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Read Ebook: Ausgewählte Schriften by Kleist Heinrich Von

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Ebook has 192 lines and 95380 words, and 4 pages

Edition: 10

Thanks are given to Delphine Lettau for finding a huge collection of ancient German books in London.

Ausgew?hlte Schriften

Heinrich von Kleist

Gesammelte Kleine Werke

Inhalt:

Das Bettelweib von Locarno Das Erdbeben in Chili Der Findling Der Zweikampf Die heilige C?cilie Die Marquise von O... Die Verlobung in St. Domingo Geistererscheinung Michael Kohlhaas

Das Bettelweib von Locarno

Am Fusse der Alpen bei Locarno im oberen Italien befand sich ein altes, einem Marchese geh?riges Schloss, das man jetzt, wenn man vom St. Gotthard kommt, in Schutt und Tr?mmern liegen sieht: ein Schloss mit hohen und weitl?ufigen Zimmern, in deren einem einst auf Stroh, das man ihr untersch?ttete, eine alte kranke Frau, die sich bettelnd vor der T?r eingefunden hatte, von der Hausfrau aus Mitleiden gebettet worden war. Der Marchese, der bei der R?ckkehr von der Jagd zuf?llig in das Zimmer trat, wo er seine B?chse abzusetzen pflegte, befahl der Frau unwillig, aus dem Winkel, in welchem sie lag, aufzustehn und sich hinter den Ofen zu verf?gen. Die Frau, da sie sich erhob, glitschte mit der Kr?cke auf dem glatten Boden aus und besch?digte sich auf eine gef?hrliche Weise das Kreuz; dergestalt, dass sie zwar noch mit uns?glicher M?he aufstand und quer, wie es ihr vorgeschrieben war, ?ber das Zimmer ging, hinter dem Ofen aber unter St?hnen und ?chzen niedersank und verschied.

Mehrere Jahre nachher, da der Marchese durch Krieg und Misswachs in bedenkliche Verm?gensumst?nde geraten war, fand sich ein florentinischer Ritter bei ihm ein, der das Schloss seiner sch?nen Lage wegen von ihm kaufen wollte. Der Marchese, dem viel an dem Handel gelegen war, gab seiner Frau auf, den Fremden in dem obenerw?hnten leerstehenden Zimmer, das sehr sch?n und pr?chtig eingerichtet war, unterzubringen. Aber wie betreten war das Ehepaar, als der Ritter mitten in der Nacht verst?rt und bleich zu ihnen herunterkam, hoch und teuer versichernd, dass es in dem Zimmer spuke, indem etwas, das dem Blick unsichtbar gewesen, mit einem Ger?usch, als ob es auf Stroh gelegen, im Zimmerwinkel aufgestanden mit vernehmlichen Schritten langsam und gebrechlich quer ?ber drei Zimmer gegangen und hinter dem Ofen unter St?hnen und ?chzen niedergesunken sei.

Der Marchese, erschrocken, er wusste selbst nicht recht warum, lachte den Ritter mit erk?nstelter Heiterkeit aus und sagte, er wolle sogleich aufstehen und die Nacht zu seiner Beruhigung mit ihm in dem Zimmer zubringen. Doch der Ritter bat um die Gef?lligkeit, ihm zu erlauben, dass er auf einem Lehnstuhl in seinem Schlafzimmer ?bernachte; und als der Morgen kam, liess er anspannen, empfahl sich und reiste ab.

Dieser Vorfall, der ausserordentliches Aufsehen machte, schreckte auf eine dem Marchese h?chst unangenehme Weise mehrere K?ufer ab; dergestalt, dass, da sich unter seinem eignen Hausgesinde, befremdend und unbegreiflich, das Ger?cht erhob, dass es in dem Zimmer zur Mitternachtstunde umgehe, er, um es mit einem entscheidenden Verfahren niederzuschlagen, beschloss, die Sache in der n?chsten Nacht selbst zu untersuchen. Demnach liess er beim Einbruch der D?mmerung sein Bett in dem besagten Zimmer aufschlagen und erharrte, ohne zu schlafen, die Mitternacht. Aber wie ersch?ttert war er, als er in der Tat mit dem Schlage der Geisterstunde das unbegreifliche Ger?usch wahrnahm; es war, als ob ein Mensch sich von Stroh, das unter ihm knisterte, erhob, quer ?ber das Zimmer ging, und hinter dem Ofen unter Geseufz und Ger?chel niedersank. Die Marquise, am andern Morgen, da er herunterkam, fragte ihn, wie die Untersuchung abgelaufen; und da er sich mit scheuen und ungewissen Blicken umsah und, nachdem er die T?r verriegelt, versicherte, dass es mit dem Spuk seine Richtigkeit habe: so erschrak sie, wie sie in ihrem Leben nicht getan und bat ihn, bevor er die Sache verlauten liesse, sie noch einmal in ihrer Gesellschaft einer kaltbl?tigen Pr?fung zu unterwerfen. Sie h?rten aber samt einem treuen Bedienten, den sie mitgenommen hatten, in der Tat in der n?chsten Nacht dasselbe unbegreifliche, gespensterartige Ger?usch; und nur der dringende Wunsch, das Schloss, es koste was es wolle, loszuwerden, vermochte sie, das Entsetzen, das sie ergriff, in Gegenwart ihres Dieners zu unterdr?cken und dem Vorfall irgendeine gleichg?ltige und zuf?llige Ursache, die sich entdecken lassen m?sse, unterzuschieben. Am Abend des dritten Tages, da beide, um der Sache auf den Grund zu kommen, mit Herzklopfen wieder die Treppe zu dem Fremdenzimmer bestiegen, fand sich zuf?llig der Haushund, den man von der Kette losgelassen hatte, vor der T?r desselben ein; dergestalt dass beide, ohne sich bestimmt zu erkl?ren, vielleicht in der unwillk?rlichen Absicht, ausser sich selbst noch etwas Drittes, Lebendiges, bei sich zu haben, den Hund mit sich in das Zimmer nahmen. Das Ehepaar, zwei Lichter auf dem Tisch, die Marquise unausgezogen, der Marchese Degen und Pistolen, die er aus dem Schrank genommen, neben sich, setzen sich gegen elf Uhr jeder auf sein Bett; und w?hrend sie sich mit Gespr?chen, so gut sie verm?gen, zu unterhalten suchen, legt sich der Hund, Kopf und Beine zusammengekauert, in der Mitte des Zimmers nieder und schl?ft ein, Drauf, in dem Augenblick der Mitternacht, l?sst sich das entsetzliche Ger?usch wieder h?ren; jemand, den kein Mensch mit Augen sehen kann, hebt sich auf Kr?cken im Zimmerwinkel empor; man h?rt das Stroh, das unter ihm rauscht; und mit dem ersten Schritt: tapp! tapp! erwacht der Hund, hebt sich pl?tzlich, die Ohren spitzend, vom Boden empor, und knurrend und bellend, grad' als ob ein Mensch auf ihn eingeschritten k?me, r?ckw?rts gegen den Ofen weicht er aus. Bei diesem Anblick st?rzt die Marquise mit str?ubenden Haaren aus dem Zimmer; und w?hrend der Marchese, der den Degen ergriffen: "Wer da?" ruft, und, da ihm niemand antwortet, gleich einem Rasenden nach allen Richtungen die Luft durchhaut, l?sst sie anspannen, entschlossen, augenblicklich nach der Stadt abzufahren. Aber ehe sie noch nach Zusammenraffung einiger Sachen aus dem Tore herausgerasselt, sieht sie schon das Schloss ringsum in Flammen aufgehen. Der Marchese, von Entsetzen ?berreizt, hatte eine Kerze genommen und dasselbe, ?berall mit Holz get?felt wie es war, an allen vier Ecken, m?de seines Lebens, angesteckt. Vergebens schickte sie Leute hinein, den Ungl?cklichen zu retten; er war auf die elendiglichste Weise bereits umgekommen; und noch jetzt liegen, von den Landleuten zusammengetragen, seine weissen Gebeine in dem Winkel des Zimmers, von welchem er das Bettelweib von Locarno hatte aufstehen heissen.

