bell notificationshomepageloginedit profileclubsdmBox

Read Ebook: Menschliches Allzumenschliches: Ein Buch Fuer Freie Geister by Nietzsche Friedrich Wilhelm

More about this book

Font size:

Background color:

Text color:

Add to tbrJar First Page Next Page Prev Page

Ebook has 693 lines and 85808 words, and 14 pages

Ersatz der Religion. - Man glaubt einer Philosophie etwas Gutes nachzusagen, wenn man sie als Ersatz der Religion f?r das Volk hinstellt. In der That bedarf es in der geistigen Oekonomie gelegentlich ?berleitender Gedankenkreise; so ist der Uebergang aus Religion in wissenschaftliche Betrachtung ein gewaltsamer, gef?hrlicher Sprung, Etwas, das zu widerrathen ist. Insofern hat man mit jener Anempfehlung Recht. Aber endlich sollte man doch auch lernen, dass die Bed?rfnisse, welche die Religion befriedigt hat und nun die Philosophie befriedigen soll, nicht unwandelbar sind; diese selbst kann man schw?chen und ausrotten. Man denke zum Beispiel an die christliche Seelennoth, das Seufzen ?ber die innere Verderbtheit, die Sorge um das Heil, - alles Vorstellungen, welche nur aus Irrth?mern der Vernunft herr?hren und gar keine Befriedigung, sondern Vernichtung verdienen. Eine Philosophie kann entweder so n?tzen, dass sie jene Bed?rfnisse auch befriedigt oder dass sie dieselben beseitigt; denn es sind angelernte, zeitlich begr?nzte Bed?rfnisse, welche auf Voraussetzungen beruhen, die denen der Wissenschaft widersprechen. Hier ist, um einen Uebergang zu machen, die Kunst viel eher zu benutzen, um das mit Empfindungen ?berladene Gem?th zu erleichtern; denn durch sie werden jene Vorstellungen viel weniger unterhalten, als durch eine metaphysische Philosophie. Von der Kunst aus kann man dann leichter in eine wirklich befreiende philosophische Wissenschaft ?bergehen.

Verrufene Worte. - Weg mit den bis zum Ueberdruss verbrauchten W?rtern Optimismus und Pessimismus! Denn der Anlass, sie zu gebrauchen, fehlt von Tag zu Tage mehr: nur die Schw?tzer haben sie jetzt noch so unumg?nglich n?thig. Denn wesshalb in aller Welt sollte jemand Optimist sein wollen, wenn er nicht einen Gott zu vertheidigen hat, welcher die beste der Welten geschaffen haben muss, falls er selber das Gute und Vollkommene ist, - welcher Denkende hat aber die Hypothese eines Gottes noch n?thig? - Es fehlt aber auch jeder Anlass zu einem pessimistischen Glaubensbekenntniss, wenn man nicht ein Interesse daran hat, den Advocaten Gottes, den Theologen oder den theologisirenden Philosophen ?rgerlich zu werden und die Gegenbehauptung kr?ftig aufzustellen: dass das B?se regiere, dass die Unlust gr?sser sei, als die Lust, dass die Welt ein Machwerk, die Erscheinung eines b?sen Willens zum Leben sei. Wer aber k?mmert sich jetzt noch um die Theologen - ausser den Theologen? - Abgesehen von aller Theologie und ihrer Bek?mpfung liegt es auf der Hand, dass die Welt nicht gut und nicht b?se, geschweige denn die beste oder die schlechteste ist, und dass diese Begriffe "gut" und "b?se" nur in Bezug auf Menschen Sinn haben, ja vielleicht selbst hier, in der Weise, wie sie gew?hnlich gebraucht werden, nicht berechtigt sind: der schimpfenden und verherrlichenden Weltbetrachtung m?ssen wir uns in jedem Falle entschlagen.

Vom Dufte der Bl?then berauscht. - Das Schiff der Menschheit, meint man, hat einen immer st?rkeren Tiefgang, je mehr es belastet wird; man glaubt, je tiefer der Mensch denkt, je zarter er f?hlt, je h?her er sich sch?tzt, je weiter seine Entfernung von den anderen Thieren wird, - je mehr er als das Genie unter den Thieren erscheint, - um so n?her werde er dem wirklichen Wesen der Welt und deren Erkenntniss kommen: diess thut er auch wirklich durch die Wissenschaft, aber er meint diess noch mehr durch seine Religionen und K?nste zu thun. Diese sind zwar eine Bl?the der Welt, aber durchaus nicht der Wurzel der Welt n?her, als der Stengel ist: man kann aus ihnen das Wesen der Dinge gerade gar nicht besser verstehen, obschon diess fast jedermann glaubt. Der Irrthum hat den Menschen so tief, zart, erfinderisch gemacht, eine solche Bl?the, wie Religionen und K?nste, herauszutreiben. Das reine Erkennen w?re dazu ausser Stande gewesen. Wer uns das Wesen der Welt enth?llte, w?rde uns Allen die unangenehmste Entt?uschung machen. Nicht die Welt als Ding an sich, sondern die Welt als Vorstellung ist so bedeutungsreich, tief, wundervoll, Gl?ck und Ungl?ck im Schoosse tragend. Diess Resultat f?hrt zu einer Philosophie der logischen Weltverneinung: welche ?brigens sich mit einer praktischen Weltbejahung ebensogut wie mit deren Gegentheile vereinigen l?sst.

Schlechte Gewohnheiten im Schliessen. - Die gew?hnlichsten Irrschl?sse der Menschen sind diese: eine Sache existirt, also hat sie ein Recht. Hier wird aus der Lebensf?higkeit auf die Zweckm?ssigkeit, aus der Zweckm?ssigkeit auf die Rechtm?ssigkeit geschlossen. Sodann: eine Meinung begl?ckt, also ist sie die wahre, ihre Wirkung ist gut, also ist sie selber gut und wahr. Hier legt man der Wirkung das Pr?dicat begl?ckend, gut, im Sinne des N?tzlichen, bei und versieht nun die Ursache mit dem selben Pr?dicat gut, aber hier im Sinne des Logisch-G?ltigen. Die Umkehrung der S?tze lautet: eine Sache kann sich nicht durchsetzen, erhalten, also ist sie unrecht; eine Meinung qu?lt, regt auf, also ist sie falsch. Der Freigeist, der das Fehlerhafte dieser Art zu schliessen nur allzu h?ufig kennen lernt und an ihren Folgen zu leiden hat, unterliegt oft der Verf?hrung, die entgegengesetzten Schl?sse zu machen, welche im Allgemeinen nat?rlich ebenso sehr Irrschl?sse sind: eine Sache kann sich nicht durchsetzen, also ist sie gut; eine Meinung macht Noth, beunruhigt, also ist sie wahr.

Das Unlogische nothwendig. - Zu den Dingen, welche einen Denker in Verzweifelung bringen k?nnen, geh?rt die Erkenntniss, dass das Unlogische f?r den Menschen n?thig ist, und dass aus dem Unlogischen vieles Gute entsteht. Es steckt so fest in den Leidenschaften, in der Sprache, in der Kunst, in der Religion und ?berhaupt in Allem, was dem Leben Werth verleiht, dass man es nicht herausziehen kann, ohne damit diese sch?nen Dinge heillos zu besch?digen. Es sind nur die allzu naiven Menschen, welche glauben k?nnen, dass die Natur des Menschen in eine rein logische verwandelt werden k?nne; wenn es aber Grade der Ann?herung an dieses Ziel geben sollte, was w?rde da nicht Alles auf diesem Wege verloren gehen m?ssen! Auch der vern?nftigste Mensch bedarf von Zeit zu Zeit wieder der Natur, das heisst seiner unlogischen Grundstellung zu allen Dingen.

Ungerechtsein nothwendig. - Alle Urtheile ?ber den Werth des Lebens sind unlogisch entwickelt und desshalb ungerecht. Die Unreinheit des Urtheils liegt erstens in der Art, wie das Material vorliegt, n?mlich sehr unvollst?ndig, zweitens in der Art, wie daraus die Summe gebildet wird, und drittens darin, dass jedes einzelne St?ck des Materials wieder das Resultat unreinen Erkennens ist und zwar diess mit voller Nothwendigkeit. Keine Erfahrung zum Beispiel ?ber einen Menschen, st?nde er uns auch noch so nah, kann vollst?ndig sein, so dass wir ein logisches Recht zu einer Gesammtabsch?tzung desselben h?tten; alle Sch?tzungen sind voreilig und m?ssen es sein. Endlich ist das Maass, womit wir messen, unser Wesen, keine unab?nderliche Gr?sse, wir haben Stimmungen und Schwankungen, und doch m?ssten wir uns selbst als ein festes Maass kennen, um das Verh?ltniss irgend einer Sache zu uns gerecht abzusch?tzen. Vielleicht wird aus alledem folgen, dass man gar nicht urtheilen sollte; wenn man aber nur leben k?nnte, ohne abzusch?tzen, ohne Abneigung und Zuneigung zu haben! - denn alles Abgeneigtsein h?ngt mit einer Sch?tzung zusammen, ebenso alles Geneigtsein. Ein Trieb zu Etwas oder von Etwas weg, ohne ein Gef?hl davon, dass man das F?rderliche wolle, dem Sch?dlichen ausweiche, ein Trieb ohne eine Art von erkennender Absch?tzung ?ber den Werth des Zieles, existirt beim Menschen nicht. Wir sind von vornherein unlogische und daher ungerechte Wesen, und k?nnen diess erkennen: diess ist eine der gr?ssten und unaufl?sbarsten Disharmonien des Daseins.

