Read Ebook: Menschliches Allzumenschliches: Ein Buch Fuer Freie Geister by Nietzsche Friedrich Wilhelm
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Ebook has 693 lines and 85808 words, and 14 pages
Edition: 10
Menschliches, Allzumenschliches
Ein Buch f?r freie Geister
Friedrich Nietzsche
Inhalt
An Stelle einer Vorrede Von den ersten und letzten Dingen Zur Geschichte der moralischen Empfindungen Das religi?se Leben Aus der Seele der K?nstler und Schriftsteller Anzeichen h?herer und niederer Cultur Der Mensch im Verkehr Weib und Kind Ein Blick auf den Staat Der Mensch mit sich allein Ein Nachspiel
Menschliches, Allzumenschliches.
Ein Buch f?r freie Geister
Erster Band
An Stelle einer Vorrede.
- eine Zeit lang erwog ich die verschiedenen Besch?ftigungen, denen sich die Menschen in diesem Leben ?berlassen und machte den Versuch, die beste von ihnen auszuw?hlen. Aber es thut nicht noth, hier zu erz?hlen, auf was f?r Gedanken ich dabei kam: genug, dass f?r meinen Theil mir Nichts besser erschien, als wenn ich streng bei meinem Vorhaben verbliebe, das heisst: wenn ich die ganze Frist des Lebens darauf verwendete, meine Vernunft auszubilden und den Spuren der Wahrheit in der Art und Weise, welche ich mir vorgesetzt hatte, nachzugehen. Denn die Fr?chte, welche ich auf diesem Wege schon gekostet hatte, waren der Art, dass nach meinem Urtheile in diesem Leben nichts Angenehmeres, nichts Unschuldigeres gefunden werden kann; zudem liess mich jeder Tag, seit ich jene Art der Betrachtung zu H?lfe nahm, etwas Neues entdecken, das immer von einigem Gewichte und durchaus nicht allgemein bekannt war. Da wurde endlich meine Seele so voll von Freudigkeit, dass alle ?brigen Dinge ihr Nichts mehr anthun konnten.
Aus dem Lateinischen des Cartesius.
Vorrede.
Es ist mir oft genug und immer mit grossem Befremden ausgedr?ckt worden, dass es etwas Gemeinsames und Auszeichnendes an allen meinen Schriften g?be, von der "Geburt der Trag?die" an bis zum letzthin ver?ffentlichten "Vorspiel einer Philosophie der Zukunft": sie enthielten allesammt, hat man mir gesagt, Schlingen und Netze f?r unvorsichtige V?gel und beinahe eine best?ndige unvermerkte Aufforderung zur Umkehrung gewohnter Werthsch?tzungen und gesch?tzter Gewohnheiten. Wie? Alles nur - menschlich-allzumenschlich? Mit diesem Seufzer komme man aus meinen Schriften heraus, nicht ohne eine Art Scheu und Misstrauen selbst gegen die Moral, ja nicht ?bel versucht und ermuthigt, einmal den F?rsprecher der schlimmsten Dinge zu machen: wie als ob sie vielleicht nur die bestverleumdeten seien? Man hat meine Schriften eine Schule des Verdachts genannt, noch mehr der Verachtung, gl?cklicherweise auch des Muthes, ja der Verwegenheit. In der That, ich selbst glaube nicht, dass jemals jemand mit einem gleich tiefen Verdachte in die Welt gesehn hat, und nicht nur als gelegentlicher Anwalt des Teufels, sondern ebenso sehr, theologisch zu reden, als Feind und Vorforderer Gottes; und wer etwas von den Folgen err?th, die in jedem tiefen Verdachte liegen, etwas von den Fr?sten und Aengsten der Vereinsamung, zu denen jede unbedingte Verschiedenheit des Blicks den mit ihr Behafteten verurtheilt, wird auch verstehn, wie oft ich zur Erholung von mir, gleichsam zum zeitweiligen Selbstvergessen, irgendwo unterzutreten suchte - in irgend einer Verehrung oder Feindschaft oder Wissenschaftlichkeit oder Leichtfertigkeit oder Dummheit; auch warum ich, wo ich nicht fand, was ich brauchte, es mir k?nstlich erzwingen, zurecht f?lschen, zurecht dichten musste . Was ich aber immer wieder am n?thigsten brauchte, zu meiner Kur und Selbst-Wiederherstellung, das war der Glaube, nicht dergestalt einzeln zu sein, einzeln zu sehn, - ein zauberhafter Argwohn von Verwandtschaft und Gleichheit in Auge und Begierde, ein Ausruhen im Vertrauen der Freundschaft, eine Blindheit zu Zweien ohne Verdacht und Fragezeichen, ein Genuss an Vordergr?nden, Oberfl?chen, Nahem, N?chstem, an Allem, was Farbe, Haut und Scheinbarkeit hat. Vielleicht, dass man mir in diesem Betrachte mancherlei "Kunst", mancherlei feinere Falschm?nzerei vorr?cken k?nnte: zum Beispiel, dass ich wissentlich-willentlich die Augen vor Schopenhauer's blindem Willen zur Moral zugemacht h?tte, zu einer Zeit, wo ich ?ber Moral schon hellsichtig genug war; insgleichen dass ich mich ?ber Richard Wagner's unheilbare Romantik betrogen h?tte, wie als ob sie ein Anfang und nicht ein Ende sei; insgleichen ?ber die Griechen, insgleichen ?ber die Deutschen und ihre Zukunft - und es g?be vielleicht noch eine ganze lange Liste solcher Insgleichen? - gesetzt aber, dies Alles w?re wahr und mit gutem Grunde mir vorger?ckt, was wisst ihr davon, was k?nntet ihr davon wissen, wie viel List der Selbst-Erhaltung, wie viel Vernunft und h?here Obhut in solchem Selbst-Betruge enthalten ist, - und wie viel Falschheit mir noch noth hut, damit ich mir immer wieder den Luxus meiner Wahrhaftigkeit gestatten darf?... Genug, ich lebe noch; und das Leben ist nun einmal nicht von der Moral ausgedacht: es will T?uschung, es lebt von der T?uschung... aber nicht wahr? da beginne ich bereits wieder und thue, was ich immer gethan habe, ich alter Immoralist und Vogelsteller - und rede unmoralisch, aussermoralisch, "jenseits von Gut und B?se"? -
- So habe ich denn einstmals, als ich es n?thig hatte, mir auch die "freien Geister" erfunden, denen dieses schwerm?thig-muthige Buch mit dem Titel "Menschliches, Allzumenschliches" gewidmet ist: dergleichen "freie Geister" giebt es nicht, gab es nicht, - aber ich hatte sie damals, wie gesagt, zur Gesellschaft n?thig, um guter Dinge zu bleiben inmitten schlimmer Dinge : als tapfere Gesellen und Gespenster, mit denen man schw?tzt und lacht, wenn man Lust hat zu schw?tzen und zu lachen, und die man zum Teufel schickt, wenn sie langweilig werden, - als ein Schadenersatz f?r mangelnde Freunde. Dass es dergleichen freie Geister einmal geben k?nnte, dass unser Europa unter seinen S?hnen von Morgen und Uebermorgen solche muntere und verwegene Gesellen haben wird, leibhaft und handgreiflich und nicht nur, wie in meinem Falle, als Schemen und Einsiedler-Schattenspiel: daran m?chte ich am wenigsten zweifeln. Ich sehe sie bereits kommen, langsam, langsam; und vielleicht thue ich etwas, um ihr Kommen zu beschleunigen, wenn ich zum Voraus beschreibe, unter welchen Schicksalen ich sie entstehn, auf welchen Wegen ich sie kommen sehe? -
Man darf vermuthen, dass ein Geist, in dem der Typus "freier Geist" einmal bis zur Vollkommenheit reif und s?ss werden soll, sein entscheidendes Ereigniss in einer grossen Losl?sung gehabt hat, und dass er vorher um so mehr ein gebundener Geist war und f?r immer an seine Ecke und S?ule gefesselt schien. Was bindet am festesten? welche Stricke sind beinahe unzerreissbar? Bei Menschen einer hohen und ausgesuchten Art werden es die Pflichten sein: jene Ehrfurcht, wie sie der Jugend eignet, jene Scheu und Zartheit vor allem Altverehrten und W?rdigen, jene Dankbarkeit f?r den Boden, aus dem sie wuchsen, f?r die Hand, die sie f?hrte, f?r das Heiligthum, wo sie anbeten lernten, - ihre h?chsten Augenblicke selbst werden sie am festesten binden, am dauerndsten verpflichten. Die grosse Losl?sung kommt f?r solchermaassen Gebundene pl?tzlich, wie ein Erdstoss: die junge Seele wird mit Einem Male ersch?ttert, losgerissen, herausgerissen, - sie selbst versteht nicht, was sich begiebt. Ein Antrieb und Andrang waltet und wird ?ber sie Herr wie ein Befehl; ein Wille und Wunsch erwacht, fortzugehn, irgend wohin, um jeden Preis; eine heftige gef?hrliche Neugierde nach einer unentdeckten Welt flammt und flackert in allen ihren Sinnen. "Lieber sterben als hier leben" - so klingt die gebieterische Stimme und Verf?hrung: und dies "hier", dies "zu Hause" ist Alles, was sie bis dahin geliebt hatte! Ein pl?tzlicher Schrecken und Argwohn gegen Das, was sie liebte, ein Blitz von Verachtung gegen Das, was ihr "Pflicht" hiess, ein aufr?hrerisches, willk?rliches, vulkanisch stossendes Verlangen nach Wanderschaft, Fremde, Entfremdung, Erk?ltung, Ern?chterung, Vereisung, ein Hass auf die Liebe, vielleicht ein tempelsch?nderischer Griff und Blick r?ckw?rts, dorthin, wo sie bis dahin anbetete und liebte, vielleicht eine Gluth der Scham ?ber Das, was sie eben that, und ein Frohlocken zugleich, dass sie es that, ein trunkenes inneres frohlockendes Schaudern, in dem sich ein Sieg verr?th - ein Sieg? ?ber was? ?ber wen? ein r?thselhafter fragenreicher fragw?rdiger Sieg, aber der erste Sieg immerhin: - dergleichen Schlimmes und Schmerzliches geh?rt zur Geschichte der grossen Losl?sung. Sie ist eine Krankheit zugleich, die den Menschen zerst?ren kann, dieser erste Ausbruch von Kraft und Willen zur Selbstbestimmung, Selbst-Werthsetzung, dieser Wille zum freien Willen: und wie viel Krankheit dr?ckt sich an den wilden Versuchen und Seltsamkeiten aus, mit denen der Befreite, Losgel?ste sich nunmehr seine Herrschaft ?ber die Dinge zu beweisen sucht! Er schweift grausam umher, mit einer unbefriedigten L?sternheit; was er erbeutet, muss die gef?hrliche Spannung seines Stolzes abb?ssen; er zerreisst, was ihn reizt. Mit einem b?sen Lachen dreht er um, was er verh?llt, durch irgend eine Scham geschont findet: er versucht, wie diese Dinge aussehn, wenn man sie umkehrt. Es ist Willk?r und Lust an der Willk?r darin, wenn er vielleicht nun seine Gunst dem zuwendet, was bisher in schlechtem Rufe stand, - wenn er neugierig und versucherisch um das Verbotenste schleicht. Im Hintergrunde seines Treibens und Schweifens - denn er ist unruhig und ziellos unterwegs wie in einer W?ste - steht das Fragezeichen einer immer gef?hrlicheren Neugierde. "Kann man nicht alle Werthe umdrehn? und ist Gut vielleicht B?se? und Gott nur eine Erfindung und Feinheit des Teufels? Ist Alles vielleicht im letzten Grunde falsch? Und wenn wir Betrogene sind, sind wir nicht eben dadurch auch Betr?ger? m?ssen wir nicht auch Betr?ger sein?" - solche Gedanken f?hren und verf?hren ihn, immer weiter fort, immer weiter ab. Die Einsamkeit umringt und umringelt ihn, immer drohender, w?rgender, herzzuschn?render, jene furchtbare G?ttin und mater saeva cupidinum - aber wer weiss es heute, was Einsamkeit ist?...
