Read Ebook: Nachtstücke by Hoffmann E T A Ernst Theodor Amadeus
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Ebook has 388 lines and 108805 words, and 8 pages
Edition: 10
Nachtst?cke
Erz?hlungen von E.T.A. Hoffmann
Erster Teil Der Sandmann Ignaz Denner Die Jesuitenkirche in G. Das Sanctus
Zweiter Teil Das ?de Haus Das Majorat Das Gel?bde Das steinerne Herz
Erster Teil
Der Sandmann
Nathanael an Lothar
Gewiss seid Ihr alle voll Unruhe, dass ich so lange - lange nicht geschrieben. Mutter z?rnt wohl, und Clara mag glauben, ich lebe hier in Saus und Braus und vergesse mein holdes Engelsbild, so tief mir in Herz und Sinn eingepr?gt, ganz und gar. - Dem ist aber nicht so; t?glich und st?ndlich gedenke ich Eurer aller und in s?ssen Tr?umen geht meines holden Cl?rchens freundliche Gestalt vor?ber und l?chelt mich mit ihren hellen Augen so anmutig an, wie sie wohl pflegte, wenn ich zu Euch hineintrat. - Ach wie vermochte ich denn Euch zu schreiben, in der zerrissenen Stimmung des Geistes, die mir bisher alle Gedanken verst?rte! - Etwas Entsetzliches ist in mein Leben getreten! - Dunkle Ahnungen eines gr?sslichen mir drohenden Geschicks breiten sich wie schwarze Wolkenschatten ?ber mich aus, undurchdringlich jedem freundlichen Sonnenstrahl. - Nun soll ich Dir sagen, was mir widerfuhr. Ich muss es, das sehe ich ein, aber nur es denkend, lacht es wie toll aus mir heraus. - Ach mein herzlieber Lothar! wie fange ich es denn an, Dich nur einigermassen empfinden zu lassen, dass das, was mir vor einigen Tagen geschah, denn wirklich mein Leben so feindlich zerst?ren konnte! W?rst Du nur hier, so k?nntest Du selbst schauen; aber jetzt h?ltst Du mich gewiss f?r einen aberwitzigen Geisterseher. - Kurz und gut, das Entsetzliche, was mir geschah, dessen t?dlichen Eindruck zu vermeiden ich mich vergebens bem?he, besteht in nichts anderm, als dass vor einigen Tagen, n?mlich am 30. Oktober mittags um 12 Uhr, ein Wetterglash?ndler in meine Stube trat und mir seine Ware anbot. Ich kaufte nichts und drohte, ihn die Treppe herabzuwerfen, worauf er aber von selbst fortging.
Du ahnest, dass nur ganz eigne, tief in mein Leben eingreifende Beziehungen diesem Vorfall Bedeutung geben k?nnen, ja, dass wohl die Person jenes ungl?ckseligen Kr?mers gar feindlich auf mich wirken muss. So ist es in der Tat. Mit aller Kraft fasse ich mich zusammen, um ruhig und geduldig Dir aus meiner fr?hern Jugendzeit so viel zu erz?hlen, dass Deinem regen Sinn alles klar und deutlich in leuchtenden Bildern aufgehen wird. Indem ich anfangen will, h?re ich Dich lachen und Clara sagen: >>Das sind ja rechte Kindereien!<< - Lacht, ich bitte Euch, lacht mich recht herzlich aus! - ich bitt Euch sehr! - Aber Gott im Himmel! die Haare str?uben sich mir und es ist, als flehe ich Euch an, mich auszulachen, in wahnsinniger Verzweiflung, wie Franz Moor den Daniel. - Nun fort zur Sache!
Ausser dem Mittagsessen sahen wir, ich und mein Geschwister, tag?ber den Vater wenig. Er mochte mit seinem Dienst viel besch?ftigt sein. Nach dem Abendessen, das alter Sitte gem?ss schon um sieben Uhr aufgetragen wurde, gingen wir alle, die Mutter mit uns, in des Vaters Arbeitszimmer und setzten uns um einen runden Tisch. Der Vater rauchte Tabak und trank ein grosses Glas Bier dazu. Oft erz?hlte er uns viele wunderbare Geschichten und geriet dar?ber so in Eifer, dass ihm die Pfeife immer ausging, die ich, ihm brennend Papier hinhaltend, wieder anz?nden musste, welches mir denn ein Hauptspass war. Oft gab er uns aber Bilderb?cher in die H?nde, sass stumm und starr in seinem Lehnstuhl und blies starke Dampfwolken von sich, dass wir alle wie im Nebel schwammen. An solchen Abenden war die Mutter sehr traurig und kaum schlug die Uhr neun, so sprach sie: >>Nun Kinder! - zu Bette! zu Bette! der Sandmann kommt, ich merk es schon.<< Wirklich h?rte ich dann jedesmal etwas schweren langsamen Tritts die Treppe heraufpoltern; das musste der Sandmann sein. Einmal war mir jenes dumpfe Treten und Poltern besonders graulich; ich frug die Mutter, indem sie uns fortf?hrte: >>Ei Mama! wer ist denn der b?se Sandmann, der uns immer von Papa forttreibt? - wie sieht er denn aus?<< - >>Es gibt keinen Sandmann, mein liebes Kind<<, erwiderte die Mutter: >>wenn ich sage, der Sandmann kommt, so will das nur heissen, ihr seid schl?frig und k?nnt die Augen nicht offen behalten, als h?tte man euch Sand hineingestreut.<< - Der Mutter Antwort befriedigte mich nicht, ja in meinem kindischen Gem?t entfaltete sich deutlich der Gedanke, dass die Mutter den Sandmann nur verleugne, damit wir uns vor ihm nicht f?rchten sollten, ich h?rte ihn ja immer die Treppe heraufkommen. Voll Neugierde, N?heres von diesem Sandmann und seiner Beziehung auf uns Kinder zu erfahren, frug ich endlich die alte Frau, die meine j?ngste Schwester wartete: was denn das f?r ein Mann sei, der Sandmann? >>Ei Thanelchen<<, erwiderte diese, >>weisst du das noch nicht? Das ist ein b?ser Mann, der kommt zu den Kindern, wenn sie nicht zu Bett gehen wollen und wirft ihnen H?ndevoll Sand in die Augen, dass sie blutig zum Kopf herausspringen, die wirft er dann in den Sack und tr?gt sie in den Halbmond zur Atzung f?r seine Kinderchen; die sitzen dort im Nest und haben krumme Schn?bel, wie die Eulen, damit picken sie der unartigen Menschenkindlein Augen auf.<< - Gr?sslich malte sich nun im Innern mir das Bild des grausamen Sandmanns aus; sowie es abends die Treppe heraufpolterte, zitterte ich vor Angst und Entsetzen. Nichts als den unter Tr?nen hergestotterten Ruf. >>Der Sandmann! der Sandmann! << konnte die Mutter aus mir herausbringen. Ich lief darauf in das Schlafzimmer, und wohl die ganze Nacht ?ber qu?lte mich die f?rchterliche Erscheinung des Sandmanns. - Schon alt genug war ich geworden, um einzusehen, dass das mit dem Sandmann und seinem Kindernest im Halbmonde, so wie es mir die Wartefrau erz?hlt hatte, wohl nicht ganz seine Richtigkeit haben k?nne; indessen blieb mir der Sandmann ein f?rchterliches Gespenst, und Grauen - Entsetzen ergriff mich, wenn ich ihn nicht allein die Treppe heraufkommen, sondern auch meines Vaters Stubent?r heftig aufreissen und hineintreten h?rte. Manchmal blieb er lange weg, dann kam er ?fter hintereinander. Jahrelang dauerte das, und nicht gew?hnen konnte ich mich an den unheimlichen Spuk, nicht bleicher wurde in mir das Bild des grausigen Sandmanns. Sein Umgang mit dem Vater fing an meine Fantasie immer mehr und mehr zu besch?ftigen: den Vater darum zu befragen hielt mich eine un?berwindliche Scheu zur?ck, aber selbst - selbst das Geheimnis zu erforschen, den fabelhaften Sandmann zu sehen, dazu keimte mit den Jahren immer mehr die Lust in mir empor. Der Sandmann hatte mich auf die Bahn des Wunderbaren, Abenteuerlichen gebracht, das so schon leicht im kindlichen Gem?t sich einnistet. Nichts war mir lieber, als schauerliche Geschichten von Kobolten, Hexen, D?umlingen usw. zu h?ren oder zu lesen; aber obenan stand immer der Sandmann, den ich in den seltsamsten, abscheulichsten Gestalten ?berall auf Tische, Schr?nke und W?nde mit Kreide, Kohle, hinzeichnete. Als ich zehn Jahre alt geworden, wies mich die Mutter aus der Kinderstube in ein K?mmerchen, das auf dem Korridor unfern von meines Vaters Zimmer lag. Noch immer mussten wir uns, wenn auf den Schlag neun Uhr sich jener Unbekannte im Hause h?ren liess, schnell entfernen. In meinem K?mmerchen vernahm ich, wie er bei dem Vater hineintrat und bald darauf war es mir dann, als verbreite sich im Hause ein feiner seltsam riechender Dampf. Immer h?her mit der Neugierde wuchs der Mut, auf irgend eine Weise des Sandmanns Bekanntschaft zu machen. Oft schlich ich schnell aus dem K?mmerchen auf den Korridor, wenn die Mutter vor?bergegangen, aber nichts konnte ich erlauschen, denn immer war der Sandmann schon zur T?re hinein, wenn ich den Platz erreicht hatte, wo er mir sichtbar werden musste. Endlich von unwiderstehlichem Drange getrieben, beschloss ich, im Zimmer des Vaters selbst mich zu verbergen und den Sandmann zu erwarten.
An des Vaters Schweigen, an der Mutter Traurigkeit merkte ich eines Abends, dass der Sandmann kommen werde; ich sch?tzte daher grosse M?digkeit vor, verliess schon vor neun Uhr das Zimmer und verbarg mich dicht neben der T?re in einen Schlupfwinkel. Die Haust?r knarrte, durch den Flur ging es, langsamen, schweren, dr?hnenden Schrittes nach der Treppe. Die Mutter eilte mit dem Geschwister mir vor?ber. Leise - leise ?ffnete ich des Vaters Stubent?r. Er sass, wie gew?hnlich, stumm und starr den R?cken der T?re zugekehrt, er bemerkte mich nicht, schnell war ich hinein und hinter der Gardine, die einem gleich neben der T?re stehenden offnen Schrank, worin meines Vaters Kleider hingen, vorgezogen war. - N?her - immer n?her dr?hnten die Tritte - es hustete und scharrte und brummte seltsam draussen. Das Herz bebte mir vor Angst und Erwartung. - Dicht, dicht vor der T?re ein scharfer Tritt - ein heftiger Schlag auf die Klinke, die T?r springt rasselnd auf! - Mit Gewalt mich ermannend gucke ich behutsam hervor. Der Sandmann steht mitten in der Stube vor meinem Vater, der helle Schein der Lichter brennt ihm ins Gesicht! - Der Sandmann, der f?rchterliche Sandmann ist der alte Advokat Coppelius, der manchmal bei uns zu Mittage isst!
