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Read Ebook: Jenseits von Gut und Böse by Nietzsche Friedrich Wilhelm

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Ebook has 348 lines and 59635 words, and 7 pages

Es hilft nichts: man muss die Gef?hle der Hingebung, der Aufopferung f?r den N?chsten, die ganze Selbstent?usserungs-Moral erbarmungslos zur Rede stellen und vor Gericht f?hren: ebenso wie die ?sthetik der "interesselosen Anschauung", unter welcher sich die Entm?nnlichung der Kunst verf?hrerisch genug heute ein gutes Gewissen zu schaffen sucht. Es ist viel zu viel Zauber und Zucker in jenen Gef?hlen des "f?r Andere", des "nicht f?r mich", als dass man nicht n?thig h?tte, hier doppelt misstrauisch zu werden und zu fragen: "sind es nicht vielleicht - Verf?hrungen?" - Dass sie gefallen - Dem, der sie hat, und Dem, der ihre Fr?chte geniesst, auch dem blossen Zuschauer, - dies giebt noch kein Argument f?r sie ab, sondern fordert gerade zur Vorsicht auf. Seien wir also vorsichtig!

Auf welchen Standpunkt der Philosophie man sich heute auch stellen mag: von jeder Stelle aus gesehn ist die Irrth?mlichkeit der Welt, in der wir zu leben glauben, das Sicherste und Festeste, dessen unser Auge noch habhaft werden kann: - wir finden Gr?nde ?ber Gr?nde daf?r, die uns zu Muthmaassungen ?ber ein betr?gerisches Princip im "Wesen der Dinge" verlocken m?chten. Wer aber unser Denken selbst, also "den Geist" f?r die Falschheit der Welt verantwortlich macht - ein ehrenhafter Ausweg, den jeder bewusste oder unbewusste advocatus dei geht -: wer diese Welt, sammt Raum, Zeit, Gestalt, Bewegung, als falsch erschlossen nimmt: ein Solcher h?tte mindestens guten Anlass, gegen alles Denken selbst endlich Misstrauen zu lernen: h?tte es uns nicht bisher den allergr?ssten Schabernack gespielt? und welche B?rgschaft daf?r g?be es, dass es nicht fortf?hre, zu thun, was es immer gethan hat? In allem Ernste: die Unschuld der Denker hat etwas R?hrendes und Ehrfurcht Einfl?ssendes, welche ihnen erlaubt, sich auch heute noch vor das Bewusstsein hinzustellen, mit der Bitte, dass es ihnen ehrliche Antworten gebe: zum Beispiel ob es "real" sei, und warum es eigentlich die ?ussere Welt sich so entschlossen vom Halse halte, und was dergleichen Fragen mehr sind. Der Glaube an "unmittelbare Gewissheiten" ist eine moralische Naivet?t, welche uns Philosophen Ehre macht: aber - wir sollen nun einmal nicht "nur moralische" Menschen sein! Von der Moral abgesehn, ist jener Glaube eine Dummheit, die uns wenig Ehre macht! Mag im b?rgerlichen Leben das allzeit bereite Misstrauen als Zeichen des "schlechten Charakters" gelten und folglich unter die Unklugheiten geh?ren: hier unter uns, jenseits der b?rgerlichen Welt und ihres Ja's und Nein's, - was sollte uns hindern, unklug zu sein und zu sagen: der Philosoph hat nachgerade ein Recht auf "schlechten Charakter", als das Wesen, welches bisher auf Erden immer am besten genarrt worden ist, - er hat heute die Pflicht zum Misstrauen, zum boshaftesten Schielen aus jedem Abgrunde des Verdachts heraus. - Man vergebe mir den Scherz dieser d?steren Fratze und Wendung: denn ich selbst gerade habe l?ngst ?ber Betr?gen und Betrogenwerden anders denken, anders sch?tzen gelernt und halte mindestens ein paar Rippenst?sse f?r die blinde Wuth bereit, mit der die Philosophen sich dagegen str?uben, betrogen zu werden. Warum nicht? Es ist nicht mehr als ein moralisches Vorurtheil, dass Wahrheit mehr werth ist als Schein; es ist sogar die schlechtest bewiesene Annahme, die es in der Welt giebt. Man gestehe sich doch so viel ein: es best?nde gar kein Leben, wenn nicht auf dem Grunde perspektivischer Sch?tzungen und Scheinbarkeiten; und wollte man, mit der tugendhaften Begeisterung und T?lpelei mancher Philosophen, die "scheinbare Welt" ganz abschlaffen, nun, gesetzt, ihr k?nntet das, - so bliebe mindestens dabei auch von eurer "Wahrheit" nichts mehr ?brig! Ja, was zwingt uns ?berhaupt zur Annahme, dass es einen wesenhaften Gegensatz von "wahr" und "falsch" giebt? Gen?gt es nicht, Stufen der Scheinbarkeit anzunehmen und gleichsam hellere und dunklere Schatten und Gesammtt?ne des Scheins, - verschiedene valeurs, um die Sprache der Maler zu reden? Warum d?rfte die Welt, die uns etwas angeht -, nicht eine Fiktion sein? Und wer da fragt: "aber zur Fiktion geh?rt ein Urheber?" - d?rfte dem nicht rund geantwortet werden: Warum? Geh?rt dieses "Geh?rt" nicht vielleicht mit zur Fiktion? Ist es denn nicht erlaubt, gegen Subjekt, wie gegen Pr?dikat und Objekt, nachgerade ein Wenig ironisch zu sein? D?rfte sich der Philosoph nicht ?ber die Gl?ubigkeit an die Grammatik erheben? Alle Achtung vor den Gouvernanten: aber w?re es nicht an der Zeit, dass die Philosophie dem Gouvernanten-Glauben absagte? -

Oh Voltaire! Oh Humanit?t! Oh Bl?dsinn! Mit der "Wahrheit", mit dem Suchen der Wahrheit hat es etwas auf sich; und wenn der Mensch es dabei gar zu menschlich treibt - "il ne cherche le vrai que pour faire le bien" - ich wette, er findet nichts!

Gesetzt, dass nichts Anderes als real "gegeben" ist als unsre Welt der Begierden und Leidenschaften, dass wir zu keiner anderen "Realit?t" hinab oder hinauf k?nnen als gerade zur Realit?t unsrer Triebe - denn Denken ist nur ein Verhalten dieser Triebe zu einander -: ist es nicht erlaubt, den Versuch zu machen und die Frage zu fragen, ob dies Gegeben nicht ausreicht, um aus Seines-Gleichen auch die sogenannte mechanistische Welt zu verstehen? Ich meine nicht als eine T?uschung, einen "Schein", eine "Vorstellung" , sondern als vom gleichen Realit?ts-Range, welchen unser Affekt selbst hat, - als eine primitivere Form der Welt der Affekte, in der noch Alles in m?chtiger Einheit beschlossen liegt, was sich dann im organischen Prozesse abzweigt und ausgestaltet , als eine Art von Triebleben, in dem noch s?mmtliche organische Funktionen, mit Selbst-Regulirung, Assimilation, Ern?hrung, Ausscheidung, Stoffwechsel, synthetisch gebunden in einander sind, - als eine Vorform des Lebens? - Zuletzt ist es nicht nur erlaubt, diesen Versuch zu machen: es ist, vom Gewissen der Methode aus, geboten. Nicht mehrere Arten von Causalit?t annehmen, so lange nicht der Versuch, mit einer einzigen auszureichen, bis an seine ?usserste Grenze getrieben ist : das ist eine Moral der Methode, der man sich heute nicht entziehen darf; - es folgt "aus ihrer Definition", wie ein Mathematiker sagen w?rde. Die Frage ist zuletzt, ob wir den Willen wirklich als wirkend anerkennen, ob wir an die Causalit?t des Willens glauben: thun wir das - und im Grunde ist der Glaube daran eben unser Glaube an Causalit?t selbst -, so m?ssen wir den Versuch machen, die Willens-Causalit?t hypothetisch als die einzige zu setzen. "Wille" kann nat?rlich nur auf "Wille" wirken - und nicht auf "Stoffe" : genug, man muss die Hypothese wagen, ob nicht ?berall, wo "Wirkungen" anerkannt werden, Wille auf Wille wirkt - und ob nicht alles mechanische Geschehen, insofern eine Kraft darin th?tig wird, eben Willenskraft, Willens-Wirkung ist. - Gesetzt endlich, dass es gel?nge, unser gesammtes Triebleben als die Ausgestaltung und Verzweigung Einer Grundform des Willens zu erkl?ren - n?mlich des Willens zur Macht, wie es in ein Satz ist -; gesetzt, dass man alle organischen Funktionen auf diesen Willen zur Macht zur?ckf?hren k?nnte und in ihm auch die L?sung des Problems der Zeugung und Ern?hrung - es ist Ein Problem - f?nde, so h?tte man damit sich das Recht verschafft, alle wirkende Kraft eindeutig zu bestimmen als: Wille zur Macht. Die Welt von innen gesehen, die Welt auf ihren "intelligiblen Charakter" hin bestimmt und bezeichnet - sie w?re eben "Wille zur Macht" und nichts ausserdem. -

