Read Ebook: Wie Wiselis Weg gefunden wird Erzählung by Spyri Johanna
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Ebook has 515 lines and 30052 words, and 11 pages
"Lacht ihr nur! Lacht ihr nur!" sagte die Mutter. "Ich weiss schon, was ich an dem Schreiner Andres habe."
"Und ich auch", bemerkte der Vater mit sp?ttischem L?cheln.
"Und ich auch!" behauptete das Miezchen herzhaft.
"Und ich auch!" sagte Otto seufzend, dem der Kn?chel noch von seinem Sturz ?ber den Stuhl hin weh tat.
"So, nun sind wir alle einer Meinung", bemerkte die Mutter, "nun k?nnen die Kinder in Frieden zu Bett gehen."
Auf diese Anzeige hin drohte dem Frieden gleich eine St?rung. Aber es half nichts, die alte Trine stand schon vor der T?r und achtete darauf, dass die Hausordnung nicht ?berschritten wurde. Die Kinder mussten sich verabschieden, und gleich nachher verschwand die Mutter auch noch einmal, denn die Kinder schliefen nicht ein, ohne dass die Mutter zum Nachtgebet an ihre Betten gekommen war.
Als nun alles still und ruhig war, kam die Mutter wieder zu den Herren zur?ck und setzte sich gem?tlich hin.
"Endlich", sagte da der Oberst aufatmend, als habe er eine harte Schlacht hinter sich. "Siehst du, Max, erst geh?rt meine Frau dem Schreiner Andres, dann ihren Kindern und dann ihrem Mann, wenn noch etwas ?brigbleibt."
"Und siehst du, Max", sagte die Mutter lachend, "wenn mein Mann noch so spottet--er mag unseren guten Schreiner Andres gerade so gern wie wir alle. Gestehe es nur ein, Otto! Eben hat mir Andres auch f?r dich noch einen Auftrag ?bergeben, er hat seine j?hrliche Summe gebracht und bittet um deine Hilfe."
"Das ist wahr", sagte der Oberst, "einen ordentlicheren, fleissigeren, zuverl?ssigeren Mann kenne ich nicht. Dem w?rde ich Weib und Kind und Hab und Gut und alles anvertrauen wie keinem anderen. Das ist der ehrlichste Mann in unserer ganzen Gemeinde und noch weit dar?ber hinaus."
"Jetzt siehst du, Max", sagte die Frau lachend, "ich konnte doch nicht mehr sagen."
Ihr Bruder lachte mit ?ber den Eifer, in den der Oberst unversehens gefallen war. Dann entgegnete er: "Nun habt ihr mir alle so viel von eurem Wundermann vorerz?hlt, dass ich wirklich wissen m?chte, woher er stammt und wie er aussieht. Habe ich ihn denn noch nicht hier gesehen?"
"Ach, du hast ihn ja so gut gekannt, Max", entgegnete seine Schwester. "Du musst dich noch an den Andres erinnern, mit dem wir zur Schule gingen. Weisst du denn nicht mehr, wie zwei Br?der zusammen in derselben Klasse mit dir waren? Der ?ltere war damals schon ein rechter Taugenichts. Er war nicht dumm, aber tat nichts und blieb darum stecken und kam dann mit dem viel j?ngeren Bruder in eine Klasse zusammen, in der du auch warst. Du musst dich gewiss erinnern, er hiess J?rg und hatte ganz schwarzes, steifes Haar. Er bewarf uns, wo er konnte, mit irgend etwas, mit unreifen ?pfeln und Birnen und dann mit Schneeb?llen, und rief uns ?berall nach: 'Aristokratenbrut!'"
"Oh, der!" rief Onkel Max lachend, "ja, nun weiss ich auf einmal alles. Richtig, 'Aristokratenbrut' rief er uns best?ndig nach. Ich m?chte nur wissen, wie ihm das Wort in den Sinn kam. Er war ein widerw?rtiger Kerl. Da sah ich ihn einmal einen viel kleineren Jungen ganz unbarmherzig durchpr?geln. Dem half ich aber, daf?r rief er mir mindestens zw?lfmal nach: 'Aristokratenbrut!' Ach, nun weiss ich auch auf einmal, wer der andere war. Das war der magere, kleine Andres, sein Bruder, das ist gewiss euer Andres. Und dann ist das auch der Andres mit den Veilchen, nicht wahr, Marie? Oh, jetzt verstehe ich schon die dicke Freundschaft." Onkel Max lachte aufs neue auf.
"Was f?r Veilchen? Das muss ich wissen", fiel der Oberst ein.