Aber die gr?sslichste Gestalt h?tte mir nicht tieferes Entsetzen erregen k?nnen, als eben dieser Coppelius. - Denke Dir einen grossen breitschultrigen Mann mit einem unf?rmlich dicken Kopf, erdgelbem Gesicht, buschigten grauen Augenbrauen, unter denen ein Paar gr?nliche Katzenaugen stechend hervorfunkeln, grosser, starker ?ber die Oberlippe gezogener Nase. Das schiefe Maul verzieht sich oft zum h?mischen Lachen; dann werden auf den Backen ein paar dunkelrote Flecke sichtbar und ein seltsam zischender Ton f?hrt durch die zusammengekniffenen Z?hne. Coppelius erschien immer in einem altmodisch zugeschnittenen aschgrauen Rocke, eben solcher Weste und gleichen Beinkleidern, aber dazu schwarze Str?mpfe und Schuhe mit kleinen Steinschnallen. Die kleine Per?cke reichte kaum bis ?ber den Kopfwirbel heraus, die Kleblocken standen hoch ?ber den grossen roten Ohren und ein breiter verschlossener Haarbeutel starrte von dem Nacken weg, so dass man die silberne Schnalle sah, die die gef?ltelte Halsbinde schloss. Die ganze Figur war ?berhaupt widrig und abscheulich; aber vor allem waren uns Kindern seine grossen knotigten, haarigten F?uste zuwider, so dass wir, was er damit ber?hrte, nicht mehr mochten. Das hatte er bemerkt und nun war es seine Freude, irgend ein St?ckchen Kuchen, oder eine s?sse Frucht, die uns die gute Mutter heimlich auf den Teller gelegt, unter diesem, oder jenem Vorwande zu ber?hren, dass wir, helle Tr?nen in den Augen, die N?scherei, der wir uns erfreuen sollten, nicht mehr geniessen mochten vor Ekel und Abscheu. Ebenso machte er es, wenn uns an Feiertagen der Vater ein klein Gl?schen s?ssen Weins eingeschenkt hatte. Dann fuhr er schnell mit der Faust her?ber, oder brachte wohl gar das Glas an die blauen Lippen und lachte recht teuflisch, wenn wir unsern ?rger nur leise schluchzend ?ussern durften. Er pflegte uns nur immer die kleinen Bestien zu nennen; wir durften, war er zugegen, keinen Laut von uns geben und verw?nschten den h?sslichen, feindlichen Mann, der uns recht mit Bedacht und Absicht auch die kleinste Freude verdarb. Die Mutter schien ebenso, wie wir, den widerw?rtigen Coppelius zu hassen; denn so wie er sich zeigte, war ihr Frohsinn, ihr heiteres unbefangenes Wesen umgewandelt in traurigen, d?stern Ernst. Der Vater betrug sich gegen ihn, als sei er ein h?heres Wesen, dessen Unarten man dulden und das man auf jede Weise bei guter Laune erhalten m?sse. Er durfte nur leise andeuten und Lieblingsgerichte wurden gekocht und seltene Weine kredenzt.
Als ich nun diesen Coppelius sah, ging es grausig und entsetzlich in meiner Seele auf, dass ja niemand anders, als er, der Sandmann sein k?nne, aber der Sandmann war mir nicht mehr jener Popanz aus dem Ammenm?rchen, der dem Eulennest im Halbmonde Kinderaugen zur Atzung holt - nein! - ein h?sslicher gespenstischer Unhold, der ?berall, wo er einschreitet, Jammer - Not - zeitliches, ewiges Verderben bringt.
Ich war fest gezaubert. Auf die Gefahr entdeckt, und, wie ich deutlich dachte, hart gestraft zu werden, blieb ich stehen, den Kopf lauschend durch die Gardine hervorgestreckt. Mein Vater empfing den Coppelius feierlich. >>Auf! - zum Werk<<, rief dieser mit heiserer, schnurrender Stimme und warf den Rock ab. Der Vater zog still und finster seinen Schlafrock aus und beide kleideten sich in lange schwarze Kittel. Wo sie die hernahmen, hatte ich ?bersehen. Der Vater ?ffnete die Fl?gelt?r eines Wandschranks; aber ich sah, dass das, was ich solange daf?r gehalten, kein Wandschrank, sondern vielmehr eine schwarze H?hlung war, in der ein kleiner Herd stand. Coppelius trat hinzu und eine blaue Flamme knisterte auf dem Herde empor. Allerlei seltsames Ger?te stand umher. Ach Gott! - wie sich nun mein alter Vater zum Feuer herabb?ckte, da sah er ganz anders aus. Ein gr?sslicher krampfhafter Schmerz schien seine sanften ehrlichen Z?ge zum h?sslichen widerw?rtigen Teufelsbilde verzogen zu haben. Er sah dem Coppelius ?hnlich. Dieser schwang die glutrote Zange und holte damit hellblinkende Massen aus dem dicken Qualm, die er dann emsig h?mmerte. Mir war es als w?rden Menschengesichter ringsumher sichtbar, aber ohne Augen - scheussliche, tiefe schwarze H?hlen statt ihrer. >>Augen her, Augen her!<< rief Coppelius mit dumpfer dr?hnender Stimme. Ich kreischte auf von wildem Entsetzen gewaltig erfasst und st?rzte aus meinem Versteck heraus auf den Boden. Da ergriff mich Coppelius, >>kleine Bestie! - kleine Bestie!<< meckerte er z?hnfletschend! - riss mich auf und warf mich auf den Herd, dass die Flamme mein Haar zu sengen begann: >>Nun haben wir Augen - Augen - ein sch?n Paar Kinderaugen.<< So fl?sterte Coppelius, und griff mit den F?usten glutrote K?rner aus der Flamme, die er mir in die Augen streuen wollte. Da hob mein Vater flehend die H?nde empor und rief. >>Meister! Meister! lass meinem Nathanael die Augen - lass sie ihm!<< Coppelius lachte gellend auf und rief. >>Mag denn der Junge die Augen behalten und sein Pensum flennen in der Welt; aber nun wollen wir doch den Mechanismus der H?nde und der F?sse recht observieren.<< Und damit fasste er mich gewaltig, dass die Gelenke knackten, und schrob mir die H?nde ab und die F?sse und setzte sie bald hier, bald dort wieder ein. >>'s steht doch ?berall nicht recht! 's gut so wie es war! - Der Alte hat's verstanden!<< So zischte und lispelte Coppelius; aber alles um mich her wurde schwarz und finster, ein j?her Krampf durchzuckte Nerv und Gebein - ich f?hlte nichts mehr. Ein sanfter warmer Hauch glitt ?ber mein Gesicht, ich erwachte wie aus dem Todesschlaf, die Mutter hatte sich ?ber mich hingebeugt. >>Ist der Sandmann noch da?<< stammelte ich. >>Nein, mein liebes Kind, der ist lange, lange fort, der tut dir keinen Schaden!<< - So sprach die Mutter und k?sste und herzte den wiedergewonnenen Liebling.
Was soll ich Dich erm?den, mein herzlieber Lothar! was soll ich so weitl?ufig einzelnes hererz?hlen, da noch so vieles zu sagen ?brig bleibt? Genug! - ich war bei der Lauscherei entdeckt, und von Coppelius gemisshandelt worden. Angst und Schrecken hatten mir ein hitziges Fieber zugezogen, an dem ich mehrere Wochen krank lag. >>Ist der Sandmann noch da?<< - Das war mein erstes gesundes Wort und das Zeichen meiner Genesung, meiner Rettung. - Nur noch den schrecklichsten Moment meiner Jugendjahre darf ich Dir erz?hlen; dann wirst Du ?berzeugt sein, dass es nicht meiner Augen Bl?digkeit ist, wenn mir nun alles farblos erscheint, sondern, dass ein dunkles Verh?ngnis wirklich einen tr?ben Wolkenschleier ?ber mein Leben geh?ngt hat, den ich vielleicht nur sterbend zerreisse.
Coppelius liess sich nicht mehr sehen, es hiess, er habe die Stadt verlassen.
Ein Jahr mochte vergangen sein, als wir der alten unver?nderten Sitte gem?ss abends an dem runden Tische sassen. Der Vater war sehr heiter und erz?hlte viel Erg?tzliches von den Reisen, die er in seiner Jugend gemacht. Da h?rten wir, als es neune schlug, pl?tzlich die Haust?r in den Angeln knarren und langsame eisenschwere Schritte dr?hnten durch den Hausflur die Treppe herauf. >>Das ist Coppelius<<, sagte meine Mutter erblassend. >>Ja! - es ist Coppelius<<, wiederholte der Vater mit matter gebrochener Stimme. Die Tr?nen st?rzten der Mutter aus den Augen. >>Aber Vater, Vater!<< rief sie, >>muss es denn so sein?<< - >>Zum letzten Male!<< erwiderte dieser, >>zum letzten Male kommt er zu mir, ich verspreche es dir. Geh nur, geh mit den Kindern! - Geht - geht zu Bette! Gute Nacht!<<
Mir war es, als sei ich in schweren kalten Stein eingepresst - mein Atem stockte! - Die Mutter ergriff mich beim Arm als ich unbeweglich stehen blieb: >>Komm Nathanael, komme nur!<< Ich liess mich fortf?hren, ich trat in meine Kammer. >>Sei ruhig, sei ruhig, lege dich ins Bette! - schlafe - schlafe<<, rief mir die Mutter nach; aber von unbeschreiblicher innerer Angst und Unruhe gequ?lt, konnte ich kein Auge zutun. Der verhasste abscheuliche Coppelius stand vor mir mit funkelnden Augen und lachte mich h?misch an, vergebens trachtete ich sein Bild los zu werden. Es mochte wohl schon Mitternacht sein, als ein entsetzlicher Schlag geschah, wie wenn ein Gesch?tz losgefeuert w?rde. Das ganze Haus erdr?hnte, es rasselte und rauschte bei meiner T?re vor?ber, die Haust?re wurde klirrend zugeworfen. >>Das ist Coppelius!<< rief ich entsetzt und sprang aus dem Bette. Da kreischte es auf in schneidendem trostlosen Jammer, fort st?rzte ich nach des Vaters Zimmer, die T?re stand offen, erstickender Dampf quoll mir entgegen, das Dienstm?dchen schrie: >>Ach, der Herr! - der Herr!<< - Vor dem dampfenden Herde auf dem Boden lag mein Vater tot mit schwarz verbranntem gr?sslich verzerrtem Gesicht, um ihn herum heulten und winselten die Schwestern - die Mutter ohnm?chtig daneben! - >>Coppelius, verruchter Satan, du hast den Vater erschlagen!<< - So schrie ich auf, mir vergingen die Sinne. Als man zwei Tage darauf meinen Vater in den Sarg legte, waren seine Gesichtsz?ge wieder mild und sanft geworden, wie sie im Leben waren. Tr?stend ging es in meiner Seele auf, dass sein Bund mit dem teuflischen Coppelius ihn nicht ins ewige Verderben gest?rzt haben k?nne.
