Read Ebook: Aus Prager Gassen und Nächten by Kisch Egon Erwin Kostial Karel Illustrator
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Ebook has 701 lines and 60761 words, and 15 pages
Illustrator: Karl Kostial
Aus Prager Gassen und N?chten.
Von Egon Erwin Kisch.
Umschlagszeichnung von Karl Kostial.
.. 2. Auflage ..
Die in diesem Buche enthaltenen Skizzen wurden gr?sstenteils 1910 und 1911 geschrieben.
?bersetzungsrecht vorbehalten.
Vom Autor erschien ferner:
Vom Bl?tenzweig der Jugend Leipzig 1902. Der freche Franz und andere Geschichten Berlin 1906.
K. u. k. Hofbuchdrucker A. Haase, Prag.
Der Clamsche Garten 1 Die Gemeindetruhe 6 Verzehrungssteuer 10 Flossfahrt 14 G?ste der Polizei 23 Caf? Kandelaber 27 Geschichten vom Br?ckenkreuzer 31 Der Chef der Prager Detektivs 35 Der Mann mit der Strassenspritze 39 Eine Nacht im Asyl f?r Obdachlose 43 Das Lied vom Kanonier Jaburek 52 Die Erlaubnis zum Fussballspiel 56 Bei ,,Antouschek", dem Wasenmeister 59 Razzia 65 Die Zwangsarbeitsanstalt auf dem Hradschin 71 Theatervorstellung der Korrigenden 75 Das M?rchen vom Mistwagen 80 Weihnachtsmarkt 84 Wie ich aus dem Rathause hinausgeworfen wurde 89 Prager Ziehung 93 Die Irren 101 Volksk?chen 106 Ein tadelnder Ballbericht 111 Von Feilbietungen, Auktionshallen und vom Chabrus 115 Die Verhaftung 125 Drehorgelspieler 130 Die Gifth?tte 136 Karl May in Prag 141 Polizeimuseum 144 Unter Statisten 151 Der Dichter der Vagabunden 158 Arrestgeb?ude 166 Alt-Prager Mensurlokale 170 Prags Erwachen 175 In der W?rmestube 179
Der Clamsche Garten
Westend von Prag. Endstation der Elektrischen, die Smichow und Koschi? durchquert.
?ber dem Gittertor steht die Aufschrift ,,Klamovka" mit so grossen Goldbuchstaben, dass jeder erkennen m?sste, die hohe, von bl?tenschweren B?umen ?berdachte Mauer umschliesse keine ?ffentlichen Anlagen, keinen Privatpark. Es ist offenbar ein Wirtshausschild, das dringlich zum Eingange l?dt. Aber das Tor ist versperrt, und keine Klingel ist vorhanden, die einen ?ffnenden Pf?rtner herbeizurufen verm?chte. Und selbst wenn man in der abzweigenden Weissbergstrasse das offenstehende Seitent?rchen entdecken, durch dieses eintreten und die Stiegen zum Garten hinaufschreiten w?rde, so m?sste man umkehren, denn ein Zettel verwehrt strenge dem Fremden den Eintritt. Der abweisende Inhalt des kleinen Zettels auf dem Seitentor kontrastiert mit der einladenden Aufschrift der grossen Tafel auf dem Haupttor. Sodass man doch in Zweifel ger?t, ob hier ein Wirtshausgarten oder ein Herrschaftspark sei.
Beides oder keines von beiden. Fr?her haben Grafen und Gr?finnen hier im Clamschen Garten auf schattigen Kieswegen lustwandelt. Aber sp?ter wurde der gr?fliche Park an einen b?rgerlichen Gastwirt verkauft, und der baute in der Mitte des Gartens ein Gasthaus mit einem Tanzsaal.