Das Erdbeben in Chili

In St. Jago, der Hauptstadt des K?nigreichs Chili, stand gerade in dem Augenblicke der grossen Erdersch?tterung vom Jahre 1647, bei welcher viele tausend Menschen ihren Untergang fanden, ein junger, auf ein Verbrechen angeklagter Spanier, namens Jeronimo Rugera, an einem Pfeiler des Gef?ngnisses, in welches man ihn eingesperrt hatte, und wollte sich erhenken. Don Henrico Asteron, einer der reichsten Edelleute der Stadt, hatte ihn ungef?hr ein Jahr zuvor aus seinem Hause, wo er als Lehrer angestellt war, entfernt, weil er sich mit Donna Josephe, seiner einzigen Tochter, in einem z?rtlichen Einverst?ndnis befunden hatte. Eine geheime Bestellung, die dem alten Don, nachdem er die Tochter nachdr?cklich gewarnt hatte, durch die h?mische Aufmerksamkeit seines stolzen Sohnes verraten worden war, entr?stete ihn dergestalt, dass er sie in dem Karmeliterkloster unsrer lieben Frauen vom Berge daselbst unterbrachte.

Durch einen gl?cklichen Zufall hatte Jeronimo hier die Verbindung von neuem anzukn?pfen gewusst, und in einer verschwiegenen Nacht den Klostergarten zum Schauplatze seines vollen Gl?ckes gemacht. Es war am Fronleichnamsfeste, und die feierliche Prozession der Nonnen, welchen die Novizen folgten, nahm eben ihren Anfang, als die ungl?ckliche Josephe, bei dem Anklange der Glocken, in Mutterwehen auf den Stufen der Kathedrale niedersank.

Dieser Vorfall machte ausserordentliches Aufsehn; man brachte die junge S?nderin, ohne R?cksicht auf ihren Zustand, sogleich in ein Gef?ngnis, und kaum war sie aus den Wochen erstanden, als ihr schon, auf Befehl des Erzbischofs, der gesch?rfteste Prozess gemacht ward. Man sprach in der Stadt mit einer so grossen Erbitterung von diesem Skandal, und die Zungen fielen so scharf ?ber das ganze Kloster her, in welchem er sich zugetragen hatte, dass weder die F?rbitte der Familie Asteron, noch auch der Wunsch der ?btissin selbst, welche das junge M?dchen wegen ihres sonst untadelhaften Betragens liebgewonnen hatte, die Strenge, mit welcher das mit welcher das kl?sterliche Gesetz sie bedrohte, mildern konnte. Alles, was geschehen konnte, war, dass der Feuertod, zu dem sie verurteilt wurde, zur grossen Entr?stung der Matronen und Jungfrauen von St. Jago, durch einen Machtspruch des Vizek?nigs, in eine Enthauptung verwandelt ward.

Man vermietete in den Strassen, durch welche der Hinrichtungszug gehen sollte, die Fenster, man trug die D?cher der H?user ab, und die frommen T?chter der Stadt luden ihre Freundinnen ein, um dem Schauspiele, das der g?ttlichen Rache gegeben wurde, an ihrer schwesterlichen Seite beizuwohnen.

Jeronimo, der inzwischen auch in ein Gef?ngnis gesetzt worden war, wollte die Besinnung verlieren, als er diese ungeheure Wendung der Dinge erfuhr. Vergebens sann er auf Rettung: ?berall, wohin ihn auch der Fittig der vermessensten Gedanken trug, stiess er auf Riegel und Mauern, und ein Versuch, die Gitterfenster zu durchfeilen, zog ihm, da er entdeckt ward, eine nur noch engere Einsperrung zu. Er warf sich vor dem Bildnisse der heiligen Mutter Gottes nieder, und betete mit unendlicher Inbrunst zu ihr, als der einzigen, von der ihm jetzt noch Rettung kommen k?nnte.

Doch der gef?rchtete Tag erschien, und mit ihm in seiner Brust die ?berzeugung von der v?lligen Hoffnungslosigkeit seiner Lage. Die Glocken, welche Josephen zum Richtplatz begleiteten, ert?nten, und Verzweiflung bem?chtigte sich seiner Seele. Das Leben schien ihm verhasst, und er beschloss, sich durch einen Strick, den ihm der Zufall gelassen hatte, den Tod zu geben. Eben stand er, wie schon gesagt, an einem Wandpfeiler und befestigen den Strick, der ihn dieser jammervollen Welt entreissen sollte, an eine Eisenklammer, die an dem Gesimse derselben eingefugt war; als pl?tzlich der gr?sste Teil der Stadt, mit einem Gekrache, als ob das Firmament einst?rzte, versank, und alles, was Leben atmete, unter seinen Tr?mmern begrub. Jeronimo Rugera war starr vor Entsetzen; und gleich als ob sein ganzes Bewusstsein zerschmettert worden w?re, hielt er sich jetzt an dem Pfeiler, an welchem er hatte sterben wollen, um nicht umzufallen. Der Boden wankte unter seinen F?ssen, alle W?nde des Gef?ngnisses rissen, der ganze Bau neigte sich, nach der Strasse zu einzust?rzen, und nur der, seinem langsamen Fall begegnende, Fall des gegen?berstehenden Geb?udes verhinderte, durch eine zuf?llige W?lbung, die g?nzliche Zubodenstreckung desselben. Zitternd, mit str?ubenden Haaren, und Knieen, die unter ihm brechen wollten, glitt Jeronimo ?ber den schiefgesenkten Fussboden hinweg, der ?ffnung zu, die der Zusammenschlag beider H?user in die vordere Wand des Gef?ngnisses eingerissen hatte.

Kaum befand er sich im Freien, als die ganze, schon ersch?tterte Strasse auf eine zweite Bewegung der Erde v?llig zusammenfiel. Besinnungslos, wie er sich aus diesem allgemeinen Verderben retten w?rde, eilte er, ?ber Schutt und Geb?lk hinweg, indessen der Tod von allen Seiten Angriffe auf ihn machte, nach einem der n?chsten Tore der Stadt. Hier st?rzte noch ein Haus zusammen, und jagte ihn, die Tr?mmer weit umherschleudernd, in eine Nebenstrasse; hier leckte die Flamme schon, in Dampfwolken blitzend, aus allen Giebeln, und trieb ihn schreckenvoll in eine andere; hier w?lzte sich, aus seinem Gestade gehoben, der Mapochofluss auf ihn heran, und riss ihn br?llend in eine dritte. Hier lag ein Haufen Erschlagener, hier ?chzte noch eine Stimme unter dem Schutte, hier schrieen Leute von brennenden D?chern herab, hier k?mpften Menschen und Tiere mit den Wellen, hier war ein mutiger Retter bem?ht, zu helfen; hier stand ein anderer, bleich wie der Tod, und streckte sprachlos zitternde H?nde zum Himmel. Als Jeronimo das Tor erreicht, und einen H?gel jenseits desselben bestiegen hatte, sank er ohnm?chtig auf demselben nieder.

Er mochte wohl eine Viertelstunde in der tiefsten Bewusstlosigkeit gelegen haben, als er endlich wieder erwachte, und sich, mit nach der Stadt gekehrtem R?cken, halb auf dem Erdboden erhob. Er bef?hlte sich Stirn und Brust, unwissend, was er aus seinem Zustande machen sollte, und ein uns?gliches Wonnegef?hl ergriff ihn, als ein Westwind, vom Meere her, sein wiederkehrendes Leben anwehte, und sein Auge sich nach allen Richtungen ?ber die bl?hende Gegend von St. Jago hinwandte. Nur die verst?rten Menschenhaufen, die sich ?berall blicken liessen, beklemmten sein Herz; er begriff nicht, was ihn und sie hiehergef?hrt haben konnte, und erst, da er sich umkehrte, und die Stadt hinter sich versunken sah, erinnerte er sich des schrecklichen Augenblicks, den er erlebt hatte. Er senkte sich so tief, dass seine Stirn den Boden ber?hrte, Gott f?r seine wunderbare Errettung zu danken; und gleich, als ob der eine entsetzliche Eindruck, der sich seinem Gem?t eingepr?gt hatte, alle fr?heren daraus verdr?ngt h?tte, weinte er vor Lust, dass er sich des lieblichen Lebens, voll bunter Erscheinungen, noch erfreue.