Die Explosion hatte die Nachbarn geweckt, der Vorfall wurde ruchtbar und kam vor die Obrigkeit, welche den Coppelius zur Verantwortung vorfordern wollte. Der war aber spurlos vom Orte verschwunden.
Wenn ich Dir nun sage, mein herzlieber Freund! dass jener Wetterglash?ndler eben der verruchte Coppelius war, so wirst Du mir es nicht verargen, dass ich die feindliche Erscheinung als schweres Unheil bringend deute. Er war anders gekleidet, aber Coppelius' Figur und Gesichtsz?ge sind zu tief in mein Innerstes eingepr?gt, als dass hier ein Irrtum m?glich sein sollte. Zudem hat Coppelius nicht einmal seinen Namen ge?ndert. Er gibt sich hier, wie ich h?re, f?r einen piemontesischen Mechanikus aus, und nennt sich Giuseppe Coppola.
Ich bin entschlossen es mit ihm aufzunehmen und des Vaters Tod zu r?chen, mag es denn nun gehen wie es will.
Der Mutter erz?hle nichts von dem Erscheinen des gr?sslichen Unholds - Gr?sse meine liebe holde Clara, ich schreibe ihr in ruhigerer Gem?tsstimmung. Lebe wohl etc. etc.
Clara an Nathanael
Wahr ist es, dass Du recht lange mir nicht geschrieben hast, aber dennoch glaube ich, dass Du mich in Sinn und Gedanken tr?gst. Denn meiner gedachtest Du wohl recht lebhaft, als Du Deinen letzten Brief an Bruder Lothar absenden wolltest und die Aufschrift, statt an ihn an mich richtetest. Freudig erbrach ich den Brief und wurde den Irrtum erst bei den Worten inne: >>Ach mein herzlieber Lothar!<< - Nun h?tte ich nicht weiter lesen, sondern den Brief dem Bruder geben sollen. Aber, hast Du mir auch sonst manchmal in kindischer Neckerei vorgeworfen, ich h?tte solch ruhiges, weiblich besonnenes Gem?t, dass ich wie jene Frau, drohe das Haus den Einsturz, noch vor schneller Flucht ganz geschwinde einen falschen Kniff in der Fenstergardine glattstreichen w?rde, so darf ich doch wohl kaum versichern, dass Deines Briefes Anfang mich tief ersch?tterte. Ich konnte kaum atmen, es flimmerte mir vor den Augen. - Ach, mein herzgeliebter Nathanael! was konnte so Entsetzliches in Dein Leben getreten sein! Trennung von Dir, Dich niemals wiedersehen, der Gedanke durchfuhr meine Brust wie ein gl?hender Dolchstich. - Ich las und las! - Deine Schilderung des widerw?rtigen Coppelius ist gr?sslich. Erst jetzt vernahm ich, wie Dein guter alter Vater solch entsetzlichen, gewaltsamen Todes starb. Bruder Lothar, dem ich sein Eigentum zustellte, suchte mich zu beruhigen, aber es gelang ihm schlecht. Der fatale Wetterglash?ndler Giuseppe Coppola verfolgte mich auf Schritt und Tritt und beinahe sch?me ich mich, es zu gestehen, dass er selbst meinen gesunden, sonst so ruhigen Schlaf in allerlei wunderlichen Traumgebilden zerst?ren konnte. Doch bald, schon den andern Tag, hatte sich alles anders in mir gestaltet. Sei mir nur nicht b?se, mein Inniggeliebter, wenn Lothar Dir etwa sagen m?chte, dass ich trotz Deiner seltsamen Ahnung, Coppelius werde Dir etwas B?ses antun, ganz heitern unbefangenen Sinnes bin, wie immer.
Geradeheraus will ich es Dir nur gestehen, dass, wie ich meine, alles Entsetzliche und Schreckliche, wovon Du sprichst, nur in Deinem Innern vorging, die wahre wirkliche Aussenwelt aber daran wohl wenig teilhatte. Widerw?rtig genug mag der alte Coppelius gewesen sein, aber dass er Kinder hasste, das brachte in Euch Kindern wahren Abscheu gegen ihn hervor.
Nat?rlich verkn?pfte sich nun in Deinem kindischen Gem?t der schreckliche Sandmann aus dem Ammenm?rchen mit dem alten Coppelius, der Dir, glaubtest Du auch nicht an den Sandmann, ein gespenstischer, Kindern vorz?glich gef?hrlicher, Unhold blieb. Das unheimliche Treiben mit Deinem Vater zur Nachtzeit war wohl nichts anders, als dass beide insgeheim alchymistische Versuche machten, womit die Mutter nicht zufrieden sein konnte, da gewiss viel Geld unn?tz verschleudert und obendrein, wie es immer mit solchen Laboranten der Fall sein soll, des Vaters Gem?t ganz von dem tr?gerischen Drange nach hoher Weisheit erf?llt, der Familie abwendig gemacht wurde. Der Vater hat wohl gewiss durch eigne Unvorsichtigkeit seinen Tod herbeigef?hrt, und Coppelius ist nicht schuld daran: Glaubst Du, dass ich den erfahrnen Nachbar Apotheker gestern frug, ob wohl bei chemischen Versuchen eine solche augenblicklich t?tende Explosion m?glich sei? Der sagte: >>Ei allerdings<< und beschrieb mir nach seiner Art gar weitl?ufig und umst?ndlich, wie das zugehen k?nne, und nannte dabei so viel sonderbar klingende Namen, die ich gar nicht zu behalten vermochte. - Nun wirst Du wohl unwillig werden ?ber Deine Clara, Du wirst sagen: >>In dies kalte Gem?t dringt kein Strahl des Geheimnisvollen, das den Menschen oft mit unsichtbaren Armen umfasst; sie erschaut nur die bunte Oberfl?che der Welt und freut sich, wie das kindische Kind ?ber die goldgleissende Frucht, in deren Innern t?dliches Gift verborgen.<<
Ach mein herzgeliebter Nathanael! glaubst Du denn nicht, dass auch in heitern - unbefangenen - sorglosen Gem?tern die Ahnung wohnen k?nne von einer dunklen Macht, die feindlich uns in unserm eignen Selbst zu verderben strebt? - Aber verzeih es mir, wenn ich einf?ltig M?dchen mich unterfange, auf irgend eine Weise Dir anzudeuten, was ich eigentlich von solchem Kampfe im Innern glaube. - Ich finde wohl gar am Ende nicht die rechten Worte und Du lachst mich aus, nicht, weil ich was Dummes meine, sondern weil ich mich so ungeschickt anstelle, es zu sagen.
Ewig, mein herzinnigstgeliebter Nathanael etc. etc. etc.
Nathanael an Lothar
Sehr unlieb ist es mir, dass Clara neulich den Brief an Dich aus, freilich durch meine Zerstreutheit veranlagtem, Irrtum erbrach und las. Sie hat mir einen sehr tiefsinnigen philosophischen Brief geschrieben, worin sie ausf?hrlich beweiset, dass Coppelius und Coppola nur in meinem Innern existieren und Phantome meines Ichs sind, die augenblicklich zerst?uben, wenn ich sie als solche erkenne. In der Tat, man sollte gar nicht glauben, dass der Geist, der aus solch hellen holdl?chelnden Kindesaugen, oft wie ein lieblicher s?sser Traum, hervorleuchtet, so gar verst?ndig, so magisterm?ssig distinguieren k?nne. Sie beruft sich auf Dich. Ihr habt ?ber mich gesprochen. Du liesest ihr wohl logische Kollegia, damit sie alles fein sichten und sondern lerne. - Lass das bleiben! - ?brigens ist es wohl gewiss, dass der Wetterglash?ndler Giuseppe Coppola keinesweges der alte Advokat Coppelius ist. Ich h?re bei dem erst neuerdings angekommenen Professor der Physik, der, wie jener ber?hmte Naturforscher, Spalanzani heisst und italienischer Abkunft ist, Kollegia. Der kennt den Coppola schon seit vielen Jahren und ?berdem h?rt man es auch seiner Aussprache an, dass er wirklich Piemonteser ist. Coppelius war ein Deutscher, aber wie mich d?nkt, kein ehrlicher. Ganz beruhigt bin ich nicht. Haltet Ihr, Du und Clara, mich immerhin f?r einen d?stern Tr?umer, aber nicht los kann ich den Eindruck werden, den Coppelius' verfluchtes Gesicht auf mich macht. Ich bin froh, dass er fort ist aus der Stadt, wie mir Spalanzani sagt. Dieser Professor ist ein wunderlicher Kauz. Ein kleiner rundlicher Mann, das Gesicht mit starken Backenknochen, feiner Nase, aufgeworfenen Lippen, kleinen stechenden Augen. Doch besser, als in jeder Beschreibung, siehst Du ihn, wenn Du den Cagliostro, wie er von Chodowiecki in irgend einem Berlinischen Taschenkalender steht, anschauest. - So sieht Spalanzani aus. - Neulich steige ich die Treppe herauf und nehme wahr, dass die sonst einer Glast?re dicht vorgezogene Gardine zur Seite einen kleinen Spalt l?sst. Selbst weiss ich nicht, wie ich dazu kam, neugierig durchzublicken. Ein hohes, sehr schlank im reinsten Ebenmass gewachsenes, herrlich gekleidetes Frauenzimmer sass im Zimmer vor einem kleinen Tisch, auf den sie beide ?rme, die H?nde zusammengefaltet, gelegt hatte. Sie sass der T?re gegen?ber, so, dass ich ihr engelsch?nes Gesicht ganz erblickte. Sie schien mich nicht zu bemerken, und ?berhaupt hatten ihre Augen etwas Starres, beinahe m?cht ich sagen, keine Sehkraft, es war mir so, als schliefe sie mit offnen Augen. Mir wurde ganz unheimlich und deshalb schlich ich leise fort ins Auditorium, das daneben gelegen. Nachher erfuhr ich, dass die Gestalt, die ich gesehen, Spalanzanis Tochter, Olimpia war, die er sonderbarer und schlechter Weise einsperrt, so, dass durchaus kein Mensch in ihre N?he kommen darf. - Am Ende hat es eine Bewandtnis mit ihr, sie ist vielleicht bl?dsinnig oder sonst. - Weshalb schreibe ich Dir aber das alles? Besser und ausf?hrlicher h?tte ich Dir das m?ndlich erz?hlen k?nnen. Wisse n?mlich, dass ich ?ber vierzehn Tage bei Euch bin. Ich muss mein s?sses liebes Engelsbild, meine Clara, wiedersehen. Weggehaucht wird dann die Verstimmung sein, die sich nach dem fatalen verst?ndigen Briefe meiner bemeistern wollte. Deshalb schreibe ich auch heute nicht an sie.
