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Read Ebook: Lichtenstein by Hauff Wilhelm

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Ebook has 1736 lines and 114884 words, and 35 pages

Edition: 10

Lichtenstein

Wilhelm Hauff

Inhalt:

Vorwort Kapitel 1 Kapitel 2 Kapitel 3 Kapitel 4 Kapitel 5 Kapitel 6 Kapitel 7 Kapitel 8 Kapitel 9 Kapitel 10 Kapitel 11 Kapitel 12 Kapitel 13 Kapitel 14 Kapitel 15 Kapitel 16 Kapitel 17 Kapitel 18 Kapitel 19 Kapitel 20 Kapitel 21 Kapitel 22 Kapitel 23 Kapitel 24 Kapitel 25 Kapitel 26 Kapitel 27 Kapitel 28 Kapitel 29 Kapitel 30 Kapitel 31 Kapitel 32 Kapitel 33 Kapitel 34 Kapitel 35 Kapitel 36

Lichtenstein

Wilhelm Hauff

Die Sage, womit sich die folgenden Bl?tter besch?ftigen, geh?rt jenem Teil des s?dlichen Deutschlands an, welcher sich zwischen den Gebirgen der Alb und des Schwarzwaldes ausbreitet. Das erstere dieser Gebirge schliesst, von Nordost nach S?den in verschiedener Breite sich ausdehnend, in einer langen Bergkette dieses Land ein, der Schwarzwald aber zieht sich von den Quellen der Donau bis hin?ber an den Rhein und bildet mit seinen schw?rzlichen Tannenw?ldern einen dunklen Hintergrund f?r die sch?ne, fruchtbare, weinreiche Landschaft, die, vom Neckar durchstr?mt, an seinem Fusse sich ausbreitet und W?rttemberg heisst.

Dieses Land schritt aus geringem, dunklem Anfang unter mancherlei K?mpfen siegend zu seiner jetzigen Stellung unter den Nachbarstaaten hervor. Es erregt dies umso gr?ssere Bewunderung wenn man die Zeit bedenkt, in welcher sein Name zuerst aus dem Dunkel tritt; jene Zeit, wo m?chtige Grenznachbarn, wie die Stauffen, die Herzoge von Teck, die Grafen von Zollern, um seine Wiege gelagert waren; wenn man die inneren und ?usseren St?rme bedenkt, die es durchzogen und oft selbst seinen Namen aus den Annalen der Geschichte zu vertilgen drohten.

Gab es doch sogar eine Zeit, wo der Stamm seiner Beherrscher auf ewig aus den Hallen ihrer V?ter verdr?ngt schien, wo sein ungl?cklicher Herzog aus seinen Grenzen fliehen und in dr?ckender Verbannung leben musste, wo fremde Herren in seinen Burgen hausten, fremde S?ldner das Land bewachten und wenig fehlte, dass W?rttemberg aufh?rte zu sein, jene bl?henden Fluren zerrissen und eine Beute f?r viele oder eine Provinz des Hauses ?sterreich wurden.

Unter den vielen Sagen, die von ihrem Land und der Geschichte ihrer V?ter im Mund der Schwaben leben, ist wohl keine von so hohem romantischem Interesse wie die, welche sich an die K?mpfe der eben erw?hnten Zeit, an das wunderbare Schicksal jenes ungl?cklichen F?rsten Ulrich kn?pft.

Das Jahr 1519, in welches unsere Sage f?llt, hat ?ber ihn entschieden, denn es ist der Anfang seines langen Ungl?ckes. Doch darf die Nachwelt sagen, es war der Anfang seines Gl?ckes. War ja doch jene lange Verbannung ein l?uterndes Feuer, woraus er weise und kr?ftiger als je hervorging. Es war der Anfang seines Gl?ckes, denn seine sp?teren Regentenjahre wird jeder W?rttemberger segnen, der die religi?se Umw?lzung, die dieser F?rst in seinem Vaterland bewerkstelligte, f?r ein Gl?ck ansieht.

