Read Ebook: Sämtliche Werke 7-8: Der Jüngling by Dostoyevsky Fyodor Merezhkovsky Dmitry Sergeyevich Author Of Introduction Etc Moeller Van Den Bruck Arthur Editor Rahsin E K Translator
Font size:
Background color:
Text color:
Add to tbrJar First Page Next Page Prev Page
Ebook has 3734 lines and 266867 words, and 75 pages
Und als meine Wut ihren H?hepunkt erreicht hatte, antwortete ich auf die Frage, ob ich F?rst sei, laut und mit fester Stimme:
>>Nein, ich heisse einfach Dolgoruki und bin der uneheliche Sohn meines fr?heren Gutsherrn Werssiloff.<<
Das hatte ich mir in der sechsten Klasse des Gymnasiums ausgedacht, und wenn ich mich auch bald ?berzeugte, dass es dumm von mir war, so h?rte ich doch nicht so bald auf, diese Dummheit zu begehen. Ich entsinne mich noch, wie einer meiner Lehrer -- ?brigens war er der einzige -- einmal von mir sagte, dass ich von der >>rachs?chtigen sozialen Idee<< erf?llt sei. Im allgemeinen nahm man aber solche Ausf?lle meinerseits mit einer Nachdenklichkeit auf, in der f?r mich entschieden etwas Verletzendes lag. Einmal aber sagte mir ein Mitsch?ler, einer, der nicht auf den Kopf gefallen war, doch geschah es nur selten, dass wir ein paar Worte wechselten, mit seltsam ernstem Gesicht, indem er zur Seite blickte:
>>Solche Gef?hle machen Ihnen nat?rlich nur Ehre, und zweifellos werden Sie auch alle Ursache haben, darauf stolz zu sein; aber an Ihrer Stelle w?rde ich mit einer unehelichen Geburt doch nicht gar so sehr prahlen ... Sie dagegen scheinen sich dar?ber zu freuen, als w?ren Sie heute Geburtstagskind.<<
Seitdem >>prahlte<< ich nicht mehr mit meiner unehelichen Geburt.
Wie gesagt, es ist tats?chlich sehr schwer, glaubhaft zu schreiben: da habe ich nun ganze drei Seiten beschrieben, um zu erz?hlen, wie ich mich ?ber meinen Familiennamen ge?rgert habe, w?hrend der Leser sicherlich schon nach der ersten Seite vermutet haben wird, mein ?rger ?ber meinen Namen sei nichts anderes gewesen, als der ?rger dar?ber, dass ich nicht >>F?rst<<, sondern >>einfach<< Dolgoruki heisse. Dies nun zu widerlegen und wom?glich eine Art Rechtfertigung zu versuchen, w?re aber doch zu erniedrigend f?r mich!
Unter dem Hofgesinde, das, wie erw?hnt, sehr zahlreich war, befand sich auch ein junges M?dchen, das kaum sein achtzehntes Lebensjahr erreicht hatte, als der f?nfzigj?hrige Makar Dolgoruki pl?tzlich die Absicht ?usserte, dieses M?dchen zu heiraten. Die Ehen des Hofgesindes wurden fr?her, zur Zeit der Leibeigenschaft, bekanntlich nur mit Erlaubnis der Gutsherrschaft geschlossen oder sogar einfach auf deren Befehl. Auf dem Gute Werssiloffs aber lebte damals als einzige Vertreterin der Herrschaft nur Tantchen -- d. h. sie ist eigentlich niemandes Tante, nur wird sie, ich weiss selbst nicht weshalb, schon ihr Leben lang von allen >>Tantchen<< genannt, nicht etwa als meine Tante, sondern als Tante ?berhaupt, was auch von seiten der Familie Werssiloff geschieht, mit der sie allerdings so etwas wie entfernt verwandt sein soll. Dieses >>Tantchen<< heisst sonst Tatjana Pawlowna Prutkoff, und damals besass sie noch in demselben Gouvernement und sogar in demselben Bezirk, in dem Werssiloffs Stammgut lag, f?nfunddreissig Leibeigene. Auf dem Gute Werssiloffs aber, wo sie als Nachbarin und halbwegs Verwandte zu der Zeit st?ndig lebte, war sie -- nun, wohl nicht gerade die Verwalterin , aber doch so etwas wie eine Aufseherin, und diese Aufsicht soll, wie ich geh?rt habe, derjenigen eines studierten Oberverwalters in nichts nachgestanden haben. ?brigens gehen mich ihre landwirtschaftlichen Kenntnisse nichts an; ich wollte hier nur sagen, dass diese Tatjana Pawlowna -- ohne jede Schmeichelei -- ein wirklich edeldenkendes und im ?brigen originelles Wesen ist. Nun, und eben diese Tatjana Pawlowna suchte damals den finsteren Makar Dolgoruki von den Heiratsgedanken nicht etwa abzubringen, sondern soll ihm aus einem unbekannten Grunde sogar noch zugeredet haben. Die achtzehnj?hrige Ssofja Andrejewna -- meine Mutter -- war schon seit einigen Jahren Ganzwaise. Ihr verstorbener Vater, der gleichfalls Hofbauer und dem Makar Dolgoruki in irgendeiner Sache zu Dank verpflichtet gewesen war, hatte diesen Makar sein Lebtag sehr geachtet und soll deshalb auf dem Sterbebett, nur eine Viertelstunde vor seinem Tode den alten Makar Dolgoruki zu sich gerufen und ihm in Gegenwart des Geistlichen und aller versammelten Gutsbauern laut und bestimmt, auf seine zw?lfj?hrige Tochter weisend, gesagt haben:
>>Erzieh sie und nimm sie zum Weibe.<<
Das haben alle geh?rt. Was nun aber den alten Makar Iwanoff betrifft, so weiss ich nicht, aus welcher ?berlegung er sie dann sp?ter geheiratet hat, ich meine, ob mit Vergn?gen oder nur aus Pflichtgef?hl. Anzunehmen ist, dass er sich vollkommen gleichm?tig dazu verhielt. Er war ein Mensch, der sich auch damals schon >>hervorzutun<< verstand. Ich will damit nicht sagen, dass er etwa sehr belesen oder sehr bibelkundig gewesen sei, obschon er die ganze Liturgie auswendig kannte und namentlich die Heiligenlegenden, diese allerdings, ohne sie selbst gelesen zu haben. Nein, er war auch nicht einmal ein sogenannter Bauernr?sonn?r, sondern einfach ein eigensinniger Charakter, ja, mitunter sogar gewagt eigensinnig: er redete selbstbewusst, urteilte unwiderruflich, und f?hrte zum ?berfluss ein >>ehrsames Leben<<, wie er sich selbst ausdr?ckte. Ja, so war er zu jener Zeit. Nat?rlich wurde er von allen geachtet, doch war er nichtsdestoweniger allen unausstehlich. Das sollte erst sp?ter anders werden, als er sein Pilgerleben begann: dann sah man in ihm nahezu einen Heiligen oder jedenfalls einen grossen Dulder.
?ber den Charakter meiner Mutter l?sst sich nicht viel sagen: bis zu ihrem achtzehnten Jahr hatte Tatjana Pawlowna sie bei sich behalten, trotz aller Ratschl?ge des Verwalters, sie doch nach Moskau zu schicken, um sie dort etwas lernen zu lassen. Tatjana Pawlowna hatte sie statt dessen selbst in manchem unterrichtet, im N?hen, im Zuschneiden, wie sie sich als M?dchen zu benehmen habe, und sogar ein wenig im Lesen. Schreiben konnte meine Mutter nie so recht. Die Heirat mit Makar Iwanoff war in ihren Augen eine schon l?ngst beschlossene Sache, und ?berhaupt fand sie alles, was mit ihr damals geschah, vortrefflich und sogar besser, als sie es sich zu w?nschen gewusst h?tte. Zum Altar ging sie mit der ruhigsten Miene, die man in einem solchen Fall nur haben kann, so dass selbst Tatjana Pawlowna sie einen Fisch genannt hat. Dies alles hat mir Tatjana Pawlowna selbst erz?hlt.
