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Read Ebook: Mein Weg zu Martin Luther by Ohorn Anton

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Ebook has 55 lines and 11640 words, and 2 pages

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Warum evangelisch?

Herausgegeben von

Heft 2

Hofrat ~Dr.~ Anton Ohorn

Mein Weg zu Martin Luther

Berlin ~W~ 35 Verlag des Evangelischen Bundes

Vorwort.

Die F?lle und Kraft evangelischen Bekennertums ist in der Christenheit in Vergessenheit geraten. Das war Undank gegen Tote und Unrecht gegen Lebende. Wie keine andere Kirche der Welt z?hlt die evangelische Glaubenszeugen. Ihre Kraft des Leidens und Sterbens muss wieder wirksam werden. Gerade in der ?usseren und inneren Not der Gegenwart. Wer den letzten Satz des Lutherliedes singt, der muss wieder inne werden, dass unter ihm Str?me evangelischen Blutes geflossen sind, und wieder lernen, dass das Evangelium, wie es die Kirche Luthers und der anderen Reformatoren in den Mittelpunkt des Glaubenslebens stellt, heute noch wert ist solchen Singens und Darnachhandelns. Singe niemand diesen schweren Satz, der ihn nicht wahr machen wollte in seinem Leben!

Unser Volk und unsere Kirche brauchen M?nner und Frauen starken, gottgebundenen Gewissens. M?ge sich nach Gottes freundlichem Willen Kraft und Treue tiefen Glaubens entz?nden und st?rken an solchen, deren Gewissen nirgends Ruhe gefunden als am Quell allen Lebens und allen Heils, wie ihn unsere evangelische Kirche als heiligstes Kleinod weiss.

Der Verlag des Evangelischen Bundes.

Im Jahre 1865 trat ich in das Pr?monstratenser-Chorherrnstift Tepl bei Marienbad in B?hmen als Novize ein, nicht mit freudigem Herzen einem inneren Drange folgend, sondern unter dem Druck der Verh?ltnisse und der W?nsche meiner Eltern. Diese waren unbemittelte Leute, die sich ausserstande sahen, die Kosten f?r ein freies Hochschulstudium aufzubringen und zudem in ihrem fromm-katholischen Sinn fest daran glaubten, dass der geistliche Beruf nicht nur der sch?nste sei, sondern ihrem Sohn und ihnen selbst den Weg zum Himmel zu ebnen verm?ge. Im Hause wurde vor und nach jeder Mahlzeit laut gebetet, der t?gliche Fr?hgottesdienst wurde ebenso wie die monatliche Beichte und Kommunion nie vers?umt, und ich selbst versah seit meinen Knabentagen bei der Messe den Ministrantendienst und ?bte denselben ganz ungew?hnlicher Weise bis zu meinem Abgang vom Gymnasium.

Dies war in der Hand von geistlichen Professoren, M?nchen des von Wallenstein gegr?ndeten Klosters, denen aber nachger?hmt werden muss, dass sie frei von jedem Fanatismus waren und ihres Amtes in bester und vorurteilsfreier Weise walteten, und da sie auch wohlgen?hrt und heiter in die Welt sahen, so lag es nahe, auch in bezug auf leibliches Wohlbefinden und Behagen den Klosterberuf als den besten zu betrachten. Von einer evangelischen Konfession wusste man in der Heimatstadt so gut wie nichts, nur galten ganz allgemein die Protestanten als Ketzer, und ich entsinne mich, dass, als ich, noch Knabe, mit meinem Vater einst durch ein in der Diaspora gelegenes evangelisches Dorf wanderte, ich mich vor den friedlichen Leuten f?rchtete im Glauben, dass sie uns ?berfallen w?rden.

Ich war im Grunde gedankenlos ins Kloster eingetreten und sollte hier immer wieder manches sehen und erleben, was zum Nachdenken anregte und die idealen Vorstellungen vom Ordensleben immer mehr tr?bte. Das war wohl zun?chst der Fall bei dem Chorgebet. Die Novizen mussten sechsmal des Tages in die Kirche bzw. in das Oratorium gehen und viermal wurden dabei die Horen abgebetet, die in der Hauptsache aus den von sich gegen?bersitzenden Ordensleuten alternierend und mit monotoner Schnelligkeit gesprochenen Psalmen bestehen. Der Neuling ist davon wenig angenehm ?berrascht; es ist kein Beten, dies mechanische Hersagen der lateinischen Worte, bei denen sich wohl keiner etwas denkt, zumal der ganze Vorgang gewohnheitsm?ssig wird und beinahe an die Gebetsm?hlen des Orients gemahnt. Jede Tageszeit beginnt mit den Worten: >>~Domine, ad adjuvandum me festina~<< , aber richtiger w?re es, wie auch ein junger Kleriker mir auf mein Befremden scherzweise sagt, zu sprechen: >>~Domine, ad festinandum me adjuva!~<< Eine weitere Entt?uschung ergab sich, je mehr man die einzelnen >>Br?der<< kennen lernte. Das war beinahe eine Sammlung menschlicher Spezialit?ten in engem Raume. Da war neben dem behaglichen Genussmenschen, dem sein Bauch zum Gott geworden, der in seinem Lebenskampf ernst gewordene Mann, der schweigend und einsam einherging und sein Empfinden in tiefster Brust begrub; da schritt, verbissen und verbittert ?ber sich und andere, mit gelber, galliger Miene einer hin, der seinen Geifer ?ber alles ausgoss, und ein anderer, kindlich und kindisch zugleich, ?bte Torheiten und L?cherlichkeiten. An der Kanzel im Refektorium standen in lateinischer Sprache die Worte: >>Wie sch?n ist's, wenn Br?der in Eintracht wohnen<<, und sie konnten manchmal wie eine bittere Ironie erscheinen, denn die >>Br?der<< lebten nicht immer in Eintracht. Abgesehen von kleinlichem Neid, unverhehlter Missgunst und Strebertum, was die Eintracht nicht zu f?rdern vermochte, fand sich sogar offene Feindschaft und finsterer Hass. Hier gab es Br?der, die jahrelang kein Wort wechselten, R?cken gegen R?cken bei Tisch sassen, wenn die Reihenfolge sie verurteilte, Nachbarn zu sein, ja selbst T?tlichkeiten sollen nicht ausgeschlossen gewesen sein. Das enge Beisammenwohnen, der t?gliche Verkehr, der Zwang der Regel schleift die Charaktere nicht ab, sondern versch?rft ihre Gegens?tze. Geringf?gige Streitursache, die in der Welt leicht verwunden wird wie ein unbedeutender und verheilender Hautritz, wird eigensinnig weitergesponnen und zu unheilbarem Geschw?r.

