Read Ebook: Die Krankheit: Eine Erzählung by Klabund
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Ebook has 485 lines and 13909 words, and 10 pages
>>Leider<<, sagte Sylvester und bestellte einen Vermouth.
Pein streifte sich seine unf?rmigen ?berschuhe herunter und wischte sich mit einem kleinen Spitzentaschentuch seine blaue Schneebrille ab.
>>Melange!<< schnaubte er. >>Die Sehnsucht jedes Schauspielers ist, auf der B?hne zu sterben. Vielleicht jedes Menschen. Ich habe viele Menschen sterben sehen. Der Todeskampf eines jeden einzelnen war ein Schauspiel. Sie wird auf der B?hne sterben wollen ...<<
Ein merkw?rdiger Tr?umer, dachte Sylvester. Er verwest in sich, und das nennt er Romantik.
>>Der Tod der Schwinds?chtigen ist dramatisch wie ihr Leben.<<
Pein saugte an einem St?ck Zucker, das er mit dem L?ffel behutsam in den Kaffee getaucht hatte.
>>Die Schwinds?chtigen sind alle Theatraliker<<, sagte Sylvester.
Peins strohbrauner Bart knisterte.
>>Dramatiker!<<
>>In Ihrem Sinne ...<< gab Sylvester l?chelnd zu.
Peins Augen erloschen, als habe jemand das Licht in ihnen abgeknipst.
>>Die Schwindsucht ist ?berhaupt keine Krankheit. Sie ist ein Zustand des Leibes und der Seele. Ich wollte schon l?ngst einmal eine Psychoanalyse der Schwindsucht schreiben.<<
>>Tun Sie das.<< Sylvester rief der Kellnerin >>Zahlen!<<
Sylvester bewohnte in der Pension >>Sch?nblick<<, Davos-Dorf, ein schmales S?dzimmer mit Privatbalkon im ersten Stock. Die Pension stand am Wald, dicht vor dem Ausgang der Schatzalpbobbahn. Sie wurde preiswert und hygienisch gef?hrt von dem Ehepaar Paustian, zwei alten Davosern, die vor Jahren schwerkrank ins Tal kamen und sich nach Besserung ihres Leidens dauernd in Davos niederliessen. An dem Ehepaar Paustian hatte Dr. Ronken seinerzeit zuerst den Pneumothorax erprobt, als sie noch seine Patienten im Sanatorium Beaurivage waren, den Pneumothorax, jene nunmehr allgemein bekannte und bew?hrte Vorrichtung, durch die, bei Gesundheit der einen Lunge, die zweite kranke Lunge zum Einschrumpfen und Absterben gebracht wird.
In der Pension >>Sch?nblick<< wurde das Ehepaar Paustian deshalb mit einem gewissen g?tigen Spott Pneumo und Thorax benannt. Sie waren beide von jener Art Lungenkranker, die die Krankheit durchsichtiger, gl?serner und gleichsam innerlicher gewandelt hat.
Sylvester sprach gern mit dem Thorax, mit dem ihn die Freude des geistigen Kranken an B?chern verband.
Thorax, seinem ehemaligen Beruf nach deutscher Apotheker, schrieb in den wenigen Stunden, die er nicht Kur machen musste, kleine literarische Betrachtungen ?ber Schlegel, ?ber J. Ch. G?nther, ?ber Gottfried Keller, kurz: ?ber eine sch?ne, aber vergangene Literatur. Die Literatur der Gegenwart begl?ckte ihn wenig. Er las nur aus H?flichkeit Sylvesters Schriften, weil Sylvester sein Gast war. --
Sylvester kam grade zurecht, als die Pneumo das Gong zum Abendessen schlug.
Er wusch sich eilig, rieb sich die heisse Stirne mit Eau de Cologne und betrat den Speisesaal.
Die L?ffel klapperten in der Suppe.
Die Unterhaltung war in vollem Gange. Die ?berlaute Frau Bautz, Operettens?ngerin a. D. und wie alle Artisten aus Sachsen stammend, schrie in ihrer unangenehmen Sprache ?ber den Tisch den Leutnant R?tten an:
>>Haben Sie nicht einen abgelegten Sportanzug f?r meine n?chste Hosenrolle?<<
Leutnant R?tten besprach mit dem schw?bischen Violinvirtuosen Krampski Toilettenfragen und die Mode des eleganten Herrn.