Als Werssiloff auf sein Gut kam, war sie gerade erst ein halbes Jahr verheiratet.
Nachdem meine Eltern sich aber vergessen, hatten sie sogleich alles gebeichtet. Er erz?hlte mir sogar mit sehr viel Scharfsinn, dass er an der Schulter Makar Iwanowitschs, den er zu sich ins Kabinett hatte rufen lassen, geschluchzt habe. Sie aber -- sie lag w?hrenddessen einsam irgendwo dort in ihrer armseligen Bauernh?tte ...
Doch genug der Fragen und peinlichen Einzelheiten! Werssiloff reiste, nachdem er meine Mutter von Makar Dolgoruki freigekauft hatte, bald wieder irgendwohin fort, und seitdem hat er sie fast ?berallhin mitgenommen, ausser in den wenigen F?llen, wenn er ganz pl?tzlich aufbrach und dann gew?hnlich l?ngere Zeit wie verschollen blieb. In solchen F?llen war jedoch sogleich Tantchen zur Stelle, oder vielmehr Tatjana Pawlowna Prutkoff, die dann meine Mutter ohne weiteres unter ihre Obhut nahm. So hatten Werssiloff und meine Mutter in Moskau gelebt, auf verschiedenen anderen G?tern, in verschiedenen anderen St?dten, sogar im Auslande, und schliesslich in Petersburg. Doch von diesem Leben soll noch sp?ter die Rede sein, oder auch nicht, -- wozu schliesslich? Ich will nur sagen, dass ein Jahr nach dem Loskauf meiner Mutter von ihrem rechtm?ssigen Manne ich zur Welt kam, darauf, wieder nach einem Jahr, meine Schwester, und dann nach zehn oder elf Jahren ein kr?nklicher Knabe, mein j?ngster Bruder, der aber nur wenige Wochen lebte. Nach der qualvollen Geburt dieses Kindes war auch die Sch?nheit meiner Mutter dahin, wenigstens erz?hlte man mir so; sie begann zu altern und zu kr?nkeln.
Doch ungeachtet des Loskaufs unterliess Makar Iwanowitsch es nie, >>seine Familie<< von Zeit zu Zeit ?ber sein Befinden zu unterrichten, gleichviel ob >>Werssiloffs<< von Ort zu Ort reisten oder sich irgendwo auf l?ngere Zeit niedergelassen hatten. So kam es, dass sich allm?hlich recht sonderbare Beziehungen zwischen ihnen herausbildeten, ein Verh?ltnis, das zum Teil feierlich und nicht ohne gegenseitige Ehrfurcht war. Wenn man nun das fr?her ?bliche Verhalten der Gutsherren zu ihren Leibeigenen in Betracht zieht, so h?tten solche Beziehungen unfehlbar etwas L?cherliches annehmen m?ssen, doch hier war das nicht der Fall. Er schrieb zweimal j?hrlich, nicht mehr und nicht weniger, und die Briefe unterschieden sich kaum voneinander. Ich habe sie gelesen: nicht die geringste pers?nliche Note ist in ihnen zu entdecken; sie enthalten nach M?glichkeit nur feierliche Berichte ?ber die gew?hnlichsten Ereignisse und dann Bezeugungen der unpers?nlichsten Gef?hle, wenn man sich so ausdr?cken darf. Zu Anfang immer eine Schilderung des eigenen Gesundheitszustandes, dann Erkundigungen nach der Gesundheit der Betreffenden, dann W?nsche, dass es ihnen wohlergehen m?ge, feierliche Gr?sse und feierlichst erteilter Segen -- und das war alles. Gerade in dieser Unpers?nlichkeit scheinen Leute von der Bildungsstufe eines Makar Iwanowitsch die ganze Wohlanst?ndigkeit und h?here Umgangskunst zu vermuten. >>Unserer liebwerten und ehrsamen Ehefrau Ssofja Andrejewna unsere untert?nigste Verbeugung ...<< >>Unseren liebwerten Kindern meinen v?terlichen, ewig unersch?tterlichen Segen.<< Die Kinder wurden alle der Reihe nach aufgez?hlt, ich als ?ltester an der Spitze. ?brigens war Makar Iwanowitsch doch klug genug, >>Se. Hochgeboren, den ehrenwerten Herrn Andrei Petrowitsch<< , nie seinen >>Wohlt?ter<< zu nennen, wie es sonst ?blich ist, obschon er ihm unentwegt in jedem Brief seinen untert?nigsten Gruss sandte, ihn f?r sich um seine Wohlgeneigtheit bat und f?r ihn wiederum Gottes Segen herflehte. Die Antwort auf seine Briefe erhielt Makar Iwanowitsch von meiner Mutter immer postwendend -- Werssiloff beteiligte sich nat?rlich nie an dieser Korrespondenz -- und auch ihre Briefe unterschieden sich fast in nichts voneinander. Makar Iwanowitsch schrieb aus allen Gegenden Russlands, bald aus St?dten, bald aus Kl?stern, in denen er sich mitunter auf lange Zeit niederliess. Er f?hrte damals bereits ein Pilgerleben. Niemals bat er um etwas, daf?r aber kam er alle drei Jahre einmal unfehlbar >>nach Haus<< und erschien dann regelm?ssig bei meiner Mutter, die, wie es sich immer so traf, ihre eigene Wohnung hatte, getrennt von derjenigen Werssiloffs. Darauf werde ich ?brigens noch sp?ter zu sprechen kommen, hier aber will ich nur bemerken, dass Makar Iwanowitsch es sich dann nicht etwa im Gastzimmer auf den Sofas bequem machte, sondern bescheidentlich mit einer Schlafstelle irgendwo hinter einem Bettschirm f?rliebnahm. Er blieb auch nicht lange, gew?hnlich nur f?nf Tage, h?chstens eine Woche. Ich habe bisher ganz vergessen zu sagen, dass sein Familienname Dolgoruki ihm unendlich gefiel und er ihn ungeheuer achtete. Nat?rlich war das nur eine l?cherliche Dummheit von ihm. Am d?mmsten aber war, dass er ihm gerade deshalb so gefiel, weil es F?rsten dieses Namens gibt. Gott weiss, wie er zu dieser verdrehten Auffassung gekommen sein mag!
Wenn ich gesagt habe, dass die ganze >>Familie<< stets beisammen war, so war sie das, versteht sich, nur mit Ausnahme meiner Person. Ich war wie ein ?berfl?ssiger aus dem Nest geworfen: fast schon seit meiner Geburt hatte man mich bei fremden Menschen untergebracht. Doch lag dieser Handlungsweise keinerlei besondere Absicht zugrunde, es hatte sich eben ganz von selbst so gemacht. Als meine Mutter mich geboren hatte, war sie noch jung und h?bsch, und daher brauchte er sie; ein kleiner Schreihals aber w?re sehr hinderlich gewesen, besonders noch auf Reisen. So ist es denn gekommen, dass ich meine Mutter vor meiner ?bersiedlung nach Petersburg, also bis zu meinem zwanzigsten Lebensjahr, nur zwei- oder dreimal ganz fl?chtig gesehen habe. Das war freilich nicht auf die Gef?hle meiner Mutter zur?ckzuf?hren, sondern auf den Hochmut Werssiloffs den Menschen gegen?ber.
Jetzt von etwas ganz anderem.