Drauf, als er eines Ringes an seiner Hand gewahrte, erinnerte er sich pl?tzlich auch Josephens, und mit ihr seines Gef?ngnisses, der Glocken, die er dort geh?rt hatte, und des Augenblicks, der dem Einsturze desselben vorangegangen war. Tiefe Schwermut erf?llte wieder seine Brust; sein Gebet fing ihn zu reuen an, und f?rchterlich schien ihm das Wesen, das ?ber den Wolken waltet. Er mischte sich unter das Volk, das ?berall, mit Rettung des Eigentums besch?ftigt, aus den Toren st?rzte, und wagte sch?chtern nach der Tochter Asterons, und ob die Hinrichtung an ihr vollzogen worden sei, zu fragen; doch niemand war, der ihm umst?ndliche Auskunft gab. Eine Frau, die auf einem fast zur Erde gedr?ckten Nacken eine ungeheure Last von Ger?tschaften und zwei Kinder, an der Brust h?ngend, trug, sagte im Vorbeigehen, als ob sie es selbst angesehen h?tte: dass sie enthauptet worden sei. Jeronimo kehrte sich um; und da er, wenn er die Zeit berechnete, selbst an ihrer Vollendung nicht zweifeln konnte, so setzte er sich in einem einsamen Walde nieder, und ?berliess sich seinem vollen Schmerz. Er w?nschte, dass die zerst?rende Gewalt der Natur von neuem ?ber ihn einbrechen m?chte. Er begriff nicht, warum er dem Tode, den seine jammervolle Seele so suchte, in jenen Augenblicken, da er ihm freiwillig von allen Seiten rettend erschien, entflohen sei. Er nahm sich fest vor, nicht zu wanken, wenn auch jetzt die Eichen entwurzelt werden, und ihre Wipfel ?ber ihn zusammenst?rzen sollten. Darauf nun, da er sich ausgeweint hatte, und ihm, mitten unter den heissesten Tr?nen, die Hoffnung wieder erschienen war, stand er auf, und durchstreifte nach allen Richtungen das Feld. Jeden Berggipfel, auf dem sich die Menschen versammelt hatten, besuchte er; auf allen Wegen, wo sich der Strom der Flucht noch bewegte, begegnete er ihnen; wo nur irgend ein weibliches Gewand im Winde flatterte, da trug ihn sein zitternder Fuss hin: doch keines deckte die geliebte Tochter Asterons. Die Sonne neigte sich, und mit ihr seine Hoffnung schon wieder zum Untergange, als er den Rand eines Felsens betrat, und sich ihm die Aussicht in ein weites, nur von wenig Menschen besuchtes Tal er?ffnete. Er durchlief, unschl?ssig, was er tun sollte, die einzelnen Gruppen derselben, und wollte sich schon wieder wenden, als er pl?tzlich an einer Quelle, die die Schlucht bew?sserte, ein junges Weib erblickte, besch?ftigt, ein Kind in seinen Fluten zu reinigen. Und das Herz h?pfte ihm bei diesem Anblick: er sprang voll Ahndung ?ber die Gesteine herab, und rief: O Mutter Gottes, du Heilige! und erkannte Josephen, als sie sich bei dem Ger?usche sch?chtern umsah. Mit welcher Seligkeit umarmten sie sich, die Ungl?cklichen, die ein Wunder des Himmels gerettet hatte!

Josephe war, auf ihrem Gang zum Tode, dem Richtplatze schon ganz nahe gewesen, als durch den krachenden Einsturz der Geb?ude pl?tzlich der ganze Hinrichtungszug auseinander gesprengt ward. Ihre ersten entsetzensvollen Schritte trugen sie hierauf dem n?chsten Tore zu; doch die Besinnung kehrte ihr bald wieder, und sie wandte sich, um nach dem Kloster zu eilen, wo ihr kleiner, h?lfloser Knabe zur?ckgeblieben war. Sie fand das ganze Kloster schon in Flammen, und die ?btissin, die ihr in jenen Augenblicken, die ihre letzten sein sollten, Sorge f?r den S?ugling angelobt hatte, schrie eben, vor den Pforten stehend, nach H?lfe, um ihn zu retten. Josephe st?rzte sich, unerschrocken durch den Dampf, der ihr entgegenqualmte, in das von allen Seiten schon zusammenfallende Geb?ude, und gleich, als ob alle Engel des Himmels sie umschirmten, trat sie mit ihm unbesch?digt wieder aus dem Portal hervor. Sie wollte der ?btissin, welche die H?nde ?ber ihr Haupt zusammenschlug, eben in die Arme sinken, als diese, mit fast allen ihren Klosterfrauen, von einem herabfallenden Giebel des Hauses, auf eine schm?hliche Art erschlagen ward. Josephe bebte bei diesem entsetzlichen Anblicke zur?ck; sie dr?ckte der ?btissin fl?chtig die Augen zu, und floh, ganz von Schrecken erf?llt, den teuern Knaben, den ihr der Himmel wieder geschenkt hatte, dem Verderben zu entreissen.

Sie hatte noch wenig Schritte getan, als ihr auch schon die Leiche des Erzbischofs begegnete, die man soeben zerschmettert aus dem Schutt der Kathedrale hervorgezogen hatte. Der Palast des Vizek?nigs war versunken, der Gerichtshof, in welchem ihr das Urteil gesprochen worden war, stand in Flammen, und an die Stelle, wo sich ihr v?terliches Haus befunden hatte, war ein See getreten, und kochte r?tliche D?mpfe aus. Josephe raffte alle ihre Kr?fte zusammen, sich zu halten. Sie schritt, den Jammer von ihrer Brust entfernend, mutig mit ihrer Beute von Strasse zu Strasse, und war schon dem Tore nah, als sie auch das Gef?ngnis, in welchem Jeronimo geseufzt hatte, in Tr?mmern sah. Bei diesem Anblicke wankte sie, und wollte besinnungslos an einer Ecke niedersinken; doch in demselben Augenblick jagte sie der Sturz eines Geb?udes hinter ihr, das die Ersch?tterungen schon ganz aufgel?st hatten, durch das Entsetzen gest?rkt, wieder auf; sie k?sste das Kind, dr?ckte sich die Tr?nen aus den Augen, und erreichte, nicht mehr auf die Greuel, die sie umringten, achtend, das Tor. Als sie sich im Freien sah, schloss sie bald, dass nicht jeder, der ein zertr?mmertes Geb?ude bewohnt hatte, unter ihm notwendig m?sse zerschmettert worden sein.

An dem n?chsten Scheidewege stand sie still, und harrte, ob nicht einer, der ihr, nach dem kleinen Philipp, der liebste auf der Welt war, noch erscheinen w?rde. Sie ging, weil niemand kam, und das Gew?hl der Menschen anwuchs, weiter, und kehrte sich wieder um, und harrte wieder; und schlich, viel Tr?nen vergiessend, in ein dunkles, von Pinien beschattetes Tal, um seiner Seele, die sie entflohen glaubte, nachzubeten; und fand ihn hier, diesen Geliebten, im Tale, und Seligkeit, als ob es das Tal von Eden gewesen w?re.

Dies alles erz?hlte sie jetzt voll R?hrung dem Jeronimo, und reichte ihm, da sie vollendet hatte, den Knaben zum K?ssen dar.--Jeronimo nahm ihn, und h?tschelte ihn in uns?glicher Vaterfreude, und verschloss ihm, da er das fremde Antlitz anweinte, mit Liebkosungen ohne Ende den Mund. Indessen war die sch?nste Nacht herabgestiegen, voll wundermilden Duftes, so silbergl?nzend und still, wie nur ein Dichter davon tr?umen mag. ?berall, l?ngs der Talquelle, hatten sich, im Schimmer des Mondscheins, Menschen niedergelassen, und bereiteten sich sanfte Lager von Moos und Laub, um von einem so qualvollen Tage auszuruhen. Und weil die Armen immer noch jammerten; dieser, dass er sein Haus, jener, dass er Weib und Kind, und der dritte, dass er alles verloren habe: so schlichen Jeronimo und Josephe in ein dichteres Geb?sch, um durch das heimliche Gejauchz ihrer Seelen niemand zu betr?ben. Sie fanden einen prachtvollen Granatapfelbaum, der seine Zweige, voll duftender Fr?chte, weit ausbreitete; und die Nachtigall fl?tete im Wipfel ihr woll?stiges Lied. Hier liess sich Jeronimo am Stamme nieder, und Josephe in seinem, Philipp in Josephens Schoss, sassen sie, von seinem Mantel bedeckt, und ruhten. Der Baumschatten zog, mit seinen verstreuten Lichtern, ?ber sie hinweg, und der Mond erblasste schon wieder vor der Morgenr?te, ehe sie einschliefen. Denn Unendliches hatten sie zu schwatzen vom Klostergarten und den Gef?ngnissen, und was sie um einander gelitten h?tten; und waren sehr ger?hrt, wenn sie dachten, wie viel Elend ?ber die Welt kommen musste, damit sie gl?cklich w?rden!