Von dieser krankhaften Vereinsamung, von der W?ste solcher Versuchs-Jahre ist der Weg noch weit bis zu jener ungeheuren ?berstr?menden Sicherheit und Gesundheit, welche der Krankheit selbst nicht entrathen mag, als eines Mittels und Angelhakens der Erkenntniss, bis zu jener reifen Freiheit des Geistes, welche ebensosehr Selbstbeherrschung und Zucht des Herzens ist und die Wege zu vielen und entgegengesetzten Denkweisen erlaubt -, bis zu jener inneren Umf?nglichkeit und Verw?hnung des Ueberreichthums, welche die Gefahr ausschliesst, dass der Geist sich etwa selbst in die eignen Wege verl?re und verliebte und in irgend einem Winkel berauscht sitzen bliebe, bis zu jenem Ueberschuss an plastischen, ausheilenden, nachbildenden und wiederherstellenden Kr?ften, welcher eben das Zeichen der grossen Gesundheit ist, jener Ueberschuss, der dem freien Geiste das gef?hrliche Vorrecht giebt, auf den Versuch hin leben und sich dem Abenteuer anbieten zu d?rfen: das Meisterschafts-Vorrecht des freien Geistes! Dazwischen m?gen lange Jahre der Genesung liegen, Jahre voll vielfarbiger schmerzlich-zauberhafter Wandlungen, beherrscht und am Z?gel gef?hrt durch einen z?hen Willen zur Gesundheit, der sich oft schon als Gesundheit zu kleiden und zu verkleiden wagt. Es giebt einen mittleren Zustand darin, dessen ein Mensch solchen Schicksals sp?ter nicht ohne R?hrung eingedenk ist: ein blasses feines Licht und Sonnengl?ck ist ihm zu eigen, ein Gef?hl von Vogel-Freiheit, Vogel-Umblick, Vogel-Uebermuth, etwas Drittes, in dem sich Neugierde und zarte Verachtung gebunden haben. Ein "freier Geist" - dies k?hle Wort thut in jenem Zustande wohl, es w?rmt beinahe. Man lebt, nicht mehr in den Fesseln von Liebe und Hass, ohne ja, ohne Nein, freiwillig nahe, freiwillig ferne, am liebsten entschl?pfend, ausweichend, fortflatternd, wieder weg, wieder empor fliegend; man ist verw?hnt, wie Jeder, der einmal ein ungeheures Vielerlei unter sich gesehn hat, - und man ward zum Gegenst?ck Derer, welche sich um Dinge bek?mmern, die sie nichts angehn. In der That, den freien Geist gehen nunmehr lauter Dinge an - und wie viele Dinge! - welche ihn nicht mehr bek?mmern...
Ein Schritt weiter in der Genesung: und der freie Geist n?hert sich wieder dem Leben, langsam freilich, fast widersp?nstig, fast misstrauisch. Es wird wieder w?rmer um ihn, gelber gleichsam; Gef?hl und Mitgef?hl bekommen Tiefe, Thauwinde aller Art gehen ?ber ihn weg. Fast ist ihm zu Muthe, als ob ihm jetzt erst die Augen f?r das Nahe aufgiengen. Er ist verwundert und sitzt stille: wo war er doch? Diese nahen und n?chsten Dinge: wie scheinen sie ihm verwandelt! welchen Flaum und Zauber haben sie inzwischen bekommen! Er blickt dankbar zur?ck, - dankbar seiner Wanderschaft, seiner H?rte und Selbstentfremdung, seinen Fernblicken und Vogelfl?gen in kalte H?hen. Wie gut, dass er nicht wie ein z?rtlicher dumpfer Eckensteher immer "zu Hause", immer "bei sich" geblieben ist! er war ausser sich: es ist kein Zweifel. Jetzt erst sieht er sich selbst -, und welche Ueberraschungen findet er dabei! Welche unerprobten Schauder! Welches Gl?ck noch in der M?digkeit, der alten Krankheit, den R?ckf?llen des Genesenden! Wie es ihm gef?llt, leidend stillzusitzen, Geduld zu spinnen, in der Sonne zu liegen! Wer versteht sich gleich ihm auf das Gl?ck im Winter, auf die Sonnenflecke an der Mauer! Es sind die dankbarsten Thiere von der Welt, auch die bescheidensten, diese dem Leben wieder halb zugewendeten Genesenden und Eidechsen: - es giebt solche unter ihnen, die keinen Tag von sich lassen, ohne ihm ein kleines Loblied an den nachschleppenden Saum zu h?ngen. Und ernstlich geredet: es ist eine gr?ndliche Kur gegen allen Pessimismus auf die Art dieser freien Geister krank zu werden, eine gute Weile krank zu bleiben und dann, noch l?nger, noch l?nger, gesund, ich meine "ges?nder" zu werden. Es ist Weisheit darin, Lebens-Weisheit, sich die Gesundheit selbst lange Zeit nur in kleinen Dosen zu verordnen.
Um jene Zeit mag es endlich geschehn, unter den pl?tzlichen Lichtern einer noch ungest?men, noch wechselnden Gesundheit, dass dem freien, immer freieren Geiste sich das R?thsel jener grossen Losl?sung zu entschleiern beginnt, welches bis dahin dunkel, fragw?rdig, fast unber?hrbar in seinem Ged?chtniss gewartet hatte. Wenn er sich lange kaum zu fragen wagte "warum so abseits? so allein? Allem entsagend, was ich verehrte? der Verehrung selbst entsagend? warum diese H?rte, dieser Argwohn, dieser Hass auf die eigenen Tugenden?" - jetzt wagt und fragt er es laut und h?rt auch schon etwas wie Antwort darauf. "Du solltest Herr ?ber dich werden, Herr auch ?ber die eigenen Tugenden. Fr?her waren sie deine Herren; aber sie d?rfen nur deine Werkzeuge neben andren Werkzeugen sein. Du solltest Gewalt ?ber dein F?r und Wider bekommen und es verstehn lernen, sie aus- und wieder einzuh?ngen, je nach deinem h?heren Zwecke. Du solltest das Perspektivische in jeder Werthsch?tzung begreifen lernen - die Verschiebung, Verzerrung und scheinbare Teleologie der Horizonte und was Alles zum Perspektivischen geh?rt; auch das St?ck Dummheit in Bezug auf entgegengesetzte Werthe und die ganze intellektuelle Einbusse, mit der sich jedes F?r, jedes Wider bezahlt macht. Du solltest die nothwendige Ungerechtigkeit in jedem F?r und Wider begreifen lernen, die Ungerechtigkeit als unabl?sbar vom Leben, das Leben selbst als bedingt durch das Perspektivische und seine Ungerechtigkeit. Du solltest vor Allem mit Augen sehn, wo die Ungerechtigkeit immer am gr?ssten ist: dort n?mlich, wo das Leben am kleinsten, engsten, d?rftigsten, anf?nglichsten entwickelt ist und dennoch nicht umhin kann, sich als Zweck und Maass der Dinge zu nehmen und seiner Erhaltung zu Liebe das H?here, Gr?ssere, Reichere heimlich und kleinlich und unabl?ssig anzubr?ckeln und in Frage zu stellen, - du solltest das Problem der Rangordnung mit Augen sehn und wie Macht und Recht und Umf?nglichkeit der Perspektive mit einander in die H?he wachsen. Du solltest" - genug, der freie Geist weiss nunmehr, welchem "du sollst" er gehorcht hat, und auch, was er jetzt kann, was er jetzt erst - darf...