F?r den jungen Novizen sind solche Bilder wenig geeignet, das Ordensleben in freundlichem Lichte erscheinen zu lassen, zumal wenn er sieht, wie Priester mit unbr?derlichem Herzen, ja voll Hass vor den Altar treten und in der Messe den Leib des Herrn geniessen, und manches wird fast unbewusst in ihm ersch?ttert, was er im Kloster erhofft und ersehnt und an das er auf dem Boden der Kirche geglaubt hatte.

Auch manches, was der Glaube fordert, wie beispielsweise die Heiligenverehrung, sah man mit anderen Augen an. So befanden sich in der Kirche auf einem Seitenaltar Reliquien zweier Heiligen, und mitunter knieten wohl auch meist Altm?tterchen davor und beteten. Da hatte ich eines Tages, wie es mitunter vorkam, die Aufgabe, fremde Besucher aus Marienbad, die sich w?hrend des Sommers h?ufig einfanden, in Bibliothek, Museum und Kirche herumzuf?hren und sie auf besondere Sehensw?rdigkeiten aufmerksam zu machen. Vor den Reliquien blieben sie stehen, und ein w?rdiger ?lterer Herr, wohl aus guten Gesellschaftskreisen, fragte mich durchaus ernst: >>Glauben Sie denn wirklich an Wunder, die die Heiligen ?ben und an ihre F?rbitte beim lieben Gott?<< Ich geriet bei der Frage unwillk?rlich etwas in Verlegenheit und konnte nur sagen: >>Ich trage das Ordenskleid des heiligen Norbert<< -- aber die Frage kam mir nicht aus dem Sinn. Waren die Heiligen wirklich gleich Gott selbst allgegenw?rtig und allwissend, um alle die Gebete, die an den verschiedensten Orten der Welt, und an ihren Ged?chtnistagen von Tausenden zugleich, an sie gerichtet wurden, kennenzulernen, geschweige erf?llen bzw. bei Gott F?rbitte leisten zu k?nnen? Und waren die Wunder, die in der zweiten Nokturne des Matutinums von dem jeweiligen Tagesheiligen erz?hlt wurden, wirkliche Geschehnisse oder oft recht fantastische M?rchen?

So folgte eine Beunruhigung der anderen, zumal auch manches Pers?nliche sich unangenehm aufdr?ngte. Da lernte ich einen alten Pfarrer kennen, der im Kloster im Ruhestand lebte, den seine vormalige K?chin hier aufsuchte, um, wie ich ~sub rosa~ von dem Pf?rtner erfuhr, eine Unterst?tzung f?r den gemeinsamen Sohn zu erbitten, und ein geistesschwacher, ja geradezu hirnschelliger Priester, der wohl nicht in diesem Zustande ins Kloster gekommen war, fl?sterte mir wiederholt zu, ich m?ge rechtzeitig das Kloster verlassen. Auch einen tiefungl?cklichen Mitnovizen hatte ich, der gleich mir ohne eigentlichen Beruf in den Orden eingetreten war und in Tr?bsinn und Schwermut dahinlebte, w?hrend ich bereits damals in literarischer Besch?ftigung Ablenkung und Trost suchte.

Erregend, aber nicht erhebend und seelisch l?uternd wirkte auch eine Jesuitenmission. Drei Priester des Ordens S. J. waren f?r drei Tage in das Stift gekommen. Der Superior war eine mittelgrosse Pers?nlichkeit mit scharfgeschnittenen Z?gen, durchdringenden Augen und kurzgeschorenem ergrauten Haar, der zweite, ein Graf Klinckowstr?m, der vordem Offizier gewesen sein soll, eine stattliche, breitschultrige Erscheinung mit einem beinahe jovialen Gesichtsausdruck, und der Dritte war hager und sehnig und hatte im ganzen Wesen etwas Asketisches. Essen und Trinken liessen sich alle drei wohlschmecken. Jeder predigte t?glich einmal, so dass wir, zumal die ?blichen Gebetszeiten nicht ausfielen, aus dem Gotteshause nicht herauskamen, aber das Zuviel verfehlte auch hier seinen Zweck und machte m?de und verstimmt. Der Superior sprach geistvoll und klar, mit bestimmter Tendenz; der Asket predigte heiss mit einem Anhauch von fanatischer Sch?rfe, die die Seele in ihrer Tiefe aufw?hlte, und doch waren es Steine, die er statt Brotes gab. ~P.~ Klinckowstr?m zu h?ren war ein Genuss. Er bot ein geistvolles Feuilleton, frei von jedem geh?ssigen Einschlag und mit seinem allgemein religi?sen Grundton eventuell auch geeignet und anregend f?r die Bekenner einer anderen Konfession. Zu den Exerzitien waren zahlreiche Br?der von ausw?rts gekommen; wer immer in der Seelsorge entbehrt werden konnte, war erschienen. Das Refektorium war gef?llt, die Mahlzeiten aber wurden in jenem tiefen Schweigen eingenommen, das ?berhaupt f?r die Dauer der Mission Vorschrift war, doch das Schweigen wirkte nicht erhebend, sondern geradezu dr?ckend, und wir Novizen dispensierten uns auch abends davon.

