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Read Ebook: Drei Monate Fabrikarbeiter und Handwerksbursche Eine praktische Studie by G Hre Paul

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Ebook has 638 lines and 77959 words, and 13 pages

Guten Tag, Landser .

Guten Tag, Landser, antwortete ich.

Auch einer von der Zunft? -- Damit hielt er mir seinen ausgestreckten Zeigefinger vor die Augen.

Ich wusste nicht, was er damit wollte. Doch ich ahnte, wie es sich gleich nachher herausstellte, mit Recht einen Schneider in ihm und sagte jedenfalls Nein.

Was bist du denn? forschte er weiter.

Expedient, Schreiber.

Und warum bist du auf der Walze ? Sage mal -- damit r?ckte er vertraulich an mich heran --, es ist wohl nicht ganz richtig mit dir? Mir kannst du es schon erz?hlen. Du siehst noch so anst?ndig aus, du bist wohl durchgebrannt?

Nein, sagte ich sehr einsilbig.

Oder kommst du vom Zuchthause?...

Das war ein sch?ner Anfang. Doch durfte ich mein Schneiderlein nicht fahren lassen. Ich wurde zun?chst grob.

Dummer Kerl, glaubst du mir nicht, was ich dir erz?hle? erwiderte ich, das allgemein gebr?uchliche Du, das mir bald ganz gel?ufig war, ihm zur?ckgebend. Ich bin ein Expedient und habe zuletzt fast zwei Jahre lang bei einem Pastor gearbeitet, der eine christliche Zeitung herausgiebt. Ich w?re auch noch dort; aber ich bekam von dem Korrekturenlesen und von n?chtlicher Privatarbeit schwache Augen. Der Doktor verbot mir, sie diesen Sommer ?ber nur im geringsten anzustrengen. Aber so lange zu bummeln, geht nicht; zu Hause zur Last liegen will man auch nicht. So bin ich hierher gekommen, um mir unterdessen in einer Fabrik etwas Verdienst zu suchen. Da brauche ich -- setzte ich hinzu -- doch die Augen auch nicht viel mehr aufzumachen, als wenn ich faulenze und immer spazieren gehe.

Zur Bekr?ftigung dessen zog ich ein Arbeitszeugnis hervor, das mir der Herausgeber der bekannten ,,Christlichen Welt," in deren Redaktion ich fast zwei Jahre lang als Hilfsarbeiter besch?ftigt war, f?r alle Notf?lle ausgestellt hatte, laut dessen ich so und so lange bei ihm in der Redaktion als Schreiber und Expedient gearbeitet h?tte.

Das wirkte. Mein Schneiderlein bekam Mitleid mit mir.

Ich habe jenes Zeugnis nur noch einmal zu gebrauchen n?tig gehabt. Auch in der Fabrik glaubte man meiner blossen Erz?hlung und schob allerhand Kenntnisse, die man trotz aller Gegenbem?hungen meinerseits doch bei mir entdeckte, auf die n?chtlichen Studien -- wie ich das ja auch gew?nscht hatte. Dennoch hat es mich immer eine grosse sittliche ?berwindung gekostet, wenn ich meinen Arbeitsgenossen schon diese Geschichte vorl?gen musste, und ich benutze diese Gelegenheit, um ihnen auch an dieser Stelle ?ffentlich daf?r Abbitte zu leisten. Ich habe vorher lange nach einem andern Wege gesucht, aber kein besseres Mittel gefunden, um +unerkannt+ unter ihnen sein zu k?nnen. Das war aber die erste Bedingung, wenn ich mein Ziel nur ann?hernd erreichen wollte.

Meine Bekanntschaft mit dem Schneider, der etwa vierzig Jahre alt sein mochte, wurde mir sehr wertvoll. Wir waren schnell gut Freund und bei einem Glase Bier in eifrigem Gespr?ch. Bald sassen auch jene andern drei, ein Maurer, ein Steinmetz und ein Ziegelstreicher, mit an unserm Tische.

Der Schneider f?hrte das Wort. Er sah ein wenig g?nnerhaft, mit v?terlichem Bedauern auf die arme Schreiberseele herab.

