sie einen Anspruch haben, und im k?nftigen Berufe dann vorurteilslos und ernst da f?r sie einzutreten, wo immer sie recht haben.

Berlin, Anfang Juni 1891

Erstes Kapitel

Mein Weg

Anfang Juni des vorigen Jahres h?ngte ich meinen Kandidatenrock an den Nagel und wurde Fabrikarbeiter. Ein abgelegter Rock, ein ebensolches Beinkleid, Kommissstiefeln aus der Milit?rzeit, ein alter Hut und ein derber Stock bildeten meinen abenteuerlichen Anzug. Eine vielgereiste Umh?ngetasche fand sich dazu, die n?tigste W?sche aufzunehmen, und gab, ein Paar Schuhe und die vorschriftsm?ssige B?rste oben aufgeschnallt, einen pr?chtigen ,,Berliner" ab. So zog ich eines fr?hen Morgens in struppigem Haar und Bart als richtiger Handwerksbursche mit klopfendem Herzen von daheim aus und bald darauf zu Fuss in das mir unbekannte Chemnitz ein. Hier in Chemnitz, dem Mittelpunkte der ausgedehnten s?chsischen Grossindustrie, habe ich fast drei Monate +unerkannt+ als einfacher Fabrikarbeiter und beinahe ohne jeden Verkehr mit meinesgleichen gelebt, habe in einer grossen Maschinenfabrik mit den Leuten t?glich elf Stunden gearbeitet, mit ihnen gegessen und getrunken, als einer der ihrigen unter ihnen gewohnt, die Abende mit ihnen verbracht, mich die Sonntage mit ihnen vergn?gt und so ein reiches Material zur Beurteilung der Arbeiterverh?ltnisse gesammelt, das mitzuteilen ich im Folgenden versuchen will.

Seit Jahren f?r das Studium der sozialen Frage vom religi?sen und kirchlichen Standpunkte aus erw?rmt, war es vor allem eines, das mich bisher einen klaren Blick, ein sicheres Urteil, einen festen Haltepunkt zu gewinnen immer wieder verhinderte: die zu geringe Kenntnis der Wirklichkeit, der thats?chlichen Lage derer, um derentwillen wir eine soziale, eine Arbeiterfrage haben. Zwar giebt es eine reiche Litteratur. Aber wer verb?rgte mir die Richtigkeit der gegebenen Darstellungen? Wo ist die Wahrheit? Bei dem Optimisten, der die Lage der Arbeiter als durchaus nicht so erbarmungsw?rdig schildert, oder bei dem Pessimisten, der alles Schwarz in Schwarz sieht und die Zukunft nur als Revolution? In den sozialdemokratischen Schriften, die, so scharf und bedeutungsvoll ihre Kritik an den bestehenden Verh?ltnissen auch ist, doch f?r nichts weniger als unparteiisch und sachlich gelten und, fast alle Agitationsschriften, jedenfalls wissenschaftlichen Wert nicht beanspruchen k?nnen? In den weniger zahlreichen ?usserungen von Arbeitgebern, die in dieser Angelegenheit ebenso Partei sind, wie die Arbeiter selbst? Oder gar in unsrer periodischen und Tagespresse, die beinahe durchg?ngig +Parteipresse+ ist und als Vertreterin bestimmter Interessengruppen die Dinge immer nur von ihrem einseitigen, egoistischen Interessenstandpunkte aus zu w?rdigen und zu Gunsten ihrer Partei auszubeuten geneigt ist? Oder endlich in den Schriften von Geistlichen? Gewiss wird dem Pastor durch seine seelsorgerische Th?tigkeit eine F?lle von Erfahrungen zur Verf?gung stehen; ob aber gerade besonders reichlich und der Wirklichkeit entsprechend unter den Arbeitern, die je l?nger desto mehr sich von der Kirche und ihrem Einflusse fern zu halten suchen? Und dann ist eins zu bedenken: vor dem Tr?ger des geistlichen Amtes pflegt sich jedermann, auch der Arbeiter, gern in sein Sonntagsgewand, thats?chlich wie bildlich gefasst, zu werfen; die innersten Gedanken der Leute, ihre Gesinnung, die sie nur ?ussern, wenn sie unter sich und unbelauscht sind, lernt auch er nur sehr schwer und l?ckenhaft kennen. Und eben das war es, was ich vor allem wissen wollte, um darauf mein weiteres Studium und meine sp?tere Arbeit bauen zu k?nnen: +die volle Wahrheit ?ber die Gesinnung der arbeitenden Klassen, ihre materiellen W?nsche, ihren geistigen, sittlichen, religi?sen Charakter+.

