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Read Ebook: Die Geburt der Tragödie: Versuch einer Selbstkritik by Nietzsche Friedrich Wilhelm

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Ebook has 179 lines and 44168 words, and 4 pages

Edition: 10

Friedrich Nietzsche

Die Geburt der Trag?die

Versuch einer Selbstkritik.

Was auch diesem fragw?rdigen Buche zu Grunde liegen mag: es muss eine Frage ersten Ranges und Reizes gewesen sein, noch dazu eine tief pers?nliche Frage, - Zeugniss daf?r ist die Zeit, in der es entstand, trotz der es entstand, die aufregende Zeit des deutsch-franz?sischen Krieges von 1870/71. W?hrend die Donner der Schlacht von W?rth ?ber Europa weggiengen, sass der Gr?bler und R?thselfreund, dem die Vaterschaft dieses Buches zu Theil ward, irgendwo in einem Winkel der Alpen, sehr vergr?belt und verr?thselt, folglich sehr bek?mmert und unbek?mmert zugleich, und schrieb seine Gedanken ?ber die Griechen nieder, - den Kern des wunderlichen und schlecht zug?nglichen Buches, dem diese sp?te Vorrede gewidmet sein soll. Einige Wochen darauf: und er befand sich selbst unter den Mauern von Metz, immer noch nicht losgekommen von den Fragezeichen, die er zur vorgeblichen "Heiterkeit" der Griechen und der griechischen Kunst gesetzt hatte; bis er endlich in jenem Monat tiefster Spannung, als man in Versailles ?ber den Frieden berieth, auch mit sich zum Frieden kam und, langsam von einer aus dem Felde heimgebrachten Krankheit genesend, die "Geburt der Trag?die aus dem Geiste der Musik" letztg?ltig bei sich feststellte. - Aus der Musik? Musik und Trag?die? Griechen und Trag?dien-Musik? Griechen und das Kunstwerk des Pessimismus? Die wohlgerathenste, sch?nste, bestbeneidete, zum Leben verf?hrendste Art der bisherigen Menschen, die Griechen - wie? gerade sie hatten die Trag?die n?thig? Mehr noch - die Kunst? Wozu - griechische Kunst?

Man err?th, an welche Stelle hiermit das grosse Fragezeichen vom Werth des Daseins gesetzt war. Ist Pessimismus nothwendig das Zeichen des Niedergangs, Verfalls, des Missrathenseins, der erm?deten und geschw?chten Instinkte? - wie er es bei den Indern war, wie er es, allem Anschein nach, bei uns, den "modernen" Menschen und Europ?ern ist? Giebt es einen Pessimismus der St?rke? Eine intellektuelle Vorneigung f?r das Harte, Schauerliche, B?se, Problematische des Daseins aus Wohlsein, aus ?berstr?mender Gesundheit, aus F?lle des Daseins? Giebt es vielleicht ein Leiden an der Ueberf?lle selbst? Eine versucherische Tapferkeit des sch?rfsten Blicks, die nach dem Furchtbaren verlangt, als nach dem Feinde, dem w?rdigen Feinde, an dem sie ihre Kraft erproben kann? an dem sie lernen will, was "das F?rchten" ist? Was bedeutet, gerade bei den Griechen der besten, st?rksten, tapfersten Zeit, der tragische Mythus? Und das ungeheure Ph?nomen des Dionysischen? Was, aus ihm geboren, die Trag?die? - Und wiederum: das, woran die Trag?die starb, der Sokratismus der Moral, die Dialektik, Gen?gsamkeit und Heiterkeit des theoretischen Menschen - wie? k?nnte nicht gerade dieser Sokratismus ein Zeichen des Niedergangs, der Erm?dung, Erkrankung, der anarchisch sich l?senden Instinkte sein? Und die "griechische Heiterkeit" des sp?teren Griechenthums nur eine Abendr?the? Der epikurische Wille gegen den Pessimismus nur eine Vorsicht des Leidenden? Und die Wissenschaft selbst, unsere Wissenschaft - ja, was bedeutet ?berhaupt, als Symptom des Lebens angesehn, alle Wissenschaft? Wozu, schlimmer noch, woher - alle Wissenschaft? Wie? Ist Wissenschaftlichkeit vielleicht nur eine Furcht und Ausflucht vor dem Pessimismus? Eine feine Nothwehr gegen - die Wahrheit? Und, moralisch geredet, etwas wie Feig- und Falschheit? Unmoralisch geredet, eine Schlauheit? Oh Sokrates, Sokrates, war das vielleicht dein Geheimniss? Oh geheimnissvoller Ironiker, war dies vielleicht deine - Ironie? - -

Was ich damals zu fassen bekam, etwas Furchtbares und Gef?hrliches, ein Problem mit H?rnern, nicht nothwendig gerade ein Stier, jedenfalls ein neues Problem: heute w?rde ich sagen, dass es das Problem der Wissenschaft selbst war - Wissenschaft zum ersten Male als problematisch, als fragw?rdig gefasst. Aber das Buch, in dem mein jugendlicher Muth und Argwohn sich damals ausliess - was f?r ein unm?gliches Buch musste aus einer so jugendwidrigen Aufgabe erwachsen! Aufgebaut aus lauter vorzeitigen ?bergr?nen Selbsterlebnissen, welche alle hart an der Schwelle des Mittheilbaren lagen, hingestellt auf den Boden der Kunst - denn das Problem der Wissenschaft kann nicht auf dem Boden der Wissenschaft erkannt werden - ein Buch vielleicht f?r K?nstler mit dem Nebenhange analytischer und retrospektiver F?higkeiten , voller psychologischer Neuerungen und Artisten-Heimlichkeiten, mit einer Artisten-Metaphysik im Hintergrunde, ein Jugendwerk voller Jugendmuth und Jugend-Schwermuth, unabh?ngig, trotzig-selbstst?ndig auch noch, wo es sich einer Autorit?t und eignen Verehrung zu beugen scheint, kurz ein Erstlingswerk auch in jedem schlimmen Sinne des Wortes, trotz seines greisenhaften Problems, mit jedem Fehler der Jugend behaftet, vor allem mit ihrem "Viel zu lang", ihrem "Sturm und Drang": andererseits, in Hinsicht auf den Erfolg, den es hatte ein bewiesenes Buch, ich meine ein solches, das jedenfalls "den Besten seiner Zeit" genug gethan hat. Darauf hin sollte es schon mit einiger R?cksicht und Schweigsamkeit behandelt werden; trotzdem will ich nicht g?nzlich unterdr?cken, wie unangenehm es mir jetzt erscheint, wie fremd es jetzt nach sechzehn Jahren vor mir steht, - vor einem ?lteren, hundert Mal verw?hnteren, aber keineswegs k?lter gewordenen Auge, das auch jener Aufgabe selbst nicht fremder wurde, an welche sich jenes verwegene Buch zum ersten Male herangewagt hat, - die Wissenschaft unter der Optik des K?nstlers zu sehn, die Kunst aber unter der des Lebens....

Nochmals gesagt, heute ist es mir ein unm?gliches Buch, - ich heisse es schlecht geschrieben, schwerf?llig, peinlich, bilderw?thig und bilderwirrig, gef?hlsam, hier und da verzuckert bis zum Femininischen, ungleich im Tempo, ohne Willen zur logischen Sauberkeit, sehr ?berzeugt und deshalb des Beweisens sich ?berhebend, misstrauisch selbst gegen die Schicklichkeit des Beweisens, als Buch f?r Eingeweihte, als "Musik" f?r Solche, die auf Musik getauft, die auf gemeinsame und seltene Kunst-Erfahrungen hin von Anfang der Dinge an verbunden sind, als Erkennungszeichen f?r Blutsverwandte in artibus, - ein hochm?thiges und schw?rmerisches Buch, das sich gegen das profanum vulgus der "Gebildeten" von vornherein noch mehr als gegen das "Volk" abschliesst, welches aber, wie seine Wirkung bewies und beweist, sich gut genug auch darauf verstehen muss, sich seine Mitschw?rmer zu suchen und sie auf neue Schleichwege und Tanzpl?tze zu locken. Hier redete jedenfalls - das gestand man sich mit Neugierde ebenso als mit Abneigung ein - eine fremde Stimme, der J?nger eines noch "unbekannten Gottes", der sich einstweilen unter die Kapuze des Gelehrten, unter die Schwere und dialektische Unlustigkeit des Deutschen, selbst unter die schlechten Manieren des Wagnerianers versteckt hat; hier war ein Geist mit fremden, noch namenlosen Bed?rfnissen, ein Ged?chtniss strotzend von Fragen, Erfahrungen, Verborgenheiten, welchen der Name Dionysos wie ein Fragezeichen mehr beigeschrieben war; hier sprach - so sagte man sich mit Argwohn - etwas wie eine mystische und beinahe m?nadische Seele, die mit M?hsal und willk?rlich, fast unschl?ssig dar?ber, ob sie sich mittheilen oder verbergen wolle, gleichsam in einer fremden Zunge stammelt. Sie h?tte singen sollen, diese "neue Seele" - und nicht reden! Wie schade, dass ich, was ich damals zu sagen hatte, es nicht als Dichter zu sagen wagte: ich h?tte es vielleicht gekonnt! Oder mindestens als Philologe: - bleibt doch auch heute noch f?r den Philologen auf diesem Gebiete beinahe Alles zu entdecken und auszugraben! Vor allem das Problem, dass hier ein Problem vorliegt, - und dass die Griechen, so lange wir keine Antwort auf die Frage "was ist dionysisch?" haben, nach wie vor g?nzlich unerkannt und unvorstellbar sind...

