Read Ebook: Lichtenstein by Hauff Wilhelm
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Ebook has 1736 lines and 114884 words, and 35 pages
Marie antwortete nur durch ein L?cheln, das wir vielleicht etwas schelmisch gefunden h?tten. Berta aber nahm den grossen Schl?sselbund vom Haken an der T?r, sang sich ein Liedchen und ging, um noch einiges zum Mittagessen zu r?sten. Denn wenn man ihr auch etwas zu grosse Neugierde vorwerfen konnte, so war sie doch eine zu gute Haush?lterin, als dass sie ?ber der fl?chtigen Erscheinung des h?flichen Reiters das Gem?se und den Nachtisch vergessen h?tte.
Sie h?pfte hinaus und liess ihre Base allein bei ihren Gedanken. Und auch wir st?ren sie nicht, wenn sie jetzt die sch?nen Bilder der Erinnerung durchgeht, die jene Erscheinung mit einem Mal aus dem tiefen, treuen Herzen hervorgerufen hatte, wenn sie jener Zeit gedenkt, wo ein fl?chtiger Blick von ihm, ein Druck seiner Hand, ihre Tage erhellte, wenn sie jener N?chte gedenkt, wo sie im stillen K?mmerlein, unbelauscht von der seligen Muhme, jene Sch?rpe flocht, deren freudige Farben sie heute aus ihren niedergeschlagenen Augen sich fragt, ob B?schen Berta den s?ssen Mund des Geliebten richtig beschrieben habe?
Kapitel 2
Der festliche Aufzug, den wir auf den letzten Bl?ttern beschrieben haben, galt den H?uptern und Obersten des schw?bischen Bundes, der an diesem Tag, auf seinem Marsch von Augsburg, wo er sich versammelt hatte, in Ulm einzog. Der Leser kennt aus der Einleitung die Lage der Dinge. Herzog Ulrich von W?rttemberg hatte durch die Unbeugsamkeit, mit welcher er trotzte, durch die allzu heftigen Ausbr?che seines Zornes und seiner Rache, durch die K?hnheit, mit welcher er, der einzelne, so vielen verb?ndeten F?rsten und Herren die Stirne bot, zuletzt noch durch die pl?tzliche Einnahme der Reichsstadt Reutlingen den bittersten Hass des Bundes auf sich gezogen. Der Krieg war unvermeidlich; denn es stand nicht zu erwarten, dass man, so weit gegangen, friedliche Vorschl?ge tun werde.
Hinzu kamen noch die besonderen R?cksichten, die jeden leiteten. Der Herzog von Bayern, um seiner Schwester Sabina Genugtuung zu verschaffen, die Schar der Huttischen, um ihren Stammesvetter zu r?chen, ungl?cklichen Dietrich von Sp?t und seine Gesellen, um ihre Schmach in W?rttembergs Ungl?ck abzuwaschen die St?dte und St?dtchen, um Reutlingen wieder gut b?ndisch zu machen, sie alle hatten ihre Banner entrollt und sich mit blutigen Gedanken und l?stern nach gewisser Beute eingestellt.
