Read Ebook: Mozart auf der Reise nach Prag by M Rike Eduard
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Ebook has 247 lines and 22421 words, and 5 pages
Edition: 10
Eduard M?rike
Mozart auf der Reise nach Prag
Eine Novelle
Im Herbst des Jahres 1787 unternahm Mozart in Begleitung seiner Frau eine Reise nach Prag, um >Don Juan< daselbst zur Auff?hrung zu bringen.
Am dritten Reisetag, den vierzehnten September, gegen elf Uhr morgens, fuhr das wohlgelaunte Ehepaar, noch nicht viel ?ber dreissig Stunden Wegs von Wien entfernt, in nordwestlicher Richtung jenseits vom Mannhardsberg und der deutschen Thaya bei Schrems, wo man das sch?ne M?hrische Gebirg bald vollends ?berstiegen hat.
>Das mit drei Postpferden bespannte Fuhrwerk<, schreibt die Baronesse von T. an ihre Freundin, >eine stattliche, gelbrote Kutsche, war Eigentum einer gewissen alten Frau Generalin Volkstett, die sich auf ihren Umgang mit dem Mozartischen Hause und ihre ihm erwiesenen Gef?lligkeiten von jeher scheint etwas zugut getan zu haben.< - Die ungenaue Beschreibung des fraglichen Gef?hrts wird sich ein Kenner des Geschmacks der Achtziger Jahre noch etwa durch einige Z?ge erg?nzen. Der gelbrote Wagen ist h?ben und dr?ben am Schlage mit Blumenbuketts, in ihren nat?rlichen Farben gemalt, die R?nder mit schmalen Goldleisten verziert, der Anstrich aber noch keineswegs von jenem spiegelglatten Lack der heutigen Wiener Werkst?tten gl?nzend, der Kasten auch nicht v?llig ausgebaucht, obwohl nach unten zu kokett mit einer k?hnen Schweifung eingezogen; dazu kommt ein hohes Gedeck mit starrenden Ledervorh?ngen, die gegenw?rtig zur?ckgestreift sind.
Von dem Kost?m der beiden Passagiere sei ?berdies so viel bemerkt. Mit Schonung f?r die neuen, im Koffer eingepackten Staatsgew?nder war der Anzug des Gemahls bescheidentlich von Frau Konstanzen ausgew?hlt; zu der gestickten Weste von etwas verschossenem Blau sein gewohnter brauner ?berrock mit einer Reihe grosser und dergestalt fassonierter Kn?pfe, dass eine Lage r?tliches Rauschgold durch ihr sternartiges Gewebe schimmerte, schwarzseidene Beinkleider, Str?mpfe und auf den Schuhen vergoldete Schnallen. Seit einer halben Stunde hat er wegen der f?r diesen Monat ausserordentlichen Hitze sich des Rocks entledigt und sitzt, vergn?glich plaudernd, barhaupt, in Hemd?rmeln da. Madame Mozart tr?gt ein bequemes Reisehabit, hellgr?n und weiss gestreift; halb aufgebunden f?llt der ?berfluss ihrer sch?nen lichtbraunen Locken auf Schultern und Nacken herunter; sie waren zeit ihres Lebens noch niemals von Puder entstellt, w?hrend der starke, in einen Zopf gefasste Haarwuchs ihres Gemahls f?r heute nur nachl?ssiger als gew?hnlich damit versehen ist.
Man war eine sanft ansteigende H?he zwischen fruchtbaren Feldern, welche hie und da die ausgedehnte Waldung unterbrachen, gemachsam hinauf und jetzt am Waldsaum angekommen.