"Oh, die Geschichte ist mir auf einmal vor Augen, als w?re sie gestern geschehen", sagte der Onkel ganz angeregt von seinen Erinnerungen. "Die muss ich dir erz?hlen, Otto. Du weisst vielleicht durch deine Frau, dass wir hier im Dorf in jenen gl?cklichen Zeiten unserer Kindheit einen alten Schullehrer hatten, der fand, dass alle M?ngel der Schulkinder aus ihnen heraus- und alle F?higkeiten und guten Eigenschaften in sie hineingepr?gelt werden k?nnten. So war er gezwungen, sehr viel zu pr?geln, um den einen oder andern guten Zweck zu erreichen, manchmal auch beide auf einmal. Einmal nun war ihm der magere Andres unter die Hand gekommen. Dem schlug er nun so kr?ftig seine wohlgemeinte Ermahnung auf den R?cken, dass der Andres laut aufschrie. In diesem Augenblick stand meine kleine Schwester, die k?rzlich in die Schule eingetreten war und sich noch nicht so recht in die dort herrschenden Gebr?uche eingelebt hatte, pl?tzlich auf von ihrem Sitz in der ersten Bank. Sie lief eilig zur T?r. Der Schullehrer hielt inne mit seiner Arbeit und rief ihr nach: 'Wohin l?ufst du?' Marie kehrte sich um. Die hellen Tr?nen liefen ihr ?ber die Backen, und sie sagte ganz aufrichtig: 'Ich will heimgehen und es dem Papa sagen.' 'Wart, ich will dir!' rief jetzt der Schullehrer ?berrascht und st?rzte vom Andres weg auf die kleine Marie los. Die pr?gelte er aber nicht, er nahm sie nur beim Arm und setzte sie ziemlich fest auf ihren Platz hin. Dann sagte er noch einmal: 'Wart, ich will dir!' Damit war aber alles abgetan. Auch der Andres wurde in Ruhe gelassen, und so nahm alles einen friedlichen Ausgang. Aber die Tr?nen, die meine Schwester f?r den Andres vergossen hatte, und ihr Einschreiten gegen den Tyrannen wurden nicht vergessen. Von dem Tag an lag jeden Morgen ein Strauss Veilchen auf ihrem Platz und durchduftete den ganzen Schulraum. Und nachher kam noch ein anmutigerer Duft von dem Platz her, denn da lagen grosse Erdbeerstr?usse mit den pr?chtigsten dunkelroten Beeren, wie sie sonst nirgends zu sehen waren. Und so ging es das ganze Jahr durch immerfort. Wie sich dann aber die Freundschaft zu dem erstaunlich hohen Grad entwickelt hat, wo sie nun angelangt ist, das muss meine Schwester wissen und uns mitteilen."
Der Oberst hatte seine Freude an der Geschichte der Tr?nen und der Veilchen und forderte seine Frau auf, weiter zu erz?hlen.
Sie sagte lachend: "Erdbeeren und Veilchen bl?hen deiner Ansicht nach das ganze Jahr durch, Max. Das ist aber nicht ganz so. Aber der gute Andres wurde wirklich das ganze Jahr durch nicht m?de, mir irgend etwas Erfreuliches aus Feld und Wald zu suchen und an meinen Platz zu legen, solange wir miteinander zur Schule gingen. Er trat dann lange vor mir aus und kam in die Lehre zu einem Schreiner in der Stadt. Er kam aber oft nach Hause, ich verlor ihn nie ganz aus den Augen. Und als mein Mann dieses Gut kaufte und wir uns eben verheiratet hatten, handelte es sich darum, dass Andres sich etwas ankaufen und sich selbst?ndig niederlassen wollte. Er hatte seine Eltern verloren und stand ganz allein, aber als t?chtiger Arbeiter da. Er hatte seine Augen auf das H?uschen mit dem sauberen kleinen Garten dort unterhalb der Kirche gerichtet, konnte es aber nicht ankaufen, da der Verk?ufer sofort bares Geld haben wollte und Andres erst etwas verdienen musste. Aber wir kannten ihn und seine Arbeit. Mein Mann kaufte das G?tchen an f?r ihn, und er hat es keinen Augenblick zu bereuen gehabt."
"Nein, wahrhaftig nicht", fiel der Oberst ein. "Der brave Andres hat l?ngst sein Gut vollst?ndig abgezahlt, und seither bringt er mir jedes Jahr um diese Zeit eine ganz h?bsche Summe, den Gewinn seiner Jahresarbeit. Die lege ich ihm gut an. Er ist jetzt schon ein wohlhabender Mann, und nun nimmt sein Besitztum j?hrlich sehr zu. Er kann sein H?uschen noch zu einem grossen Haus machen, der brave Andres. Es ist nur schade, dass er wie ein Einsiedler lebt und darum sein erarbeitetes Gut gar nicht geniessen kann."