Nun aber wird hier auch nicht mehr getanzt. Seit heuer. Noch im vorigen Jahr war die ,,Klamovka" am Sonntag nachmittag ein Wallfahrtsort der Dienstm?dchen, der Burschen und M?dchen aus dem Volke, und oben im Saale wurden bis sp?t in den Abend Quadrillen und Walzer getanzt, besonders schl?rfend der Sechsschrittwalzer, der im Volksmund ,,Na ?est" heisst, dessen charakteristisches Merkzeichen die langgezogenen, langsamen Schritte bei der Linksdrehung sind, und bei dem man in erheuchelter oder echter Verz?ckung die Augen zu schliessen hat. In den Pausen aber gingen die Liebespaare, sich umschlungen haltend, hinunter in den Garten, in dem die hohen Christusakazien, die duftenden Syringenstr?ucher, die schattigen Kastanienb?ume, die silbergl?nzenden Rotbuchen, die dichten Ahornstr?ucher und die verzweigten Hagedornb?sche in Bl?te standen. Wenn auch die Bl?tenpracht von den Liebespaaren wohl kaum eines Blickes gew?rdigt worden ist -- der Einfluss des Milieus muss doch im Unterbewusstsein seinen Nachhall geweckt haben, dem Fr?hling der Herzen muss es doch inmitten des Fr?hlings der Natur am wohlsten gewesen sein. Sonst w?ren die jungen Leute doch in n?here Sonntagstanzlokale gezogen, wie in das Weinberger Br?uhaus, in das Gasthaus ,,Na Slovanech" auf dem Karlsplatz, wo der Wirtsgarten nur aus paar verkr?ppelten B?umen besteht. Doch dort war's nie so voll wie in der ,,Klamovka".
Zw?lf Jahre tanzte man hier. Am Anfang schien es, als wolle sich das entlegene Tanzlokal nicht einb?rgern, und der alte Hlava?ek, der f?r den Ankauf des Gartens und f?r die Auff?hrung des Wirtshausbaues sein Verm?gen verwendet hatte, schoss sich aus Verzweiflung eine Revolverkugel ins Herz. Sein Sohn aber hatte mehr Gl?ck und allsonnt?glich war es voll im Clamschen Garten.
Vor zwei Jahren aber haben die Barmherzigen Br?der den herrlichen Garten gekauft, um in ihrem menschenfreundlichen Wirken keine Stockung eintreten zu lassen, falls ihr jetziges Spitalsgeb?ude in der Josefstadt als Opfer der Assanierung fallen w?rde. Von heuer ab bleibt das Gasthaus unvermietet und das Gartentor steht geschlossen. So werden die Nachfolger der Liebespaare, die sich hier im Garten ihrer Jugend freuten, die bleichen Kranken sein, die humpelnd oder in Rollw?gelchen wehm?tig den Glanz der Blumen betrachten und den Duft der Bl?ten atmen werden. Es kann sein, dass vielleicht einmal ein alter Patient oder ein krankes M?tterchen, den Garten betretend, schwerm?tig l?cheln werden, weil sie in diesem Garten, der nun ihr Krankenasyl sein soll, in der sch?nsten Zeit ihres Lebens viel geweilt haben und seither nicht mehr. So wird ihnen doppelt wehe ums Herz sein. Aber das Gef?hl wird kein bedauerndes sein. Denn auf der ,,Klamovka" ging es nicht ausschweifend zu, wie z. B. in einer unmittelbar benachbarten Gartenwirtschaft, welche heuer als Erbe der ,,Klamovka" die Koschi?er Jugend ?bernommen hat und auf deren Usancen ein Mordprozess des vergangenen Jahres ein b?ses Licht warf. Auf der ,,Klamovka" gab es nie eine ,,parta", wie die Platten im Prager Vorstadtjargon heissen. Hier hatte fast jedes M?dchen bloss einen st?ndigen T?nzer, den Liebhaber. Wenn der gewechselt wurde, gab es stumme Katastrophen.
So hat beispielsweise einmal ein Artillerie-Freiwilliger hier Unheil angerichtet. Der hatte richtig kalkuliert, dass seine schmucke Uniform ihm hier ein siegendes Liebesgl?ck verschaffen m?sse, und war in den Clamschen Garten gefahren. Sein Eintritt in den Saal war eine Sensation. Hierher, wo schon die Uniform eines Infanterie-Pferdew?rters auf die unbefangenen M?dchenherzen elektrisierend einwirkte, kam ein Einj?hrig-Freiwilliger mit tadellosem Scheitel, blanken Lackkanonen, silbernen Salonsporen, hellblauen Kammgarnhosen, dunkelbraunem Waffenrock mit dem verschn?rten Sch?tzenzeichen und einem vorschriftswidrigen Flitterstern auf dem feuerroten Kragen! Er kam in den Saal und musterte die Paare kritischen Blickes. Dann w?hlte er sich ein M?del zum Tanz, ein M?del, dem die Stammg?ste prophezeiten, dass es gar bald von der blonden Jarmila den von allen angestrebten Titel ,,Hv?zda Klamovky", des Sterns des Clamschen Gartens, erben werde. Er tanzte, tanzte wieder, und der junge Monteur, der bis zur Stunde der Liebhaber der Kleinen gewesen war, der tanzte nicht. Der sass in dem Saalteile, der durch S?ulen vom Tanzsaale geschieden und f?r die Biertische reserviert war. Als es 8 Uhr und gerade eine Tanzpause war, ging er zu dem M?del, das mit dem goldstrotzenden Galan promenierte.