Einen Monat vorher, d. h. einen Monat vor jenem neunzehnten September, beschloss ich damals in Moskau, mich endg?ltig von ihnen allen loszusagen und hinfort nur noch meiner Idee zu leben, d. h. restlos in ihr aufzugehen. Ich sage und schreibe es auch so hin: >>restlos in ihr aufzugehen<<; denn dieser Ausdruck deckt sich am besten mit meinem Hauptgedanken -- eben mit der Idee, f?r die allein ich auf Erden leben will. Was das f?r eine >>Idee<< ist, das werde ich sp?ter noch ausf?hrlich erkl?ren. In der jahrelangen vertr?umten und verschw?rmten Einsamkeit meines Moskauer Lebens hatte sie sich langsam entwickelt, dann aber, in der sechsten Klasse des Gymnasiums, hatte sie fast pl?tzlich von mir vollst?ndig Besitz ergriffen und mich dann vielleicht keinen einzigen Augenblick mehr verlassen. Es war seitdem, als habe diese Idee mein ganzes Leben verschlungen. Auch vorher schon hatte ich mehr in Tr?umen als in der Wirklichkeit gelebt, ja eigentlich hatte ich schon von Kindheit an mein Leben in einer Traumwelt zugebracht, in einer Traumwelt von jener bewussten Art. Doch mit der Entstehung dieser gr?ssten und alles ?brige in mir verschlingenden Idee wurden auch meine Tr?ume bestimmter, gewannen sie feste Umrisse und feste Gestalt: aus kindisch dummen Phantastereien wurden fast ?ber Nacht vern?nftige Zukunftspl?ne. Die Schule hatte das Tr?umen nicht verhindert, so konnte sie auch meiner >>Idee<< nichts anhaben. ?brigens will ich hier doch bemerken, dass ich das Gymnasium im letzten Jahr als schlechter Sch?ler beendete, w?hrend ich bis dahin immer einer der ersten gewesen war, und schuld daran war nat?rlich nichts anderes als diese Idee, infolge eines Schlusses, den ich aus ihr gezogen hatte. So war denn nicht das Gymnasium ein Hindernis f?r die Idee, sondern umgekehrt, die Idee ein Hindernis f?r das Gymnasium. Und ebenso verhinderte sie das weitere Studium, ich meine den Besuch einer Universit?t. Nach dem Abiturium beabsichtigte ich, nicht nur unverz?glich mit allen Verwandten zu brechen, sondern falls n?tig auch mit der ganzen Welt -- und das, obschon ich damals erst zwanzig Jahre alt war. So schrieb ich nach Petersburg, dass man mich hinfort in Ruhe lassen, kein Geld mehr zu meinem Unterhalt senden, und mich, wenn m?glich, vollst?ndig vergessen solle . Und zum Schluss erkl?rte ich unumwunden, die Universit?t >>um keinen Preis<< besuchen zu wollen. Sah ich mich doch damals vor ein unvermeidliches Dilemma gestellt: entweder verzichtete ich auf die Universit?t und die Weiterbildung, oder ich schob die Umsetzung der Idee in die Tat noch auf ganze vier Jahre hinaus. Furchtlos und ohne zu z?gern entschied ich mich f?r die Idee und gab das Studium auf, zumal ich alles schon mathematisch berechnet hatte und vom Erfolg ?berzeugt war.
Auf meinen Brief erhielt ich eine Antwort von Werssiloff, meinem nat?rlichen Vater, den ich bis dahin bloss einmal, und auch da nur einen Augenblick lang gesehen hatte . Er antwortete auf meinen Brief, der ?brigens gar nicht an ihn gerichtet gewesen war, mit einem eigenh?ndigen Schreiben, in dem er mich nach Petersburg zu kommen aufforderte und mir daselbst eine private Anstellung versprach.
Eine solche Aufforderung von diesem verschlossenen, stolzen Menschen, der sich so hochm?tig und nachl?ssig zu mir verhalten und sich bis dahin, nachdem er mich gezeugt und dann unbek?mmert unter fremden Leuten meinem Schicksal ?berlassen hatte, der mich nicht nur nicht kannte, sondern sein Verhalten zu mir nicht einmal bereute , -- ja, die Aufforderung dieses Menschen, sage ich, der sich so pl?tzlich meiner erinnerte und mich eines eigenh?ndigen Schreibens w?rdigte, -- diese Aufforderung verf?hrte mich und entschied mein Schicksal. Unter anderem gefiel mir sein Brief auch deshalb, weil er in ihm mit keinem Wort vom Studium sprach: weder bat er mich, meinen Entschluss zu ?ndern, noch machte er mir deshalb einen Vorwurf, -- kurz, er kam mir mit keiner einzigen der in solchen F?llen ?blichen elterlichen Redensarten. Und eben das gefiel mir, obschon es, genau genommen, gerade kein h?bscher Zug von ihm war, da dieses Verhalten noch deutlicher seine Gleichg?ltigkeit mir gegen?ber bewies. Ich entschloss mich aber auch noch aus dem Grunde zur Fahrt, weil dieser >>Abstecher<< meiner Idee und ihrer Ausf?hrung schliesslich nichts anhaben konnte. >>Ich kann mir ja die Geschichte dort mal ansehen,<< philosophierte ich, >>jedenfalls aber bleibe ich nur f?r einige Zeit bei ihnen, vielleicht nur f?r die allerk?rzeste. Sollte ich jedoch sehen, dass dieser Schritt, so bedingt und klein er auch ist, mich dennoch von meinem Hauptziel ablenken k?nnte, so breche ich unverz?glich mit allen, soviel ihrer dort sind, lasse alles liegen und ziehe mich sofort zur?ck in mein Geh?use. Ja, gerade in mein >Geh?use>Ich werde nicht allein sein,<< fuhr ich in Gedanken fort, w?hrend ich die letzten Tage in Moskau wie in einem Rausch umherging, >>jetzt werde ich niemals mehr allein sein, wie bisher alle die langen entsetzlichen Jahre. Jetzt habe ich meine Idee, von der ich nie mehr lassen werde, selbst dann nicht, wenn sie mir dort auch alle, Gott weiss wie sehr, gefallen, mich vielleicht relativ sogar gl?cklich machen sollten, und ich wom?glich ganze zehn Jahre bei ihnen verbliebe!<< Eben diese ?berzeugung aber war es, die in meine Pl?ne und Ziele einen Zwiespalt brachte und mich die ganze Zeit ?ber in Petersburg unfrei machte . Und dieser Zwiespalt war, glaube ich, die Hauptursache oder zum mindesten eine von den Hauptursachen, warum ich im Laufe dieses Jahres so viele Unvorsichtigkeiten, so viele H?sslichkeiten, ja sogar Niedrigkeiten und, versteht sich, auch unz?hlige Dummheiten begangen habe.
Nat?rlich, wie h?tte es anders sein sollen: ich bekam pl?tzlich einen Vater, etwas, was ich bis dahin noch nie besessen! Dieses Geschenk berauschte mich, der Gedanke daran verdr?ngte w?hrend der Reisevorbereitungen und der Fahrt fast alle anderen Gedanken. Das heisst, dass er mein >>Vater<< war, bedeutete f?r mich eigentlich noch nicht einmal so viel; denn ich bin kein Freund von Z?rtlichkeiten; aber dieser Mensch hatte mich nicht kennen wollen und sich so ohne jede Achtung zu mir verhalten, w?hrend ich mich von Kindheit an mit allen Fibern, allen Gedanken und Tr?umen gleichsam an ihn festgesogen hatte . Jeder meiner Tr?ume hatte, so weit ich zur?ckdenken kann, mit ihm in Zusammenhang gestanden, sich gew?hnlich nur mit ihm besch?ftigt, oder war wenigstens im Endergebnis auf ihn hinausgelaufen. Ich weiss nicht, liebte ich ihn, oder hasste ich ihn? -- ich weiss nur, dass alle meine Zukunftspl?ne und Tr?ume nur um ihn kreisten, er war der Mittelpunkt des ganzen Lebens, das noch vor mir lag, -- und das hatte sich ganz von selbst so gemacht, das war mit meiner Entwicklung Schritt f?r Schritt mitgegangen.