"Hat er denn keine Frau und keine Familie? Und wo ist der bitterb?se J?rg schliesslich hingekommen?" fragte Onkel Max weiter.
"Nein, er hat gar niemanden", antwortete die Schwester. "Er lebt v?llig allein, wirklich wie ein Einsiedler. Er hat eine lange, traurige Geschichte erlebt, die ich mit angesehen habe und die ihm gewiss alle Lust genommen hat, je eine Frau zu suchen. Der Bruder J?rg ist hier einige Jahre herumgestrolcht. Er hat nie gearbeitet, sondern gehofft, durch furchtbares Schimpfen auf alle diejenigen, die keine Lumpen waren wie er, endlich doch noch sein Gl?ck zu machen. Und als ihm dies nicht gelang, auch der gute Andres ihm endlich nicht mehr aus seinen Schulden und allem B?sen heraushelfen konnte und auch nicht mehr wollte, da ist er verschwunden. Wohin, hat man nie recht gewusst. Jedermann war froh, dass er fort war."
"Was war denn die traurige Geschichte, Marie?" fragte der Bruder. "Die muss ich auch noch wissen."
"Und ich auch", sagte der Oberst und z?ndete zu der Erz?hlung vergn?glich eine neue Zigarre an.
"Aber Otto", bemerkte die Frau Oberst, "dir habe ich dieses Erlebnis wohl schon sechsmal erz?hlt."
"So?" entgegnete ruhig der Oberst. "Es gef?llt mir, wie es scheint."
"So fang an!" ermunterte der Onkel.
"Du musst dich noch an das Kind erinnern k?nnen, Max", begann seine Schwester, "von dem ich heute abend schon einmal gesprochen habe, das ganz in unserer N?he wohnte. Es geh?rte dem bleichen, mageren Leineweber, den wir immer sein Weberschifflein hin- und herwerfen h?rten, wenn wir in unserem Garten standen. Das Kind sah zart und nett aus und hatte grosse, lustig gl?nzende Augen und so sch?ne braune Haare. Es hiess Aloise."
"In meinem Leben habe ich keine Aloise gekannt", warf Onkel Max ein.
"Oh, ich weiss schon, warum", fuhr seine Schwester fort. "Wir nannten sie auch nie so, besonders du nicht. Wisi nannten wir sie, zum Schrecken unserer seligen Mama. Weisst du denn nicht mehr, wie oft du selbst sagtest, wenn wir am Klavier Lieder singen wollten mit Mama und es so leise t?nte: 'Man muss das Wisi holen, sonst geht's nicht'?"
Jetzt stieg die Erinnerung mit einemmal in Onkel Max' Ged?chtnis auf. Er lachte auf und rief: "Oh, das ist's, das Wisi, ja gewiss, das Wisi kenne ich. Ich sehe es deutlich vor Augen mit dem lustigen Gesicht, wie es am Klavier stand und so tapfer darauflos sang. Ich mochte es gern, das Wisi. Es war auch nett anzusehen. Das ist wahr. Die gute Mutter hatte immer einen Schreckensanfall, wenn ich 'Wisi' sagte. Ich habe aber nie gewusst, wie das Wisi eigentlich hiess."
"Freilich hast du das gewusst", bemerkte die Schwester, "denn jedesmal sagte die Mama, es sei eine Barbarei, aus dem sch?nen Namen Aloise ein Wisi zu machen."
"Das habe ich wohl jedesmal ?berh?rt", meinte Onkel Max. "Aber wo ist denn das Wisi hingekommen?"