Da es Schwierigkeiten gemacht hatte, alle Br?der unterzubringen, mussten wir J?ngsten unsere Zimmer r?umen und wurden gemeinsam in einem gr?sseren Gemache untergebracht. Da es an Bettstellen mangelte, hatte man uns Strohlager bereitet, was uns nicht st?rte. Bequem war der Aufenthalt nicht; ein Tisch und einige St?hle waren die ganze Einrichtung. Hier sassen wir abends beisammen, und da gab es ein halblautes Schw?tzchen, bei dem der heitere Anklang um so weniger fehlte, als die Situation geradezu dazu lockte, denn das Beisammensein mahnte an eine Schneiderwerkstatt, wenn wir fl?chtig werdende Kn?pfe dingfest machten oder sonstige kleine Reparaturen an Hose und Weste vornahmen; Schlimmes war gewiss nicht dabei, aber der Ernst des Tages wurde abgemildert.

Auch zur Beichte gingen wir bei den Jesuiten. Eine peinliche Gewissensforschung war vorausgegangen, aber auch diese gen?gte nicht, und der Beichtiger stellte selbst seine Fragen. Er griff in die heimlichsten Winkel der Seele, und manches trieb mir die Schamr?te in die Wangen, manches habe ich wohl gar nicht verstanden. Die Busse bestand in Gebets?bungen, die ich mit Eifer erledigte, ohne mich dabei seelisch ruhig zu f?hlen. Noch am sp?ten Abend entsann ich mich einer Kleinigkeit, die wohl gar keine S?nde war, mir aber in meiner Stimmung als solche erschien und die ich in der Beichte nicht erw?hnt hatte. Da das Gewissen geradezu be?ngstigt war, ging ich noch abends auf das Zimmer des Superiors und erkl?rte, dass ich etwas zu beichten vergessen habe. Mit ernstem Gesicht zog er einen Schemel zu seinem Stuhle, hiess mich darauf niederknien, machte das Kreuzzeichen und nahm mein Bekenntnis entgegen, worauf er mir nach Auferlegung der Busse eines Vaterunsers die Absolution erteilte.

In jenen Tagen aber erwachte zuerst mein Bedenken gegen die Beichte ?berhaupt, zumal mir ein in Paderborn erschienener und wohl zun?chst f?r Kinder bestimmter >>Beichtspiegel<< zur Hand kam, der mich bei klarer und ruhiger Erw?gung geradezu zur Erkenntnis brachte, dass wer dies zusammengestellt, sich an der Jugend schwer vers?ndige. Dieser Fragezettel war ganz dazu angetan, des Kindes Herz und Geist zu verwirren und geradezu unreine Gedanken in ihm zu erwecken. An der Hand der zehn Gebote und der Kirchengebote wird Frage auf Frage geh?uft. So heisst es betr. des sechsten und neunten Gebotes: >>Ich habe ?ber Unreines freiwillig nachgedacht. Wievielmal? Ich habe Unreines freiwillig angesehen. Wievielmal? Ich habe schmutzige Reden gern angeh?rt. Wievielmal? Ich habe Unreines getan . Wievielmal? Ich habe Unreines an mir zugelassen. Wievielmal? Ich habe das Verlangen gehabt, Unschamhaftes zu tun. Wievielmal?<< Gegen das siebente Gebot: >>Ich habe genascht. Ich habe gestohlen. Wievielmal? Ich habe Geld weggenommen. Ich habe gefunden. Ich habe den Willen gehabt, anderen Schaden zuzuf?gen Wievielmal? usw.<< Dass eine solche Behandlung der Beichte nicht im Sinne und Geiste des Heilands sein k?nne, wurde mir damals schon klar; ebensowenig aber konnten es Schilderungen des Fegefeuers und der H?lle sein, die etwas sp?ter mir zur Hand kamen. So las ich betr. des Fegefeuers in einem Hefte, das in Oberbayern mit bisch?flicher Genehmigung ver?ffentlicht worden war: >>Die Glut des Fegefeuers ist so gross und die armen Seelen werden so arg gepeinigt, dass die arme Seele dort in einer Minute mehr leidet, als in vielen, vielen Jahren auf Erden. Seelen der Abgestorbenen, welche den noch auf Erden Lebenden erschienen sind , haben erkl?rt, dass eine Stunde ihnen wie hundert Jahre erscheine. -- Von der Dauer abgesehen, gibt es keinen Unterschied zwischen den Qualen der H?lle und des Fegefeuers, wie der heilige Thomas von Aquin bezeugt, . Je mehr Brennstoff, d. i. S?nden jemand hin?berbringt, desto l?nger und mehr wird er gebrannt, wie der heilige Bonaventura versichert. Die Schmerzen des Fegefeuers richten sich nach den begangenen S?nden, weshalb z. B. jener, der durch Frass und V?llerei ges?ndigt hat, fasten und Hunger und Durst leiden muss.<<

Auch ?ber die Abl?sse wurde in dem Hefte gesprochen: >>Der Sohn Gottes hat all sein Blut in so reicher F?lle vergossen, dass von der Fusssohle bis zum Scheitel nichts Gesundes an ihm gefunden worden. Durch diese Blutvergiessung hat er den unendlichen Schatz der Abl?sse gestiftet, die die P?pste nach Gutd?nken austeilen. Christus entl?sst keinen aus dem Fegefeuer, wenn er nicht seine Schulden bis zum letzten Pfennig bezahlt hat. Ach, w?rde der liebe Ablass nicht so reichlich verliehen, so w?rden wir wahrscheinlich nicht vor dem j?ngsten Tage aus dem Fegefeuer erl?st.<<