"Wie? Heisst das nicht, popul?r geredet: Gott ist widerlegt, der Teufel aber nicht -?" Im Gegentheil! Im Gegentheil, meine Freunde! Und, zum Teufel auch, wer zwingt euch, popul?r zu reden! -

Wie es zuletzt noch, in aller Helligkeit der neueren Zeiten, mit der franz?sischen Revolution gegangen ist, jener schauerlichen und, aus der N?he beurtheilt, ?berfl?ssigen Posse, in welche aber die edlen und schw?rmerischen Zuschauer von ganz Europa aus der Ferne her so lange und so leidenschaftlich ihre eignen Emp?rungen und Begeisterungen hinein interpretirt haben, bis der Text unter der Interpretation verschwand: so k?nnte eine edle Nachwelt noch einmal die ganze Vergangenheit missverstehen und dadurch vielleicht erst ihren Anblick ertr?glich machen. - Oder vielmehr: ist dies nicht bereits geschehen? waren wir nicht selbst - diese "edle Nachwelt"? Und ist es nicht gerade jetzt, insofern wir dies begreifen, - damit vorbei?

Niemand wird so leicht eine Lehre, bloss weil sie gl?cklich macht, oder tugendhaft macht, deshalb f?r wahr halten: die lieblichen "Idealisten" etwa ausgenommen, welche f?r das Gute, Wahre, Sch?ne schw?rmen und in ihrem Teiche alle Arten von bunten plumpen und gutm?thigen W?nschbarkeiten durcheinander schwimmen lassen. Gl?ck und Tugend sind keine Argumente. Man vergisst aber gerne, auch auf Seiten besonnener Geister, dass Ungl?cklich-machen und B?se-machen ebensowenig Gegenargumente sind. Etwas d?rfte wahr sein: ob es gleich im h?chsten Grade sch?dlich und gef?hrlich w?re; ja es k?nnte selbst zur Grundbeschaffenheit des Daseins geh?ren, dass man an seiner v?lligen Erkenntniss zu Grunde gienge, - so dass sich die St?rke eines Geistes darnach bem?sse, wie viel er von der "Wahrheit" gerade noch aushielte, deutlicher, bis zu welchem Grade er sie verd?nnt, verh?llt, vers?sst, verdumpft, verf?lscht n?thig h?tte. Aber keinem Zweifel unterliegt es, dass f?r die Entdeckung gewisser Theile der Wahrheit die B?sen und Ungl?cklichen beg?nstigter sind und eine gr?ssere Wahrscheinlichkeit des Gelingens haben; nicht zu reden von den B?sen, die gl?cklich sind, - eine Species, welche von den Moralisten verschwiegen wird. Vielleicht, dass H?rte und List g?nstigere Bedingungen zur Entstehung des starken, unabh?ngigen Geistes und Philosophen abgeben, als jene sanfte feine nachgebende Gutartigkeit und Kunst des Leicht-nehmens, welche man an einem Gelehrten sch?tzt und mit Recht sch?tzt. Vorausgesetzt, was voran steht, dass man den Begriff "Philosoph" nicht auf den Philosophen einengt, der B?cher schreibt - oder gar seine Philosophie in B?cher bringt! - Einen letzten Zug zum Bilde des freigeisterischen Philosophen bringt Stendhal bei, den ich um des deutschen Geschmacks willen nicht unterlassen will zu unterstreichen: - denn er geht wider den deutschen Geschmack. "Pour ?tre bon philosophe", sagt dieser letzte grosse Psycholog, "il faut ?tre sec, clair, sans illusion. Un banquier, qui a fait fortune, a une partie du caract?re requis pour faire des d?couvertes en philosophie, c'est-'?-dire pour voir clair dans ce qui est."

Alles, was tief ist, liebt die Maske; die allertiefsten Dinge haben sogar einen Hass auf Bild und Gleichniss. Sollte nicht erst der Gegensatz die rechte Verkleidung sein, in der die Scham eines Gottes einhergienge? Eine fragw?rdige Frage: es w?re wunderlich, wenn nicht irgend ein Mystiker schon dergleichen bei sich gewagt h?tte. Es giebt Vorg?nge so zarter Art, dass man gut thut, sie durch eine Grobheit zu versch?tten und unkenntlich zu machen; es giebt Handlungen der Liebe und einer ausschweifenden Grossmuth, hinter denen nichts r?thlicher ist, als einen Stock zu nehmen und den Augenzeugen durchzupr?geln: damit tr?bt man dessen Ged?chtniss. Mancher versteht sich darauf, das eigne Ged?chtniss zu tr?ben und zu misshandeln, um wenigstens an diesem einzigen Mitwisser seine Rache zu haben: - die Scham ist erfinderisch. Es sind nicht die schlimmsten Dinge, deren man sich am schlimmsten sch?mt: es ist nicht nur Arglist hinter einer Maske, - es giebt so viel G?te in der List. Ich k?nnte mir denken, dass ein Mensch, der etwas Kostbares und Verletzliches zu bergen h?tte, grob und rund wie ein gr?nes altes schwerbeschlagenes Weinfass durch's Leben rollte: die Feinheit seiner Scham will es so. Einem Menschen, der Tiefe in der Scham hat, begegnen auch seine Schicksale und zarten Entscheidungen auf Wegen, zu denen Wenige je gelangen, und um deren Vorhandensein seine N?chsten und Vertrautesten nicht wissen d?rfen: seine Lebensgefahr verbirgt sich ihren Augen und ebenso seine wieder eroberte Lebens-Sicherheit. Ein solcher Verborgener, der aus Instinkt das Reden zum Schweigen und Verschweigen braucht und unersch?pflich ist in der Ausflucht vor Mittheilung, will es und f?rdert es, dass eine Maske von ihm an seiner Statt in den Herzen und K?pfen seiner Freunde herum wandelt; und gesetzt, er will es nicht, so werden ihm eines Tages die Augen dar?ber aufgehn, dass es trotzdem dort eine Maske von ihm giebt, - und dass es gut so ist. Jeder tiefe Geist braucht eine Maske: mehr noch, um jeden tiefen Geist w?chst fortw?hrend eine Maske, Dank der best?ndig falschen, n?mlich flachen Auslegung jedes Wortes, jedes Schrittes, jedes Lebens-Zeichens, das er giebt. -

Man muss sich selbst seine Proben geben, daf?r dass man zur Unabh?ngigkeit und zum Befehlen bestimmt ist; und dies zur rechten Zeit. Man soll seinen Proben nicht aus dem Wege gehn, obgleich sie vielleicht das gef?hrlichste Spiel sind, das man spielen kann, und zuletzt nur Proben, die vor uns selber als Zeugen und vor keinem anderen Richter abgelegt werden. Nicht an einer Person h?ngen bleiben: und sei sie die geliebteste, - jede Person ist ein Gef?ngniss, auch ein Winkel. Nicht an einem Vaterlande h?ngen bleiben: und sei es das leidendste und h?lfbed?rftigste, - es ist schon weniger schwer, sein Herz von einem siegreichen Vaterlande los zu binden. Nicht an einem Mitleiden h?ngen bleiben: und g?lte es h?heren Menschen, in deren seltne Marter und H?lflosigkeit uns ein Zufall hat blicken lassen. Nicht an einer Wissenschaft h?ngen bleiben: und locke sie Einen mit den kostbarsten, anscheinend gerade uns aufgesparten Funden. Nicht an seiner eignen Losl?sung h?ngen bleiben, an jener woll?stigen Ferne und Fremde des Vogels, der immer weiter in die H?he flieht, um immer mehr unter sich zu sehn: - die Gefahr des Fliegenden. Nicht an unsern eignen Tugenden h?ngen bleiben und als Ganzes das Opfer irgend einer Einzelheit an uns werden, zum Beispiel unsrer "Gastfreundschaft": wie es die Gefahr der Gefahren bei hochgearteten und reichen Seelen ist, welche verschwenderisch, fast gleichg?ltig mit sich selbst umgehn und die Tugend der Liberalit?t bis zum Laster treiben. Man muss wissen, sich zu bewahren: st?rkste Probe der Unabh?ngigkeit.