Zu meinem Entschluss, der Aufforderung nach Petersburg Folge zu leisten, trug auch noch ein m?chtiger Umstand bei, der durch einen gewissen verlockenden Reiz vielleicht sogar zum ausschlaggebenden f?r mich wurde. Das war etwas, was mein Herz schon ganze drei Monate vor meiner Abreise aus Moskau schneller hatte schlagen lassen: es zog mich in jenen unbekannten Ozean namentlich deshalb so m?chtig hinein, weil ich sogleich als Herrscher und Herr sogar ?ber fremde Schicksale -- und noch wessen Schicksale! -- dort auftreten konnte. Aber es waren nur grossm?tige und nicht despotische Gef?hle, die in mir kochten, -- das sei hier vorausgeschickt, damit man aus meinen Worten keine falschen Schl?sse ziehe. Dachte doch Werssiloff gewiss nichts anderes von mir , dass da nun ein kleiner Knabe angereist kommen werde, ein Gymnasiast, ein gr?ner J?ngling, der beim Anblick dieser ihm neuen Welt die Augen vor Verwunderung weiss Gott wie weit aufreissen werde. Ich aber kannte indessen schon sein gr?sstes Geheimnis und hatte ein Dokument in H?nden, f?r das er damals, gerade damals, mehrere Jahre seines Lebens hingegeben haben w?rde, wenn ich ihm nur f?r diesen Preis das Dokument ausgeliefert h?tte. ?brigens sehe ich soeben, dass ich hier in R?tseln rede, w?hrend doch in erster Linie Tatsachen vonn?ten sind. Ohne Tatsachen lassen sich Gef?hle nicht beschreiben, wenigstens nicht so, dass ein anderer sie nachf?hlen k?nnte. Zudem wird von diesen meinen Empfindungen noch genug die Rede sein -- habe ich doch nur deshalb zu schreiben angefangen, um auch mir selbst Klarheit zu verschaffen. So aber, so ohne Anhaltspunkte zu schreiben -- da gleicht das Geschriebene Fiebertraumgesichten oder Wolken.
Doch um endlich zu jenem neunzehnten September zu kommen, will ich vorher nur noch kurz erw?hnen, dass ich sie alle, d. h. Werssiloff, meine Mutter und meine Schwester in den bedr?ngtesten Verh?ltnissen, fast g?nzlich mittellos oder sogar buchst?blich vor der Bettelarmut antraf. Ich hatte davon schon in Moskau geh?rt, aber das, was ich dann vorfand, hatte ich doch nicht erwartet. Schon von Kindheit an war ich gew?hnt, diesen Menschen, diesen meinen >>zuk?nftigen Vater<< mir geradezu in einem Glorienschein vorzustellen; ich konnte ihn mir ?berhaupt nicht anders denken, als ?berall auf dem ersten Platz. Werssiloff hatte mit meiner Mutter bis dahin noch niemals zusammen in einer Wohnung gelebt, sondern f?r sie immer eine andere gemietet, und das hatte er nat?rlich nur getan, um jenen erb?rmlichen >>Anstand<<, was diese Kreise so nennen, in den Augen der Welt zu wahren. Jetzt aber lebten sie alle zusammen in einem h?lzernen Gartenhaus, oder richtiger, in einem Fl?gel eines Mietwohnhauses in einer kleinen Querstrasse im Stadtteil >>Ssemjonowski Polk<<. Von ihren Sachen war fast alles schon versetzt, so dass ich meiner Mutter, nat?rlich ohne Werssiloffs Wissen, meine heimlichen sechzig Rubel gab. Ja, mein >>heimliches<< Geld; denn niemand wusste es, dass ich es mir von meinem Taschengelde -- ich bekam in jedem Monat f?nf Rubel -- im Laufe von zwei Jahren zusammengespart hatte. Angefangen zu sparen hatte ich gleich am ersten Tage meiner >>Idee<<, und deshalb durfte Werssiloff kein Wort von diesem Gelde erfahren. Davor zitterte ich.
Doch diese Hilfe war nur wie ein Tropfen auf einen heissen Stein. Meine Mutter arbeitete und meine Schwester gleichfalls -- sie stickten f?r Geld. Werssiloff dagegen tat nichts, war launisch wie ein verzogenes Kind, und liess sich durch nichts abhalten, sein fr?heres Leben mit all den vielen kostspieligen Gewohnheiten weiterzuf?hren. Nichts war ihm recht, namentlich bei Tisch, wo er an jeder Speise herumm?kelte, und ?berhaupt war sein ganzes Verhalten zu den anderen geradezu despotisch. Aber meine Mutter, meine Schwester, Tatjana Pawlowna und die ganze Familie des seligen Andronikoff , auch diese ganze Familie, die aus lauter Frauenzimmern ?lterer Jahrg?nge bestand, kurz: alle diese Frauen verhielten sich zu ihm in nahezu andachtsvoller Ehrfurcht und dienten ihm wie einem G?tzen. Ich h?tte so etwas gar nicht f?r m?glich gehalten. Vor neun Jahren war er eine unvergleichlich elegantere, auffallendere Erscheinung gewesen. In meiner Erinnerung hatte ich ihn, wie ich bereits erw?hnt habe, f?rmlich in einem Glorienschein gesehen, weshalb ich denn auch nicht begriff, wie er in so kurzer Zeit -- in ungef?hr neun Jahren -- so merklich hatte altern und sich ?usserlich ver?ndern k?nnen. Es machte mich geradezu traurig, und er tat mir leid, und ich sch?mte mich fast f?r ihn. Sein Anblick war mir einer der schwersten ersten Eindr?cke nach meiner Ankunft. ?brigens machte er deshalb noch l?ngst nicht den Eindruck eines alten Mannes: er war ja auch erst f?nfundvierzig; und als ich mich aufmerksamer in ihn hineinsah, fand ich in seinen Gesichtsz?gen sogar etwas noch weit Auffallenderes, Fesselnderes, als es seine fr?here Sch?nheit, deren ich mich noch so gut entsann, gehabt hatte. Es war weniger Glanz, weniger ?ussere Sch?nheit, ja sogar weniger Vornehmheit in ihm, aber das Leben hatte doch etwas weitaus Interessanteres in dieses Gesicht hineingezeichnet, als es jene ganze fr?here Sch?nheit jemals gewesen war.
Indessen bildete die Armut nur einen zehnten oder zwanzigsten Teil von allem Widerw?rtigen, das ihm in letzter Zeit zugestossen war, das wusste ich. Ausser der Armut gab es da etwas noch weit Ernsteres, -- ganz abgesehen davon, dass er immer noch Aussicht hatte, den Erbschaftsprozess, den er schon seit einem Jahr gegen den F?rsten Ssokolski f?hrte, zu gewinnen und somit schon in n?chster Zeit in den Besitz eines Gutes im Werte von ?ber siebzigtausend Rubel zu gelangen. Ich habe bereits erw?hnt, dass dieser Werssiloff schon ganze drei Erbschaften in seinem Leben durchgebracht hatte, und da sollte ihn nun wieder eine herausreissen! Die Sache musste in den n?chsten Tagen zur Verhandlung kommen. Daraufhin war ich auch nach Petersburg gerufen worden -- in der Hoffnung, dass auch dieses Verm?gen ihnen zufallen werde. Nichtsdestoweniger hielt es schwer, irgendwo Geld aufzutreiben, da die blosse Hoffnung auf den g?nstigen Ausgang des Rechtsstreites f?r Geldleiher eine zu unsichere B?rgschaft war, und so musste man eben geduldig ausharren.