Tausend Gr?sse etc. etc. etc.
Seltsamer und wunderlicher kann nichts erfunden werden, als dasjenige ist, was sich mit meinem armen Freunde, dem jungen Studenten Nathanael, zugetragen, und was ich dir, g?nstiger Leser! zu erz?hlen unternommen. Hast du, Geneigtester! wohl jemals etwas erlebt, das deine Brust, Sinn und Gedanken ganz und gar erf?llte, alles andere daraus verdr?ngend? Es g?rte und kochte in dir, zur siedenden Glut entz?ndet sprang das Blut durch die Adern und f?rbte h?her deine Wangen. Dein Blick war so seltsam als wolle er Gestalten, keinem andern Auge sichtbar, im leeren Raum erfassen und die Rede zerfloss in dunkle Seufzer. Da frugen dich die Freunde: >>Wie ist Ihnen, Verehrter? - Was haben Sie, Teurer?<< Und nun wolltest du das innere Gebilde mit allen gl?henden Farben und Schatten und Lichtern aussprechen und m?htest dich ab, Worte zu finden, um nur anzufangen. Aber es war dir, als m?sstest du nun gleich im ersten Wort alles Wunderbare, Herrliche, Entsetzliche, Lustige, Grauenhafte, das sich zugetragen, recht zusammengreifen, so dass es, wie ein elektrischer Schlag, alle treffe. Doch jedes Wort, alles was Rede vermag, schien dir farblos und frostig und tot. Du suchst und suchst, und stotterst und stammelst, und die n?chternen Fragen der Freunde schlagen, wie eisige Windeshauche, hinein in deine innere Glut, bis sie verl?schen will. Hattest du aber, wie ein kecker Maler, erst mit einigen verwegenen Strichen, den Umriss deines innern Bildes hingeworfen, so trugst du mit leichter M?he immer gl?hender und gl?hender die Farben auf und das lebendige Gew?hl mannigfacher Gestalten riss die Freunde fort und sie sahen, wie du, sich selbst mitten im Bilde, das aus deinem Gem?t hervorgegangen! - Mich hat, wie ich es dir, geneigter Leser! gestehen muss, eigentlich niemand nach der Geschichte des jungen Nathanael gefragt; du weisst ja aber wohl, dass ich zu dem wunderlichen Geschlechte der Autoren geh?re, denen, tragen sie etwas so in sich, wie ich es vorhin beschrieben, so zumute wird, als frage jeder, der in ihre N?he kommt und nebenher auch wohl noch die ganze Welt: >>Was ist es denn? Erz?hlen Sie Liebster?<< - So trieb es mich denn gar gewaltig, von Nathanaels verh?ngnisvollem Leben zu dir zu sprechen. Das Wunderbare, Seltsame davon erf?llte meine ganze Seele, aber eben deshalb und weil ich dich, o mein Leser! gleich geneigt machen musste, Wunderliches zu ertragen, welches nichts Geringes ist, qu?lte ich mich ab, Nathanaels Geschichte, bedeutend - originell, ergreifend, anzufangen: >>Es war einmal<< - der sch?nste Anfang jeder Erz?hlung, zu n?chtern! - >>In der kleinen Provinzialstadt S. lebte<< - etwas besser, wenigstens ausholend zum Klimax. - Oder gleich medias in res: >>>Scher er sich zum Teufel<, rief, Wut und Entsetzen im wilden Blick, der Student Nathanael, als der Wetterglash?ndler Giuseppe Coppola<< - Das hatte ich in der Tat schon aufgeschrieben, als ich in dem wilden Blick des Studenten Nathanael etwas Possierliches zu versp?ren glaubte; die Geschichte ist aber gar nicht spasshaft. Mir kam keine Rede in den Sinn, die nur im mindesten etwas von dem Farbenglanz des innern Bildes abzuspiegeln schien. Ich beschloss gar nicht anzufangen. Nimm, geneigter Leser! die drei Briefe, welche Freund Lothar mir g?tigst mitteilte, f?r den Umriss des Gebildes, in das ich nun erz?hlend immer mehr und mehr Farbe hineinzutragen mich bem?hen werde. Vielleicht gelingt es mir, manche Gestalt, wie ein guter Portr?tmaler, so aufzufassen, dass du es ?hnlich findest, ohne das Original zu kennen, ja dass es dir ist, als h?ttest du die Person recht oft schon mit leibhaftigen Augen gesehen. Vielleicht wirst du, o mein Leser! dann glauben, dass nichts wunderlicher und toller sei, als das wirkliche Leben und dass dieses der Dichter doch nur, wie in eines matt geschliffnen Spiegels dunklem Widerschein, auffassen k?nne.
Damit klarer werde, was gleich anfangs zu wissen n?tig, ist jenen Briefen noch hinzuzuf?gen, dass bald darauf, als Nathanaels Vater gestorben, Clara und Lothar, Kinder eines weitl?uftigen Verwandten, der ebenfalls gestorben und sie verwaist nachgelassen, von Nathanaels Mutter ins Haus genommen wurden. Clara und Nathanael fassten eine heftige Zuneigung zueinander, wogegen kein Mensch auf Erden etwas einzuwenden hatte; sie waren daher Verlobte, als Nathanael den Ort verliess um seine Studien in G. - fortzusetzen. Da ist er nun in seinem letzten Brief und h?rt Kollegia bei dem ber?hmten Professor Physices, Spalanzani.
Nun k?nnte ich getrost in der Erz?hlung fortfahren; aber in dem Augenblick steht Claras Bild so lebendig mir vor Augen, dass ich nicht wegschauen kann, so wie es immer geschah, wenn sie mich holdl?chelnd anblickte. - F?r sch?n konnte Clara keinesweges gelten; das meinten alle, die sich von Amtswegen auf Sch?nheit verstehen. Doch lobten die Architekten die reinen Verh?ltnisse ihres Wuchses, die Maler fanden Nacken, Schultern und Brust beinahe zu keusch geformt, verliebten sich dagegen s?mtlich in das wunderbare Magdalenenhaar und faselten ?berhaupt viel von Battonischem Kolorit. Einer von ihnen, ein wirklicher Fantast, verglich aber h?chstseltsamer Weise Claras Augen mit einem See von Ruisdael, in dem sich des wolkenlosen Himmels reines Azur, Wald- und Blumenflur, der reichen Landschaft ganzes buntes, heitres Leben spiegelt. Dichter und Meister gingen aber weiter und sprachen: >>Was See - was Spiegel! - K?nnen wir denn das M?dchen anschauen, ohne dass uns aus ihrem Blick wunderbare himmlische Ges?nge und Kl?nge entgegenstrahlen, die in unser Innerstes dringen, dass da alles wach und rege wird? Singen wir selbst dann nichts wahrhaft Gescheutes, so ist ?berhaupt nicht viel an uns und das lesen wir denn auch deutlich in dem um Claras Lippen schwebenden feinen L?cheln, wenn wir uns unterfangen, ihr etwas vorzuquinkelieren, das so tun will als sei es Gesang, unerachtet nur einzelne T?ne verworren durcheinander springen.<< Es war dem so. Clara hatte die lebenskr?ftige Fantasie des heitern unbefangenen, kindischen Kindes, ein tiefes weiblich zartes Gem?t, einen gar hellen scharf sichtenden Verstand. Die Nebler und Schwebler hatten bei ihr b?ses Spiel; denn ohne zu viel zu reden, was ?berhaupt in Claras schweigsamer Natur nicht lag, sagte ihnen der helle Blick, und jenes feine ironische L?cheln: Lieben Freunde! wie m?get ihr mir denn zumuten, dass ich eure verfliessende Schattengebilde f?r wahre Gestalten ansehen soll, mit Leben und Regung? - Clara wurde deshalb von vielen kalt, gef?hllos, prosaisch gescholten; aber andere, die das Leben in klarer Tiefe aufgefasst, liebten ungemein das gem?tvolle, verst?ndige, kindliche M?dchen, doch keiner so sehr, als Nathanael, der sich in Wissenschaft und Kunst kr?ftig und heiter bewegte. Clara hing an dem Geliebten mit ganzer Seele; die ersten Wolkenschatten zogen durch ihr Leben, als er sich von ihr trennte. Mit welchem Entz?cken flog sie in seine Arme, als er nun, wie er im letzten Briefe an Lothar es verheissen, wirklich in seiner Vaterstadt ins Zimmer der Mutter eintrat. Es geschah so wie Nathanael geglaubt; denn in dem Augenblick, als er Clara wiedersah, dachte er weder an den Advokaten Coppelius, noch an Claras verst?ndigen Brief, jede Verstimmung war verschwunden.
Recht hatte aber Nathanael doch, als er seinem Freunde Lothar schrieb, dass des widerw?rtigen Wetterglash?ndlers Coppola Gestalt recht feindlich in sein Leben getreten sei. Alle f?hlten das, da Nathanael gleich in den ersten Tagen in seinem ganzen Wesen durchaus ver?ndert sich zeigte. Er versank in d?stre Tr?umereien, und trieb es bald so seltsam, wie man es niemals von ihm gewohnt gewesen. Alles, das ganze Leben war ihm Traum und Ahnung geworden; immer sprach er davon, wie jeder Mensch, sich frei w?hnend, nur dunklen M?chten zum grausamen Spiel diene, vergeblich lehne man sich dagegen auf, dem?tig m?sse man sich dem f?gen, was das Schicksal verh?ngt habe. Er ging so weit, zu behaupten, dass es t?richt sei, wenn man glaube, in Kunst und Wissenschaft nach selbstt?tiger Willk?r zu schaffen; denn die Begeisterung, in der man nur zu schaffen f?hig sei, komme nicht aus dem eignen Innern, sondern sei das Einwirken irgend eines ausser uns selbst liegenden h?heren Prinzips.