Eine neue Gattung von Philosophen kommt herauf: ich wage es, sie auf einen nicht ungef?hrlichen Namen zu taufen. So wie ich sie errathe, so wie sie sich errathen lassen - denn es geh?rt zu ihrer Art, irgend worin R?thsel bleiben zu wollen -, m?chten diese Philosophen der Zukunft ein Recht, vielleicht auch ein Unrecht darauf haben, als Versucher bezeichnet zu werden. Dieser Name selbst ist zuletzt nur ein Versuch, und, wenn man will, eine Versuchung.

Sind es neue Freunde der "Wahrheit", diese kommenden Philosophen? Wahrscheinlich genug: denn alle Philosophen liebten bisher ihre Wahrheiten. Sicherlich aber werden es keine Dogmatiker sein. Es muss ihnen wider den Stolz gehn, auch wider den Geschmack, wenn ihre Wahrheit gar noch eine Wahrheit f?r Jedermann sein soll: was bisher der geheime Wunsch und Hintersinn aller dogmatischen Bestrebungen war. "Mein Urtheil ist mein Urtheil: dazu hat nicht leicht auch ein Anderer das Recht" - sagt vielleicht solch ein Philosoph der Zukunft. Man muss den schlechten Geschmack von sich abthun, mit Vielen ?bereinstimmen zu wollen. "Gut" ist nicht mehr gut, wenn der Nachbar es in den Mund nimmt. Und wie k?nnte es gar ein "Gemeingut" geben! Das Wort widerspricht sich selbst: was gemein sein kann, hat immer nur wenig Werth. Zuletzt muss es so stehn, wie es steht und immer stand: die grossen Dinge bleiben f?r die Grossen ?brig, die Abgr?nde f?r die Tiefen, die Zartheiten und Schauder f?r die Feinen, und, im Ganzen und Kurzen, alles Seltene f?r die Seltenen. -

Brauche ich nach alledem noch eigens zu sagen, dass auch sie freie, sehr freie Geister sein werden, diese Philosophen der Zukunft, - so gewiss sie auch nicht bloss freie Geister sein werden, sondern etwas Mehreres, H?heres, Gr?sseres und Gr?ndlich-Anderes, das nicht verkannt und verwechselt werden will? Aber, indem ich dies sage, f?hle ich fast ebenso sehr gegen sie selbst, als gegen uns, die wir ihre Herolde und Vorl?ufer sind, wir freien Geister! - die Schuldigkeit, ein altes dummes Vorurtheil und Missverst?ndniss von uns gemeinsam fortzublasen, welches allzulange wie ein Nebel den Begriff "freier Geist" undurchsichtig gemacht hat. In allen L?ndern Europa's und ebenso in Amerika giebt es jetzt Etwas, das Missbrauch mit diesem Namen treibt, eine sehr enge, eingefangne, an Ketten gelegte Art von Geistern, welche ungef?hr das Gegentheil von dem wollen, was in unsern Absichten und Instinkten liegt, - nicht zu reden davon, dass sie in Hinsicht auf jene heraufkommenden neuen Philosophen erst recht zugemachte Fenster und verriegelte Th?ren sein m?ssen. Sie geh?ren, kurz und schlimm, unter die Nivellirer, diese f?lschlich genannten "freien Geister" - als beredte und schreibfingrige Sklaven des demokratischen Geschmacks und seiner "modernen Ideen": allesammt Menschen ohne Einsamkeit, ohne eigne Einsamkeit, plumpe brave Burschen, welchen weder Muth noch achtbare Sitte abgesprochen werden soll, nur dass sie eben unfrei und zum Lachen oberfl?chlich sind, vor Allem mit ihrem Grundhange, in den Formen der bisherigen alten Gesellschaft ungef?hr die Ursache f?r alles menschliche Elend und Missrathen zu sehn: wobei die Wahrheit gl?cklich auf den Kopf zu stehn kommt! Was sie mit allen Kr?ften erstreben m?chten, ist das allgemeine gr?ne Weide-Gl?ck der Heerde, mit Sicherheit, Ungef?hrlichkeit, Behagen, Erleichterung des Lebens f?r Jedermann; ihre beiden am reichlichsten abgesungnen Lieder und Lehren heissen "Gleichheit der Rechte" und "Mitgef?hl f?r alles Leidende", - und das Leiden selbst wird von ihnen als Etwas genommen, das man abschaffen muss. Wir Umgekehrten, die wir uns ein Auge und ein Gewissen f?r die Frage aufgemacht haben, wo und wie bisher die Pflanze "Mensch" am kr?ftigsten in die H?he gewachsen ist, vermeinen, dass dies jedes Mal unter den umgekehrten Bedingungen geschehn ist, dass dazu die Gef?hrlichkeit seiner Lage erst in's Ungeheure wachsen, seine Erfindungs- und Verstellungskraft unter langem Druck und Zwang sich in's Feine und Verwegene entwickeln, sein Lebens-Wille bis zum unbedingten Macht-Willen gesteigert werden musste: - wir vermeinen, dass H?rte, Gewaltsamkeit, Sklaverei, Gefahr auf der Gasse und im Herzen, Verborgenheit, Stoicismus, Versucherkunst und Teufelei jeder Art, dass alles B?se, Furchtbare, Tyrannische, Raubthier- und Schlangenhafte am Menschen so gut zur Erh?hung der Species "Mensch" dient, als sein Gegensatz: - wir sagen sogar nicht einmal genug, wenn wir nur so viel sagen, und befinden uns jedenfalls, mit unserm Reden und Schweigen an dieser Stelle, am andern Ende aller modernen Ideologie und Heerden-W?nschbarkeit: als deren Antipoden vielleicht? Was Wunder, dass wir "freien Geister" nicht gerade die mittheilsamsten Geister sind? dass wir nicht in jedem Betrachte zu verrathen w?nschen, wovon ein Geist sich frei machen kann und wohin er dann vielleicht getrieben wird? Und was es mit der gef?hrlichen Formel "jenseits von Gut und B?se" auf sich hat, mit der wir uns zum Mindesten vor Verwechslung beh?ten: wir sind etwas Anderes als "libres-penseurs", "liberi pensatori", "Freidenker" und wie alle diese braven F?rsprecher der "modernen Ideen" sich zu benennen lieben. In vielen L?ndern des Geistes zu Hause, mindestens zu Gaste gewesen; den dumpfen angenehmen Winkeln immer wieder entschl?pft, in die uns Vorliebe und Vorhass, Jugend, Abkunft, der Zufall von Menschen und B?chern, oder selbst die Erm?dungen der Wanderschaft zu bannen schienen; voller Bosheit gegen die Lockmittel der Abh?ngigkeit, welche in Ehren, oder Geld, oder ?mtern, oder Begeisterungen der Sinne versteckt liegen; dankbar sogar gegen Noth und wechselreiche Krankheit, weil sie uns immer von irgend einer Regel und ihrem "Vorurtheil" losmachte, dankbar gegen Gott, Teufel, Schlaf und Wurm in uns, neugierig bis zum Laster, Forscher bis zur Grausamkeit, mit unbedenklichen Fingern f?r Unfassbares, mit Z?hnen und M?gen f?r das Unverdaulichste, bereit zu jedem Handwerk, das Scharfsinn und scharfe Sinne verlangt, bereit zu jedem Wagniss, Dank einem ?berschusse von "freiem Willen", mit Vorder- und Hinterseelen, denen Keiner leicht in die letzten Absichten sieht, mit Vorder- und Hintergr?nden, welche kein Fuss zu Ende laufen d?rfte, Verborgene unter den M?nteln des Lichts, Erobernde, ob wir gleich Erben und Verschwendern gleich sehn, Ordner und Sammler von fr?h bis Abend, Geizh?lse unsres Reichthums und unsrer vollgestopften Schubf?cher, haush?lterisch im Lernen und Vergessen, erfinderisch in Schematen, mitunter stolz auf Kategorien-Tafeln, mitunter Pedanten, mitunter Nachteulen der Arbeit auch am hellen Tage; ja, wenn es noth thut, selbst Vogelscheuchen - und heute thut es noth: n?mlich insofern wir die geborenen geschworenen eifers?chtigen Freunde der Einsamkeit sind, unsrer eignen tiefsten mittern?chtlichsten mitt?glichsten Einsamkeit: - eine solche Art Menschen sind wir, wir freien Geister! und vielleicht seid auch ihr etwas davon, ihr Kommenden? ihr neuen Philosophen? -

Drittes Hauptst?ck:

Das religi?se Wesen.