,,Komm' nach Hause, Bo?ena."
,,Ich will nicht."
,,Ich muss doch um 9 Uhr im Elektrizit?tswerk sein. Sonst wirft man mich hinaus."
,,Dann wird man dich eben hinauswerfen."
,,Du weisst doch, dass mein Vater beim B?rgermeister war, damit ich die Stelle bekomme."
,,Ich halte dich nicht. Du kannst ja gehen."
Den letzten Satz sprach sie schon davontanzend, denn die Musik hatte das tschechische Volkslied begonnen, das an zwei blaue Augen die Frage richtet, warum sie voll Tr?nen seien. Der Monteur empfindet das Schmerzliche des letzten Satzes doppelt schmerzlich, weil es im Arme des anderen gesagt worden ist. Er f?hlt, dass das M?del, indem sie ihn abwies, dem anderen eine Liebeserkl?rung gemacht hat. F?hlt, dass sich jetzt die zwei fester aneinander schmiegen und vielleicht ?ber ihn, den heimgeschickten Dritten l?cheln. Der Bursch geht zu seinem Platz zur?ck und ist blass.
Allein fortgehen kann er nicht, trotzdem die Bo?ena das behauptet hat. Sonst geht das M?del mit dem Kanonier nach Hause, und dann l?cheln die zwei nicht mehr, sondern sie lachen. Noch mehr Leute, die Stammg?ste der ,,Klamovka" w?rden alle lachen ?ber ,,k?en", den Wurzen, der ein M?del zum Tanz f?hrt, damit dieses mit einem anderen nach Hause gehen k?nne. So bleibt der junge Monteur sitzen bis 9 Uhr l?ngst vorbei ist. Er sitzt blass beim Bier und m?chte sichs nicht anmerken lassen, wie sehr ihm die Musik in das Herz schneidet, die seinem M?del zum Tanz mit einem anderen aufspielt. So wiederholt er sich die Worte, die ihm ein Freund im Vorbeigehen tr?stend zugerufen: ,,Was liegt an einem M?del!" Sp?t abend geht er mit der Bo?ka nach Hause. Er weiss gar wohl, dass sie sich f?r morgen ein Stelldichein mit dem Freiwilligen verabredet hat, er weiss gar wohl, dass jetzt alles aus ist. Er hat aber wenigstens die Blamage verh?tet, er begleitet wenigstens das M?del nach Hause, mit dem er gekommen war. Mag es ihn immerhin seine Stellung gekostet haben!
Es war zum letztenmale, dass er mit Bo?ka heimging. Es war zum letztenmale, dass er auf der ,,Klamovka" getanzt hat. Auch wenn das breite Gittertor nicht verschlossen w?re, w?rde er nicht mehr hingehen. Er verkehrt jetzt in anderen Lokalen. Fast t?glich mit einem anderen M?del. Und wenn jetzt jemand seine Begleiterin verlangend mustert, dann muntert er sie noch auf, den Blick zu erwidern. Er hat auch gar nichts dagegen, wenn sie jetzt mit jemandem den ganzen Abend tanzt, ja selbst wenn sie dann mit dem anderen nach Hause geht. Er f?rchtet nicht mehr, als ,,k?en" zu gelten. Er will nur Geld haben. ,,Was liegt an einem M?del!" Das Wort, mit dem er sich damals zu tr?sten versuchte, ist seine Lebensmaxime geworden ...
Eine Pointe hat die Geschichte nicht. Es sei denn, man wollte es vielleicht als Pointe ansehen, dass an manchen Abenden auch die Bo?ka zu seiner Klientel z?hlt. Der Artillerie-Freiwillige tanzt aber schon lange nicht mehr mit ihr.