Der Irrthum ?ber das Leben zum Leben nothwendig. - Jeder Glaube an Werth und W?rdigkeit des Lebens beruht auf unreinem Denken; er ist allein dadurch m?glich, dass das Mitgef?hl f?r das allgemeine Leben und Leiden der Menschheit sehr schwach im Individuum entwickelt ist. Auch die seltneren Menschen, welche ?berhaupt ?ber sich hinaus denken, fassen nicht dieses allgemeine Leben, sondern abgegr?nzte Theile desselben in's Auge. Versteht man es, sein Augenmerk vornehmlich auf Ausnahmen, ich meine auf die hohen Begabungen und die reinen Seelen zu richten, nimmt man deren Entstehung zum Ziel der ganzen Weltentwickelung und erfreut sich an deren Wirken, so mag man an den Werth des Lebens glauben, weil man n?mlich die anderen Menschen dabei ?bersieht: also unrein denkt. Und ebenso, wenn man zwar alle Menschen in's Auge fasst, aber in ihnen nur eine Gattung von Trieben, die weniger egoistischen, gelten l?sst und sie in Betreff der anderen Triebe entschuldigt: dann kann man wiederum von der Menschheit im Ganzen Etwas hoffen und insofern an den Werth des Lebens glauben: also auch in diesem Falle durch Unreinheit des Denkens. Mag man sich aber so oder so verhalten, man ist mit diesem Verhalten eine Ausnahme unter den Menschen. Nun ertragen aber gerade die allermeisten Menschen das Leben, ohne erheblich zu murren, und glauben somit an den Werth des Daseins, aber gerade dadurch, dass sich jeder allein will und behauptet, und nicht aus sich heraustritt wie jene Ausnahmen: alles Ausserpers?nliche ist ihnen gar nicht oder h?chstens als ein schwacher Schatten bemerkbar. Also darauf allein beruht der Werth des Lebens f?r den gew?hnlichen, allt?glichen Menschen, dass er sich wichtiger nimmt, als die Welt. Der grosse Mangel an Phantasie, an dem er leidet, macht, dass er sich nicht in andere Wesen hineinf?hlen kann und daher so wenig als m?glich an ihrem Loos und Leiden theilnimmt. Wer dagegen wirklich daran theilnehmen k?nnte, m?sste am Werthe des Lebens verzweifeln; gel?nge es ihm, das Gesammtbewusstsein der Menschheit in sich zu fassen und zu empfinden, er w?rde mit einem Fluche gegen das Dasein zusammenbrechen, - denn die Menschheit hat im Ganzen keine Ziele, folglich kann der Mensch, in Betrachtung des ganzen Verlaufes, nicht darin seinen Trost und Halt finden, sondern seine Verzweifelung. Sieht er bei Allem, was er thut, auf die letzte Ziellosigkeit der Menschen, so bekommt sein eigenes Wirken in seinen Augen den Charakter der Vergeudung. Sich aber als Menschheit ebenso vergeudet zu f?hlen, wie wir die einzelne Bl?the von der Natur vergeudet sehen, ist ein Gef?hl ?ber alle Gef?hle. - Wer ist aber desselben f?hig? Gewiss nur ein Dichter: und Dichter wissen sich immer zu tr?sten.

Zur Beruhigung.- Aber wird so unsere Philosophie nicht zur Trag?die? Wird die Wahrheit nicht dem Leben, dem Besseren feindlich? Eine Frage scheint uns die Zunge zu beschweren und doch nicht laut werden zu wollen: ob man bewusst in der Unwahrheit bleiben k?nne? oder, wenn man diess m?sse, ob da nicht der Tod vorzuziehen sei? Denn ein Sollen giebt es nicht mehr; die Moral, insofern sie ein Sollen war, ist ja durch unsere Betrachtungsart ebenso vernichtet wie die Religion. Die Erkenntniss kann als Motive nur Lust und Unlust, Nutzen und Schaden bestehen lassen: wie aber werden diese Motive sich mit dem Sinne f?r Wahrheit auseinandersetzen? Auch sie ber?hren sich ja mit Irrth?mern . Das ganze menschliche Leben ist tief in die Unwahrheit eingesenkt; der Einzelne kann es nicht aus diesem Brunnen herausziehen, ohne dabei seiner Vergangenheit aus tiefstem Grunde gram zu werden, ohne seine gegenw?rtigen Motive, wie die der Ehre, ungereimt zu finden und den Leidenschaften, welche zur Zukunft und zu einem Gl?ck in derselben hindr?ngen, Hohn und Verachtung entgegenzustellen. Ist es wahr, bliebe einzig noch eine Denkweise ?brig, welche als pers?nliches Ergebniss die Verzweifelung, als theoretisches eine Philosophie der Zerst?rung nach sich z?ge? - Ich glaube, die Entscheidung ?ber die Nachwirkung der Erkenntniss wird durch das Temperament eines Menschen gegeben: ich k?nnte mir eben so gut, wie jene geschilderte und bei einzelnen Naturen m?gliche Nachwirkung, eine andere denken, verm?ge deren ein viel einfacheres, von Affecten reineres Leben entst?nde, als das jetzige ist: so dass zuerst zwar die alten Motive des heftigeren Begehrens noch Kraft h?tten, aus alter vererbter Gew?hnung her, allm?hlich aber unter dem Einflusse der reinigenden Erkenntniss schw?cher w?rden. Man lebte zuletzt unter den Menschen und mit sich wie in der Natur, ohne Lob, Vorw?rfe, Ereiferung, an Vielem sich wie an einem Schauspiel weidend, vor dem man sich bisher nur zu f?rchten hatte. Man w?re die Emphasis los und w?rde die Anstachelung des Gedankens, dass man nicht nur Natur oder mehr als Natur sei, nicht weiter empfinden. Freilich geh?rte hierzu, wie gesagt, ein gutes Temperament, eine gefestete, milde und im Grunde frohsinnige Seele, eine Stimmung, welche nicht vor T?cken und pl?tzlichen Ausbr?chen auf der Hut zu sein brauchte und in ihren Aeusserungen Nichts von dem knurrenden Tone und der Verbissenheit an sich tr?ge, - jenen bekannten l?stigen Eigenschaften alter Hunde und Menschen, die lange an der Kette gelegen haben. Vielmehr muss ein Mensch, von dem in solchem Maasse die gew?hnlichen Fesseln des Lebens abgefallen sind, dass er nur deshalb weiter lebt, um immer besser zu erkennen, auf Vieles, ja fast auf Alles, was bei den anderen Menschen Werth hat, ohne Neid und Verdruss verzichten k?nnen, ihm muss als der w?nschenswertheste Zustand jenes freie, furchtlose Schweben ?ber Menschen, Sitten, Gesetzen und den herk?mmlichen Sch?tzungen der Dinge gen?gen. Die Freude an diesem Zustande theilt er gerne mit und er hat vielleicht nichts Anderes mitzutheilen, - worin freilich eine Entbehrung, eine Entsagung mehr liegt. Will man aber trotzdem mehr von ihm, so wird er mit wohlwollendem Kopfsch?tteln auf seinen Bruder hinweisen, den freien Menschen der That, und vielleicht ein Wenig Spott nicht verhehlen: denn mit dessen "Freiheit" hat es eine eigene Bewandtniss.

Zweites Hauptst?ck.

Zur Geschichte der moralischen Empfindungen.

