Read Ebook: Idole des Zwanzigsten Jahrhunderts. VIII. Moral ohne Religion Religiös-wissenschaftliche Vorträge by Cohausz Otto
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Ebook has 84 lines and 11287 words, and 2 pages
Nicht leugnen will ich, dass das oft der Fall ist, aber immer? Wo finden denn die vielen Blinden, Lahmen, Kriegsinvaliden, die vielen gedr?ckten Gattinnen, gemarterten Kinder, ihrer Ehre und ihres Verm?gen grausam Beraubten hienieden ihren Lohn? Und finden all die Hochstapler, M?dchenh?ndler, Verf?hrer, Tyrannen hienieden ihre Strafe? Sagt nicht der Volksmund: >>Die kleinen Diebe h?ngt man, die grossen l?sst man laufen?<< Und vernimmt man nicht oft genug die Klage, dass den Gottlosen hienieden alles nach Wunsch geht, w?hrend das redliche Bem?hen der Guten von stetem Misserfolg begleitet ist? Gewiss ist es, dass nur ein Teil der B?sen hier seine Strafe findet, nur ein Teil der Guten hienieden einen Lohn; w?re es denn gerecht von Gott, wenn die andern leer ausgingen? Und w?re es mit seiner Heiligkeit vereinbar, dass er das Gottwidrige ?berhaupt nicht verfolgte?
Wer immer das Recht besitzt, Befehle und Gesetze zu erlassen, muss auch die Macht haben, seinen Willen durchzusetzen. Wie k?nnte ein Vater seine Kinderschar, ein Lehrer seine Schule, ein Feldherr seine Truppen, ein K?nig seine Untertanen regieren, wenn jene alle den Befehlen ungestraft trotzen k?nnten?
Wie wird nun der Nachdruck auf Befehl und Gesetz gelegt? Doch wohl durch Hinweis auf Lohn oder Strafe. Vater und Lehrer drohen mit der Rute, Feldherr und K?nig mit Arrest und Tod!
W?ren nun die auf ?bertretung des g?ttlichen Gesetzes stehenden Strafen leichter als irdische Verluste -- dann k?nnte ja der Mensch in solchen Lagen sagen: Gut, dann w?hle ich lieber das Leben und verachte das Gesetz und seine viel geringere Strafe.
Es m?ssen also die auf Gottes Gesetz stehenden Belohnungen oder Strafen h?her sein als alles Irdische. H?her als das Irdische steht nur das Jenseitige; so weist uns die Logik auf eine jenseitige Sanktion des Sittengesetzes hin.
Der Abstand zwischen dem gesetzgebenden Gott und dem gesetz?bertretenden Menschen ist aber unendlich, darum schliesst die S?nde eine unendliche Bosheit in sich, die unendliche Bosheit verlangt eine unendliche Strafe und, da diese dem Mass nach nicht unendlich sein kann, muss sie der Dauer nach ohne Ende sich ausdehnen.
In der Tat, mit seinem Gesetz und seiner Drohung fesselte Gott alle b?sen Leidenschaften mit einem starken Band; wer die Strafe nimmt, entfesselt alle Leidenschaften und l?sst sie wie eine wilde Meute auf die Menschheit los. Wo bleibt da Sicherheit, wo Ruhe und Ordnung?
Wer ferner alles aufbietet, um der Menschheit zu ihrem wahren Gl?ck zu verhelfen, der handelt gewiss gut und edel. Tut Gott das nicht auch mit seiner Drohung? >>Nicht weniger als das Himmelreich<<, sagt derselbe Kirchenlehrer, >>offenbart die Androhung der H?lle seine G?te. Und wie? Wenn er mit der H?lle nicht drohte, ... so w?rden nicht viele des Himmelreiches teilhaftig werden; denn das Versprechen von G?tern ruft nicht so erfolgreich die Mehrzahl zur Tugend auf als die Androhung von ?beln<< .
Nur zu wahr. Beides: Versprechen des Himmels und Drohung mit der H?lle f?hrt zu Gott. Gott ist aber das einzige Gl?ck des Menschen; ist nun die Drohung mit der H?lle nicht ein Ausfluss der Barmherzigkeit des Herrn?
Das Eine ist doch gewiss, Gott muss auf Anerkennung seiner Autorit?t bestehen. Ein Gott, der sich alles gefallen liesse, w?rde uns nicht gefallen. Wenn nun der Mensch der Vernichtung anheimfiele, w?rde er sich dann um Gott ?berhaupt k?mmern, dann, wenn heftige Leidenschaft ihn dr?ngt? Er w?rde hintreten k?nnen und sagen: >>Gott gebiete nur, drohe nur, ich entgehe Dir doch.<< Der Gedanke an das Nichts w?rde nicht von der S?nde abschrecken, sondern sie eher bef?rworten.