Das war so einer von den kleinen Romanen, die im Clamschen Garten begonnen haben. Sie stehen nirgends verzeichnet und jeder der Besucher kannte nur einen solchen Roman. Und wenn man die Sehensw?rdigkeit des Gartens zeigt, so weist man auf das ,,Himmelchen", einen runden, entz?ckenden Kapellenbau, durch dessen sternf?rmige ?ffnungen in der W?lbung das Himmelslicht strahlt, so zeigt man den h?bschen Eselsstall, so zeigt man den aus Stein gemeisselten Pferdetrog, der auf einem mit einem steinernen Zaumzeug gemeisselten Sockel steht und ein Denkmal f?r des Grafen Clam-Gallas Schlachtross ,,Cassil" darstellt, so zeigt man den Platz, auf dem Prinz Wilhelm von Auersperg an einem Maitage vor vierunddreissig Jahren im Duell sein Leben liess. Aber man zeigt nicht die Str?ucher, in denen mancher junge Mensch seinen Liebesgram ausgeweint hat, man zeigt nicht die Stelle, von der aus der blasse Monteur seinem davontanzenden Liebesgl?ck nachblickte.
Die Gemeindetruhe
Die Einf?hrung der Gemeindetruhe sei den Kommunalbeh?rden aller Weltst?dte ans Herz gelegt. Nicht etwa, dass diese Empfehlung meinem ausgepr?gten Lokalpatriotismus oder irgend einem anderen Gef?hle entspringen w?rde. Pers?nliche Beziehungen verkn?pfen mich mit der Gemeindetruhe nicht. Ich kann auch aus eigenem nichts ?ber das Innere dieses hermetisch verschlossenen Verkehrsmittels sagen. Aber es ist ganz h?bsch. So sagt mein Freund Franta Cu?ek, der in der Gemeindetruhe geboren wurde, schon oft in ihr nach Hause gefahren ist und auch mutmasslich einst mittels dieses Vehikels in die ,,Pathologie" geschafft werden wird. Der kennt das ,,Etui", wie er es in dem Tonfall der tschechisch-franz?sischen Verbr?derung ausspricht, in- und auswendig. Von weitem und um die Ecke erkennt er, welche Nummer jene Truhe hat, die da herangerasselt kommt, um irgend einen Gast unseres Stammlokales nach Hause zu bef?rdern. Ohne je den Zettel zu betrachten, der an der R?ckseite des Korbes baumelt und eine rote Ziffer -- die Wagennummer -- tr?gt.
Dass Franta Cu?ek die Lenker des Gef?hrtes kennt, ist ganz nat?rlich. Er steht mit allen auf Du und Du und sein ,,Serbus" wird von dem menschlichen Zweigespann mit gleicher Herzlichkeit erwidert. Aber diese private Freundschaft hat nat?rlich nicht etwa zur Folge, dass Franta den Lenkern bei der Aus?bung ihrer Berufspflicht irgendwelche Erleichterungen gew?hren w?rde. Dienst ist Dienst. Es ist ein sch?ner Zug im Leben Frantas, dass er einmal einem dieser Automedonten, dem Jaro Roztopil, mit dem er selbst treu befreundet war, das linke Auge ausgeschlagen hat, als dieser ihn in den Korb zu betten versuchte. Trotzdem das linke Auge f?r jeden Menschen im Sommer nur eine unn?tige Mehrbelastung des K?rpergewichtes darstellt, trotzdem das linke Auge zum ehrsamen Gewerbe des Gemeindetruhenw?rters nicht unbedingt erforderlich ist und trotzdem Jaro Roztopil anl?sslich dieser in Aus?bung der Berufspflicht erlittenen Wunde aus dem Stadts?ckel ein Schmerzensgeld erhalten hat, lassen es seither die beiden Truhenm?nner nicht mehr auf die Bet?tigung von Frantas Unparteilichkeit im Dienste ankommen. Sobald sie an den Ort kommen, auf welchen man sie begehrt, und sehen, dass Franta Cu?ek zu ihrem Passagiere auserkoren ist, dann eilen sie mit unheimlicher Schnelligkeit auf ihn zu und umklammern aus einem nicht in die Augen springenden Grunde seine vier Gliedmassen mit gusseiserner Gewalt. Der eine h?lt Frantas rechten Arm und den rechten Fuss, dem anderen ist die ehrenvolle Aufgabe zugewiesen, mit den linken Gliedmassen ein Gleiches zu tun. Oh, Franta Cu?ek wehrt sich noch immer nach Leibeskr?ften, aber es hilft ihm nicht mehr viel. Er f?llt, wie einst C?sar von Brutus Hand, von den H?nden seiner Freunde. Er f?llt in die Truhe, ohne dass er im Kampfe mit seinen Widersachern siegreich geblieben w?re. Sein einziger Erfolg ist h?chstens, dass er manchmal einen Fuss aus der Umklammerung der beiden befreit und einem von diesen durch einen Tritt die Uniform beschmutzt hat.