~P.~ Cochem weiss genau, dass die H?lle 50 Kubikmeilen gross ist, also Hunderttausende aufzunehmen vermag, zumal nicht jeder Verdammte sich beliebig frei bewegen kann, sondern alle zusammengedr?ngt sind, wie es enger unm?glich. In Feuersglut leiden alle; einige werden in Bratpfannen gebraten, andere an Bratspiessen umgewendet, wieder andere in zerschmolzenem Blei, Eisen und Erz gesotten. In diesem glutfl?ssigen Erz sitzen einige bis an den Nabel, einige bis an die Brust, einige bis an den Hals und einige bis ?ber den Kopf. Ihre Eingeweide und Ged?rme, Lunge und Leber, Beine und Rippen, Herz und Herzkammer sind mit Feuer angef?llt, gleichwie ein Schwamm, der im Meer liegt und durch und durch mit gesalzenem Wasser angef?llt ist. Wenn nun der arme Verdammte im feurigen Schwefel so lange gesotten, bis er durch und durch gl?hend geworden ist, so nehmen ihn die Teufel mit eisernen Haken heraus und werfen ihn wie einen M?hlstein mit grossem Geschrei in einen gefrorenen Teich so tief hinein, dass ihm das Wasser hoch ?ber dem Haupte zusammenschl?gt. Der feurige Schwefelteich und der gefrorene Teich sind nahe beieinander, und weil die teuflischen W?teriche die Verdammten aus einem Teiche in den anderen werfen, so ist ein solches rasendes Geschrei und Geheul daselbst, dass es auf hundert Meilen geh?rt werden k?nnte. Das h?llische Wasser des gefrorenen Teiches selbst ist ganz faul, vergiftet und stinkend; es sind darin soviele giftige, abscheuliche Kr?ten, Schlangen und h?llisches Ungeziefer, dass einem grauset, daran zu denken. Diese teuflischen W?rmer aber tun nichts, als den Leuten das Blut aussaugen und ihnen das Fleisch vom Leibe abfressen. Die Verdammten erhalten als Speisen ganze Sch?sseln voll geschmolzenen Pechs, Bleis, Schwefels, voll Kr?ten und giftigen Ungeziefers, und die Teufel schieben ihnen die scheussliche Nahrung in den Mund und giessen ihnen grosse Becher geschmolzenen Erzes und Gifts in den Hals.

So lehrt der katholische Pater Cochem im 19. Jahrhundert, und seine Ausf?hrungen wimmeln, abgesehen von allem anderen, von oft geradezu naiven Widerspr?chen und unsinnigen Angaben. Das alles ersch?tterte aber immer mehr meinen Glauben an die Wahrheit bezw. Reinheit der Lehre der >>allein seligmachenden<< Kirche, in der solches offen und mit bisch?flicher Genehmigung gelehrt werden durfte, empfindlich und schaffte mir manche schwere Stunde, in der ich mich einsam qu?lte.

Nach dem Noviziat wurden wir Kleriker, und nun begann das Studium der Theologie, und es gab neue Entt?uschungen, denn es bot nicht das geringste f?r Geist und Herz. Die Professoren an der theologischen Hausanstalt, durchaus ehrenwerte Priester, versahen ihr Amt schablonenhaft, diktierten ihre Vortr?ge, die w?rtlich auswendig gelernt werden mussten und die Sehnsucht weckten nach der Prager Hochschule, an die wir mit besten Erwartungen gingen, um dort die letzten vier Semester zu absolvieren. Aber auch sie bot uns nichts, was wenigstens ich erhofft hatte und wonach ich suchte.

Bei all diesen Eindr?cken f?hlte ich immer mehr das seit fr?her Jugend in mich Aufgenommene wankend werden, und die Erkenntnis rang sich immer mehr durch, dass im Laufe der Zeit die wahre Kirche Christi durch Menschenwerk verunstaltet worden sei, und ein stilles Sehnen nach ihrer Reinheit wollte mich erfassen. Oefter als vordem griff ich nach dem Neuen Testament, um mir daraus Trost zu gewinnen, aber mein K?mpfen und Ringen nahm eher zu. Doch wo sollte ich Hilfe finden in meinen stets neu aufsteigenden Gewissensn?ten? Die Beichte konnte mir den Seelendruck nicht mindern, denn in den Beichtst?hlen herrschte ein leerer Formalismus oder ein beunruhigender Fanatismus; mit Ordensbr?dern konnte ich mich nicht aussprechen, ohne mich nach einer oder anderen Hinsicht Missverst?ndnissen auszusetzen, und den Eltern gegen?ber musste ich erst recht schweigen, um die schlichten kirchengl?ubigen Menschen nicht im tiefsten Herzen zu beunruhigen.

So kam der bedeutsame, schwere Tag der feierlichen Profess, an dem es galt, die bindenden Gel?bde der Armut, der Keuschheit und des Gehorsams f?r das ganze Leben abzulegen. Wohl trat mir die Schwere dieses Schrittes ins Bewusstsein, aber ?ber seine volle Bedeutung suchte ich nach bitterem Ringen mich selbst hinwegzut?uschen mit dem Gedanken an das Elternhaus, dem ich nun nicht mehr Freude und Hoffen, das auf mich gesetzt war, zerst?ren durfte, sowie mit der aus den Prager Verh?ltnissen gesch?pften schwachen Beruhigung, dass mir der Trost der Musen und ein gewisses Mass geistiger Freiheit nicht fehlen werde, was vielleicht geeignet sein w?rde, schwere und bange Stunden zu erleichtern.