Bei weitem friedlicher und fr?hlicher waren bei diesem Einzug die Gesinnungen Georgs von Sturmfeder, jenes "artigen Reiters", der Bertas Neugierde in so hohem Grad erweckt, dessen unerwartete Erscheinung Mariens Wangen mit so tiefem Rot gef?rbt hatte. Wusste er doch kaum selbst, wie er zu diesem Feldzug kam, da er, obgleich den Waffen nicht fremd, doch nicht zun?chst f?r das Waffenwerk bestimmt war. Aus einem armen, aber angesehenen Stamm Frankens entsprossen, war er, fr?h verwaist, von einem Bruder seines Vaters erzogen worden. Schon damals hatte man angefangen, gelehrte Bildung als einen Schmuck des Adels zu sch?tzen. Daher w?hlte sein Oheim f?r ihn diese Laufbahn. Die Sage erz?hlt nicht, ob er auf der hohen Schule in T?bingen die damals in ihrem ersten Erbl?hen war, in den Wissenschaften viel getan. Es kam nur die Nachricht bis auf uns, dass er einem Fr?ulein von Lichtenstein, die bei einer Muhme in jener Musenstadt lebte, w?rmere Teilnahme schenkte als den Lehrst?hlen der ber?hmtesten Doktoren. Man erz?hlt sich auch, dass das Fr?ulein mit ernstem, beinahe m?nnlichem Geist alle K?nste, womit andere ihr Herz best?rmten, gering geachtet habe. Zwar kannte man schon damals alle jene Kriegslisten, ein hartes Herz zu erobern und die J?nger der alten Tubinga hatten ihren Ovid vielleicht besser studiert als die heutigen. Es sollen aber weder n?chtliche Liebesklagen noch f?rchterliche Schlachten und K?mpfe um ihren Besitz die Jungfrau erweicht haben. Nur einem gelang es, dieses Herz f?r sich zu gewinnen, und dieser eine war Georg. Sie haben zwar, wie es stille Liebe zu tun pflegt, niemand gesagt, wann und wo ihnen der erste Strahl des Verst?ndnisses aufging, und wir sind weit entfernt, uns in dieses s?sse Geheimnis der ersten Liebe eindr?ngen zu wollen, oder gar Dinge zu erz?hlen, die wir geschichtlich nicht belegen k?nnen. Doch k?nnen wir mit Grund annehmen, dass sie schon bis zu jenem Grad der Liebe gediehen waren, wo man, gedr?ngt von ?usseren Verh?ltnissen, gleichsam als Trost f?r das Scheiden, ewige Treue schw?rt. Denn als die Muhme in T?bingen das Zeitliche gesegnet und Herr von Lichtenstein sein T?chterlein zu sich holen liess, um sie nach Ulm, wo ihm eine Schwester verheiratet war, zu weiterer Ausbildung zu schicken, da merkte Rose, Mariens alte Zofe, dass so heisse Tr?nen und die Sehnsucht, mit welcher Marie noch einmal und immer wieder aus der S?nfte zur?cksah, nicht den bergigen Strassen denen sie Valet sagen musste, allein gelte.
Bald darauf langte auch ein Sendschreiben an Georg an, worin ihm sein Oheim die Frage beibrachte, ob er jetzt, nach vier Jahren, noch nicht gelehrt genug sei? Dieser Ruf kam ihm erw?nscht. Seit Mariens Abreise waren ihm die Lehrst?hle der gelehrten Doktoren, die finstere H?gelstadt, ja selbst das liebliche Tal des Neckars verhasst geworden Mit neuer Kraft erfrischte ihn die kalte Luft, die ihm von den Bergen entgegenstr?mte, als er an einem sch?nen Morgen des Februar aus den Toren T?bingens seiner Heimat entgegenritt. Wie die Sehnen seiner Arme in dem frischen Morgen sich straffer anzogen, wie die Muskeln seiner Faust kr?ftiger in den Z?gel fassten, so erhob sich auch seine Seele zu frischem heiterem Mut.
So war die Stimmung Georgs von Sturmfeder, als er durch den Sch?nbuchwald seiner Heimat zuzog. Zwar brachte ihn dieser Weg dem Liebchen nicht n?her, zwar konnte er nichts sein nennen, als das Ross, dass er eben ritt, und die Burg seiner V?ter, von welcher der Volkswitz sang:
Ein Haus auf drei St?tzen, Wer vorn hereinkommt, Kann hinten nicht sitzen.
Aber er wusste, dass dem festen Willen hundert Wege offenstehen, um zum Ziel zu gelangen, und der alte Spruch des R?mers:
Wirklich schienen auch seine W?nsche nach einer t?tigen Laufbahn bald in Erf?llung zu gehen.
Der Herzog von W?rttemberg hatte Reutlingen, das ihn beleidigt hatte, aus einer Reichsstadt zur Landstadt gemacht, und es war kein Zweifel an einem Krieg.
Der Erfolg schien aber damals sehr ungewiss. Der schw?bische Bund, wenn er auch erfahrenere Feldherren und ge?btere Soldaten z?hlte, hatte doch durch Uneinigkeit sich in allen Kriegen selbst geschadet. Ulrich auf seiner Seite, hatte vierzehntausend Schweizer, tapfere, kampfge?bte M?nner geworben, aus seinem eigenen Land konnte er, wenn auch minder ge?bte, doch zahlreiche und t?chtige Truppen ziehen, und so stand die Waage im Februar 1519 noch ziemlich gleich.