Ja, was ist dionysisch? - In diesem Buche steht eine Antwort darauf, - ein "Wissender" redet da, der Eingeweihte und J?nger seines Gottes. Vielleicht w?rde ich jetzt vorsichtiger und weniger beredt von einer so schweren psychologischen Frage reden, wie sie der Ursprung der Trag?die bei den Griechen ist. Eine Grundfrage ist das Verh?ltniss des Griechen zum Schmerz, sein Grad von Sensibilit?t, - blieb dies Verh?ltniss sich gleich? oder drehte es sich um? - jene Frage, ob wirklich sein immer st?rkeres Verlangen nach Sch?nheit, nach Festen, Lustbarkeiten, neuen Culten, aus Mangel, aus Entbehrung, aus Melancholie, aus Schmerz erwachsen ist? Gesetzt n?mlich, gerade dies w?re wahr - und Perikles giebt es uns in der grossen Leichenrede zu verstehen -: woher m?sste dann das entgegengesetzte Verlangen, das der Zeit nach fr?her hervortrat, stammen, das Verlangen nach dem H?sslichen, der gute strenge Wille des ?lteren Hellenen zum Pessimismus, zum tragischen Mythus, zum Bilde alles Furchtbaren, B?sen, R?thselhaften, Vernichtenden, Verh?ngnissvollen auf dem Grunde des Daseins, - woher m?sste dann die Trag?die stammen? Vielleicht aus der Lust, aus der Kraft, aus ?berstr?mender Gesundheit, aus ?bergrosser F?lle? Und welche Bedeutung hat dann, physiologisch gefragt, jener Wahnsinn, aus dem die tragische wie die komische Kunst erwuchs, der dionysische Wahnsinn? Wie? Ist Wahnsinn vielleicht nicht nothwendig das Symptom der Entartung, des Niedergangs, der ?bersp?ten Cultur? Giebt es vielleicht - eine Frage f?r Irren?rzte - Neurosen der Gesundheit? der Volks-Jugend und -Jugendlichkeit? Worauf weist jene Synthesis von Gott und Bock im Satyr? Aus welchem Selbsterlebniss, auf welchen Drang hin musste sich der Grieche den dionysischen Schw?rmer und Urmenschen als Satyr denken? Und was den Ursprung des tragischen Chors betrifft: gab es in jenen Jahrhunderten, wo der griechische Leib bl?hte, die griechische Seele von Leben ?bersch?umte, vielleicht endemische Entz?ckungen? Visionen und Hallucinationen, welche sich ganzen Gemeinden, ganzen Cultversammlungen mittheilten? Wie? wenn die Griechen, gerade im Reichthum ihrer Jugend, den Willen zum Tragischen hatten und Pessimisten waren? wenn es gerade der Wahnsinn war, um ein Wort Plato's zu gebrauchen, der die gr?ssten Segnungen ?ber Hellas gebracht hat? Und wenn, andererseits und umgekehrt, die Griechen gerade in den Zeiten ihrer Aufl?sung und Schw?che, immer optimistischer, oberfl?chlicher, schauspielerischer, auch nach Logik und Logisirung der Welt br?nstiger, also zugleich "heiterer" und "wissenschaftlicher" wurden? Wie? k?nnte vielleicht, allen "modernen Ideen" und Vorurtheilen des demokratischen Geschmacks zum Trotz, der Sieg des Optimismus, die vorherrschend gewordene Vern?nftigkeit, der praktische und theoretische Utilitarismus, gleich der Demokratie selbst, mit der er gleichzeitig ist, - ein Symptom der absinkenden Kraft, des nahenden Alters, der physiologischen Erm?dung sein? Und gerade nicht - der Pessimismus? War Epikur ein Optimist - gerade als Leidender? - - Man sieht, es ist ein ganzes B?ndel schwerer Fragen, mit dem sich dieses Buch belastet hat, - f?gen wir seine schwerste Frage noch hinzu! Was bedeutet, unter der Optik des Lebens gesehn, - die Moral? . . .

Bereits im Vorwort an Richard Wagner wird die Kunst - und nicht die Moral - als die eigentlich metaphysische Th?tigkeit des Menschen hingestellt; im Buche selbst kehrt der anz?gliche Satz mehrfach wieder, dass nur als ?sthetisches Ph?nomen das Dasein der Welt gerechtfertigt ist. In der That, das ganze Buch kennt nur einen K?nstler-Sinn und - Hintersinn hinter allem Geschehen, - einen "Gott", wenn man will, aber gewiss nur einen g?nzlich unbedenklichen und unmoralischen K?nstler-Gott, der im Bauen wie im Zerst?ren, im Guten wie im Schlimmen, seiner gleichen Lust und Selbstherrlichkeit inne werden will, der sich, Welten schaffend, von der Noth der F?lle und Ueberf?lle, vom Leiden der in ihm gedr?ngten Gegens?tze l?st. Die Welt, in jedem Augenblicke die erreichte Erl?sung Gottes, als die ewig wechselnde, ewig neue Vision des Leidendsten, Gegens?tzlichsten, Widerspruchreichsten, der nur im Scheine sich zu erl?sen weiss: diese ganze Artisten-Metaphysik mag man willk?rlich, m?ssig, phantastisch nennen -, das Wesentliche daran ist, dass sie bereits einen Geist verr?th, der sich einmal auf jede Gefahr hin gegen die moralische Ausdeutung und Bedeutsamkeit des Daseins zur Wehre setzen wird. Hier k?ndigt sich, vielleicht zum ersten Male, ein Pessimismus "jenseits von Gut und B?se" an, hier kommt jene "Perversit?t der Gesinnung" zu Wort und Formel, gegen welche Schopenhauer nicht m?de geworden ist, im Voraus seine zornigsten Fl?che und Donnerkeile zu schleudern, - eine Philosophie, welche es wagt, die Moral selbst in die Welt der Erscheinung zu setzen, herabzusetzen und nicht nur unter die "Erscheinungen" , sondern unter die "T?uschungen", als Schein, Wahn, Irrthum, Ausdeutung, Zurechtmachung, Kunst. Vielleicht l?sst sich die Tiefe dieses widermoralischen Hanges am besten aus dem behutsamen und feindseligen Schweigen ermessen, mit dem in dem ganzen Buche das Christenthum behandelt ist, - das Christenthum als die ausschweifendste Durchfigurirung des moralischen Thema's, welche die Menschheit bisher anzuh?ren bekommen hat. In Wahrheit, es giebt zu der rein ?sthetischen Weltauslegung und Welt-Rechtfertigung, wie sie in diesem Buche gelehrt wird, keinen gr?sseren Gegensatz als die christliche Lehre, welche nur moralisch ist und sein will und mit ihren absoluten Maassen, zum Beispiel schon mit ihrer Wahrhaftigkeit Gottes, die Kunst, jede Kunst in's Reich der L?ge verweist, - das heisst verneint, verdammt, verurtheilt. Hinter einer derartigen Denk- und Werthungsweise, welche kunstfeindlich sein muss, so lange sie irgendwie ?cht ist, empfand ich von jeher auch das Lebensfeindliche, den ingrimmigen rachs?chtigen Widerwillen gegen das Leben selbst: denn alles Leben ruht auf Schein, Kunst, T?uschung, Optik, Nothwendigkeit des Perspektivischen und des Irrthums. Christenthum war von Anfang an, wesentlich und gr?ndlich, Ekel und Ueberdruss des Lebens am Leben, welcher sich unter dem Glauben an ein "anderes" oder "besseres" Leben nur verkleidete, nur versteckte, nur aufputzte. Der Hass auf die "Welt", der Fluch auf die Affekte, die Furcht vor der Sch?nheit und Sinnlichkeit, ein Jenseits, erfunden, um das Diesseits besser zu verleumden, im Grunde ein Verlangen in's Nichts, an's Ende, in's Ausruhen, hin zum "Sabbat der Sabbate" - dies Alles d?nkte mich, ebenso wie der unbedingte Wille des Christenthums, nur moralische Werthe gelten zu lassen, immer wie die gef?hrlichste und unheimlichste Form aller m?glichen Formen eines "Willens zum Untergang", zum Mindesten ein Zeichen tiefster Erkrankung, M?digkeit, Missmuthigkeit, Ersch?pfung, Verarmung an Leben, - denn vor der Moral muss das Leben best?ndig und unvermeidlich Unrecht bekommen, weil Leben etwas essentiell Unmoralisches ist, - muss endlich das Leben, erdr?ckt unter dem Gewichte der Verachtung und des ewigen Nein's, als begehrens-unw?rdig, als unwerth an sich empfunden werden. Moral selbst - wie? sollte Moral nicht ein "Wille zur Verneinung des Lebens", ein heimlicher Instinkt der Vernichtung, ein Verfalls-, Verkleinerungs-, Verleumdungsprincip, ein Anfang vom Ende sein? Und, folglich, die Gefahr der Gefahren?... Gegen die Moral also kehrte sich damals, mit diesem fragw?rdigen Buche, mein Instinkt, als ein f?rsprechender Instinkt des Lebens, und erfand sich eine grunds?tzliche Gegenlehre und Gegenwerthung des Lebens, eine rein artistische, eine antichristliche. Wie sie nennen? Als Philologe und Mensch der Worte taufte ich sie, nicht ohne einige Freiheit - denn wer w?sste den rechten Namen des Antichrist? - auf den Namen eines griechischen Gottes: ich hiess sie die dionysische. -

Man versteht, an welche Aufgabe ich bereits mit diesem Buche zu r?hren wagte?... Wie sehr bedauere ich es jetzt, dass ich damals noch nicht den Muth hatte, um mir in jedem Betrachte f?r so eigne Anschauungen und Wagnisse auch eine eigne Sprache zu erlauben, - dass ich m?hselig mit Schopenhauerischen und Kantischen Formeln fremde und neue Werthsch?tzungen auszudr?cken suchte, welche dem Geiste Kantens und Schopenhauers, ebenso wie ihrem Geschmacke, von Grund aus entgegen giengen! Wie dachte doch Schopenhauer ?ber die Trag?die? "Was allem Tragischen den eigenth?mlichen Schwung zur Erhebung giebt - sagt er, Welt als Wille und Vorstellung II, 495 - ist das Aufgehen der Erkenntniss, dass die Welt, das Leben kein rechtes Gen?gen geben k?nne, mithin unsrer Anh?nglichkeit nicht werth sei: darin besteht der tragische Geist -, er leitet demnach zur Resignation hin". Oh wie anders redete Dionysos zu mir! Oh wie ferne war mir damals gerade dieser ganze Resignationismus! - Aber es giebt etwas viel Schlimmeres an dem Buche, das ich jetzt noch mehr bedauere, als mit Schopenhauerischen Formeln dionysische Ahnungen verdunkelt und verdorben zu haben: dass ich mir n?mlich ?berhaupt das grandiose griechische Problem, wie mir es aufgegangen war, durch Einmischung der modernsten Dinge verdarb! Dass ich Hoffnungen ankn?pfte, wo Nichts zu hoffen war, wo Alles allzudeutlich auf ein Ende hinwies! Dass ich, auf Grund der deutschen letzten Musik, vom "deutschen Wesen" zu fabeln begann, wie als ob es eben im Begriff sei, sich selbst zu entdecken und wiederzufinden - und das zu einer Zeit, wo der deutsche Geist, der nicht vor Langem noch den Willen zur Herrschaft ?ber Europa, die Kraft zur F?hrung Europa's gehabt hatte, eben letztwillig und endg?ltig abdankte und, unter dem pomphaften Vorwande einer Reichs- Begr?ndung, seinen Uebergang zur Vermittelm?ssigung, zur Demokratie und den "modernen Ideen" machte! In der That, inzwischen lernte ich hoffnungslos und schonungslos genug von diesem "deutschen Wesen" denken, insgleichen von der jetzigen deutschen Musik, als welche Romantik durch und durch ist und die ungriechischeste aller m?glichen Kunstformen: ?berdies aber eine Nervenverderberin ersten Ranges, doppelt gef?hrlich, bei einem Volke, das den Trunk liebt und die Unklarheit als Tugend ehrt, n?mlich in ihrer doppelten Eigenschaft als berauschendes und zugleich benebelndes Narkotikum. - Abseits freilich von allen ?bereilten Hoffnungen und fehlerhaften Nutzanwendungen auf Gegenw?rtigstes, mit denen ich mir damals mein erstes Buch verdarb, bleibt das grosse dionysische Fragezeichen, wie es darin gesetzt ist, auch in Betreff der Musik, fort und fort bestehen: wie m?sste eine Musik beschaffen sein, welche nicht mehr romantischen Ursprungs w?re, gleich der deutschen, - sondern dionysischen? . . .