Vortheile der psychologischen Beobachtung. - Dass das Nachdenken ?ber Menschliches, Allzumenschliches - oder wie der gelehrtere Ausdruck lautet: die psychologische Beobachtung - zu den Mitteln geh?re, verm?ge deren man sich die Last des Lebens erleichtern k?nne, dass die Uebung in dieser Kunst Geistesgegenwart in schwierigen Lagen und Unterhaltung inmitten einer langweiligen Umgebung verleihe, ja dass man den dornenvollsten und unerfreulichsten Strichen des eigenen Lebens Sentenzen abpfl?cken und sich dabei ein Wenig wohler f?hlen k?nne: das glaubte man, wusste man - in fr?heren Jahrhunderten. Warum vergass es dieses Jahrhundert, wo wenigstens in Deutschland, ja in Europa, die Armuth an psychologischer Beobachtung durch viele Zeichen sich zu erkennen giebt? Nicht gerade in Roman, Novelle und philosophischer Betrachtung, - diese sind das Werk von Ausnahmemenschen; schon mehr in der Beurtheilung ?ffentlicher Ereignisse und Pers?nlichkeiten: vor Allem aber fehlt die Kunst der psychologischen Zergliederung und Zusammenrechnung in der Gesellschaft aller St?nde, in der man wohl viel ?ber Menschen, aber gar nicht ?ber den Menschen spricht. Warum doch l?sst man sich den reichsten und harmlosesten Stoff der Unterhaltung entgehen? Warum liest man nicht einmal die grossen Meister der psychologischen Sentenz mehr? - denn, ohne jede Uebertreibung gesprochen: der Gebildete in Europa, der La Rochefoucauld und seine Geistes- und Kunstverwandten gelesen hat, ist selten zu finden; und noch viel seltener Der, welcher sie kennt und sie nicht schm?ht. Wahrscheinlich wird aber auch dieser ungew?hnliche Leser viel weniger Freude an ihnen haben, als die Form jener K?nstler ihm geben sollte; denn selbst der feinste Kopf ist nicht verm?gend, die Kunst der Sentenzen-Schleiferei geb?hrend zu w?rdigen, wenn er nicht selber zu ihr erzogen ist, in ihr gewetteifert hat. Man nimmt, ohne solche practische Belehrung, dieses Schaffen und Formen f?r leichter als es ist, man f?hlt das Gelungene und Reizvolle nicht scharf genug heraus. Desshalb haben die jetzigen Leser von Sentenzen ein verh?ltnissm?ssig unbedeutendes Vergn?gen an ihnen, ja kaum einen Mund voll Annehmlichkeit, so dass es ihnen ebenso geht, wie den gew?hnlichen Betrachtern von Kameen: als welche loben, weil sie nicht lieben k?nnen und schnell bereit sind zu bewundern, schneller aber noch, fortzulaufen.

Einwand.- Oder sollte es gegen jenen Satz, dass die psychologische Beobachtung zu den Reiz-, Heil- und Erleichterungsmitteln des Daseins geh?re, eine Gegenrechnung geben? Sollte man sich genug von den unangenehmen Folgen dieser Kunst ?berzeugt haben, um jetzt mit Absichtlichkeit den Blick der sich Bildenden von ihr abzulenken? In der That, ein gewisser blinder Glaube an die G?te der menschlichen Natur, ein eingepflanzter Widerwille vor der Zerlegung menschlicher Handlungen, eine Art Schamhaftigkeit in Hinsicht auf die Nacktheit der Seele m?gen wirklich f?r das gesammte Gl?ck eines Menschen w?nschenswerthere Dinge sein, als jene, in einzelnen F?llen hilfreiche Eigenschaft der psychologischen Scharfsichtigkeit; und vielleicht hat der Glaube an das Gute, an tugendhafte Menschen und Handlungen, an eine F?lle des unpers?nlichen Wohlwollens in der Welt die Menschen besser gemacht, insofern er dieselben weniger misstrauisch machte. Wenn man die Helden Plutarch's mit Begeisterung nachahmt, und einen Abscheu davor empfindet, den Motiven ihres Handelns anzweifelnd nachzusp?ren, so hat zwar nicht die Wahrheit, aber die Wohlfahrt der menschlichen Gesellschaft ihren Nutzen dabei: der psychologische Irrthum und ?berhaupt die Dumpfheit auf diesem Gebiete hilft der Menschlichkeit vorw?rts, w?hrend die Erkenntniss der Wahrheit vielleicht durch die anregende Kraft einer Hypothese mehr gewinnt, wie sie La Rochefoucauld der ersten Ausgabe seiner "Sentences et maximes morales" vorangestellt hat: "Ce que le monde nomme vertu n'est d'ordinaire qu'un fant?ame form? par nos passions, ? qui on donne un nom honn?te pour faire impun?ment ce qu'on veut." La Rochefoucauld und jene anderen franz?sischen Meister der Seelenpr?fung gleichen scharf zielenden Sch?tzen, welche immer und immer wieder in's Schwarze treffen, - aber in's Schwarze der menschlichen Natur. Ihr Geschick erregt Staunen, aber endlich verw?nscht ein Zuschauer, der nicht vom Geiste der Wissenschaft, sondern der Menschenfreundlichkeit geleitet wird, eine Kunst, welche den Sinn der Verkleinerung und Verd?chtigung in die Seelen der Menschen zu pflanzen scheint.

Trotzdem.- Wie es sich nun mit Rechnung und Gegenrechnung verhalte: in dem gegenw?rtigen Zustande einer bestimmten einzelnen Wissenschaft ist die Auferweckung der moralischen Beobachtung n?thig geworden, und der grausame Anblick des psychologischen Secirtisches und seiner Messer und Zangen kann der Menschheit nicht erspart bleiben. Denn hier gebietet jene Wissenschaft, welche nach Ursprung und Geschichte der sogenannten moralischen Empfindungen fragt und welche im Fortschreiten die verwickelten sociologischen Probleme aufzustellen und zu l?sen hat: - die ?ltere Philosophie kennt die letzteren gar nicht und ist der Untersuchung von Ursprung und Geschichte der moralischen Empfindungen unter d?rftigen Ausfl?chten immer aus dem Wege gegangen. Mit welchen Folgen: das l?sst sich jetzt sehr deutlich ?berschauen, nachdem an vielen Beispielen nachgewiesen ist, wie die Irrth?mer der gr?ssten Philosophen gew?hnlich ihren Ausgangspunct in einer falschen Erkl?rung bestimmter menschlicher Handlungen und Empfindungen haben, wie auf Grund einer irrth?mlichen Analysis, zum Beispiel der sogenannten unegoistischen Handlungen, eine falsche Ethik sich aufbaut, dieser zu Gefallen dann wiederum Religion und mythologisches Unwesen zu H?lfe genommen werden, und endlich die Schatten dieser tr?ben Geister auch in die Physik und die gesammte Weltbetrachtung hineinfallen. Steht es aber fest, dass die Oberfl?chlichkeit der psychologischen Beobachtung dem menschlichen Urtheilen und Schliessen die gef?hrlichsten Fallstricke gelegt hat und fortw?hrend von Neuem legt, so bedarf es jetzt jener Ausdauer der Arbeit, welche nicht m?de wird, Steine auf Steine, Steinchen auf Steinchen zu h?ufen, so bedarf es der enthaltsamen Tapferkeit, um sich einer solchen bescheidenen Arbeit nicht zu sch?men und jeder Missachtung derselben Trotz zu bieten. Es ist wahr: zahllose einzelne Bemerkungen ?ber Menschliches und Allzumenschliches sind in Kreisen der Gesellschaft zuerst entdeckt und ausgesprochen worden, welche gewohnt waren, nicht der wissenschaftlichen Erkenntniss, sondern einer geistreichen Gefallsucht jede Art von Opfern darzubringen; und fast unl?sbar hat sich der Duft jener alten Heimath der moralistischen Sentenz - ein sehr verf?hrerischer Duft - der ganzen Gattung angeh?ngt: so dass seinetwegen der wissenschaftliche Mensch unwillk?rlich einiges Misstrauen gegen diese Gattung und ihre Ernsthaftigkeit merken l?sst. Aber es gen?gt, auf die Folgen zu verweisen: denn schon jetzt beginnt sich zu zeigen, welche Ergebnisse ernsthaftester Art auf dem Boden der psychologischen Beobachtung aufwachsen. Welches ist doch der Hauptsatz zu dem einer der k?hnsten und k?ltesten Denker, der Verfasser des Buches "Ueber den Ursprung der moralischen Empfindungen" verm?ge seiner ein- und durchschneidenden Analysen des menschlichen Handelns gelangt? "Der moralische Mensch, sagt er, steht der intelligiblen Welt nicht n?her, als der physische Mensch." Dieser Satz, hart und schneidig geworden unter dem Hammerschlag der historischen Erkenntniss, kann vielleicht einmal, in irgendwelcher Zukunft, als die Axt dienen, welche dem "metaphysischen Bed?rfniss" der Menschen an die Wurzel gelegt wird, - ob mehr zum Segen, als zum Fluche der allgemeinen Wohlfahrt, wer w?sste das zu sagen? - aber jedenfalls als ein Satz der erheblichsten Folgen, fruchtbar und furchtbar zugleich, und mit jenem Doppelgesichte in die Welt sehend, welches alle grossen Erkenntnisse haben.