Wo alles um ihn her Partei nahm, glaubte Georg nicht m?ssig bleiben zu d?rfen. Ein Krieg war ihm erw?nscht. Es war eine Laufbahn, die ihn seinem Ziel, um Marie w?rdig freien zu k?nnen, bald nahebringen konnte.
Zwar zog ihn sein Herz weder zu der einen noch zu der anderen Partei. Vom Herzog sprach man im Land schlecht, des Bundes Absichten schienen nicht die reinsten. Als aber durch Geld und Klagen der Huttischen und durch die Aussicht auf reiche Beute bestochen, achtzehn Grafen und Herren, deren Besitzungen an sein G?tchen grenzten, auf einmal dem Herzog ihre Dienste aufsagten, da schien es ihn zum Bund zu ziehen. Den Ausschlag gab die Nachricht, dass der alte Lichtenstein sich mit seiner Tochter in Ulm befinde. Auf jener Seite, wo Marie war, durfte er nicht fehlen, und so bot er dem Bund seine Dienste an.
Die fr?nkische Ritterschaft, unter Anf?hrung Ludwigs von Hutten, zog sich am Anfang des M?rz gegen Augsburg hin, um sich dort mit Ludwig von Bayern und den ?brigen Bundesgliedern zu vereinigen. Bald hatte sich das Heer gesammelt, und ihr Weg glich einem Triumphzug, je n?her sie dem Gebiet ihres Feindes kamen.
Herzog Ulrich war bei Blaubeuren, der ?ussersten Stadt seines Landes gegen Ulm und Bayern hin, gelagert. In Ulm sollte jetzt noch einmal zuvor im grossen Kriegsrat der Feldzug besprochen werden, und dann hoffte man in kurzer Zeit die W?rttemberger zur entscheidenden Schlacht zu n?tigen. An friedliche Unterhandlungen wurde, da man so weit gegangen war, nicht mehr gedacht, Krieg war die Losung und Sieg der Gedanke des Heeres, als ein frischer Morgenwind ihnen die Gr?sse des schweren Gesch?tzes von den W?llen der Stadt entgegentrug, als das Gel?ute aller Glocken zum Willkomm vom andern Ufer der Donau her?bert?nte.
Wohl schlug auch Georgs Herz h?her bei dem Gedanken an seine erste Waffenprobe, Aber wer je in ?hnlicher Lage sich befand, wird ihn nicht tadeln, dass auch friedlichere Gedanken in seiner Seele aufzogen und ihn Kampf und Sieg vergessen liessen. Als zuerst, noch in weiter Ferne, das kolossale M?nster aus dem Nebel auftauchte, als nachher der verh?llende Dunstschleier herabfiel und die Stadt mit ihren dunklen Backsteinmauern, mit ihren hohen Tort?rmen sich vor seinen Blicken ausbreitete, da kamen alle Zweifel, die er fr?her tief in die Brust zur?ckgedr?ngt hatte, schwerer als je ?ber ihn 'Schliessen jene Mauern auch die Geliebte ein? Hat nicht ihr Vater, seinem Herzog treu, vielleicht in die feindlichen Scharen sich gestellt, und darf der, dessen ganze Hoffnung darauf beruht, den Vater zu gewinnen, darf er sich jenem gegen?berstellen, ohne sein ganzes Gl?ck zu vernichten? Und ist der Vater auf feindlicher Seite, kann Marie m?glicherweise noch in jenen Mauern sein? Und wenn alles gut w?re, wenn unter der festlichen Menge, die sich zum Anblick des einziehenden Heeres dr?ngt, auch Marie auf ihn herabschaut, hat sie auch die Treue noch bewahrt, die sie geschworen?'