- Aber, mein Herr, was in aller Welt ist Romantik, wenn nicht Ihr Buch Romantik ist? L?sst sich der tiefe Hass gegen "Jetztzeit", "Wirklichkeit" und "moderne Ideen" weiter treiben, als es in Ihrer Artisten-Metaphysik geschehen ist? - welche lieber noch an das Nichts, lieber noch an den Teufel, als an das "Jetzt" glaubt? Brummt nicht ein Grundbass von Zorn und Vernichtungslust unter aller Ihrer contrapunktischen Stimmen-Kunst und Ohren-Verf?hrerei hinweg, eine w?thende Entschlossenheit gegen Alles, was "jetzt" ist, ein Wille, welcher nicht gar zu ferne vom praktischen Nihilismus ist und zu sagen scheint "lieber mag Nichts wahr sein, als dass ihr Recht h?ttet, als dass eure Wahrheit Recht behielte!" H?ren Sie selbst, mein Herr Pessimist und Kunstverg?ttlicher, mit aufgeschlossnerem Ohre eine einzige ausgew?hlte Stelle Ihres Buches an, jene nicht unberedte Drachent?dter-Stelle, welche f?r junge Ohren und Herzen verf?nglich rattenf?ngerisch klingen mag: wie? ist das nicht das ?chte rechte Romantiker-Bekenntniss von 1830, unter der Maske des Pessimismus von 1850 hinter dem auch schon das ?bliche Romantiker-Finale pr?ludirt, - Bruch, Zusammenbruch, R?ckkehr und Niedersturz vor einem alten Glauben, vor dem alten Gotte . . . Wie? ist Ihr Pessimisten-Buch nicht selbst ein St?ck Antigriechenthum und Romantik, selbst etwas "ebenso Berauschendes als Benebelndes", ein Narkotikum jedenfalls, ein St?ck Musik sogar, deutscher Musik? Aber man h?re:

"Denken wir uns eine heranwachsende Generation mit dieser Unerschrockenheit des Blicks, mit diesem heroischen Zug in's Ungeheure, denken wir uns den k?hnen Schritt dieser Drachent?dter, die stolze Verwegenheit, mit der sie allen den Schw?chlichkeitsdoktrinen des Optimismus den R?cken kehren, um im Ganzen und Vollen, resolut zu leben: sollte es nicht n?thig sein, dass der tragische Mensch dieser Cultur, bei seiner Selbsterziehung zum Ernst und zum Schrecken, eine neue Kunst, die Kunst des metaphysischen Trostes, die Trag?die als die ihm zugeh?rige Helena begehren und mit Faust ausrufen muss:

Und sollt' ich nicht, sehns?chtigster Gewalt, In's Leben zieh'n die einzigste Gestalt?"

"Sollte es nicht n?thig sein?" . . . Nein, drei Mal nein! ihr jungen Romantiker: es sollte nicht n?thig sein! Aber es ist sehr wahrscheinlich, dass es so endet, dass ihr so endet, n?mlich "getr?stet", wie geschrieben steht, trotz aller Selbsterziehung zum Ernst und zum Schrecken, "metaphysisch getr?stet", kurz, wie Romantiker enden, christlich Nein! Ihr solltet vorerst die Kunst des diesseitigen Trostes lernen, - ihr solltet lachen lernen, meine jungen Freunde, wenn anders ihr durchaus Pessimisten bleiben wollt; vielleicht dass ihr darauf hin, als Lachende, irgendwann einmal alle metaphysische Tr?sterei zum Teufel schickt - und die Metaphysik voran! Oder, um es in der Sprache jenes dionysischen Unholds zu sagen, der Zarathustra heisst:

"Erhebt eure Herzen, meine Br?der, hoch, h?her! Und vergesst mir auch die Beine nicht! Erhebt auch eure Beine, ihr guten T?nzer, und besser noch: ihr steht auch auf dem Kopf!"

"Diese Krone des Lachenden, diese Rosenkranz-Krone: ich selber setzte mir diese Krone auf, ich selber sprach heilig mein Gel?chter. Keinen Anderen fand ich heute stark genug dazu."

"Zarathustra der T?nzer, Zarathustra der Leichte, der mit den Fl?geln winkt, ein Flugbereiter, allen V?geln zuwinkend, bereit und fertig, ein Selig-Leichtfertiger:" -

"Zarathustra der Wahrsager, Zarathustra der Wahrlacher, kein Ungeduldiger, kein Unbedingter, Einer, der Spr?nge und Seitenspr?nge liebt: ich selber setzte mir diese Krone auf!"

"Diese Krone des Lachenden, diese Rosenkranz-Krone: euch, meinen Br?dern, werfe ich diese Krone zu! Das Lachen sprach ich heilig: ihr h?heren Menschen, lernt mir - lachen!"

Vorwort an Richard Wagner.

Um mir alle die m?glichen Bedenklichkeiten, Aufregungen und Missverst?ndnisse ferne zu halten, zu denen die in dieser Schrift vereinigten Gedanken bei dem eigenth?mlichen Character unserer aesthetischen Oeffentlichkeit Anlass geben werden, und um auch die Einleitungsworte zu derselben mit der gleichen beschaulichen Wonne schreiben zu k?nnen, deren Zeichen sie selbst, als das Petrefact guter und erhebender Stunden, auf jedem Blatte tr?gt, vergegenw?rtige ich mir den Augenblick, in dem Sie, mein hochverehrter Freund, diese Schrift empfangen werden: wie Sie, vielleicht nach einer abendlichen Wanderung im Winterschnee, den entfesselten Prometheus auf dem Titelblatte betrachten, meinen Namen lesen und sofort ?berzeugt sind, dass, mag in dieser Schrift stehen, was da wolle, der Verfasser etwas Ernstes und Eindringliches zu sagen hat, ebenfalls dass er, bei allem, was er sich erdachte, mit Ihnen wie mit einem Gegenw?rtigen verkehrte und nur etwas dieser Gegenwart Entsprechendes niederschreiben durfte. Sie werden dabei sich erinnern, dass ich zu gleicher Zeit, als Ihre herrliche Festschrift ?ber Beethoven entstand, das heisst in den Schrecken und Erhabenheiten des eben ausgebrochnen Krieges mich zu diesen Gedanken sammelte. Doch w?rden diejenigen irren, welche etwa bei dieser Sammlung an den Gegensatz von patriotischer Erregung und aesthetischer Schwelgerei, von tapferem Ernst und heiterem Spiel denken sollten: denen m?chte vielmehr, bei einem wirklichen Lesen dieser Schrift, zu ihrem Erstaunen deutlich werden, mit welchem ernsthaft deutschen Problem wir zu thun haben, das von uns recht eigentlich in die Mitte deutscher Hoffnungen, als Wirbel und Wendepunkt hingestellt wird. Vielleicht aber wird es f?r eben dieselben ?berhaupt anst?ssig sein, ein aesthetisches Problem so ernst genommen zu sehn, falls sie n?mlich in der Kunst nicht mehr als ein lustiges Nebenbei, als ein auch wohl zu missendes Schellengeklingel zum "Ernst des Daseins" zu erkennen im Stande sind: als ob Niemand w?sste, was es bei dieser Gegen?berstellung mit einem solchen "Ernste des Daseins" auf sich habe. Diesen Ernsthaften diene zur Belehrung, dass ich von der Kunst als der h?chsten Aufgabe und der eigentlich metaphysischen Th?tigkeit dieses Lebens im Sinne des Mannes ?berzeugt bin, dem ich hier, als meinem erhabenen Vork?mpfer auf dieser Bahn, diese Schrift gewidmet haben will.

Basel, Ende des Jahres 187l.

Wir werden viel f?r die aesthetische Wissenschaft gewonnen haben, wenn wir nicht nur zur logischen Einsicht, sondern zur unmittelbaren Sicherheit der Anschauung gekommen sind, dass die Fortentwickelung der Kunst an die Duplicit?t des Apollinischen und des Dionysischen gebunden ist: in ?hnlicher Weise, wie die Generation von der Zweiheit der Geschlechter, bei fortw?hrendem Kampfe und nur periodisch eintretender Vers?hnung, abh?ngt. Diese Namen entlehnen wir von den Griechen, welche die tiefsinnigen Geheimlehren ihrer Kunstanschauung zwar nicht in Begriffen, aber in den eindringlich deutlichen Gestalten ihrer G?tterwelt dem Einsichtigen vernehmbar machen. An ihre beiden Kunstgottheiten, Apollo und Dionysus, kn?pft sich unsere Erkenntniss, dass in der griechischen Welt ein ungeheurer Gegensatz, nach Ursprung und Zielen, zwischen der Kunst des Bildners, der apollinischen, und der unbildlichen Kunst der Musik, als der des Dionysus, besteht: beide so verschiedne Triebe gehen neben einander her, zumeist im offnen Zwiespalt mit einander und sich gegenseitig zu immer neuen kr?ftigeren Geburten reizend, um in ihnen den Kampf jenes Gegensatzes zu perpetuiren, den das gemeinsame Wort "Kunst" nur scheinbar ?berbr?ckt; bis sie endlich, durch einen metaphysischen Wunderakt des hellenischen "Willens", mit einander gepaart erscheinen und in dieser Paarung zuletzt das ebenso dionysische als apollinische Kunstwerk der attischen Trag?die erzeugen.

Um uns jene beiden Triebe n?her zu bringen, denken wir sie uns zun?chst als die getrennten Kunstwelten des Traumes und des Rausches; zwischen welchen physiologischen Erscheinungen ein entsprechender Gegensatz, wie zwischen dem Apollinischen und dem Dionysischen zu bemerken ist. Im Traume traten zuerst, nach der Vorstellung des Lucretius, die herrlichen G?ttergestalten vor die Seelen der Menschen, im Traume sah der grosse Bildner den entz?ckenden Gliederbau ?bermenschlicher Wesen, und der hellenische Dichter, um die Geheimnisse der poetischen Zeugung befragt, w?rde ebenfalls an den Traum erinnert und eine ?hnliche Belehrung gegeben haben, wie sie Hans Sachs in den Meistersingern giebt:

Mein Freund, das grad' ist Dichters Werk, dass er sein Tr?umen deut' und merk'. Glaubt mir, des Menschen wahrster Wahn wird ihm im Traume aufgethan: all' Dichtkunst und Po?terei ist nichts als Wahrtraum-Deuterei.