>>Durch wieviel W?lder<<, sagte Mozart, >>sind wir nicht heute, gestern und ehegestern schon passiert! - Ich dachte nichts dabei, geschweige dass mir eingefallen w?re, den Fuss hineinzusetzen. Wir steigen einmal aus da, Herzenskind, und holen von den blauen Glocken, die dort so h?bsch im Schatten stehn. Deine Tiere, Schwager, m?gen ein bisschen verschnaufen.<<
Indem sie sich beide erhoben, kam ein kleines Unheil an den Tag, welches dem Meister einen Zank zuzog. Durch seine Achtlosigkeit war ein Flakon mit kostbarem Riechwasser aufgegangen und hatte seinen Inhalt unvermerkt in die Kleider und Polster ergossen. >>Ich h?tt es denken k?nnen<<, klagte sie; >>es duftete schon lang so stark. O weh, ein volles Fl?schchen echte Ros?e d'Aurore rein ausgeleert! Ich sparte sie wie Gold.<< - >>Ei, N?rrchen<<, gab er ihr zum Trost zur?ck, >>begreife doch, auf solche Weise ganz allein war uns dein G?tter-Riechschnaps etwas n?tze. Erst sass man in einem Backofen, und all dein Gef?chel half nichts, bald aber schien der ganze Wagen gleichsam ausgek?hlt; du schriebst es den paar Tropfen zu, die ich mir auf den Jabot goss; wir waren neu belebt, und das Gespr?ch floss munter fort, statt dass wir sonst die K?pfe h?tten h?ngen lassen wie die H?mmel auf des Fleischers Karren, und diese Wohltat wird uns auf dem ganzen Weg begleiten. Jetzt aber lass uns doch einmal zwei wienerische Nosn recht express hier in die gr?ne Wildnis stecken!<<
Sie stiegen Arm in Arm ?ber den Graben an der Strasse und sofort tiefer in die Tannendunkelheit hinein, die, sehr bald bis zur Finsternis verdichtet, nur hin und wieder von einem Streifen Sonne auf sammetnem Moosboden grell durchbrochen ward. Die erquickliche Frische, im pl?tzlichen Wechsel gegen die ausserhalb herrschende Glut, h?tte dem sorglosen Mann ohne die Vorsicht der Begleiterin gef?hrlich werden k?nnen. Mit M?he drang sie ihm das in Bereitschaft gehaltene Kleidungsst?ck auf. -
>>Gott, welche Herrlichkeit!<< rief er, an den hohen St?mmen hinaufblickend, aus: >>man ist als wie in einer Kirche! Mir deucht, ich war niemals in einem Wald und besinne mich jetzt erst, was es doch heisst, ein ganzes Volk von B?umen beieinander! Keine Menschenhand hat sie gepflanzt, sind alle selbst gekommen und stehen so, nur eben, weil es lustig ist, beisammen, wohnen und wirtschaften. Siehst du, mit jungen Jahren fuhr ich doch in halb Europa hin und her, habe die Alpen gesehn und das Meer, das Gr?sseste und Sch?nste, was erschaffen ist: jetzt steht von ungef?hr der Gimpel in einem ordin?ren Tannenwald an der b?hmischen Grenze, verwundert und verz?ckt, dass solches Wesen irgend existiert, nicht etwa nur so una finzione di poeti ist, wie ihre Nymphen, Faune und dergleichen mehr, auch kein Kom?dienwald, nein aus dem Erdboden herausgewachsen, von Feuchtigkeit und W?rmelicht der Sonne grossgezogen Hier ist zu Haus der Hirsch mit seinem wundersamen zackigen Gest?ude auf der Stirn, das possierliche Eichhorn, der Auerhahn, der H?her.<< - Er b?ckte sich, brach einen Pilz und pries die pr?chtige hochrote Farbe des Schirms, die zarten weisslichen Lamellen an dessen unterer Seite, auch steckte er verschiedene Tannenzapfen ein. >>Man k?nnte denken,<< sagte die Frau, >>du habest noch nicht zwanzig Schritte hinein in den Prater gesehen, der solche Rarit?ten doch auch wohl aufzuweisen hat.<<
>>Was Prater! Sapperlot, wie du nur das Wort hier nennen magst! Vor lauter Karossen, Staatsdegen, Roben und F?chern, Musik und allem Spektakel der Welt, wer sieht denn da noch sonst etwas? Und selbst die B?ume dort, so breit sie sich auch machen, ich weiss nicht - Bucheckern und Eicheln, am Boden verstreut, sehn halter aus als wie Geschwisterkind mit der Unzahl verbrauchter Korkst?psel darunter. Zwei Stunden weit riecht das Geh?lz nach Kellnern und nach Saucen.<<
>>O unerh?rt!<< rief sie, >>so redet nun der Mann, dem gar nichts ?ber das Vergn?gen geht, Backh?hnl im Prater zu speisen!<<