Inwiefern n?tzlich. - Also: ob die psychologische Beobachtung mehr Nutzen oder Nachtheil ?ber die Menschen bringe, das bleibe immerhin unentschieden; aber fest steht, dass sie nothwendig ist, weil die Wissenschaft ihrer nicht entrathen kann. Die Wissenschaft aber kennt keine R?cksichten auf letzte Zwecke, ebenso wenig als die Natur sie kennt: sondern wie diese gelegentlich Dinge von der h?chsten Zweckm?ssigkeit zu Stande bringt, ohne sie gewollt zu haben, so wird auch die ?chte Wissenschaft, als die Nachahmung der Natur in Begriffen, den Nutzen und die Wohlfahrt der Menschen gelegentlich, ja vielfach, f?rdern und das Zweckm?ssige erreichen, - aber ebenfalls ohne es gewollt zu haben. Wem es aber bei dem Anhauche einer solchen Betrachtungsart gar zu winterlich zu Muthe wird, der hat vielleicht nur zu wenig Feuer in sich: er m?ge sich indessen umsehen und er wird Krankheiten wahrnehmen, in denen Eisumschl?ge noth thun, und Menschen, welche so aus Gluth und Geist "zusammengeknetet" sind, dass sie kaum irgendwo die Luft kalt und schneidend genug f?r sich finden. Ueberdiess: wie allzu ernste Einzelne und V?lker ein Bed?rfniss nach Leichtfertigkeiten haben, wie andere allzu Erregbare und Bewegliche zeitweilig schwere niederdr?ckende Lasten zu ihrer Gesundheit n?thig haben: sollten wir, die geistigeren Menschen eines Zeitalters, welches ersichtlich immer mehr in Brand ger?th, nicht nach allen l?schenden und k?hlenden Mitteln, die es giebt, greifen m?ssen, damit wir wenigstens so stetig, harmlos und m?ssig bleiben, als wir es noch sind, und so vielleicht einmal dazu brauchbar werden, diesem Zeitalter als Spiegel und Selbstbesinnung ?ber sich zu dienen? -

Die Fabel von der intelligibelen Freiheit. - Die Geschichte der Empfindungen, verm?ge deren wir jemanden verantwortlich machen, also der sogenannten moralischen Empfindungen verl?uft, in folgenden Hauptphasen. Zuerst nennt man einzelne Handlungen gut oder b?se ohne alle R?cksicht auf deren Motive, sondern allein der n?tzlichen oder sch?dlichen Folgen wegen. Bald aber vergisst man die Herkunft dieser Bezeichnungen und w?hnt, dass den Handlungen an sich, ohne R?cksicht auf deren Folgen, die Eigenschaft "gut" oder "b?se" innewohne: mit demselben Irrthume, nach welchem die Sprache den Stein selber als hart, den Baum selber als gr?n bezeichnet - also dadurch, dass man, was Wirkung ist, als Ursache fasst. Sodann legt man das Gut- oder B?se-sein in die Motive hinein und betrachtet die Thaten an sich als moralisch zweideutig. Man geht weiter und giebt das Pr?dicat gut oder b?se nicht mehr dem einzelnen Motive, sondern dem ganzen Wesen eines Menschen, aus dem das Motiv, wie die Pflanze aus dem Erdreich, herausw?chst. So macht man der Reihe nach den Menschen f?r seine Wirkungen, dann f?r seine Handlungen, dann f?r seine Motive und endlich f?r sein Wesen verantwortlich. Nun entdeckt man schliesslich, dass auch dieses Wesen nicht verantwortlich sein kann, insofern es ganz und gar nothwendige Folge ist und aus den Elementen und Einfl?ssen vergangener und gegenw?rtiger Dinge concrescirt: also dass der Mensch f?r Nichts verantwortlich zu machen ist, weder f?r sein Wesen, noch seine Motive, noch seine Handlungen, noch seine Wirkungen. Damit ist man zur Erkenntniss gelangt, dass die Geschichte der moralischen Empfindungen die Geschichte eines Irrthums, des Irrthums von der Verantwortlichkeit ist: als welcher auf dem Irrthum von der Freiheit des Willens ruht. -Schopenhauer schloss dagegen so: weil gewisse Handlungen Unmuth nach sich ziehen, so muss es eine Verantwortlichkeit geben; denn zu diesem Unmuth w?re kein Grund vorhanden, wenn nicht nur alles Handeln des Menschen mit Nothwendigkeit verliefe - wie es thats?chlich, und auch nach der Einsicht dieses Philosophen, verl?uft -, sondern der Mensch selber mit der selben Nothwendigkeit sein ganzes Wesen erlangte, - was Schopenhauer leugnet. Aus der Thatsache jenes Unmuthes glaubt Schopenhauer eine Freiheit beweisen zu k?nnen, welche der Mensch irgendwie gehabt haben m?sse, zwar nicht in Bezug auf die Handlungen, aber in Bezug auf das Wesen: Freiheit also, so oder so zu sein, nicht so oder so zu handeln. Aus dem esse, der Sph?re der Freiheit und Verantwortlichkeit, folgt nach seiner Meinung das operari, die Sph?re der strengen Causalit?t, Nothwendigkeit und Unverantwortlichkeit. Jener Unmuth beziehe sich zwar scheinbar auf das operari - insofern sei er irrth?mlich -, in Wahrheit aber auf das esse, welches die That eines freien Willens, die Grundursache der Existenz eines Individuums, sei; der Mensch werde Das, was er werden wolle, sein Wollen sei fr?her, als seine Existenz. - Hier wird der Fehlschluss gemacht, dass aus der Thatsache des Unmuthes die Berechtigung, die vern?nftige Zul?ssigkeit dieses Unmuthes geschlossen wird; und von jenem Fehlschluss aus kommt Schopenhauer zu seiner phantastischen Consequenz der sogenannten intelligibelen Freiheit. Aber der Unmuth nach der That braucht gar nicht vern?nftig zu sein: ja er ist es gewiss nicht, denn er ruht auf der irrth?mlichen Voraussetzung, dass die That eben nicht nothwendig h?tte erfolgen m?ssen. Also: weil sich der Mensch f?r frei h?lt, nicht aber weil er frei ist, empfindet er Reue und Gewissensbisse. - Ueberdiess ist dieser Unmuth Etwas, das man sich abgew?hnen kann, bei vielen Menschen ist er in Bezug auf Handlungen gar nicht vorhanden, bei welchen viele andere Menschen ihn empfinden. Er ist eine sehr wandelbare, an die Entwickelung der Sitte und Cultur gekn?pfte Sache und vielleicht nur in einer verh?ltnissm?ssig kurzen Zeit der Weltgeschichte vorhanden. -Niemand ist f?r seine Thaten verantwortlich, Niemand f?r sein Wesen; richten ist soviel als ungerecht sein. Diess gilt auch, wenn das Individuum ?ber sich selbst richtet. Der Satz ist so hell wie Sonnenlicht, und doch geht hier jedermann lieber in den Schatten und die Unwahrheit zur?ck: aus Furcht vor den Folgen.

Das Ueber-Thier. - Die Bestie in uns will belogen werden; Moral ist Nothl?ge, damit wir von ihr nicht zerrissen werden. Ohne die Irrth?mer, welche in den Annahmen der Moral liegen, w?re der Mensch Thier geblieben. So aber hat er sich als etwas H?heres genommen und sich strengere Gesetze auferlegt. Er hat desshalb einen Hass gegen die der Thierheit n?her gebliebenen Stufen: woraus die ehemalige Missachtung des Sclaven, als eines Nicht-Menschen, als einer Sache zu erkl?ren ist.

Der unver?nderliche Charakter. - Dass der Charakter unver?nderlich sei, ist nicht im strengen Sinne wahr; vielmehr heisst dieser beliebte Satz nur so viel, dass w?hrend der kurzen Lebensdauer eines Menschen die einwirkenden Motive gew?hnlich nicht tief genug ritzen k?nnen, um die aufgepr?gten Schriftz?ge vieler Jahrtausende zu zerst?ren. D?chte man sich aber einen Menschen von achtzigtausend Jahren, so h?tte man an ihm sogar einen absolut ver?nderlichen Charakter: so dass eine F?lle verschiedener Individuen sich nach und nach aus ihm entwickelte. Die K?rze des menschlichen Lebens verleitet zu manchen irrth?mlichen Behauptungen ?ber die Eigenschaften des Menschen.

Die Ordnung der G?ter und die Moral. - Die einmal angenommene Rangordnung der G?ter, je nachdem ein niedriger, h?herer, h?chster Egoismus das Eine oder das Andere will, entscheidet jetzt ?ber das Moralisch-sein oder Unmoralisch-sein. Ein niedriges Gut einem h?her gesch?tzten vorziehen, gilt als unmoralisch, ebenso Wohlleben der Freiheit vorziehen. Die Rangordnung der G?ter ist aber keine zu allen Zeiten feste und gleiche; wenn jemand Rache der Gerechtigkeit vorzieht, so ist er nach dem Maassstabe einer fr?heren Cultur moralisch, nach dem der jetzigen unmoralisch. "Unmoralisch" bezeichnet also, dass Einer die h?heren, feineren, geistigeren Motive, welche die jeweilen neue Cultur hinzugebracht hat, noch nicht oder noch nicht stark genug empfindet: es bezeichnet einen Zur?ckgebliebenen, aber immer nur dem Gradunterschied nach. - Die Rangordnung der G?ter selber wird nicht nach moralischen Gesichtspuncten auf- und umgestellt; wohl aber wird nach ihrer jedesmaligen Festsetzung dar?ber entschieden, ob eine Handlung moralisch oder unmoralisch sei.