Die menschliche Seele und ihre Grenzen, der bisher ?berhaupt erreichte Umfang menschlicher innerer Erfahrungen, die H?hen, Tiefen und Fernen dieser Erfahrungen, die ganze bisherige Geschichte der Seele und ihre noch unausgetrunkenen M?glichkeiten: das ist f?r einen geborenen Psychologen und Freund der "grossen Jagd" das vorbestimmte Jagdbereich. Aber wie oft muss er sich verzweifelt sagen: "ein Einzelner! ach, nur ein Einzelner! und dieser grosse Wald und Urwald!" Und so w?nscht er sich einige hundert Jagdgeh?lfen und feine gelehrte Sp?rhunde, welche er in die Geschichte der menschlichen Seele treiben k?nnte, um dort sein Wild zusammenzutreiben. Umsonst: er erprobt es immer wieder, gr?ndlich und bitterlich, wie schlecht zu allen Dingen, die gerade seine Neugierde reizen, Geh?lfen und Hunde zu finden sind. Der ?belstand, den es hat, Gelehrte auf neue und gef?hrliche Jagdbereiche auszuschicken, wo Muth, Klugheit, Feinheit in jedem Sinne noth thun, liegt darin, dass sie gerade dort nicht mehr brauchbar sind, wo die "grosse Jagd", aber auch die grosse Gefahr beginnt: - gerade dort verlieren sie ihr Sp?rauge und ihre Sp?rnase. Um zum Beispiel zu errathen und festzustellen, was f?r eine Geschichte bisher das Problem von Wissen und Gewissen in der Seele der homines religiosi gehabt hat, dazu m?sste Einer vielleicht selbst so tief, so verwundet, so ungeheuer sein, wie es das intellektuelle Gewissen Pascal's war: und dann bed?rfte es immer noch jenes ausgespannten Himmels von heller, boshafter Geistigkeit, welcher von Oben herab dies Gewimmel von gef?hrlichen und schmerzlichen Erlebnissen zu ?bersehn, zu ordnen, in Formeln zu zwingen verm?chte. - Aber wer th?te mir diesen Dienst! Aber wer h?tte Zeit, auf solche Diener zu warten! - sie wachsen ersichtlich zu selten, sie sind zu allen Zeiten so unwahrscheinlich! Zuletzt muss man Alles selber thun, um selber Einiges zu wissen: das heisst, man hat viel zu thun! - Aber eine Neugierde meiner Art bleibt nun einmal das angenehmste aller Laster, - Verzeihung! ich wollte sagen: die Liebe zur Wahrheit hat ihren Lohn im Himmel und schon auf Erden. -

Der Glaube, wie ihn das erste Christenthum verlangt und nicht selten erreicht hat, inmitten einer skeptischen und s?dlich-freigeisterischen Welt, die einen Jahrhunderte langen Kampf von Philosophenschulen hinter sich und in sich hatte, hinzugerechnet die Erziehung zur Toleranz, welche das imperium Romanum gab, - dieser Glaube ist nicht jener treuherzige und b?rbeissige Unterthanen-Glaube, mit dem etwa ein Luther oder ein Cromwell oder sonst ein nordischer Barbar des Geistes an ihrem Gotte und Christenthum gehangen haben; viel eher scholl jener Glaube Pascal's, der auf schreckliche Weise einem dauernden Selbstmorde der Vernunft ?hnlich sieht, - einer z?hen langlebigen wurmhaften Vernunft, die nicht mit Einem Male und Einem Streiche todtzumachen ist. Der christliche Glaube ist von Anbeginn Opferung: Opferung aller Freiheit, alles Stolzes, aller Selbstgewissheit des Geistes; zugleich Verknechtung und Selbst-Verh?hnung, Selbst-Verst?mmelung. Es ist Grausamkeit und religi?ser Ph?nicismus in diesem Glauben, der einem m?rben, vielfachen und viel verw?hnten, Gewissen zugemuthet wird: seine Voraussetzung ist, dass die Unterwerfung des Geistes unbeschreiblich wehe thut, dass die ganze Vergangenheit und Gewohnheit eines solchen Geistes sich gegen das Absurdissimum wehrt, als welches ihm der "Glaube" entgegentritt. Die modernen Menschen, mit ihrer Abstumpfung gegen alle christliche Nomenklatur, f?hlen das Schauerlich-Superlativische nicht mehr nach, das f?r einen antiken Geschmack in der Paradoxie der Formel "Gott am Kreuze" lag. Es hat bisher noch niemals und nirgendswo eine gleiche K?hnheit im Umkehren, etwas gleich Furchtbares, Fragendes und Fragw?rdiges gegeben wie diese Formel: sie verhiess eine Umwerthung aller antiken Werthe. - Es ist der Orient, der tiefe Orient, es ist der orientalische Sklave, der auf diese Weise an Rom und seiner vornehmen und frivolen Toleranz, am r?mischen "Katholicismus" des Glaubens Rache nahm: - und immer war es nicht der Glaube, sondern die Freiheit vom Glauben, jene halb stoische und l?chelnde Unbek?mmertheit um den Ernst des Glaubens, was die Sklaven an ihren Herrn, gegen ihre Herrn emp?rt hat. Die "Aufkl?rung" emp?rt: der Sklave n?mlich will Unbedingtes, er versteht nur das Tyrannische, auch in der Moral, er liebt wie er hasst, ohne Nuance, bis in die Tiefe, bis zum Schmerz, bis zur Krankheit, - sein vieles verborgenes Leiden emp?rt sich gegen den vornehmen Geschmack, der das Leiden zu leugnen scheint. Die Skepsis gegen das Leiden, im Grunde nur eine Attitude der aristokratischen Moral, ist nicht am wenigsten auch an der Entstehung des letzten grossen Sklaven-Aufstandes betheiligt, welcher mit der franz?sischen Revolution begonnen hat.

Wo nur auf Erden bisher die religi?se Neurose aufgetreten ist, finden wir sie verkn?pft mit drei gef?hrlichen Di?t-Verordnungen: Einsamkeit, Fasten und geschlechtlicher Enthaltsamkeit, - doch ohne dass hier mit Sicherheit zu entscheiden w?re, was da Ursache, was Wirkung sei, und ob hier ?berhaupt ein Verh?ltniss von Ursache und Wirkung vorliege. Zum letzten Zweifel berechtigt, dass gerade zu ihren regelm?ssigsten Symptomen, bei wilden wie bei zahmen V?lkern, auch die pl?tzlichste ausschweifendste Woll?stigkeit geh?rt, welche dann, ebenso pl?tzlich, in Busskrampf und Welt- und Willens-Verneinung umschl?gt: beides vielleicht als maskirte Epilepsie deutbar? Aber nirgendswo sollte man sich der Deutungen mehr entschlagen: um keinen Typus herum ist bisher eine solche F?lle von Unsinn und Aberglauben aufgewachsen, keiner scheint bisher die Menschen, selbst die Philosophen, mehr interessirt zu haben, - es w?re an der Zeit, hier gerade ein Wenig kalt zu werden, Vorsicht zu lernen, besser noch: wegzusehn, wegzugehn. - Noch im Hintergrunde der letztgekommenen Philosophie, der Schopenhauerischen, steht, beinahe als das Problem an sich, dieses schauerliche Fragezeichen der religi?sen Krisis und Erweckung. Wie ist Willensverneinung m?glich? wie ist der Heilige m?glich? - das scheint wirklich die Frage gewesen zu sein, bei der Schopenhauer zum Philosophen wurde und anfieng. Und so war es eine ?cht Schopenhauerische Consequenz, dass sein ?berzeugtester Anh?nger , n?mlich Richard Wagner, das eigne Lebenswerk gerade hier zu Ende brachte und zuletzt noch jenen furchtbaren und ewigen Typus als Kundry auf der B?hne vorf?hrte, type v?cu, und wie er leibt und lebt; zu gleicher Zeit, wo die Irren?rzte fast aller L?nder Europa's einen Anlass hatten, ihn aus der N?he zu studiren, ?berall, wo die religi?se Neurose - oder, wie ich es nenne, "das religi?se Wesen" - als "Heilsarmee" ihren letzten epidemischen Ausbruch und Aufzug gemacht hat. - Fragt man sich aber, was eigentlich am ganzen Ph?nomen des Heiligen den Menschen aller Art und Zeit, auch den Philosophen, so unb?ndig interessant gewesen ist: so ist es ohne allen Zweifel der ihm, anhaftende Anschein des Wunders, n?mlich der unmittelbaren Aufeinanderfolge von Gegens?tzen, von moralisch entgegengesetzt gewertheten Zust?nden der Seele: man glaubte hier mit H?nden zu greifen, dass aus einem "schlechten Menschen" mit Einem Male ein "Heiliger", ein guter Mensch werde. Die bisherige Psychologie litt an dieser Stelle Schiffbruch: sollte es nicht vornehmlich darum geschehen sein, weil sie sich unter die Herrschaft der Moral gestellt hatte, weil sie an die moralischen Werth-Gegens?tze selbst glaubte, und diese Gegens?tze in den Text und Thatbestand hineinsah, hineinlas, hinein deutete? - Wie? Das "Wunder" nur ein Fehler der Interpretation? Ein Mangel an Philologie? -