Dergestalt giebt der freie Geist sich in Bezug auf jenes R?thsel von Losl?sung Antwort und endet damit, indem er seinen Fall verallgemeinert, sich ?ber sein Erlebniss also zu entscheiden. "Wie es mir ergieng, sagt er sich, muss es jedem ergehn, in dem eine Aufgabe leibhaft werden und `zur Welt kommen` will." Die heimliche Gewalt und Nothwendigkeit dieser Aufgabe wird unter und in seinen einzelnen Schicksalen walten gleich einer unbewussten Schwangerschaft, - lange, bevor er diese Aufgabe selbst in's Auge gefasst hat und ihren Namen weiss. Unsre Bestimmung verf?gt ?ber uns, auch wenn wir sie noch nicht kennen; es ist die Zukunft, die unserm Heute die Regel giebt. Gesetzt, dass es das Problem der Rangordnung ist, von dem wir sagen d?rfen, dass es unser Problem ist, wir freien Geister: jetzt, in dem Mittage unsres Lebens, verstehn wir es erst, was f?r Vorbereitungen, Umwege, Proben, Versuchungen, Verkleidungen das Problem n?thig hatte, ehe es vor uns aufsteigen durfte, und wie wir erst die vielfachsten und widersprechendsten Noth- und Gl?cksst?nde an Seele und Leib erfahren mussten, als Abenteurer und Weltumsegler jener inneren Welt, die "Mensch" heisst, als Ausmesser jedes "H?her" und "Uebereinander", das gleichfalls "Mensch" heisst - ?berallhin dringend, fast ohne Furcht, nichts verschm?hend, nichts verlierend, alles auskostend, alles vom Zuf?lligen reinigend und gleichsam aussiebend - bis wir endlich sagen durften, wir freien Geister: "Hier - ein neues Problem! Hier eine lange Leiter, auf deren Sprossen wir selbst gesessen und gestiegen sind, - die wir selbst irgend wann gewesen sind! Hier ein H?her, ein Tiefer, ein Unter-uns, eine ungeheure lange Ordnung, eine Rangordnung, die wir sehen hier - unser Problem!" -
- Es wird keinem Psychologen und Zeichendeuter einen Augenblick verborgen bleiben, an welche Stelle der eben geschilderten Entwicklung das vorliegende Buch geh?rt . Aber wo giebt es heute Psychologen? In Frankreich, gewiss; vielleicht in Russland; sicherlich nicht in Deutschland. Es fehlt nicht an Gr?nden, weshalb sich dies die heutigen Deutschen sogar noch zur Ehre anrechnen k?nnten: schlimm genug f?r Einen, der in diesem St?cke undeutsch geartet und gerathen ist! Dies deutsche Buch, welches in einem weiten Umkreis von L?ndern und V?lkern seine Leser zu finden gewusst hat - es ist ungef?hr zehn Jahr unterwegs - und sich auf irgend welche Musik und Fl?tenkunst verstehn muss, durch die auch spr?de Ausl?nder-Ohren zum Horchen verf?hrt werden, - gerade in Deutschland ist dies Buch am nachl?ssigsten gelesen, am schlechtesten geh?rt worden: woran liegt das? - "Es verlangt zu viel, hat man mir geantwortet, es wendet sich an Menschen ohne die Drangsal grober Pflichten, es will feine und verw?hnte Sinne, es hat Ueberfluss n?thig, Ueberfluss an Zeit, an Helligkeit des Himmels und Herzens, an otium im verwegensten Sinne: - lauter gute Dinge, die wir Deutschen von Heute nicht haben und also auch nicht geben k?nnen." - Nach einer so artigen Antwort r?th mir meine Philosophie, zu schweigen und nicht mehr weiter zu fragen; zumal man in gewissen F?llen, wie das Spr?chwort andeutet, nur dadurch Philosoph bleibt, dass man - schweigt.
Nizza, im Fr?hling 1886.
Erstes Hauptst?ck.
Von den ersten und letzten Dingen.
Chemie der Begriffe und Empfindungen. - Die Philosophischen Probleme nehmen jetzt wieder fast in allen St?cken dieselbe Form der Frage an, wie vor zweitausend Jahren.- wie kann Etwas aus seinem Gegensatz entstehen, zum Beispiel Vern?nftiges aus Vernunftlosem, Empfindendes aus Todtem, Logik aus Unlogik, interesseloses Anschauen aus begehrlichem Wollen, Leben f?r Andere aus Egoismus, Wahrheit aus Irrth?mern? Die metaphysische Philosophie half sich bisher ?ber diese Schwierigkeit hinweg, insofern sie die Entstehung des Einen aus dem Andern leugnete und f?r die h?her gewertheten Dinge einen Wunder-Ursprung annahm, unmittelbar aus dem Kern und Wesen des "Dinges an sich" heraus. Die historische Philosophie dagegen, welche gar nicht mehr getrennt von der Naturwissenschaft zu denken ist, die allerj?ngste aller philosophischen Methoden, ermittelte in einzelnen F?llen , dass es keine Gegens?tze sind, ausser in der gewohnten Uebertreibung der popul?ren oder metaphysischen Auffassung und dass ein Irrthum der Vernunft dieser Gegen?berstellung zu Grunde liegt: nach ihrer Erkl?rung giebt es, streng gefasst, weder ein unegoistisches Handeln, noch ein v?llig interesseloses Anschauen, es sind beides nur Sublimirungen, bei denen das Grundelement fast verfl?chtigt erscheint und nur noch f?r die feinste Beobachtung sich als vorhanden erweist. - Alles, was wir brauchen und was erst bei der gegenw?rtigen H?he der einzelnen Wissenschaften uns gegeben werden kann, ist eine Chemie der moralischen, religi?sen, ?sthetischen Vorstellungen und Empfindungen, ebenso aller jener Regungen, welche wir im Gross- und Kleinverkehr der Cultur und Gesellschaft, ja in der Einsamkeit an uns erleben: wie, wenn diese Chemie mit dem Ergebniss abschl?sse, dass auch auf diesem Gebiete die herrlichsten Farben aus niedrigen, ja verachteten Stoffen gewonnen sind? Werden Viele Lust haben, solchen Untersuchungen zu folgen? Die Menschheit liebt es, die Fragen ?ber Herkunft und Anf?nge sich aus dem Sinn zu schlagen: muss man nicht fast entmenscht sein, um den entgegengesetzten Hang in sich zu sp?ren? -
Erbfehler der Philosophen. - Alle Philosophen haben den gemeinsamen Fehler an sich, dass sie vom gegenw?rtigen Menschen ausgehen und durch eine Analyse desselben an's Ziel zu kommen meinen. Unwillk?rlich schwebt ihnen "der Mensch" als eine aeterna veritas, als ein Gleichbleibendes in allem Strudel, als ein sicheres Maass der Dinge vor. Alles, was der Philosoph ?ber den Menschen aussagt, ist aber im Grunde nicht mehr, als ein Zeugniss ?ber den Menschen eines sehr beschr?nkten Zeitraumes. Mangel an historischem Sinn ist der Erbfehler aller Philosophen; manche sogar nehmen unversehens die allerj?ngste Gestaltung des Menschen, wie eine solche unter dem Eindruck bestimmter Religionen, ja bestimmter politischer Ereignisse entstanden ist, als die feste Form, von der man ausgehen m?sse. Sie wollen nicht lernen, dass der Mensch geworden ist, dass auch das Erkenntnissverm?gen geworden ist; w?hrend Einige von ihnen sogar die ganze Welt aus diesem Erkenntnissverm?gen sich herausspinnen lassen. - Nun ist alles Wesentliche der menschlichen Entwickelung in Urzeiten vor sich gegangen, lange vor jenen vier tausend Jahren, die wir ungef?hr kennen; in diesen mag sich der Mensch nicht viel mehr ver?ndert haben. Da sieht aber der Philosoph "Instincte" am gegenw?rtigen Menschen und nimmt an, dass diese zu den unver?nderlichen Thatsachen des Menschen geh?ren und insofern einen Sch?ssel zum Verst?ndniss der Welt ?berhaupt abgeben k?nnen; die ganze Teleologie ist darauf gebaut, dass man vom Menschen der letzten vier Jahrtausende als von einem ewigen redet, zu welchem hin alle Dinge in der Welt von ihrem Anbeginne eine nat?rliche Richtung haben. Alles aber ist geworden; es giebt keine ewigen Thatsachen: sowie es keine absoluten Wahrheiten giebt. - Demnach ist das historische Philosophiren von jetzt ab n?thig und mit ihm die Tugend der Bescheidung.