Aber Werssiloff suchte auch niemanden auf, obschon er zuweilen auf den ganzen Tag fortging. Er war schon seit l?nger als einem Jahr aus der Gesellschaft >>ausgestossen<<. Die Vorgeschichte dieser Ausstossung war mir trotz meiner gr?ssten Bem?hungen in der Hauptsache leider v?llig unaufgekl?rt geblieben, obgleich ich damals schon einen ganzen Monat nach der Ursache geforscht hatte. War Werssiloff schuldig oder unschuldig -- das allein wollte ich wissen, und deshalb war ich nach Petersburg gekommen! Alle hatten sich von ihm abgewandt, unter anderen auch alle einflussreichen Aristokraten, mit denen zu verkehren und in Beziehung zu bleiben er eigentlich immer vorz?glich verstanden hatte. Und die Ursache dieser allgemeinen Abwendung war das Ger?cht von seinem >>feigen<< und, was in den Augen der >>Gesellschaft<< noch weit schlimmer ist, >>skandal?sen<< Verhalten in einer Sache, die vor einem Jahre in Deutschland sich zugetragen haben sollte. Ja, man sprach sogar von einer Ohrfeige, die er eben damals nahezu ?ffentlich bekommen habe, und zwar von einem der F?rsten Ssokolski, und auf die er nicht mit einer Forderung geantwortet hatte. Sogar seine Kinder , sein Sohn und seine Tochter, hatten sich daraufhin von ihm zur?ckgezogen und vermieden es, mit ihm in Ber?hrung zu kommen, was ihnen ja nicht schwer fiel, da sie nicht bei ihm lebten. Beide waren sie durch die Fanariotoffs, ihre Verwandten m?tterlicherseits, und den alten F?rsten Ssokolski, Werssiloffs ehemaligen Freund, in den h?chsten Kreisen zu Hause. ?brigens konnte ich in Werssiloff, nachdem ich ihn doch schon einen ganzen Monat beobachtet hatte, nichts anderes sehen als einen unglaublich hochm?tigen Menschen, der nicht etwa von der Gesellschaft ausgestossen worden war, sondern der vielmehr selbst die Gesellschaft hinausgeworfen hatte -- so unbeirrt und ?berlegen war sein ganzes Verhalten. Aber, fragt es sich, hatte er auch das Recht zu diesem Verhalten? -- das war es, was mich qu?lte. Ich musste unbedingt die ganze Wahrheit in k?rzester Zeit erfahren; denn ich war gekommen, -- um diesen Menschen zu richten. Noch verbarg ich meine Macht vor ihm, aber lange durfte das nicht mehr w?hren; denn ich wollte wissen, wof?r ich mich zu entscheiden hatte: ihn anzuerkennen oder mich f?r immer von ihm loszusagen. Letzteres w?re mir zu schwer gewesen, und ich litt darunter ... Ich will endlich ein volles Gest?ndnis ablegen: dieser Mensch war mir teuer!
Inzwischen lebte ich bei ihnen in ihrer Wohnung, arbeitete und tat mir Zwang an, um ihnen keine Grobheiten zu sagen. Oder richtiger: sehr oft bezwang ich mich nicht. Ich lebte schon einen Monat bei ihnen und kam mit jedem Tage mehr zu der peinlichen ?berzeugung, dass ich es entschieden um keinen Preis fertig br?chte, mich mit einer direkten Frage nach dem tats?chlichen Sachverhalt an ihn selbst zu wenden. Dieser stolze Mensch stand f?rmlich wie ein leibhaftiges R?tsel vor mir, und noch dazu wie eines, das mich aufs tiefste gekr?nkt hatte und t?glich von neuem kr?nkte. Er war ja sogar sehr nett zu mir, scherzte und unterhielt sich ganz unbefangen, mir aber w?re Streit und Widerspruch lieber gewesen als diese scherzhafte Behandlung seinerseits. Alle meine Gespr?che mit ihm hatten stets etwas Zweideutiges, d. h. es lag in seinem Ton immer ein leiser, seltsamer Unterton wie von ganz feinem Spott. Er hatte mich von Anfang an, kaum dass ich aus Moskau eingetroffen war, gewissermassen nicht ernst genommen. Warum aber und wozu er mich das ?berhaupt merken liess, konnte ich mir nicht erkl?ren. Allerdings erreichte er damit, dass er f?r mich ein R?tsel blieb und ich ihn nicht zu durchschauen vermochte; nur wollte ich mich deshalb noch l?ngst nicht so weit erniedrigen, ihn zu bitten, in ernstem Tone mit mir zu reden. ?berdies lag auch etwas geradezu wunderbar Unwiderstehliches in seiner ganzen Art und Weise, ein Etwas, womit ich nichts anzufangen wusste, d. h. wie ich mich dem gegen?ber verhalten sollte. Kurz, er ging mit mir um wie mit dem gr?nsten J?ngling, was ich bald kaum noch zu ertragen vermochte, obschon ich im voraus gewusst hatte, dass es so und nicht anders sein w?rde. Infolgedessen h?rte auch ich auf, ernst mit ihm zu sprechen; ich wollte abwarten, wie lange das noch so weitergehen und was dann kommen werde. Ja, eigentlich h?rte ich sogar ganz auf zu sprechen. Ich erwartete jemand, und erst nach dessen Eintreffen in Petersburg konnte ich die Wahrheit zu erfahren hoffen. Jedenfalls bereitete ich mich schon auf den endg?ltigen Bruch mit ihnen vor und richtete mich bereits danach ein. Meine Mutter tat mir leid; aber ... >>entweder er oder ich<< -- das war es, was ich ihr und meiner Schwester als Letztes vorschlagen wollte. Sogar den Tag, an dem dies geschehen sollte, hatte ich schon im voraus bestimmt. Vorl?ufig aber versah ich meine Obliegenheiten in jener privaten Anstellung, die man mir verschafft hatte.
Zweites Kapitel.
Diese Tatjana Pawlowna, das >>Tantchen<<, von dem ich bereits gesprochen habe, spielte zu jener Zeit in ihrem Petersburger Bekanntenkreise eine sehr bedeutsame Rolle. Ich hatte ihre Existenz fast schon ganz vergessen und h?tte nat?rlich nie im Leben vermutet oder f?r m?glich gehalten, dass sie eine so einflussreiche Pers?nlichkeit sein k?nnte. Ich hatte sie bis dahin drei- oder viermal gesehen, und jedesmal war sie dann Gott weiss woher wie auf jemandes Befehl erschienen, jedesmal, wenn ich wieder irgendwo untergebracht werden sollte -- sowohl als ich in jene elende Pension des Monsieur Touchard kam, wie auch zweieinhalb Jahre sp?ter bei meinem Eintritt ins Gymnasium: da erschien sie wieder in Moskau, um mich bei dem unvergesslichen Nikolai Ssemjonowitsch unterzubringen. Wenn sie kam, blieb sie den ganzen Tag bei mir, revidierte meine W?sche, meine Kleider, fuhr mit mir nach dem Kusnetzki, kaufte mir alle Sachen, die ich n?tig hatte, kurz, sie versah mich mit allem, bis zum letzten L?schblatt und Federmesser. Bei der Gelegenheit schalt sie mich die ganze Zeit ununterbrochen, machte mir Vorw?rfe, examinierte mich und nannte mir fortw?hrend andere Knaben als Muster aller Tugenden, obwohl ich doch diese ihre jungen Anverwandten, die alle viel besser sein sollten als ich, gar nicht kannte, und dabei puffte und kniff sie mich bei jeder Gelegenheit -- wirklich, ich l?ge nicht -- und mitunter sogar so stark, dass es ordentlich weh tat. Und war ich dann eingekleidet, untergebracht und versorgt, dann verschwand sie wieder spurlos f?r mehrere Jahre. ?hnlich geschah es auch diesmal: kaum war ich angekommen, da tauchte sie schon auf, um mich sogleich wieder irgendwo >>unterzubringen<<. Sie ist ein hageres Pers?nchen mit einer spitzen, kleinen Vogelnase und scharfen, kleinen Vogelaugen. Werssiloff diente sie wie eine Sklavin, und erwies ihm eine Ehrerbietung, als w?re er der Papst, doch tat sie es aus ?berzeugung. Aber zu meiner gr?ssten Verwunderung bemerkte ich bald, dass sie entschieden von allen und ?berall sehr geachtet wurde, und alle Welt mit ihr bekannt war. Der alte F?rst Ssokolski begegnete ihr mit geradezu auffallender Hochachtung, und dasselbe liess sich von seinem ganzen Hause sagen, wie auch von Werssiloffs stolzen legitimen Kindern und deren Verwandten, den Fanariotoffs, -- und dabei lebte sie von N?harbeit und der Reinigung kostbarer Spitzen und von Stickereien, die sie im Auftrage von verschiedenen Gesch?ften anfertigte. Ich aber geriet mit ihr schon bei den ersten Worten in Streit, da sie es sich einfallen liess, mich wie fr?her als kleinen Schulbengel zu behandeln. Und seitdem gab es jeden Tag Streit zwischen uns, was jedoch nicht hinderte, dass wir uns bisweilen auch verst?ndig unterhielten, und ich muss gestehen, gegen Ende des Monats fand ich schon Gefallen an ihr: weil sie ein so selbst?ndiger Charakter war. Doch das habe ich ihr, versteht sich, nicht verraten.