Der sch?ne Schein der Traumwelten, in deren Erzeugung jeder Mensch voller K?nstler ist, ist die Voraussetzung aller bildenden Kunst, ja auch, wie wir sehen werden, einer wichtigen H?lfte der Poesie. Wir geniessen im unmittelbaren Verst?ndnisse der Gestalt, alle Formen sprechen zu uns, es giebt nichts Gleichg?ltiges und Unn?thiges. Bei dem h?chsten Leben dieser Traumwirklichkeit haben wir doch noch die durchschimmernde Empfindung ihres Scheins: wenigstens ist dies meine Erfahrung, f?r deren H?ufigkeit, ja Normalit?t, ich manches Zeugniss und die Ausspr?che der Dichter beizubringen h?tte. Der philosophische Mensch hat sogar das Vorgef?hl, dass auch unter dieser Wirklichkeit, in der wir leben und sind, eine zweite ganz andre verborgen liege, dass also auch sie ein Schein sei; und Schopenhauer bezeichnet geradezu die Gabe, dass Einem zu Zeiten die Menschen und alle Dinge als blosse Phantome oder Traumbilder vorkommen, als das Kennzeichen philosophischer Bef?higung. Wie nun der Philosoph zur Wirklichkeit des Daseins, so verh?lt sich der k?nstlerisch erregbare Mensch zur Wirklichkeit des Traumes; er sieht genau und gern zu: denn aus diesen Bildern deutet er sich das Leben, an diesen Vorg?ngen ?bt er sich f?r das Leben. Nicht etwa nur die angenehmen und freundlichen Bilder sind es, die er mit jener Allverst?ndigkeit an sich erf?hrt: auch das Ernste, Tr?be, Traurige, Finstere, die pl?tzlichen Hemmungen, die Neckereien des Zufalls, die b?nglichen Erwartungen, kurz die ganze "g?ttliche Kom?die" des Lebens, mit dem Inferno, zieht an ihm vorbei, nicht nur wie ein Schattenspiel - denn er lebt und leidet mit in diesen Scenen - und doch auch nicht ohne jene fl?chtige Empfindung des Scheins; und vielleicht erinnert sich Mancher, gleich mir, in den Gef?hrlichkeiten und Schrecken des Traumes sich mitunter ermuthigend und mit Erfolg zugerufen zu haben: "Es ist ein Traum! Ich will ihn weiter tr?umen!" Wie man mir auch von Personen erz?hlt hat, die die Causalit?t eines und desselben Traumes ?ber drei und mehr aufeinanderfolgende N?chte hin fortzusetzen im Stande waren: Thatsachen, welche deutlich Zeugniss daf?r abgeben, dass unser innerstes Wesen, der gemeinsame Untergrund von uns allen, mit tiefer Lust und freudiger Nothwendigkeit den Traum an sich erf?hrt.

Diese freudige Nothwendigkeit der Traumerfahrung ist gleichfalls von den Griechen in ihrem Apollo ausgedr?ckt worden: Apollo, als der Gott aller bildnerischen Kr?fte, ist zugleich der wahrsagende Gott. Er, der seiner Wurzel nach der "Scheinende", die Lichtgottheit ist, beherrscht auch den sch?nen Schein der inneren Phantasie-Welt. Die h?here Wahrheit, die Vollkommenheit dieser Zust?nde im Gegensatz zu der l?ckenhaft verst?ndlichen Tageswirklichkeit, sodann das tiefe Bewusstsein von der in Schlaf und Traum heilenden und helfenden Natur ist zugleich das symbolische Analogon der wahrsagenden F?higkeit und ?berhaupt der K?nste, durch die das Leben m?glich und lebenswerth gemacht wird. Aber auch jene zarte Linie, die das Traumbild nicht ?berschreiten darf, um nicht pathologisch zu wirken, widrigenfalls der Schein als plumpe Wirklichkeit uns betr?gen w?rde - darf nicht im Bilde des Apollo fehlen: jene maassvolle Begrenzung, jene Freiheit von den wilderen Regungen, jene weisheitsvolle Ruhe des Bildnergottes. Sein Auge muss "sonnenhaft", gem?ss seinem Ursprunge, sein; auch wenn es z?rnt und unmuthig blickt, liegt die Weihe des sch?nen Scheines auf ihm. Und so m?chte von Apollo in einem excentrischen Sinne das gelten, was Schopenhauer von dem im Schleier der Maja befangenen Menschen sagt. Welt als Wille und Vorstellung I, S. 416 "Wie auf dem tobenden Meere, das, nach allen Seiten unbegr?nzt, heulend Wellenberge erhebt und senkt, auf einem Kahn ein Schiffer sitzt, dem schwachen Fahrzeug vertrauend; so sitzt, mitten in einer Welt von Qualen, ruhig der einzelne Mensch, gest?tzt und vertrauend auf das principium individuationis". Ja es w?re von Apollo zu sagen, dass in ihm das unersch?tterte Vertrauen auf jenes principium und das ruhige Dasitzen des in ihm Befangenen seinen erhabensten Ausdruck bekommen habe, und man m?chte selbst Apollo als das herrliche G?tterbild des principii individuationis bezeichnen, aus dessen Geb?rden und Blicken die ganze Lust und Weisheit des "Scheines", sammt seiner Sch?nheit, zu uns spr?che.

An derselben Stelle hat uns Schopenhauer das ungeheure Grausen geschildert, welches den Menschen ergreift, wenn er pl?tzlich an den Erkenntnissformen der Erscheinung irre wird, indem der Satz vom Grunde, in irgend einer seiner Gestaltungen, eine Ausnahme zu erleiden scheint. Wenn wir zu diesem Grausen die wonnevolle Verz?ckung hinzunehmen, die bei demselben Zerbrechen des principii individuationis aus dem innersten Grunde des Menschen, ja der Natur emporsteigt, so thun wir einen Blick in das Wesen des Dionysischen, das uns am n?chsten noch durch die Analogie des Rausches gebracht wird. Entweder durch den Einfluss des narkotischen Getr?nkes, von dem alle urspr?nglichen Menschen und V?lker in Hymnen sprechen, oder bei dem gewaltigen, die ganze Natur lustvoll durchdringenden Nahen des Fr?hlings erwachen jene dionysischen Regungen, in deren Steigerung das Subjective zu v?lliger Selbstvergessenheit hinschwindet. Auch im deutschen Mittelalter w?lzten sich unter der gleichen dionysischen Gewalt immer wachsende Schaaren, singend und tanzend, von Ort zu Ort: in diesen Sanct-Johann- und Sanct-Veitt?nzern erkennen wir die bacchischen Ch?re der Griechen wieder, mit ihrer Vorgeschichte in Kleinasien, bis hin zu Babylon und den orgiastischen Sak?en. Es giebt Menschen, die, aus Mangel an Erfahrung oder aus Stumpfsinn, sich von solchen Erscheinungen wie von "Volkskrankheiten", sp?ttisch oder bedauernd im Gef?hl der eigenen Gesundheit abwenden: die Armen ahnen freilich nicht, wie leichenfarbig und gespenstisch eben diese ihre "Gesundheit" sich ausnimmt, wenn an ihnen das gl?hende Leben dionysischer Schw?rmer vor?berbraust.

Unter dem Zauber des Dionysischen schliesst sich nicht nur der Bund zwischen Mensch und Mensch wieder zusammen: auch die entfremdete, feindliche oder unterjochte Natur feiert wieder ihr Vers?hnungsfest mit ihrem verlorenen Sohne, dem Menschen. Freiwillig beut die Erde ihre Gaben, und friedfertig nahen die Raubthiere der Felsen und der W?ste. Mit Blumen und Kr?nzen ist der Wagen des Dionysus ?bersch?ttet: unter seinem Joche schreiten Panther und Tiger. Man verwandele das Beethoven'sche Jubellied der "Freude" in ein Gem?lde und bleibe mit seiner Einbildungskraft nicht zur?ck, wenn die Millionen schauervoll in den Staub sinken: so kann man sich dem Dionysischen n?hern. Jetzt ist der Sclave freier Mann, jetzt zerbrechen alle die starren, feindseligen Abgrenzungen, die Noth, Willk?r oder "freche Mode" zwischen den Menschen festgesetzt haben. Jetzt, bei dem Evangelium der Weltenharmonie, f?hlt sich Jeder mit seinem N?chsten nicht nur vereinigt, vers?hnt, verschmolzen, sondern eins, als ob der Schleier der Maja zerrissen w?re und nur noch in Fetzen vor dem geheimnissvollen Ur-Einen herumflattere. Singend und tanzend ?ussert sich der Mensch als Mitglied einer h?heren Gemeinsamkeit: er hat das Gehen und das Sprechen verlernt und ist auf dem Wege, tanzend in die L?fte emporzufliegen. Aus seinen Geb?rden spricht die Verzauberung. Wie jetzt die Thiere reden, und die Erde Milch und Honig giebt, so t?nt auch aus ihm etwas Uebernat?rliches: als Gott f?hlt er sich, er selbst wandelt jetzt so verz?ckt und erhoben, wie er die G?tter im Traume wandeln sah. Der Mensch ist nicht mehr K?nstler, er ist Kunstwerk geworden: die Kunstgewalt der ganzen Natur, zur h?chsten Wonnebefriedigung des Ur-Einen, offenbart sich hier unter den Schauern des Rausches. Der edelste Thon, der kostbarste Marmor wird hier geknetet und behauen, der Mensch, und zu den Meisselschl?gen des dionysischen Weltenk?nstlers t?nt der eleusinische Mysterienruf: "Ihr st?rzt nieder, Millionen? Ahnest du den Sch?pfer, Welt?" -

Wir haben bis jetzt das Apollinische und seinen Gegensatz, das Dionysische, als k?nstlerische M?chte betrachtet, die aus der Natur selbst, ohne Vermittelung des menschlichen K?nstlers, hervorbrechen, und in denen sich ihre Kunsttriebe zun?chst und auf directem Wege befriedigen: einmal als die Bilderwelt des Traumes, deren Vollkommenheit ohne jeden Zusammenhang mit der intellectuellen H?he oder k?nstlerischen Bildung des Einzelnen ist, andererseits als rauschvolle Wirklichkeit, die wiederum des Einzelnen nicht achtet, sondern sogar das Individuum zu vernichten und durch eine mystische Einheitsempfindung zu erl?sen sucht. Diesen unmittelbaren Kunstzust?nden der Natur gegen?ber ist jeder K?nstler "Nachahmer", und zwar entweder apollinischer Traumk?nstler oder dionysischer Rauschk?nstler oder endlich - wie beispielsweise in der griechischen Trag?die - zugleich Rausch- und Traumk?nstler: als welchen wir uns etwa zu denken haben, wie er, in der dionysischen Trunkenheit und mystischen Selbstent?usserung, einsam und abseits von den schw?rmenden Ch?ren niedersinkt und wie sich ihm nun, durch apollinische Traumeinwirkung, sein eigener Zustand d.h. seine Einheit mit dem innersten Grunde der Welt in einem gleichnissartigen Traumbilde offenbart.

Nach diesen allgemeinen Voraussetzungen und Gegen?berstellungen nahen wir uns jetzt den Griechen, um zu erkennen, in welchem Grade und bis zu welcher H?he jene Kunsttriebe der Natur in ihnen entwickelt gewesen sind: wodurch wir in den Stand gesetzt werden, das Verh?ltniss des griechischen K?nstlers zu seinen Urbildern, oder, nach dem aristotelischen Ausdrucke, "die Nachahmung der Natur" tiefer zu verstehn und zu w?rdigen. Von den Tr?umen der Griechen ist trotz aller Traumlitteratur derselben und zahlreichen Traumanecdoten nur vermuthungsweise, aber doch mit ziemlicher Sicherheit zu sprechen: bei der unglaublich bestimmten und sicheren plastischen Bef?higung ihres Auges, sammt ihrer hellen und aufrichtigen Farbenlust, wird man sich nicht entbrechen k?nnen, zur Besch?mung aller Sp?tergeborenen, auch f?r ihre Tr?ume eine logische Causalit?t der Linien und Umrisse, Farben und Gruppen, eine ihren besten Reliefs ?hnelnde Folge der Scenen vorauszusetzen, deren Vollkommenheit uns, wenn eine Vergleichung m?glich w?re, gewiss berechtigen w?rde, die tr?umenden Griechen als Homere und Homer als einen tr?umenden Griechen zu bezeichnen: in einem tieferen Sinne als wenn der moderne Mensch sich hinsichtlich seines Traumes mit Shakespeare zu vergleichen wagt.