Gott muss aber darauf bestehen, dass der Mensch sich ihm unterwirft, ihn anerkennt; erkennt er die G?te nicht an, dann muss die Gerechtigkeit ihn dazu zwingen -- aber nur eine ewige Strafe ist dazu imstande, dann, wie gesagt, w?rde der S?nder mit dem >>ich entgehe Gott schliesslich doch<< sich in seinem gesetzwidrigen Verhalten best?rken.
Und nur sie, die Freidenker, betrachten allerdings Bildung, Kenntnisse, gutes Beispiel und materielles Wohlergehen f?r bessere Erziehungsmittel.
Reichen denn Bildung und Kenntnisse aus? Dann m?ssten ja die obersten Kreise gerade die reinsten, dem?tigsten, treuesten, wahrhaftigsten sein. Ist das der Fall? Man denke an unsere letzten Prozesse -- an das alte Rom!
Und materielles Wohlergehen soll ein Antrieb zur Beobachtung des Sittengesetzes sein? Aber liegen diese beiden denn nicht oft genug mit einander im Streit? Wenn materielles Wohlergehen eine gen?gende Sanktion der Ethik w?re, dann m?ssten B?rsenbarone und Erpresser ja zugleich die gr?ssten Heiligen sein.
Wer weiss nicht, dass trotz aller Kenntnisse, Erfolge und Bildung der Mensch im Ansturm der Leidenschaften einer festeren Sicherung bedarf? Erh?hte Kenntnisse ohne erh?hte innere Festigkeit sind, um einen Ausdruck F?rsters zu gebrauchen, eine besser gearbeitete Laterne in der Hand des Diebes. Und dass nicht erh?hte >>Kultur<< eine erh?hte Sittlichkeit bedingt, besagt die Geschichte der alten wie heutigen V?lker zur Gen?ge. . Die heutige Bildung sanktioniert die ethischen Gesetze nicht, sondern bildet sie nach Belieben um. Die Moral ist ja nach Paul Heyse nichts weiter als die Quintessenz dessen, was in einem Zeitalter f?r anst?ndig gehalten wird. Heldennaturen springen ?ber die Schranken hinweg.
Unsere Zeit besitzt ja Kulturg?ter, Mammon, Kunst, Bildung, Ehrengerichte in Menge -- ist sie darum moralisch hochstehend? Was sagen die 180000 Kinder, die in Deutschland allein j?hrlich, mit dem Brandmal der S?nde bezeichnet, das Dasein betreten? Was die in die Hunderttausende, vielleicht 1 1/2 Millionen z?hlenden Dienerinnen der Unzucht, was die j?hrlich in Deutschland verurteilten 55000 jugendlichen Verbrecher, was die 196000 Geschlechtskranken, die im Jahre 1900 in den ?ffentlichen Krankenh?usern Deutschlands gepflegt wurden, von den 30--40% geschlechtskranken Soldaten und 33--69% Studenten gar nicht zu reden? Was soll ich sagen von den erschreckend um sich greifenden Perversit?ten, dem weissen Sklavenhandel, der Engelmacherei, dem R?ckgang der Geburten? Was von den Sch?nheitsabenden, den obsz?nen T?nzen? Ist doch die Klage allgemein: So kann es nicht weiter gehen! Woher nun der Jammer? Die Bildung, weltliche Kultur, nahm doch zu! Ja, aber die Religion mit ihren Ewigkeitsgedanken nahm ab, die Welt vergass das Schriftwerk: >>Denk, o Mensch, an deine letzten Dinge, und du wirst in Ewigkeit nicht s?ndigen!<<
Nicht alle hat die Religion vom B?sen abgeschreckt; aber wer wollte es leugnen, dass sie allein es war, die auf die Massen aller Zeiten den sittigendsten Einfluss aus?bte? Die Furcht vor den G?ttern oder Gott war es, die in allen Gesetzb?chern anklingt und dem Leben Halt bot. Habe ich keinen Himmel zu hoffen, keinen Gott zu f?rchten, auf kein Weiterleben nach dem Tode zu rechnen, was soll mich dann abhalten, mich hienieden ganz auszuleben und durchzusetzen?
Man gibt vor, der Menschheit einen Dienst erweisen zu wollen, indem man sie von der Angst vor der H?lle befreit. Ja, man l?sst alle Leidenschaften von der Kette los und hetzt sie auf die Menschheit, man richtet wieder ein Henkermahl an, wie zur Zeit der franz?sischen Revolution; ist das eine Wohltat? Man l?scht das Licht aus, das die unheimlichste Klippe aufdeckt, man verschliesst dem Menschen den Weg zum wahren Gl?ck, ist das eine Wohltat? Man reisst die Warnungstafel am Abgrund, die Barrieren an der Bahn nieder, den Totenkopf an der Giftflasche herunter -- um dem Menschen die Furcht zu nehmen; ist das wirklich weise und edel gehandelt?
Wenn es eine H?lle gibt, da sollte es menschenfreundlich sein, diesen Abgrund zu verdecken und alle auf den Weg zu locken, dessen Abschluss Verderben ist? Dann war auch die Tat des Rattenf?ngers von Hameln der menschenfreundlichsten eine. Nein, das ist grausam. Menschenfreundlich ist es von der christlichen Ethik, wenn sie sich den im Sinnesrausch dahin Tollenden mit der roten Signallampe entgegenstellt und ein unerbittliches >>Halt, nicht weiter!<< zuruft.