Als beide wieder in dem Wagen sassen und sich die Strasse jetzt nach einer kurzen Strecke ebenen Wegs allm?hlich abw?rts senkte, wo eine lachende Gegend sich bis an die entfernteren Berge verlor, fing unser Meister, nachdem er eine Zeit lang still gewesen, wieder an: >>Die Erde ist wahrhaftig sch?n und keinem zu verdenken, wenn er so lang wie m?glich darauf bleiben will. Gott sei's gedankt, ich f?hle mich so frisch und wohl wie je und w?re bald zu tausend Dingen aufgelegt, die denn auch alle nacheinander an die Reihe kommen sollen, wie nur mein neues Werk vollendet und aufgef?hrt sein wird. Wieviel ist draussen in der Welt und wieviel daheim, Merkw?rdiges und Sch?nes, das ich noch gar nicht kenne, an Wunderwerken der Natur, an Wissenschaften, K?nsten und n?tzlichen Gewerben! Der schwarze K?hlerbube dort bei seinem Meiler weiss dir von manchen Sachen auf ein Haar so viel Bescheid wie ich, da doch ein Sinn und ein Verlangen in mir w?re, auch einen Blick in dies und jens zu tun, das eben nicht zu meinem n?chsten Kram geh?rt.<<
>>Mir kam<<, versetzte sie, >>in diesen Tagen dein alter Sackkalender in die H?nde von Anno f?nfundachzig; da hast du hinten angemerkt drei bis vier Notabene. Zum ersten steht: >Mitte Oktober giesset man die grossen L?wen in kaiserlicher Erzgiesserei<; f?rs zweite, doppelt angestrichen: >Professor Gattner zu besuchen!< Wer ist der?<<
>>O recht, ich weiss - auf dem Observatorio der gute alte Herr, der mich von Zeit zu Zeit dahin einl?dt. Ich wollte l?ngst einmal den Mond und 's Mandl drin mit dir betrachten. Sie haben jetzt ein m?chtig grosses Fernrohr oben; da soll man auf der ungeheuern Scheibe, hell und deutlich bis zum Greifen, Gebirge, T?ler, Kl?fte sehen und von der Seite, wo die Sonne nicht hinf?llt, den Schatten, den die Berge werfen. Schon seit zwei Jahren schlag ichs an, den Gang zu tun, und komme nicht dazu, elender und sch?ndlicher Weise!<<
>>Nun,<< sagte sie, >>der Mond entl?uft uns nicht. Wir holen manches nach.<<
Nach einer Pause fuhr er fort: >>Und geht es nicht mit allem so? O pfui, ich darf nicht daran denken, was man verpasst, verschiebt und h?ngen l?sst! - von Pflichten gegen Gott und Menschen nicht zu reden - ich sage, von purem Genuss, von den kleinen unschuldigen Freuden, die einem jeden t?glich vor den F?ssen liegen.<<
Madame Mozart konnte oder wollte von der Richtung, die sein leichtbewegliches Gef?hl hier mehr und mehr nahm, auf keine Weise ablenken, und leider konnte sie ihm nur von ganzem Herzen recht geben, indem er mit steigendem Eifer fortfuhr: >>Ward ich denn je nur meiner Kinder ein volles St?ndchen froh? Wie halb ist das bei mir und immer en passant! Die Buben einmal rittlings auf das Knie gesetzt, mich zwei Minuten mit ihnen durchs Zimmer gejagt, und damit basta, wieder abgesch?ttelt! Es denkt mir nicht, dass wir uns auf dem Lande zusammen einen sch?nen Tag gemacht h?tten, an Ostern oder Pfingsten, in einem Garten oder W?ldel, auf der Wiese, wir unter uns allein, bei Kinderscherz und Blumenspiel, um selber einmal wieder Kind zu werden. Allmittelst geht und rennt und saust das Leben hin - Herr Gott! bedenkt mans recht, es m?cht einem der Angstschweiss ausbrechen!<<
Mit der soeben ausgesprochenen Selbstanklage war unerwartet ein sehr ernsthaftes Gespr?ch in aller Traulichkeit und G?te zwischen beiden er?ffnet. Wir teilen dasselbe nicht ausf?hrlich mit und werfen lieber einen allgemeinen Blick auf die Verh?ltnisse, die teils ausdr?cklich und unmittelbar den Stoff, teils auch nur den bewussten Hintergrund der Unterredung ausmachten.
Hier dr?ngt sich uns voraus die schmerzliche Betrachtung auf, dass dieser feurige, f?r jeden Reiz der Welt und f?r das H?chste, was dem ahnenden Gem?t erreichbar ist, unglaublich empf?ngliche Mensch, soviel er auch in seiner kurzen Spanne Zeit erlebt, genossen und aus sich hervorgebracht, ein stetiges und rein befriedigtes Gef?hl seiner selbst doch lebenslang entbehrte.
Wer die Ursachen dieser Erscheinung nicht etwa tiefer suchen will, als sie vermutlich liegen, wird sie zun?chst einfach in jenen, wie es scheint, un?berwindlich eingewohnten Schw?chen finden, die wir so gern und nicht ganz ohne Grund mit alle dem, was an Mozart der Gegenstand unserer Bewunderung ist, in eine Art notwendiger Verbindung bringen.