Dagegen brauchen wir nicht nur vermuthungsweise zu sprechen, wenn die ungeheure Kluft aufgedeckt werden soll, welche die dionysischen Griechen von den dionysischen Barbaren trennt. Aus allen Enden der alten Welt - um die neuere hier bei Seite zu lassen - von Rom bis Babylon k?nnen wir die Existenz dionysischer Feste nachweisen, deren Typus sich, besten Falls, zu dem Typus der griechischen verh?lt, wie der b?rtige Satyr, dem der Bock Namen und Attribute verlieh, zu Dionysus selbst. Fast ?berall lag das Centrum dieser Feste in einer ?berschw?nglichen geschlechtlichen Zuchtlosigkeit, deren Wellen ?ber jedes Familienthum und dessen ehrw?rdige Satzungen hinweg flutheten; gerade die wildesten Bestien der Natur wurden hier entfesselt, bis zu jener abscheulichen Mischung von Wollust und Grausamkeit, die mir immer als der eigentliche "Hexentrank" erschienen ist. Gegen die fieberhaften Regungen jener Feste, deren Kenntniss auf allen Land- und Seewegen zu den Griechen drang, waren sie, scheint es, eine Zeit lang v?llig gesichert und gesch?tzt durch die hier in seinem ganzen Stolz sich aufrichtende Gestalt des Apollo, der das Medusenhaupt keiner gef?hrlicheren Macht entgegenhalten konnte als dieser fratzenhaft ungeschlachten dionysischen. Es ist die dorische Kunst, in der sich jene majest?tisch-ablehnende Haltung des Apollo verewigt hat. Bedenklicher und sogar unm?glich wurde dieser Widerstand, als endlich aus der tiefsten Wurzel des Hellenischen heraus sich ?hnliche Triebe Bahnbrachen: jetzt beschr?nkte sich das Wirken des delphischen Gottes darauf, dem gewaltigen Gegner durch eine zur rechten Zeit abgeschlossene Vers?hnung die vernichtenden Waffen aus der Hand zu nehmen. Diese Vers?hnung ist der wichtigste Moment in der Geschichte des griechischen Cultus: wohin man blickt, sind die Umw?lzungen dieses Ereignisses sichtbar. Es war die Vers?hnung zweier Gegner, mit scharfer Bestimmung ihrer von jetzt ab einzuhaltenden Grenzlinien und mit periodischer Uebersendung von Ehrengeschenken; im Grunde war die Kluft nicht ?berbr?ckt. Sehen wir aber, wie sich unter dem Drucke jenes Friedensschlusses die dionysische Macht offenbarte, so erkennen wir jetzt, im Vergleiche mit jenen babylonischen Sak?en und ihrem R?ckschritte des Menschen zum Tiger und Affen, in den dionysischen Orgien der Griechen die Bedeutung von Welterl?sungsfesten und Verkl?rungstagen.

Erst bei ihnen erreicht die Natur ihren k?nstlerischen Jubel, erst bei ihnen wird die Zerreissung des principii individuationis ein k?nstlerisches Ph?nomen. Jener scheussliche Hexentrank aus Wollust und Grausamkeit war hier ohne Kraft: nur die wundersame Mischung und Doppelheit in den Affecten der dionysischen Schw?rmer erinnert an ihn - wie Heilmittel an t?dtliche Gifte erinnern -, jene Erscheinung, dass Schmerzen Lust erwecken, dass der Jubel der Brust qualvolle T?ne entreisst. Aus der h?chsten Freude t?nt der Schrei des Entsetzens oder der sehnende Klagelaut ?ber einen unersetzlichen Verlust. In jenen griechischen Festen bricht gleichsam ein sentimentalischer Zug der Natur hervor, als ob sie ?ber ihre Zerst?ckelung in Individuen zu seufzen habe. Der Gesang und die Geb?rdensprache solcher zwiefach gestimmter Schw?rmer war f?r die homerisch- griechische Welt etwas Neues und Unerh?rtes: und insbesondere erregte ihr die dionysische Musik Schrecken und Grausen. Wenn die Musik scheinbar bereits als eine apollinische Kunst bekannt war, so war sie dies doch nur, genau genommen, als Wellenschlag des Rhythmus, dessen bildnerische Kraft zur Darstellung apollinischer Zust?nde entwickelt wurde. Die Musik des Apollo war dorische Architektonik in T?nen, aber in nur angedeuteten T?nen, wie sie der Kithara zu eigen sind. Behutsam ist gerade das Element, als unapollinisch, ferngehalten, das den Charakter der dionysischen Musik und damit der Musik ?berhaupt ausmacht, die ersch?tternde Gewalt des Tones, der einheitliche Strom des Melos und die durchaus unvergleichliche Welt der Harmonie. Im dionysischen Dithyrambus wird der Mensch zur h?chsten Steigerung aller seiner symbolischen F?higkeiten gereizt; etwas Nieempfundenes dr?ngt sich zur Aeusserung, die Vernichtung des Schleiers der Maja, das Einssein als Genius der Gattung, ja der Natur. Jetzt soll sich das Wesen der Natur symbolisch ausdr?cken; eine neue Welt der Symbole ist n?thig, einmal die ganze leibliche Symbolik, nicht nur die Symbolik des Mundes, des Gesichts, des Wortes, sondern die volle, alle Glieder rhythmisch bewegende Tanzgeb?rde. Sodann wachsen die anderen symbolischen Kr?fte, die der Musik, in Rhythmik, Dynamik und Harmonie, pl?tzlich ungest?m. Um diese Gesammtentfesselung aller symbolischen Kr?fte zu fassen, muss der Mensch bereits auf jener H?he der Selbstent?usserung angelangt sein, die in jenen Kr?ften sich symbolisch aussprechen will: der dithyrambische Dionysusdiener wird somit nur von Seinesgleichen verstanden! Mit welchem Erstaunen musste der apollinische Grieche auf ihn blicken! Mit einem Erstaunen, das um so gr?sser war, als sich ihm das Grausen beimischte, dass ihm jenes Alles doch eigentlich so fremd nicht sei, ja dass sein apollinisches Bewusstsein nur wie ein Schleier diese dionysische Welt vor ihm verdecke.

Um dies zu begreifen, m?ssen wir jenes kunstvolle Geb?ude der apollinischen Cultur gleichsam Stein um Stein abtragen, bis wir die Fundamente erblicken, auf die es begr?ndet ist. Hier gewahren wir nun zuerst die herrlichen olympischen G?ttergestalten, die auf den Giebeln dieses Geb?udes stehen, und deren Thaten in weithin leuchtenden Reliefs dargestellt seine Friese zieren. Wenn unter ihnen auch Apollo steht, als eine einzelne Gottheit neben anderen und ohne den Anspruch einer ersten Stellung, so d?rfen wir uns dadurch nicht beirren lassen. Derselbe Trieb, der sich in Apollo versinnlichte, hat ?berhaupt jene ganze olympische Welt geboren, und in diesem Sinne darf uns Apollo als Vater derselben gelten. Welches war das ungeheure Bed?rfniss, aus dem eine so leuchtende Gesellschaft olympischer Wesen entsprang?

Wer, mit einer anderen Religion im Herzen, an diese Olympier herantritt und nun nach sittlicher H?he, ja Heiligkeit, nach unleiblicher Vergeistigung, nach erbarmungsvollen Liebesblicken bei ihnen sucht, der wird unmuthig und entt?uscht ihnen bald den R?cken kehren m?ssen. Hier erinnert nichts an Askese, Geistigkeit und Pflicht: hier redet nur ein ?ppiges, ja triumphirendes Dasein zu uns, in dem alles Vorhandene verg?ttlicht ist, gleichviel ob es gut oder b?se ist. Und so mag der Beschauer recht betroffen vor diesem phantastischen Ueberschwang des Lebens stehn, um sich zu fragen, mit welchem Zaubertrank im Leibe diese ?berm?thigen Menschen das Leben genossen haben m?gen, dass, wohin sie sehen, Helena, das "in s?sser Sinnlichkeit schwebende" Idealbild ihrer eignen Existenz, ihnen entgegenlacht. Diesem bereits r?ckw?rts gewandten Beschauer m?ssen wir aber zurufen: "Geh' nicht von dannen, sondern h?re erst, was die griechische Volksweisheit von diesem selben Leben aussagt, das sich hier mit so unerkl?rlicher Heiterkeit vor dir ausbreitet. Es geht die alte Sage, dass K?nig Midas lange Zeit nach dem weisen Silen, dem Begleiter des Dionysus, im Walde gejagt habe, ohne ihn zu fangen. Als er ihm endlich in die H?nde gefallen ist, fragt der K?nig, was f?r den Menschen das Allerbeste und Allervorz?glichste sei. Starr und unbeweglich schweigt der D?mon; bis er, durch den K?nig gezwungen, endlich unter gellem Lachen in diese Worte ausbricht: `Elendes Eintagsgeschlecht, des Zufalls Kinder und der M?hsal, was zwingst du mich dir zu sagen, was nicht zu h?ren f?r dich das Erspriesslichste ist? Das Allerbeste ist f?r dich g?nzlich unerreichbar: nicht geboren zu sein, nicht zu sein, nichts zu sein. Das Zweitbeste aber ist f?r dich - bald zu sterben`."

Wie verh?lt sich zu dieser Volksweisheit die olympische G?tterwelt? Wie die entz?ckungsreiche Vision des gefolterten M?rtyrers zu seinen Peinigungen.