Dem Nathanael war es zumute, als sei eine schwere Last, die ihn zu Boden gedr?ckt, von ihm abgew?lzt, ja als habe er, Widerstand leistend der finstern Macht, die ihn befangen, sein ganzes Sein, dem Vernichtung drohte, gerettet. Noch drei selige Tage verlebte er bei den Lieben, dann kehrte er zur?ck nach G., wo er noch ein Jahr zu bleiben, dann aber auf immer nach seiner Vaterstadt zur?ckzukehren gedachte.
Der Mutter war alles, was sich auf Coppelius bezog, verschwiegen worden; denn man wusste, dass sie nicht ohne Entsetzen an ihn denken konnte, weil sie, wie Nathanael, ihm den Tod ihres Mannes schuld gab.
Wie erstaunte Nathanael, als er in seine Wohnung wollte und sah, dass das ganze Haus niedergebrannt war, so dass aus dem Schutthaufen nur die nackten Feuermauern hervorragten. Unerachtet das Feuer in dem Laboratorium des Apothekers, der im untern Stocke wohnte, ausgebrochen war, das Haus daher von unten herauf gebrannt hatte, so war es doch den k?hnen, r?stigen Freunden gelungen, noch zu rechter Zeit in Nathanaels im obern Stock gelegenes Zimmer zu dringen, und B?cher, Manuskripte, Instrumente zu retten. Alles hatten sie unversehrt in ein anderes Haus getragen, und dort ein Zimmer in Beschlag genommen, welches Nathanael nun sogleich bezog. Nicht sonderlich achtete er darauf, dass er dem Professor Spalanzani gegen?ber wohnte, und ebensowenig schien es ihm etwas Besonderes, als er bemerkte, dass er aus seinem Fenster gerade hinein in das Zimmer blickte, wo oft Olimpia einsam sass, so, dass er ihre Figur deutlich erkennen konnte, wiewohl die Z?ge des Gesichts undeutlich und verworren blieben. Wohl fiel es ihm endlich auf, dass Olimpia oft stundenlang in derselben Stellung, wie er sie einst durch die Glast?re entdeckte, ohne irgend eine Besch?ftigung an einem kleinen Tische sass und dass sie offenbar unverwandten Blickes nach ihm her?berschaute; er musste sich auch selbst gestehen, dass er nie einen sch?neren Wuchs gesehen; indessen, Clara im Herzen, blieb ihm die steife, starre Olimpia h?chst gleichg?ltig und nur zuweilen sah er fl?chtig ?ber sein Kompendium her?ber nach der sch?nen Bilds?ule, das war alles. - Eben schrieb er an Clara, als es leise an die T?re klopfte; sie ?ffnete sich auf seinen Zuruf und Coppolas widerw?rtiges Gesicht sah hinein. Nathanael f?hlte sich im Innersten erbeben; eingedenk dessen, was ihm Spalanzani ?ber den Landsmann Coppola gesagt und was er auch r?cksichts des Sandmanns Coppelius der Geliebten so heilig versprochen, sch?mte er sich aber selbst seiner kindischen Gespensterfurcht, nahm sich mit aller Gewalt zusammen und sprach so sanft und gelassen, als m?glich: >>Ich kaufe kein Wetterglas, mein lieber Freund! gehen Sie nur!<< Da trat aber Coppola vollends in die Stube und sprach mit heiserem Ton, indem sich das weite Maul zum h?sslichen Lachen verzog und die kleinen Augen unter den grauen langen Wimpern stechend hervorfunkelten: >>Ei, nix Wetterglas, nix Wetterglas! - hab auch sk?ne Oke - sk?ne Oke!<< - Entsetzt rief Nathanael: >>Toller Mensch, wie kannst du Augen haben? - Augen - Augen? -<< Aber in dem Augenblick hatte Coppola seine Wettergl?ser beiseite gesetzt, griff in die weiten Rocktaschen und holte Lorgnetten und Brillen heraus, die er auf den Tisch legte. - >>Nu - Nu - Brill - Brill auf der Nas su setze, das sein meine Oke - sk?ne Oke!<< - Und damit holte er immer mehr und mehr Brillen heraus, so, dass es auf dem ganzen Tisch seltsam zu flimmern und zu funkeln begann. Tausend Augen blickten und zuckten krampfhaft und starrten auf zum Nathanael; aber er konnte nicht wegschauen von dem Tisch, und immer mehr Brillen legte Coppola hin, und immer wilder und wilder sprangen flammende Blicke durcheinander und schossen ihre blutrote Strahlen in Nathanaels Brust. ?bermannt von tollem Entsetzen schrie er auf.- >>Halt ein! halt ein, f?rchterlicher Mensch!<< - Er hatte Coppola, der eben in die Tasche griff, um noch mehr Brillen herauszubringen, unerachtet schon der ganze Tisch ?berdeckt war, beim Arm festgepackt. Coppola machte sich mit heiserem widrigen Lachen sanft los und mit den Worten: >>Ah! - nix f?r Sie - aber hier sk?ne Glas<< - hatte er alle Brillen zusammengerafft, eingesteckt und aus der Seitentasche des Rocks eine Menge grosser und kleiner Perspektive hervorgeholt. Sowie die Brillen fort waren, wurde Nathanael ganz ruhig und an Clara denkend sah er wohl ein, dass der entsetzliche Spuk nur aus seinem Innern hervorgegangen, sowie dass Coppola ein h?chst ehrlicher Mechanikus und Optikus, keineswegs aber Coppelii verfluchter Doppeltg?nger und Revenant sein k?nne. Zudem hatten alle Gl?ser, die Coppola nun auf den Tisch gelegt, gar nichts Besonderes, am wenigsten so etwas Gespenstisches wie die Brillen und, um alles wieder gutzumachen, beschloss Nathanael dem Coppola jetzt wirklich etwas abzukaufen. Er ergriff ein kleines sehr sauber gearbeitetes Taschenperspektiv und sah, um es zu pr?fen, durch das Fenster. Noch im Leben war ihm kein Glas vorgekommen, das die Gegenst?nde so rein, scharf und deutlich dicht vor die Augen r?ckte. Unwillk?rlich sah er hinein in Spalanzanis Zimmer; Olimpia sass, wie gew?hnlich, vor dem kleinen Tisch, die Arme darauf gelegt, die H?nde gefaltet. - Nun erschaute Nathanael erst Olimpias wundersch?n geformtes Gesicht. Nur die Augen schienen ihm gar seltsam starr und tot. Doch wie er immer sch?rfer und sch?rfer durch das Glas hinschaute, war es, als gingen in Olimpias Augen feuchte Mondesstrahlen auf. Es schien, als wenn nun erst die Sehkraft entz?ndet w?rde; immer lebendiger und lebendiger flammten die Blicke. Nathanael lag wie festgezaubert im Fenster, immer fort und fort die himmlisch-sch?ne Olimpia betrachtend. Ein R?uspern und Scharren weckte ihn, wie aus tiefem Traum. Coppola stand hinter ihm: >>Tre Zechini - drei Dukat<< - Nathanael hatte den Optikus rein vergessen, rasch zahlte er das Verlangte. >>Nick so? - sk?ne Glas - sk?ne Glas!<< frug Coppola mit seiner widerw?rtigen heisern Stimme und dem h?mischen L?cheln. >>Ja ja, ja!<< erwiderte Nathanael verdriesslich. >>Adieu, lieber Freund!<< - Coppola verliess nicht ohne viele seltsame Seitenblicke auf Nathanael, das Zimmer. Er h?rte ihn auf der Treppe laut lachen. >>Nun ja<<, meinte Nathanael, >>er lacht mich aus, weil ich ihm das kleine Perspektiv gewiss viel zu teuer bezahlt habe - zu teuer bezahlt!<< - Indem er diese Worte leise sprach, war es, als halle ein tiefer Todesseufzer grauenvoll durch das Zimmer, Nathanaels Atem stockte vor innerer Angst. - Er hatte ja aber selbst so aufgeseufzt, das merkte er wohl. >>Clara<<, sprach er zu sich selber, >>hat wohl recht, dass sie mich f?r einen abgeschmackten Geisterseher h?lt; aber n?rrisch ist es doch - ach wohl mehr, als n?rrisch, dass mich der dumme Gedanke, ich h?tte das Glas dem Coppola zu teuer bezahlt, noch jetzt so sonderbar ?ngstigt; den Grund davon sehe ich gar nicht ein.<< - Jetzt setzte er sich hin, um den Brief an Clara zu enden, aber ein Blick durchs Fenster ?berzeugte ihn, dass Olimpia noch das?sse und im Augenblick, wie von unwiderstehlicher Gewalt getrieben, sprang er auf, ergriff Coppolas Perspektiv und konnte nicht los von Olimpias verf?hrerischem Anblick, bis ihn Freund und Bruder Siegmund abrief ins Kollegium bei dem Professor Spalanzani. Die Gardine vor dem verh?ngnisvollen Zimmer war dicht zugezogen, er konnte Olimpia ebensowenig hier, als die beiden folgenden Tage hindurch in ihrem Zimmer, entdecken, unerachtet er kaum das Fenster verliess und fortw?hrend durch Coppolas Perspektiv hin?berschaute. Am dritten Tage wurden sogar die Fenster verh?ngt. Ganz verzweifelt und getrieben von Sehnsucht und gl?hendem Verlangen lief er hinaus vors Tor. Olimpias Gestalt schwebte vor ihm her in den L?ften und trat aus dem Geb?sch, und guckte ihn an mit grossen strahlenden Augen, aus dem hellen Bach. Claras Bild war ganz aus seinem Innern gewichen, er dachte nichts, als Olimpia und klagte ganz laut und weinerlich: >>Ach du mein hoher herrlicher Liebesstern, bist du mir denn nur aufgegangen, um gleich wieder zu verschwinden, und mich zu lassen in finstrer hoffnungsloser Nacht?<<
Als er zur?ckkehren wollte in seine Wohnung, wurde er in Spalanzanis Hause ein ger?uschvolles Treiben gewahr. Die T?ren standen offen, man trug allerlei Ger?te hinein, die Fenster des ersten Stocks waren ausgehoben, gesch?ftige M?gde kehrten und st?ubten mit grossen Haarbesen hin- und herfahrend, inwendig klopften und h?mmerten Tischler und Tapezierer. Nathanael blieb in vollem Erstaunen auf der Strasse stehen; da trat Siegmund lachend zu ihm und sprach: >>Nun, was sagst du zu unserem alten Spalanzani?<< Nathanael versicherte, dass er gar nichts sagen k?nne, da er durchaus nichts vom Professor wisse, vielmehr mit grosser Verwunderung wahrnehme, wie in dem stillen d?stern Hause ein tolles Treiben und Wirtschaften losgegangen; da erfuhr er denn von Siegmund, dass Spalanzani morgen ein grosses Fest geben wolle, Konzert und Ball, und dass die halbe Universit?t eingeladen sei. Allgemein verbreite man, dass Spalanzani seine Tochter Olimpia, die er so lange jedem menschlichen Auge recht ?ngstlich entzogen, zum erstenmal erscheinen lassen werde.