Grausame Menschen als zur?ckgeblieben. - Die Menschen, welche jetzt grausam sind, m?ssen uns als Stufen fr?herer Culturen gelten, welche ?brig geblieben sind: das Gebirge der Menschheit zeigt hier einmal die tieferen Formationen, welche sonst versteckt liegen, offen. Es sind zur?ckgebliebene Menschen, deren Gehirn, durch alle m?glichen Zuf?lle im Verlaufe der Vererbung, nicht so zart und vielseitig fortgebildet worden ist. Sie zeigen uns, was wir Alle waren, und machen uns erschrecken: aber sie selber sind so wenig verantwortlich, wie ein St?ck Granit daf?r, dass es Granit ist. In unserm Gehirne m?ssen sich auch Rinnen und Windungen finden, welche jener Gesinnung entsprechen, wie sich in der Form einzelner menschlicher Organe Erinnerungen an Fischzust?nde finden sollen. Aber diese Rinnen und Windungen sind nicht mehr das Bett, in welchem sich jetzt der Strom unserer Empfindung w?lzt.

Dankbarkeit und Rache. - Der Grund, wesshalb der M?chtige dankbar ist, ist dieser. Sein Wohlth?ter hat sich durch seine Wohlthat an der Sph?re des M?chtigen gleichsam vergriffen und sich in sie eingedr?ngt: nun vergreift er sich zur Vergeltung wieder an der Sph?re des Wohlth?ters durch den Act der Dankbarkeit. Es ist eine mildere Form der Rache. Ohne die Genugthuung der Dankbarkeit zu haben, w?rde der M?chtige sich unm?chtig gezeigt haben und f?rderhin daf?r gelten. Desshalb stellt jede Gesellschaft der Guten, das heisst urspr?nglich der M?chtigen, die Dankbarkeit unter die ersten Pflichten.

- Swift hat den Satz hingeworfen, dass Menschen in dem selben Verh?ltniss dankbar sind, wie sie Rache hegen.

Doppelte Vorgeschichte von Gut und B?se. - Der Begriff gut und b?se hat eine doppelte Vorgeschichte: n?mlich einmal in der Seele der herrschenden St?mme und Kasten. Wer die Macht zu vergelten hat, Gutes mit Gutem, B?ses mit B?sem, und auch wirklich Vergeltung ?bt, also dankbar und rachs?chtig ist, der wird gut genannt; wer unm?chtig ist und nicht vergelten kann, gilt als schlecht. Man geh?rt als Guter zu den "Guten", einer Gemeinde, welche Gemeingef?hl hat, weil alle Einzelnen durch den Sinn der Vergeltung mit einander verflochten sind. Man geh?rt als Schlechter zu den "Schlechten", zu einem Haufen unterworfener, ohnm?chtiger Menschen, welche kein Gemeingef?hl haben. Die Guten sind eine Kaste, die Schlechten eine Masse wie Staub. Gut und schlecht ist eine Zeit lang so viel wie vornehm und niedrig, Herr und Sclave. Dagegen sieht man den Feind nicht als b?se an: er kann vergelten. Der Troer und der Grieche sind bei Homer beide gut. Nicht Der, welcher uns Sch?dliches zuf?gt, sondern Der, welcher ver?chtlich ist, gilt als schlecht. In der Gemeinde der Guten vererbt sich das Gute; es ist unm?glich, dass ein Schlechter aus so gutem Erdreiche hervorwachse. Thut trotzdem Einer der Guten Etwas, das der Guten unw?rdig ist, so verf?llt man auf Ausfl?chte; man schiebt zum Beispiel einem Gott die Schuld zu, indem man sagt: er habe den Guten mit Verblendung und Wahnsinn geschlagen. - Sodann in der Seele der Unterdr?ckten, Machtlosen. Hier gilt jeder andere Mensch als feindlich, r?cksichtslos, ausbeutend, grausam, listig, sei er vornehm oder niedrig; b?se ist das Charakterwort f?r Mensch, ja f?r jedes lebende Wesen, welches man voraussetzt, zum Beispiel f?r einen Gott; menschlich, g?ttlich gilt so viel wie teuflisch, b?se. Die Zeichen der G?te, H?lfebereitschaft, Mitleid, werden angstvoll als T?cke, Vorspiel eines schrecklichen Ausgangs, Bet?ubung und Ueberlistung aufgenommen, kurz als verfeinerte Bosheit. Bei einer solchen Gesinnung des Einzelnen kann kaum ein Gemeinwesen entstehen, h?chstens die roheste Form desselben: so dass ?berall, wo diese Auffassung von gut und b?se herrscht, der Untergang der Einzelnen, ihrer St?mme und Rassen nahe ist. - Unsere jetzige Sittlichkeit ist auf dem Boden der herrschenden St?mme und Kasten aufgewachsen.

Mitleiden st?rker als Leiden. - Es giebt F?lle, wo das Mitleiden st?rker ist, als das eigentliche Leiden. Wir empfinden es zum Beispiel schmerzlicher, wenn einer unserer Freunde sich etwas Schm?hliches zu Schulden kommen l?sst, als wenn wir selbst es thun. Einmal n?mlich glauben wir mehr an die Reinheit seines Charakters, als er; sodann ist unsere Liebe zu ihm, wahrscheinlich eben dieses Glaubens wegen, st?rker, als seine Liebe zu sich selbst. Wenn auch wirklich sein Egoismus mehr dabei leidet, als unser Egoismus, insofern er die ?belen Folgen seines Vergehens st?rker zu tragen hat, so wird das Unegoistische in uns - dieses Wort ist nie streng zu verstehen, sondern nur eine Erleichterung des Ausdrucks - doch st?rker durch seine Schuld betroffen, als das Unegoistische in ihm.

Hypochondrie.- Es giebt Menschen, welche aus Mitgef?hl und Sorge f?r eine andere Person hypochondrisch werden; die dabei entstehende Art des Mitleidens ist nichts Anderes, als eine Krankheit. So giebt es auch eine christliche Hypochondrie, welche jene einsamen, religi?s bewegten Leute bef?llt, die sich das Leiden und Sterben Christi fortw?hrend vor Augen stellen.

Oekonomie der G?te. - Die G?te und Liebe als die heilsamsten Kr?uter und Kr?fte im Verkehre der Menschen sind so kostbare Funde, dass man wohl w?nschen m?chte, es werde in der Verwendung dieser balsamischen Mittel so ?konomisch wie m?glich verfahren: doch ist diess unm?glich. Die Oekonomie der G?te ist der Traum der verwegensten Utopisten.

Wohlwollen.- Unter die kleinen, aber zahllos h?ufigen und desshalb sehr wirkungsvollen Dinge, auf welche die Wissenschaft mehr Acht zu geben hat, als auf die grossen seltenen Dinge, ist auch das Wohlwollen zu rechnen; ich meine jene Aeusserungen freundlicher Gesinnung im Verkehr, jenes L?cheln des Auges, jene H?ndedr?cke, jenes Behagen, von welchem f?r gew?hnlich fast alles menschliche Thun umsponnen ist. Jeder Lehrer, jeder Beamte bringt diese Zuthat zu dem, was f?r ihn Pflicht ist, hinzu; es ist die fortw?hrende Beth?tigung der Menschlichkeit, gleichsam die Wellen ihres Lichtes, in denen Alles w?chst; namentlich im engsten Kreise, innerhalb der Familie, gr?nt und bl?ht das Leben nur durch jenes Wohlwollen. Die Gutm?thigkeit, die Freundlichkeit, die H?flichkeit des Herzens sind immerquellende Ausfl?sse des unegoistischen Triebes und haben viel m?chtiger an der Cultur gebaut, als jene viel ber?hmteren Aeusserungen desselben, die man Mitleiden, Barmherzigkeit und Aufopferung nennt. Aber man pflegt sie geringzusch?tzen, und in der That: es ist nicht gerade viel Unegoistisches daran. Die Summe dieser geringen Dosen ist trotzdem gewaltig, ihre gesammte Kraft geh?rt zu den st?rksten Kr?ften. - Ebenso findet man viel mehr Gl?ck in der Welt, als tr?be Augen sehen: wenn man n?mlich richtig rechnet, und nur alle jene Momente des Behagens, an welchen jeder Tag in jedem, auch dem bedr?ngtesten Menschenleben reich ist, nicht vergisst.