Ja, wir Schneider, rief er, wir sind doch viel besser dran als ihr Schreiber. Wir wissen wenigstens, was wir gelernt haben. Ein Schneider, der einen Rock machen kann, kommt immer durch.

Auch er war augenblicklich ohne Arbeit. Er hatte erst gestern bei seinem Meister aufgeh?rt. Ungern, wie er sagte; denn er ginge nicht leicht von einem Meister fort, bei dem er sich einmal eingearbeitet h?tte.

Aber siehst du, Schreiber, meinte er, der Mann war ein S?ufer. Und wenn das ein Meister ist, ist er verloren, und es geht mit ihm abw?rts. So wars auch bei diesem, und das Elend in einer solchen Familie kann ich nicht mit ansehen.

Er war ein seelensguter Mensch, aber total verworren. Er erz?hlte jedem ganz ernsthaft das tollste Zeug, ohne dass man ihn dazu besonders veranlasste.

Wer an Gott nicht mehr glaubt, ist verloren, war sein drittes Wort. Der alte Fritz h?tte gesagt: Jesus lieb haben, w?re mehr wert denn vieles Wissen. Und der h?tte Recht gehabt. Sonst aber w?ssten wir nichts. Nur die Natur ist uns bekannt. Dann redete er zwischen seine Handwerkserinnerungen hinein pl?tzlich einmal von Darwin.

Was der sagt, dass wir von den Affen abstammen, ist albern. Affe bleibt Affe.

Nee, wir stammen von Affen, schrie nun wieder ein Betrunkener, ein Stammgast der Herberge, der inzwischen hereingewankt war und sich auf eine h?lzerne Bank in der andern Ecke schlafen gelegt hatte.

Die drei andern h?rten dem allen ruhig zu, lachten sich eins und machten sich ihre eignen Gedanken.

Ich fragte sie, was sie wohl d?chten, ob ich zu jetziger Zeit in Chemnitz Arbeit +in einer Fabrik+ bekommen k?nnte. Sie hielten das f?r wohl m?glich, der Schneider jedoch nicht, und mit Recht, wie es sich hernach zeigte. Er riet mir vielmehr, in das Zwickauer Kohlenrevier zu gehen und unter der Erde Arbeit zu suchen.

Das thun viele, die keine Arbeit hier bekommen, sagte er sehr bezeichnend. Aber freilich ist es kein Zuckerlecken. Es ist der letzte Ausweg, aber besser als Hungern.

Er schlug mir vor, morgen mit einander ins Vogtland hinein zu wandern. Jedoch gegen drei Uhr nachmittags ging er pl?tzlich weg und ward nicht mehr gesehen.

Ich vermisste ihn nicht mehr zu sehr. Ich hatte nun schon neue Freunde, zu denen ich mich hielt. Vor allem den Maurer und den Steinmetz, zwei kluge, stille und anst?ndige Menschen, ohne jede Spur von der Roheit, die man so gern f?r den Arbeitertypus h?lt. Durch sie vor allem wurde ich auch mit den andern schnell bekannt und rasch in der ganzen Herberge heimisch.

Ich lernte bald drei bestimmte Klassen von Herbergsbesuchern unterscheiden. Die erste, wohl zahlreichste sind die jungen, siebzehn-, achtzehnj?hrigen Gesellen, die eben ausgelernt haben und sich gew?hnlich auf ihrer ersten Wanderschaft befinden. Sie sind mit Kleidung gut ausgestattet, meist auch mit Geld hinreichend versehen, kommen erst am Sp?tnachmittag in kleinen Trupps an, halten sich still und sch?chtern von den ?brigen zur?ck und bringen mit wenig Ausnahmen immer nur einen Abend und eine Nacht auf der Herberge zu.