Sch?tzung der unscheinbaren Wahrheiten. - Es ist das Merkmal einer h?hern Cultur, die kleinen unscheinbaren Wahrheiten, welche mit strenger Methode gefunden wurden, h?her zu sch?tzen, als die begl?ckenden und blendenden Irrth?mer, welche metaphysischen und k?nstlerischen Zeitaltern und Menschen entstammen. Zun?chst hat man gegen erstere den Hohn auf den Lippen, als k?nne hier gar nichts Gleichberechtigtes gegen einander stehen: so bescheiden, schlicht, n?chtern, ja scheinbar entmuthigend stehen diese, so sch?n, prunkend, berauschend, ja vielleicht beseligend stehen jene da. Aber das m?hsam Errungene, Gewisse, Dauernde und desshalb f?r jede weitere Erkenntniss noch Folgenreiche ist doch das H?here, zu ihm sich zu halten ist m?nnlich und zeigt Tapferkeit, Schlichtheit, Enthaltsamkeit an. Allm?hlich wird nicht nur der Einzelne, sondern die gesammte Menschheit zu dieser M?nnlichkeit emporgehoben werden, wenn sie sich endlich an die h?here Sch?tzung der haltbaren, dauerhaften Erkenntnisse gew?hnt und allen Glauben an Inspiration und wundergleiche Mittheilung von Wahrheiten verloren hat. - Die Verehrer der Formen freilich, mit ihrem Maassstabe des Sch?nen und Erhabenen, werden zun?chst gute Gr?nde zu spotten haben, sobald die Sch?tzung der unscheinbaren Wahrheiten und der wissenschaftliche Geist anf?ngt zur Herrschaft zu kommen: aber nur weil entweder ihr Auge sich noch nicht dem Reiz der schlichtesten Form erschlossen hat oder weil die in jenem Geiste erzogenen Menschen noch lange nicht v?llig und innerlich von ihm durchdrungen sind, so dass sie immer noch gedankenlos alte Formen nachmachen . Ehemals war der Geist nicht durch strenges Denken in Anspruch genommen, da lag sein Ernst im Ausspinnen von Symbolen und Formen. Das hat sich ver?ndert; jener Ernst des Symbolischen ist zum Kennzeichen der niederen Cultur geworden; wie unsere K?nste selber immer intellectualer, unsere Sinne geistiger werden, und wie man zum Beispiel jetzt ganz anders dar?ber urtheilt, was sinnlich wohlt?nend ist, als vor hundert Jahren: so werden auch die Formen unseres Lebens immer geistiger, f?r das Auge ?lterer Zeiten vielleicht h?sslicher, aber nur weil es nicht zu sehen vermag, wie das Reich der inneren, geistigen Sch?nheit sich fortw?hrend vertieft und erweitert und in wie fern uns Allen der geistreiche Blick jetzt mehr gelten darf, als der sch?nste Gliederbau und das erhabenste Bauwerk.
Astrologie und Verwandtes. - Es ist wahrscheinlich, dass die Objecte des religi?sen, moralischen und ?sthetischen Empfindens ebenfalls nur zur Oberfl?che der Dinge geh?ren, w?hrend der Mensch gerne glaubt, dass er hier wenigstens an das Herz der Welt r?hre; er t?uscht sich, weil jene Dinge ihn so tief beseligen und so tief ungl?cklich machen, und zeigt also hier denselben Stolz wie bei der Astrologie. Denn diese meint, der Sternenhimmel drehte sich um das Loos des Menschen; der moralische Mensch aber setzt voraus, Das, was ihm wesentlich am Herzen liege, m?sse auch Wesen und Herz der Dinge sein.
Missverst?ndniss des Traumes. - Im Traume glaubte der Mensch in den Zeitaltern roher uranf?nglicher Cultur eine zweite reale Welt kennen zu lernen; hier ist der Ursprung aller Metaphysik. Ohne den Traum h?tte man keinen Anlass zu einer Scheidung der Welt gefunden. Auch die Zerlegung in Seele und Leib h?ngt mit der ?ltesten Auffassung des Traumes zusammen, ebenso die Annahme eines Seelenscheinleibes, also die Herkunft alles Geisterglaubens, und wahrscheinlich auch des G?tterglaubens. "Der Todte lebt fort; denn er erscheint dem Lebenden im Traume": so schloss man ehedem, durch viele Jahrtausende hindurch.
Der Geist der Wissenschaft im Theil, nicht im Ganzen m?chtig. - Die abgetrennten kleinsten Gebiete der Wissenschaft werden rein sachlich behandelt: die allgemeinen grossen Wissenschaften dagegen legen, als Ganzes betrachtet, die Frage - eine recht unsachliche Frage freilich - auf die Lippen: wozu? zu welchem Nutzen? Wegen dieser R?cksicht auf den Nutzen werden sie, als Ganzes, weniger unpers?nlich, als in ihren Theilen behandelt. Bei der Philosophie nun gar, als bei der Spitze der gesammten Wissenspyramide, wird unwillk?rlich die Frage nach dem Nutzen der Erkenntniss ?berhaupt aufgeworfen, und jede Philosophie hat unbewusst die Absicht, ihr den h?chsten Nutzen zuzuschreiben. Desshalb giebt es in allen Philosophien so viel hochfliegende Metaphysik und eine solche Scheu vor den unbedeutend erscheinenden L?sungen der Physik; denn die Bedeutsamkeit der Erkenntniss f?r das Leben soll so gross als m?glich erscheinen. Hier ist der Antagonismus zwischen den wissenschaftlichen Einzelgebieten und der Philosophie. Letztere will, was die Kunst will, dem Leben und Handeln m?glichste Tiefe und Bedeutung geben; in ersteren sucht man Erkenntniss und Nichts weiter, - was dabei auch herauskomme. Es hat bis jetzt noch keinen Philosophen gegeben, unter dessen H?nden die Philosophie nicht zu einer Apologie der Erkenntniss geworden w?re; in diesem Puncte wenigstens ist ein jeder Optimist, dass dieser die h?chste N?tzlichkeit zugesprochen werden m?sse. Sie alle werden von der Logik tyrannisirt: und diese ist ihrem Wesen nach Optimismus.
Der St?renfried in der Wissenschaft. Die Philosophie schied sich von der Wissenschaft, als sie die Frage stellte: welches ist diejenige Erkenntniss der Welt und des Lebens, bei welcher der Mensch am gl?cklichsten lebt? Diess geschah in den sokratischen Schulen: durch den Gesichtspunct des Gl?cks unterband man die Blutadern der wissenschaftlichen Forschung - und thut es heute noch.
Pneumatische Erkl?rung der Natur. - Die Metaphysik erkl?rt die Schrift der Natur gleichsam pneumatisch, wie die Kirche und ihre Gelehrten es ehemals mit der Bibel thaten. Es geh?rt sehr viel Verstand dazu, um auf die Natur die selbe Art der strengeren Erkl?rungskunst anzuwenden, wie jetzt die -Philologen sie f?r alle B?cher geschaffen haben: mit der Absicht, schlicht zu verstehen, was die Schrift sagen will, aber nicht einen doppelten Sinn zu wittern, ja vorauszusetzen. Wie aber selbst in Betreff der B?cher die schlechte Erkl?rungskunst keineswegs v?llig ?berwunden ist und man in der besten gebildeten Gesellschaft noch fortw?hrend auf Ueberreste allegorischer und mystischer Ausdeutung st?sst: so steht es auch in Betreff der Natur - ja noch viel schlimmer.
Metaphysische Welt. - Es ist wahr, es k?nnte eine metaphysische Welt geben; die absolute M?glichkeit davon ist kaum zu bek?mpfen. Wir sehen alle Dinge durch den Menschenkopf an und k?nnen diesen Kopf nicht abschneiden; w?hrend doch die Frage ?brig bleibt, was von der Welt noch da w?re, wenn man ihn doch abgeschnitten h?tte. Diess ist ein rein wissenschaftliches Problem und nicht sehr geeignet, den Menschen Sorgen zu machen; aber Alles, was ihnen bisher metaphysische Annahmen werthvoll, schreckenvoll, lustvoll gemacht, was sie erzeugt hat, ist Leidenschaft, Irrthum und Selbstbetrug; die allerschlechtesten Methoden der Erkenntniss, nicht die allerbesten, haben daran glauben lehren. Wenn man diese Methoden, als das Fundament aller vorhandenen Religionen und Metaphysiken, aufgedeckt hat, hat man sie widerlegt. Dann bleibt immer noch jene M?glichkeit ?brig; aber mit ihr kann man gar Nichts anfangen, geschweige denn, dass man Gl?ck, Heil und Leben von den Spinnenf?den einer solchen M?glichkeit abh?ngen lassen d?rfte. - Denn man k?nnte von der metaphysischen Welt gar Nichts aussagen, als ein Anderssein, ein uns unzug?ngliches, unbegreifliches Anderssein; es w?re ein Ding mit negativen Eigenschaften. - W?re die Existenz einer solchen Welt noch so gut bewiesen, so st?nde doch fest, dass die gleichg?ltigste aller Erkenntnisse eben ihre Erkenntniss w?re: noch gleichg?ltiger als dem Schiffer in Sturmesgefahr die Erkenntniss von der chemischen Analysis des Wassers sein muss.
Harmlosigkeit der Metaphysik in der Zukunft. - Sobald die Religion, Kunst und Moral in ihrer Entstehung so beschrieben sind, dass man sie vollst?ndig sich erkl?ren kann, ohne zur Annahme metaphysischer Eingriffe am Beginn und im Verlaufe der Bahn seine Zuflucht zu nehmen, h?rt das st?rkste Interesse an dem rein theoretischen Problem vom "Ding an sich" und der "Erscheinung" auf. Denn wie es hier auch stehe: mit Religion, Kunst und Moral r?hren wir nicht an das "Wesen der Welt an sich"; wir sind im Bereiche der Vorstellung, keine "Ahnung" kann uns weitertragen. Mit voller Ruhe wird man die Frage, wie unser Weltbild so stark sich von dem erschlossenen Wesen der Welt unterscheiden k?nne, der Physiologie und der Entwickelungsgeschichte der Organismen und Begriffe ?berlassen.