>>Man bekommt keinen anst?ndigen Anzug in Davos. Ausgeschlossen. Nicht f?r teures Geld. Ich brauche einen blauen Sakkoanzug, einen neuen Frack, eine englische Reithose. Haben Sie meinen Frack gesehen? 180 Franken hat er gekostet. Bei dem Davoser Tailleur Shoping Sons. In den Dreck geworfen sind die 180 Franken.<<
Frau Bautz, welche nur das Wort Dreck geh?rt und missverstanden hatte, schn?rkelte die Lippen:
>>Ich bin ganz weg von Ihrem Frack, Herr Leutnant.<<
>>Ich habe einen Schneider in Basel,<< sagte Krampski, >>ich habe in jedem Land der Welt einen Schneider. Ich werde ihn nach Davos kommen lassen. Ich brauche einen Cutaway. Wollen Sie partizipieren?<<
Er sagte partizipieren, weil das ein Wort war, welches in Offizierskreisen bei derlei Angelegenheiten ?blich sein mochte.
>>Ich gehe ausserordentlich gern auf Jagd<<, kr?hte der naturwissenschaftliche Oberlehrer. >>Die Jagd bereichert die Kenntnisse des Menschen von der Natur. Neulich hab ich eine Ricke geschossen, die hatte ein unausgetragenes Junges im Leib.<<
>>Fabelhaft!<< sagte Herr Klunkenbul. >>Da haben Sie also eine Dublette zur Strecke gebracht!<<
>>Es ist verboten, Ricken zu schiessen<<, sagte der Leutnant, leise verweisend.
>>Ricke -- was ist das?<< fragte die h?bsche Russin.
>>Ein weibliches Reh<<, sagte Sylvester. --
Er spricht mit mir, l?chelte sie in sich hinein. --
>>Ich angle lieber<<, die Operettens?ngerin wiegte sich in ihren H?ften. Sie sang die drei Worte wie einen Coupletrefrain.
>>Aber mit k?nstlichen M?cken<<, sagte der Thorax. Der alte Herr Klunkenbul, Xylograph aus Braunschweig, liess einige asthmatische Vokabeln aus seinem weissen Bart fallen; der stand wie eine beschneite Tanne im Hochwald seines Gesichts:
>>Davos ist im Glanz der funkelnden Wintersonne die reine M?rchenwelt.<<
Man schien ihn nicht geh?rt zu haben und er wiederholte eigensinnig:
>>... die reine M?rchenwelt ...<<
>>Der Monismus ist eine bedauerliche Zeiterscheinung<<, sagte Sylvester und wandte sich ernst an Herrn Klunkenbul.
>>Wie meinen Sie?<< Herr Klunkenbuls Bart ?ffnete sich erstaunt.
Der naturwissenschaftliche Oberlehrer hatte nur das Wort Monismus vernommen.
>>So glauben Sie nicht an H?ckel und an seine wunderbaren Forschungsresultate?<<
>>Ich glaube immer noch lieber an Gott<<, sagte Sylvester.
Der naturwissenschaftliche Oberlehrer prustete ?berlegen. Herr Klunkenbul, der streng protestantisch gesinnt war, rief >>Bravo!<< und prostete Sylvester zu.
Die h?bsche Russin Agafja warf wie bunte Glasperlen strahlende Augen auf Sylvester.
Er ist ein Dichter, dachte sie, ein deutscher Dichter -- aber ein Dichter, und sah Sonne, Mond und Sterne ihn umwandeln.
Und w?hrend sie sich eine Mandarine sch?lte, sagte sie leise ein paar russische Verse:
Wenn der Dichter tr?umt, weinen die M?dchen, Und im Morgenrot liegt die Bl?te ihres Herzens betaut.
Nach dem Essen trat die Pneumo an Sylvester heran.
>>Sie spielt. Haben Sie es gelesen? Der Zettel an den Affichen schillert in allen Regenbogenfarben.<<
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