Sie beschlossen, sobald die Erdersch?tterungen aufgeh?rt haben w?rden, nach La Conception zu gehen, wo Josephe eine vertraute Freundin hatte, sich mit einem kleinen Vorschuss, den sie von ihr zu erhalten hoffte, von dort nach Spanien einzuschiffen, wo Jeronimos m?tterliche Verwandten wohnten, und daselbst ihr gl?ckliches Leben zu beschliessen. Hierauf, unter vielen K?ssen, schliefen sie ein.

Als sie erwachten, stand die Sonne schon hoch am Himmel, und sie bemerkten in ihrer N?he mehrere Familien, besch?ftigt, sich am Feuer ein kleines Morgenbrot zu bereiten. Jeronimo dachte eben auch, wie er Nahrung f?r die Seinigen herbeischaffen sollte, als ein junger wohlgekleideter Mann, mit einem Kinde auf dem Arm, zu Josephen trat, und sie mit Bescheidenheit fragte: ob sie diesem armen Wurme, dessen Mutter dort unter den B?umen besch?digt liege, nicht auf kurze Zeit ihre Brust reichen wolle? Josephe war ein wenig verwirrt, als sie in ihm einen Bekannten erblickte; doch da er, indem er ihre Verwirrung falsch deutete, fortfuhr: es ist nur auf wenige Augenblicke, Donna Josephe, und dieses Kind hat, seit jener Stunde, die uns alle ungl?cklich gemacht hat, nichts genossen; so sagte sie: "ich schwieg--aus einem andern Grunde, Don Fernando; in diesen schrecklichen Zeiten weigert sich niemand, von dem, was er besitzen mag, mitzuteilen": und nahm den kleinen Fremdling, indem sie ihr eigenes Kind dem Vater gab, und legte ihn an ihre Brust. Don Fernando war sehr dankbar f?r diese G?te, und fragte: ob sie sich nicht mit ihm zu jener Gesellschaft verf?gen wollten, wo eben jetzt beim Feuer ein kleines Fr?hst?ck bereitet werde? Josephe antwortete, dass sie dies Anerbieten mit Vergn?gen annehmen w?rde, und folgte ihm, da auch Jeronimo nichts einzuwenden hatte, zu seiner Familie, wo sie auf das innigste und z?rtlichste von Don Fernandos beiden Schw?gerinnen, die sie als sehr w?rdige junge Damen kannte, empfangen ward.

Donna Elvire, Don Fernandos Gemahlin, welche schwer an den F?ssen verwundet auf der Erde lag, zog Josephen, da sie ihren abgeh?rmten Knaben an der Brust derselben sah, mit vieler Freundlichkeit zu sich nieder. Auch Don Pedro, sein Schwiegervater, der an der Schulter verwundet war, nickte ihr liebreich mit dem Haupte zu.-In Jeronimos und Josephens Brust regten sich Gedanken von seltsamer Art. Wenn sie sich mit so vieler Vertraulichkeit und G?te behandelt sahen, so wussten sie nicht, was sie von der Vergangenheit denken sollten, vom Richtplatze, von dem Gef?ngnisse, und der Glocke; und ob sie bloss davon getr?umt h?tten? Es war, als ob die Gem?ter, seit dem f?rchterlichen Schlage, der sie durchdr?hnt hatte, alle vers?hnt w?ren. Sie konnten in der Erinnerung gar nicht weiter, als bis auf ihn, zur?ckgehen. Nur Donna Elisabeth, welche bei einer Freundin, auf das Schauspiel des gestrigen Morgens, eingeladen worden war, die Einladung aber nicht angenommen hatte, ruhte zuweilen mit tr?umerischem Blicke auf Josephen; doch der Bericht, der ?ber irgend ein neues gr?ssliches Ungl?ck erstattet ward, riss ihre, der Gegenwart kaum entflohene Seele schon wieder in dieselbe zur?ck.

Man erz?hlte, wie die Stadt gleich nach der ersten Hauptersch?tterung von Weibern ganz voll gewesen, die vor den Augen aller M?nner niedergekommen seien; wie die M?nche darin, mit dem Kruzifix in der Hand, umhergelaufen w?ren, und geschrieen h?tten: das Ende der Welt sei da! wie man einer Wache, die auf Befehl des Vizek?nigs verlangte, eine Kirche zu r?umen, geantwortet h?tte: es g?be keinen Vizek?nig von Chili mehr! wie der Vizek?nig in den schrecklichsten Augenblicken h?tte m?ssen Galgen aufrichten lassen, um der Dieberei Einhalt zu tun; und wie ein Unschuldiger, der sich von hinten durch ein brennendes Haus gerettet, von dem Besitzer aus ?bereilung ergriffen, und sogleich auch aufgekn?pft worden w?re.

Donna Elvire, bei deren Verletzungen Josephe viel besch?ftigt war, hatte in einem Augenblick, da gerade die Erz?hlungen sich am lebhaftesten kreuzten, Gelegenheit genommen, sie zu fragen: wie es denn ihr an diesem f?rchterlichen Tag ergangen sei? Und da Josephe ihr, mit beklemmtem Herzen, einige Hauptz?ge davon angab, so ward ihr die Wollust, Tr?nen in die Augen dieser Dame treten zu sehen; Donna Elvire ergriff ihre Hand, und dr?ckte sie, und winkte ihr, zu schweigen. Josephe d?nkte sich unter den Seligen. Ein Gef?hl, das sie nicht unterdr?cken konnte, nannte den verflossnen Tag, so viel Elend er auch ?ber die Welt gebracht hatte, eine Wohltat, wie der Himmel noch keine ?ber sie verh?ngt hatte. Und in der Tat schien, mitten in diesen gr?sslichen Augenblicken, in welchen alle irdischen G?ter der Menschen zu Grunde gingen, und die ganze Natur versch?ttet zu werden drohte, der menschliche Geist selbst, wie eine sch?ne Blume, aufzugehn. Auf den Feldern, so weit das Auge reichte, sah man Menschen von allen St?nden durcheinander liegen, F?rsten und Bettler, Matronen und B?uerinnen, Staatsbeamte und Tagel?hner, Klosterherren und Klosterfrauen: einander bemitleiden, sich wechselseitig H?lfe reichen, von dem, was sie zur Erhaltung ihres Lebens gerettet haben mochten, freudig mitteilen, als ob das allgemeine Ungl?ck alles, was ihm entronnen war, zu einer Familie gemacht h?tte.

Statt der nichtssagenden Unterhaltungen, zu welchen sonst die Welt an den Teetischen den Stoff hergegeben hatte, erz?hlte man jetzt Beispiele von ungeheuern Taten: Menschen, die man sonst in der Gesellschaft wenig geachtet hatte, hatten R?mergr?sse gezeigt; Beispiele zu Haufen von Unerschrockenheit, von freudiger Verachtung der Gefahr, von Selbstverleugnung und der g?ttlichen Aufopferung, von unges?umter Wegwerfung des Lebens, als ob es, dem nichtsw?rdigsten Gute gleich, auf dem n?chsten Schritte schon wiedergefunden w?rde. Ja, da nicht einer war, f?r den nicht an diesem Tage etwas R?hrendes geschehen w?re, oder der nicht selbst etwas Grossm?tiges getan h?tte, so war der Schmerz in jeder Menschenbrust mit so viel s?sser Lust vermischt, dass sich, wie sie meinte, gar nicht angeben liess, ob die Summe des allgemeinen Wohlseins nicht von der einen Seite um ebenso viel gewachsen war, als sie von der anderen abgenommen hatte.