Mitleiden erregen wollen.- La Rochefoucauld trifft in der bemerkenswerthesten Stelle seines Selbst-Portraits gewiss das Rechte, wenn er alle Die, welche Vernunft haben, vor dem Mitleiden warnt, wenn er r?th, dasselbe den Leuten aus dem Volke zu ?berlassen, die der Leidenschaften bed?rfen , um so weit gebracht zu werden, dem Leidenden zu helfen und bei einem Ungl?ck kr?ftig einzugreifen; w?hrend das Mitleiden, nach seinem Urtheil, die Seele entkr?fte. Freilich solle man Mitleiden bezeugen, aber sich h?ten, es zu haben: denn die Ungl?cklichen seien nun einmal so dumm, dass bei ihnen das Bezeugen von Mitleid das gr?sste Gut von der Welt ausmache. - Vielleicht kann man noch st?rker vor diesem Mitleid-haben warnen, wenn man jenes Bed?rfniss der Ungl?cklichen nicht gerade als Dummheit und intellectuellen Mangel, als eine Art Geistesst?rung fasst, welche das Ungl?ck mit sich bringt , sondern als etwas ganz Anderes und Bedenklicheres versteht. Vielmehr beobachte man Kinder, welche weinen und Schreien, damit sie bemitleidet werden, und desshalb den Augenblick abwarten, wo ihr Zustand in die Augen fallen kann; man lebe im Verkehr mit Kranken und Geistig-Gedr?ckten und frage sich, ob nicht das beredte Klagen und Wimmern, das Zur-Schau-tragen des Ungl?cks im Grunde das Ziel verfolgt, den Anwesenden weh zu thun: das Mitleiden, welches Jene dann ?ussern, ist insofern eine Tr?stung f?r die Schwachen und Leidenden, als sie daran erkennen, doch wenigstens noch Eine Macht zu haben, trotz aller ihrer Schw?che: die Macht, wehe zu thun. Der Ungl?ckliche gewinnt eine Art von Lust in diesem Gef?hl der Ueberlegenheit, welches das Bezeugen des Mitleides ihm zum Bewusstsein bringt; seine Einbildung erhebt sich, er ist immer noch wichtig genug, um der Welt Schmerzen zu machen. Somit ist der Durst nach Mitleid ein Durst nach Selbstgenuss, und zwar auf Unkosten der Mitmenschen; es zeigt den Menschen in der ganzen R?cksichtslosigkeit seines eigensten lieben Selbst: nicht aber gerade in seiner "Dummheit", wie La Rochefoucauld meint. - Im Zwiegespr?che der Gesellschaft werden Dreiviertel aller Fragen gestellt, aller Antworten gegeben, um dem Unterredner ein klein Wenig weh zu thun; desshalb d?rsten viele Menschen so nach Gesellschaft: sie giebt ihnen das Gef?hl ihrer Kraft. In solchen unz?hligen, aber sehr kleinen Dosen, in welchen die Bosheit sich geltend macht, ist sie ein m?chtiges Reizmittel des Lebens: ebenso wie das Wohlwollen, in gleicher Form durch die Menschenwelt hin verbreitet, das allezeit bereite Heilmittel ist. - Aber wird es viele Ehrliche geben, welche zugestehen, dass es Vergn?gen macht, wehe zu thun? dass man sich nicht selten damit unterh?lt - und gut unterh?lt -, anderen Menschen wenigstens in Gedanken Kr?nkungen zuzuf?gen und die Schrotk?rner der kleinen Bosheit nach ihnen zu schiessen? Die Meisten sind zu unehrlich und ein paar Menschen sind zu gut, um von diesem Pudendum Etwas zu wissen; diese m?gen somit immerhin leugnen, dass Prosper M?rim?e Recht habe, wenn er sagt: "Sachez aussi qu'il n'y a rien de plus commun que de faire le mal pour le plaisir de le faire."

Wie der Schein zum Sein wird. - Der Schauspieler kann zuletzt auch beim tiefsten Schmerz nicht aufh?ren, an den Eindruck seiner Person und den gesammten scenischen Effect zu denken, zum Beispiel selbst beim Begr?bniss seines Kindes; er wird ?ber seinen eignen Schmerz und dessen Aeusserungen weinen, als sein eigener Zuschauer. Der Heuchler, welcher immer ein und die selbe Rolle spielt, h?rt zuletzt auf, Heuchler zu sein; zum Beispiel Priester, welche als junge M?nner gew?hnlich bewusst oder unbewusst Heuchler sind, werden zuletzt nat?rlich und sind dann wirklich, ohne alle Affectation, eben Priester; oder wenn es der Vater nicht so weit bringt, dann vielleicht der Sohn, der des Vaters Vorsprung benutzt, seine Gew?hnung erbt. Wenn Einer sehr lange und hartn?ckig Etwas scheinen will, so wird es ihm zuletzt schwer, etwas Anderes zu sein. Der Beruf fast jedes Menschen, sogar des K?nstlers, beginnt mit Heuchelei, mit einem Nachmachen von Aussen her, mit einem Copiren des Wirkungsvollen. Der, welcher immer die Maske freundlicher Mienen tr?gt, muss zuletzt eine Gewalt ?ber wohlwollende Stimmungen bekommen, ohne welche der Ausdruck der Freundlichkeit nicht zu erzwingen ist, - und zuletzt wieder bekommen diese ?ber ihn Gewalt, er ist wohlwollend.

Der Punct der Ehrlichkeit beim Betruge. - Bei allen grossen Betr?gern ist ein Vorgang bemerkenswerth, dem sie ihre Macht verdanken. Im eigentlichen Acte des Betruges unter all den Vorbereitungen, dem Schauerlichen in Stimme, Ausdruck, Geb?rden, inmitten der wirkungsvollen Scenerie, ?berkommt sie der Glaube an sich selbst: dieser ist es, der dann so wundergleich und bezwingend zu den Umgebenden spricht. Die Religionsstifter unterscheiden sich dadurch von jenen grossen Betr?gern, dass sie aus diesem Zustande der Selbstt?uschung nicht herauskommen: oder sie haben ganz selten einmal jene helleren Momente, wo der Zweifel sie ?berw?ltigt; gew?hnlich tr?sten sie sich aber, diese helleren Momente dem b?sen Widersacher zuschiebend. Selbstbetrug muss da sein, damit Diese und jene grossartig wirken. Denn die Menschen glauben an die Wahrheit dessen, was ersichtlich stark geglaubt wird.

Angebliche Stufen der Wahrheit. - Einer der gew?hnlichen Fehlschl?sse ist der: weil Jemand wahr und aufrichtig gegen uns ist, so sagt er die Wahrheit. So glaubt das Kind an die Urtheile der Eltern, der Christ an die Behauptungen des Stifters der Kirche. Ebenso will man nicht zugeben, dass alles jenes, was die Menschen mit Opfern an Gl?ck und Leben in fr?heren Jahrhunderten vertheidigt haben, Nichts als Irrth?mer waren: vielleicht sagt man, es seien Stufen der Wahrheit gewesen. Aber im Grunde meint man, wenn Jemand ehrlich an Etwas geglaubt und f?r seinen Glauben gek?mpft hat und gestorben ist, w?re es doch gar zu unbillig, wenn eigentlich nur ein Irrthum ihn beseelt habe. So ein Vorgang scheint der ewigen Gerechtigkeit zu widersprechen; desshalb decretirt das Herz empfindender Menschen immer wieder gegen ihren Kopf den Satz: zwischen moralischen Handlungen und intellectuellen Einsichten muss durchaus ein nothwendiges Band sein. Es ist leider anders; denn es giebt keine ewige Gerechtigkeit.

Die L?ge. - Wesshalb sagen zu allermeist die Menschen im allt?glichen Leben die Wahrheit? - Gewiss nicht, weil ein Gott das L?gen verboten hat. Sondern erstens: weil es bequemer ist; denn die L?ge erfordert Erfindung, Verstellung und Ged?chtniss. Sodann: weil es in schlichten Verh?ltnissen vortheilhaft ist, direct zu sagen: ich will diess, ich habe diess gethan, und dergleichen; also weil der Weg des Zwangs und der Autorit?t sicherer ist, als der der List. - Ist aber einmal ein Kind in verwickelten h?uslichen Verh?ltnissen aufgezogen worden, so handhabt es ebenso nat?rlich die L?ge und sagt unwillk?rlich immer Das, was seinem Interesse entspricht; ein Sinn f?r Wahrheit, ein Widerwille gegen die L?ge an sich ist ihm ganz fremd und unzug?nglich, und so l?gt es in aller Unschuld.