Ach, die Uniform der Gemeindetruhenw?rter! Wer kennte sie nicht, diese Livree: Die fesche Bluse aus blauweisser Leinwand, der nur im Winter durch ein einfaches braungestricktes Cachenez verh?llte Hals, die hohen Kanonenstiefel und die Eishackerhosen, die Lederm?tze von undefinierbarer Farbe mit dem blechernen Wappen der k?niglichen Hauptstadt darauf -- gibt es etwas Einfacheres, etwas Sch?neres? Ist das nicht sch?ner als der blaue Frack, den man in Wien vor kurzem als Festkleidung f?r die Magistratsfunktion?re bestimmt hat?
?brigens sei erw?hnt, dass die Chauffeure der Gemeindetruhe ihre Uniform in Ehren tragen. Ihre Aufgabe ist schwer, aber sie erf?llen sie gut. Nicht nur dann, wenn sie ihren Passagieren ? la Franta beim Einsteigen in die Karosserie behilflich sind, sondern auch beim Entladen des Korbes. Dieses Entladen ist, da die Seitenw?nde des Korbes nicht heruntergeklappt werden k?nnen, sondern fix sind, nicht so einfach, als sich ein Laie auf dem Gebiete des modernen Verkehrswesens denken w?rde. Aber das Problem wird dennoch auf findige Weise gel?st. Indem man die Truhe zu einem Tobogan umwertet. Wenn n?mlich die Truhe an ihrem Endziele, dem Hof des Arrestgeb?udes angelangt ist, so wird sie derart aufgestellt, dass der Korb windschief auf den R?dern ruht und die F?sse des Etui-Inhaltes nach unten zu gerichtet sind. Nun klappen die aurigae den Deckel auf, heben die Beine ihres Pflegebefohlenen in die H?he und schieben dessen Rumpf l?ngs der schiefen Ebene so weit hinab, bis die Beine des Passagiers ?ber die untere Wand des Korbes ragen. Dann tritt man auf die F?sse des Korbinsassen, diese senken sich zu Boden, und der Passagier steht vertikal auf Mutter Erde. Ein sichernder Druck auf den R?cken hindert ihn an dem R?ckfall in das Vehikel.
In noch zarterer Weise ist man jenen Passagieren beim Aussteigen behilflich, deren Reiseziel nicht der Hof des Polizeigefangenhauses, sondern der Flur des Krankenhauses ist. Denn auch solche gibt es. Wenn jemand auf der Strasse ?berfahren wird und mit gebrochenem Schenkel daliegt, wenn jemand von Kr?mpfen oder von Blutsturz befallen wird, so holt ihn, wenn ihn nicht inzwischen der Teufel geholt hat, nach sehr geraumer Zeit die Gemeindetruhe ab und f?hrt ihn ins Spital, wo er in den meisten F?llen noch lebend ankommt. Das ist das einzige, was Franta Cu?ek gegen die Gemeindetruhe einzuwenden hat. Das ist auch wirklich ein Missbrauch dieses Vehikels. Wie kommen jene Leute, die Zeit und Geld f?r Alkohol geopfert und sich so m?hselig das Anrecht auf die unentgeltliche Bef?rderung in diesem st?dtischen Fahrzeuge erworben haben, dazu, dieses Recht mit jedem ixbeliebigen auf der Strasse ganz unabsichtlich und ganz zuf?llig erkrankten Menschen zu teilen? Geradezu unappetitlich ist das! Aber das ist der einzige Fehler des Etuis und dieser Fehler vermag die Liebe Cu?eks zu seinem Fahrzeug nicht zu ersch?ttern. Und wenn er auch immer wieder von seinen Ausfl?gen per Schub nach Prag zur?ckbef?rdert wird -- er empfindet es nicht unangenehm. Denn Prag ist die angestammte Heimat der Gemeindetruhe.
Ja, anderswo gibt es so etwas nicht. Man l?sst zwar auch in anderen St?dten die Leichen, die Bierleichen und die prosaisch Erkrankten nicht unbemerkt bis zu ihrer Auferstehung auf der Strasse liegen. Aber in den anderen Weltst?dten gibt es R?derbahren, bei denen die beiden Holme verschiebbar und die F?sse der Bahre umgeklappt werden k?nnen. Die Bahre dieser Transportmittel ausl?ndischer Provenienz wird am Endziel der Reise einfach vom R?dergestell abgehoben -- ein ungeheurer Nachteil, weil die Prager Entlade-Prozedur ,,System Rutschbahn" dadurch unm?glich wird. Auch besitzen die ausw?rtigen Bahnen keinen Deckel, sondern ein zum Abkn?pfen eingerichtetes Plantuch, das dem Kranken das Hinausblicken auf die Strasse gestattet, aber es den Passanten verwehrt, das Gesicht des Patienten zu sehen. Dass dies eine Verletzung der Gleichberechtigung ist, liegt klar auf der Hand. Aber was kann man auch von einer Truhe verlangen, die keine Truhe ist!