Es scheint, dass den lateinischen Rassen ihr Katholicismus viel innerlicher zugeh?rt, als uns Nordl?ndern das ganze Christentum ?berhaupt: und dass folglich der Unglaube in katholischen L?ndern etwas ganz Anderes zu bedeuten hat, als in protestantischen - n?mlich eine Art Emp?rung gegen den Geist der Rasse, w?hrend er bei uns eher eine R?ckkehr zum Geist der Rasse ist. Wir Nordl?nder stammen unzweifelhaft aus Barbaren-Rassen, auch in Hinsicht auf unsere Begabung zur Religion: wir sind schlecht f?r sie begabt. Man darf die Kelten ausnehmen, welche deshalb auch den besten Boden f?r die Aufnahme der christlichen Infektion im Norden abgegeben haben: - in Frankreich kam das christliche Ideal, soweit es nur die blasse Sonne des Nordens erlaubt hat, zum Ausbl?hen. Wie fremdartig fromm sind unserm Geschmack selbst diese letzten franz?sischen Skeptiker noch, sofern etwas keltisches Blut in ihrer Abkunft ist! Wie katholisch, wie undeutsch riecht uns Auguste Comte's Sociologie mit ihrer r?mischen Logik der Instinkte! Wie jesuitisch jener liebensw?rdige und kluge Cicerone von Port-Royal, Sainte-Beuve, trotz all seiner Jesuiten-Feindschaft! Und gar Ernest Renan: wie unzug?nglich klingt uns Nordl?ndern die Sprache solch eines Renan, in dem alle Augenblicke irgend ein Nichts von religi?ser Spannung seine in feinerem Sinne woll?stige und bequem sich bettende Seele um ihr Gleichgewicht bringt! Man spreche ihm einmal diese sch?nen S?tze nach, - und was f?r Bosheit und ?bermuth regt sich sofort in unserer wahrscheinlich weniger sch?nen und h?rteren, n?mlich deutscheren Seele als Antwort! -"disons donc hardiment que la religion est un produit de l'homme normal, que l'homme est le plus dans le vrai quand il est le plus religieux et le plus assur? d'une destin?e infinie.... C'est quand il est bon qu'il veut que la vertu corresponde ? un ordre ?ternel, c'est quand il contemple les choses d'une mani?re d?sint?ress?e qu'il trouve la mort r?voltante et absurde. Comment ne pas supposer que c'est dans ces moments-l?, que l'homme voit le mieux?...." Diese S?tze sind meinen Ohren und Gewohnheiten so sehr antipodisch, dass, als ich sie fand, mein erster Ingrimm daneben schrieb "la niaiserie religieuse par excellence!" - bis mein letzter Ingrimm sie gar noch lieb gewann, diese S?tze mit ihrer auf den Kopf gestellten Wahrheit! Es ist so artig, so auszeichnend, seine eignen Antipoden zu haben!

Das, was an der Religiosit?t der alten Griechen staunen macht, ist die unb?ndige F?lle von Dankbarkeit, welche sie ausstr?mt: - es ist eine sehr vornehme Art Mensch, welche so vor der Natur und vor dem Leben steht! - Sp?ter, als der P?bel in Griechenland zum ?bergewicht kommt, ?berwuchert die Furcht auch in der Religion; und das Christenthum bereitete sich vor.-

Die Leidenschaft f?r Gott: es giebt b?urische, treuherzige und zudringliche Arten, wie die Luther's, - der ganze Protestantismus entbehrt der s?dlichen delicatezza. Es giebt ein orientalisches Aussersichsein darin, wie bei einem unverdient begnadeten oder erhobenen Sklaven, zum Beispiel bei Augustin, der auf eine beleidigende Weise aller Vornehmheit der Geb?rden und Begierden ermangelt. Es giebt frauenhafte Z?rtlichkeit und Begehrlichkeit darin, welche schamhaft und unwissend nach einer unio mystica et physica dr?ngt: wie bei Madame de Guyon. In vielen F?llen erscheint sie wunderlich genug als Verkleidung der Pubert?t eines M?dchens oder J?nglings; hier und da selbst als Hysterie einer alten Jungfer, auch als deren letzter Ehrgeiz: - die Kirche hat das Weib schon mehrfach in einem solchen Falle heilig gesprochen.

Bisher haben sich die m?chtigsten Menschen immer noch verehrend vor dem Heiligen gebeugt, als dem R?thsel der Selbstbezwingung und absichtlichen letzten Entbehrung: warum beugten sie sich? Sie ahnten in ihm - und gleichsam hinter dem Fragezeichen seines gebrechlichen und kl?glichen Anscheins - die ?berlegene Kraft, welche sich an einer solchen Bezwingung erproben wollte, die St?rke des Willens, in der sie die eigne St?rke und herrschaftliche Lust wieder erkannten und zu ehren wussten: sie ehrten Etwas an sich, wenn sie den Heiligen ehrten. Es kam hinzu, dass der Anblick des Heiligen ihnen einen Argwohn eingab: ein solches Ungeheures von Verneinung, von Wider-Natur wird nicht umsonst begehrt worden sein, so sagten und fragten sie sich. Es giebt vielleicht einen Grund dazu, eine ganz grosse Gefahr, ?ber welche der Asket, Dank seinen geheimen Zusprechern und Besuchern, n?her unterrichtet sein m?chte? Genug, die M?chtigen der Welt lernten vor ihm eine neue Furcht, sie ahnten eine neue Macht, einen fremden, noch unbezwungenen Feind: - der "Wille zur Macht" war es, der sie n?thigte, vor dem Heiligen stehen zu bleiben. Sie mussten ihn fragen - -

Im j?dischen "alten Testament", dem Buche von der g?ttlichen Gerechtigkeit, giebt es Menschen, Dinge und Reden in einem so grossen Stile, dass das griechische und indische Schriftenthum ihm nichts zur Seite zu stellen hat. Man steht mit Schrecken und Ehrfurcht vor diesen ungeheuren ?berbleibseln dessen, was der Mensch einstmals war, und wird dabei ?ber das alte Asien und sein vorgeschobenes Halbinselchen Europa, das durchaus gegen Asien den "Fortschritt des Menschen" bedeuten m?chte, seine traurigen Gedanken haben. Freilich: wer selbst nur ein d?nnes zahmes Hausthier ist und nur Hausthier-Bed?rfnisse kennt , der hat unter jenen Ruinen weder sich zu verwundern, noch gar sich zu betr?ben - der Geschmack am alten Testament ist ein Pr?fstein in Hinsicht auf "Gross" und "Klein" -: vielleicht, dass er das neue Testament, das Buch von der Gnade, immer noch eher nach seinem Herzen findet . Dieses neue Testament, eine Art Rokoko des Geschmacks in jedem Betrachte, mit dem alten Testament zu Einem Buche zusammengeleimt zu haben, als "Bibel", als "das Buch an sich": das ist vielleicht die gr?sste Verwegenheit und "S?nde wider den Geist", welche das litterarische Europa auf dem Gewissen hat.

Warum heute Atheismus? - "Der Vater" in Gott ist gr?ndlich widerlegt; ebenso "der Richter", "der Belohner". Insgleichen sein "freier Wille": er h?rt nicht, - und wenn er h?rte, w?sste er trotzdem nicht zu helfen. Das Schlimmste ist: er scheint unf?hig, sich deutlich mitzutheilen: ist er unklar? - Dies ist es, was ich, als Ursachen f?r den Niedergang des europ?ischen Theismus, aus vielerlei Gespr?chen, fragend, hinhorchend, ausfindig gemacht habe; es scheint mir, dass zwar der religi?se Instinkt m?chtig im Wachsen ist, - dass er aber gerade die theistische Befriedigung mit tiefem Misstrauen ablehnt.