In jenem Jahr war alles auf die Spitze gestellt. Der Aufruhr des Armen Konrad war sechs Jahre fr?her mit M?he gestillt worden. Doch war das Landvolk hie und da noch schwierig, weil der Herzog dasselbe nicht f?r sich zu gewinnen wusste, seine Amtleute auf ihre eigene Faust arg hausten und Steuern auf Steuern erhoben wurden. Den schw?bischen Bund, eine m?chtige Vereinigung von F?rsten, Grafen, Rittern und freien St?dten des Schwaben- und Frankenlandes, hatte er wiederholt beleidigt,haupts?chlich auch dadurch, dass er sich weigerte, ihm beizutreten So sahen also alle seine Grenznachbarn mit feindlichen Blicken auf sein Tun, als wollten sie nur die Gelegenheit abwarten, ihn f?hlen zu lassen, welch m?chtiges B?ndnis er verweigert habe. Der Kaiser Maximilian, der damals noch regierte, war ihm auch nicht ganz hold, besonders seit er im Verdacht stand, den Ritter G?tz von Berlichingen unterst?tzt zu haben, um sich an dem Kurf?rsten von Mainz zu r?chen.

Der Herzog von Bayern, ein m?chtiger Nachbar, dazu sein Schwager, war ihm abgeneigt, weil Ulrich mit der Herzogin Sabina nicht zum besten lebte. Zu allem diesem kam, um sein Verderben zu beschleunigen, die Ermordung eines fr?nkischen Ritters, der an seinem Hof lebte. Glaubw?rdige Chronisten sagen, das Verh?ltnis des Johann von Hutten zu Sabina sei nicht so gewesen, wie es der Herzog gerne sah. Daher griff ihn der Herzog auf einer Jagd an, warf ihm seine Untreue vor, forderte ihn auf, sich seines Lebens zu erwehren, und stach ihn nieder. Die Huttischen, haupts?chlich Ulrich von Hutten, erhoben ihre Stimmen wider ihn, und in ganz Deutschland erscholl ihr Klage- und Rachegeschrei.

Auch die Herzogin, die durch stolzes, z?nkisches Wesen Ulrich schon als Braut aufgebracht und ihm keine gute Ehe bereitet hatte, trat jetzt als Gegnerin auf, entfloh mit Hilfe Dietrichs von Sp?t, und sie und ihre Br?der traten als Kl?ger und bittere Feinde bei dem Kaiser auf. Es wurden Vertr?ge geschlossen und nicht gehalten, es wurden Friedensvorschl?ge angeboten und wieder verworfen, die Not um den Herzog wuchs von Monat zu Monat, und dennoch beugte sich sein Sinn nicht, denn er meinte, recht getan zu haben Der Kaiser starb in dieser Zeit. Er war ein Herr, der Ulrich trotz der vielen Klagen Milde bewiesen hatte. An ihm starb dem Herzog ein unparteiischer Richter, den er in diesen Bedr?ngnissen so gut h?tte brauchen k?nnen, denn das Ungl?ck kam jetzt schnell.

Man feierte das Leichenfest des Kaisers zu Stuttgart in der Burg, als dem Herzog die Kunde kam, dass Reutlingen, eine Reichsstadt, die in seinem Gebiet lag, seinen Waldvogt auf Achalm erschlagen habe. Diese St?dter hatten ihn schon oft empfindlich beleidigt, sie waren ihm verhasst und sollten jetzt seine Rache f?hlen. Schnell zum Zorn gereizt, wie er war, warf er sich aufs Pferd, liess die L?rmtrommeln durch das Land t?nen, belagerte die Stadt und nahm sie ein Der Herzog liess sich von ihr huldigen, und die Reichsstadt war w?rttembergisch.

Aber jetzt erhob sich der schw?bische Bund mit Macht, denn diese Stadt war ein Glied desselben gewesen So schwer es auch sonst hielt, diese F?rsten, Grafen und St?dte aufzubieten, so z?gerten sie doch hier nicht, sondern hielten zusammen, denn der Hass ist ein fester Kitt. Umsonst waren Ulrichs schriftliche Verteidigungen. Das Bundesheer sammelte sich bei Ulm und drohte mit einem Einfall.

So war also im Jahr 1519 alles auf die Spitze gestellt. Konnte der Herzog das Feld behaupten, so behielt er recht, und es war nicht zu zweifeln, dass er dann grossen Anhang bekommen w?rde. Gelang es dem Bund, den Herzog aus dem Feld zu schlagen, dann wehe ihm. Wo so vieles zu r?chen war, durfte er keine Schonung erwarten

Die Blicke Deutschlands hingen bange am Erfolg dieses Kampfes, sie suchten begierig durch den Vorhang des Schicksals zu dringen und zu ersp?hen, was die k?nftigen Tage bringen werden, ob W?rttemberg gesiegt, ob der Bund den Wahlplatz behauptet habe. Wir rollen diesen Vorhang auf, wir lassen Bild an Bild vor?berziehen, m?ge das Auge nicht zu fr?h erm?det sich davon abwenden.