Jetzt ?ffnet sich uns gleichsam der olympische Zauberberg und zeigt uns seine Wurzeln. Der Grieche kannte und empfand die Schrecken und Entsetzlichkeiten des Daseins: um ?berhaupt leben zu k?nnen, musste er vor sie hin die gl?nzende Traumgeburt der Olympischen stellen. Jenes ungeheure Misstrauen gegen die titanischen M?chte der Natur, jene ?ber allen Erkenntnissen erbarmungslos thronende Moira jener Geier des grossen Menschenfreundes Prometheus, jenes Schreckensloos des weisen Oedipus, jener Geschlechtsfluch der Atriden, der Orest zum Muttermorde zwingt, kurz jene ganze Philosophie des Waldgottes, sammt ihren mythischen Exempeln, an der die schwerm?thigen Etrurier zu Grunde gegangen sind - wurde von den Griechen durch jene k?nstlerische Mittelwelt der Olympier fortw?hrend von Neuem ?berwunden, jedenfalls verh?llt und dem Anblick entzogen. Um leben zu k?nnen, mussten die Griechen diese G?tter, aus tiefster N?thigung, schaffen: welchen Hergang wir uns wohl so vorzustellen haben, dass aus der urspr?nglichen titanischen G?tterordnung des Schreckens durch jenen apollinischen Sch?nheitstrieb in langsamen Ueberg?ngen die olympische G?tterordnung der Freude entwickelt wurde: wie Rosen aus dornigem Geb?sch hervorbrechen. Wie anders h?tte jenes so reizbar empfindende, so ungest?m begehrende, zum Leiden so einzig bef?higte Volk das Dasein ertragen k?nnen, wenn ihm nicht dasselbe, von einer h?heren Glorie umflossen, in seinen G?ttern gezeigt worden w?re. Derselbe Trieb, der die Kunst in's Leben ruft, als die zum Weiterleben verf?hrende Erg?nzung und Vollendung des Daseins, liess auch die olympische Welt entstehn, in der sich der hellenische "Wille" einen verkl?renden Spiegel vorhielt. So rechtfertigen die G?tter das Menschenleben, indem sie es selbst leben - die allein gen?gende Theodicee! Das Dasein unter dem hellen Sonnenscheine solcher G?tter wird als das an sich Erstrebenswerthe empfunden, und der eigentliche Schmerz der homerischen Menschen bezieht sich auf das Abscheiden aus ihm, vor allem auf das baldige Abscheiden: so dass man jetzt von ihnen, mit Umkehrung der silenischen Weisheit, sagen k?nnte, "das Allerschlimmste sei f?r sie, bald zu sterben, das Zweitschlimmste, ?berhaupt einmal zu sterben". Wenn die Klage einmal ert?nt, so klingt sie wieder vom kurzlebenden Achilles, von dem bl?ttergleichen Wechsel und Wandel des Menschengeschlechts, von dem Untergang der Heroenzeit. Es ist des gr?ssten Helden nicht unw?rdig, sich nach dem Weiterleben zu sehnen, sei es selbst als Tagel?hner. So ungest?m verlangt, auf der apollinischen Stufe, der "Wille" nach diesem Dasein, so eins f?hlt sich der homerische Mensch mit ihm, dass selbst die Klage zu seinem Preisliede wird.

Hier muss nun ausgesprochen werden, dass diese von den neueren Menschen so sehns?chtig angeschaute Harmonie, ja Einheit des Menschen mit der Natur, f?r die Schiller das Kunstwort "naiv" in Geltung gebracht hat, keinesfalls ein so einfacher, sich von selbst ergebender, gleichsam unvermeidlicher Zustand ist, dem wir an der Pforte jeder Cultur, als einem Paradies der Menschheit begegnen m?ssten: dies konnte nur eine Zeit glauben, die den Emil Rousseau's sich auch als K?nstler zu denken suchte und in Homer einen solchen am Herzen der Natur erzogenen K?nstler Emil gefunden zu haben w?hnte. Wo uns das "Naive" in der Kunst begegnet, haben wir die h?chste Wirkung der apollinischen Cultur zu erkennen: welche immer erst ein Titanenreich zu st?rzen und Ungeth?me zu t?dten hat und durch kr?ftige Wahnvorspiegelungen und lustvolle Illusionen ?ber eine schreckliche Tiefe der Weltbetrachtung und reizbarste Leidensf?higkeit Sieger geworden sein muss. Aber wie selten wird das Naive, jenes v?llige Verschlungensein in der Sch?nheit des Scheines, erreicht! Wie unaussprechbar erhaben ist deshalb Homer, der sich, als Einzelner, zu jener apollinischen Volkscultur verh?lt, wie der einzelne Traumk?nstler zur Traumbef?higung des Volks und der Natur ?berhaupt. Die homerische "Naivet?t" ist nur als der vollkommene Sieg der apollinischen Illusion zu begreifen: es ist dies eine solche Illusion, wie sie die Natur, zur Erreichung ihrer Absichten, so h?ufig verwendet. Das wahre Ziel wird durch ein Wahnbild verdeckt: nach diesem strecken wir die H?nde aus, und jenes erreicht die Natur durch unsre T?uschung. In den Griechen wollte der "Wille" sich selbst, in der Verkl?rung des Genius und der Kunstwelt, anschauen; um sich zu verherrlichen, mussten seine Gesch?pfe sich selbst als verherrlichenwerth empfinden sie mussten sich in einer h?heren Sph?re wiedersehn, ohne dass diese vollendete Welt der Anschauung als Imperativ oder als Vorwurf wirkte Dies ist die Sph?re der Sch?nheit, in der sie ihre Spiegelbilder, die Olympischen, sahen. Mit dieser Sch?nheitsspiegelung k?mpfte der hellenische "Wille" gegen das dem k?nstlerischen correlative Talent zum Leiden und zur Weisheit des Leidens und als Denkmal seines Sieges steht Homer vor uns, der naive K?nstler.

Ueber diesen naiven K?nstler giebt uns die Traumanalogie einige Belehrung Wenn wir uns den Tr?umenden vergegenw?rtigen, wie er, mitten in der Illusion der Traumwelt und ohne sie zu st?ren, sich zuruft "es ist ein Traum, ich will ihn weiter tr?umen", wenn wir hieraus auf eine tiefe innere Lust des Traumanschauens zu schliessen haben, wenn wir andererseits, um ?berhaupt mit dieser inneren Lust am Schauen tr?umen zu k?nnen, den Tag und seine schreckliche Zudringlichkeit v?llig vergessen haben m?ssen so d?rfen wir uns alle diese Erscheinungen etwa in folgender Weise, unter der Leitung des traumdeutenden Apollo, interpretiren. So gewiss von den beiden H?lften des Lebens, der wachen und der tr?umenden H?lfte, uns die erstere als die ungleich bevorzugtere, wichtigere, w?rdigere, lebenswerthere, ja allein gelebte d?nkt so m?chte ich doch, bei allem Anscheine einer Paradoxie, f?r jenen geheimnissvollen Grund unseres Wesens, dessen Erscheinung wir sind, gerade die entgegengesetzte Werthsch?tzung des Traumes behaupten. Je mehr ich n?mlich hin der Natur jene allgewaltigen Kunsttriebe und in ihnen eine inbr?nstige Sehnsucht zum Schein, zum Erl?stwerden durch den Schein gewahr werde, um so mehr f?hle ich mich zu der metaphysischen Annahme gedr?ngt, dass das Wahrhaft-Seiende und Ur-Eine, als das ewig Leidende und Widerspruchsvolle, zugleich die entz?ckende Vision, den lustvollen Schein, zu seiner steten Erl?sung braucht: welchen Schein wir, v?llig in ihm befangen und aus ihm bestehend, als das Wahrhaft-Nichtseiende d.h. als ein fortw?hrendes Werden in Zeit, Raum und Causalit?t, mit anderen Worten, als empirische Realit?t zu empfinden gen?thigt sind. Sehen wir also einmal von unsrer eignen "Realit?t" f?r einen Augenblick ab, fassen wir unser empirisches Dasein, wie das der Welt ?berhaupt, als eine in jedem Moment erzeugte Vorstellung des Ur-Einen, so muss uns jetzt der Traum als der Schein des Scheins, somit als eine noch h?here Befriedigung der Urbegierde nach dem Schein hin gelten. Aus diesem selben Grunde hat der innerste Kern der Natur jene unbeschreibliche Lust an dem naiven K?nstler und dem naiven Kunstwerke, das gleichlfalls nur "Schein des Scheins" ist. Rafael, selbst einer jener unsterblichen "Naiven", hat uns in einem gleichnissartigen Gem?lde jenes Depotenziren des Scheins zum Schein, den Urprozess des naiven K?nstlers und zugleich der apollinischen Cultur, dargestellt. In seiner Transfiguration zeigt uns die untere H?lfte, mit dem besessenen Knaben, den verzweifelnden Tr?gern, den rathlos ge?ngstigten J?ngern, die Wiederspiegelung des ewigen Urschmerzes, des einzigen Grundes der Welt der "Schein" ist hier Widerschein des ewigen Widerspruchs, des Vaters der Dinge. Aus diesem Schein steigt nun, wie ein ambrosischer Duft, eine visionsgleiche neue Scheinwelt empor, von der jene im ersten Schein Befangenen nichts sehen - ein leuchtendes Schweben in reinster Wonne und schmerzlosem, aus weiten Augen strahlenden Anschauen. Hier haben wir, in h?chster Kunstsymbolik, jene apollinische Sch?nheitswelt und ihren Untergrund, die schreckliche Weisheit des Silen, vor unseren Blicken und begreifen, durch Intuition, ihre gegenseitige Nothwendigkeit Apollo aber tritt uns wiederum als die Verg?ttlichung des principii individuationis entgegen, in dem allein das ewig erreichte Ziel des Ur-Einen, seine Erl?sung durch den Schein, sich vollzieht: er zeigt uns, mit erhabenen Geb?rden, wie die ganze Welt der Qual n?thig ist, damit durch sie der Einzelne zur Erzeugung der erl?senden Vision gedr?ngt werde und dann, ins Anschauen derselben versunken, ruhig auf seinem schwankenden Kahne, inmitten des Meeres, sitze.

Diese Verg?ttlichung der Individuation kennt, wenn sie ?berhaupt imperativisch und Vorschriften gebend gedacht wird, nur Ein Gesetz, das Individuum d.h. die Einhaltung der Grenzen des Individuums, das Maass im hellenischen Sinne. Apollo, als ethische Gottheit, fordert von den Seinigen das Maass und, um es einhalten zu k?nnen, Selbsterkenntniss. Und so l?uft neben der ?sthetischen Nothwendigkeit der Sch?nheit die Forderung des "Erkenne dich selbst" und des "Nicht zu viel!" her, w?hrend Selbst?berhebung und Uebermaass als die eigentlich feindseligen D?monen der nicht-apollinischen Sph?re, daher als Eigenschaften der vor-apollinischen Zeit, des Titanenzeitalters, und der ausser-apollinischen Welt d.h. der Barbarenwelt, erachtet wurden. Wegen seiner titanenhaften Liebe zu den Menschen musste Prometheus von den Geiern zerrissen werden, seiner ?berm?ssigen Weisheit halber, die das R?thsel der Sphinx l?ste, musste Oedipus in einen verwirrenden Strudel von Unthaten st?rzen: so interpretirte der delphische Gott die griechische Vergangenheit.