Des Mannes Bed?rfnisse waren sehr vielfach, seine Neigung zumal f?r gesellige Freuden ausserordentlich gross. Von den vornehmsten H?usern der Stadt als unvergleichliches Talent gew?rdigt und gesucht, verschm?hte er Einladungen zu Festen, Zirkeln und Partien selten oder nie. Dabei tat er der eigenen Gastfreundschaft innerhalb seiner n?heren Kreise gleichfalls genug. Einen l?ngst hergebrachten musikalischen Abend am Sonntag bei ihm, ein ungezwungenes Mittagsmahl an seinem wohlbestellten Tisch mit ein paar Freunden und Bekannten, zwei-, dreimal in der Woche, das wollte er nicht missen. Bisweilen brachte er die G?ste, zum Schrecken der Frau, unangek?ndigt von der Strasse weg ins Haus, Leute von sehr ungleichem Wert, Liebhaber, Kunstgenossen, S?nger und Poeten. Der m?ssige Schmarotzer, dessen ganzes Verdienst in einer immer aufgeweckten Laune, in Witz und Spass, und zwar vom gr?beren Korn, bestand, kam so gut wie der geistvolle Kenner und der treffliche Spieler erw?nscht. Den gr?ssten Teil seiner Erholung indes pflegte Mozart ausser dem eigenen Hause zu suchen. Man konnte ihn nach Tisch einen Tag wie den andern am Billard im Kaffeehaus und so auch manchen Abend im Gasthof finden. Er fuhr und ritt sehr gerne in Gesellschaft ?ber Land, besuchte als ein ausgemachter T?nzer B?lle und Redouten und machte sich des Jahrs einige Male einen Hauptspass an Volksfesten, vor allen am Brigitten-Kirchtag im Freien, wo er als Pierrot maskiert erschien.
Diese Vergn?gungen, bald bunt und ausgelassen, bald einer ruhigeren Stimmung zusagend, waren bestimmt, dem lang gespannten Geist nach ungeheurem Kraftaufwand die n?tige Rast zu gew?hren; auch verfehlten sie nicht, demselben nebenher auf den geheimnisvollen Wegen, auf welchen das Genie sein Spiel bewusstlos treibt, die feinen fl?chtigen Eindr?cke mitzuteilen, wodurch es sich gelegentlich befruchtet. Doch leider kam in solchen Stunden, weil es dann immer galt, den gl?cklichen Moment bis auf die Neige auszusch?pfen, eine andere R?cksicht, es sei nun der Klugheit oder der Pflicht, der Selbsterhaltung wie der H?uslichkeit, nicht in Betracht. Geniessend oder schaffend kannte Mozart gleichwertig Mass und Ziel. Ein Teil der Nacht war stets der Komposition gewidmet. Morgens fr?h, oft lange noch im Bett, ward ausgearbeitet. Dann machte er von zehn Uhr an, zu Fuss oder im Wagen abgeholt, die Runde seiner Lektionen, die in der Regel noch einige Nachmittagsstunden wegnahmen. >Wir plagen uns wohl auch rechtschaffen<, so schreibt er selber einmal einem G?nner, >und es h?lt ?fter schwer, nicht die Geduld zu verlieren. Da halst man sich als wohlakkreditierter Cembalist und Musiklehrmeister ein Dutzend Sch?ler auf, und immer wieder einen neuen, unangesehn, was weiter an ihm ist, wenn er nur seinen Taler per marca bezahlt. Ein jeder ungrische Schnurrbart vom Geniekorps ist willkommen, den der Satan plagt, f?r nichts und wieder nichts Generalbass und Kontrapunkt zu studieren: das ?berm?tigste Komtesschen, das mich wie Meister Coquerel, den Haarkr?usler, mit einem roten Kopf empf?ngt, wenn ich einmal nicht auf den Glockenschlag bei ihr anklopfe usw.< Und wenn er nun, durch diese und andere Berufsarbeiten, Akademien, Proben und dergleichen abgem?det, nach frischem Atem schmachtete, war den erschlafften Nerven h?ufig nur in neuer Aufregung eine scheinbare St?rkung verg?nnt. Seine Gesundheit wurde heimlich angegriffen, ein je und je wiederkehrender Zustand von Schwermut wurde, wo nicht erzeugt, doch sicherlich gen?hrt an eben diesem Punkt und so die Ahnung eines fr?hzeitigen Todes, die ihn zuletzt auf Schritt und Tritt begleitete, unvermeidlich erf?llt. Gram aller Art und Farbe, das Gef?hl der Reue nicht ausgenommen, war er als eine herbe W?rze jeder Lust auf seinen Teil gew?hnt. Doch wissen wir, auch diese Schmerzen rannen abgekl?rt und rein in jenem tiefen Quell zusammen, der, aus hundert goldenen R?hren springend, im Wechsel seiner Melodien unersch?pflich, alle Qual und alle Seligkeit der Menschenbrust ausstr?mte.
Am offenbarsten zeigten sich die b?sen Wirkungen der Lebensweise Mozarts in seiner h?uslichen Verfassung. Der Vorwurf t?richter, leichtsinniger Verschwendung lag sehr nahe; er musste sich sogar an einen seiner sch?nsten Herzensz?ge h?ngen. Kam einer, in dringender Not ihm eine Summe abzuborgen, sich seine B?rgschaft zu erbitten, so war meist schon darauf gerechnet, dass er sich nicht erst lang nach Pfand und Sicherheit erkundigte; dergleichen h?tte ihm auch in der Tat so wenig als einem Kinde angestanden. Am liebsten schenkte er gleich hin, und immer mit lachender Grossmut, besonders wenn er meinte, gerade ?berfluss zu haben.