Doch der letzte Gedanke machte bald einer freudigeren Gewissheit Raum; denn wenn sich auch alles Ungl?ck gegen ihn verschwor, Mariens Treue, er wusste es, war unwandelbar. Mutig dr?ckte er die Sch?rpe, die sie ihm gegeben, an seine Brust, und als jetzt die Ulmer Reiterei sich an den Zug anschloss, als die Zinken und Trompeten ihre mutigen Weisen anstimmten, da kehrte seine alte Freude wieder, stolzer hob er sich im Sattel, k?hner r?ckte er das Barett in die Stirn, und als der Zug in die festlich geschm?ckten Strassen einbog, musterte sein scharfes Auge alle Fenster der hohen H?user, um sie zu ersp?hen.
Da gewahrte er sie, wie sie ernst und sinnend auf das fr?hliche Gew?hl hinabsah, er glaubte zu erkennen, wie ihre Gedanken in weiter Ferne den suchten, der ihr so nahe war; schnell dr?ckte er seinem Pferd die Sporen in die Seiten, dass es sich hoch aufb?umte und das Pflaster von seinem Hufschlag ert?nte. Aber als sie sich zu ihm herabwandte, als Auge dem Auge begegnete, als ihr freudiges Err?ten dem Gl?cklichen sagte, dass er erkannt und noch immer geliebt sei, da war es um die Besinnung des guten Georg geschehen; willenlos folgte er dem Zug vor das Rathaus, und es h?tte nicht viel gefehlt, so h?tte ihn seine Sehnsucht alle R?cksichten vergessen lassen und ihn unwiderstehlich zu dem Eckhaus mit dem Erker hingezogen.
Schon hatte er die ersten Schritte nach jener Seite getan, als er sich von kr?ftiger Hand am Arm angefasst f?hlte.
"Was treibt Ihr, Junker?" rief ihm eine tiefe, wohlbekannte Stimme ins Ohr. "Dort hinauf geht es die Rathaustreppe. Wie? Ich glaube, Ihr schwindelt; w?re auch kein Wunder, denn das Fr?hst?ck war gar zu mager. Seid getrost, Freundchen, und kommt. Die Ulmer f?hren gute Weine, wir wollen Euch mit altem Remstaler anstreichen."
Wenn auch der Fall aus seinem Freudenhimmel, in welchem er einige Minuten geschwebt hatte, auf dem Rathausplatz in Ulm etwas unsanft war, so wusste er doch dem alten Herrn von Breitenstein, seinem n?chsten Grenznachbarn in Franken, Dank, dass er ihn aus seinen Tr?umen aufgesch?ttelt und von einem ?bereilten Schritt zur?ckgehalten hatte.
Er nahm daher freundlich den Arm des alten Herrn und folgte mit ihm den ?brigen Rittern und Herren, die sich von dem scharfen Morgenritt an der guten Mittagskost, die ihnen die freie Reichsstadt vorgesetzt hatte, wieder erholen wollten.
Kapitel 3
Der Saal des Rathauses, wohin die Angekommenen gef?hrt wurden, bildete ein grosses, l?ngliches Viereck. Die W?nde und die zu der Gr?sse des Saales unverh?ltnism?ssig niedere Decke waren mit einem Get?fel von braunem Holz ausgelegt, unz?hlige Fenster mit runden Scheiben, worauf die Wappen der edlen Geschlechter von Ulm mit brennenden Farben gemalt waren, zogen sich an der einen Seite hin, die gegen?berstehende Wand f?llten Gem?lde ber?hmter B?rgermeister und Ratsherren der Stadt, die beinahe alle in der gleichen Stellung, die Linke in die H?fte, die Rechte auf einen reich beh?ngten Tisch gest?tzt, ernst und feierlich auf die G?ste ihrer Enkel herabsahen. Diese dr?ngten sich in verworrenen Gruppen um die Tafel her, die, in Form eines Hufeisens aufgestellt, beinahe die ganze Weite des Saales einnahm. Der Rat und die Patrizier, die heute im Namen der Stadt die Honneurs machen sollten, stachen in ihren zierlichen Festkleidern mit den steifen schneeweissen Halskrausen wunderlich ab gegen ihre bestaubten G?ste, die, in Lederwerk und Eisenblech geh?llt, oft gar unsanft an die seidenen M?ntelein und samtenen Gew?nder streiften. Man hatte bis jetzt noch auf den Herzog von Bayern gewartet, der einige Tage vorher eingetroffen, zu dem gl?nzenden Mittagsmahl zugesagt hatte; als aber sein Kammerdiener seine Entschuldigung brachte, gaben die Trompeter das ersehnte Zeichen, und alles dr?ngte so ungest?m zur Tafel, dass nicht einmal die gastfreundliche Ordnung des Rates, der je zwischen zwei G?ste einen Ulmer setzen wollte, geh?rig beobachtet wurde.