"Titanenhaft" und "barbarisch" d?nkte dem apollinischen Griechen auch die Wirkung, die das Dionysische erregte: ohne dabei sich verhehlen zu k?nnen, dass er selbst doch zugleich auch innerlich mit jenen gest?rzten Titanen und Heroen verwandt sei. Ja er musste noch mehr empfinden: sein ganzes Dasein mit aller Sch?nheit und M?ssigung ruhte auf einem verh?llten Untergrunde des Leidens und der Erkenntniss, der ihm wieder durch jenes Dionysische aufgedeckt wurde. Und siehe! Apollo konnte nicht ohne Dionysus leben! Das "Titanische" und das "Barbarische" war zuletzt eine eben solche Nothwendigkeit wie das Apollinische! Und nun denken wir uns, wie in diese auf den Schein und die M?ssigung gebaute und k?nstlich ged?mmte Welt der ekstatische Ton der Dionysusfeier in immer lockenderen Zauberweisen hineinklang, wie in diesen das ganze Uebermaass der Natur in Lust, Leid und Erkenntniss, bis zum durchdringenden Schrei, laut wurde: denken wir uns, was diesem d?monischen Volksgesange gegen?ber der psalmodirende K?nstler des Apollo, mit dem gespensterhaften Harfenklange, bedeuten konnte! Die Musen der K?nste des "Scheins" verblassten vor einer Kunst, die in ihrem Rausche die Wahrheit sprach, die Weisheit des Silen rief Wehe! Wehe! aus gegen die heiteren Olympier. Das Individuum, mit allen seinen Grenzen und Maassen, ging hier in der Selbstvergessenheit der dionysischen Zust?nde unter und vergass die apollinischen Satzungen. Das Uebermaass enth?llte sich als Wahrheit, der Widerspruch, die aus Schmerzen geborene Wonne sprach von sich aus dem Herzen der Natur heraus. Und so war, ?berall dort, wo das Dionysische durchdrang, das Apollinische aufgehoben und vernichtet. Aber eben so gewiss ist, dass dort, wo der erste Ansturm ausgehalten wurde, das Ansehen und die Majest?t des delphischen Gottes starrer und drohender als je sich ?usserte. Ich vermag n?mlich den dorischen Staat und die dorische Kunst mir nur als ein fortgesetztes Kriegslager des Apollinischen zu erkl?ren: nur in einem unausgesetzten Widerstreben gegen das titanisch-barbarische Wesen des Dionysischen konnte eine so trotzig-spr?de, mit Bollwerken umschlossene Kunst, eine so kriegsgem?sse und herbe Erziehung, ein so grausames und r?cksichtsloses Staatswesen von l?ngerer Dauer sein.

Bis zu diesem Punkte ist des Weiteren ausgef?hrt worden, was ich am Eingange dieser Abhandlung bemerkte: wie das Dionysische und das Apollinische in immer neuen auf einander folgenden Geburten, und sich gegenseitig steigernd das hellenische Wesen beherrscht haben: wie aus dem "erzenen" Zeitalter, mit seinen Titanenk?mpfen und seiner herben Volksphilosophie, sich unter dem Walten des apollinischen Sch?nheitstriebes die homerische Welt entwickelt, wie diese "naive" Herrlichkeit wieder von dem einbrechenden Strome des Dionysischen verschlungen wird, und wie dieser neuen Macht gegen?ber sich das Apollinische zur starren Majest?t der dorischen Kunst und Weltbetrachtung erhebt. Wenn auf diese Weise die ?ltere hellenische Geschichte, im Kampf jener zwei feindseligen Principien, in vier grosse Kunststufen zerf?llt: so sind wir jetzt gedr?ngt, weiter nach dem letzten Plane dieses Werdens und Treibens zu fragen, falls uns nicht etwa die letzterreichte Periode, die der dorischen Kunst, als die Spitze und Absicht jener Kunsttriebe gelten sollte: und hier bietet sich unseren Blicken das erhabene und hochgepriesene Kunstwerk der attischen Trag?die und des dramatischen Dithyrambus, als das gemeinsame Ziel beider Triebe, deren geheimnissvolles Eheb?ndniss, nach langem vorhergehenden Kampfe, sich in einem solchen Kinde - das zugleich Antigone und Kassandra ist - verherrlicht hat.

Wir nahen uns jetzt dem eigentlichen Ziele unsrer Untersuchung, die auf die Erkenntniss des dionysisch-apollinischen Genius und seines Kunstwerkes, wenigstens auf das ahnungsvolle Verst?ndniss jenes Einheitsmysteriums gerichtet ist. Hier fragen wir nun zun?chst, wo jener neue Keim sich zuerst in der hellenischen Welt bemerkbar macht, der sich nachher bis zur Trag?die und zum dramatischen Dithyrambus entwickelt. Hier?ber giebt uns das Alterthum selbst bildlich Aufschluss, wenn es als die Urv?ter und Fackeltr?ger der griechischen Dichtung Homer und Archilochus auf Bildwerken, Gemmen u.s.w. neben einander stellt, in der sicheren Empfindung, dass nur diese Beiden gleich v?llig originalen Naturen, von denen aus ein Feuerstrom auf die gesammte griechische Nachwelt fortfliesse, zu erachten seien. Homer, der in sich versunkene greise Tr?umer, der Typus des apollinischen, naiven K?nstlers, sieht nun staunend den leidenschaftlichen Kopf des wild durch's Dasein getriebenen kriegerischen Musendieners Archilochus: und die neuere Aesthetik wusste nur deutend hinzuzuf?gen, dass hier dem "objectiven" K?nstler der erste "subjective" entgegen gestellt sei. Uns ist mit dieser Deutung wenig gedient, weil wir den subjectiven K?nstler nur als schlechten K?nstler kennen und in jeder Art und H?he der Kunst vor allem und zuerst Besiegung des Subjectiven, Erl?sung vom "Ich" und Stillschweigen jedes individuellen Willens und Gel?stens fordern, ja ohne Objectivit?t, ohne reines interesseloses Anschauen nie an die geringste wahrhaft k?nstlerische Erzeugung glauben k?nnen. Darum muss unsre Aesthetik erst jenes Problem l?sen, wie der "Lyriker" als K?nstler m?glich ist: er, der, nach der Erfahrung aller Zeiten, immer "ich" sagt und die ganze chromatische Tonleiter seiner Leidenschaften und Begehrungen vor uns absingt. Gerade dieser Archilochus erschreckt uns, neben Homer, durch den Schrei seines Hasses und Hohnes, durch die trunknen Ausbr?che seiner Begierde; ist er, der erste subjectiv genannte K?nstler, nicht damit der eigentliche Nichtk?nstler? Woher aber dann die Verehrung, die ihm, dem Dichter, gerade auch das delphische Orakel, der Herd der "objectiven" Kunst, in sehr merkw?rdigen Ausspr?chen erwiesen hat?

Ueber den Prozess seines Dichtens hat uns Schiller durch eine ihm selbst unerkl?rliche, doch nicht bedenklich scheinende psychologische Beobachtung Licht gebracht; er gesteht n?mlich als den vorbereitenden Zustand vor dem Actus des Dichtens nicht etwa eine Reihe von Bildern, mit geordneter Causalit?t der Gedanken, vor sich und in sich gehabt zu haben, sondern vielmehr eine musikalische Stimmung . Nehmen wir jetzt das wichtigste Ph?nomen der ganzen antiken Lyrik hinzu, die ?berall als nat?rlich geltende Vereinigung, ja Identit?t des Lyrikers mit dem Musiker - der gegen?ber unsre neuere Lyrik wie ein G?tterbild ohne Kopf erscheint - so k?nnen wir jetzt, auf Grund unsrer fr?her dargestellten aesthetischen Metaphysik, uns in folgender Weise den Lyriker erkl?ren. Er ist zuerst, als dionysischer K?nstler, g?nzlich mit dem Ur-Einen, seinem Schmerz und Widerspruch, eins geworden und producirt das Abbild dieses Ur-Einen als Musik, wenn anders diese mit Recht eine Wiederholung der Welt und ein zweiter Abguss derselben genannt worden ist; jetzt aber wird diese Musik ihm wieder wie in einem gleichnissartige Traumbilde, unter der apollinischen Traumeinwirkung sichtbar. Jener bild- und begrifflose Wiederschein des Urschmerzes in der Musik, mit seiner Erl?sung im Scheine, erzeugt jetzt eine zweite Spiegelung, als einzelnes Gleichniss oder Exempel. Seine Subjectivit?t hat der K?nstler bereits in dem dionysischen Prozess aufgegeben: das Bild, das ihm jetzt seine Einheit mit dem Herzen der Welt zeigt, ist eine Traumscene, die jenen Urwiderspruch und Urschmerz, sammt der Urlust des Scheines, versinnlicht. Das "Ich" des Lyrikers t?nt also aus dem Abgrunde des Seins: seine "Subjectivit?t" im Sinne der neueren Aesthetiker ist eine Einbildung. Wenn Archilochus, der erste Lyriker der Griechen, seine rasende Liebe und zugleich seine Verachtung den T?chtern des Lykambes kundgiebt, so ist es nicht seine Leidenschaft, die vor uns in orgiastischem Taumel tanzt: wir sehen Dionysus und die M?naden, wir sehen den berauschten Schw?rmer Archilochus zum Schlafe niedergesunken - wie ihn uns Euripides in den Bacchen beschreibt, den Schlaf auf hoher Alpentrift, in der Mittagssonne -: und jetzt tritt Apollo an ihn heran und ber?hrt ihn mit dem Lorbeer. Die dionysisch-musikalische Verzauberung des Schl?fers spr?ht jetzt gleichsam Bilderfunken um sich, lyrische Gedichte, die in ihrer h?chsten Entfaltung Trag?dien und dramatische Dithyramben heissen.

Der Plastiker und zugleich der ihm verwandte Epiker ist in das reine Anschauen der Bilder versunken. Der dionysische Musiker ist ohne jedes Bild v?llig nur selbst Urschmerz und Urwiederklang desselben. Der lyrische Genius f?hlt aus dem mystischen Selbstent?usserungs- und Einheitszustande eine Bilder- und Gleichnisswelt hervorwachsen, die eine ganz andere F?rbung, Causalit?t und Schnelligkeit hat als jene Welt des Plastikers und Epikers. W?hrend der Letztgenannte in diesen Bildern und nur in ihnen mit freudigem Behagen lebt und nicht m?de wird, sie bis auf die kleinsten Z?ge hin liebevoll anzuschauen, w?hrend selbst das Bild des z?rnenden Achilles f?r ihn nur ein Bild ist, dessen z?rnenden Ausdruck er mit jener Traumlust am Scheine geniesst - so dass er, durch diesen Spiegel des Scheines, gegen das Einswerden und Zusammenschmelzen mit seinen Gestalten gesch?tzt ist -, so sind dagegen die Bilder des Lyrikers nichts als er selbst und gleichsam nur verschiedene Objectivationen von ihm, weshalb er als bewegender Mittelpunkt jener Welt "ich" sagen darf: nur ist diese Ichheit nicht dieselbe, wie die des wachen, empirisch- realen Menschen, sondern die einzige ?berhaupt wahrhaft seiende und ewige, im Grunde der Dinge ruhende Ichheit, durch deren Abbilder der lyrische Genius bis auf jenen Grund der Dinge hindurchsieht. Nun denken wir uns einmal, wie er unter diesen Abbildern auch sich selbst als Nichtgenius erblickt d.h. sein "Subject", das ganze Gew?hl subjectiver, auf ein bestimmtes, ihm real d?nkendes Ding gerichteter Leidenschaften und Willensregungen; wenn es jetzt scheint als ob der lyrische Genius und der mit ihm verbundene Nichtgenius eins w?re und als ob der Erstere von sich selbst jenes W?rtchen "ich" spr?che, so wird uns jetzt dieser Schein nicht mehr verf?hren k?nnen, wie er allerdings diejenigen verf?hrt hat, die den Lyriker als den subjectiven Dichter bezeichnet haben. In Wahrheit ist Archilochus, der leidenschaftlich entbrannte liebende und hassende Mensch nur eine Vision des Genius, der bereits nicht mehr Archilochus, sondern Weltgenius ist und der seinen Urschmerz in jenem Gleichnisse vom Menschen Archilochus symbolisch ausspricht: w?hrend jener subjectiv wollende und begehrende Mensch Archilochus ?berhaupt nie und nimmer Dichter sein kann. Es ist aber gar nicht n?thig, dass der Lyriker gerade nur das Ph?nomen des Menschen Archilochus vor sich sieht als Wiederschein des ewigen Seins; und die Trag?die beweist, wie weit sich die Visionswelt des Lyrikers von jenem allerdings zun?chst stehenden Ph?nomen entfernen kann.