Die Mittel, die ein solcher Aufwand neben dem ordentlichen Hausbedarf erheischte, standen allerdings in keinem Verh?ltnis mit den Eink?nften. Was von Theatern und Konzerten, von Verlegern und Sch?lern einging, zusamt der kaiserlichen Pension, gen?gte um so weniger, da der Geschmack des Publikums noch weit davon entfernt war, sich entschieden f?r Mozarts Musik zu erkl?ren. Diese lauterste Sch?nheit, F?lle und Tiefe befremdete gemeinhin gegen?ber der bisher beliebten, leicht fasslichen Kost. Zwar hatten sich die Wiener an >Belmonte und Konstanze< - dank den popul?ren Elementen dieses St?cks - seinerzeit kaum ers?ttigen k?nnen, hingegen tat, einige Jahre sp?ter, >Figaro<, und sicher nicht allein durch die Intrigen des Direktors, im Wettstreit mit der lieblichen, doch weit geringeren >Cosa rara< einen unerwarteten, kl?glichen Fall; derselbe >Figaro<, den gleich darauf die gebildeten oder unbefangenern Prager mit solchem Enthusiasmus aufnahmen, dass der Meister in dankbarer R?hrung dar?ber seine n?chste grosse Oper eigens f?r sie zu schreiben beschloss. - Trotz der Ungunst der Zeit und dem Einfluss der Feinde h?tte Mozart mit etwas mehr Umsicht und Klugheit noch immer einen sehr ansehnlichen Gewinn von seiner Kunst gezogen: so aber kam er selbst bei jenen Unternehmungen zu kurz, wo auch der grosse Haufen ihm Beifall zujauchzen musste. Genug, es wirkte eben alles, Schicksal und Naturell und eigene Schuld, zusammen, den einzigen Mann nicht gedeihen zu lassen.
Welch einen schlimmen Stand nun aber eine Hausfrau, sofern sie ihre Aufgabe kannte, unter solchen Umst?nden gehabt haben m?sse, begreifen wir leicht. Obgleich selbst jung und lebensfroh, als Tochter eines Musikers ein ganzes K?nstlerblut, von Hause aus ?brigens schon an Entbehrungen gew?hnt, bewies Konstanze allen guten Willen, dem Unheil an der Quelle zu steuern, manches Verkehrte abzuschneiden und den Verlust im Grossen durch Sparsamkeit im Kleinen zu ersetzen. Nur eben in letzterer Hinsicht vielleicht ermangelte sie des rechten Geschicks und der fr?hern Erfahrung. Sie hatte die Kasse und f?hrte das Hausbuch; jede Forderung, jede Schuldmahnung, und was es Verdriessliches gab, ging ausschliesslich an sie. Da stieg ihr wohl mitunter das Wasser an die Kehle, zumal wenn oft zu dieser Bedr?ngnis, zu Mangel, peinlicher Verlegenheit und Furcht vor offenbarer Unehre, noch gar der Tr?bsinn ihres Mannes kam, worin er tagelang verharrte, unt?tig, keinem Trost zug?nglich, indem er mit Seufzen und Klagen neben der Frau oder stumm in einem Winkel vor sich hin den einen traurigen Gedanken, zu sterben, wie eine endlose Schraube verfolgte. Ihr guter Mut verliess sie dennoch selten, ihr heller Blick fand meist, wenn auch nur auf einige Zeit, Rat und H?lfe. Im wesentlichen wurde wenig oder nichts gebessert. Gewann sie ihm mit Ernst und Scherz, mit Bitten und Schmeicheln f?r heute soviel ab, dass er den Tee an ihrer Seite trank, sich seinen Abendbraten daheim bei der Familie schmecken liess, um nachher nicht mehr auszugehen, was war damit erreicht? Er konnte wohl einmal, durch ein verweintes Auge seiner Frau pl?tzlich betroffen und bewegt, eine schlimme Gewohnheit aufrichtig verw?nschen, das Beste versprechen, mehr als sie verlangte, - umsonst, er fand sich unversehens im alten Fahrgeleise wieder. Man war versucht zu glauben, es habe anders nicht in seiner Macht gestanden, und eine v?llig ver?nderte Ordnung nach unsern Begriffen von dem, was allen Menschen ziemt und frommt, ihm irgendwie gewaltsam aufgedrungen, m?sste das wunderbare Wesen geradezu selbst aufgehoben haben.