Breitenstein hatte Georg auf einen Sitz niedergezogen, den er ihm als einen ganz vorz?glichen anpries. "Ich h?tte Euch", sagte der alte Herr, "zu den Gewaltigen da oben, zu Frondsberg, Sickingen, Hutten und Waldburg setzen k?nnen, aber in solcher Gesellschaft kann man den Hunger nicht mit geh?riger Ruhe stillen Ich h?tte Euch ferner zu den N?rnbergern und Augsburgern f?hren k?nnen, dort unten, wo der gebratene Pfau steht--weiss Gott, sie haben keinen ?blen Platz--, aber ich weiss, dass Euch die St?dter nicht recht behagen, darum habe ich Euch hierher gesetzt. Schaut Euch hier um, ob dies nicht ein trefflicher Platz ist? Die Gesichter umher kennen wir nicht, also braucht man nicht viel zu schwatzen. Rechts haben wir den ger?ucherten Schweins-kopf mit der Zitrone im Maul, links eine prachtvolle Forelle, die sich vor Vergn?gen in den Schwanz beisst, und vor uns diesen Rehziemer, so fett und zart wie auf der ganzen Tafel keiner mehr zu finden ist."
Georg dankte ihm, dass er mit so viel Umsicht f?r ihn gesorgt habe, und betrachtete zugleich fl?chtig seine Umgebung. Sein Nachbar rechts war ein junger, zierlicher Herr von etwa f?nfundzwanzig bis dreissig Jahren Das frischgek?mmte Haar, duftend von wohlriechenden Salben, der kleine Bart, der erst vor einer Stunde mit warmem Z?nglein gekr?uselt sein mochte, liessen Georg, noch ehe ihn die Mundart davon ?berzeugte, in ihm einen Ulmer Herrn erraten Der junge Herr, als er sah, dass er von seinem Nachbar bemerkt wurde, bewies sich sehr zuvorkommend, indem er Georgs Becher aus einer grossen silbernen Kanne f?llte, auf gl?ckliche Ankunft und gute Nachbarschaft mit ihm anstiess, und auch die besten Bissen von den unz?hligen Rehen, Hasen, Schweinen, Fasanen und wilden Enten, die auf silbernen Platten umherstanden, dem Fremdling auf den Teller legte.
Doch diesen konnte weder seines Nachbarn zuvorkommende Gef?lligkeit noch Breitensteins ungemeiner Appetit zum Essen reizen Er war noch zu sehr besch?ftigt mit dem geliebten Bild, das sich ihm beim Einzug gezeigt hatte, als dass er die Ermunterungen seiner Nachbarn befolgt h?tte. Gedankenvoll sah er in den Becher, den er noch immer in der Hand hielt, und glaubte, wenn die Bl?schen des alten Weines zersprangen und in Kreisen verschwebten, das Bild der Geliebten aus dem goldenen Boden des Bechers auftauchen zu sehen. Es war kein Wunder, dass der gesellige Herr zu seiner Rechten, als er sah, wie sein Gast, den Becher in der Hand, jede Speise verschm?he, ihn f?r einen unverbesserlichen Zechbruder hielt. Das feurige Auge, das unverwandt in den Becher sah, der l?chelnde Mund des in seinen Tr?umen versunkenen J?nglings schienen ihm einen jener echten Weinkenner anzuzeigen, die auf feinge?bter Zunge den Gehalt des edlen Trankes lange zu pr?fen pflegen.
Um der Ermahnung des wohledlen Rates, den G?sten das Mahl so angenehm als m?glich zu machen, geh?rig nachzukommen, suchte er auf der entdeckten schwachen Seite dem jungen Mann beizukommen. Er schenkte sich seinen Becher wieder voll und begann: "Nicht wahr, Herr Nachbar, das Weinchen hat Feuer und einen feinen Geschmack? Freilich ist es kein W?rzburger, wie Ihr in Franken ihn gewohnt sein werdet, aber es ist echter Ellfinger aus dem Ratskeller und immer seine achtzig Jahre alt."