Was thut denn im Grunde die ganze neuere Philosophie? Seit Descartes - und zwar mehr aus Trotz gegen ihn, als auf Grund seines Vorgangs - macht man seitens aller Philosophen ein Attentat auf den alten Seelen-Begriff, unter dem Anschein einer Kritik des Subjekt- und Pr?dikat-Begriffs - das heisst: ein Attentat auf die Grundvoraussetzung der christlichen Lehre. Die neuere Philosophie, als eine erkenntnisstheoretische Skepsis, ist, versteckt oder offen, antichristlich: obschon, f?r feinere Ohren gesagt, keineswegs antireligi?s. Ehemals n?mlich glaubte man an "die Seele", wie man an die Grammatik und das grammatische Subjekt glaubte: man sagte, "Ich" ist Bedingung, "denke" ist Pr?dikat und bedingt - Denken ist eine Th?tigkeit, zu der ein Subjekt als Ursache gedacht werden muss. Nun versuchte man, mit einer bewunderungsw?rdigen Z?higkeit und List, ob man nicht aus diesem Netze heraus k?nne, - ob nicht vielleicht das Umgekehrte wahr sei: "denke" Bedingung, "Ich" bedingt; "Ich" also erst eine Synthese, welche durch das Denken selbst gemacht wird. Kant wollte im Grunde beweisen, dass vom Subjekt aus das Subjekt nicht bewiesen werden k?nne, - das Objekt auch nicht: die M?glichkeit einer Scheinexistenz des Subjekts, also "der Seele", mag ihm nicht immer fremd gewesen sein, jener Gedanke, welcher als Vedanta-Philosophie schon einmal und in ungeheurer Macht auf Erden dagewesen ist.

Es giebt eine grosse Leiter der religi?sen Grausamkeit, mit vielen Sprossen; aber drei davon sind die wichtigsten. Einst opferte man seinem Gotte Menschen, vielleicht gerade solche, welche man am besten liebte, - dahin geh?ren die Erstlings-Opfer aller Vorzeit-Religionen, dahin auch das Opfer des Kaisers Tiberius in der Mithrasgrotte der Insel Capri, jener schauerlichste aller r?mischen Anachronismen. Dann, in der moralischen Epoche der Menschheit, opferte man seinem Gotte die st?rksten Instinkte, die man besass, seine "Natur"; diese Festfreude gl?nzt im grausamen Blicke des Asketen, des begeisterten "Wider-Nat?rlichen". Endlich: was blieb noch ?brig zu opfern? Musste man nicht endlich einmal alles Tr?stliche, Heilige, Heilende, alle Hoffnung, allen Glauben an verborgene Harmonie, an zuk?nftige Seligkeiten und Gerechtigkeiten opfern? musste man nicht Gott selber opfern und, aus Grausamkeit gegen sich, den Stein, die Dummheit, die Schwere, das Schicksal, das Nichts anbeten? F?r das Nichts Gott opfern - dieses paradoxe Mysterium der letzten Grausamkeit blieb dem Geschlechte, welches jetzt eben herauf kommt, aufgespart: wir Alle kennen schon etwas davon. -

Wer, gleich mir, mit irgend einer r?thselhaften Begierde sich lange darum bem?ht hat, den Pessimismus in die Tiefe zu denken und aus der halb christlichen, halb deutschen Enge und Einfalt zu erl?sen, mit der er sich diesem Jahrhundert zuletzt dargestellt hat, n?mlich in Gestalt der Schopenhauerischen Philosophie; wer wirklich einmal mit einem asiatischen und ?berasiatischen Auge in die weltverneinendste aller m?glichen Denkweisen hinein und hinunter geblickt hat - jenseits von Gut und B?se, und nicht mehr, wie Buddha und Schopenhauer, im Bann und Wahne der Moral -, der hat vielleicht ebendamit, ohne dass er es eigentlich wollte, sich die Augen f?r das umgekehrte Ideal aufgemacht: f?r das Ideal des ?berm?thigsten lebendigsten und weltbejahendsten Menschen, der sich nicht nur mit dem, was war und ist, abgefunden und vertragen gelernt hat, sondern es, so wie es war und ist, wieder haben will, in alle Ewigkeit hinaus, uners?ttlich da capo rufend, nicht nur zu sich, sondern zum ganzen St?cke und Schauspiele, und nicht nur zu einem Schauspiele, sondern im Grunde zu Dem, der gerade dies Schauspiel n?thig hat - und n?thig macht: weil er immer wieder sich n?thig hat - und n?thig macht - - Wie? Und dies w?re nicht - circulus vitiosus deus?

Mit der Kraft seines geistigen Blicks und Einblicks w?chst die Ferne und gleichsam der Raum um den Menschen: seine Welt wird tiefer, immer neue Sterne, immer neue R?thsel und Bilder kommen ihm in Sicht. Vielleicht war Alles, woran das Auge des Geistes seinen Scharfsinn und Tiefsinn ge?bt hat, eben nur ein Anlass zu seiner ?bung, eine Sache des Spiels, Etwas f?r Kinder und Kindsk?pfe. Vielleicht erscheinen uns einst die feierlichsten Begriffe, um die am meisten gek?mpft und gelitten worden ist, die Begriffe "Gott" und "S?nde", nicht wichtiger, als dem alten Manne ein Kinder-Spielzeug und Kinder-Schmerz erscheint, - und vielleicht hat dann "der alte Mensch" wieder ein andres Spielzeug und einen andren Schmerz n?thig, - immer noch Kinds genug, ein ewiges Kind!

Hat man wohl beachtet, in wiefern zu einem eigentlich religi?sen Leben der ?ussere M?ssiggang oder Halb-M?ssiggang noth thut, ich meine der M?ssiggang mit gutem Gewissen, von Alters her, von Gebl?t, dem das Aristokraten-Gef?hl nicht ganz fremd ist, dass Arbeit sch?ndet, - n?mlich Seele und Leib gemein macht? Und dass folglich die moderne, l?rmende, Zeit-auskaufende, auf sich stolze, dumm-stolze Arbeitsamkeit, mehr als alles ?brige, gerade zum "Unglauben" erzieht und vorbereitet? Unter Denen, welche zum Beispiel jetzt in Deutschland abseits von der Religion leben, finde ich Menschen von vielerlei Art und Abkunft der "Freidenkerei", vor Allem aber eine Mehrzahl solcher, denen Arbeitsamkeit, von Geschlecht zu Geschlecht, die religi?sen Instinkte aufgel?st hat: so dass sie gar nicht mehr wissen, wozu Religionen n?tze sind, und nur mit einer Art stumpfen Erstaunens ihr Vorhandensein in der Welt gleichsam registriren. Sie f?hlen sich schon reichlich in Anspruch genommen, diese braven Leute, sei es von ihren Gesch?ften, sei es von ihren Vergn?gungen, gar nicht zu reden vom "Vaterlande" und den Zeitungen und den "Pflichten der Familie": es scheint, dass sie gar keine Zeit f?r die Religion ?brig haben, zumal es ihnen unklar bleibt, ob es sich dabei um ein neues Gesch?ft oder ein neues Vergn?gen handelt, - denn unm?glich, sagen sie sich, geht man in die Kirche, rein um sich die gute Laune zu verderben. Sie sind keine Feinde der religi?sen Gebr?uche; verlangt man in gewissen F?llen, etwa von Seiten des Staates, die Betheiligung an solchen Gebr?uchen, so thun sie, was man verlangt, wie man so Vieles thut -, mit einem geduldigen und bescheidenen Ernste und ohne viel Neugierde und Unbehagen: - sie leben eben zu sehr abseits und ausserhalb, um selbst nur ein F?r und Wider in solchen Dingen bei sich n?thig zu finden. Zu diesen Gleichg?ltigen geh?rt heute die ?berzahl der deutschen Protestanten in den mittleren St?nden, sonderlich in den arbeitsamen grossen Handels- und Verkehrscentren; ebenfalls die ?berzahl der arbeitsamen Gelehrten und der ganze Universit?ts-Zubeh?r . Man macht sich selten von Seiten frommer oder auch nur kirchlicher Menschen eine Vorstellung davon, wieviel guter Wille, man k?nnte sagen, willk?rlicher Wille jetzt dazu geh?rt, dass ein deutscher Gelehrter das Problem der Religion ernst nimmt; von seinem ganzen Handwerk her neigt er zu einer ?berlegenen, beinahe g?tigen Heiterkeit gegen die Religion, zu der sich bisweilen eine leichte Geringsch?tzung mischt, gerichtet gegen die "Unsauberkeit" des Geistes, welche er ?berall dort voraussetzt, wo man sich, noch zur Kirche bekennt. Es gelingt dem Gelehrten erst mit H?lfe der Geschichte , es gegen?ber den Religionen zu einem ehrfurchtsvollen Ernste und zu einer gewissen scheuen R?cksicht zu bringen; aber wenn er sein Gef?hl sogar bis zur Dankbarkeit gegen sie gehoben hat, so ist er mit seiner Person auch noch keinen Schritt weit dem, was noch als Kirche oder Fr?mmigkeit besteht, n?her gekommen: vielleicht umgekehrt. Die praktische Gleichg?ltigkeit gegen religi?se Dinge, in welche hinein er geboren und erzogen ist, pflegt sich bei ihm zur Behutsamkeit und Reinlichkeit zu sublimiren, welche die Ber?hrung mit religi?sen Menschen und Dingen scheut; und es kann gerade die Tiefe seiner Toleranz und Menschlichkeit sein, die ihn vor dem feinen Nothstande ausweichen heisst, welchen das Toleriren selbst mit sich bringt. - Jede Zeit hat ihre eigene g?ttliche Art von Naivet?t, um deren Erfindung sie andre Zeitalter beneiden d?rfen: - und wie viel Naivet?t, verehrungsw?rdige, kindliche und unbegrenzt t?lpelhafte Naivet?t liegt in diesem ?berlegenheits-Glauben des Gelehrten, im guten Gewissen seiner Toleranz, in der ahnungslosen schlichten Sicherheit, mit der sein Instinkt den religi?sen Menschen als einen minderwerthigen und niedrigeren Typus behandelt, ?ber den er selbst hinaus, hinweg, hinauf gewachsen ist, - er, der kleine anmaassliche Zwerg und P?belmann, der fleissig-flinke Kopf- und Handarbeiter der "Ideen", der "modernen Ideen"!