Jeronimo nahm Josephen, nachdem sich beide in diesen Betrachtungen stillschweigend ersch?pft hatten, beim Arm, und f?hrte sie mit unaussprechlicher Heiterkeit unter den schattigen Lauben des Granatwaldes auf und nieder. Er sagte ihr, dass er, bei dieser Stimmung der Gem?ter und dem Umsturz aller Verh?ltnisse, seinen Entschluss, sich nach Europa einzuschiffen, aufgebe; dass er vor dem Vizek?nig, der sich seiner Sache immer g?nstig gezeigt, falls er noch am Leben sei, einen Fussfall wagen w?rde; und dass er Hoffnung habe , mit ihr in Chili zur?ckzubleiben. Josephe antwortete, dass ?hnliche Gedanken in ihr aufgestiegen w?ren; dass auch sie nicht mehr, falls ihr Vater nur noch am Leben sei, ihn zu vers?hnen zweifle; dass sie aber statt des Fussfalles lieber nach La Conception zu gehen, und von dort aus schriftlich das Vers?hnungsgesch?ft mit dem Vizek?nig zu betreiben rate, wo man auf jeden Fall in der N?he des Hafens w?re, und f?r den besten, wenn das Gesch?ft die erw?nschte Wendung n?hme, ja leicht wieder nach St. Jago zur?ckkehren k?nnte. Nach einer kurzen ?berlegung gab Jeronimo der Klugheit dieser Massregel seinen Beifall, f?hrte sie noch ein wenig, die heitern Momente der Zukunft ?berfliegend, in den G?ngen umher, und kehrte mit ihr zur Gesellschaft zur?ck.

Inzwischen war der Nachmittag herangekommen, und die Gem?ter der herumschw?rmenden Fl?chtlinge hatten sich, da die Erdst?sse nachliessen, nur kaum wieder ein wenig beruhigt, als sich schon die Nachricht verbreitete, dass in der Dominikanerkirche, der einzigen, welche das Erdbeben verschont hatte, eine feierliche Messe von dem Pr?laten des Klosters selbst gelesen werden w?rde, den Himmel um Verh?tung ferneren Ungl?cks anzuflehen.

Das Volk brach schon aus allen Gegenden auf, und eilte in Str?men zur Stadt. In Don Fernandos Gesellschaft ward die Frage aufgeworfen, ob man nicht auch an dieser Feierlichkeit Teil nehmen, und sich dem allgemeinen Zuge anschliessen solle? Donna Elisabeth erinnerte, mit einiger Beklemmung, was f?r ein Unheil gestern in der Kirche vorgefallen sei; dass solche Dankfeste ja wiederholt werden w?rden, und dass man sich der Empfindung alsdann, weil die Gefahr schon mehr vor?ber w?re, mit desto gr?sserer Heiterkeit und Ruhe ?berlassen k?nnte. Josephe ?usserte, indem sie mit einiger Begeisterung sogleich aufstand, dass sie den Drang, ihr Antlitz vor dem Sch?pfer in den Staub zu legen, niemals lebhafter empfunden habe, als eben jetzt, wo er seine unbegreifliche und erhabene Macht so entwickle. Donna Elvire erkl?rte sich mit Lebhaftigkeit f?r Josephens Meinung. Sie bestand darauf, dass man die Messe h?ren sollte, und rief Don Fernando auf, die Gesellschaft zu f?hren, worauf sich alles, Donna Elisabeth auch, von den Sitzen erhob. Da man jedoch letztere, mit heftig arbeitender Brust, die kleinen Anstalten zum Aufbruche zaudernd betreiben sah, und sie, auf die Frage: was ihr fehle? antwortete: sie wisse nicht, welch eine ungl?ckliche Ahndung in ihr sei? so beruhigte sie Donna Elvire, und forderte sie auf, bei ihr und ihrem kranken Vater zur?ckzubleiben. Josephe sagte: so werden Sie mir wohl, Donna Elisabeth, diesen kleinen Liebling abnehmen, der sich schon wieder, wie Sie sehen, bei mir eingefunden hat. Sehr gern, antwortete Donna Elisabeth, und machte Anstalten ihn zu ergreifen; doch da dieser ?ber das Unrecht, das ihm geschah, kl?glich schrie, und auf keine Art darein willigte, so sagte Josephe l?chelnd, dass sie ihn nur behalten wolle, und k?sste ihn wieder still. Hierauf bot Don Fernando, dem die ganze W?rdigkeit und Anmut ihres Betragens sehr gefiel, ihr den Arm; Jeronimo, welcher den kleinen Philipp trug, f?hrte Donna Constanzen; die ?brigen Mitglieder, die sich bei der Gesellschaft eingefunden hatten, folgten; und in dieser Ordnung ging der Zug nach der Stadt.

Sie waren kaum funfzig Schritte gegangen, als man Donna Elisabeth welche inzwischen heftig und heimlich mit Donna Elvire gesprochen hatte. Don Fernando! rufen h?rte, und dem Zuge mit unruhigen Tritten nacheilen sah. Don Fernando hielt, und kehrte sich um; harrte ihrer, ohne Josephen loszulassen, und fragte, da sie, gleich als ob sie auf sein Entgegenkommen wartete, in einiger Ferne stehen blieb: was sie wolle? Donna Elisabeth n?herte sich ihm hierauf, obschon, wie es schien, mit Widerwillen, und raunte ihm, doch so, dass Josephe es nicht h?ren konnte, einige Worte ins Ohr. Nun? fragte Don Fernando: und das Ungl?ck, das daraus entstehen kann? Donna Elisabeth fuhr fort, ihm mit verst?rtem Gesicht ins Ohr zu zischeln. Don Fernando stieg eine R?te des Unwillens ins Gesicht; er antwortete: es w?re gut! Donna Elvire m?chte sich beruhigen; und f?hrte seine Dame weiter. -Als sie in der Kirche der Dominikaner ankamen, liess sich die Orgel schon mit musikalischer Pracht h?ren, und eine unermessliche Menschenmenge wogte darin. Das Gedr?nge erstreckte sich bis weit vor den Portalen auf den Vorplatz der Kirche hinaus, und an den W?nden hoch, in den Rahmen der Gem?lde, hingen Knaben, und hielten mit erwartungsvollen Blicken ihre M?tzen in der Hand. Von allen Kronleuchtern strahlte es herab, die Pfeiler warfen, bei der einbrechenden D?mmerung, geheimnisvolle Schatten, die grosse von gef?rbtem Glas gearbeitete Rose in der Kirche ?usserstem Hintergrunde gl?hte, wie die Abendsonne selbst, die sie erleuchtete, und Stille herrschte, da die Orgel jetzt schwieg, in der ganzen Versammlung, als h?tte keiner einen Laut in der Brust. Niemals schlug aus einem christlichen Dom eine solche Flamme der Inbrunst gen Himmel, wie heute aus dem Dominikanerdom zu St. Jago; und keine menschliche Brust gab w?rmere Glut dazu her, als Jeronimos und Josephens!

Die Feierlichkeit fing mit einer Predigt an, die der ?ltesten Chorherren einer, mit dem Festschmuck angetan, von der Kanzel hielt. Er begann gleich mit Lob, Preis und Dank, seine zitternden, vom Chorhemde weit umflossenen H?nde hoch gen Himmel erhebend, dass noch Menschen seien, auf diesem, in Tr?mmer zerfallenden Teile der Welt, f?hig, zu Gott empor zu stammeln. Er schilderte, was auf den Wink des Allm?chtigen geschehen war; das Weltgericht kann nicht entsetzlicher sein; und als er das gestrige Erdbeben gleichwohl, auf einen Riss, den der Dom erhalten hatte, hinzeigend, einen blossen Vorboten davon nannte, lief ein Schauder ?ber die ganze Versammlung. Hierauf kam er, im Flusse priesterlicher Beredsamkeit, auf das Sittenverderbnis der Stadt; Greuel, wie Sodom und Gomorrha sie nicht sahen, straft' er an ihr; und nur der unendlichen Langmut Gottes schrieb er es zu, dass sie noch nicht g?nzlich vom Erdboden vertilgt worden sei.