Verwundert ?ber diese Anrede, setzte Georg den Becher nieder und antwortete mit einem kurzen "Ja, ja!--", der Nachbar liess aber den einmal aufgenommenen Faden nicht so bald wieder fallen. "Es scheint", fuhr er fort, "als munde er Euch doch nicht ganz; aber da weiss ich Rat. Heda! Gebt eine Kanne Uhlbacher hierher!--Versucht einmal diesen, der w?chst zun?chst an des W?rttembergers Schloss; in diesem m?sst Ihr mir Bescheid tun: Kurzen Krieg, grossen Sieg!"
Georg, dem dieses Gespr?ch nicht recht zusagte, suchte seinen Nachbar auf einen anderen Weg zu bringen, der ihn zu anziehenderen Nachrichten f?hren konnte. "Ihr habt", sprach er, "sch?ne M?dchen hier in Ulm, wenigstens bei unserem Einzug glaubte ich deren viele zu bemerken."
"Weiss Gott", entgegnete der Ulmer, "man k?nnte damit pflastern."
"Das w?re vielleicht so ?bel nicht", fuhr Georg fort, "denn das Pflaster Eurer Strassen ist herzlich schlecht. Aber sagt mir, wer wohnt dort in dem Eckhaus mit dem Erker; wenn ich nicht irre, schauten dort zwei feine Jungfrauen heraus, als wir einritten."
"Habt Ihr diese auch schon bemerkt?" lachte jener. "Wahrhaftig, Ihr habt ein scharfes Auge und seid ein Kenner. Das sind meine lieben Basen m?tterlicherseits, die kleine Blonde ist eine Besserer, die andere ein Fr?ulein von Lichtenstein, eine W?rttembergerin, die auf Besuch dort ist."
Georg dankte im stillen dem Himmel, der ihn gleich mit einem so nahen Verwandten Mariens zusammenf?hrte. Er beschloss, den Zufall zu ben?tzen, und wandte sich, so freundlich er nur konnte, zu seinem Nachbar: "Ihr habt ein paar h?bsche M?hmchen, Herr von Besserer..."
"Dietrich von Kraft nenne ich mich", fiel jener ein, "Schreiber des grossen Rates."
"Ein Paar sch?ne Kinder, Herr von Kraft; und Ihr besucht sie wohl recht oft?"
"Jawohl", antwortete der Schreiber des grossen Rates, "besonders seit die Lichtenstein im Haus ist. Zwar will mein B?schen Berta etwas eifers?chtig werden, denn im Vertrauen gesagt, wir waren vorher ein Herz und eine Seele, aber ich tue, als merke ich es nicht, und stehe mit Marien um so besser."
Diese Nachricht mochte nicht so gar angenehm in Georgs Ohren klingen, denn er presste die Lippen zusammen und seine Wangen f?rbten sich dunkler.
"Ja, lacht nur", fuhr der Ratsschreiber fort, dem der Geist des Weines zu Kopf stieg, "wenn Ihr w?sstet, wie sie sich beide um mich reissen.--Zwar--die Lichtenstein hat eine verdammte Art, freundlich zu sein; sie tut so vornehm und ernst, dass man nicht recht wagt, in ihrer Gegenwart Spass zu machen, noch weniger l?sst sie ein wenig mit sich sch?kern wie Berta; aber gerade das kommt mir so wunderh?bsch vor, dass ich elfmal wiederkomme, wenn sie mich auch zehnmal fortgeschickt hat. Das macht aber", murmelte er nachdenklicher vor sich hin, "weil der gestrenge Herr Vater da ist, vor dem scheut sie sich; lasst nur den einmal ?ber der Ulmer Markung sein, so soll sie schon kirre werden."