Es gibt eben nur ein Prag, es gibt eben nur eine Gattung von Gemeindetruhen. Nur schade, dass es nur den breiteren Volksschichten m?glich ist, dieses ebenso vornehme, wie praktische Strassenfahrzeug zu ben?tzen. Warum k?nnte man nicht die Droschken und Fiaker durch Gemeindetruhen erster und zweiter G?te ersetzen? Sogar zu Gummiradlern k?nnte man die Gemeindetruhen umgestalten. Auf dem Josefsplatze stehen die Automobildroschken unben?tzt. W?rde man hier nicht auf dieser Stelle einen Standplatz f?r Gemeindetruhen mit mehr Erfolg errichten k?nnen? Ich glaube nicht, dass ein Einheimischer oder ein zuf?lliger Fremder der Versuchung widerstehen k?nnte, wenn ihm aus dem Munde von Etui-Chauffeuren die einladenden Rufe entgegenschallen w?rden: ,,Gemeindetruhe gef?llig?", ,,Fahr'n m'r Euer Gnad'n?" und ,,Einsteigen, meine Herrschaften, einsteigen!"
Verzehrungssteuer
,,L'octroi, s'il vous pla?t."
Der st?dtische Verzehrungssteuerbeamte am Bahnhofsausgang in Paris spricht diesen h?flichen Satz in h?flichem Ton, fast entschuldigend. So h?flich, dass in dem Fremden gar nicht die Bef?rchtung wachgerufen wird, er werde jetzt Koffer und Kolli ?ffnen und nach Nahrungsmitteln und Getr?nken durchsuchen lassen m?ssen. Den Fremden aber, der dennoch auf die Vermutung kommen w?rde, dass die h?fliche Frage bitterb?s gemeint sei, beruhigt der Baedeker vollkommen: ,,Die Kontrolle, die auf dem Bahnhof stattfindet, erledigt sich f?r die Fremden in der Regel durch die Erkl?rung, dass man nichts Steuerpflichtiges bei sich f?hre."
Prag ist, wie hier ausdr?cklich festgestellt sei, nicht Paris. In Prag darf der Fremde -- wenn einen solchen vielleicht widrige Winde von der Route des internationalen Fremdenverkehres in unsere gastliche Stadt verschlagen w?rden -- den Bahnhof ungehindert verlassen. Die h?fliche Vorstellung des Oktroi-Beamten bleibt dem Ankommenden erspart. Aber wenn er ahnungslos, den Koffer in der Hand, dem Hotel zustrebt, muss er sich ?ber den Mann entsetzen, der mit einer Harpune in der Rechten, in kriegerischer Uniform, an irgend einer Wegkreuzung aus dem Hinterhalte auf ihn zuspringt und ihm in einer Weise Halt gebietet, die selbst den Marschall Vorw?rts zum Stehen gezwungen h?tte.
Und mit dem blossen Schrecken kommt man nicht davon. Der Koffer muss ge?ffnet werden, auch wenn der Reisende tausendmal beteuern w?rde, dass er den Kofferschl?ssel nicht bei sich trage, da diesen seine Frau in ihrer Handtasche schon tags vorher nach Prag genommen habe, auch wenn er zehntausendmal beeiden und durch Zeugen erh?rten w?rde, dass der Koffer weder einen Apfel, noch ein Kognakfl?schchen, sondern bloss W?sche und nichts als W?sche enthalte. Der Prager Baedeker m?sste bemerken, dass die Bediensteten der Verzehrungssteuer hier in ihrem Pflichteifer vor keiner M?he -- des Fremden zur?ckschrecken. Im Prager Baedeker k?nnte dem Reisenden empfohlen werden, sich auf empirischem Wege von dem Pflichteifer der Akzise-Bediensteten zu ?berzeugen. Zum Beispiel so: Man lege eine Z?ndh?lzchenschachtel, die man vorher mit Spagat kreuz und quer verbunden und hernach vierfach versiegelt hat, auf die offene Handfl?che und versuche, sich aus der Parkstrasse durch den gegen?ber dem Staatsbahnhofe gelegenen Eingang in den Stadtpark zu begeben. Auf die forschende Frage des Akzisaken erwidere man, man kenne den Inhalt der Schachtel nicht. Ein alter Onkel habe sie dem ?berbringer mit dem strikten Auftrag anvertraut, sie erst nach seinem Tode zu ?ffnen. Der Verkehrsbedienstete wird unnachsichtlich den Schachteltr?ger entweder zu dem Akzisgeb?ude an der Ecke der Bolzanogasse oder zu jenem gegen?ber dem Neuen deutschen Theater weisen, wo sich das Frage- und Antwortspiel wiederholen und nachher die verd?chtige Schachtel ge?ffnet werden wird. Man weide sich sodann an dem Gesichte der Beamten beim Anblick der in der Schachtel befindlichen Z?ndh?lzchen.