Wer tief in die Welt gesehen hat, err?th wohl, welche Weisheit darin liegt, dass die Menschen oberfl?chlich sind. Es ist ihr erhaltender Instinkt, der sie lehrt, fl?chtig, leicht und falsch zu sein. Man findet hier und da eine leidenschaftliche und ?bertreibende Anbetung der "reinen Formen", bei Philosophen wie bei K?nstlern: m?ge Niemand zweifeln, dass wer dergestalt den Cultus der Oberfl?che n?thig hat, irgend wann einmal einen ungl?ckseligen Griff unter sie gethan hat. Vielleicht giebt es sogar hinsichtlich dieser verbrannten Kinder, der geborenen K?nstler, welche den Genuss des Lebens nur noch in der Absicht finden, sein Bild zu f?lschen , auch noch eine Ordnung des Ranges: man k?nnte den Grad, in dem ihnen das Leben verleidet ist, daraus abnehmen, bis wie weit sie sein Bild verf?lscht, verd?nnt, verjenseitigt, verg?ttlicht zu sehn w?nschen, - man k?nnte die homines religiosi mit unter die K?nstler rechnen, als ihren h?chsten Rang. Es ist die tiefe argw?hnische Furcht vor einem unheilbaren Pessimismus, der ganze Jahrtausende zwingt, sich mit den Z?hnen in eine religi?se Interpretation des Daseins zu verbeissen: die Furcht jenes Instinktes, welcher ahnt, dass man der Wahrheit zu fr?h habhaft werden k?nnte, ehe der Mensch stark genug, hart genug, K?nstler genug geworden ist.... Die Fr?mmigkeit, das "Leben in Gott", mit diesem Blicke betrachtet, erschiene dabei als die feinste und letzte Ausgeburt der Furcht vor der Wahrheit, als K?nstler-Anbetung und -Trunkenheit vor der consequentesten aller F?lschungen, als der Wille zur Umkehrung der Wahrheit, zur Unwahrheit um jeden Preis. Vielleicht, dass es bis jetzt kein st?rkeres Mittel gab, den Menschen selbst zu versch?nern, als eben Fr?mmigkeit: durch sie kann der Mensch so sehr Kunst, Oberfl?che, Farbenspiel, G?te werden, dass man an seinem Anblicke nicht mehr leidet. -

Den Menschen zu lieben um Gottes Willen - das war bis jetzt das vornehmste und entlegenste Gef?hl, das unter Menschen erreicht worden ist. Dass die Liebe zum Menschen ohne irgendeine heiligende Hinterabsicht eine Dummheit und Thierheit mehr ist, dass der Hang zu dieser Menschenliebe erst von einem h?heren Hange sein Maass, seine Feinheit, sein K?rnchen Salz und St?ubchen Ambra zu bekommen hat: - welcher Mensch es auch war, der dies zuerst empfunden und "erlebt" hat, wie sehr auch seine Zunge gestolpert haben mag, als sie versuchte, solch eine Zartheit auszudr?cken, er bleibe uns in alle Zeiten heilig und verehrenswerth, als der Mensch, der am h?chsten bisher geflogen und am sch?nsten sich verirrt hat!

Der Philosoph, wie wir ihn verstehen, wir freien Geister als der Mensch der umf?nglichsten Verantwortlichkeit, der das Gewissen f?r die Gesammt-Entwicklung des Menschen hat: dieser Philosoph wird sich der Religionen zu seinem Z?chtungs- und Erziehungswerke bedienen, wie er sich der jeweiligen politischen und wirthschaftlichen Zust?nde bedienen wird. Der auslesende, z?chtende, das heisst immer ebensowohl der zerst?rende als der sch?pferische und gestaltende Einfluss, welcher mit H?lfe der Religionen ausge?bt werden kann, ist je nach der Art Menschen, die unter ihren Bann und Schutz gestellt werden, ein vielfacher und verschiedener. F?r die Starken, Unabh?ngigen, zum Befehlen, Vorbereiteten und Vorbestimmten, in denen die Vernunft und Kunst einer regierenden Rasse leibhaft wird, ist, Religion ein Mittelmehr, um Widerst?nde zu ?berwinden, um herrschen zu k?nnen: als ein Band, das Herrscher und Unterthanen gemeinsam bindet und die Gewissen der Letzteren, ihr Verborgenes und Innerlichstes, das sich gerne dem Gehorsam entziehen m?chte, den Ersteren verr?th und ?berantwortet; und falls einzelne Naturen einer solchen vornehmen Herkunft, durch hohe Geistigkeit, einem abgezogeneren und beschaulicheren Leben sich zuneigen und nur die feinste Artung des Herrschens sich vorbehalten, so kann Religion selbst als Mittel benutzt werden, sich Ruhe vor dem L?rm und der M?hsal des gr?beren Regierens und Reinheit vor dem nothwendigen Schmutz alles Politik-Machens zu schaffen. So verstanden es zum Beispiel die Brahmanen: mit H?lfe einer religi?sen Organisation gaben sie sich die Macht, dem Volke seine K?nige zu ernennen, w?hrend sie sich selber abseits und ausserhalb hielten und f?hlten, als die Menschen h?herer und ?berk?niglicher Aufgaben. Inzwischen giebt die Religion auch einem Theile der Beherrschten Anleitung und Gelegenheit, sich auf einstmaliges Herrschen und Befehlen vorzubereiten, jenen langsam heraufkommenden Klassen und St?nden n?mlich, in denen, durch gl?ckliche Ehesitten, die Kraft und Lust des Willens, der Wille zur Selbstbeherrschung, immer im Steigen ist: - ihnen bietet die Religion Anst?sse und Versuchungen genug, die Wege zur h?heren Geistigkeit zu gehen, die Gef?hle der grossen Selbst?berwindung, des Schweigens und der Einsamkeit zu erproben: - Asketismus und Puritanismus sind fast unentbehrliche Erziehungs- und Veredelungsmittel, wenn eine Rasse ?ber ihre Herkunft aus dem P?bel Herr werden will und sich zur einstmaligen Herrschaft emporarbeitet. Den gew?hnlichen Menschen endlich, den Allermeisten, welche zum Dienen und zum allgemeinen Nutzen da sind und nur insofern dasein d?rfen, giebt die Religion eine unsch?tzbare Gen?gsamkeit mit ihrer Lage und Art, vielfachen Frieden des Herzens, eine Veredelung des Gehorsams, ein Gl?ck und Leid mehr mit Ihres-Gleichen und Etwas von Verkl?rung und Versch?nerung, Etwas von Rechtfertigung des ganzen Alltags, der ganzen Niedrigkeit, der ganzen Halbthier-Armuth ihrer Seele. Religion und religi?se Bedeutsamkeit des Lebens legt Sonnenglanz auf solche immer geplagte Menschen und macht ihnen selbst den eigenen Anblick ertr?glich, sie wirkt, wie eine epikurische Philosophie auf Leidende h?heren Ranges zu wirken pflegt, erquickend, verfeinernd, das Leiden gleichsam ausn?tzend, zuletzt gar heiligend und rechtfertigend. Vielleicht ist am Christenthum und Buddhismus nichts so ehrw?rdig als ihre Kunst, noch den Niedrigsten anzulehren, sich durch Fr?mmigkeit in eine h?here Schein-Ordnung der Dinge zu stellen und damit das Gen?gen an der wirklichen Ordnung, innerhalb deren sie hart genug leben, - und gerade diese H?rte thut Noth! - bei sich festzuhalten.