Die zweite Kategorie setzt sich aus den eigentlichen ,,Kunden," den Bummlern von Profession zusammen. Sie sind im Durchschnitt nicht unter dreissig und oft ?ber f?nfzig Jahre alt, S?ufer und vielfach Stammg?ste einer oder mehrerer Chemnitzer Herbergen. Sie haben ganz bestimmte Reviere, die sie ,,abkloppen" und dabei besonders die immer wieder freigebigen Geistlichen und Lehrer auf dem Lande mitnehmen, ?ber deren Gutm?tigkeit sie sich dann in der Herberge lustig machen. Mitunter arbeiten sie auch einmal halbe und ganze Tage: laden Steine ab, sp?len Flaschen, tragen Kohlen ein u. s. f. Ich arbeite h?chstens zwei Tage in der Woche, sagte einmal einer in einer andern, der verrufenen Maurerherberge, das ist genug und langt zum Leben. Die andern Tage lasse ich andre arbeiten. Ein Teil von ihnen stand bei dem Vorsteher der Herberge, dem ,,Vater," sichtlich gut.

Zwischen diese beiden ausgepr?gten Klassen schiebt sich die dritte. Sie rekrutiert sich meist aus zwanzig- bis dreissigj?hrigen, kraftvollen Gestalten, die schon weit in der Welt herumgekommen sind, vielfach etwas Ordentliches gelernt haben und augenblicklich freiwillig oder unfreiwillig arbeitslos sind. Dehnt sich diese Arbeitslosigkeit lange aus, so stehen sie in der gr?ssten Gefahr, zu gewohnheitsm?ssigen Bummlern herabzusinken, und sind dann der Gesellschaft meist f?r immer verloren. Ein besonders hervortretender Charakterzug an ihnen, wenigstens an denen, die mir begegneten, ist eine unersch?tterliche Ruhe und Sicherheit und grosse Erfahrung.

Sonst sind am Orte in Arbeit stehende junge Leute, namentlich die h?ufig blau machen und ihre Arbeitsst?tten oft wechseln, auf Stunden G?ste der Herberge, ohne sich jedoch mit den Wandernden besonders abzugeben. Sie hielten sich denn auch meist im vordern, reservierten, bessern Zimmer auf und wurden vom Herbergsvater gern gesehen.

?ber acht Tage lang habe ich mich in dieser Zentralherberge herumgetrieben, meist auch die N?chte hier zugebracht, f?r mich f?rchterliche N?chte in dem gemeinsamen Schlafraume mit schmutzigen, stinkenden Betten, Stickluft und vielem Ungeziefer. Auch in der Herberge zur Heimat ?bernachtete ich einmal; aber ich schlief auch nicht besser als dort. Doch ist seitdem ein andrer Hausvater eingezogen.

In der Zentralherberge pflegte uns ein junger Mensch abteilungsweise zu Bette zu bringen, hager, bleich, bartlos, in sch?biger modischer Kleidung, mit ungek?mmtem Haar und einem Klemmer auf der Nase. Er redete nicht mit den Herbergsg?sten, gab eine Art Hausknecht ab, putzte das Essgeschirr und hing morgens die Betten zum Ausd?nsten an die Luft. Man sagte, dass es ein fr?herer Handlungskommis w?re. Er machte einen uns?glich traurigen Eindruck; leider war er auch mir unzug?nglich.

Deutliche sozialdemokratische Regungen habe ich unter dieser Wanderbev?lkerung, wie auch erkl?rlich, bis auf einen Vorfall nicht wahrgenommen. Das war, als einer ein aus der Chemnitzer sozialdemokratischen ,,Presse" fr?her einmal von ihm ausgeschriebenes Gedicht ?ber die Maurer zum Gaudium aller und unter Neckereien des Maurers vorlas. Drei bis vier Mann schrieben es sich hernach ab.

Aber mein Herbergsaufenthalt war doch nur Mittel zum Zweck. Einen Teil jedes Tages benutzte ich darum, um, vielfach in Gesellschaft eines Westfalen, Arbeit in einer Fabrik zu suchen. Wir bekamen sie nirgends. ?berall fanden eher Entlassungen als Neueinstellungen von Arbeitern statt. Die MacKinley-Bill warf schon damals ihre Schatten voraus. Ausserhalb der Fabrik war auch f?r den g?nzlich Fremden eher Arbeit zu finden. So konnte ich sofort bei einem Brunnenmeister antreten. Aber das war nicht mein Wille. Ich musste, um meine Absicht auszuf?hren, in eine gr?ssere Fabrik.