Einen g?nstigen Umschwung der Dinge hoffte Konstanze doch stets insoweit, als derselbe von aussen her m?glich war: durch eine gr?ndliche Verbesserung ihrer ?konomischen Lage, wie solche bei dem wachsenden Ruf ihres Mannes nicht ausbleiben k?nne. Wenn erst, so meinte sie, der stete Druck wegfiel, der sich auch ihm, bald n?her, bald entfernter, von dieser Seite f?hlbar machte, wenn er, anstatt die H?lfte seiner Kraft und Zeit dem blossen Gelderwerb zu opfern, ungeteilt seiner wahren Bestimmung nachleben d?rfte, wenn endlich der Genuss, nach dem er nicht mehr jagen, den er mit ungleich besserem Gewissen haben w?rde, ihm noch einmal so wohl an Leib und Seele gedeihe, dann sollte bald sein ganzer Zustand leichter, nat?rlicher, ruhiger werden. Sie dachte gar an einen gelegentlichen Wechsel ihres Wohnorts, da seine unbedingte Vorliebe f?r Wien, wo nun einmal nach ihrer ?berzeugung kein rechter Segen f?r ihn sei, am Ende doch zu ?berwinden w?re.
Den n?chsten, entscheidenden Vorschub aber zu Verwirklichung ihrer Gedanken und W?nsche versprach sich Madame Mozart vom Erfolg der neuen Oper, um die es sich bei dieser Reise handelte.
Die Komposition war weit ?ber die H?lfte vorgeschritten. Vertraute, urteilsf?hige Freunde, die, als Zeugen der Entstehung des ausserordentlichen Werks, einen hinreichenden Begriff von seiner Art und Wirkungsweise haben mussten, sprachen ?berall davon in einem Tone, dass viele selber von den Gegnern darauf gefasst sein konnten, es werde dieser >Don Juan<, bevor ein halbes Jahr verginge, die gesamte musikalische Welt von einem Ende Deutschlands bis zum andern ersch?ttert, auf den Kopf gestellt, im Sturm erobert haben. Vorsichtiger und bedingter waren die wohlwollenden Stimmen anderer, die, von dem heutigen Standpunkt der Musik ausgehend, einen allgemeinen und raschen Sukzess kaum hofften. Der Meister selber teilte im stillen ihre nur zu wohl begr?ndeten Zweifel.
Konstanze ihrerseits, wie die Frauen immer, wo ihr Gef?hl einmal lebhaft bestimmt und noch dazu vom Eifer eines h?chst gerechten Wunsches eingenommen ist, durch sp?tere Bedenklichkeiten von da und dort her sich viel seltener als die M?nner irremachen lassen, hielt fest an ihrem guten Glauben und hatte eben jetzt im Wagen wiederum Veranlassung, denselben zu verfechten. Sie tats, in ihrer fr?hlichen und bl?henden Manier, mit doppelter Beflissenheit, da Mozarts Stimmung im Verlauf des vorigen Gespr?chs, das weiter zu nichts f?hren konnte und deshalb ?usserst unbefriedigend abbrach, bereits merklich gesunken war. Sie setzte ihrem Gatten sofort mit gleicher Heiterkeit umst?ndlich auseinander, wie sie nach ihrer Heimkehr die mit dem Prager Unternehmer als Kaufpreis f?r die Partitur akkordierten hundert Dukaten zur Deckung der dringendsten Posten und sonst zu verwenden gedenke, auch wie sie zufolge ihres Etats den kommenden Winter hindurch bis zum Fr?hjahr gut auszureichen hoffe.