Der schwere Tag verlief, aber er sollte mir noch ungleich schwerere bringen. Keiner ist wohl an diesem sich v?llig klar, was er auf sich genommen: Lebensunerfahrene, unreife Menschenkinder sind es, die wohl nur in seltensten F?llen von einem inneren h?heren und reinen Drang geleitet werden, sondern meist getrieben sind von Gehorsam gegen die W?nsche der Eltern, von gedankenloser Erwartung einer guten Versorgung, ja wohl auch von dem leichtfertigen Vorsatz, das Leben nach M?glichkeit auch in diesen Verh?ltnissen zu geniessen. Aber die fortschreitenden Jahre lassen innerlich reifen und manchen erkennen, in wieviel leeren Aeusserlichkeiten sich das Klosterleben bewegt, wie gar manchmal der blasse Schein an die Stelle des Wesentlichen tritt, wie Geist und Herz anfangen zu hungern, wie die berechtigte Sehnsucht erwacht nach freier Bet?tigung der Kr?fte im Dienste der Menschheit und wohl auch nach friedlich sch?nem Familiengl?ck. Die Ordensgel?bde sollten nur von gereiften M?nnern, die ?ber all das sich innerlich klar geworden und damit ins Reine gekommen sind, abgelegt werden, aber nicht von Unerfahrenen, die nicht als v?llig moralisch gereift und frei gelten k?nnen f?r einen Schritt, der geeignet ist, Zufriedenheit und Gl?ck eines Menschenlebens f?r immer zu vernichten, denn gar mancher -- ich habe Belege daf?r in Briefen, die mir sp?ter von ungl?cklichen Ordenspriestern zugingen -- m?chte wohl mit heissen Tr?nen seine Unterschrift auf dem entscheidenden Blatte ausl?schen, aber der Orden k?mmert sich nicht um die Beweggr?nde seines Eintritts, sondern h?lt sich an die Tatsache und vernichtet nicht, was er einmal besitzt. Dann lebt wohl mancher sich ein in Gleichg?ltigkeit, geht auf in materiellem Genuss, nimmt es mit den Ordensgel?bden nicht peinlich genau und kommt allm?hlich zu einem weiten Gewissen, das ihm ?ber vieles hinweghilft. Wer aber ein solches nicht besitzt noch es sich w?nscht, und lieber die Fesseln zerreisst, die er in seiner Unerfahrenheit sich selbst angelegt, um ein ganzer Mensch anstatt eines halben, d. i. bloss ?usserlichen M?nchs zu sein -- ist er darum schlecht und verworfen geworden? Hat er sich darum der Achtung unwert gemacht? Haben die mit dem weiten Gewissen, und darunter sind wohl die ?rgsten Schreier, ein Recht, mit Steinen nach ihm zu werfen? -- Die Kirche aber, die die Religion der Liebe lehrt, st?sst ihn aus ihrer Gemeinschaft und legt ihren Fluch auf sein Haupt. Wenn jene, die ihn aussprechen, im Namen Gottes redeten, es w?re entsetzlich, doch der Verfehmte hat den sch?nen Trost, dass er es nur mit seinem Gewissen und mit dem ewigen Richter zu tun hat, der voll Vaterliebe alle Menschen umfasst und den Fluch nicht kennt, mit dem man seinen Namen entehrt.

Solche Erw?gungen stellten sich erst sp?ter bei mir ein, und resigniert liess ich nach Jahresfrist die Priesterweihe ?ber mich ergehn, die mir im Grunde neben der Profess bedeutungslos erschien. Ich bem?hte mich eben, mich mit meinem Schicksal abzufinden, und suchte vor allem Vergessen in der Besch?ftigung mit Wissenschaften, da ich, vom Abt zum Gymnasiallehrer bestimmt, neben der theologischen auch die philosophische Fakult?t der Hochschule besuchte und hier die erw?nschten wertvollen Anregungen durch treffliche Lehrer erhielt; auch widmete ich mich bereits schriftstellerischer T?tigkeit, und hatte die Freude, f?r meine erste als Buch erschienene Novelle >>Der Dorfengel<< von dem Schweizer Piusverein mit einem Preise ausgezeichnet zu werden.

Und doch geschah, was unm?glich geschienen hatte. Wohl protestierten in der St. Peterskirche in st?rmisch erregter Sitzung zahlreiche Kirchenf?rsten gegen die aufgezwungene neue Gesch?ftsordnung, nach welcher eine einfache Majorit?t ?ber die wichtigsten kirchlichen Fragen entscheiden sollte, vergebens wies der kroatische Bischof Strossmair, der gewaltigste Redner des Konzils, ein geistvoller und gelehrter, ehrlicher und kluger Mann, der das Latein wie seine Muttersprache beherrschte, darauf hin, dass, wo es sich um das Seelenheil von Millionen handle, unm?glich der Zufall eventuell einer einzigen Stimme den Ausschlag geben d?rfe, da man doch nicht annehmen k?nne, dass bei etwa 700 Bisch?fen und Pr?laten der Heilige Geist gerade 351 erleuchten und 349 die Erleuchtung versagen sollte; eine solche Annahme w?re Gottesl?sterung. -- Der 13. Juli brachte die Entscheidung: Von etwa 600 Kirchenv?tern hatten 70 gefehlt, 88 hatten mit >>nein<<, 62 mit >>ja unter Vorbehalt<< gestimmt, die anderen 386 aber hatten den neuen Glaubenssatz angenommen, und das gen?gte, ihn als Dogma zu verk?nden. F?nfzig Redner waren noch eingeschrieben gewesen, als die Debatte einfach f?r beendet erkl?rt wurde; die Majorit?t der italienischen Bisch?fe gab den Ausschlag, aber man durfte wohl fragen: Mit welchem Recht? -- Der ganze Kirchenstaat z?hlte nicht so viele Seelen, wie allein die Di?zese des Prager Erzbischofs, war aber beim Konzil durch 143 Bisch?fe vertreten; dazu kamen 100 Bisch?fe ~in partibus infidelium~ und etwa 200 Titularbisch?fe, die nicht einmal dem Namen nach eine Di?zese besassen. Ganz Deutschland aber hatte nur 14 Kirchenf?rsten nach Rom schicken k?nnen, und obwohl dieselben viele Millionen von Gl?ubigen vertraten, galt ihre Stimme nicht mehr als die eines Titularbischofs, und selbst diese 14 hatten nicht den Mut und die Festigkeit, f?r das, was sie als recht erkannten, einzutreten und blieben lieber der zweiten und entscheidenden Abstimmung vom 18. Juli fern.