Georg wollte sich nach dem Vater noch weiter erkundigen, als sonderbare Stimmen ihn unterbrachen Schon vorher hatte er mitten durch das Ger?usch der Speisenden diese Stimmen zu h?ren geglaubt, wie sie in schleppendem, einf?rmigem Ton ein paar kurze S?tze hersagten, ohne zu verstehen, was es war. Jetzt h?rte er dieselben Stimmen ganz in der N?he, und bald bemerkte er, welchen Inhalts ihre eint?nigen S?tze waren Es geh?rte n?mlich in den guten alten Zeiten, besonders in Reichsst?dten, zum Ton, dass der Hausvater und seine Frau, wenn sie G?ste geladen hatten, gegen die Mitte der Tafel aufstanden und bei jedem einzelnen umhergingen, mit einem herk?mmlichen Spr?chlein zum Essen und Trinken zu n?tigen.
Diese Sitte war in Ulm so stehend geworden, dass der hohe Rat beschloss, auch an diesem Mahl keine Ausnahme zu machen, sondern einen Hausvater samt Hausfrau aufzustellen, um diese Pflicht zu ?ben. Die Wahl fiel auf den B?rgermeister und den ?ltesten Ratsherrn.
Sie hatten schon zwei Seiten der Tafel "n?tigend" umgangen, kein Wunder, dass ihre Stimmen durch die grosse Anstrengung endlich rauh und heiser geworden waren, und ihre freundschaftliche Aufmunterung wie eine Drohung klang. Eine rauhe Stimme t?nte in Georgs Ohr: "Warum esset Ihr denn nicht, warum trinket Ihr denn nicht?" Erschrocken wandte sich der Gefragte um und sah einen starken, grossen Mann mit rotem Gesicht; aber ehe er noch auf die schrecklichen T?ne antworten konnte, begann an seiner anderen Seite ein kleiner Mann mit einer hohen d?nnen Stimme:
"So esset doch und trinket satt, Was der Magistrat Euch vorgesetzt hat."
"Hab' ich's doch schon lange gedacht, dass es so kommen w?rde", fiel der alte Breitenstein ein, indem er ein wenig von der Anstrengung, mit welcher er den Rehziemer bearbeitet hatte, ausruhte.
"Da sitzt er und schwatzt, statt die k?stlichen Braten zu geniessen, die uns die Herren in so reichlicher F?lle vorgesetzt haben."
"Mit Verlaub", unterbrach ihn Dietrich von Kraft, "der junge Herr isst nichts. Er ist ein Zechbruder und trefflicher Weinschmecker; hab' ich's nicht gleich weg gehabt, dass er gerne zu tief ins Glas guckt? Darum tadle ihn keiner, wenn er sich lieber an den Uhlbacher h?lt."
Georg wusste gar nicht, wie er zu dieser sonderbaren Schutzrede kam; er war im Begriff, sich zu entschuldigen, als ihn ein neuer Anblick ?berraschte. Breitenstein hatte sich jetzt des Schweinskopfes mit der Zitrone im Maul erbarmt, hatte die Zitrone geschickt aus dem Rachen des Tieres operiert, und begann mit grossem Behagen und ge?bter Hand die weitere Sektion vorzunehmen, da trat der B?rgermeister auch zu ihm, und eben, als er an einem guten Bissen kaute, hub er an: "Warum esset Ihr denn nicht, warum trinket Ihr denn nicht?" Dieser sah den N?tigenden mit starren Blicken an, zum Reden hatten seine Sprachorgane keine Zeit. Er nickte daher mit dem Haupt und deutete auf die Reste des Rehziemers; der kleine Mann mit der Fistelstimme liess sich aber nicht irremachen, sondern sprach freundlichst:
"So esset doch und trinket satt, Was der Magistrat Euch vorgesetzt hat."
So war es nun in den "guten alten Zeiten"! Man konnte sich wenigstens nicht beklagen, nur zu einem Schauessen geladen worden zu sein. Bald aber bekam die Tafel eine andere Gestalt. Die grossen Sch?sseln und Platten wurden abgetragen und ger?umigere Humpen, gr?ssere Kannen, gef?llt mit edlem Wein, aufgesetzt. Die Umtr?nke und das in Schwaben schon damals sehr h?ufige Zutrinken begann, und nicht lange, so ?usserte auch der Wein seine Wirkungen, und so f?llte Gel?chter, Gesang, Zanken und der dumpfe Klang der silbernen und zinnernen Becher den Saal.
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