Wohl mag die Moderne die Ewigkeitsgedanken als l?stig abweisen, die Ewigkeit selbst bleibt. Auch sie mag sich das Wort gesagt sein lassen, das einer der Makkab?ischen M?rtyrer zum gottvergessenen Antiochus sprach: >>Du, Ruchloser, r?hmst dich umsonst deiner Bosheit und deines ?bermutes, denn noch nicht bist du entflohen dem Gerichte des allm?chtigen und allwissenden Gottes<<.
Ja, vielem mag die Moderne entfliehen, sie mag entfliehen der Kirche, mag entfliehen dem weltlichen Gerichte, mag entfliehen den Vorw?rfen des eigenen Gewissens, einem ist sie noch nicht entflohen: dem Gerichte des allm?chtigen und allwissenden Gottes, und dem entgeht sie nicht. Furchtbar aber ist es, in die H?nde des lebendigen Gottes zu fallen.
So f?hrt die Sanktion der Ethik wiederum auf Gott zur?ck, Gott ist der Ursprung der Ethik. Gott die Norm, Gott der letzte Halt. Moral ohne Gott ist ein Leib ohne Seele.
>>Eine Spinne<<, so erz?hlt der Dichter J?rgensen, >>liess sich an einem Faden herunter von einem Ast; nun eilte sie hin und her und spann ihr kunstvolles Netz. Lange lebte sie gesichert in ihrer Behausung; da stiess sie auf ihren kleinen Rundreisen eines Tages wieder auf den ersten Faden. Sie hatte seine Bedeutung vergessen und -- biss ihn ab -- und ihr ganzes Haus st?rzte zusammen.<<
Von Gott kam die Menschheit, und um den Gottesgedanken baute sie ihr geistiges und ethisches Geb?ude -- sie zerst?rt den ersten Faden, und mit ihm sinkt ihr ganzes Haus in Tr?mmer. Der Ethik letztes Wort lautet: >>Ich bin der Herr, dein Gott, du sollst keine fremden G?tter neben mir haben.<<
Schlusswort.
In Babylon war es. Hell strahlten die Lichter des K?nigspalastes ins Dunkel hinaus. Im Innern sah man den Herrscher Belisar an festlich geschm?ckter Tafel, um ihn in goldstrotzender Uniform die Grossen des Reiches, die K?nigin mit ihrem Hofstaat in rauschenden Gew?ndern. Man ass und trank, spielte und tanzte. Und als der Wein das Blut in Wallung gebracht, da erreichte der Frevel seinen H?hepunkt. Belisar liess sich die aus dem Heiligtum in Sion geraubten hl. Gef?sse bringen, liess sie mit perlendem Wein f?llen und reichte sie seinen G?sten. Und sie tranken alle daraus und jeder pries seinen G?tzen. Da erschien eine geheimnisvolle Hand und schrieb an die Wand: Mane, Thekel, Phares.
Man erblasste, die Kniee schlotterten. Ein Signal ert?nt, Rufe werden laut, Krieger st?rzen mit gez?cktem Schwert in den Saal, morden K?nig und K?nigin, Feldherren und Hofdamen und, wo vor einigen Minuten noch Gottesl?sterung und Weltlust ihr frivoles Spiel trieben -- da sah man jetzt Blut, Leichen -- Tod.
Ein Babel ist unsere Zeit; ein festliches Bankett hat sie bereitet. Nicht genug der S?ndenlust und des Frevels fr?herer Zeiten, benutzt sie heute noch die religi?sen ?berlieferungen zu ihrem gottlosen Spiel. Jeder preist seine G?tter und h?hnt den H?chsten. Zahllos sind die Idole des Jahrhunderts. -- Mag sie h?hnen, kommen wird auch f?r sie die schreibende Hand, die unter Sternensturz und Himmelsdonnern in Flammenschrift an den Horizont die Worte setzt: Mane, Thekel, Phares. Kommen wird Christus auf den Wolken, und die falschen G?tter werden st?rzen. >>Dann<<, hat er zu den Guten gesagt, >>erhebet euer Haupt, dann naht eure Erl?sung<<. Wir lassen es uns gesagt sein. Mag die Moderne sich den Idolen zuwenden, uns gilt als Leitstern das Wort: >>F?rchte Gott und halte seine Gebote, das ist der ganze Mensch.<<
Buchdruckerei Paul Scheiner, W?rzburg.
Weitere Anmerkungen zur Transkription
Offensichtliche Fehler wurden stillschweigend korrigiert. Die Darstellung der Ellipsen wurde vereinheitlicht. Die Antiqua-Auszeichnungen der Titelseite und Kapitel?berschriften wurde entfernt.
Korrekturen:
S. 18: Tadelswertes -> Tadelnswertes durchaus nichts gefunden
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