Nun dr?ngte sich von selbst die Frage auf: W?rden sie sich ganz ruhig f?gen und annehmen, was ihnen zuvor als unannehmbar galt? Wie w?rden sich M?nner wie Sales Meyer verhalten, die vordem geradezu erkl?rt hatten, dass historische, dogmatische und moralische Gr?nde gegen das neue Dogma spr?chen? -- -- -- F?r sie alle galt zuletzt das Wort: Rom hat gesprochen, und sie unterwarfen sich bedingungslos, tausend Gem?tern aber erwuchs innerer Zwiespalt und Qual, um so mehr, als es h?chst ehrenwerte M?nner gab, die ihre Ueberzeugung nicht preiszugeben vermochten und nicht mit einmal recht und billig finden konnten, was -- ohne dass sich an der Begr?ndung etwas ge?ndert h?tte -- vordem unrecht und unbillig f?r einsichtsvolle und gut kirchliche M?nner gewesen war: Professor Schulte, Propst D?llinger u. a. beugten sich nicht und wurden nachmals F?hrer der altkatholischen Bewegung. All das zerw?hlte mir in jenen Tagen die junge Seele und dr?ngte mich in einen schweren inneren Kampf. Eines war mir v?llig klar: Dass der neue Glaubenssatz f?r mich niemals gelten k?nne nach den vorausgegangenen Erkl?rungen massgebender M?nner. Mir war, als sei mir etwas Wertvolles zerbrochen worden; wie in einem b?sen Traum ging ich einher mit heisser Stirn und m?dem Leib. Mein ganzes Empfinden lehnte sich auf gegen den von Rom ge?bten Zwang, und mir war, als m?sste ich bei einer gl?ubig stummen Hingabe selbst mitverantwortlich werden f?r die Folgen der Neuerung, nach welcher die katholische Kirche und der Papst geradezu identisch wurden, so dass dessen alleinige Ausspr?che Geltung haben sollten in allen Glaubenssachen, auch wenn sie dem Empfinden der Besten widersprechen und der Kirche nicht zum Segen sind. Ich musste an den im Jahre 1864 ver?ffentlichten >>Syllabus<< denken; auch dort hat der Papst als Lehrer gesprochen, auch damals m?sste er unfehlbar gewesen sein, und wieviel berechtigten Widerspruch hat er hervorgerufen! Es w?re mitunter mehr als bedenklich, wenn die S?tze des Syllabus wirklich g?ttliche Geltung h?tten; sie m?ssten geradezu den Seelenfrieden Tausender vernichten und den Hass an Stelle der Liebe setzen.

In meiner Herzensangst griff ich nach der Kirchengeschichte. Ich wusste wohl, dass es sich nicht darum handelt, ob der Papst eine sittlich tadellose Pers?nlichkeit sei oder nicht; was er in Glaubenssachen bestimmt, soll damit nichts zu tun haben; aber muss nicht doch ein Bedenken kommen, dass ein sittenloses und geistig unbedeutendes Oberhaupt der Kirche seine Meinung diktatorisch ?ber die der Besten, Fr?mmsten und Einsichtsvollsten setzen k?nne? Und die Geschichte kennt auch lasterhafte P?pste -- hier hilft kein Leugnen und Verheimlichen --, und auch sie m?ssen unfehlbar gewesen sein, wenn es ?berhaupt der jeweilige Inhaber des p?pstlichen Stuhles ist. Wie erkl?ren sich aber in solchen F?llen geschichtliche Widerspr?che? Die Kirchenversammlung in Nic?a verurteilte die Lehre der Arianer als Ketzerei, und Papst Liberius best?tigte dies. Als man ihm einen Gegenpapst aufstellen wollte, den der Kaiser beg?nstigte, gab er eine Erkl?rung ab, die sich eigentlich mit der Arianischen >>Ketzerei<< deckte, nur um seinen Sitz nicht zu verlieren. Welcher Liberius war unfehlbar? -- Papst Vigilius, der Gegenpapst des heil. Silverius, tat vor einem Konzil Widerruf fr?her gemachter Ausspr?che und bezeichnete sich selbst als Werkzeug des Satans. Mag sein, dass man behauptet, er habe die dreifache Krone nicht mit Recht getragen -- doch l?sst sich das nicht von Papst Honorius sagen, der in Christus nicht zwei Willen, einen g?ttlichen und menschlichen, sondern nur einen g?ttlichen gelten liess. Er wurde als Ketzer von einigen Konzilien und von seinem eigenen p?pstlichen Nachfolger verflucht. War dieser unfehlbar, oder war es Honorius? Auf beiden sich widersprechenden Seiten kann die Unfehlbarkeit nicht stehen. Und wie h?ufig finden sich gleichzeitig zwei P?pste, die sich auf das ?rgste befehden, und die Christenheit weiss nicht, wer recht hat, und die Gem?ter der Gl?ubigen kommen in bitteren Zwiespalt, zumal wenn der von Staatsgewalten anerkannte und in Rom residierende der sittlich minder w?rdige ist. Wer darf sich dann von den Gegnern und Streitern um den heiligen Stuhl unfehlbar nennen? Und zuletzt: War es notwendig, dies Dogma aufzustellen, nachdem die Kirche mehr als 1800 Jahre ohne dasselbe bestanden hat, und eine tiefe Beunruhigung in gl?ubige Gem?ter hineinzutragen -- und es sind wohl nicht die Schlechtesten, die beunruhigt werden.

Was ich in jenen Tagen durchstritten und durchlitten habe, vermag nur der zu verstehen, der es an sich selbst erfahren, und dass es noch manchen solchen im Priesterkleide gab, ist wohl ausser Zweifel. Immer lastender aber lag die Erkenntnis auf mir, dass ich mit dieser geistigen Unfreiheit und dem schweren Zwiespalt in der Seele f?r das ganze Leben ungl?cklich werden m?sse. Wollte ich vor mir selbst als ehrlicher Mensch bestehen, so musste ich die Fesseln l?sen, ehe ihr Druck mich erw?rgte oder mich in jene Gleichg?ltigkeit zwang, die mich bei anderen abstiess. Damals habe ich in manch schlafloser Nacht mich gequ?lt mit Zukunftsbildern und nach einem Rettungswege ausgeschaut aus banger Seelennot, habe wohl auch vor dem Kreuz auf dem Betschemel gekniet und den Himmel selbst um ein Zeichen angefleht, das wie ein Stern in meine Nacht hineinleuchten sollte.