Kapitel 1

Nach den ersten tr?ben Tagen des M?rz 1519 war endlich am zw?lften ein recht freundlicher Morgen ?ber der Reichsstadt Ulm aufgegangen. Die engen, kalten Strassen mit ihren hohen, dunklen Giebelh?usern hatte der sch?ne Morgen heller als sonst beleuchtet und ihnen einen Glanz, eine Freundlichkeit gegeben, die zu dem heutigen festlichen Ansehen der Stadt gar trefflich passte. Die grosse Herdbruckergasse-- sie f?hrt vom Donautor an das Rathaus--stand an diesem Morgen gedr?ngt voll Menschen, die sich Kopf an Kopf wie eine Mauer an den beiden Seiten der H?user hinzogen, nur einen engen Raum in der Mitte der Gasse ?briglassend. Ein dumpfes Gemurmel gespannter Erwartung lief durch die Reihen und brach nur in ein kurzes Gel?chter aus, wenn etwa die alten, strengen Stadtw?chter eine h?bsche Dirne, die sich zu vorlaut in den freigelassenen Raum gedr?ngt hatte, etwas unsanft mit dem Ende ihrer langen Hellebarde zur?ckdr?ngten, oder wenn ein Schalk sich den Spass machte: "Sie kommen! Sie kommen!" rief, alles lange H?lse machte und schaute, bis es sich zeigte, dass man sich wieder get?uscht habe.

Noch dichter aber war das Gedr?nge da, wo die Herdbruckergasse auf den Platz vor dem Rathaus einbiegt. Dort hatten sich die Z?nfte aufgestellt. Die Schiffergilde mit ihren Altmeistern an der Spitze, die Weber, die Zimmerer, die Brauer mit ihren Fahnen und Gewerbezeichen, sie alle waren im Sonntagswams und wohlbewaffnet zahlreich dort versammelt.

Bot aber schon die Menge hier unten einen fr?hlichen, festlichen Anblick dar, so war dies noch mehr der Fall mit den hohen H?usern der Strasse selbst. Bis an die Giebeld?cher waren alle Fenster voll geputzter Frauen und M?dchen, um welche sich die gr?nen Tannen- und Taxuszweige, die bunten Teppiche und T?cher, mit welchen die Seiten geschm?ckt waren, wie Rahmen um liebliche Gem?lde zogen.

Das anmutigste Bild gew?hrte wohl ein Erkerfenster am Hause des Herrn Hans von Besserer. Dort standen zwei M?dchen, so verschieden an Gesicht, Gestalt und Kleidung, und doch beide von so ausgezeichneter Sch?nheit, dass, wer sie von der Strasse betrachtete, eine Weile zweifelhaft war, welcher er wohl den Vorzug geben m?chte.

Beide schienen nicht ?ber achtzehn Jahre alt zu sein. Die eine, gr?ssere, war zart gebaut, reiches, braunes Haar zog sich um eine freie Stirn, die gew?lbten Bogen ihrer dunklen Brauen, das ruhige, blaue Auge, der feingeschnittene Mund, die zarten Farben der Wangen-- sie gaben ein Bild, das unter unseren heutigen Damen f?r sehr anziehend gelten w?rde, das aber in jenen Zeiten, wo noch h?heren Farben, volleren Formen der Apfel zuerkannt wurde, nur durch seine gebietende W?rde neben der anderen Sch?nen sich geltend machen konnte.

Diese, kleiner und in reichlicherer F?lle als ihre Nachbarin, war eines jener unbesorgten, immer heiteren Wesen, welche wohl wissen, dass sie gefallen. Ihr hellblondes Haar war nach damaliger Sitte der Ulmer Damen in viele L?ckchen und Z?pfchen geschlungen und zum Teil unter ein weisses H?ubchen voll kleiner, k?nstlicher F?ltchen gesteckt. Das runde frische Gesichtchen war in immerw?hrender Bewegung, noch rastloser glitten die lebhaften Augen ?ber die Menge hin, und der l?chelnde Mund, der alle Augenblicke die sch?nen Z?hne sehen liess, zeigte deutlich, dass es unter den vielerlei abenteuerlichen Gruppen und Gestalten nicht an Gegenst?nden fehle, die ihrer fr?hlichen Laune zur Zielscheibe dienen mussten.