So blieb nichts ?brig, als mich doch einem Fabrikanten zu entdecken. Gleich die ersten, die ich anging, die Direktoren einer grossen Maschinenfabrik, waren auf das Uneigenn?tzigste bereit, meinen Wunsch zu erf?llen. Ich wurde als gew?hnlicher Handarbeiter eingestellt. Ausser den beiden Herren, die mir strengste Verschwiegenheit zusicherten und ihr Versprechen treulich gehalten haben, wusste niemand sonst in der Fabrik, wer ich war. Auch sie behandelten mich, meiner Bitte gem?ss, wie jeden andern Arbeiter.

Es ist hier der Ort, meine ehemaligen Arbeitsgenossen ?ber die ihnen vielleicht auftauchende Besorgnis zu beruhigen, dass ich den Herren meine t?glichen Beobachtungen in der Fabrik etwa mitgeteilt haben und ihr Zutr?ger gewesen sein k?nnte. Es war jedoch gleich bei meinem Eintritt in die Fabrik zwischen uns als selbstverst?ndlich vereinbart worden, dass dies nicht geschehen d?rfte. Zum Beweis, wie g?nzlich unm?glich dies ?berhaupt war, f?hre ich an, dass ich nach meiner Einstellung nur noch einmal mit den Herren l?ngere Zeit gesprochen habe. Das war, als ich mich von ihnen verabschiedete. Auch da haben wir uns nur ?ber Arbeiterverh?ltnisse im allgemeinen unterhalten.

Ich wurde in der Abteilung f?r Werkzeugmaschinenbau besch?ftigt und war einer Kolonne von f?nf Handarbeitern zugeteilt, die ?berall da zugreifen mussten, wo Not am Manne war. Dadurch sah ich mich, was ?usserst wertvoll f?r mich wurde, nicht an einen bestimmten Platz gefesselt, sondern hatte volle Bewegungsfreiheit und stets Gelegenheit, mich fast jedem der Hundertzwanzig mehr oder weniger zu n?hern.

Es war schwere, mir ungewohnte Arbeit, die wir zu verrichten hatten. Da mussten eben aus der Giesserei gekommene Eisenteile der verschiedensten Form und Gr?sse und oft viele Zentner schwer abgeladen, gewogen und zu den einzelnen Arbeitern sowie wieder zwischen diesen hin und her transportiert werden, je nachdem sie gerade zu bearbeiten waren. Dann hiess es ganze schwere Maschinen mittelst Krahnes und Walzen zum und vom Probiersaale schaffen, Maschinen aus einander nehmen helfen, ihre einzelnen beim Probieren ?lig und schmierig gewordenen Teile wieder reinigen; dann wieder Kohlen holen, Eisensp?ne wegfahren, diese und jene Bestellung machen. Mitunter wurde man auch aushilfsweise in der Schlosserei verwendet und hatte z. B. in starke Eisenteile L?cher von verschiedener Tiefe zu bohren. Wenn ich so in der ersten Zeit t?glich fast elf Stunden mit der Handbohrmaschine, oft in der ungem?tlichsten Haltung, liegend oder geb?ckt oder auf einer Leiter stehend gebohrt hatte, vermochte ich manchmal des Abends vor Schmerzen in den Armen kaum einzuschlafen.

Wir waren mit einem Worte die Diener f?r alle, auf jeden Wink, jedes Pst gew?rtig. Selbst kleine Schlosserlehrlinge beehrten den Handarbeiter, freilich meist unter Protest der ?ltern, mit Auftr?gen. H?ufig ging es von einem schweren Dienst zum andern; dann kostete es mich alle Kraft, hier auszuhalten. Heute bin ich froh, es durchgesetzt zu haben. Ich habe damit bewiesen, dass mein ganzes Unternehmen keine blosse Spielerei und Abenteuerei, sondern bitterer Ernst f?r mich war.