"Du weisst, es war in derselben Klasse mit mir in der Schule, wir sind miteinander von Klasse zu Klasse gestiegen bis hinauf zur sechsten. Da kann ich mich ganz gut erinnern, wie alle diese Jahre durch der Andres als treuster Freund und Besch?tzer dem Wisi zur Seite stand in Freud und Leid. Und es konnte den Freund gut brauchen. Meistens, wenn es zur Schule kam und die Tafel mit Rechnungen bedeckt bringen sollte wie wir anderen auch, da stand nicht eine Zahl darauf. Es legte sie aber mit dem lustigsten Gesicht auf die Schulbank hin, und im folgenden Augenblick stand alles darauf, was darauf stehen sollte. Denn der Andres hatte schnell die Tafel genommen und die Rechnungen darauf gesetzt. Oft geschah es auch, dass Wisi in seiner raschen Weise mit dem Ellbogen eine Scheibe eingeschlagen hatte in der Schulstube, oder es hatte im Garten an des Schulmeisters Pflaumenbaum gesch?ttelt. Und wenn dann Gericht ?ber diese Untaten gehalten wurde, dann blieb regelm?ssig alles auf dem Andres sitzen. Nicht dass er von jemand angeklagt wurde, sondern er selbst sagte gleich halblaut, er meine, er habe die Scheibe zerdr?ckt. Und er glaube auch, er habe an dem Pflaumenbaum ger?ttelt, und so bekam er die Strafe. Wir Kinder wussten immer ganz gut, wie es war. Aber wir liessen es so gehen. Wir waren so gew?hnt daran, dass es so sei, und dann hatten wir alle das lustige Wisi so gern, dass wir's ihm immer g?nnten, wenn es ungestraft davonkam. Und ?pfel und Birnen und N?sse hatte Wisi immer alle Taschen voll, die kamen alle vom Andres. Denn was er nur hatte und erlangen konnte, das stecke er alles dem Wisi in den Schulsack. Ich dachte manchmal dar?ber nach, wie es denn sein k?nne, dass der stille Andres gerade das allerlustigste und aufgeweckteste Kind der ganzen Schule am liebsten habe. Und dann sann ich dar?ber nach, ob es nun auch gerade den stillen Andres besonders gern habe. Es war wohl immer freundlich zu ihm, aber so war es auch mit den anderen. Und als ich einmal ernstlich unsere Mama fragte, wie das wohl sei, da sch?ttelte sie ein wenig den Kopf und sagte: 'Ich f?rchte, ich f?rchte, diese artige Aloise ist ein wenig leichtsinnig und kann noch in eine schwere Schule kommen.' Diese Worte gaben mir viel zu denken und kamen mir immer wieder in den Sinn."
Die Frau Oberst sah l?chelnd vor sich hin. "Als wir dann zusammen in den Religionsunterricht gingen, da kam Wisi regelm?ssig am Sonntagabend zu uns her?ber, und wir sangen zusammen am Klavier Chor?le. Daran hatte es damals sehr grosse Freude, es konnte alle die sch?nen Lieder auswendig und sang sie mit heller Stimme. Wir hatten auch unsere Freude an den Abenden, Mama und ich, und auch dar?ber, dass Wisi so gern in den Unterricht ging und ihn sich wirklich zu Herzen nahm. Es war nun ein grosses M?dchen geworden und sah recht gut aus. Seine lustigen Augen hatte es noch, und wenn es auch nie so kr?ftig aussah wie die Bauernm?dchen im Dorf, so hatte es doch eine bl?hende Gesichtsfarbe und war netter als sie alle. Damals war der Andres noch in der Stadt als Lehrjunge, er kam aber immer ?ber den Sonntag heim. Dann kam er auch jedesmal zu uns ins Pfarrhaus, und am liebsten sprach er dann immer mit mir von den vergangenen Tagen der Schule. Und dann kamen wir immer bald auf das Wisi zu sprechen. Das kam so im Zusammenhang, und schliesslich sprachen wir dann nur noch von ihm. Dem Andres ging ganz das Herz und der Mund auf bei diesen Erinnerungen, und w?hrend alle Welt l?ngst das Wisi nie anders also so genannt hatte, nannte er es unwandelbar das 'Wiseli'. Und das kam dann so ganz eigen z?rtlich heraus.
Da kam auch ein Sonntag, als das Wisi und ich noch nicht achtzehn Jahre alt waren. Gegen Abend trat er bei uns ein und sah ganz rosig aus. Und als wir nun mit Mama zusammensassen, da sagte Wisi, es sei gekommen, uns mitzuteilen, dass es sich mit dem jungen Fabrikarbeiter versprochen habe, der seit kurzer Zeit im Dorfe wohnte. Sie k?nnten gleich heiraten, da er eine gute Anstellung habe unten in der Fabrik, und so h?tten sie denn schon alles festgesetzt, dass sie gleich in zw?lf Tagen zusammenkommen k?nnten. Ich war so erstaunt und so traurig, dass ich kein Wort sagen konnte. Eine Zeitlang sagte die Mutter auch nichts, sie sah ganz bek?mmert aus. Dann aber sprach sie ernstlich mit dem Wisi und stellte ihm vor, wie leichtsinnig es sei, dass es sich so schnell mit dem Fabrikarbeiter eingelassen habe. Es kenne ihn ja kaum, und da sei doch ein anderer, der ihm Jahre lang nachgegangen sei und ihm gezeigt habe, wie lieb er es habe. Und zuletzt fragte sie es dringend, ob denn nicht alles noch r?ckg?ngig gemacht werden oder doch eine gute Zeitlang hinausgeschoben werden k?nne. Es k?nne noch bei seinem Vater bleiben, es sei ja noch so jung. Da fing Wisi zu weinen an und sagte, es habe ganz bestimmt sein Wort gegeben, alles sei eingerichtet auf die Zeit und dem Vater sei's recht. Nun sagte die Mutter nichts mehr, aber das arme Wisi weinte immer ?rger. Da nahm sie es bei der Hand und zog es zum Klavier hin, an den Platz, wo es immer stand, wenn wir zusammen sangen. Sie sagte in ihrem freundlichen Ton zu ihm: 'Trockne nun deine Tr?nen, wir wollen noch einmal zusammen singen.' Dann schlug sie uns das Lied auf, und wir sangen zusammen:
Wisi ging dann wieder getr?stet von uns, die Mutter hatte ihm noch einige freundliche Worte gesagt.