Ehe ich, g?nstiger Leser! dir zu erz?hlen fortfahre, was sich weiter mit dem ungl?cklichen Nathanael zugetragen, kann ich dir, solltest du einigen Anteil an dem geschickten Mechanikus und Automat-Fabrikanten Spalanzani nehmen, versichern, dass er von seinen Wunden v?llig geheilt wurde. Er musste indes die Universit?t verlassen, weil Nathanaels Geschichte Aufsehen erregt hatte und es allgemein f?r g?nzlich unerlaubten Betrug gehalten wurde, vern?nftigen Teezirkeln statt der lebendigen Person eine Holzpuppe einzuschw?rzen. Juristen nannten es sogar einen feinen und um so h?rter zu bestrafenden Betrug, als er gegen das Publikum gerichtet und so schlau angelegt worden, dass kein Mensch es gemerkt habe, unerachtet jetzt alle weise tun und sich auf allerlei Tatsachen berufen wollten, die ihnen verd?chtig vorgekommen. Diese letzteren brachten aber eigentlich nichts Gescheutes zutage. Denn konnte z.B. wohl irgend jemanden verd?chtig vorgekommen sein, dass nach der Aussage eines eleganten Teeisten Olimpia gegen alle Sitte ?fter genieset, als geg?hnt hatte? Ersteres, meinte der Elegant, sei das Selbstaufziehen des verborgenen Triebwerks gewesen, merklich habe es dabei geknarrt usw. Der Professor der Poesie und Beredsamkeit nahm eine Prise, klappte die Dose zu, r?usperte sich und sprach feierlich: >>Hochzuverehrende Herren und Damen! merken Sie denn nicht, wo der Hase im Pfeffer liegt? Das Ganze ist eine Allegorie - eine fortgef?hrte Metapher! - Sie verstehen mich! - Sapienti sat!<< Aber viele hochzuverehrende Herren beruhigten sich nicht dabei; die Geschichte mit dem Automat hatte tief in ihrer Seele Wurzel gefasst und es schlich sich in der Tat abscheuliches Misstrauen gegen menschliche Figuren ein. Um nun ganz ?berzeugt zu werden, dass man keine Holzpuppe liebe, wurde von mehrern Liebhabern verlangt, dass die Geliebte etwas taktlos singe und tanze, dass sie beim Vorlesen sticke, stricke, mit dem M?pschen spiele usw. vor allen Dingen aber, dass sie nicht bloss h?re, sondern auch manchmal in der Art spreche, dass dies Sprechen wirklich ein Denken und Empfinden voraussetze. Das Liebesb?ndnis vieler wurde fester und dabei anmutiger, andere dagegen gingen leise auseinander. >>Man kann wahrhaftig nicht daf?r stehen<<, sagte dieser und jener. In den Tees wurde unglaublich geg?hnt und niemals genieset, um jedem Verdacht zu begegnen. - Spalanzani musste, wie gesagt, fort, um der Kriminaluntersuchung wegen der menschlichen Gesellschaft betr?glicherweise eingeschobenen Automats zu entgehen. Coppola war auch verschwunden.
Nathanael erwachte wie aus schwerem, f?rchterlichem Traum, er schlug die Augen auf und f?hlte wie ein unbeschreibliches Wonnegef?hl mit sanfter himmlischer W?rme ihn durchstr?mte. Er lag in seinem Zimmer in des Vaters Hause auf dem Bette, Clara hatte sich ?ber ihn hingebeugt und unfern standen die Mutter und Lothar. >>Endlich, endlich, o mein herzlieber Nathanael - nun bist du genesen von schwerer Krankheit - nun bist du wieder mein!<< - So sprach Clara recht aus tiefer Seele und fasste den Nathanael in ihre Arme. Aber dem quollen vor lauter Wehmut und Entz?cken die hellen gl?henden Tr?nen aus den Augen und er st?hnte tief auf. >>Meine - meine Clara!<< - Siegmund, der getreulich ausgeharrt bei dem Freunde in grosser Not, trat herein. Nathanael reichte ihm die Hand: >>Du treuer Bruder hast mich doch nicht verlassen.<< - Jede Spur des Wahnsinns war verschwunden, bald erkr?ftigte sich Nathanael in der sorglichen Pflege der Mutter, der Geliebten, der Freunde. Das Gl?ck war unterdessen in das Haus eingekehrt; denn ein alter karger Oheim, von dem niemand etwas gehofft, war gestorben und hatte der Mutter nebst einem nicht unbedeutenden Verm?gen ein G?tchen in einer angenehmen Gegend unfern der Stadt hinterlassen. Dort wollten sie hinziehen, die Mutter, Nathanael mit seiner Clara, die er nun zu heiraten gedachte, und Lothar. Nathanael war milder, kindlicher geworden, als er je gewesen und erkannte nun erst recht Claras himmlisch reines, herrliches Gem?t. Niemand erinnerte ihn auch nur durch den leisesten Anklang an die Vergangenheit. Nur, als Siegmund von ihm schied, sprach Nathanael: >>Bei Gott Bruder! ich war auf schlimmen Wege, aber zu rechter Zeit leitete mich ein Engel auf den lichten Pfad! - Ach es war ja Clara! -<< Siegmund liess ihn nicht weiter reden, aus Besorgnis, tief verletzende Erinnerungen m?chten ihm zu hell und flammend aufgehen. - Es war an der Zeit, dass die vier gl?cklichen Menschen nach dem G?tchen ziehen wollten. Zur Mittagsstunde gingen sie durch die Strassen der Stadt. Sie hatten manches eingekauft, der hohe Ratsturm warf seinen Riesenschatten ?ber den Markt. >>Ei!<< sagte Clara: >>steigen wir doch noch einmal herauf und schauen in das ferne Gebirge hinein!<< Gesagt, getan! Beide, Nathanael und Clara, stiegen herauf, die Mutter ging mit der Dienstmagd nach Hause, und Lothar, nicht geneigt, die vielen Stufen zu erklettern, wollte unten warten. Da standen die beiden Liebenden Arm in Arm auf der h?chsten Galerie des Turmes und schauten hinein in die duftigen Waldungen, hinter denen das blaue Gebirge, wie eine Riesenstadt, sich erhob.
>>Sieh doch den sonderbaren kleinen grauen Busch, der ordentlich auf uns los zu schreiten scheint<<, frug Clara. - Nathanael fasste mechanisch nach der Seitentasche; er fand Coppolas Perspektiv, er schaute seitw?rts - Clara stand vor dem Glase! - Da zuckte es krampfhaft in seinen Pulsen und Adern - totenbleich starrte er Clara an, aber bald gl?hten und spr?hten Feuerstr?me durch die rollenden Augen, gr?sslich br?llte er auf, wie ein gehetztes Tier; dann sprang er hoch in die L?fte und grausig dazwischen lachend schrie er in schneidendem Ton: >>Holzp?ppchen dreh dich - Holzp?ppchen dreh dich<< - und mit gewaltiger Kraft fasste er Clara und wollte sie herabschleudern, aber Clara krallte sich in verzweifelnder Todesangst fest an das Gel?nder. Lothar h?rte den Rasenden toben, er h?rte Claras Angstgeschrei, gr?ssliche Ahnung durchflog ihn, er rannte herauf, die T?r der zweiten Treppe war verschlossen - st?rker hallte Claras Jammergeschrei. Unsinnig vor Wut und Angst stiess er gegen die T?r, die endlich aufsprang - Matter und matter wurden nun Claras Laute: >>H?lfe - rettet - rettet -<< so erstarb die Stimme in den L?ften. >>Sie ist hin - ermordet von dem Rasenden<<, so schrie Lothar. Auch die T?r zur Galerie war zugeschlagen. - Die Verzweiflung gab ihm Riesenkraft, er sprengte die T?r aus den Angeln. Gott im Himmel - Clara schwebte von dem rasenden Nathanael erfasst ?ber der Galerie in den L?ften - nur mit einer Hand hatte sie noch die Eisenst?be umklammert. Rasch wie der Blitz erfasste Lothar die Schwester, zog sie hinein, und schlug im demselben Augenblick mit geballter Faust dem W?tenden ins Gesicht, dass er zur?ckprallte und die Todesbeute fallen liess.
Als Nathanael mit zerschmettertem Kopf auf dem, Steinpflaster lag, war Coppelius im Gew?hl verschwunden.
Nach mehreren Jahren will man in einer entfernten Gegend Clara gesehen haben, wie sie mit einem freundlichen Mann, Hand in Hand vor der T?re eines sch?nen Landhauses sass und vor ihr zwei muntre Knaben spielten. Es w?re daraus zu schliessen, dass Clara das ruhige h?usliche Gl?ck noch fand, das ihrem heitern lebenslustigen Sinn zusagte und das ihr der im Innern zerrissene Nathanael niemals h?tte gew?hren k?nnen.