Viel leichter ist es, ein lebendes Schwein an dem uniformierten Argus vorbeizuschaffen, als eine Streichh?lzchenschachtel. Das lehrt die Geschichte jener Wette, die vor etlichen Jahren in einem Gasthause in Dejwitz geschlossen und damals viel besprochen worden ist: Ein Dejwitzer Fleischhauer hatte mit einem Gastwirte gewettet, dass er ohne Wagen mit einem grossen lebenden Schwein die Tor-Akzise des Bruskatores passieren werde. Der Fleischhauer erkl?rte das Schwein und 40 Kronen, der Wirt den Kaufpreis f?r das Schwein und zwei Hektoliter Bier als Einsatz. Der Fleischer stand auf und ging in seinen Laden. Hier packte er seinen grossen Hund, band ihm das Maul zu und steckte ihn in einen m?chtigen Sack. Dann ging er zum Bruskator. Auf die Frage des Verzehrungssteuer-Bediensteten erwiderte er, scheinbar ein Lachen verbeissend: Er trage seinen Fleischerhund, der Anzeichen von Tollwut zeige, zum Tierarzt. Der Torw?chter schenkte dieser plumpen Ausrede kein Geh?r und band den Sack auf. Im selben Augenblicke sprang der eingesackte Hund, der vielleicht auch die Bef?rchtung seines Herrn verstanden hatte, aus dem Sacke und jagte mit Riesens?tzen zur?ck, den heimischen Fleischt?pfen zu.
,,Sie sind daran Schuld. Das gr?sste Ungl?ck kann jetzt geschehen!" Diese Worte schrie der Fleischer dem pflichttreuen Bediensteten, der vor dem Bruskator, wie das bekannte Haustier vor dem neugemalten Haustor stand, erregt zu und rannte dem ,,tollen" Hunde nach. Zu Hause band der Fleischer seinem gr?ssten Schwein den R?ssel zu und steckte es in den Sack. Dann ging er in das Gasthaus, in dem die Zeugen der Wette versammelt waren. Er zeigte ihnen den Inhalt des Sackes, nahm diesen huckepack auf den R?cken und forderte die Gesellschaft auf, ihm unauff?llig in betr?chtlicher Distanz zu folgen. Beim Bruskator warf er dem noch immer best?rzten Akzismann einen verachtungsvollen Blick zu und sprach kein Wort. Der W?chter erst recht nicht. So ging der Fleischer ruhig ?ber die Verzehrungssteuerlinie und am Abend wurde bei Schweinsbraten und bei zwei Hektolitern Bier das Schwein des Fleischhauers jubelnd er?rtert.
Nicht nur von Schwein, sondern auch von Pech wissen die Bewohner der Oktroi-H?uschen ein trauriges Liedchen zu singen. War da einmal in Prag ein junger Schauspieler -- heute wirkt er in Hamburg -- dessen Spezialit?t die Darstellung von Paralytikern war. Der hatte einst den Entschluss gefasst, den W?chtern einen Schabernack zu spielen. Mit einem grossen Paket unter dem Arm, in respektvoller Entfernung von einer eingeweihten Freundesschar gefolgt, versuchte er es, sich an dem Verzehrungssteuerkontrollor unterhalb des Belvedere vorbeizuschleichen. Dieser aber packte den ertappten Schmuggler, und dieser begann sofort zu winseln und den Paralytiker zu spielen. ,,Hab' ich ein Pech, hab' ich ein Pech," wiederholte er schluchzend, und auf die Frage nach dem Inhalt seines Pakets hatte er keine andere Antwort. Bis es dem Bediensteten zu bunt wurde, er den Deckel des Pakets aufhob und mit schnellem Griff in das Innere fuhr. ?ber und ?ber mit Pech bedeckt war seine Hand, als er sie herauszog. ,,Habe ich Ihnen nicht gesagt, dass ich Pech hab'," sagte der Paralytiker, der pl?tzlich wieder normal geworden war, und l?chelte infam und schadenfroh dar?ber, dass auch einmal ein anderer ,,Pech gehabt" hatte.