Aber es kamen auch bessere Zeiten: Stunden, halbe und ganze Tage, wo es nicht viel oder nur leichte Arbeit gab. Solche Zeit wurde von mir stets doppelt fleissig zum Verkehr mit meinen Arbeitsgenossen ausgenutzt. Dann ging ich von dem einen zum andern, und w?hrend dessen Maschine rasselte, lenkte ich unser Gespr?ch von dem zu jenem Gegenstande, wor?ber ich gern sein Urteil haben wollte. Oder ich h?rte einfach zu, wo sich eine Gruppe gebildet hatte und sich eifrig ?ber allerhand Fragen unterhielt, sich neckte oder stritt. Wenn ich einem oft eine Stunde lang etwa eine eiserne Welle oder einen Hebel halten oder sonstwie zur Hand sein musste, so war das f?r mich stets erw?nschte Gelegenheit, seine Gesinnung, seine Ansichten zu h?ren. Ja fast jede gemeinsame Arbeit, jede Handreichung bot so g?nstigen Anlass zu interessanten Studien. Ich machte aus meiner religi?sen ?berzeugung kein Hehl, und das rief den Widerspruch hervor. Ich liess erkennen, dass ich ?ber manches nachgelesen und nachgedacht hatte, und das wurde f?r viele die Ursache, die verschiedensten und mitunter wunderlichsten Fragen an mich zu richten. Bald hiess ich der ,,Doktor," der ,,Professor." Einer meinte, an mir w?re ein Pastor verloren, ein andrer hielt mich f?r einen heruntergekommenen Studenten, ein dritter machte mir Aussicht, einmal Reichstagsabgeordneter zu werden. Dass irgendwem eine richtige Ahnung von meiner Person und meinen Pl?nen aufgegangen ist, glaube ich trotz alledem nicht, habe jedenfalls keinen Anhalt daf?r, es anzunehmen. Der Gedanke, dass ein Gebildeter selbst nur auf Zeit auf allen Komfort, seinen Beruf und seine immerhin hohe Lebensstellung freiwillig und um ihretwillen verzichten k?nnte, kam den Leuten nicht, war f?r sie wohl einfach undenkbar.

Auch die kurze Fr?hst?ckspause, w?hrend deren man in Gruppen zusammensass, liess mich viele Einblicke thun. Die Stunde des Mittagsessens, das ich f?r geringen Preis in Arbeiterkneipen einnahm, f?hrte mich t?glich in nahen Verkehr mit den jungen unverheirateten Leuten meiner und andrer Fabriken. Auch die Abende verbrachte ich selten allein und daheim, h?ufig auf den Strassen unsers Arbeiterviertels, die um diese Zeit bei sch?nem Wetter von den Anwohnenden, gleichviel ob jung oder alt, zahlreich belebt zu sein pflegen, oder in den Sitzungen des sozialdemokratischen Wahlvereins, in denen ich nie fehlte, oder -- und dies je l?nger desto mehr -- in den Familien der Arbeiter, denen ich allm?hlich n?her gekommen war. Die Sonntage trafen mich entweder auf einem Ausfluge mit mehrern jungen Schlossern oder als Teilnehmer der dort sehr beliebten sozialdemokratischen Arbeiter- und Kinderfeste; am Sonntagsabende war ich st?ndiger Besucher der ?ffentlichen Tanzs?le, die ich fast nie vor Schluss, also vor Mitternacht verliess.

Nur die N?chte geh?rten mir. Ich hatte gleich nach meinen Herbergserlebnissen den Plan, mich als Schlafbursche in einer Arbeiterfamilie einzumieten, aufgegeben. Ich sah, dass es einfach ?ber meine Kr?fte gehen w?rde, nach so ungewohnter Tagesarbeit auch noch mehr oder weniger schlaflose N?chte durchzumachen. Auch brauchte ich die sp?ten Abendstunden sehr notwendig, um unbeobachtet die Eindr?cke des Tages kl?ren und meine Notizen machen zu k?nnen. So begn?gte ich mich damit, mir mitten in einer Arbeitervorstadt bei einer schlichten Familie ein kleines St?bchen zu mieten, das vor mir erst ein Schlosser, dann ein Kaufmann bewohnt hatte, von derselben ganz einfachen Art, wie sie junge Arbeiter auch sonst mitunter bewohnen.