Ignaz Denner
Vor alter l?ngst verflossner Zeit lebte in einem wilden einsamen Forst des Fuldaischen Gebiets ein wackrer J?gersmann, Andres mit Namen. Er war sonst Leibj?ger des Herrn Grafen Aloys von Vach gewesen, den er auf weiten Reisen durch das sch?ne Welschland begleitet, und einmal, als sie auf den unsichern Wegen in dem K?nigreich Neapel von Strassenr?ubern angefallen wurden, durch seine Klugheit und Tapferkeit aus grosser Lebensgefahr gerettet hatte. In dem Wirtshause zu Neapel, wo sie eingekehrt waren, befand sich ein armes, bildsch?nes M?dchen, die von dem Hauswirt, der sie als eine Waise aufgenommen, gar hart behandelt und zu den niedrigsten Arbeiten in Hof und K?che gebraucht wurde. Andres suchte sie, so gut er sich ihr verst?ndlich machen konnte, mit trostreichen Worten aufzurichten, und das M?dchen fasste solche Liebe zu ihm, dass sie sich nicht mehr von ihm trennen, sondern mitziehen wollte nach dem kalten Deutschland. Der Graf von Vach, ger?hrt von Andres' Bitten und Giorginas Tr?nen, erlaubte, dass sie sich zu dem geliebten Andres auf den Kutschbock setzen, und so die beschwerliche Reise machen durfte. Schon ehe sie ?ber die Grenzen von Italien hinausgekommen, liess sich Andres mit seiner Giorgina trauen und als sie dann nun endlich zur?ckgekehrt waren auf die G?ter des Grafen von Vach, glaubte dieser den treuen Diener recht zu belohnen, da er ihn zu seinem Revierj?ger ernannte. Mit seiner Giorgina und einem alten Knecht zog er in den einsamen rauhen Wald, den er sch?tzen sollte wider die Freij?ger und Holzdiebe. Statt des geholten Wohlstandes, den ihm der Graf von Vach verheissen, f?hrte er aber ein beschwerliches, m?hseliges, d?rftiges Leben und geriet bald in Kummer und Elend. Der kleine Lohn an barem Geld, den er von dem Grafen erhielt, reichte kaum hin, sich und seine Giorgina zu kleiden; die geringen Gef?lle, die ihm bei Holzverk?ufen zukamen, waren selten und ungewiss und den Garten, auf dessen Bebauung und Benutzung er angewiesen, verw?steten oft die W?lfe und die wilden Schweine, er mochte mit seinem Knecht auf der Hut sein, wie er wollte, so dass bisweilen in einer Nacht die letzte Hoffnung des Lebensunterhalts vereitelt ward. Dabei war sein Leben stets bedroht von den Holzdieben und Freisch?tzen. Jeder Lockung widerstand er als ein wackrer frommer Mann, der lieber darben, als ungerechtes Gut an sich bringen wollte und verwaltete sein Amt getreulich und tapfer, deshalb stellten sie ihm nach auf gef?hrliche Weise, und nur seine treuen Doggen sch?tzten ihn vor n?chtlichem ?berfall des Raubgesindels. Giorgina, des Klimas und der Lebensweise in dem wilden Forst ganz ungewohnt, welkte zusehends hin. Ihre br?unliche Gesichtsfarbe verwandelte sich in fahles Gelb, ihre lebhaften blitzenden Augen wurden d?ster, und ihr voller, ?ppiger Wuchs magerte mit jedem Tage mehr ab. Oft erwachte sie in mondheller Nacht. Sch?sse krachten in der Ferne durch den Wald, die Doggen heulten, leise erhob sich der Mann vom Lager und schlich mit dem Knecht murmelnd hinaus in den Forst. Dann betete sie inbr?nstig zu Gott und zu den Heiligen, dass sie und ihr treuer Mann errettet werden m?chten aus dieser schrecklichen Ein?de und aus der steten Todesgefahr. Die Geburt eines Knaben warf Giorgina endlich auf das Krankenlager, und immer schw?cher und schw?cher werdend, sah sie ihr Ende vor Augen. Dumpf in sich hinbr?tend, schlich der ungl?ckliche Andres umher; alles Gl?ck war mit der Krankheit seines Weibes von ihm gewichen. Wie neckendes, gespenstisches Wesen guckte das Wild aus den B?schen; sowie er sein Gewehr abdr?ckte, war es verstoben in der Luft. Er konnte kein Tier mehr treffen und nur sein Knecht, ein ge?bter Sch?tze, beschaffte das Wild, welches er dem Grafen von Vach zu liefern gehalten war. Einst sass er an Giorginas Bette, den starren Blick auf das geliebte Weib gerichtet, die ermattet zum Tode kaum mehr atmete. In dumpfem, lautlosem Schmerz hatte er ihre Hand gefasst und h?rte nicht das ?chzen des Knaben, der nahrungslos verschmachten wollte. Der Knecht ging schon am fr?hen Morgen nach Fulda, um f?r das letzte Ersparnis einige Erquickung f?r die Kranke herbeizuschaffen. Kein menschliches tr?stendes Wesen war weit und breit zu finden, nur der Sturm heulte in schneidenden T?nen des entsetzlichen Jammers durch die schwarzen Tannen und die Doggen winselten, wie in trostloser Klage, um den ungl?cklichen Herrn. Da h?rte Andres auf einmal es vor dem Hause daherschreiten, wie menschliche Fusstritte. Er glaubte, es w?re der zur?ckkehrende Knecht, unerachtet er ihn nicht so fr?h erwarten konnte, aber die Hunde sprangen heraus und bellten heftig. Es musste ein Fremder sein. Andres ging selbst vor die T?r: da trat ihm ein langer, hagerer Mann entgegen, in grauem Mantel, die Reisem?tze tief ins Gesicht gedr?ckt. >>Ei<<, sagte der Fremde: >>wie bin ich doch hier im Walde so irre gegangen! Der Sturm tobt von den Bergen herab, wir bekommen ein schrecklich Wetter. M?chtet Ihr nicht erlauben, lieber Herr! dass ich in Euer Haus eintreten und mich von dem beschwerlichen Wege erholen und erquicken d?rfte zur weitern Reise?<< - >>Ach Herr<<, erwiderte der betr?bte Andres, >>Ihr kommt in ein Haus der Not und des Elends und ausser dem Stuhl, auf dem Ihr ausruhen k?nnt, vermag ich kaum Euch irgend eine Erquickung anzubieten; meinem armen kranken Weibe mangelt es selbst daran, und mein Knecht, den ich nach Fulda geschickt, wird erst am sp?ten Abend etwas zur Labung herbeibringen.<< Unter diesen Worten waren sie in die Stube getreten. Der Fremde legte seine Reisem?tze und seinen Mantel ab, unter dem er ein Felleisen und ein Kistchen trug. Er zog auch ein Stilett und ein paar Terzerole hervor, die er auf den Tisch legte. Andres war an Giorginas Bett getreten, sie lag in bewusstlosem Zustande. Der Fremde trat ebenfalls hinzu, schaute die Kranke lange mit scharfen, bed?chtigen Blicken an und ergriff ihre Hand, den Puls sorglich erforschend. Als nun Andres voll Verzweiflung ausrief: >>Ach Gott, nun stirbt sie wohl!<< da sagte der Fremde: >>Mit nichten, lieber Freund! seid ganz ruhig. Euerm Weibe fehlt nichts als kr?ftige, gute Nahrung, und vor der Hand wird ihr ein Mittel, das zugleich reizt und st?rkt, die besten Dienste tun. Ich bin zwar kein Arzt, sondern vielmehr ein Kaufmann, allein doch in der Arzneiwissenschaft nicht unerfahren, und besitze aus uralter Zeit her manches Arcanum, welches ich mit mir f?hre und auch wohl verkaufe.<< Damit ?ffnete der Fremde sein Kistchen, holte eine Phiole heraus, tr?pfelte von dem ganz dunkelroten Liquor etwas auf Zucker und gab es der Kranken. Dann holte er aus dem Felleisen eine kleine geschliffene Flasche k?stlichen Rheinweins und fl?sste der Kranken ein paar L?ffel voll ein. Den Knaben, befahl er, nur dicht an der Mutter Brust gelehnt ins Bette zu legen und beide der Ruhe zu ?berlassen. Dem Andres war es zumute, als sei ein Heiliger herabgestiegen in die Ein?de, ihm Trost und H?lfe zu bringen. Anfangs hatte ihn der stechende, falsche Blick des Fremden abgeschreckt, jetzt wurde er durch die sorgliche Teilnahme, durch die augenscheinliche H?lfe, die er der armen Giorgina leistete, zu ihm hingezogen. Er erz?hlte dem Fremden unverhohlen, wie er eben durch die Gnade, die ihm sein Herr, der Graf von Vach, angedeihen lassen wollen, in Not und Elend geraten sei und wie er wohl Zeit seines Lebens nicht aus dr?ckender Armut und D?rftigkeit kommen werde. Der Fremde tr?stete ihn dagegen und meinte, wie oft ein unverhofftes Gl?ck dem Hoffnungslosesten alle G?ter des Lebens bringe, und dass man wohl etwas wagen m?sse, das Gl?ck selbst sich dienstbar zu machen. >>Ach lieber Herr!<< erwiderte Andres, >>ich vertraue Gott und der F?rsprache der Heiligen, zu denen wir, ich und mein treues Weib, jeden Tag mit Inbrunst beten. Was soll ich denn tun, um mir Geld und Gut zu verschaffen? Ist es mir nach Gottes Weisheit nicht beschieden, so w?re es ja s?ndlich, darnach zu trachten; soll ich aber noch in dieser Welt zu G?tern gelangen, welches ich meines armen Weibes halber w?nsche, die ihr sch?nes Vaterland verlassen, um mir in diese wilde Ein?de zu folgen, so kommt es wohl, ohne dass ich Leib und Leben wage um schn?des, weltliches Gut.<< Der Fremde l?chelte bei diesen Reden des frommen Andres auf ganz seltsame Weise und war im Begriff, etwas zu erwidern, als Giorgina mit einem tiefen Seufzer aus dem Schlaf, in den sie versunken, erwachte. Sie f?hlte sich wunderbarlich gest?rkt; auch der Knabe l?chelte hold und lieblich an ihrer Brust. Andres war ausser sich vor Freude, er weinte, er betete, er jubelte durch das Haus. Der Knecht war indessen zur?ckgekommen und bereitete, so gut er es vermochte, von den mitgebrachten Lebensmitteln das Mahl, an dem nun der Fremde teilnehmen sollte. Der Fremde kochte selbst eine Kraftsuppe f?r Giorgina, und man sah, dass er allerlei Gew?rz und andere Ingredienzien hineinwarf, die er bei sich getragen. Es war sp?ter Abend worden, der Fremde musste daher bei dem Andres ?bernachten, und er bat, dass man ihm in derselben Stube, wo Andres und Giorgina schliefen, ein Strohlager bereiten m?ge. Das geschah. Andres, den die Besorgnis um Giorgina nicht schlafen liess, bemerkte, wie der Fremde beinahe bei jedem st?rkeren Atemzuge Giorginas auffuhr, wie er st?ndlich aufstand, leise sich ihrem Bette n?herte, ihren Puls erforschte und ihr Arznei eintr?pfelte.