Ein ?bler Streich, der in den Tagen des Hagenbeckschen Besuches der Aktualit?t nicht entbehrt, wurde vor wenigen Jahren dem Manne gespielt, der am Ende des Wenzelsplatzes auf Nahrungsmittelschmuggler zu warten hat. An einem Winterabend, gegen 9 Uhr fuhr ein M?belwagen aus der Stadt Weinberge gegen Prag. Auf Anruf des Akzisbediensteten liess der Kutscher die Pferde stoppen. Als aber der Mann seines Amtes walten wollte, trat ein Herr, der den Wagen begleitete, auf ihn zu und bat, dies m?ge unterlassen werden, da der Inhalt nicht ungeldpflichtig sei und eine ?berraschung darstelle. Der Verzehrungssteuer war aber unerbittlich und nach l?ngerem Hin- und Herreden ?ffnete er selbst die T?re des M?belwagens. In demselben Augenblick sprangen aus diesem W?lfe, B?ren, L?wen, Tiger und Leoparden mit ohrenbet?ubendem Gebr?ll heraus. Der biedere W?chter sprang entsetzt zur?ck und streckte seine einzige Waffe, den Bratspiess, mit dem er ansonsten friedlich unter die Sitze der Equipagen und Strassenbahnwaggons, in die R?ckenk?rbe der Weiber und in die Heu- oder Kohlenladung der Lastwagen zu stochern pflegte, abwehrend von sich. Aber der Gebrauch der Waffe war nicht n?tig, denn die Bestien kehrten nach kaum einer Minute wieder zur?ck -- es war eine K?nstlergesellschaft, die als Menagerie zu einem Maskenball nach Prag fuhr. Der Verzehrungssteuerbedienstete atmete h?rbar auf.
Auf verschiedene Weise wurden die Leute geprellt, denen die Aufgabe obliegt, f?r die Lebensmittelteuerung zu sorgen. Sie waren nicht nur die Zielscheibe von Scherzen und Wetten, sondern auch von vielen Schmugglertricks. Aber die gelungensten dieser Gaunerstreiche sind nicht bekannt. Weil sie eben gelungen sind.
Flossfahrt
In Prag hatte unser Floss f?nf Tage lang Haft halten m?ssen. Mit schweren Ketten gefesselt lag es im Smichower Flosshafen. In den Gegenden am Oberlauf der Moldau, an der Maltsch und der Luschnitz liess es nicht ab zu regnen, und auf der Moldau war Hochwasser. Wegen der Gef?hrlichkeit und wegen der Anordnungen der Strompolizei -- oder eigentlich nur wegen dieser -- durfte man nicht abfahren. Aber dann sank der Moldauspiegel auf 60 Zentimeter ?ber der Normale -- die Grenze des Erlaubten. So fuhren wir.
Das Floss war prachtvoll. Keine d?nnen St?cke, wie sie haupts?chlich von der Sazawa her gefl?sst werden, sondern breite Riesenst?mme. ,,Eine Salon-Prahme", hatte mir Herr Max Winterberg versichert, als er meine ihm erstaunliche Bitte, auf einem Floss der Firma ,,L?wy u. Winterberg" bis nach Sachsen fahren zu d?rfen, in liebensw?rdiger Weise erf?llt hatte. Majest?tisch schwammen die Balken dahin, ein breites St?ck der Moldau erf?llend. Doch schon hinter der Palackybr?cke, unter welcher der Mauteinnehmer zu unserem Floss gerudert kam, um die Zahl der Holztafeln zu kontrollieren, nahmen wir eine schm?lere Formation an. Es hiess ,,Einzeln abfallen", denn das Schittkauer Wehr war in der N?he, und dessen Flossschleuse ist eng. W?hrend wir bisher mit zwei nebeneinander befestigten Holztafeln gefahren waren, musste jetzt die linke Flossh?lfte losgel?st und r?ckw?rts befestigt werden.
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