Hinter den beiden M?dchen stand ein grosser, bejahrter Mann; seine tiefen, strengen Z?ge, seine buschigen Augenbrauen, sein langer d?nner, schon ins Graue spielender Bart, selbst sein ganz schwarzer Anzug, der wunderlich gegen die reichen, bunten Farben um ihn her abstach, gaben ihm ein ernstes, beinahe trauriges Aussehen, das kaum ein wenig milder wurde, wenn ein Schimmer von Freundlichkeit, hervorgelockt durch die gl?cklichen Einf?lle der Blondine, wie ein Wetterleuchten durch das finstere Gesicht zog. Diese Gruppe, so verschieden in sich durch Farbe und Schattierung, wie durch Charakter und Jahre, zog hin und wieder die Aufmerksamkeit der Untenstehenden auf sich. Manches Auge hing an den sch?nen M?dchen, und sie besch?ftigten eine Weile durch ihre ?berraschende Erscheinung jene m?ssige Menge, die schon ungeduldig zu werden anfing, dass das Schauspiel dessen sie harrte, sich noch immer nicht zeigen wollte.

Es ging schon stark gegen Mittag. Die Menge wogte immer ungeduldiger, presste sich st?rker, und hin und wieder hatte sich schon einer oder der andere aus den Reihen der ehrsamen Z?nfte auf den Boden gelagert, da t?nten drei Sch?sse von der Schanze auf dem Lug-ins-Land her?ber, die Glocken des M?nsters begannen tiefe, volle Akkorde ?ber die Stadt hinzurollen, und im Augenblick hatten sich die verworrenen Reihen geordnet.

"Sie kommen, Marie, sie kommen!" rief die Blonde im Erkerfenster und schlang ihren Arm um den Leib ihrer Nachbarin, indem sie sich weiter zum Fenster hinausbeugte. Das Haus des Herrn von Besserer bildete die Ecke der vorerw?hnten Strasse, von dem Erker konnte man hinab beinahe bis an das Donautor, und hin?ber bis in die Fenster des Rathauses sehen, die M?dchen hatten also ihren Standpunkt trefflich gew?hlt, um das Schauspiel, dessen sie harrten, ganz zu geniessen.

Jetzt h?rte man den dumpfen Schall der Pauken, vermischt mit den hohen Kl?ngen der Zinken und Trompeten, und durch das Tor herein bewegte sich ein langer, gl?nzender Zug von Reitern. Die Stadtpauker und Trompeter, die berittene Schar der Ulmer Patriziers?hne war eine allzu t?gliche Erscheinung, als dass das Auge lange darauf verweilt h?tte. Als aber das schwarz und weisse Banner der Stadt, mit dem Reichsadler, als Fahnen und Standarten aller Gr?ssen und Farben, zum Tor hereinschwankten, da dachten die Zuschauer, dass jetzt der rechte Augenblick gekommen sei.

Auch unsere Sch?nen im Erkerfenster sch?rften jetzt ihre Blicke, als man die Menge am unteren Teil der Strasse ehrerbietig die M?tzen abnehmen sah.

Auf einem grossen, starkknochigen Rosse nahte ein Mann, dessen kr?ftige Haltung, dessen heiteres, frisches Ansehen in sonderbarem Kontrast stand mit der tiefgefurchten Stirn und dem schon ins Graue spielenden Haar und Bart. Er trug einen zugespitzten Hut mit vielen Federn, einen Brustharnisch ?ber ein eng anschliessendes, rotes Wams, Beinkleider von Leder, mit Seide ausgeschlitzt, die wohl neu recht h?bsch gewesen sein mochten, aber durch Regen und Strapazen eine einf?rmige, dunkelbraune Farbe erhalten hatten. Weite, schwere Reiterstiefel schlossen sich unter den Knien an. Seine einzige Waffe, ein ungew?hnlich grosses Schwert mit langem Griff ohne Korb, vollendete das Bild eines gewaltigen, unter Gefahren fr?h ergrauten Kriegers. Der einzige Schmuck dieses Mannes war eine lange, goldene Kette von dicken Ringen, f?nfmal um den Hals gelegt, an welcher ein Ehrenpfennig auf die Brust herabhing.