Als der Morgen angebrochen, war Giorgina wieder zusehends besser geworden. Andres dankte dem Fremden, den er seinen Schutzengel nannte, aus der F?lle seines Herzens. Auch Giorgina ?usserte, wie ihn wohl, auf ihr inbr?nstiges Gebet, Gott selbst gesendet habe zu ihrer Rettung. Dem Fremden schienen diese lebhaften Ausbr?che des Danks in gewisser Art beschwerlich zu fallen; er war sichtlich verlegen und ?usserte ein Mal ?ber das andere, wie er ja ein Unmensch sein m?sse, wenn er nicht der Kranken mit seiner Kenntnis und den Arzneimitteln, die er bei sich f?hre, habe beistehen sollen. ?brigens sei nicht Andres, sondern er zum Dank verpflichtet, da man ihn, der Not unerachtet, die im Hause herrsche, so gastlich aufgenommen, und er wolle auch keineswegs diese Pflicht unerf?llt lassen. Er zog einen wohlgef?llten Beutel hervor und nahm einige Goldst?cke heraus, die er dem Andres hinreichte. >>Ei Herr<<, sagte Andres, >>wie und wof?r sollte ich denn so vieles Geld von Euch annehmen? Euch in meinem Hause zu beherbergen, da Ihr Euch in dem wilden weitl?ufigen Forst verirrt hattet, das war ja Christenpflicht, und d?nkte Euch das irgend eines Dankes wert, so habt Ihr mich ja ?berreich, ja mehr, als ich es nur mit Worten sagen mag, dadurch belohnt, dass Ihr als ein weiser kunsterfahrner Mann mein liebes Weib vom augenscheinlichen Tode rettetet. Ach Herr! was Ihr an mir getan, werde ich Euch ewiglich nicht vergessen, und Gott m?ge es mir verleihen, dass ich die edle Tat Euch mit meinem Leben und Blut lohnen k?nne.<< Bei diesen Worten des wackern Andres fuhr es wie ein rascher funkelnder Blitz aus den Augen des Fremden. >>Ihr m?sst, braver Mann<<, sprach er, >>durchaus das Geld annehmen. Ihr seid das schon Euerm Weibe schuldig, der Ihr damit bessere Nahrungsmittel und Pflege verschaffen k?nnt; denn dieser bedarf sie nunmehro, um nicht wieder in ihren vorigen Zustand zur?ckzufallen, und Euerm Knaben Nahrung geben zu k?nnen.<< - >>Ach Herr<<, erwiderte Andres, >>verzeiht es, aber eine innere Stimme sagt mir, dass ich Euer unverdientes Geld nicht nehmen darf. Diese innere Stimme, der ich, wie der h?hern Eingebung meines Schutzheiligen, immer vertraut, hat mich bisher sicher durch das Leben gef?hrt und mich besch?tzt vor allen Gefahren des Leibes und der Seele. Wollt Ihr grossm?tig handeln und an mir Armen ein ?briges tun, so lasst mir ein Fl?schlein von Eurer wundervollen Arznei zur?ck, damit durch ihre Kraft mein Weib ganz genese.<< Giorgina richtete sich im Bette auf, und der schmerzvolle wehm?tige Blick, den sie auf Andres warf, schien ihn anzusehen, diesmal nicht so strenge auf sein inneres Widerstreben zu achten, sondern die Gabe des mildt?tigen Mannes anzunehmen. Der Fremde bemerkte das und sprach: >>Nun wenn Ihr denn durchaus mein Geld nicht annehmen wollt, so schenke ich es Euerm lieben Weibe, die meinen guten Willen, Euch aus der bittern Not zu retten, nicht verschm?hen wird.<< Damit griff er noch einmal in den Beutel, und sich der Giorgina n?hernd, gab er ihr wohl noch einmal so viel Geld, als er vorhin dem Andres angeboten hatte. Giorgina sah das sch?ne funkelnde Gold mit vor Freude leuchtenden Augen, sie konnte kein Wort des Danks herausbringen, die hellen Tr?nen schossen ihr die Wangen herab. Der Fremde wandte sich schnell von ihr weg, und sprach zu Andres: >>Seht, lieber Mann! Ihr k?nnet meine Gabe getrost annehmen, da ich nur etwas von grossem ?berfluss Euch mitteile. Gestehen will ich Euch, dass ich das nicht bin, was ich scheine. Nach meiner schlichten Kleidung, und da ich wie ein d?rftiger wandernder Kr?mer zu Fuss reise, glaubt Ihr gewiss, dass ich arm bin und mich nur k?mmerlich von kleinem Verdienst auf Messen und Jahrm?rkten n?hre: ich muss Euch jedoch sagen, dass ich durch gl?cklichen Handel mit den trefflichsten Kleinodien, den ich seit vielen Jahren treibe, ein sehr reicher Mann geworden, und nur die einfache Lebensweise aus alter Gewohnheit beibehalten habe. In diesem kleinen Felleisen und dem Kistchen bewahre ich Juwelen und k?stliche, zum Teil noch im grauen Altertum geschnittene Steine, welche viele, viele Tausende wert sind. Ich habe diesmal in Frankfurt sehr gl?ckliche Gesch?fte gemacht, so dass das wohl noch lange nicht der hundertste Teil des Gewinns sein mag, was ich Euerm lieben Weibe schenkte. ?berdem gebe ich Euch das Geld keineswegs umsonst, sondern verlange von Euch daf?r allerlei Gef?lligkeiten. Ich wollte, wie gew?hnlich, von Frankfurt nach Kassel gehen und kam von Schl?chtern aus vom richtigen Wege ab. Indessen habe ich gefunden, dass der Weg durch diesen Forst, den sonst die Reisenden scheuen, gerade f?r einen Fussg?nger recht anmutig ist, weshalb ich denn k?nftig auf gleicher Reise immer diese Strasse einschlagen und bei Euch einsprechen will. Ihr werdet daher mich j?hrlich zweimal bei Euch eintreffen sehen; n?mlich zu Ostern, wenn ich von Frankfurt nach Kassel wandere, und im sp?ten Herbst, wenn ich von der Leipziger Michaelismesse nach Frankfurt und von dort nach der Schweiz und wohl auch nach Welschland gehe. Dann sollt Ihr mich f?r gute Bezahlung - einen - zwei auch wohl drei Tage bei Euch beherbergen und das ist die erste Gef?lligkeit, um die ich Euch ersuche.
Dem frommen Andres missfiel diese ?usserung des Fremden h?chlich; indessen verschwieg er das, was er darauf zu erwidern schon im Begriff stand, und trieb vielmehr den Fremden an, jetzt die Wanderung durch den Forst zu beginnen, da er sonst erst in sp?ter Nacht in sein Haus zur?ckkehren und seine Giorgina in Furcht und Angst setzen w?rde.
Der Fremde sagte beim Abschied noch Giorginen: dass er ausdr?cklich ihr erlaube, sich, wenn es ihr Vergn?gen mache, mit seinen Geschmeiden zu schm?cken, da es ihr ja ohnedies in diesem einsamen wilden Forst an jeder Belustigung mangle. Giorgina err?tete vor innerm Vergn?gen, da sie freilich die ihrer Nation eigne Lust an gl?nzendem Staat und vorz?glich an kostbaren Steinen nicht unterdr?cken konnte. - Nun schritten Denner und Andres rasch vorw?rts durch den finstern ?den Wald. In dem dicksten Geb?sch schnupperten die Doggen umher und klafften, den Herrn mit klugen beredten Augen anschauend. >>Hier ist es nicht geheuer<<, sprach Andres, spannte den Hahn seiner B?chse und schritt mit den Hunden bed?chtig vor dem fremden Kaufmann her. Oft war es ihm, als rausche es in den B?umen und bald erblickte er in der Ferne finstre Gestalten, die gleich wieder in dem Geb?sch verschwanden. Er wollte seine Doggen loskuppeln. >>Tut das nicht, lieber Mann!<< rief Denner, >>denn ich kann Euch versichern, dass wir nicht das mindeste zu f?rchten haben.<< Kaum hatte er diese Worte gesprochen, als nur wenige Schritte von ihnen ein grosser schwarzer Kerl mit struppigen Haaren und grossem Knebelbart, eine B?chse in der Hand, aus dem Geb?sch heraustrat. Andres machte sich schussfertig; >>schiesst nicht, schiesst nicht!<< rief Denner; der schwarze Kerl nickte ihm freundlich zu und verlor sich in den B?umen. Endlich waren sie aus dem Walde heraus, auf der lebhaften Landstrasse. >>Nun danke ich Euch herzlich f?r Euer Geleite<<, sprach Denner; >>kehrt nur jetzt in Eure Wohnung zur?ck; sollten Euch wieder solche Gestalten aufstossen, wie wir sie gesehen, so zieht ruhig Eure Strasse fort, ohne Euch darum zu k?mmern. Tut, als wenn Ihr gar nichts bemerktet, behaltet Eure Doggen am Strick, Ihr werdet ohne alle Gefahr Eure Wohnung erreichen.<< Andres wusste nicht, was er von dem allen und von dem wunderlichen Kaufmann denken sollte, der, wie ein Geisterbeschw?rer, den Feind zu bannen und von sich abzuhalten schien. Er konnte nicht begreifen, warum er denn erst sich habe durch den Wald geleiten lassen. Getrost schritt Andres durch den Forst zur?ck, es stiess ihm durchaus nichts Verd?chtiges auf und er kam wohlbehalten in sein Haus, wo ihm seine Giorgina, die sich munter und kr?ftig aus dem Bette gemacht, voll Freude in die Arme fiel.
Durch die Freigebigkeit des fremden Kaufmanns bekam die kleine Haushaltung des Andres eine ganz andere Gestalt. Kaum war n?mlich Giorgina ganz genesen, als er mit ihr nach Fulda ging und ausser den n?tigsten Bed?rfnissen noch manches St?ck einkaufte, das ihrer h?uslichen Einrichtung abging und wodurch diese das Ansehen eines gewissen Wohlstandes erhielt. Dazu kam, dass seit dem Besuch des Fremden die Freij?ger und Holzdiebe aus der Gegend gebannt schienen, und Andres seinem Posten ruhig vorstehen konnte. Auch sein Jagdgl?ck war wiedergekehrt, so dass er, wie sonst, beinahe niemals einen Fehlschuss tat. Der Fremde stellte sich zu Michaelis wieder ein und blieb drei Tage. Der hartn?ckigen Weigerung der Wirtsleute unerachtet war er doch wieder so freigebig, wie das erstemal. Er versicherte, es sei nun einmal seine Absicht, sie in Wohlstand zu versetzen, und so sich selbst das Absteigequartier im Walde freundlicher und angenehmer zu machen.
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