Wie aber ergr?nden, was sich so gerne dem forschenden Auge entzieht? Das beste, geradeste, wenn auch nicht eben bequemste war, wenn ich selbst unerkannt unter die Leute ging, mit eignen Ohren h?rte und mit eignen Augen sah, wie es unter ihnen steht, ihre N?te, ihre Sorgen, ihre Freuden, ihr t?gliches einf?rmiges Leben selbst miterlebte, die Sehnsucht ihrer Seele, ihren Drang nach Freiheit, Besitz, Genuss belauschte und selbst?ndig nach den innersten Triebfedern ihrer Handlungen suchte. Wie malt sich eigentlich die Welt in den K?pfen dieser Leute, die nun schon seit Jahrzehnten vielleicht unter dem Einflusse der sozialdemokratischen F?hrer stehen? Welches sind, eine Frucht jener Agitation, ihre sozialen und politischen Vorstellungen, welches ist ihr sittlicher Charakter, ihr innerstes religi?ses Empfinden, die Stellung der Einzelnen zur Kirche? Haben sie ?berhaupt noch religi?se Bed?rfnisse? Und wenn, auf welchem Wege k?nnen sie ihnen am besten befriedigt werden? Wie ist den Verhetzten und -- zum grossen Teil mit Recht -- Verbitterten ?berhaupt erst wieder nahe zu kommen? Das alles konnte ich nur an der Quelle, selbst Arbeiter unter Arbeitern, erfahren. Also -- heran an die Quelle!

Als ich um die Mittagszeit in Chemnitz einzog, war ich, absichtlich ohne bestimmten Plan, v?llig dem Zufall ?berlassen. Ich fragte, um mich zu orientieren, einen an der n?chsten Ecke postierten Schutzmann, ob er mir vielleicht sagen k?nnte, wo man hier Arbeit nachgewiesen erhielte.

Was sind Sie? herrschte er mich in bedeutend unfreundlicherem Tone an, als ich es fr?her von Schutzleuten gewohnt war.

Expedient, Schreiber.

Da werden Sie wohl keine Arbeit in Chemnitz bekommen.

Ich mache auch jede andre Arbeit, gab ich zur?ck.

Dann gehen Sie einmal in die Zentralherberge, Zschopauerstrasse; dort ist noch am ehesten irgendwelche Arbeit zu erfahren.

So war mir der weitere Weg gewiesen. Ich fragte mich nach der Zentralherberge durch. Die Herberge war zugleich Arbeitsnachweisstelle und geh?rte r?umlich zum Vereinshaus des, wenn ich recht berichtet bin, freisinnigen Chemnitzer Arbeitervereins.

Das vordere Zimmer der Herberge war mit einigen jungen Leuten in Sonntagskleidern und mit mehrern Handwerksmeistern besetzt, die hier auf zureisende Gesellen warteten. Auf einer grossen Tafel an der Wand las ich: Zureisenden ist der Aufenthalt im vordern Zimmer nicht gestattet. So ging ich ins hintere. Dort sah es noch ?der aus. Mehrere grosse graue Tische, um sie herum vielgebrauchte, mitunter durchgesessene Holzst?hle bildeten neben einer alten Handwerkslade und dem primitiven Schenktische die einzigen M?bel dieses Zimmers, das mit einer dunstigen, dicken Luft gef?llt war. An den W?nden hingen viele Plakate mit Adressen von Herbergen der verschiedensten St?dte. Es waren nur vier Mann in diesem Zimmer. Drei in blauem Kittel, die H?te auf den K?pfen, sassen zusammen, ein andrer f?r sich.

Ich setzte mich sch?chtern in eine Ecke. Es wurde mir in der neuen Umgebung doch etwas bang zu Mute, und ich dachte in diesen Augenblicken, wohl das einzigemal, ernstlich an eine Umkehr.

Ich sass etwa eine halbe Stunde und wartete. Ich musste, noch v?llig unerfahren in dieser Lage, zun?chst die Dinge einfach an mich herankommen lassen. Und sie kamen in der Gestalt des d?rren beweglichen M?nnchens, das dort einsam am Tische sass. Er trat auf mich zu:

Guten Tag, Landser .

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