Ich begriff nat?rlich sofort, dass man mich zu diesem kranken alten F?rsten nur zu dem Zweck schickte, damit er Unterhaltung und Zerstreuung habe, und dass darin mein ganzer Dienst bestehen sollte. Das war aber doch eine Erniedrigung, und ich bereitete mich denn auch dementsprechend auf das Weitere vor: um n?tigenfalls sogleich Massregeln ergreifen zu k?nnen. Doch dieser alte Sonderling machte auf mich einen ganz anderen Eindruck, als ich erwartet hatte, ich empfand f?rmlich so etwas wie Mitleid mit ihm, und gegen Ende des Monats hatte ich mich bereits ganz eigent?mlich an ihn angeschlossen. Wenigstens gab ich meine anf?ngliche Absicht auf, ihm, sobald er den geringsten Anlass dazu b?te, gr?ndlich die Wahrheit zu sagen und dann kein Blatt vor den Mund zu nehmen. Er war ?brigens noch nicht ?ber sechzig. Doch ich muss jetzt etwas zur?ckgreifen.
Etwa anderthalb Jahre, bevor ich ihn kennen lernte, hatte er einen Anfall gehabt, d. h. er war irgendwohin gereist und unterwegs, wie es hiess, >>unzurechnungsf?hig<< geworden; und dieser Umstand hatte einen kleinen Skandal zur Folge gehabt, ?ber den in der Petersburger Gesellschaft viel geredet worden war. Wie es in solchen F?llen ?blich ist, hatten seine N?chsten ihn schleunigst ins Ausland geschickt, aber schon nach f?nf Monaten war er wieder in Petersburg erschienen, und zwar vollkommen gesund. Trotzdem hatte er den Abschied genommen. Werssiloff beteuerte allerdings , dass von einer Geistesst?rung bei ihm ?berhaupt nicht habe die Rede sein k?nnen, es sei nichts als eine Nervenattacke gewesen. Den Eifer aber, mit dem er seine Behauptung verteidigte, merkte ich mir einstweilen. ?brigens muss ich sagen, dass ich eigentlich seine Ansicht teilte. Der alte Herr erschien mir zuweilen nur etwas jugendlich leichtsinnig, was in seinen Jahren vielleicht nicht mehr ganz statthaft war, und eben dies hatte man ihm vor jenem Anfall nicht nachsagen k?nnen. Wie ich h?rte, soll er fr?her irgendwo in einer Beh?rde als Rat oder Geheimrat keine geringe Rolle gespielt und einmal bei einem ihm zuteil gewordenen Auftrag sich ganz besonders hervorgetan haben. Doch inwiefern er sich so besonders zum Rat hatte eignen k?nnen, vermochte ich trotz redlicher M?he mir nicht zu erkl?ren, obschon ich ihn damals bereits seit einem ganzen Monat kannte. Man wollte an ihm die Beobachtung gemacht haben , dass nach jenem >>Anfall<< eine besondere Neigung zum Heiraten sich in ihm entwickelt habe, und angeblich sei er im Laufe dieser anderthalb Jahre bereits mehrmals im Begriff gewesen, das Vorhaben auch auszuf?hren. Und dar?ber, hiess es, sei man in der Gesellschaft gut unterrichtet, und besonders einzelne Damen interessierten sich deshalb sehr f?r ihn. Da nun aber die tats?chliche Ausf?hrung dieses Vorhabens keineswegs den Interessen gewisser Personen aus der Umgebung des F?rsten entsprach, so wurde er von dieser Seite mit Argusaugen bewacht. Seine eigene Familie war klein: seine Frau hatte er schon vor zwanzig Jahren verloren, und so war ihm nur seine einzige Tochter geblieben, eben jene Generalswitwe, die jetzt t?glich aus Moskau zur?ckerwartet wurde, eine noch ganz junge Frau, vor deren Charakterfestigkeit der alte F?rst zweifellos Angst hatte. Um so zahlreicher war aber die Verwandtschaft seiner verstorbenen Frau, deren ganze Sippe sich vornehmlich durch Armut auszeichnete. Und ausser diesen Verwandten hatte er noch unz?hlige Pfleges?hne und Pfleget?chter, die alle schon viel Gutes von ihm erfahren hatten und nun fest darauf rechneten, in seinem Testament noch mit einem S?mmchen bedacht zu werden, weshalb sie denn auch der Generalin getreulich halfen, den alten Herrn zu ?berwachen. ?brigens hatte er schon von Jugend auf eine seltsame Eigenheit, von der ich nicht weiss, ob ich sie l?cherlich nennen soll oder nicht: er liebte es, arme M?dchen zu verheiraten. Er verheiratete sie schon seit mehr als f?nfundzwanzig Jahren -- gleichviel ob es entfernte Verwandte von ihm oder Stieft?chter irgendwelcher Vettern seiner Frau oder auch nur deren Tauft?chter waren. Ja, sogar die Tochter seines Portiers hat er verheiratet. Zuerst nahm er sie als kleine M?dchen in sein Haus, erzog sie mit Hilfe von Gouvernanten und Franz?sinnen, dann steckte er sie in die besten Institute, und zuletzt verheiratete er sie und gab ihnen noch eine Mitgift. Und alle diese dr?ngten sich nun fortw?hrend an ihn heran. Die Pfleget?chter bekamen in der Ehe nat?rlich wieder T?chter, und diese erhoben wiederum Anspr?che, gleichfalls als Pfleget?chter von ihm erzogen und verheiratet zu werden; ?berall musste er Taufpate sein, alle diese Menschen kamen dann an seinem Namenstage, um ihm zu gratulieren, und alles das war ihm ?usserst angenehm.
Als ich bei ihm meine Stellung antrat, merkte ich sofort, dass sich in dem alten Herrn eine qu?lende ?berzeugung eingenistet hatte -- und es war unm?glich, das nicht zu bemerken -- die ?berzeugung, dass alle sich jetzt anders zu ihm verhielten als fr?her, d. h. als er noch gesund gewesen war, oder richtiger: als ihn noch niemand f?r krank oder geistesgest?rt gehalten hatte. Diese Empfindung den Menschen gegen?ber verliess ihn selbst in der lustigsten Gesellschaft nicht. So war er argw?hnisch geworden und glaubte in aller Augen ein gewisses Etwas zu lesen. Der Gedanke, dass alle ihn f?r nicht mehr ganz >>normal<< hielten, qu?lte ihn sichtlich; selbst mich beobachtete er oft genug mit merklichem Misstrauen. Und h?tte er von einem Menschen erfahren, dass dieser jenes Ger?cht von seinem Geisteszustand verbreite oder best?tige, -- ich glaube, er w?re trotz all seiner Gutm?tigkeit f?hig gewesen, ihn bis in den Tod f?r seinen gr?ssten Feind zu halten . Diese Beobachtung war schon am ersten Tage der Grund, weshalb ich ihn nicht meinem Vorsatz gem?ss kr?nkte; ja, es freute mich sogar, wenn es mir gelang, ihn zu erheitern oder auch nur zu zerstreuen. Ich glaube nicht, dass dieses Gest?ndnis einen Schatten auf meine Ehre werfen kann.