Aber wie dem Dolche gleich fuhr es durch die von dieser Predigt schon ganz zerrissenen Herzen unserer beiden Ungl?cklichen, als der Chorherr bei dieser Gelegenheit umst?ndlich des Frevels erw?hnte, der in dem Klostergarten der Karmeliterinnen ver?bt worden war; die Schonung, die er bei der Welt gefunden hatte, gottlos nannte, und in einer von Verw?nschungen erf?llten Seitenwendung, die Seelen der T?ter, w?rtlich genannt, allen F?rsten der H?lle ?bergab! Donna Constanze rief, indem sie an Jeronimos Armen zuckte: Don Fernando! Doch dieser antwortete so nachdr?cklich und doch so heimlich, wie sich beides verbinden liess: "Sie schweigen, Donna, Sie r?hren auch den Augapfel nicht, und tun, als ob Sie in eine Ohnmacht versunken; worauf wir die Kirche verlassen." Doch, ehe Donna Constanze diese sinnreiche zur Rettung erfundene Massregel noch ausgef?hrt hatte, rief schon eine Stimme, des Chorherrn Predigt laut unterbrechend, aus: Weichet fern hinweg, ihr B?rger von St. Jago, hier stehen diese gottlosen Menschen! Und als eine andere Stimme schreckenvoll, indessen sich ein weiter Kreis des Entsetzens um sie bildete, fragte: wo? hier! versetzte ein Dritter, und zog, heiliger Ruchlosigkeit voll, Josephen bei den Haaren nieder, dass sie mit Don Fernandos Sohne zu Boden getaumelt w?re, wenn dieser sie nicht gehalten h?tte. "Seid ihr wahnsinnig?" rief der J?ngling, und schlug den Arm um Josephen: "ich bin Don Fernando Ormez, Sohn des Kommandanten der Stadt, den ihr alle kennt." Don Fernando Ormez? rief, dicht vor ihn hingestellt, ein Schuhflicker, der f?r Josephen gearbeitet hatte, und diese wenigstens so genau kannte, als ihre kleinen F?sse. Wer ist der Vater zu diesem Kinde? wandte er sich mit frechem Trotz zur Tochter Asterons. Don Fernando erblasste bei dieser Frage. Er sah bald den Jeronimo sch?chtern an, bald ?berflog er die Versammlung, ob nicht einer sei, der ihn kenne? Josephe rief, von entsetzlichen Verh?ltnissen gedr?ngt: dies ist nicht mein Kind, Meister Pedrillo, wie Er glaubt; indem sie, in unendlicher Angst der Seele, auf Don Fernando blickte: dieser junge Herr ist Don Fernando Ormez, Sohn des Kommandanten der Stadt, den ihr alle kennt! Der Schuster fragte: wer von euch, ihr B?rger, kennt diesen jungen Mann? Und mehrere der Umstehenden wiederholten: wer kennt den Jeronimo Rugera? Der trete vor! Nun traf es sich, dass in demselben Augenblicke der kleine Juan, durch den Tumult erschreckt, von Josephens Brust weg Don Fernando in die Arme strebte. Hierauf: Er ist der Vater! schrie eine Stimme; und: er ist Jeronimo Rugera! eine andere; und: sie sind die gottesl?sterlichen Menschen! eine dritte; und: steinigt sie! steinigt sie! die ganze im Tempel Jesu versammelte Christenheit! Drauf jetzt Jeronimo: Halt! Ihr Unmenschlichen! Wenn ihr den Jeronimo Rugera sucht: hier ist er! Befreit jenen Mann, welcher unschuldig ist!-Der w?tende Haufen, durch die ?usserung Jeronimos verwirrt, stutzte; mehrere H?nde liessen Don Fernando los; und da in demselben Augenblick ein Marine-Offizier von bedeutendem Rang herbeieilte, und, indem er sich durch den Tumult dr?ngte, fragte: Don Fernando Ormez! Was ist Euch widerfahren? so antwortete dieser, nun v?llig befreit, mit wahrer heldenm?tiger Besonnenheit: "Ja, sehen Sie, Don Alonzo, die Mordknechte! Ich w?re verloren gewesen, wenn dieser w?rdige Mann sich nicht, die rasende Menge zu beruhigen, f?r Jeronimo Rugera ausgegeben h?tte. Verhaften Sie ihn, wenn Sie die G?te haben wollen, nebst dieser jungen Dame, zu ihrer beiderseitigen Sicherheit; und diesen Nichtsw?rdigen", indem er Meister Pedrillo ergriff, "der den ganzen Aufruhr angezettelt hat!" Der Schuster rief: Don Alonzo Onoreja, ich frage Euch auf Euer Gewissen, ist dieses M?dchen nicht Josephe Asteron? Da nun Don Alonzo, welcher Josephen sehr genau kannte, mit der Antwort zauderte, und mehrere Stimmen, dadurch von neuem zur Wut entflammt, riefen: sie ists, sie ists! und: bringt sie zu Tode! so setzte Josephe den kleinen Philipp, den Jeronimo bisher getragen hatte, samt dem kleinen Juan, auf Don Fernandos Arm, und sprach: gehn Sie, Don Fernando, retten Sie Ihre beiden Kinder, und ?berlassen Sie uns unserm Schicksale!

Don Fernando nahm die beiden Kinder und sagte: er wolle eher umkommen, als zugeben, dass seiner Gesellschaft etwas zu Leide geschehe. Er bot Josephen, nachdem er sich den Degen des Marine-Offiziers ausgebeten hatte, den Arm, und forderte das hintere Paar auf, ihm zu folgen. Sie kamen auch wirklich, indem man ihnen, bei solchen Anstalten, mit hinl?nglicher Ehrerbietigkeit Platz machte, aus der Kirche heraus, und glaubten sich gerettet. Doch kaum waren sie auf den von Menschen gleichfalls erf?llten Vorplatz derselben getreten, als eine Stimme aus dem rasenden Haufen, der sie verfolgt hatte, rief: dies ist Jeronimo Rugera, ihr B?rger, denn ich bin sein eigner Vater! und ihn an Donna Constanzens Seite mit einem ungeheuren Keulenschlage zu Boden streckte. Jesus Maria! rief Donna Constanze, und floh zu ihrem Schwager; doch: Klostermetze! erscholl es schon, mit einem zweiten Keulenschlage, von einer andern Seite, der sie leblos neben Jeronimo niederwarf. Ungeheuer! rief ein Unbekannter: dies war Donna Constanze Xares! Warum belogen sie uns! antwortete der Schuster; sucht die rechte auf, und bringt sie um! Don Fernando, als er Constanzens Leichnam erblickte, gl?hte vor Zorn; er zog und schwang das Schwert, und hieb, dass er ihn gespalten h?tte, den fanatischen Mordknecht, der diese Greuel veranlasste, wenn derselbe nicht, durch eine Wendung, dem w?tenden Schlag entwichen w?re. Doch da er die Menge, die auf ihn eindrang, nicht ?berw?ltigen konnte: leben Sie wohl, Don Fernando mit den Kindern! rief Josephe--und: hier mordet mich, ihr blutd?rstenden Tiger! und st?rzte sich freiwillig unter sie, um dem Kampf ein Ende zu machen. Meister Pedrillo schlug sie mit der Keule nieder. Darauf ganz mit ihrem Blute bespr?tzt: schickt ihr den Bastard zur H?lle nach! rief er, und drang, mit noch unges?ttigter Mordlust, von neuem vor.

Don Fernando, dieser g?ttliche Held, stand jetzt, den R?cken an die Kirche gelehnt; in der Linken hielt er die Kinder, in der Rechten das Schwert. Mit jedem Hiebe wetterstrahlte er einen zu Boden; ein L?we wehrt sich nicht besser. Sieben Bluthunde lagen tot vor ihm, der F?rst der satanischen Rotte selbst war verwundet. Doch Meister Pedrillo ruhte nicht eher, als bis er der Kinder eines bei den Beinen von seiner Brust gerissen, und, hochher im Kreise geschwungen, an eines Kirchpfeilers Ecke zerschmettert hatte. Hierauf ward es still, und alles entfernte sich. Don Fernando, als er seinen kleinen Juan vor sich liegen sah, mit aus dem Hirne vorquellenden Mark, hob, voll namenlosen Schmerzes, seine Augen gen Himmel.

Der Marine-Offizier fand sich wieder bei ihm ein, suchte ihn zu tr?sten, und versicherte ihn, dass seine Unt?tigkeit bei diesem Ungl?ck, obschon durch mehrere Umst?nde gerechtfertigt, ihn reue; doch Don Fernando sagte, dass ihm nichts vorzuwerfen sei, und bat ihn nur, die Leichname jetzt fortschaffen zu helfen. Man trug sie alle, bei der Finsternis der einbrechenden Nacht, in Don Alonzos Wohnung, wohin Don Fernando ihnen, viel ?ber das Antlitz des kleinen Philipp weinend, folgte. Er ?bernachtete auch bei Don Alonzo, und s?umte lange, unter falschen Vorspiegelungen, seine Gemahlin von dem ganzen Umfang des Ungl?cks zu unterrichten; einmal, weil sie krank war, und dann, weil er auch nicht wusste, wie sie sein Verhalten bei dieser Begebenheit beurteilen w?rde; doch kurze Zeit nachher, durch einen Besuch zuf?llig von allem, was geschehen war, benachrichtigt, weinte diese treffliche Dame im Stillen ihren m?tterlichen Schmerz aus, und fiel ihm mit dem Rest einer ergl?nzenden Tr?ne eines Morgens um den Hals und k?sste ihn. Don Fernando und Donna Elvire nahmen hierauf den kleinen Fremdling zum Pflegesohn an; und wenn Don Fernando Philippen mit Juan verglich, und wie er beide erworben hatte, so war es ihm fast, als m?sst er sich freuen.