Zuletzt freilich, um solchen Religionen auch die schlimme Gegenrechnung zu machen und ihre unheimliche Gef?hrlichkeit an's Licht zu stellen: - es bezahlt sich immer theuer und f?rchterlich, wenn Religionen nicht als Z?chtungs- und Erziehungsmittel in der Hand des Philosophen, sondern von sich aus und souver?n walten, wenn sie selber letzte Zwecke und nicht Mittel neben anderen Mitteln sein wollen. Es giebt bei dem Menschen wie bei jeder anderen Thierart einen ?berschuss von Missrathenen, Kranken, Entartenden, Gebrechlichen, nothwendig Leidenden; die gelungenen F?lle sind auch beim Menschen immer die Ausnahme und sogar in Hinsicht darauf, dass der Mensch das noch nicht festgestellte Thier ist, die sp?rliche Ausnahme. Aber noch schlimmer: je h?her geartet der Typus eines Menschen ist, der durch ihn dargestellt wird, um so mehr steigt noch die Unwahrscheinlichkeit, dass er ger?th: das Zuf?llige, das Gesetz des Unsinns im gesammten Haushalte der Menschheit zeigt sich am erschrecklichsten in seiner zerst?rerischen Wirkung auf die h?heren Menschen, deren Lebensbedingungen fein, vielfach und schwer auszurechnen sind. Wie verhalten sich nun die genannten beiden gr?ssten Religionen zu diesem ?berschuss der misslungenen F?lle? Sie suchen zu erhalten, im Leben festzuhalten, was sich nur irgend halten l?sst, ja sie nehmen grunds?tzlich f?r sie Partei, als Religionen f?r Leidende, sie geben allen Denen Recht, welche am Leben wie an einer Krankheit leiden, und m?chten es durchsetzen, dass jede andre Empfindung des Lebens als falsch gelte und unm?glich werde. M?chte man diese schonende und erhaltende F?rsorge, insofern sie neben allen anderen auch dem h?chsten, bisher fast immer auch leidendsten Typus des Menschen gilt und galt, noch so hoch anschlagen: in der Gesammt-Abrechnung geh?ren die bisherigen, n?mlich souver?nen Religionen zu den Hauptursachen, welche den Typus "Mensch" auf einer niedrigeren Stufe festhielten, - sie erhielten zu viel von dem, was zu Grunde gehn sollte. Man hat ihnen Unsch?tzbares zu danken; und wer ist reich genug an Dankbarkeit, um nicht vor alle dem arm zu werden, was zum Beispiel die "geistlichen Menschen" des Christenthums bisher f?r Europa gethan haben! Und doch, wenn sie den Leidenden Trost, den Unterdr?ckten und Verzweifelnden Muth, den Unselbst?ndigen einen Stab und Halt gaben und die Innerlich-Zerst?rten und Wild-Gewordenen von der Gesellschaft weg in Kl?ster und seelische Zuchth?user lockten: was mussten sie ausserdem thun, um mit gutem Gewissen dergestalt grunds?tzlich an der Erhaltung alles Kranken und Leidenden, das heisst in That und Wahrheit an der Verschlechterung der europ?ischen Rasse zu arbeiten? Alle Werthsch?tzungen auf den Kopf stellen - das mussten sie! Und die Starken zerbrechen, die grossen Hoffnungen ankr?nkeln, das Gl?ck in der Sch?nheit verd?chtigen, alles Selbstherrliche, M?nnliche, Erobernde, Herrschs?chtige, alle Instinkte, welche dem h?chsten und wohlgerathensten Typus "Mensch" zu eigen sind, in Unsicherheit, Gewissens-Noth, Selbstzerst?rung umknicken, ja die ganze Liebe zum Irdischen und zur Herrschaft ?ber die Erde in Hass gegen die Erde und das Irdische verkehren - das stellte sich die Kirche zur Aufgabe und musste es sich stellen, bis f?r ihre Sch?tzung endlich "Entweltlichung", "Entsinnlichung" und "h?herer Mensch" in Ein Gef?hl zusammenschmolzen. Gesetzt, dass man mit dem sp?ttischen und unbetheiligten Auge eines epikurischen Gottes die wunderlich schmerzliche und ebenso grobe wie feine Kom?die des europ?ischen Christenthums zu ?berschauen verm?chte, ich glaube, man f?nde kein Ende mehr zu staunen und zu lachen: scheint es denn nicht, dass Ein Wille ?ber Europa durch achtzehn Jahrhunderte geherrscht hat, aus dem Menschen eine sublime Missgeburt zu machen? Wer aber mit umgekehrten Bed?rfnissen, nicht epikurisch mehr, sondern mit irgend einem g?ttlichen Hammer in der Hand auf diese fast willk?rliche Entartung und Verk?mmerung des Menschen zutr?te, wie sie der christliche Europ?er ist , m?sste er da nicht mit Grimm, mit Mitleid, mit Entsetzen schreien: "Oh ihr T?lpel, ihr anmaassenden mitleidigen T?lpel, was habt ihr da gemacht! War das eine Arbeit f?r eure H?nde! Wie habt ihr mir meinen sch?nsten Stein verhauen und verhunzt! Was nahmt ihr euch heraus!" - Ich wollte sagen: das Christenthum war bisher die verh?ngnissvollste Art von Selbst-?berhebung. Menschen, nicht hoch und hart genug, um am Menschen als K?nstler gestalten zu d?rfen; Menschen, nicht stark und fernsichtig genug, um, mit einer erhabenen Selbst-Bezwingung, das Vordergrund-Gesetz des tausendf?ltigen Missrathens und Zugrundegehns walten zu lassen; Menschen, nicht vornehm genug, um die abgr?ndlich verschiedene Rangordnung und Rangkluft zwischen Mensch und Mensch zu sehen: - solche Menschen haben, mit ihrem "Gleich vor Gott", bisher ?ber dem Schicksale Europa's gewaltet, bis endlich eine verkleinerte, fast l?cherliche Art, ein Heerdenthier, etwas Gutwilliges, Kr?nkliches und Mittelm?ssiges, herangez?chtet ist, der heutige Europ?er....

Viertes Hauptst?ck:

Spr?che und Zwischenspiele.

Wer von Grund aus Lehrer ist, nimmt alle Dinge nur in Bezug auf seine Sch?ler ernst, - sogar sich selbst.

"Die Erkenntniss um ihrer selbst willen" - das ist der letzte Fallstrick, den die Moral legt: damit verwickelt man sich noch einmal v?llig in sie.

Der Reiz der Erkenntniss w?re gering, wenn nicht auf dem Wege zu ihr so viel Scham zu ?berwinden w?re.

Man ist am unehrlichsten gegen seinen Gott: er darf nicht s?ndigen!

Die Neigung, sich herabzusetzen, sich bestehlen, bel?gen und ausbeuten zu lassen, k?nnte die Scham eines Gottes unter Menschen sein.

Die Liebe zu Einem ist eine Barbarei: denn sie wird auf Unkosten aller ?brigen ausge?bt. Auch die Liebe zu Gott.

"Das habe ich gethan" sagt mein Ged?chtniss. Das kann ich nicht gethan haben - sagt mein Stolz und bleibt unerbittlich. Endlich - giebt das Ged?chtniss nach.

Man hat schlecht dem Leben zugeschaut, wenn man nicht auch die Hand gesehn hat, die auf eine schonende Weise - t?dtet.

Hat man Charakter, so hat man auch sein typisches Erlebniss, das immer wiederkommt.

Der Weise als Astronom. - So lange du noch die Sterne f?hlst als ein "?ber-dir", fehlt dir noch der Blick des Erkennenden.

Nicht die St?rke, sondern die Dauer der hohen Empfindung macht die hohen Menschen.

Wer sein Ideal erreicht, kommt eben damit ?ber dasselbe hinaus.

Mancher Pfau verdeckt vor Aller Augen seinen Pfauenschweif - und heisst es seinen Stolz.

Ein Mensch mit Genie ist unausstehlich, wenn er nicht mindestens noch zweierlei dazu besitzt: Dankbarkeit und Reinlichkeit.

Grad und Art der Geschlechtlichkeit eines Menschen reicht bis in den letzten Gipfel seines Geistes hinauf.

Unter friedlichen Umst?nden f?llt der kriegerische Mensch ?ber sich selber her.

Mit seinen Grunds?tzen will man seine Gewohnheiten tyrannisiren oder rechtfertigen oder ehren oder beschimpfen oder verbergen: - zwei Menschen mit gleichen Grunds?tzen wollen damit wahrscheinlich noch etwas Grund-Verschiedenes.

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