Um aber den Schlafstellenjammer doch wenigstens etwas kennen zu lernen, verliess ich Mitte August die Fabrik und verwendete -- als Arbeitsloser -- die n?chste Zeit meist auf die Besichtigung von freistehenden Schlafstellen. Der t?gliche Wohnungsanzeiger des ,,Chemnitzer Tageblattes" wies mir die Wege. Eine D?te mit Zuckerzeug hatte ich auch stets in der Tasche, und wo immer ich Kinder traf, teilte ich daraus mit. Das ?ffnete mir Herz und Mund der M?tter und gestattete, dass ich mitunter ziemlich lange in einzelnen Familien zubrachte. So habe ich im ganzen doch etwa sechzig Schlafstellen wenigstens gr?ndlich +gesehen+. Ein Sozialdemokrat hat in einer ?ffentlichen Versammlung zu G?ttingen diese Methode, ,,das Schlafstellenwesen durch Mietsvorspiegelungen und Erregung irriger Hoffnungen zu rekognoszieren," als ,,unw?rdig" hingestellt. Ich erkl?re hiermit, dass es jedem frei steht, zur Vermietung angebotene Wohnungen sich anzusehen, und dass ich keine Familie bei meinem Weggang dar?ber im Unklaren gelassen habe, dass ich die betreffende Schlafstelle +nicht+ ann?hme.

Schliesslich packte ich abermals mein B?ndel und zog, wieder Handwerksbursche, von Chemnitz aus ins Vogtland hinein. Aber ich kam nicht mehr weit. Ich f?hlte, dass meine Elastizit?t zu Ende war. So brach ich, wohl allzu pl?tzlich, ab und kehrte Ende August nach Hause zur?ck.

Soviel zur Orientierung ?ber meine ?ussern Erlebnisse, ?ber den Weg, den ich bei diesen Untersuchungen ging. Nunmehr diese selbst und ihre Resultate.

Zweites Kapitel

Die materielle Lage meiner Arbeitsgenossen

Wir waren etwa f?nfhundert Mann in unsrer Fabrik besch?ftigt, denen allen ich selbstverst?ndlich nicht gleich nahe gekommen bin. In t?glicher intimer Ber?hrung war ich eigentlich nur mit 120 bis 150 Mann, von denen die meisten mit mir +einer+ Abteilung, dem Werkzeugmaschinenbau, angeh?rten. An diesen habe ich vornehmlich die Erfahrungen gemacht, die ich mitteile.

Unter ihnen wiederum war die ?berwiegende Mehrzahl Sachsen, soviel ich habe herausbekommen k?nnen, 70 bis 75 Prozent. Ich bitte, diese Thatsache f?r alle folgenden Er?rterungen im Auge zu behalten und meine Erfahrungen nicht, wider meinen Willen, unbesehen auch auf andere St?mme zu ?bertragen. Der Rest von 25 Prozent verteilte sich etwa auf 10 Prozent Norddeutsche, 5 Prozent S?ddeutsche, 10 Prozent ?sterreicher und einige Schweizer. Die hohe Ziffer der ?sterreicher erkl?rt sich leicht aus der N?he der s?chsisch-b?hmischen Grenze. ?brigens waren sie zumeist Deutschb?hmen und bereits in Sachsen naturalisiert. Unter den Sachsen ?berwog wieder das eingeborene Element, geborene Chemnitzer, oder aus der n?hern und weitern Umgebung der Stadt, oder wenigstens aus dem Erzgebirge und Vogtlande. Aus den ?brigen drei s?chsischen Kreisen war die Zahl der Eingewanderten verh?ltnism?ssig gering, kaum 15 bis 20 Prozent. Dagegen war das einheimische Element in der Chemnitzer Wirk- und Webindustrie viel st?rker als bei uns, im Gegensatz wieder zum Baugewerbe, wo die ?sterreicher, speziell die tschechischen Arbeiter, ein ?berraschend grosses Kontingent stellten.

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