Sein Verm?gen hatte er zum gr?ssten Teil in Aktien angelegt. Er war, und zwar erst nach seiner Krankheit, Teilhaber einer grossen Aktiengesellschaft geworden, ?brigens einer sehr soliden. Das Unternehmen wurde allerdings von anderen geleitet, doch wollte auch er ?berall dabei sein; er interessierte sich sehr f?r alle Beschl?sse, besuchte die Versammlungen der Aktion?re, wurde in den Ausschuss gew?hlt, wohnte den Beratungen bei, hielt lange Reden, widerlegte, bef?rwortete, regte die Geister auf, und tat das alles offenbar mit Vergn?gen. Reden zu halten, das liebte er sehr: da konnte er doch allen seinen gesunden Verstand und noch einiges mehr beweisen. Und ?berhaupt wurde es f?r ihn geradezu zum Bed?rfnis, selbst in ganz belanglose Privatgespr?che die tiefsinnigsten Dinge einzuflechten, mitunter auch ein Bonmot, und dieses Bed?rfnis finde ich schliesslich nur zu erkl?rlich.
In seinem Hause war unten im ersten Stock eine Art B?ro eingerichtet, in dem ein Beamter die B?cher f?hrte, als Sekret?r alles Schriftliche erledigte und ausserdem noch das Haus verwaltete. Dieser Beamte, der nebenbei auch noch im Staatsdienst einen Posten bekleidete, h?tte f?r die zu leistende Arbeit vollkommen gen?gt; auf besonderen Wunsch des F?rsten aber wurde ich noch hinzugenommen, angeblich als Gehilfe f?r den >>mit Arbeit ?berh?uften<< Beamten; doch schon am ersten Tage musste ich in das Kabinett des F?rsten ?bersiedeln, und oft hatte ich nicht einmal, wie sonst meistens, eine Scheinarbeit vor mir, weder B?cher noch Papiere.
Ich schreibe jetzt wie einer, der schon l?ngst aus dem Rausch erwacht ist, und in vieler Hinsicht fast sogar wie ein ganz objektiver Beobachter; wie aber soll ich jetzt meine Qual beschreiben, diese unruhige Qual jener Tage, die sich in meinem Herzen eingenistet hatte , -- und wie meine Aufregung, die zu einem so unklaren, leidenschaftlich gespannten Zustande geworden war, dass ich nachts nicht mehr schlafen konnte vor lauter Ungeduld und Erwartung und bangen R?tseln, die ich selbst vor mir aufget?rmt hatte?
Geld zu fordern -- ist immer eine h?chst widerw?rtige Sache, und wenn es auch ein Gehalt ist, es bleibt doch unangenehm; und um so mehr ist es das, wenn man dabei noch irgendwo in den verborgensten Falten seines Gewissens versp?rt, dass man es eigentlich nicht ganz verdient hat. Indessen hatte ich am Abend vorher geh?rt, wie meine Mutter und meine Schwester heimlich fl?sterten und wie beschlossen wurde, ein Heiligenbild, das der Mutter aus irgendeinem Grunde ganz besonders teuer war, zu versetzen. Ich sollte f?r meine >>Arbeitsleistung<< monatlich f?nfzig Rubel erhalten, hatte aber keine Ahnung, wer sie mir denn nun auszahlen w?rde; davon hatte mir noch niemand etwas gesagt. Vor etwa drei Tagen hatte ich unten den Beamten bei der Arbeit angetroffen und mich bei ihm erkundigt, wer hier die Gagen auszahlte. Er hatte mich aber darauf nur mit dem L?cheln eines verwunderten Menschen angesehen und gefragt:
>>Bekommen Sie denn ein Gehalt?<<
Ich dachte mir, er w?rde nach meiner Bejahung hinzuf?gen: >>Aber wof?r denn das?<< Doch er versetzte nur trocken, er wisse nichts, und beugte sich wieder ?ber sein sauber liniiertes Hauptbuch, in das er aus verschiedenen Papieren Zahlen eintrug.
Es war ihm ?brigens nicht unbekannt, dass ich immerhin etwas leistete. Vor zwei Wochen hatte ich vier Tage ?ber einer Arbeit gesessen, die er mir noch selbst zugewiesen: es galt einen Entwurf abzuschreiben, wie er sagte, doch stellte sich heraus, dass ich fast alles von neuem verfassen musste. Dabei handelte es sich um einen ganzen Stoss >>Gedanken<< des F?rsten, die er in n?chster Zeit dem Komitee der Aktion?re unterbreiten wollte. Dieses Material musste zu einem zusammenh?ngenden Ganzen verarbeitet und der Stil hier und da etwas gefeilt werden. Nachher sassen wir, der F?rst und ich, noch einen ganzen Tag ?ber diesem Manuskript, und er stritt mit mir ?usserst lebhaft, wenn unsere Meinungen auseinandergingen, doch schien meine Arbeit trotzdem zu seiner vollen Zufriedenheit ausgefallen zu sein. Nur weiss ich nicht, ob er die Schrift dann auch wirklich eingereicht hat oder nicht. Von den zwei oder drei Gesch?ftsbriefen, die ich auf seine Bitte geschrieben habe, will ich weiter gar nicht reden.
Es war mir aber noch aus einem weniger allgemeinen Grunde peinlich, um mein Monatsgehalt zu bitten: ich hatte n?mlich schon beschlossen, diese Anstellung aufzugeben, infolge der Vorahnung, dass ich mich ohnehin und wohl schon in k?rzester Zeit zwingender Umst?nde halber w?rde entfernen m?ssen. Als ich an jenem Morgen aufstand und mich in meinem Dachst?bchen ankleidete, f?hlte ich, wie mein Herz zu klopfen begann, und dieselbe Aufregung empfand ich, obschon ich im Grunde auf alles pfiff, als ich das Haus des F?rsten betrat. An jenem Morgen sollte endlich jene Frau hier eintreffen, von deren Erscheinen ich die Aufkl?rung aller R?tsel erwartete, alles dessen, was mich qu?lte! Und diese Frau -- das war die Tochter des F?rsten, die jung verwitwete Generalin Achmakoff , die mit Werssiloff unvers?hnlich verfeindet war. Da habe ich nun diesen Namen endlich hingeschrieben! Sie selbst hatte ich damals nat?rlich noch nie gesehen und konnte es mir auch gar nicht vorstellen, wie ich mit ihr sprechen und ob es ?berhaupt dazu kommen w?rde. Aber ich hatte doch die Empfindung , dass mit ihrer Ankunft jenes Dunkel sich aufkl?ren werde, welches Werssiloff vor meinen Augen immer noch verh?llte. Ich konnte mich nicht beherrschen und ruhig bleiben: es ?rgerte mich furchtbar, dass ich mich schon vom ersten Schritt an so kleinm?tig und t?ppisch f?hlte; ich war gespannt neugierig und doch angewidert -- alles zusammen. So hatte ich zu gleicher Zeit drei verschiedene Empfindungen. Oh, ich habe diesen ganzen Tag gut im Ged?chtnis behalten!
Dem alten F?rsten wollte ich nichts davon sagen; denn -- wie h?tte ich es in diesem ganzen Monat nicht merken sollen, dass er sich vor ihrer Heimkehr f?rmlich f?rchtete. Ja, er hatte sogar nur wenige Tage vorher gespr?chsweise verlauten lassen -- nat?rlich nur ganz entfernt und selbst etwas zaghaft --, dass er f?r mich f?rchte, wenn sie zur?ckkehre, d. h. in dem Sinne, dass es dann um meinetwillen Szenen geben werde. Doch ?brigens muss ich hier einschalten, dass er als Familienoberhaupt trotz allem seine Selbst?ndigkeit zu wahren und seinen Willen durchzusetzen wusste, so vor allen Dingen, was die Verf?gung ?ber seine Gelder betraf. Anfangs hielt ich ihn f?r nichts anderes, als ein richtiges altes Weib; dann aber musste ich meine Auffassung dahin ?ndern, dass er, wenn er auch ein Weib sein mochte, zum mindesten noch einen gewissen Eigensinn besass, wenn man es nicht wirkliche M?nnlichkeit nennen wollte. Es gab Augenblicke, wo mit seinem scheinbar so ?ngstlichen und nachgiebigen Charakter nicht das geringste anzufangen war. Sp?ter hat mir Werssiloff seinen Charakter eingehender erkl?rt. Soeben f?llt mir eine Tatsache ein, die hier erw?hnt sei: Der F?rst und ich hatten bis dahin noch niemals von der Generalin gesprochen, und es war, als h?tten wir das beide vermieden: ich vermied es absichtlich, er aber vermied wiederum, von Werssiloff zu sprechen. Schon damals erriet ich, dass ich entschieden keine Antwort von ihm erhalten w?rde, wenn ich die eine oder andere von den kitzlichen Fragen, die mich so sehr interessierten, direkt an ihn richten wollte.