Da starb meine Mutter, deren Wunsch und Dr?ngen zumeist mich in das Kloster gef?hrt, und mir war es, als w?rde ich damit von einer widerwillig ?bernommenen Verpflichtung befreit. In meiner verzweiflungsvollen Verlassenheit schaute ich immer sehnender nach einer Erl?sung aus meiner Seelennot aus. Angesehene Pers?nlichkeiten hatten sich der neuen kirchlichen Bewegung des Altkatholizismus angeschlossen, und auch ich erwog den Gedanken, dem altkatholischen Bekenntnis beizutreten, aber n?here Erw?gung liess mich erkennen, dass dies im Grunde nur eine Halbheit w?re, die mich nicht zu befriedigen verm?chte. Vor allem aber galt es die Bande zu l?sen, die mich an Ordensleben und Ordenssatzungen fesselten, doch wie sollte das geschehen? Ich hatte nicht die mindesten Beziehungen, die mir h?tten helfen k?nnen, war v?llig unerfahren der Welt gegen?ber und auch ohne alle materiellen Mittel, um mich selbst nur f?r kurze Zeit ?ber Wasser halten zu k?nnen.

Die Antwort kam; sie war g?tig und verst?ndnisvoll, aber sie kam meinem Hoffen und W?nschen nicht entgegen und bereitete mir mit dem Hinweis, dass keine geeignete Stelle offen sei, eine herbe Entt?uschung. Doch die Spannkraft der Jugend, die dr?ngende Stunde halfen dar?ber hinweg, und das Schreiben selbst brachte mir einen neuen Hoffnungsschimmer. Es kam aus dem Geheimkabinett des Herzogs und war unterzeichnet von dem Kabinettsrat Dr. Tempeltey. Eduard Tempeltey! Bei diesem Namen trat mir die poetisch sch?ne Trag?die >>Klytemnestra<< vor den Geist, die Gestalten seines packenden Werks: >>Hie Welf -- hie Waiblingen!<< schienen vor mir lebendig zu werden -- hatte ich doch vor nicht langer Zeit gerade diese Sch?pfungen eines echten Dichters gelesen --, und der Dichtername erschien mir wie eine Verheissung. Wenn ich Eduard Tempeltey pers?nlich nahetreten, wenn ich mich ihm vertrauensvoll offenbaren d?rfte, sollte der Dichter nicht Verst?ndnis haben f?r das Ringen eines jungen vertrauenden Herzens, sollte nicht durch sein wohlwollendes Entgegenkommen dennoch der Weg zu seinem erlauchten edlen Herrn gefunden werden k?nnen? -- Es gab f?r mich kein langes Zaudern und Erw?gen mehr; mein Erstlingswerk >>Der Dorfengel<<, um dessen Annahme ich, wenn m?glich, Herzog Ernst pers?nlich ersuchen wollte, sowie mein bereits erworbener philosophischer Doktortitel hoben mir Selbstvertrauen und Mut, und so trat ich meine Ferienreise an nach Deutschland, von der ich nicht mehr in das Kloster zur?ckkehren sollte.

Gottes Sonne lachte ?ber dem freundlichen Coburg, als ich hier ankam, und ich nahm es als gute Vorbedeutung. Mein Hoffen auf Dr. Tempeltey wurde nicht entt?uscht; er vermittelte in liebensw?rdiger Weise eine Audienz bei dem Herzog, die mir unvergesslich bleibt, wie auch der hohe Herr noch nach Jahren nach seiner Versicherung mit Vergn?gen daran dachte, da eine solche Begegnung auch ihm wohl selten vorgekommen war. Unbekannt mit den Br?uchen des Hofes, ja selbst an meinem Aeusseren nicht hofm?ssig, trat ich vor ihn, und ohne seine Anrede abzuwarten, liess ich mein Herz auf die Lippen treten, und als ob ich ihn schon l?ngst gekannt, berichtete ich eifrig und lebhaft, warum ich k?me, welche Seelenk?mpfe ich in meinen jungen Jahren durchstritten, wie verlassen ich sei und nichts weiter suche, als eine Scholle, auf der ich als Mensch menschlich leben, f?hlen, schaffen und frei von geistigem Zwange sein d?rfe. Warm und herzlich entgegnete er, und ich vergass beinahe, dass ich mit einem regierenden F?rsten rede und vermeinte, es sei ein ?lterer Freund voll sch?ner Teilnahme. Als er mich nach l?ngerer Zwiesprache huldvoll entliess, geschah es mit dem Hinweis, mich nach Gotha zu begeben und mich bei dem Ministerium vorzustellen, das von meinem Kommen unterrichtet werden w?rde. Hatte ich auch nichts Bestimmtes erreicht, so blieb doch gleichsam ein leuchtender Schimmer in meiner Seele, denn in der Tat war ich in jener Stunde eigentlich am Wendepunkt meines Lebens angelangt, und was ich erreicht habe und geworden bin, f?hre ich auf sie zur?ck mit dem Gef?hl heissen Dankes f?r den g?tigen F?rsten, der mir sein Wohlwollen bis an seinen Tod bewahrte.