Die Sprache als vermeintliche Wissenschaft. - Die Bedeutung der Sprache f?r die Entwickelung der Cultur liegt darin, dass in ihr der Mensch eine eigene Welt neben die andere stellte, einen Ort, welchen er f?r so fest hielt, um von ihm aus die ?brige Welt aus den Angeln zu heben und sich zum Herrn derselben zu machen. Insofern der Mensch an die Begriffe und Namen der Dinge als an aeternae veritates durch lange Zeitstrecken hindurch geglaubt hat, hat er sich jenen Stolz angeeignet, mit dem er sich ?ber das Thier erhob: er meinte wirklich in der Sprache die Erkenntniss der Welt zu haben. Der Sprachbildner war nicht so bescheiden, zu glauben, dass er den Dingen eben nur Bezeichnungen gebe, er dr?ckte vielmehr, wie er w?hnte, das h?chste Wissen ?ber die Dinge mit den Worten aus; in der That ist die Sprache die erste Stufe der Bem?hung um die Wissenschaft. Der Glaube an die gefundene Wahrheit ist es auch hier, aus dem die m?chtigsten Kraftquellen geflossen sind. Sehr nachtr?glich -jetzt erst - d?mmert es den Menschen auf, dass sie einen ungeheuren Irrthum in ihrem Glauben an die Sprache propagirt haben. Gl?cklicherweise ist es zu sp?t, als dass es die Entwickelung der Vernunft, die auf jenem Glauben beruht, wieder r?ckg?ngig machen k?nnte. - Auch die Logik beruht auf Voraussetzungen, denen Nichts in der wirklichen Welt entspricht, z.B. auf der Voraussetzung der Gleichheit von Dingen, der Identit?t des selben Dinges in verschiedenen Puncten der Zeit: aber jene Wissenschaft entstand durch den entgegengesetzten Glauben . Ebenso steht es mit der Mathematik, welche gewiss nicht entstanden w?re, wenn man von Anfang an gewusst h?tte, dass es in der Natur keine exact gerade Linie, keinen wirklichen Kreis, kein absolutes Gr?ssenmaass gebe.
Traum und Cultur.- Die Gehirnfunction, welche durch den Schlaf am meisten beeintr?chtigt wird, ist das Ged?chtniss: nicht dass es ganz pausirte, - aber es ist auf einen Zustand der Unvollkommenheit zur?ckgebracht, wie es in Urzeiten der Menschheit bei jedermann am Tage und im Wachen gewesen sein mag. Willk?rlich und verworren, wie es ist, verwechselt es fortw?hrend die Dinge auf Grund der fl?chtigsten Aehnlichkeiten: aber mit der selben Willk?r und Verworrenheit dichteten die V?lker ihre Mythologien, und noch jetzt pflegen Reisende zu beobachten, wie sehr der Wilde zur Vergesslichkeit neigt, wie sein Geist nach kurzer Anspannung des Ged?chtnisses hin und her zu taumeln beginnt und er, aus blosser Erschlaffung, L?gen und Unsinn hervorbringt. Aber wir Alle gleichen im Traume diesem Wilden; das schlechte Wiedererkennen und irrth?mliche Gleichsetzen ist der Grund des schlechten Schliessens, dessen wir uns im Traume schuldig machen: so dass wir, bei deutlicher Vergegenw?rtigung eines Traumes, vor uns erschrecken, weil wir so viel Narrheit in uns bergen. - Die vollkommene Deutlichkeit aller Traum-Vorstellungen, welche den unbedingten Glauben an ihre Realit?t zur Voraussetzung hat, erinnert uns wieder an Zust?nde fr?herer Menschheit, in der die Hallucination ausserordentlich h?ufig war und mitunter ganze Gemeinden, ganze V?lker gleichzeitig ergriff. Also: im Schlaf und Traum machen wir das Pensum fr?heren Menschenthums noch einmal durch.
Logik des Traumes. - Im Schlafe ist fortw?hrend unser Nervensystem durch mannichfache innere Anl?sse in Erregung, fast alle Organe secerniren und sind in Th?tigkeit, das Blut macht seinen ungest?men Kreislauf, die Lage des Schlafenden dr?ckt einzelne Glieder, seine Decken beeinflussen die Empfindung verschiedenartig, der Magen verdaut und beunruhigt mit seinen Bewegungen andere Organe, die Ged?rme winden sich, die Stellung des Kopfes bringt ungew?hnliche Muskellagen mit sich, die F?sse, unbeschuht, nicht mit den Sohlen den Boden dr?ckend, verursachen das Gef?hl des Ungew?hnlichen ebenso wie die andersartige Bekleidung des ganzen K?rpers, - alles diess nach seinem t?glichen Wechsel und Grade erregt durch seine Aussergew?hnlichkeit das gesammte System bis in die Gehirnfunction hinein: und so giebt es hundert Anl?sse f?r den Geist, um sich zu verwundern und nach Gr?nden dieser Erregung zu suchen: der Traum aber ist das Suchen und Vorstellen der Ursachen f?r jene erregten Empfindungen, das heisst der vermeintlichen Ursachen. Wer zum Beispiel seine F?sse mit zwei Riemen umg?rtet, tr?umt wohl, dass zwei Schlangen seine F?sse umringeln: diess ist zuerst eine Hypothese, sodann ein Glaube, mit einer begleitenden bildlichen Vorstellung und Ausdichtung: "diese Schlangen m?ssen die causa jener Empfindung sein, welche ich, der Schlafende, habe", - so urtheilt der Geist des Schlafenden. Die so erschlossene n?chste Vergangenheit wird durch die erregte Phantasie ihm zur Gegenwart. So weiss jeder aus Erfahrung, wie schnell der Tr?umende einen starken an ihn dringenden Ton, zum Beispiel Glockenl?uten, Kanonensch?sse in seinen Traum verflicht, das heisst aus ihm hinterdrein erkl?rt, so dass er zuerst die veranlassenden Umst?nde, dann jenen Ton zu erleben meint. - Wie kommt es aber, dass der Geist des Tr?umenden immer so fehl greift, w?hrend der selbe Geist im Wachen so n?chtern, behutsam und in Bezug auf Hypothesen so skeptisch zu sein pflegt? so dass ihm die erste beste Hypothese zur Erkl?rung eines Gef?hls gen?gt, um sofort an ihre Wahrheit zu glauben? . - Ich meine: wie jetzt noch der Mensch im Traume schliesst, so schloss die Menschheit auch im Wachen viele Jahrtausende hindurch: die erste causa, die dem Geiste einfiel, um irgend Etwas, das der Erkl?rung bedurfte, zu erkl?ren, gen?gte ihm und galt als Wahrheit. Im Traum ?bt sich dieses uralte St?ck Menschenthum in uns fort, denn es ist die Grundlage, auf der die h?here Vernunft sich entwickelte und in jedem Menschen sich noch entwickelt: der Traum bringt uns in ferne Zust?nde der menschlichen Cultur wieder zur?ck und giebt ein Mittel an die Hand, sie besser zu verstehen. Das Traumdenken wird uns jetzt so leicht, weil wir in ungeheuren Entwickelungsstrecken der Menschheit gerade auf diese Form des phantastischen und wohlfeilen Erkl?rens aus dem ersten beliebigen Einfalle heraus so gut eingedrillt worden sind. Insofern ist der Traum eine Erholung f?r das Gehirn, welches am Tage den strengeren Anforderungen an das Denken zu gen?gen hat, wie sie von der h?heren Cultur gestellt werden. - Einen verwandten Vorgang k?nnen wir geradezu als Pforte und Vorhalle des Traumes noch bei wachem Verstande in Augenschein nehmen. Schliessen wir die Augen, so producirt das Gehirn eine Menge von Lichteindr?cken und Farben, wahrscheinlich als eine Art Nachspiel und Echo aller jener Lichtwirkungen, welche am Tage auf dasselbe eindringen. Nun verarbeitet aber der Verstand diese an sich formlosen Farbenspiele sofort zu bestimmten Figuren, Gestalten, Landschaften, belebten Gruppen. Der eigentliche Vorgang dabei ist wiederum eine Art Schluss von der Wirkung auf die Ursache; indem der Geist fragt: woher diese Lichteindr?cke und Farben, supponirt er als Ursachen jene Figuren, Gestalten: sie gelten ihm als die Veranlassungen jener Farben und Lichter, weil er, am Tage, bei offenen Augen, gewohnt ist, zu jeder Farbe, jedem Lichteindrucke eine veranlassende Ursache zu finden. Hier also schiebt ihm die Phantasie fortw?hrend Bilder vor, indem sie an die Gesichtseindr?cke des Tages sich in ihrer Production anlehnt, und gerade so macht es die Traumphantasie: - das heisst die vermeintliche Ursache wird aus der Wirkung erschlossen und nach der Wirkung vorgestellt: alles diess mit ausserordentlicher Schnelligkeit, so dass hier wie beim Taschenspieler eine Verwirrung des Urtheils entstehen und ein Nacheinander sich wie etwas Gleichzeitiges, selbst wie ein umgedrehtes Nacheinander ausnehmen kann. - Wir k?nnen aus diesen Vorg?ngen entnehmen, wie sp?t das sch?rfere logische Denken, das Strengnehmen von Ursache und Wirkung, entwickelt worden ist, wenn unsere Vernunft- und Verstandesfunctionen jetzt noch unwillk?rlich nach jenen primitiven Formen des Schliessens zur?ckgreifen und wir ziemlich die H?lfte unseres Lebens in diesem Zustande leben. - Auch der Dichter, der K?nstler schiebt seinen Stimmungen und Zust?nden Ursachen unter, welche durchaus nicht die wahren sind; er erinnert insofern an ?lteres Menschenthum und kann uns zum Verst?ndnisse desselben verhelfen.