Der Findling

Antonio Piachi, ein wohlhabender G?terh?ndler in Rom, war gen?tigt, in seinen Handelsgesch?ften zuweilen grosse Reisen zu machen. Er pflegte dann gew?hnlich Elvire, seine junge Frau, unter dem Schutz ihrer Verwandten, daselbst zur?ckzulassen. Eine dieser Reisen f?hrte ihn mit seinem Sohn Paolo, einem eilfj?hrigen Knaben, den ihm seine erste Frau geboren hatte, nach Ragusa. Es traf sich, dass hier eben eine pestartige Krankheit ausgebrochen war, welche die Stadt und Gegend umher in grosses Schrecken setzte. Piachi, dem die Nachricht davon erst auf der Reise zu Ohren gekommen war, hielt in der Vorstadt an, um sich nach der Natur derselben zu erkundigen. Doch da er h?rte, dass das ?bel von Tage zu Tage bedenklicher werde, und dass man damit umgehe, die Tore zu sperren; so ?berwand die Sorge f?r seinen Sohn alle kaufm?nnischen Interessen: er nahm Pferde und reisete wieder ab.

Er bemerkte, da er im Freien war, einen Knaben neben seinem Wagen, der, nach Art der Flehenden, die H?nde zu ihm ausstreckte und in grosser Gem?tsbewegung zu sein schien. Piachi liess halten; und auf die Frage: was er wolle? antwortete der Knabe in seiner Unschuld: er sei angesteckt; die H?scher verfolgten ihn, um ihn ins Krankenhaus zu bringen, wo sein Vater und seine Mutter schon gestorben w?ren; er bitte um aller Heiligen willen, ihn mitzunehmen, und nicht in der Stadt umkommen zu lassen. Dabei fasste er des Alten Hand, dr?ckte und k?sste sie und weinte darauf nieder. Piachi wollte in der ersten Regung des Entsetzens, den Jungen weit von sich schleudern; doch da dieser, in eben diesem Augenblick, seine Farbe ver?nderte und ohnm?chtig auf den Boden niedersank, so regte sich des guten Alten Mitleid: er stieg mit seinem Sohn aus, legte den Jungen in den Wagen, und fuhr mit ihm fort, obschon er auf der Welt nicht wusste, was er mit demselben anfangen sollte.

Er unterhandelte noch, in der ersten Station, mit den Wirtsleuten, ?ber die Art und Weise, wie er seiner wieder los werden k?nne: als er schon auf Befehl der Polizei, welche davon Wind bekommen hatte, arretiert und unter einer Bedeckung, er, sein Sohn und Nicolo, so hiess der kranke Knabe, wieder nach Ragusa zur?ck transportiert ward. Alle Vorstellungen von Seiten Piachis, ?ber die Grausamkeit dieser Massregel, halfen zu nichts; in Ragusa angekommen, wurden nunmehr alle drei, unter Aufsicht eines H?schers, nach dem Krankenhause abgef?hrt, wo er zwar, Piachi, gesund blieb, und Nicolo, der Knabe, sich von dem ?bel wieder erholte: sein Sohn aber, der eilfj?hrige Paolo, von demselben angesteckt ward, und in drei Tagen starb.

Die Tore wurden nun wieder ge?ffnet und Piachi, nachdem er seinen Sohn begraben hatte, erhielt von der Polizei Erlaubnis, zu reisen. Er bestieg eben, sehr von Schmerz bewegt, den Wagen und nahm, bei dem Anblick des Platzes, der neben ihm leer blieb, sein Schnupftuch heraus, um seine Tr?nen fliessen zu lassen: als Nicolo, mit der M?tze in der Hand, an seinen Wagen trat und ihm eine gl?ckliche Reise w?nschte. Piachi beugte sich aus dem Schlage heraus und fragte ihn, mit einer von heftigem Schluchzen unterbrochenen Stimme: ob er mit ihm reisen wollte? Der Junge, sobald er den Alten nur verstanden hatte, nickte und sprach: o ja! sehr gern; und da die Vorsteher des Krankenhauses, auf die Frage des G?terh?ndlers: ob es dem Jungen wohl erlaubt w?re, einzusteigen? l?chelten und versicherten: dass er Gottes Sohn w?re und niemand ihn vermissen w?rde; so hob ihn Piachi, in einer grossen Bewegung, in den Wagen, und nahm ihn, an seines Sohnes Statt, mit sich nach Rom.

Auf der Strasse, vor den Toren der Stadt, sah sich der Landm?kler den Jungen erst recht an. Er war von einer besonderen, etwas starren Sch?nheit, seine schwarzen Haare hingen ihm, in schlichten Spitzen, von der Stirn herab, ein Gesicht beschattend, das, ernst und klug, seine Mienen niemals ver?nderte. Der Alte tat mehrere Fragen an ihn, worauf jener aber nur kurz antwortete: ungespr?chig und in sich gekehrt sass er, die H?nde in die Hosen gesteckt, im Winkel da, und sah sich, mit gedankenvoll scheuen Blicken, die Gegenst?nde an, die an dem Wagen vor?berflogen. Von Zeit zu Zeit holte er sich, mit stillen und ger?uschlosen Bewegungen, eine Handvoll N?sse aus der Tasche, die er bei sich trug, und w?hrend Piachi sich die Tr?nen vom Auge wischte, nahm er sie zwischen die Z?hne und knackte sie auf.

In Rom stellte ihn Piachi, unter einer kurzen Erz?hlung des Vorfalls, Elviren, seiner jungen trefflichen Gemahlin vor, welche sich zwar nicht enthalten konnte, bei dem Gedanken an Paolo, ihren kleinen Stiefsohn, den sie sehr geliebt hatte, herzlich zu weinen; gleichwohl aber den Nicolo, so fremd und steif er auch vor ihr stand, an ihre Brust dr?ckte, ihm das Bette, worin jener geschlafen hatte, zum Lager anwies, und s?mtliche Kleider desselben zum Geschenk machte. Piachi schickte ihn in die Schule, wo er Schreiben, Lesen und Rechnen lernte, und da er, auf eine leicht begreifliche Weise, den Jungen in dem Masse lieb gewonnen, als er ihm teuer zu stehen gekommen war, so adoptierte er ihn, mit Einwilligung der guten Elvire, welche von dem Alten keine Kinder mehr zu erhalten hoffen konnte, schon nach wenigen Wochen, als seinen Sohn. Er dankte sp?terhin einen Kommis ab, mit dem er, aus mancherlei Gr?nden, unzufrieden war, und hatte, da er den Nicolo, statt seiner, in dem Kontor anstellte, die Freude zu sehn, dass derselbe die weitl?uftigen Gesch?fte, in welchen er verwickelt war, auf das t?tigste und vorteilhafteste verwaltete. Nichts hatte der Vater, der ein geschworner Feind aller Bigotterie war, an ihm auszusetzen, als den Umgang mit den M?nchen des Karmeliterklosters, die dem jungen Mann, wegen des betr?chtlichen Verm?gens das ihm einst, aus der Hinterlassenschaft des Alten, zufallen sollte, mit grosser Gunst zugetan waren; und nichts ihrerseits die Mutter, als einen fr?h, wie es ihr schien, in der Brust desselben sich regenden Hang f?r das weibliche Geschlecht. Denn schon in seinem funfzehnten Jahre, war er, bei Gelegenheit dieser M?nchsbesuche, die Beute der Verf?hrung einer gewissen Xaviera Tartini, Beischl?ferin ihres Bischofs, geworden, und ob er gleich, durch die strenge Forderung des Alten gen?tigt, diese Verbindung zerriss, so hatte Elvire doch mancherlei Gr?nde zu glauben, dass seine Enthaltsamkeit auf diesem gef?hrlichen Felde nicht eben gross war. Doch da Nicolo sich, in seinem zwanzigsten Jahre, mit Constanza Parquet, einer jungen liebensw?rdigen Genueserin, Elvirens Nichte, die unter ihrer Aufsicht in Rom erzogen wurde, verm?hlte, so schien wenigstens das letzte ?bel damit an der Quelle verstopft; beide Eltern vereinigten sich in der Zufriedenheit mit ihm, und um ihm davon einen Beweis zu geben, ward ihm eine gl?nzende Ausstattung zuteil, wobei sie ihm einen betr?chtlichen Teil ihres sch?nen und weitl?uftigen Wohnhauses einr?umten. Kurz, als Piachi sein sechzigstes Jahr erreicht hatte, tat er das Letzte und ?usserste, was er f?r ihn tun konnte: er ?berliess ihm, auf gerichtliche Weise, mit Ausnahme eines kleinen Kapitals, das er sich vorbehielt, das ganze Verm?gen, das seinem G?terhandel zum Grunde lag, und zog sich, mit seiner treuen, trefflichen Elvire, die wenige W?nsche in der Welt hatte, in den Ruhestand zur?ck.