Des Glaubens wegen die Moral verd?chtigen. - Keine Macht l?sst sich behaupten, wenn lauter Heuchler sie vertreten; die katholische Kirche mag noch so viele "weltliche" Elemente besitzen, ihre Kraft beruht auf jenen auch jetzt noch zahlreichen priesterlichen Naturen, welche sich das Leben schwer und bedeutungstief machen, und deren Blick und abgeh?rmter Leib von Nachtwachen, Hungern, gl?hendem Gebete, vielleicht selbst von Geisselhieben redet; Diese ersch?ttern die Menschen und machen ihnen Angst: wie, wenn es n?thig w?re, so zu leben? - diess ist die schauderhafte Frage, welche ihr Anblick auf die Zunge legt. Indem sie diesen Zweifel verbreiten, gr?nden sie immer von Neuem wieder einen Pfeiler ihrer Macht; selbst die Freigesinnten wagen es nicht, dem derartig Selbstlosen mit hartem Wahrheitssinn zu widerstehen und zu sagen: "Betrogner du, betr?ge nicht!" - Nur die Differenz der Einsichten trennt sie von ihm, durchaus keine Differenz der G?te oder Schlechtigkeit; aber was man nicht mag, pflegt man gew?hnlich auch ungerecht zu behandeln. So spricht man von der Schlauheit und der verruchten Kunst der Jesuiten, aber ?bersieht, welche Selbst?berwindung jeder einzelne Jesuit sich auferlegt und wie die erleichterte Lebenspraxis, welche die jesuitischen Lehrb?cher predigen, durchaus nicht ihnen, sondern dem Laienstande zu Gute kommen soll. Ja man darf fragen, ob wir Aufgekl?rten bei ganz gleicher Taktik und Organisation eben so gute Werkzeuge, ebenso bewundernsw?rdig durch Selbstbesiegung, Unerm?dlichkeit, Hingebung sein w?rden.

Sieg der Erkenntniss ?ber das radicale B?se. - Es tr?gt Dem, der weise werden will, einen reichlichen Gewinn ein, eine Zeit lang einmal die Vorstellung vom gr?ndlich b?sen und verderbten Menschen gehabt zu haben: sie ist falsch, wie die entgegengesetzte; aber ganze Zeitstrecken hindurch besass sie die Herrschaft und ihre Wurzeln haben sich bis in uns und unsere Welt hinein ver?stet. Um uns zu begreifen, m?ssen wir sie begreifen; um aber dann h?her zu steigen, m?ssen wir ?ber sie hinwegsteigen. Wir erkennen dann, dass es keine S?nden im metaphysischen Sinne giebt; aber, im gleichen Sinne, auch keine Tugenden; dass dieses ganze Bereich sittlicher Vorstellungen fortw?hrend im Schwanken ist, dass es h?here und tiefere Begriffe von gut und b?se, sittlich und unsittlich giebt. Wer nicht viel mehr von den Dingen begehrt, als Erkenntniss derselben, kommt leicht mit seiner Seele zur Ruhe und wird h?chstens aus Unwissenheit, aber schwerlich aus Begehrlichkeit fehlgreifen . Er wird die Begierden nicht mehr verketzern und ausrotten wollen; aber sein einziges ihn v?llig beherrschendes Ziel, zu aller Zeit so gut wie m?glich zu erkennen, wird ihn k?hl machen und alle Wildheit in seiner Anlage bes?nftigen. Ueberdiess ist er einer Menge qu?lender Vorstellungen losgeworden, er empfindet Nichts mehr bei dem Worte H?llenstrafen, S?ndhaftigkeit, Unf?higkeit zum Guten: er erkennt darin nur die verschwebenden Schattenbilder falscher Welt- und Lebensbetrachtungen.

Moral als Selbstzertheilung des Menschen. - Ein guter Autor, der wirklich das Herz f?r seine Sache hat, w?nscht, dass jemand komme und ihn selber dadurch vernichte, dass er dieselbe Sache deutlicher darstelle und die in ihr enthaltenen Fragen ohne Rest beantworte. Das liebende M?dchen w?nscht, dass sie die hingebende Treue ihrer Liebe an der Untreue des Geliebten bew?hren k?nne. Der Soldat w?nscht, dass er f?r sein siegreiches Vaterland auf dem Schlachtfeld falle.- denn in dem Siege seines Vaterlandes siegt sein h?chstes W?nschen mit. Die Mutter giebt dem Kinde, was sie sich selber entzieht, Schlaf, die beste Speise, unter Umst?nden ihre Gesundheit, ihr Verm?gen. - Sind das Alles aber unegoistische Zust?nde? Sind diese Thaten der Moralit?t Wunder, weil sie, nach dem Ausdrucke Schopenhauer's, "unm?glich und doch wirklich" sind? Ist es nicht deutlich, dass in all diesen F?llen der Mensch Etwas von sich, einen Gedanken, ein Verlangen, ein Erzeugniss mehr liebt, als etwas Anderes von sich, dass er also sein Wesen zertheilt und dem einen Theil den anderen zum Opfer bringt? Ist es etwas wesentlich Verschiedenes, wenn ein Trotzkopf sagt: "ich will lieber ?ber den Haufen geschossen werden, als diesem Menschen da einen Schritt aus dem Wege gehn?" - Die Neigung zu Etwas ist in allen genannten F?llen vorhanden; ihr nachzugeben, mit allen Folgen, ist jedenfalls nicht "unegoistisch". - In der Moral behandelt sich der Mensch nicht als individuum, sondern als dividuum.

Was man versprechen kann. - Man kann Handlungen versprechen, aber keine Empfindungen; denn diese sind unwillk?rlich. Wer jemandem verspricht, ihn immer zu lieben oder immer zu hassen oder ihm immer treu zu sein, verspricht Etwas, das nicht in seiner Macht steht; wohl aber kann er solche Handlungen versprechen, welche zwar gew?hnlich die Folgen der Liebe, des Hasses, der Treue sind, aber auch aus anderen Motiven entspringen k?nnen: denn zu einer Handlung f?hren mehrere Wege und Motive. Das Versprechen, jemanden immer zu lieben, heisst also: so lange ich dich liebe, werde ich dir die Handlungen der Liebe erweisen; liebe ich dich nicht mehr, so wirst du doch die selben Handlungen, wenn auch aus anderen Motiven, immerfort von mir empfangen: so dass der Schein in den K?pfen der Mitmenschen bestehen bleibt, dass die Liebe unver?ndert und immer noch die selbe sei. - Man verspricht also die Andauer des Anscheines der Liebe, wenn man ohne Selbstverblendung jemandem immerw?hrende Liebe gelobt.

Intellect und Moral. - Man muss ein gutes Ged?chtniss haben, um gegebene Versprechen halten zu k?nnen. Man muss eine starke Kraft der Einbildung haben, um Mitleid haben zu k?nnen. So eng ist die Moral an die G?te des Intellects gebunden.

Sich r?chen wollen und -sich r?chen. -Einen Rachegedanken haben und ausf?hren heisst einen heftigen Fieberanfall bekommen, der aber vor?bergeht: einen Rachegedanken aber haben, ohne Kraft und Muth, ihn auszuf?hren, heisst ein chronisches Leiden, eine Vergiftung an Leib und Seele mit sich herumtragen. Die Moral, welche nur auf die Absichten sieht, taxirt beide F?lle gleich; f?r gew?hnlich taxirt man den ersten Fall als den schlimmeren . Beide Sch?tzungen sind kurzsichtig.

Warten-k?nnen. - Das Warten-k?nnen ist so schwer, dass die gr?ssten Dichter es nicht verschm?ht haben, das Nicht-warten-k?nnen zum Motiv ihrer Dichtungen zu machen. So Shakespeare im Othello, Sophokles im Ajax: dessen Selbstmord ihm, wenn er nur einen Tag noch seine Empfindung h?tte abk?hlen lassen, nicht mehr n?thig geschienen h?tte, wie der Orakelspruch andeutet; wahrscheinlich w?rde er den schrecklichen Einfl?sterungen der verletzten Eitelkeit ein Schnippchen geschlagen und zu sich gesprochen haben - wer hat denn nicht schon, in meinem Falle, ein Schaf f?r einen Helden angesehen? ist es denn so etwas Ungeheures? Im Gegentheil, es ist nur etwas allgemein Menschliches: Ajax durfte sich dergestalt Trost zusprechen. Die Leidenschaft will nicht warten; das Tragische im Leben grosser M?nner liegt h?ufig nicht in ihrem Conflicte mit der Zeit und der Niedrigkeit ihrer Mitmenschen, sondern in ihrer Unf?higkeit, ein Jahr, zwei Jahre ihr Werk zu verschieben; sie k?nnen nicht warten. - Bei allen Duellen haben die zurathenden Freunde das Eine festzustellen, ob die betheiligten Personen noch warten k?nnen: ist diess nicht der Fall, so ist ein Duell vern?nftig, insofern Jeder von Beiden sich sagt: "entweder lebe ich weiter, dann muss jener augenblicklich sterben, oder umgekehrt." Warten hiesse in solchem Falle an jener furchtbaren Marter der verletzten Ehre angesichts ihres Verletzers noch l?nger leiden; und diess kann eben mehr Leiden sein, als das Leben ?berhaupt werth ist.

Schwelgerei der Rache. -Grobe Menschen, welche sich beleidigt f?hlen, pflegen den Grad der Beleidigung so hoch als m?glich zu nehmen und erz?hlen die Ursache mit stark ?bertreibenden Worten, um nur in dem einmal erweckten Hass- und Rachegef?hl sich recht ausschwelgen zu k?nnen.