Schopenhauer, der sich die Schwierigkeit, die der Lyriker f?r die philosophische Kunstbetrachtung macht, nicht verhehlt hat, glaubt einen Ausweg gefunden zu haben, den ich nicht mit ihm gehen kann, w?hrend ihm allein, in seiner tiefsinnigen Metaphysik der Musik, das Mittel in die Hand gegeben war, mit dem jene Schwierigkeit entscheidend beseitigt werden konnte: wie ich dies, in seinem Geiste und zu seiner Ehre, hier gethan zu haben glaube. Dagegen bezeichnet er als das eigenth?mliche Wesen des Liedes Folgendes : "Es ist das Subject des Willens, d.h. das eigene Wollen, was das Bewusstsein des Singenden f?llt, oft als ein entbundenes, befriedigtes Wollen , wohl noch ?fter aber als ein gehemmtes , immer als Affect, Leidenschaft, bewegter Gem?thszustand. Neben diesem jedoch und zugleich damit wird durch den Anblick der umgebenden Natur der Singende sich seiner bewusst als Subjects des reinen, willenlosen Erkennens, dessen unersch?tterliche, selige Ruhe nunmehr in Contrast tritt mit dem Drange des immer beschr?nkten, immer noch d?rftigen Wollens: die Empfindung dieses Contrastes, dieses Wechselspieles ist eigentlich, was sich im Ganzen des Liedes ausspricht und was ?berhaupt den lyrischen Zustand ausmacht. In diesem tritt gleichsam das reine Erkennen zu uns heran, um uns vom Wollen und seinem Drange zu erl?sen: wir folgen; doch nur auf Augenblicke: immer von Neuem entreisst das Wollen, die Erinnerung an unsere pers?nlichen Zwecke, uns der ruhigen Beschauung; aber auch immer wieder entlockt uns dem Wollen die n?chste sch?ne Umgebung, in welcher sich die reine willenlose Erkenntniss uns darbietet. Darum geht im Liede und der lyrischen Stimmung das Wollen und das reine Anschauen der sich darbietenden Umgebung wundersam gemischt durch einander: es werden Beziehungen zwischen beiden gesucht und imaginirt; die subjective Stimmung, die Affection des Willens, theilt der angeschauten Umgebung und diese wiederum jener ihre Farbe im Reflex mit: von diesem ganzen so gemischten und getheilten Gem?thszustande ist das ?chte Lied der Abdruck".

Wer verm?chte in dieser Schilderung zu verkennen, dass hier die Lyrik als eine unvollkommen erreichte, gleichsam im Sprunge und selten zum Ziele kommende Kunst charakterisirt wird, ja als eine Halbkunst, deren Wesen darin bestehen solle, dass das Wollen und das reine Anschauen d.h. der unaesthetische und der aesthetische Zustand wundersam durch einander gemischt seien? Wir behaupten vielmehr, dass der ganze Gegensatz, nach dem wie nach einem Werthmesser auch noch Schopenhauer die K?nste eintheilt, der des Subjectiven und des Objectiven, ?berhaupt in der Aesthetik ungeh?rig ist, da das Subject, das wollende und seine egoistischen Zwecke f?rdernde Individuum nur als Gegner, nicht als Ursprung der Kunst gedacht werden kann. Insofern aber das Subject K?nstler ist, ist es bereits von seinem individuellen Willen erl?st und gleichsam Medium geworden, durch das hindurch das eine wahrhaft seiende Subject seine Erl?sung im Scheine feiert. Denn dies muss uns vor allem, zu unserer Erniedrigung und Erh?hung, deutlich sein, dass die ganze Kunstkom?die durchaus nicht f?r uns, etwa unsrer Besserung und Bildung wegen, aufgef?hrt wird, ja dass wir ebensowenig die eigentlichen Sch?pfer jener Kunstwelt sind: wohl aber d?rfen wir von uns selbst annehmen, dass wir f?r den wahren Sch?pfer derselben schon Bilder und k?nstlerische Projectionen sind und in der Bedeutung von Kunstwerken unsre h?chste W?rde haben - denn nur als aesthetisches Ph?nomen ist das Dasein und die Welt ewig gerechtfertigt: - w?hrend freilich unser Bewusstsein ?ber diese unsre Bedeutung kaum ein andres ist als es die auf Leinwand gemalten Krieger von der auf ihr dargestellten Schlacht haben. Somit ist unser ganzes Kunstwissen im Grunde ein v?llig illusorisches, weil wir als Wissende mit jenem Wesen nicht eins und identisch sind, das sich, als einziger Sch?pfer und Zuschauer jener Kunstkom?die, einen ewigen Genuss bereitet. Nur soweit der Genius im Actus der k?nstlerischen Zeugung mit jenem Urk?nstler der Welt verschmilzt, weiss er etwas ?ber das ewige Wesen der Kunst; denn in jenem Zustande ist er, wunderbarer Weise, dem unheimlichen Bild des M?hrchens gleich, das die Augen drehn und sich selber anschaun kann; jetzt ist er zugleich Subject und Object, zugleich Dichter, Schauspieler und Zuschauer.

In Betreff des Archilochus hat die gelehrte Forschung entdeckt, dass er das Volkslied in die Litteratur eingef?hrt habe, und dass ihm, dieser That halber, jene einzige Stellung neben Homer, in der allgemeinen Sch?tzung der Griechen zukomme. Was aber ist das Volkslied im Gegensatz zu dem v?llig apollinischen Epos? Was anders als das perpetuum vestigium einer Vereinigung des Apollinischen und des Dionysischen; seine ungeheure, ?ber alle V?lker sich erstreckende und in immer neuen Geburten sich steigernde Verbreitung ist uns ein Zeugniss daf?r, wie stark jener k?nstlerische Doppeltrieb der Natur ist: der in analoger Weise seine Spuren im Volkslied hinterl?sst, wie die orgiastischen Bewegungen eines Volkes sich in seiner Musik verewigen. Ja es m?sste auch historisch nachweisbar sein, wie jede an Volksliedern reich productive Periode zugleich auf das St?rkste durch dionysische Str?mungen erregt worden ist, welche wir immer als Untergrund und Voraussetzung des Volksliedes zu betrachten haben.

Das Volkslied aber gilt uns zu allern?chst als musikalischer Weltspiegel, als urspr?ngliche Melodie, die sich jetzt eine parallele Traumerscheinung sucht und diese in der Dichtung ausspricht. Die Melodie ist also das Erste und Allgemeine, das deshalb auch mehrere Objectivationen, in mehreren Texten, an sich erleiden kann. Sie ist auch das bei weitem wichtigere und nothwendigere in der naiven Sch?tzung des Volkes. Die Melodie gebiert die Dichtung aus sich und zwar immer wieder von Neuem; nichts Anderes will uns die Strophenform des Volksliedes sagen: welches Ph?nomen ich immer mit Erstaunen betrachtet habe, bis ich endlich diese Erkl?rung fand. Wer eine Sammlung von Volksliedern z.B. des Knaben Wunderhorn auf diese Theorie hin ansieht, der wird unz?hlige Beispiele finden, wie die fortw?hrend geb?rende Melodie Bilderfunken um sich ausspr?ht: die in ihrer Buntheit, ihrem j?hen Wechsel, ja ihrem tollen Sich?berst?rzen eine dem epischen Scheine und seinem ruhigen Fortstr?men wildfremde Kraft offenbaren. Vom Standpunkte des Epos ist diese ungleiche und unregelm?ssige Bilderwelt der Lyrik einfach zu verurtheilen: und dies haben gewiss die feierlichen epischen Rhapsoden der apollinischen Feste im Zeitalter des Terpander gethan.

In der Dichtung des Volksliedes sehen wir also die Sprache auf das St?rkste angespannt, die Musik nachzuahmen: deshalb beginnt mit Archilochus eine neue Welt der Poesie, die der homerischen in ihrem tiefsten Grunde widerspricht. Hiermit haben wir das einzig m?gliche Verh?ltniss zwischen Poesie und Musik, Wort und Ton bezeichnet: das Wort, das Bild, der Begriff sucht einen der Musik analogen Ausdruck und erleidet jetzt die Gewalt der Musik an sich. In diesem Sinne d?rfen wir in der Sprachgeschichte des griechischen Volkes zwei Hauptstr?mungen unterscheiden, jenachdem die Sprache die Erscheinungs- und Bilderwelt oder die Musikwelt nachahmte. Man denke nur einmal tiefer ?ber die sprachliche Differenz der Farbe, des syntaktischen Bau's, des Wortmaterial's bei Homer und Pindar nach, um die Bedeutung dieses Gegensatzes zu begreifen; ja es wird Einem dabei handgreiflich deutlich, dass zwischen Homer und Pindar die orgiastischen Fl?tenweisen des Olympus erklungen sein m?ssen, die noch im Zeitalter des Aristoteles, inmitten einer unendlich entwickelteren Musik, zu trunkner Begeisterung hinrissen und gewiss in ihrer urspr?nglichen Wirkung alle dichterischen Ausdrucksmittel der gleichzeitigen Menschen zur Nachahmung aufgereizt haben. Ich erinnere hier an ein bekanntes, unserer Aesthetik nur anst?ssig d?nkendes Ph?nomen unserer Tage. Wir erleben es immer wieder, wie eine Beethoven'sche Symphonie die einzelnen Zuh?rer zu einer Bilderrede n?thigt, sei es auch dass eine Zusammenstellung der verschiedenen, durch ein Tonst?ck erzeugten Bilderwelten sich recht phantastisch bunt, ja widersprechend ausnimmt: an solchen Zusammenstellungen ihren armen Witz zu ?ben und das doch wahrlich erkl?renswerthe Ph?nomen zu ?bersehen, ist recht in der Art jener Aesthetik. Ja selbst wenn der Tondichter in Bildern ?ber eine Composition geredet hat, etwa wenn er eine Symphonie als pastorale und einen Satz als "Scene am Bach", einen anderen als "lustiges Zusammensein der Landleute" bezeichnet, so sind das ebenfalls nur gleichnissartige, aus der Musik geborne Vorstellungen - und nicht etwa die nachgeahmten Gegenst?nde der Musik - Vorstellungen, die ?ber den dionysischen Inhalt der Musik uns nach keiner Seite hin belehren k?nnen, ja die keinen ausschliesslichen Werth neben anderen Bildern haben. Diesen Prozess einer Entladung der Musik in Bildern haben wir uns nun auf eine jugendfrische, sprachlich sch?pferische Volksmenge zu ?bertragen, um zur Ahnung zu kommen, wie das strophische Volkslied entsteht, und wie das ganze Sprachverm?gen durch das neue Princip der Nachahmung der Musik aufgeregt wird.

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