Miterklingen. - Alle st?rkeren Stimmungen bringen ein Miterklingen verwandter Empfindungen und Stimmungen mit sich; sie w?hlen gleichsam das Ged?chtniss auf. Es erinnert sich bei ihnen Etwas in uns und wird sich ?hnlicher Zust?nde und deren Herkunft bewusst. So bilden sich angew?hnte rasche Verbindungen von Gef?hlen und Gedanken, welche zuletzt, wenn sie blitzschnell hinter einander erfolgen, nicht einmal mehr als Complexe, sondern als Einheiten empfunden werden. In diesem Sinne redet man vom moralischen Gef?hle, vom religi?sen Gef?hle, wie als ob diess lauter Einheiten seien: in Wahrheit sind sie Str?me mit hundert Quellen und Zufl?ssen. Auch hier, wie so oft, verb?rgt die Einheit des Wortes Nichts f?r die Einheit der Sache.
Kein Innen und Aussen in der Welt. - Wie Demokrit die Begriffe Oben und Unten auf den unendlichen Raum ?bertrug, wo sie keinen Sinn haben, so die Philosophen ?berhaupt den Begriff "Innen und Aussen" auf Wesen und Erscheinung der Welt; sie meinen, mit tiefen Gef?hlen komme man tief in's Innere, nahe man sich dem Herzen der Natur. Aber diese Gef?hle sind nur insofern tief, als mit ihnen, kaum bemerkbar, gewisse complicirte Gedankengruppen regelm?ssig erregt werden, welche wir tief nennen; ein Gef?hl ist tief, weil wir den begleitenden Gedanken f?r tief halten. Aber der tiefe Gedanke kann dennoch der Wahrheit sehr fern sein, wie zum Beispiel jeder metaphysische; rechnet man vom tiefen Gef?hle die beigemischten Gedankenelemente ab, so bleibt das starke Gef?hl ?brig, und dieses verb?rgt Nichts f?r die Erkenntniss, als sich selbst, ebenso wie der starke Glaube nur seine St?rke, nicht die Wahrheit des Geglaubten beweist.
Erscheinung und Ding an sich. - Die Philosophen pflegen sich vor das Leben und die Erfahrung - vor Das, was sie die Welt der Erscheinung nennen - wie vor ein Gem?lde hinzustellen, das ein f?r alle Mal entrollt ist und unver?nderlich fest den selben Vorgang zeigt: diesen Vorgang, meinen sie, m?sse man richtig ausdeuten, um damit einen Schluss auf das Wesen zu machen, welches das Gem?lde hervorgebracht habe: also auf das Ding an sich, das immer als der zureichende Grund der Welt der Erscheinung angesehen zu werden pflegt. Dagegen haben strengere Logiker, nachdem sie den Begriff des Metaphysischen scharf als den des Unbedingten, folglich auch Unbedingenden festgestellt hatten, jeden Zusammenhang zwischen dem Unbedingten und der uns bekannten Welt in Abrede gestellt: so dass in der Erscheinung eben durchaus nicht das Ding an sich erscheine, und von jener auf dieses jeder Schluss abzulehnen sei. Von beiden Seiten ist aber die M?glichkeit ?bersehen, dass jenes Gem?lde - Das, was jetzt uns Menschen Leben und Erfahrung heisst - allm?hlich geworden ist, ja noch v?llig im Werden ist und desshalb nicht als feste Gr?sse betrachtet werden soll, von welcher aus man einen Schluss ?ber den Urheber machen oder auch nur ablehnen d?rfte. Dadurch, dass wir seit Jahrtausenden mit moralischen, ?sthetischen, religi?sen Anspr?chen, mit blinder Neigung, Leidenschaft oder Furcht in die Welt geblickt und uns in den Unarten des unlogischen Denkens recht ausgeschwelgt haben, ist diese Welt allm?hlich so wundersam bunt, schrecklich, bedeutungstief, seelenvoll geworden, sie hat Farbe bekommen, - aber wir sind die Coloristen gewesen: der menschliche Intellect hat die Erscheinung erscheinen lassen und seine irrth?mlichen Grundauffassungen in die Dinge hineingetragen. Sp?t, sehr sp?t - besinnt er sich: und jetzt scheinen ihm die Welt der Erfahrung und das Ding an sich so ausserordentlich verschieden und getrennt, dass er den Schluss von jener auf dieses ablehnt - oder auf eine schauerlich geheimnissvolle Weise zum Aufgeben unsers Intellectes, unsers pers?nlichen Willens auffordert: um dadurch zum Wesenhaften zu kommen, dass man wesenhaft werde. Wiederum haben Andere alle charakteristischen Z?ge unserer Welt der Erscheinung - das heisst der aus intellectuellen Irrth?mern herausgesponnenen und uns angeerbten Vorstellung von der Welt - zusammengelesen und anstatt den Intellect als Schuldigen anzuklagen, das Wesen der Dinge als Ursache dieses thats?chlichen, sehr unheimlichen Weltcharakters angeschuldigt und die Erl?sung vom Sein gepredigt. - Mit all diesen Auffassungen wird der stetige und m?hsame Process der Wissenschaft, welcher zuletzt einmal in einer Entstehungsgeschichte des Denkens seinen h?chsten Triumph feiert, in entscheidender Weise fertig werden, dessen Resultat vielleicht auf diesen Satz hinauslaufen d?rfte: Das, was wir jetzt die Welt nennen, ist das Resultat einer Menge von Irrth?mern und Phantasien, welche in der gesammten Entwickelung der organischen Wesen allm?hlich entstanden, in einander verwachsen und uns jetzt als aufgesammelter Schatz der ganzen Vergangenheit vererbt werden, - als Schatz: denn der Werth unseres Menschenthums ruht darauf. Von dieser Welt der Vorstellung vermag uns die strenge Wissenschaft thats?chlich nur in geringem Maasse zu l?sen - wie es auch gar nicht zu w?nschen ist -, insofern sie die Gewalt uralter Gewohnheiten der Empfindung nicht wesentlich zu brechen vermag: aber sie kann die Geschichte der Entstehung jener Welt als Vorstellung ganz allm?hlich und schrittweise aufhellen - und uns wenigstens f?r Augenblicke ?ber den ganzen Vorgang hinausheben. Vielleicht erkennen wir dann, dass das Ding an sich eines homerischen Gel?chters werth ist: dass es so viel, ja Alles schien und eigentlich leer, n?mlich bedeutungsleer ist.
Metaphysische Erkl?rungen. - Der junge Mensch sch?tzt metaphysische Erkl?rungen, weil sie ihm in Dingen, welche er unangenehm oder ver?chtlich fand, etwas h?chst Bedeutungsvolles aufweisen: und ist er mit sich unzufrieden, so erleichtert sich diess Gef?hl, wenn er das innerste Weltr?thsel oder Weltelend in dem wiedererkennt, was er so sehr an sich missbilligt. Sich unverantwortlicher f?hlen und die Dinge zugleich interessanter finden - das gilt ihm als die doppelte Wohlthat, welche er der Metaphysik verdankt. Sp?ter freilich bekommt er Misstrauen gegen die ganze metaphysische Erkl?rungsart, dann sieht er vielleicht ein, dass jene Wirkungen auf einem anderen Wege eben so gut und wissenschaftlicher zu erreichen sind: dass physische und historische Erkl?rungen mindestens ebenso sehr jenes Gef?hl der Unverantwortlichkeit herbeif?hren, und dass jenes Interesse am Leben und seinen Problemen vielleicht noch mehr dabei entflammt wird.
Grundfragen der Metaphysik. - Wenn einmal die Entstehungsgeschichte des denkens geschrieben ist, so wird auch der folgende Satz eines ausgezeichneten Logikers von einem neuen Lichte erhellt dastehen: "Das urspr?ngliche allgemeine Gesetz des erkennenden Subjects besteht in der inneren Nothwendigkeit, jeden Gegenstand an sich, in seinem eigenen Wesen als einen mit sich selbst identischen, also selbstexistirenden und im Grunde stets gleichbleibenden und unwandelbaren, kurz als eine Substanz zu erkennen." Auch dieses Gesetz, welches hier "urspr?nglich" genannt wird, ist geworden: es wird einmal gezeigt werden, wie allm?hlich, in den niederen Organismen, dieser Hang entsteht, wie die bl?den Maulwurfsaugen dieser Organisationen zuerst Nichts als immer das Gleiche sehen, wie dann, wenn die verschiedenen Erregungen von Lust und Unlust bemerkbarer werden, allm?hlich verschiedene Substanzen unterschieden werden, aber jede mit Einem Attribut, das heisst einer einzigen Beziehung zu einem solchen Organismus. - Die erste Stufe des Logischen ist das Urtheil; dessen Wesen besteht, nach der Feststellung der besten Logiker, im Glauben. Allem Glauben zu Grunde liegt die Empfindung des Angenehmen oder Schmerzhaften in Bezug auf das empfindende Subject. Eine neue dritte Empfindung als Resultat zweier vorangegangenen einzelnen Empfindungen ist das Urtheil in seiner niedrigsten Form. - Uns organische Wesen interessirt urspr?nglich Nichts an jedem Dinge, als sein Verh?ltniss zu uns in Bezug auf Lust und Schmerz. Zwischen den Momenten, in welchen wir uns dieser Beziehung bewusst werden, den Zust?nden des Empfindens, liegen solche der Ruhe, des Nichtempfindens: da ist die Welt und jedes Ding f?r uns interesselos, wir bemerken keine Ver?nderung an ihm . F?r die Pflanze sind gew?hnlich alle Dinge ruhig, ewig, jedes Ding sich selbst gleich. Aus der Periode der niederen Organismen her ist dem Menschen der Glaube vererbt, dass es gleiche Dinge giebt . Der Urglaube alles Organischen von Anfang an ist vielleicht sogar, dass die ganze ?brige Welt Eins und unbewegt ist. - Am fernsten liegt f?r jene Urstufe des Logischen der Gedanke an Causalit?t: ja jetzt noch meinen wir im Grunde, alle Empfindungen und Handlungen seien Acte des freien Willens; wenn das f?hlende Individuum sich selbst betrachtet, so h?lt es jede Empfindung, jede Ver?nderung f?r etwas Isolirtes, das heisst Unbedingtes, Zusammenhangloses: es taucht aus uns auf, ohne Verbindung mit Fr?herem oder Sp?terem. Wir haben Hunger, aber meinen urspr?nglich nicht, dass der Organismus erhalten werden will, sondern jenes Gef?hl scheint sich ohne Grund und Zweck geltend zu machen, es isolirt sich und h?lt sich f?r willk?rlich. Also: der Glaube an die Freiheit des Willens ist ein urspr?nglicher Irrthum alles Organischen, so alt, als die Regungen des Logischen in ihm existiren; der Glaube an unbedingte Substanzen und an gleiche Dinge ist ebenfalls ein urspr?nglicher, ebenso alter Irrthum alles Organischen. Insofern aber alle Metaphysik sich vornehmlich mit Substanz und Freiheit des Willens abgegeben hat, so darf man sie als die Wissenschaft bezeichnen, welche von den Grundirrth?mern des Menschen handelt, doch so, als w?ren es Grundwahrheiten.