>>Dein Herr Bondini wird sein Sch?fchen an der Oper scheren, glaub es nur; und ist er halb der Ehrenmann, den du ihn immer r?hmst, so l?sst er dir nachtr?glich noch ein artiges Prozentchen von den Summen ab, die ihm die B?hnen nacheinander f?r die Abschrift zahlen; wo nicht, nun ja, gottlob, so stehen uns noch andere Chancen in Aussicht, und zwar noch tausendmal solidere. Mir ahnet allerlei.<<
>>Heraus damit!<<
>>Ich h?rte unl?ngst ein V?gelchen pfeifen, der K?nig von Preussen hab einen Kapellmeister n?tig.<<
>>Oho!<<
>>Generalmusikdirektor, wollt ich sagen. Lass mich ein wenig phantasieren! Die Schwachheit habe ich von meiner Mutter.<<
>>Nur zu! Je toller, je besser.<<
>>Nein, alles ganz nat?rlich. - Vornweg also nimm an: ?bers Jahr um diese Zeit...<<
>>Wenn der Papst die Grete freit...<<
>>Still doch, Hanswurst! Ich sage, aufs Jahr um Sankt ?gidi muss schon l?ngst kein Kaiserlicher Kammerkomponist mit Namen Wolf Mozart in Wien mehr weit und breit zu finden sein.<<
>>Beiss dich der Fuchs daf?r!<<
>>Ich h?re schon im Geist, wie unsere alten Freunde von uns plaudern, was sie sich alles zu erz?hlen wissen.<<
>>Zum Exempel?<<
>>Da kommt zum Beispiel eines Morgens fr?h nach neune schon unsere alte Schw?rmerin, die Volkstett, in ihrem feurigsten Besuchssturmschritt quer ?bern Kohlmarkt hergesegelt. Sie war drei Monat fort, die grosse Reise zum Schwager in Sachsen, ihr t?gliches Gespr?ch, solang wir sie kennen, kam endlich zustand; seit gestern nacht ist sie zur?ck, und jetzt mit ihrem ?bervollen Herzen - es schwattelt ganz von Reisegl?ck und Freundschaftsungeduld und allerliebsten Neuigkeiten - stracks hin zur Oberstin damit! die Trepp hinauf und angeklopft und das Herein nicht abgewartet: stell dir den Jubel selber vor und das Embrassement beiderseits! - >Nun, liebste, beste Oberstin< hebt sie nach einigem Vorg?ngigen mit frischem Odem an: >ich bringe Ihnen ein Schock Gr?sse mit, ob Sie erraten, von wem? Ich komme nicht so geradenwegs von Stendal her, es wurde ein kleiner Abstecher gemacht, linkshin, nach Brandenburg zu.< - >Wie? W?r es m?glich... Sie kamen nach Berlin? sind bei Mozarts gewesen?< - >Zehn himmlische Tage!< - >O liebe, s?sse, einzige Generalin, erz?hlen Sie, beschreiben Sie! Wie geht es unsern guten Leutchen? Gefallen sie sich immer noch so gut wie anfangs dort? Es ist mir fabelhaft, undenkbar, heute noch, und jetzt nur desto mehr, da Sie von ihm herkommen - Mozart als Berliner! Wie benimmt er sich doch? Wie sieht er denn aus?< ->O der! Sie sollten ihn nur sehen. Diesen Sommer hat ihn der K?nig ins Karlsbad geschickt. Wann w?re seinem herzgeliebten Kaiser Joseph so etwas eingefallen, he? Sie waren beide kaum erst wieder da, als ich ankam. Er gl?nzt von Gesundheit und Leben, ist rund und beleibt und vif wie Quecksilber; das Gl?ck sieht ihm und die Behaglichkeit recht aus den Augen.<<<
Und nun begann die Sprecherin in ihrer angenommenen Rolle die neue Lage mit den hellsten Farben auszumalen. Von seiner Wohnung Unter den Linden, von seinem Garten und Landhaus an bis zu den gl?nzenden Schaupl?tzen seiner ?ffentlichen Wirksamkeit und den engeren Zirkeln des Hofs, wo er die K?nigin auf dem Piano zu begleiten hatte, wurde alles durch ihre Schilderung gleichsam zur Wirklichkeit und Gegenwart. Ganze Gespr?che, die sch?nsten Anekdoten sch?ttelte sie aus dem ?rmel. Sie schien f?rwahr mit jener Residenz, mit Potsdam und mit Sanssouci bekannter als im Schlosse zu Sch?nbrunn und auf der kaiserlichen Burg. Nebenbei war sie schalkhaft genug, die Person unsres Helden mit einer Anzahl v?llig neuer hausv?terlicher Eigenschaften auszustatten, die sich auf dem soliden Boden der preussischen Existenz entwickelt hatten und unter welchen die besagte Volkstett als h?chstes Ph?nomen und zum Beweis, wie die Extreme sich manchmal ber?hren, den Ansatz eines ordentlichen Geizchens wahrgenommen hatte, das ihn unendlich liebensw?rdig kleide. - >>>Ja, nehmens nur, er hat seine dreitausend Taler fix, und das wof?r? Dass er die Woche einmal ein Kammerkonzert, zweimal die grosse Oper dirigiert - Ach, Oberstin, ich habe ihn gesehn, unsern lieben, kleinen, goldenen Mann inmitten seiner trefflichen Kapelle, die er sich zugeschult, die ihn anbetet! sass mit der Mozartin in ihrer Loge, schr?g gegen den h?chsten Herrschaften ?ber! Und was stand auf dem Zettel, bitte Sie - ich nahm ihn mit f?r Sie - ein kleines Reis'pr?sent von mir und Mozarts dreingewickelt - hier schauen Sie, hier lesen Sie, da stehts mit ellenlangen Buchstaben gedruckt!