Wenn nun jemand wissen will, wovon wir den ganzen Monat miteinander geredet hatten, so muss ich sagen: von allem m?glichen, meistens aber waren es doch etwas eigent?mliche Themata, die wir er?rterten. Ganz besonders gefiel mir an ihm die Offenherzigkeit, mit der er zu mir sprach. Oft betrachtete ich ihn ganz verwundert und fragte mich: >>Ja, aber -- wie ist er denn Geheimrat geworden? Der passte doch noch vorz?glich in unser Gymnasium, aber h?chstens in die vierte Klasse, und g?be dort einen famosen Schulkameraden ab!<< Auch ?ber sein Gesicht habe ich mich oft genug gewundert: es war dem Anscheine nach das Gesicht eines vollkommen ernsten Menschen , schmal und hager; dichtes graues, etwas welliges Haar, ein offener Blick; auch seine Gestalt war hager und von gutem Wuchs. Aber dieses Gesicht hatte eine gewisse unangenehme, fast sogar unschickliche Eigenschaft: es konnte sich ganz pl?tzlich, wie mit einem Schlage aus einem ungew?hnlich ernsten in ein etwas schon gar zu vergn?gtes verwandeln, so dass man ihn, wenn man diese Verwandlung zum erstenmal sah, vor ?berraschung ganz verdutzt anstarrte. Ich sprach auch einmal zu Werssiloff von dieser meiner Beobachtung, und wie ich bemerkte, horchte er interessiert auf. Ich glaube, er hatte von mir nicht erwartet, dass ich solche Beobachtungen machen k?nnte. Als Antwort darauf bemerkte er nur leichthin, diese Erscheinung sei erst nach der Krankheit des F?rsten bei ihm aufgetreten, eigentlich erst in der allerletzten Zeit.
Vornehmlich drehten sich unsere Gespr?che um zwei abstrakte Gegenst?nde: um Gott und sein Dasein, d. h. um seine Existenz oder Nichtexistenz, und dann -- um die Frauen. Der F?rst war sehr religi?s und gef?hlvoll. In seinem Kabinett hing ein riesiges Heiligenbild, vor dem das ewige L?mpchen brannte. Aber bisweilen kam es vor -- dass er pl?tzlich der Anfechtung unterlag: dann zweifelte er am Dasein Gottes und sprach wunderliche Dinge, womit er mich zum Widerspruch herausforderte. Dieses Thema war mir, im allgemeinen gesprochen, zwar ziemlich gleichg?ltig, aber wir gerieten doch jedesmal sehr in Hitze, und das sogar wirklich aufrichtig. ?berhaupt kann ich sagen, dass ich auch heute noch mit Vergn?gen an jene Gespr?che zur?ckdenke.
Aber am liebsten plauderte er doch von Frauen. Zu seinem Leidwesen konnte ich nur, erstens schon aus Abneigung gegen solche Gespr?che, auf diesem Gebiet kein unterhaltender Partner sein. Das schien ihn oft fast zu betr?ben.
An jenem denkw?rdigen Morgen des neunzehnten September begann er zuf?llig, kaum dass ich eingetreten war, wieder von den Frauen zu reden. Er war bei selten guter Laune, was mich ein wenig wunderte, da ich ihn am Abend vorher in der traurigsten Stimmung verlassen hatte. Indessen musste unbedingt noch am Vormittag die bewusste Geldangelegenheit erledigt werden -- unbedingt noch vor der Ankunft einer gewissen Person. Ich ahnte, dass man uns bestimmt unterbrechen werde , -- und dann w?rde ich mich vielleicht nicht mehr entschliessen k?nnen, auf das Geld zu sprechen zu kommen. Als nun der F?rst von etwas so ganz anderem begann und ich nicht mit meiner Frage herauszur?cken verstand, da ?rgerte ich mich nat?rlich ?ber meine Dummheit, und die Folge davon war, dass ich ?ber eine etwas zu weitgehende scherzhafte Frage seinerseits fast in Wut geriet und mit meinen Anschauungen ?ber die Frauen ganz pl?tzlich und nahezu j?hzornig herausplatzte. Ich ?rgerte mich in der Tat. Doch mit meiner zornigen Auslassung erreichte ich nur, dass ich ihn am?sierte und er noch interessierter bei diesem Thema verharrte.
>>... mit einem Wort, ich liebe die Frauen nicht, weil sie roh sind, weil sie ungeschickt sind, weil sie unselbst?ndig sind, und weil sie unanst?ndige Kleider tragen!<< schloss ich nicht gerade logisch meine lange Tirade.
>>Hab' Erbarmen! Hab' Erbarmen!<< fiel er mir uns?glich erheitert ins Wort, was mich noch mehr erboste.
Ich pflege nur in Kleinigkeiten nachgiebig zu sein, in wichtigen Fragen dagegen gebe ich nie nach. In Kleinigkeiten, oder wenn es sich z. B. um irgendwelche gesellschaftlichen Anforderungen handelt, kann man Gott weiss was alles mit mir machen -- und diesen Zug werde ich ewig an mir verw?nschen. Zuweilen bin ich einfach aus geradezu stinkender Gutm?tigkeit bereit, selbst dem erstbesten Geck beizustimmen, einzig, weil mich seine H?flichkeit gefangen nimmt, oder ich lasse mich mit einem Dummkopf in einen Streit ein, was noch unverzeihlicher ist. Doch das kommt nur daher, dass ich keine Ausdauer habe und im Winkel aufgewachsen bin, und ich ?rgere mich dann jedesmal weidlich ?ber mich selbst, aber am n?chsten Tage geschieht dasselbe. Und das ist auch der Grund, warum man mich bisweilen fast f?r einen Sechzehnj?hrigen gehalten hat. Doch anstatt mir nun Ausdauer und bessere Umgangsformen anzugew?hnen, ziehe ich es auch jetzt noch vor, mich noch mehr in meinen Winkel zu verkriechen, und das meinetwegen sogar auf die menschenfeindlichste Weise. >>Nun gut, dann bin ich ungeschickt! Ich gehe, und -- lebt wohl!<< -- d. h. ihr geht mich nichts an. Das sage ich jetzt vollkommen im Ernst und ein f?r allemal. ?brigens schreibe ich es diesmal nicht etwa nur anl?sslich dieses Zwischenfalles mit dem F?rsten, und auch nicht einmal anl?sslich jenes Gespr?chs. >>Ich rede nicht, um Sie zu erheitern!<< schrie ich ihn beinahe an. >>Ich habe nur meine ?berzeugung ausgesprochen!<<
>>Aber inwiefern sind denn die Frauen roh und weshalb unanst?ndig gekleidet? Das ist mir neu!<<
>>Sand?!<<
Ich gebe dieses Gespr?ch jetzt allerdings mit Humor und zugleich mit meiner derzeitigen Charakteristik wieder, doch selbstverst?ndlich bin ich auch heute noch ganz derselben Meinung.
>>Und es ist immer noch gut abgegangen?<< fragte der F?rst neugierig.
Add to tbrJar First Page Next Page Prev Page