Die Zahl. - Die Erfindung der Gesetze der Zahlen ist auf Grund des urspr?nglich schon herrschenden Irrthums gemacht, dass es mehrere gleiche Dinge gebe , mindestens dass es Dinge gebe . Die Annahme der Vielheit setzt immer voraus, dass es Etwas gebe, das vielfach vorkommt: aber gerade hier schon waltet der Irrthum, schon da fingiren wir Wesen, Einheiten, die es nicht giebt. - Unsere Empfindungen von Raum und Zeit sind falsch, denn sie f?hren, consequent gepr?ft, auf logische Widerspr?che. Bei allen wissenschaftlichen Feststellungen rechnen wir unvermeidlich immer mit einigen falschen Gr?ssen: aber weil diese Gr?ssen wenigstens constant sind, wie zum Beispiel unsere Zeit- und Raumempfindung, so bekommen die Resultate der Wissenschaft doch eine vollkommene Strenge und Sicherheit in ihrem Zusammenhange mit einander; man kann auf ihnen fortbauen - bis an jenes letzte Ende, wo die irrth?mliche Grundannahme, jene constanten Fehler, in Widerspruch mit den Resultaten treten, zum Beispiel in der Atomenlehre. Da f?hlen wir uns immer noch zur Annahme eines "Dinges" oder stofflichen "Substrats", das bewegt wird, gezwungen, w?hrend die ganze wissenschaftliche Procedur eben die Aufgabe verfolgt hat, alles Dingartige in Bewegungen aufzul?sen: wir scheiden auch hier noch mit unserer Empfindung Bewegendes und Bewegtes und kommen aus diesem Zirkel nicht heraus, weil der Glaube an Dinge mit unserem Wesen von Alters her verknotet ist. - Wenn Kant sagt "der Verstand sch?pft seine Gesetze nicht aus der Natur, sondern schreibt sie dieser vor", so ist diess in Hinsicht auf den Begriff der Natur v?llig wahr, welchen wir gen?thigt sind, mit ihr zu verbinden , welcher aber die Aufsummirung einer Menge von Irrth?mern des Verstandes ist. - Auf eine Welt, welche nicht unsere Vorstellung ist, sind die Gesetze der Zahlen g?nzlich unanwendbar: diese gelten allein in der Menschen-Welt.
Einige Sprossen zur?ck. - Die eine, gewiss sehr hohe Stufe der Bildung ist erreicht, wenn der Mensch ?ber abergl?ubische und religi?se Begriffe und Aengste hinauskommt und zum Beispiel nicht mehr an die lieben Englein oder die Erbs?nde glaubt, auch vom Heil der Seelen zu reden verlernt hat: ist er auf dieser Stufe der Befreiung, so hat er auch noch mit h?chster Anspannung seiner Besonnenheit die Metaphysik zu ?berwinden. Dann aber ist eine r?ckl?ufige Bewegung n?thig: er muss die historische Berechtigung, ebenso die psychologische in solchen Vorstellungen begreifen, er muss erkennen, wie die gr?sste F?rderung der Menschheit von dorther gekommen sei und wie man sich, ohne eine solche r?ckl?ufige Bewegung, der besten Ergebnisse der bisherigen Menschheit berauben w?rde. - In Betreff der philosophischen Metaphysik sehe ich jetzt immer Mehrere, welche an das negative Ziel gelangt sind, aber noch Wenige, welche einige Sprossen r?ckw?rts steigen; man soll n?mlich ?ber die letzte Sprosse der Leiter wohl hinausschauen, aber nicht auf ihr stehen wollen. Die Aufgekl?rtesten bringen es nur so weit, sich von der Metaphysik zu befreien und mit Ueberlegenheit auf sie zur?ckzusehen: w?hrend es doch auch hier, wie im Hippodrom, noth thut, um das Ende der Bahn herumzubiegen.
Muthmaasslicher Sieg der Skepsis. - Man lasse einmal den skeptischen Ausgangspunct gelten: gesetzt, es g?be keine andere, metaphysische Welt und alle aus der Metaphysik genommenen Erkl?rungen der uns einzig bekannten Welt w?ren unbrauchbar f?r uns, mit welchem Blick w?rden wir dann auf Menschen und Dinge sehen? Diess kann man sich ausdenken, es ist n?tzlich, selbst wenn die Frage, ob etwas Metaphysisches wissenschaftlich durch Kant und Schopenhauer bewiesen sei, einmal abgelehnt w?rde. Denn es ist, nach historischer Wahrscheinlichkeit, sehr gut m?glich, dass die Menschen einmal in dieser Beziehung im Ganzen und Allgemeinen skeptisch werden; da lautet also die Frage: wie wird sich dann die menschliche Gesellschaft, unter dem Einfluss einer solchen Gesinnung, gestalten? Vielleicht ist der wissenschaftliche Beweis irgend einer metaphysischen Welt schon so schwierig, dass die Menschheit ein Misstrauen gegen ihn nicht mehr los wird. Und wenn man gegen die Metaphysik Misstrauen hat, so giebt es im Ganzen und Grossen die selben Folgen, wie wenn sie direct widerlegt w?re und man nicht mehr an sie glauben d?rfte. Die historische Frage in Betreff einer unmetaphysischen Gesinnung der Menschheit bleibt in beiden F?llen die selbe.
Unglaube an das "monumentum aere perennius". - Ein wesentlicher Nachtheil, welchen das Aufh?ren metaphysischer Ansichten mit sich bringt, liegt darin, dass das Individuum zu streng seine kurze Lebenszeit in's Auge fasst und keine st?rkeren Antriebe empf?ngt, an dauerhaften, f?r Jahrhunderte angelegten Institutionen zu bauen; es will die Frucht selbst vom Baume pfl?cken, den es pflanzt, und desshalb mag es jene B?ume nicht mehr pflanzen, welche eine Jahrhundert lange gleichm?ssige Pflege erfordern und welche lange Reihenfolgen von Geschlechtern zu ?berschatten bestimmt sind. Denn metaphysische Ansichten geben den Glauben, dass in ihnen das letzte endg?ltige Fundament gegeben sei, auf welchem sich nunmehr alle Zukunft der Menschheit niederzulassen und anzubauen gen?thigt sei; der Einzelne f?rdert sein Heil, wenn er zum Beispiel eine Kirche, ein Kloster stiftet, es wird ihm, so meint er, im ewigen Fortleben der Seele angerechnet und vergolten, es ist Arbeit am ewigen Heil der Seele. - Kann die Wissenschaft auch solchen Glauben an ihre Resultate erwecken? In der That braucht sie den Zweifel und das Misstrauen als treuesten Bundesgenossen; trotzdem kann mit der Zeit die Summe der unantastbaren, das heisst alle St?rme der Skepsis, alle Zersetzungen ?berdauernden Wahrheiten so gross werden , dass man sich daraufhin entschliesst, "ewige" Werke zu gr?nden. Einstweilen wirkt der Contrast unseres aufgeregten Ephemeren-Daseins gegen die langathmige Ruhe metaphysischer Zeitalter noch zu stark, weil die beiden Zeiten noch zu nahe gestellt sind; der einzelne Mensch selber durchl?uft jetzt zu viele innere und ?ussere Entwickelungen, als dass er auch nur auf seine eigene Lebenszeit sich dauerhaft und ein f?r alle Mal einzurichten wagt. Ein ganz moderner Mensch, der sich zum Beispiel ein Haus bauen will, hat dabei ein Gef?hl, als ob er bei lebendigem Leibe sich in ein Mausoleum vermauern wolle.