Elvire hatte einen stillen Zug von Traurigkeit im Gem?t, der ihr aus einem r?hrenden Vorfall, aus der Geschichte ihrer Kindheit, zur?ckgeblieben war. Philippo Parquet, ihr Vater, ein bemittelter Tuchf?rber in Genua, bewohnte ein Haus, das, wie es sein Handwerk erforderte, mit der hinteren Seite hart an den, mit Quadersteinen eingefassten, Rand des Meeres stiess; grosse, am Giebel eingefugte Balken, an welchen die gef?rbten T?cher aufgeh?ngt wurden, liefen, mehrere Ellen weit, ?ber die See hinaus. Einst, in einer ungl?cklichen Nacht, da Feuer das Haus ergriff, und gleich, als ob es von Pech und Schwefel erbaut w?re, zu gleicher Zeit in allen Gem?chern, aus welchen es zusammengesetzt war, emporknitterte, fl?chtete sich, ?berall von Flammen geschreckt, die dreizehnj?hrige Elvire von Treppe zu Treppe, und befand sich, sie wusste selbst nicht wie, auf einem dieser Balken. Das arme Kind wusste, zwischen Himmel und Erde schwebend, gar nicht, wie es sich retten sollte; hinter ihr der brennende Giebel, dessen Glut, vom Winde gepeitscht, schon den Balken angefressen hatte, und unter ihr die weite, ?de, entsetzliche See. Schon wollte sie sich allen Heiligen empfehlen und unter zwei ?beln das kleinere w?hlend, in die Fluten hinabspringen; als pl?tzlich ein junger Genueser, vom Geschlecht der Patrizier, am Eingang erschien, seinen Mantel ?ber den Balken warf, sie umfasste, und sich, mit eben so viel Mut als Gewandtheit, an einem der feuchten T?cher, die von dem Balken niederhingen, in die See mit ihr herabliess. Hier griffen Gondeln, die auf dem Hafen schwammen, sie auf, und brachten sie, unter vielem Jauchzen des Volks, ans Ufer; doch es fand sich, dass der junge Held, schon beim Durchgang durch das Haus, durch einen vom Gesims desselben herabfallenden Stein, eine schwere Wunde am Kopf empfangen hatte, die ihn auch bald, seiner Sinne nicht m?chtig, am Boden niederstreckte. Der Marquis, sein Vater, in dessen Hotel er gebracht ward, rief, da seine Wiederherstellung sich in die L?nge zog, ?rzte aus allen Gegenden Italiens herbei, die ihn zu verschiedenen Malen trepanierten und ihm mehrere Knochen aus dem Gehirn nahmen; doch alle Kunst war, durch eine unbegreifliche Schickung des Himmels, vergeblich: er erstand nur selten an der Hand Elvirens, die seine Mutter zu seiner Pflege herbeigerufen hatte, und nach einem dreij?hrigen h?chst schmerzenvollen Krankenlager, w?hrend dessen das M?dchen nicht von seiner Seite wich, reichte er ihr noch einmal freundlich die Hand und verschied.

Piachi, der mit dem Hause dieses Herrn in Handelsverbindungen stand, und Elviren eben dort, da sie ihn pflegte, kennen gelernt und zwei Jahre darauf geheiratet hatte, h?tete sich sehr, seinen Namen vor ihr zu nennen, oder sie sonst an ihn zu erinnern, weil er wusste, dass es ihr sch?nes und empfindliches Gem?t auf das heftigste bewegte. Die mindeste Veranlassung, die sie auch nur von fern an die Zeit erinnerte, da der J?ngling f?r sie litt und starb, r?hrte sie immer bis zu Tr?nen, und alsdann gab es keinen Trost und keine Beruhigung f?r sie; sie brach, wo sie auch sein mochte, auf, und keiner folgte ihr, weil man schon erprobt hatte, dass jedes andere Mittel vergeblich war, als sie still f?r sich, in der Einsamkeit, ihren Schmerz ausweinen zu lassen. Niemand, ausser Piachi, kannte die Ursache dieser sonderbaren und h?ufigen Ersch?tterungen, denn niemals, so lange sie lebte, war ein Wort, jene Begebenheit betreffend, ?ber ihre Lippen gekommen. Man war gewohnt, sie auf Rechnung eines ?berreizten Nervensystems zu setzen, das ihr aus einem hitzigen Fieber, in welches sie gleich nach ihrer Verheiratung verfiel, zur?ckgeblieben war, und somit allen Nachforschungen ?ber die Veranlassung derselben ein Ende zu machen.

Einstmals war Nicolo, mit jener Xaviera Tartini, mit welcher er, trotz des Verbots des Vaters, die Verbindung nie ganz aufgegeben hatte, heimlich, und ohne Vorwissen seiner Gemahlin, unter der Vorspiegelung, dass er bei einem Freund eingeladen sei, auf dem Karneval gewesen und kam, in der Maske eines genuesischen Ritters, die er zuf?llig gew?hlt hatte, sp?t in der Nacht, da schon alles schlief, in sein Haus zur?ck. Es traf sich, dass dem Alten pl?tzlich eine Unp?sslichkeit zugestossen war, und Elvire, um ihm zu helfen, in Ermangelung der M?gde, aufgestanden, und in den Speisesaal gegangen war, um ihm eine Flasche mit Essig zu holen. Eben hatte sie einen Schrank, der in dem Winkel stand, ge?ffnet, und suchte, auf der Kante eines Stuhles stehend, unter den Gl?sern und Caravinen umher: als Nicolo die T?r sacht ?ffnete, und mit einem Licht, das er sich auf dem Flur angesteckt hatte, mit Federhut, Mantel und Degen, durch den Saal ging. Harmlos, ohne Elviren zu sehen, trat er an die T?r, die in sein Schlafgemach f?hrte, und bemerkte eben mit Best?rzung, dass sie verschlossen war: als Elvire hinter ihm, mit Flaschen und Gl?sern, die sie in der Hand hielt, wie durch einen unsichtbaren Blitz getroffen, bei seinem Anblick von dem Schemel, auf welchem sie stand, auf das Get?fel des Bodens niederfiel. Nicolo, von Schrecken bleich, wandte sich um und wollte der Ungl?cklichen beispringen; doch da das Ger?usch, das sie gemacht hatte, notwendig den Alten herbeiziehen musste, so unterdr?ckte die Besorgnis, einen Verweis von ihm zu erhalten, alle andere R?cksichten: er riss ihr, mit verst?rter Beeiferung, ein Bund Schl?ssel von der H?fte, das sie bei sich trug, und einen gefunden, der passte, warf er den Bund in den Saal zur?ck und verschwand. Bald darauf, da Piachi, krank wie er war, aus dem Bette gesprungen war, und sie aufgehoben hatte, und auch Bediente und M?gde, von ihm zusammengeklingelt, mit Licht erschienen waren, kam auch Nicolo in seinem Schlafrock, und fragte, was vorgefallen sei; doch da Elvire, starr vor Entsetzen, wie ihre Zunge war, nicht sprechen konnte, und ausser ihr nur er selbst noch Auskunft auf diese Frage geben konnte, so blieb der Zusammenhang der Sache in ein ewiges Geheimnis geh?llt; man trug Elviren, die an allen Gliedern zitterte, zu Bett, wo sie mehrere Tage lang an einem heftigen Fieber darniederlag, gleichwohl aber durch die nat?rliche Kraft ihrer Gesundheit den Zufall ?berwand, und bis auf eine sonderbare Schwermut, die ihr zur?ckblieb, sich ziemlich wieder erholte.

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