"Sagt geschwind, Oheim, wer ist der stattliche Mann, der so jung und alt aussieht?" rief die Blonde, indem sie das K?pfchen ein wenig nach dem schwarzen Herrn, der hinter ihr stand, zur?ckbeugte.

"Das kann ich dir sagen, Berta", antwortete dieser bed?chtig. "Es ist Georg von Frondsberg, oberster Feldhauptmann des b?ndischen Fussvolks, ein wackerer Mann, wenn er einer besseren Sache diente!"

"Behaltet Eure Bemerkungen f?r Euch, Herr W?rttemberger", entgegnete ihm die Kleine, indem sie l?chelnd mit dem Finger drohte, "Ihr wisst, dass die Ulmer M?dchen gut b?ndisch sind!"

Der Oheim aber, ohne sich irremachen zu lassen, fuhr fort: "Jener dort auf dem Schimmel ist Truchsess Waldburg, der Feldleutnant, dem auch etwas von unserem W?rttemberg wohl anst?nde. Dort hinter ihm kommen die Bundesobersten. Weiss Gott, sie sehen aus wie W?lfe, die nach Beute gehen."

"Pfui! Verwitterte Gestalten!" bemerkte Berta. "Ob es wohl auch der M?he wert war, B?schen Marie, dass wir uns so putzten? Aber siehe da, wer ist der junge, schwarze Reiter auf dem Braunen? Sieh nur das bleiche Gesicht und die feurigen, schwarzen Augen! Auf seinem Schild steht: 'Ich hab's gewagt'."

"Das ist der Ritter Ulrich von Hutten", erwiderte der Alte, "dem Gott seine Schm?hworte gegen unsern Herzog verzeihen wolle. Kinder, das ist ein gelehrter, frommer Herr. Er ist zwar des Herzogs bitterster Feind, aber ich sage so. Denn was wahr ist, muss wahr bleiben!"

"Und siehe, da sind Sickingens Farben, wahrhaftig, da ist er selbst. Schaut hin, M?dchen, das ist Franz von Sickingen Sie sagen, er f?hre tausend Reiter ins Feld. Der ist's mit dem blanken Harnisch und der roten Feder."

"Aber sagt mir, Oheim", fragte Berta weiter, "welches ist denn G?tz von Berlichingen, von dem uns Vetter Kraft so viel erz?hlt. Er ist ein gewaltiger Mann und hat eine Faust von Eisen. Reitet er nicht mit den St?dten?"

"G?tz und die St?dter nenne nie in einem Atem", sprach der Alte mit Ernst. "Er h?lt zu W?rttemberg."

Ein grosser Teil des Zuges war w?hrend dieses Gespr?ches am Fenster vor?bergezogen, und mit Verwunderung hatte Berta bemerkt, wie gleichg?ltig und teilnahmslos ihre Base Marie hinabschaute. Es war zwar sonst des M?dchens Art, sinnend, zuweilen wohl auch tr?umerisch auszusehen, aber heute, bei einem so gl?nzenden Aufzug, so ganz ohne Teilnahme zu sein, deuchte ihr ein grosses Unrecht. Sie wollte sie eben zur Rede stellen, als ein Ger?usch von der Strasse her ihre Aufmerksamkeit auf sich zog. Ein m?chtiges Ross b?umte sich in der Mitte der Strasse unter ihrem Fenster, wahrscheinlich scheu gemacht durch die flatternden Fahnen der Z?nfte. Sein hoch zur?ckgeworfener Kopf verdeckte den Reiter, so dass nur die wehenden Federn des Baretts sichtbar waren; aber die Gewandtheit und Kraft, mit welcher er das Pferd herunterriss und zum Stehen brachte, liess einen jungen mutigen Reiter ahnen. Das lange hellbraune Haar war ihm von der Anstrengung ?ber das Gesicht herabgefallen. Als er es zur?ckschlug, traf sein Blick das Erkerfenster.

"Nun, dies ist doch einmal ein h?bscher Herr", fl?sterte die Blonde ihrer Nachbarin zu, so heimlich, so leise, als f?rchte sie, von dem sch?nen Reiter geh?rt zu werden, "und wie er artig und h?flich ist! Sieh nur, er hat uns gegr?sst, ohne uns zu kennen."