< ->Hilf Himmel! Was? 'Tarar!'< ->Ja, geltens Freundin, was man erleben kann! Vor zwei Jahren, wie Mozart den 'Don Juan' schrieb und der verw?nschte giftige, schwarzgelbe Salieri auch schon im stillen Anstalt machte, den Triumph, den er mit seinem St?ck davontrug in Paris, demn?chst auf seinem eignen Territorio zu begehen und unserem guten, Schnepfen liebenden, allzeit in 'Cosa rara' vergn?gten Publikum nun doch auch mal so eine Gattung Falken sehn zu lassen, und er und seine Helfershelfer bereits zusammen munkelten und raffinierten, dass sie den 'Don Juan' so sch?n gerupft wie jenesmal den 'Figaro', nicht tot und nicht lebendig, auf das Theater stellen wollten - wissens, da tat ich ein Gel?bd, wenn das infame St?ck gegeben wird, ich geh nicht hin, um keine Welt! Und hielt auch Wort. Als alles lief und rannte - und, Oberstin, Sie mit -, blieb ich an meinem Ofen sitzen, nahm meine Katze auf den Schoss und ass meine Kaldausche; und so die folgenden paar Male auch. Jetzt aber, stellen Sie sich vor, 'Tarar' auf der Berliner Opernb?hne, das Werk seines Todfeinds, von Mozart dirigiert!< - >Da m?ssen Sie schon drein!< rief er gleich in der ersten Viertelstunde, >Und w?rs auch nur, dass Sie den Wienern sagen k?nnen, ob ich dem Knaben Absalon ein H?rchen kr?mmen liess. Ich w?nschte, er w?r selbst dabei, der Erzneidhammel sollte sehen, dass ich nicht n?tig hab, einem andern sein Zeug zu verhunzen, damit ich immerfort der bleiben m?ge, der ich bin!<<<
>>Brava! Bravissima!<< rief Mozart ?berlaut und nahm sein Weibchen bei den Ohren, verk?sste, herzte, kitzelte sie, so dass sich dieses Spiel mit bunten Seifenblasen einer ertr?umten Zukunft, die leider niemals, auch nicht im bescheidensten Masse, erf?llt werden sollte, zuletzt in hellen Mutwillen, L?rm und Gel?chter aufl?ste.
Sie waren unterdessen l?ngst ins Tal herabgekommen und n?herten sich einem Dorf, das ihnen bereits auf der H?he bemerklich gewesen und hinter welchem sich unmittelbar ein kleines Schloss von modernem Ansehen, der Wohnsitz eines Grafen von Schinzberg, in der freundlichen Ebene zeigte. Es sollte in dem Ort gef?ttert, gerastet und Mittag gehalten werden. Der Gasthof, wo sie hielten, lag vereinzelt am Ende des Dorfs bei der Strasse, von welcher seitw?rts eine Pappelallee von nicht sechshundert Schritten zum herrschaftlichen Garten f?hrte.
Mozart, nachdem man ausgestiegen, ?berliess wie gew?hnlich der Frau die Bestellung des Essens. Inzwischen befahl er f?r sich ein Glas Wein in die untere Stube, w?hrend sie n?chst einem Trunke frischen Wassers nur irgendeinen stillen Winkel, um ein St?ndchen zu schlafen, verlangte. Man f?hrte sie eine Treppe hinauf, der Gatte folgte, ganz munter vor sich hin singend und pfeifend. In einem rein geweissten und schnell gel?fteten Zimmer befand sich unter andern veralteten M?beln von edlerer Herkunft - sie waren ohne Zweifel aus den gr?flichen Gem?chern seinerzeit hierher gewandert - ein sauberes, leichtes Bett mit gemaltem Himmel auf d?nnen, gr?n lackierten S?ulen, dessen seidene Vorh?nge l?ngst durch einen gew?hnlichern Stoff ersetzt waren. Konstanze machte sichs bequem, er versprach, sie rechtzeitig zu wecken, sie riegelte die T?r hinter ihm zu, und er suchte nunmehr Unterhaltung f?r sich in der allgemeinen Schenkstube. Hier war jedoch ausser dem Wirt keine Seele, und weil dessen Gespr?ch dem Gast so wenig wie sein Wein behagte, so bezeugte er Lust, bis der Tisch bereit w?re, noch einen Spaziergang nach dem Schlossgarten zu machen. Der Zutritt, h?rte er, sei anst?ndigen Fremden wohl gestattet und die Familie ?berdies heut ausgefahren.
Er ging und hatte bald den kurzen Weg bis zu dem offenen Gattertor zur?ckgelegt, dann langsam einen hohen alten Lindengang durchmessen, an dessen Ende linker Hand er in geringer Entfernung das Schloss von seiner Fronte auf einmal vor sich hatte. Es war von italienischer Bauart, hell get?ncht, mit weit vorliegender Doppeltreppe; das Schieferdach verzierten einige Statuen in ?blicher Manier, G?tter und G?ttinnen, samt einer Balustrade.
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