Zeitalter der Vergleichung. - je weniger die Menschen durch das Herkommen gebunden sind, um so gr?sser wird die innere Bewegung der Motive, um so gr?sser wiederum, dem entsprechend, die ?ussere Unruhe, das Durcheinanderfluten der Menschen, die Polyphonie der Bestrebungen. F?r wen giebt es jetzt noch einen strengeren Zwang, an einen Ort sich und seine Nachkommen anzubinden? F?r wen giebt es ?berhaupt noch etwas streng Bindendes? Wie alle Stilarten der K?nste neben einander nachgebildet werden, so auch alle Stufen und Arten der Moralit?t, der Sitten, der Culturen. - Ein solches Zeitalter bekommt seine Bedeutung dadurch, dass in ihm die verschiedenen Weltbetrachtungen, Sitten, Culturen verglichen und neben einander durchlebt werden k?nnen; was fr?her, bei der immer localisirten Herrschaft jeder Cultur, nicht m?glich war, entsprechend der Gebundenheit aller k?nstlerischen Stilarten an Ort und Zeit. Jetzt wird eine Vermehrung des ?sthetischen Gef?hls endg?ltig unter so vielen der Vergleichung sich darbietenden Formen entscheiden: sie wird die meisten, - n?mlich alle, welche durch dasselbe abgewiesen werden, - absterben lassen. Ebenso findet jetzt ein Ausw?hlen in den Formen und Gewohnheiten der h?heren Sittlichkeit statt, deren Ziel kein anderes, als der Untergang der niedrigeren Sittlichkeiten sein kann. Es ist das Zeitalter der Vergleichung! Das ist sein Stolz, - aber billigerweise auch sein Leiden. F?rchten wir uns vor diesem Leiden nicht! Vielmehr wollen wir die Aufgabe, welche das Zeitalter uns stellt, so gross verstehen, als wir nur verm?gen: so wird uns die Nachwelt darob segnen, - eine Nachwelt, die ebenso sich ?ber die abgeschlossenen originalen Volks-Culturen hinaus weiss, als ?ber die Cultur der Vergleichung, aber auf beide Arten der Cultur als auf verehrungsw?rdige Alterth?mer mit Dankbarkeit zur?ckblickt.
M?glichkeit des Fortschritts. - Wenn ein Gelehrter der alten Cultur es verschw?rt, nicht mehr mit Menschen umzugehen, welche an den Fortschritt glauben, so hat er Recht. Denn die alte Cultur hat ihre Gr?sse und G?te hinter sich und die historische Bildung zwingt Einen, zuzugestehen, dass sie nie wieder frisch werden kann; es ist ein unausstehlicher Stumpfsinn oder ebenso unleidliche Schw?rmerei n?thig, um diess zu leugnen. Aber die Menschen k?nnen mit Bewusstsein beschliessen, sich zu einer neuen Cultur fortzuentwickeln, w?hrend sie sich fr?her unbewusst und zuf?llig entwickelten: sie k?nnen jetzt bessere Bedingungen f?r die Entstehung der Menschen, ihre Ern?hrung, Erziehung, Unterrichtung schaffen, die Erde als Ganzes ?konomisch verwalten, die Kr?fte der Menschen ?berhaupt gegen einander abw?gen und einsetzen. Diese neue bewusste Cultur t?dtet die alte, welche, als Ganzes angeschaut, ein unbewusstes Thier- und Pflanzenleben gef?hrt hat; sie t?dtet auch das Misstrauen gegen den Fortschritt, -er ist m?glich. Ich will sagen: es ist voreilig und fast unsinnig, zu glauben, dass der Fortschritt nothwendig erfolgen m?sse; aber wie k?nnte man leugnen, dass er m?glich sei? Dagegen ist ein Fortschritt im Sinne und auf dem Wege der alten Cultur nicht einmal denkbar. Wenn romantische Phantastik immerhin auch das Wort "Fortschritt" von ihren Zielen gebraucht: jedenfalls entlehnt sie das Bild davon aus der Vergangenheit; ihr Denken und Vorstellen ist auf diesem Gebiete ohne jede Originalit?t.
Privat- und Welt-Moral. - Seitdem der Glaube aufgeh?rt hat, dass ein Gott die Schicksale der Welt im Grossen leite und, trotz aller anscheinenden Kr?mmungen im Pfade der Menschheit, sie doch herrlich hinausf?hre, m?ssen die Menschen selber sich ?kumenische, die ganze Erde umspannende Ziele stellen. Die ?ltere Moral, namentlich die Kant's, verlangt vom Einzelnen Handlungen, welche man von allen Menschen w?nscht: das war eine sch?ne naive Sache; als ob ein jeder ohne Weiteres w?sste, bei welcher Handlungsweise das Ganze der Menschheit wohlfahre, also welche Handlungen ?berhaupt w?nschenswerth seien; es ist eine Theorie wie die vom Freihandel, voraussetzend, dass die allgemeine Harmonie sich nach eingeborenen Gesetzen des Besserwerdens von selbst ergeben m?sse. Vielleicht l?sst es ein zuk?nftiger Ueberblick ?ber die Bed?rfnisse der Menschheit durchaus nicht w?nschenswerth erscheinen, dass alle Menschen gleich handeln, vielmehr d?rften im Interesse ?kumenischer Ziele f?r ganze Strecken der Menschheit specielle, vielleicht unter Umst?nden sogar b?se Aufgaben zu stellen sein. - Jedenfalls muss, wenn die Menschheit sich nicht durch eine solche bewusste Gesammtregierung zu Grunde richten soll, vorher eine alle bisherigen Grade ?bersteigende Kenntniss der Bedingungen der Cultur, als wissenschaftlicher Maassstab f?r ?kumenische Ziele, gefunden sein. Hierin liegt die ungeheure Aufgabe der grossen Geister des n?chsten Jahrhunderts.
Die Reaction als Fortschritt. - Mitunter erscheinen schroffe, gewaltsame und fortreissende, aber trotzdem zur?ckgebliebene Geister, welche eine vergangene Phase der Menschheit noch einmal heraufbeschw?ren: sie dienen zum Beweis, dass die neuen Richtungen, welchen sie entgegenwirken, noch nicht kr?ftig genug sind, dass Etwas an ihnen fehlt: sonst w?rden sie jenen Beschw?rern besseren Widerpart halten. So zeugt zum Beispiel Luther's Reformation daf?r, dass in seinem Jahrhundert alle Regungen der Freiheit des Geistes noch unsicher, zart, jugendlich waren; die Wissenschaft konnte noch nicht ihr Haupt erheben. Ja, die gesammte Renaissance erscheint wie ein erster Fr?hling, der fast wieder weggeschneit wird. Aber auch in unserem Jahrhundert bewies Schopenhauer's Metaphysik, dass auch jetzt der wissenschaftliche Geist noch nicht kr?ftig genug ist: so konnte die ganze mittelalterliche christliche Weltbetrachtung und Mensch-Empfindung noch einmal in Schopenhauer's Lehre, trotz der l?ngst errungenen Vernichtung aller christlichen Dogmen, eine Auferstehung feiern. Viel Wissenschaft klingt in seine Lehre hinein, aber sie beherrscht dieselbe nicht, sondern das alte, wohlbekannte "metaphysische Bed?rfniss". Es ist gewiss einer der gr?ssten und ganz unsch?tzbaren Vortheile, welche wir aus Schopenhauer gewinnen, dass er unsere Empfindung zeitweilig in ?ltere, m?chtige Betrachtungsarten der Welt und Menschen zur?ckzwingt, zu welchen sonst uns so leicht kein Pfad f?hren w?rde. Der Gewinn f?r die Historie und die Gerechtigkeit ist sehr gross: ich glaube, dass es jetzt Niemandem so leicht gelingen m?chte, ohne Schopenhauer's Beih?lfe dem Christenthum und seinen asiatischen Verwandten Gerechtigkeit widerfahren zu lassen: was namentlich vom Boden des noch vorhandenen Christenthums aus unm?glich ist. Erst nach diesem grossen Erfolge der Gerechtigkeit, erst nachdem wir die historische Betrachtungsart, welche die Zeit der Aufkl?rung mit sich brachte, in einem so wesentlichen Puncte corrigirt haben, d?rfen wir die Fahne der Aufkl?rung - die Fahne mit den drei Namen: Petrarca, Erasmus, Voltaire - von Neuem weiter tragen. Wir haben aus der Reaction einen Fortschritt gemacht.
Ersatz der Religion. - Man glaubt einer Philosophie etwas Gutes nachzusagen, wenn man sie als Ersatz der Religion f?r das Volk hinstellt. In der That bedarf es in der geistigen Oekonomie gelegentlich ?berleitender Gedankenkreise; so ist der Uebergang aus Religion in wissenschaftliche Betrachtung ein gewaltsamer, gef?hrlicher Sprung, Etwas, das zu widerrathen ist. Insofern hat man mit jener Anempfehlung Recht. Aber endlich sollte man doch auch lernen, dass die Bed?rfnisse, welche die Religion befriedigt hat und nun die Philosophie befriedigen soll, nicht unwandelbar sind; diese selbst kann man schw?chen und ausrotten. Man denke zum Beispiel an die christliche Seelennoth, das Seufzen ?ber die innere Verderbtheit, die Sorge um das Heil, - alles Vorstellungen, welche nur aus Irrth?mern der Vernunft herr?hren und gar keine Befriedigung, sondern Vernichtung verdienen. Eine Philosophie kann entweder so n?tzen, dass sie jene Bed?rfnisse auch befriedigt oder dass sie dieselben beseitigt; denn es sind angelernte, zeitlich begr?nzte Bed?rfnisse, welche auf Voraussetzungen beruhen, die denen der Wissenschaft widersprechen. Hier ist, um einen Uebergang zu machen, die Kunst viel eher zu benutzen, um das mit Empfindungen ?berladene Gem?th zu erleichtern; denn durch sie werden jene Vorstellungen viel weniger unterhalten, als durch eine metaphysische Philosophie. Von der Kunst aus kann man dann leichter in eine wirklich befreiende philosophische Wissenschaft ?bergehen.
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