Aber das stille B?schen Marie schien der Kleinen nicht viel Aufmerksamkeit zu schenken. Ein gl?hendes Rot zog ?ber die zarten Wangen. Ja, wer die ernste Jungfrau gesehen h?tte, wie sie so kalt auf den Zug hinabsah, h?tte wohl nie geahnt, dass so viel holde Freundlichkeit um diesen Mund, so viel Liebe in diesem sinnenden Auge wohnen k?nnte, als in jenem Augenblick sichtbar wurde, wo sie durch ein leichtes Neigen des Hauptes den Gruss des jungen Ritters erwiderte.

Der kleinen Schw?tzerin war unsere fl?chtige, aber wahre Bemerkung ?ber den Anblick des sch?nen Mannes v?llig entgangen. "Nur schnell, Oheim!" rief sie und zog den alten Herrn am Mantel. "Wer ist dieser in der hellblauen Binde mit Silber? Nun?"

"Liebes Kind!" antwortete der Oheim. "Den habe ich in meinem Leben nicht gesehen Seinen Farben nach steht er in keinem besonderen Dienst, sondern reitet wohl auf seine eigene Faust gegen meinen Herzog und Herrn, wie so viele Hungerleider, die sich an unseren T?pfen laben wollen."

"Mit Euch ist doch nichts anzufangen", sagte die Kleine und wandte sich unmutig ab. "Die alten und gelehrten Herren kennt Ihr alle auf hundert Schritte und weiter. Wenn man aber einmal nach einem h?bschen, h?flichen Junker fragt, wisst Ihr nichts. Du bist auch so, Marie, machtest Augen auf den Zug hinunter, als ob es eine Prozession an Fronleichnam w?re; ich wette, Du hast das Sch?nste von allem nicht gesehen und hattest noch den alten Frondsberg im Kopf, als ganz andere Leute vorbeiritten!"

Der Zug hatte sich w?hrend dieser Strafrede Bertas vor dem Rathaus aufgestellt; die b?ndische Reiterei, die noch vor?berzog, hatte wenig Interesse mehr f?r die beiden M?dchen. Als daher die Herren abgesessen und zum Imbiss ins Rathaus gezogen waren, als die Z?nfte ihre Glieder aufl?sten und das Volk sich zu verlaufen begann, zogen auch sie sich vom Fenster zur?ck.

Berta schien nicht ganz zufrieden zu sein. Ihre Neugier war nur halb befriedigt. Sie h?tete sich ?brigens wohl, vor dem alten, ernsten Oheim etwas merken zu lassen. Als aber dieser das Gemach verliess, wandte sie sich an ihre Base, die noch immer tr?umend am Fenster stand:

"Nein, wie einen doch so etwas peinigen kann! Ich wollte viel darum geben, wenn ich w?sste, wie er heisst. Dass Du aber auch gar keine Augen hast, Marie! Ich stiess Dich doch an, als er gr?sste. Siehe, hellbraune Haare, recht lang und glatt, freundliche dunkle Augen, das ganze Gesicht ein wenig br?unlich, aber h?bsch, sehr h?bsch. Ein B?rtchen ?ber dem Mund, nein! ich sage Dir--wie Du jetzt nur wieder gleich rot werden kannst!" fuhr die Blonde in ihrem Eifer fort. "Als ob zwei M?dchen, wenn sie allein sind, nicht von dem sch?nen Mund eines jungen Herrn sprechen d?rften. Dies geschieht oft bei uns. Aber freilich, bei Deiner seligen Frau Muhme in T?bingen und bei Deinem ernsten Vater in Lichtenstein kamen solche Sachen nicht zur Sprache, und ich sehe schon, B?schen Marie tr?umt wieder, und ich muss mir ein Ulmer Stadtkind suchen, wenn ich auch nur ein klein wenig schwatzen will."

Marie antwortete nur durch ein L?cheln, das wir vielleicht etwas schelmisch gefunden h?tten. Berta aber nahm den grossen Schl?sselbund vom Haken an der T?r, sang sich ein Liedchen und ging, um noch einiges zum Mittagessen zu r?sten. Denn wenn man ihr auch etwas zu grosse Neugierde vorwerfen konnte, so war sie doch eine zu gute Haush?lterin, als dass sie ?ber der fl?chtigen Erscheinung des h?flichen Reiters das Gem?se und den Nachtisch vergessen h?tte.

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