Werth der Verkleinerung. - Nicht wenige, vielleicht die allermeisten Menschen haben, um ihre Selbstachtung und eine gewisse T?chtigkeit im Handeln bei sich aufrecht zu erhalten, durchaus n?thig, alle ihnen bekannten Menschen in ihrer Vorstellung herabzusetzen und zu verkleinern. Da aber die geringen Naturen in der Ueberzahl sind und es sehr viel daran liegt, ob sie jene T?chtigkeit haben oder verlieren, so -

Der Auf brausende. - Vor Einem, der gegen uns aufbraust, soll man sich in Acht nehmen, wie vor Einem, der uns einmal nach dem Leben getrachtet hat: denn dass wir noch leben, das liegt an der Abwesenheit der Macht zu t?dten; gen?gten Blicke, so w?re es l?ngst um uns geschehen. Es ist ein St?ck roher Cultur, durch Sichtbarwerdenlassen der physischen Wildheit, durch Furchterregen Jemanden zum Schweigen zu bringen. - Ebenso ist jener kalte Blick, welchen Vornehme gegen ihre Bedienten haben, ein Ueberrest jener kastenm?ssigen Abgr?nzungen zwischen Mensch und Mensch, ein St?ck rohen Alterthums; die Frauen, die Bewahrerinnen des Alten, haben auch dieses Survival treuer bewahrt.

Wohin die Ehrlichkeit f?hren kann. -Jemand hatte die ?ble Angewohnheit, sich ?ber die Motive, aus denen er handelte und die so gut und so schlecht waren wie die Motive aller Menschen, gelegentlich ganz ehrlich auszusprechen. Er erregte erst Anstoss, dann Verdacht, wurde allm?hlich geradezu verfehmt und in die Acht der Gesellschaft erkl?rt, bis endlich die Justiz sich eines so verworfenen Wesens erinnerte, bei Gelegenheiten, wo sie sonst kein Auge hatte, oder dasselbe zudr?ckte. Der Mangel an Schweigsamkeit ?ber das allgemeine Geheimniss und der unverantwortliche Hang, zu sehen, was Keiner sehen will - sich selber - brachten ihn zu Gef?ngniss und fr?hzeitigem Tod.

Str?flich, nie gestraft. - Unser Verbrechen gegen Verbrecher besteht darin, dass wir sie wie Schufte behandeln.

Sancta simplicitas der Tugend. - Jede Tugend hat Vorrechte: zum Beispiel diess, zu dem Scheiterhaufen eines Verurtheilten ihr eigenes B?ndchen Holz zu liefern.

Moralit?t und Erfolg. - Nicht nur die Zuschauer einer That bemessen h?ufig das Moralische oder Unmoralische an derselben nach dem Erfolge: nein, der Th?ter selbst thut diess. Denn die Motive und Absichten sind selten deutlich und einfach genug, und mitunter scheint selbst das Ged?chtniss durch den Erfolg der That getr?bt, so dass man seiner That selber falsche Motive unterschiebt oder die unwesentlichen Motive als wesentliche behandelt. Der Erfolg giebt oft einer That den vollen ehrlichen Glanz des guten Gewissens, ein Misserfolg legt den Schatten von Gewissensbissen ?ber die achtungsw?rdigste Handlung. Daraus ergiebt sich die bekannte Praxis des Politikers, welcher denkt: "gebt mir nur den Erfolg: mit ihm habe ich auch alle ehrlichen Seelen auf meine Seite gebracht - und mich vor mir selber ehrlich gemacht." - Auf ?hnliche Weise soll der Erfolg die bessere Begr?ndung ersetzen. Noch jetzt meinen viele Gebildete, der Sieg des Christenthums ?ber die griechische Philosophie sei ein Beweis f?r die gr?ssere Wahrheit des ersteren, - obwohl in diesem Falle nur das Gr?bere und Gewaltsamere ?ber das Geistigere und Zarte gesiegt hat. Wie es mit der gr?sseren Wahrheit steht, ist daraus zu ersehen, dass die erwachenden Wissenschaften Punct um Punct an Epikur's Philosophie angekn?pft, das Christenthum aber Punct um Punct zur?ckgewiesen haben.

Liebe und Gerechtigkeit. - Warum ?bersch?tzt man die Liebe zu Ungunsten der Gerechtigkeit und sagt die sch?nsten Dinge von ihr, als ob sie ein viel h?heres Wesen als jene sei? Ist sie denn nicht ersichtlich d?mmer als jene? - Gewiss, aber gerade desshalb um so viel angenehmer f?r Alle. Sie ist dumm und besitzt ein reiches F?llhorn; aus ihm theilt sie ihre Gaben aus, an jedermann, auch wenn er sie nicht verdient, ja ihr nicht einmal daf?r dankt. Sie ist unparteiisch wie der Regen, welcher, nach der Bibel und der Erfahrung, nicht nur den Ungerechten, sondern unter Umst?nden auch den Gerechten bis auf die Haut nass macht.

Hinrichtung. - Wie kommt es, dass jede Hinrichtung uns mehr beleidigt, als ein Mord? Es ist die K?lte der Richter, die peinliche Vorbereitung, die Einsicht, dass hier ein Mensch als Mittel benutzt wird, um andere abzuschrecken. Denn die Schuld wird nicht bestraft, selbst wenn es eine g?be: diese liegt in Erziehern, Eltern, Umgebungen, in uns, nicht im M?rder, - ich meine die veranlassenden Umst?nde.

Die Hoffnung. - Pandora brachte das Fass mit den Uebeln und ?ffnete es. Es war das Geschenk der G?tter an die Menschen, von Aussen ein sch?nes verf?hrerisches Geschenk und "Gl?cksfass" zubenannt. Da flogen all die Uebel, lebendige beschwingte Wesen heraus: von da an schweifen sie nun herum und thun den Menschen Schaden bei Tag und Nacht. Ein einziges Uebel war noch nicht aus dem Fass herausgeschl?pft: da schlug Pandora nach Zeus' Willen den Deckel zu und so blieb es darin. F?r immer hat der Mensch nun das Gl?cksfass im Hause und meint Wunder was f?r einen Schatz er in ihm habe; es steht ihm zu Diensten, er greift darnach: wenn es ihn gel?stet; denn er weiss nicht, dass jenes Fass, welches Pandora brachte, das Fass der Uebel war, und h?lt das zur?ckgebliebene Uebel f?r das gr?sste Gl?cksgut, - es ist die Hoffnung. - Zeus wollte n?mlich, dass der Mensch, auch noch so sehr durch die anderen Uebel gequ?lt, doch das Leben nicht wegwerfe, sondern fortfahre, sich immer von Neuem qu?len zu lassen. Dazu giebt er dem Menschen die Hoffnung: sie ist in Wahrheit das ?belste der Uebel, weil sie die Qual der Menschen verl?ngert.

Grad der moralischen Erhitzbarkeit unbekannt. - Daran, dass man gewisse ersch?tternde Anblicke und Eindr?cke gehabt oder nicht gehabt hat, zum Beispiel eines unrecht gerichteten, get?dteten oder gemarterten Vaters, einer untreuen Frau, eines grausamen feindlichen Ueberfalls, h?ngt es ab, ob unsere Leidenschaften zur Gl?hhitze kommen und das ganze Leben lenken oder nicht. Keiner weiss, wozu ihn die Umst?nde, das Mitleid, die Entr?stung treiben k?nnen, er kennt den Grad seiner Erhitzbarkeit nicht. Erb?rmliche kleine Verh?ltnisse machen erb?rmlich; es ist gew?hnlich nicht die Qualit?t der Erlebnisse, sondern ihre Quantit?t, von welcher der niedere und h?here Mensch abh?ngt, im Guten und B?sen.

Der M?rtyrer wider Willen. - In einer Partei gab es einen Menschen, der zu ?ngstlich und feige war, um je seinen Kameraden zu widersprechen: man brauchte ihn zu jedem Dienst, man erlangte von ihm Alles, weil er sich vor der schlechten Meinung bei seinen Gesellen mehr als vor dem Tode f?rchtete; es war eine erb?rmliche schwache Seele. Sie erkannten diess und machten auf Grund der erw?hnten Eigenschaften aus ihm einen Heros und zuletzt gar einen M?rtyrer. Obwohl der feige Mensch innerlich immer Nein sagte, sprach er mit den Lippen immer ja, selbst noch auf dem Schaffot, als er f?r die Ansichten seiner Partei starb: neben ihm n?mlich stand einer seiner alten Genossen, der ihn durch Wort und Blick so tyrannisirte, dass er wirklich auf die anst?ndigste Weise den Tod erlitt und seitdem als M?rtyrer und grosser Charakter gefeiert wird.

Alltags-Maassstab. - Man wird selten irren, wenn man extreme Handlungen auf Eitelkeit, mittelm?ssige auf Gew?hnung und kleinliche auf Furcht zur?ckf?hrt.

Add to tbrJar First Page Next Page Prev Page

 

Back to top