Am n?chsten Morgen fuhr ich nach Gotha. Da sah ich zum ersten Male die Wartburg niederschauen in das sch?ne Land, und geschichtliche Erinnerungen mancher Art erwachten. Da trat auch die Gestalt Martin Luthers lebhafter vor meinen Geist, und pl?tzlich entstand in mir der heftige Drang, meine Fahrt zu unterbrechen und das Burgjuwel Th?ringens kennenzulernen. Bald sah ich aus der freundlichen Restaurationshalle hinab in das weite, waldgr?ne Gel?nde, durchschritt S?le und Hallen, und stand endlich seltsam ergriffen in dem kleinen, schlichten Raume, in dem einst der glaubensstarke deutsche Mann als auf seinem Patmos gewohnt und die Bibel ?bersetzt hatte. An diesem Tische, auf dem meine Hand ruhte, hatte er gesessen, an dem Fenster, aus dem ich hinausblickte in das liebliche Land, hatte er gestanden -- -- es umwehte mich wie ein Hauch seines Geistes m?chtig und ergreifend; hatte er doch unter ungleich schwierigeren Verh?ltnissen einen ?hnlichen Kampf durchstritten, wie ich ihn k?mpfte, war trotz Acht und Bann siegreich geblieben und hatte sogar eine Erneuerung gebracht im Glauben, die in Millionen Herzen weiterlebte. Ich habe nachmals aus verschiedenen interessanten Anl?ssen die Wartburg besucht, aber niemals jene Erhebung mitgenommen, wie damals aus der kleinen Lutherstube. Mit gehobener Seele, freudigen und zuversichtlichen Sinnes schritt ich talabw?rts; mir war, als habe ich einen Helfer gewonnen in meinem Kampfe, der mich jetzt schon zu erl?sen schien aus meinen Seelen?ngsten, und ich gab mich der sch?nen Erwartung hin, auch weiter den Weg zu ihm zu finden.

Wohl fand sich auch in Gotha zun?chst keine Stellung f?r mich, und die Losung lautete: Abwarten -- aber eines vermochte ich nicht aufzuschieben: Mochte es kommen, wie es wolle -- es gab kein Zur?ck mehr f?r mich, und so schrieb ich an den Abt von Tepl und teilte ihm meinen Austritt aus der kl?sterlichen Kongregation mit. Ich tat es mit schwerem Herzen um des edlen, guten Mannes willen, den ich aufrichtig verehrte und dem wehe zu tun mir hart ankam; ich ?ffnete ihm meine ganze Seele und liess ihn hineinschauen in die bangen schweren K?mpfe, die ich durchstritten, und die mich endlich zu dem Entschluss f?hrten, lieber ein guter, ehrlicher Mensch, als ein schlechter, unehrlicher M?nch zu sein.

Es lag nahe, ja es war mir ein Bed?rfnis, dass ich in Gotha den evangelischen Gottesdienst besuchte, und er machte gleich beim ersten Male einen tiefen Eindruck auf mich. Die schlichte Einfachheit wirkte gegen?ber dem ?usseren Prunk des katholischen Gottesdienstes stimmungsvoll; die auch f?r den schlichten Mann verst?ndliche Liturgie in deutscher Sprache war anheimelnd gegen?ber den kalten lateinischen Lippengebeten, und der allgemeine Gesang der and?chtigen Gemeinde hatte etwas Ergreifendes und Erhebendes. Immer mehr zog es mich zu dem evangelischen Bekenntnis, zumal ich ja aus der katholischen Kirche ausgeschlossen und infolge meines Austritts aus dem Kloster exkommuniziert, aber andererseits nicht geneigt war, als konfessionslos zu gelten. Ich unterhielt mich ?ber die Angelegenheit mit Dr. Schweitzer, der, weit entfernt von Proselytenmacherei, wohl erkannte, dass ich ein Wahrheitsucher sei, den es fast unbewusst zu der Erkenntnis dr?ngte, dass Luthers Werk dem christlichen Glauben wie dem deutschen Wesen entspreche. Auf Spazierg?ngen mit meinem wahrhaft v?terlichen Freunde wurden in ruhiger Weise und frei von dem kleinsten geh?ssigen Hauche religi?se Fragen und konfessionelle Unterschiede er?rtert, und endlich kam der Tag -- es war der 28. August 1872 --, an dem ich in der Schlosskirche den Uebertritt zum evangelischen Bekenntnis vollzog und das heilige Abendmahl empfing. Es war eine schlichte, stille Feier, der ausser dem Ehepaar Schweitzer nur noch zwei Zeugen beiwohnten, aber das Herz schlug mir ruhig und gl?cklich, so ganz anders, als da ich in Tepl die bindenden Gel?bde sprach.

Die klerikale Presse wusste in ihrer geh?ssig verl?umderischen Art ihren Lesern sp?ter, bei Gelegenheit ihres ganz unw?rdigen Kampfes gegen mein Schauspiel >>Die Br?der von St. Bernhard<<, dessen Tendenz auch nicht im mindesten >>Los von Rom!<< ist, zu berichten, dass ich meinen Austritt aus dem Kloster bereue und ganz ungl?cklich sei. Ich kann demgegen?ber nur immer wiederholen, dass ich auch nicht eine Minute meinen Schritt bereut habe bzw. bereue, und dass ich an der Seite eines lieben, guten und treuen Weibes, das verst?ndnislos im Beichtstuhl ausge?bter Fanatismus eines jungen Kaplans ebenfalls zur Lehre Luthers gef?hrt hatte, ein wahres, sch?nes und ungetr?btes Gl?ck genoss, bis sie der Himmel mir nahm, zwei Jahre vor unserem goldenen Ehejubil?um. Die Zuschriften aber von katholischen Priestern, die mich um Rat und Hilfe baten in ?hnlichen N?ten, wie ich sie durchgek?mpft, liessen mich stets aufs neue dem Himmel danken, dass er mich den Weg finden liess zu Martin Luther.

Vom Verfasser dieser Schrift sind unter andern erschienen:

Postscheckkonto Berlin Nr. 18124,

erscheinen:

~A.~ Warum evangelisch?

In Vorbereitung:

~B.~ Treu dem Evangelium.

In Vorbereitung:

Montanus-Druckerei GmbH., Berlin W 35, Kurf?rstenstrasse 146/47.

Weitere Anmerkungen zur Transkription

Offensichtliche Fehler wurden stillschweigend korrigiert.

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