Aber mich hatte die Sache recht traurig gemacht. Ich hatte ein ganz bestimmtes Gef?hl, dass das arme Wisi seine frohen Tage nun hinter sich hatte, und dann tat mir der Andres uns?glich leid. Was w?rde der sagen? Er sagte aber nie etwas, gar kein Wort, aber ein paar Jahre lang ging er herum wie ein Schatten und war noch stiller geworden als vorher. Ich habe auch seither nie mehr sein stillfr?hliches Gesicht gesehen, wie er es damals doch oft gezeigt hat."
"Der arme Kerl!" rief Onkel Max aus. "Hat er denn keine andere Frau genommen?"
"Ach, nein, Max", entgegnete seine Schwester ein wenig strafend, "wie konnte er denn, wie kannst du so etwas sagen. Er ist ja die Treue selbst."
"Das konnte ich ja nicht wissen, liebe Schwester", erwiderte der Bruder beg?tigend. "Ich konnte doch nicht voraussehen, dass dein vielseitig begabter Freund nun auch noch die Unwandelbarkeit an sich tr?gt. Aber das Wisi, erz?hl weiter von ihm. Ich hoffe wirklich, das lustige Wisi ist nicht ungl?cklich geworden, es w?rde mir leid tun."
"Ich merke schon, Max", sagte die Schwester, "dass du es heimlich mit dem Wisi h?ltst und kein Mitleid hast mit dem treuen Andres, dem es doch fast das Herz abgedr?ckt hat, dass das Wisi f?r ihn verloren war."
"Doch, doch", versicherte der Onkel, "ich kann ihm nachf?hlen, wie ungl?cklich er war. Aber weiter, wie ging's mit dem Wisi? Es hat doch seine lustigen Augen nicht verweint?"
"Doch, ich glaube schon", fuhr die Schwester fort. "Ich habe Wisi nicht mehr oft gesehen, es hatte viel zu tun. Ich glaube, der Mann war nicht eben b?se, aber er hatte etwas Rohes, er konnte so grob und unfreundlich sein, auch mit seinen kleinen Kindern. Wisi hatte gewiss wenig Freude mehr. Es hatte mehrere nette Kinder, aber sie waren alle sehr zart, es verlor sie wieder eins nach dem andern. F?nf hatte es begraben m?ssen, nur ein einziges ist ihm geblieben, ein feines, zartes Gesch?pfchen, ein kleines Wiseli. Es ist nicht viel gr?sser als unser Miezchen und ist doch gut drei Jahre ?lter. Wisis Gesundheit hatte durch das alles so gelitten, dass man deutlich sehen konnte, was kommen w?rde. Und nun ist es auch da, eine schnelle Auszehrung rafft ihr Leben hin. Ich f?rchte, es ist gar keine Hoffnung mehr."
"Nein!" rief Onkel Max erschrocken aus. "Das kann doch nicht sein, ist's wirklich wahr? Kann man da nichts machen, Marie? Wir wollen doch gleich nachsehen, vielleicht ist noch zu helfen."
"Ach nein, da ist nicht mehr zu helfen", sagte die Schwester traurig. "Da war ?berhaupt nicht mehr zu helfen. Wisi war f?r all die Arbeit und Anstrengung viel zu zart."
"Und was macht nun der Mann?" fragte Onkel Max.
"Ach, den habe ich ja ganz vergessen, das hatte das kranke Wisi auch noch durchzumachen. Es wird nun bald ein Jahr sein, da wurde ihm in der Fabrik der eine Arm und das Bein so zerschlagen, dass man ihn halbtot nachhause brachte. Danach konnte er nicht mehr arbeiten. Er muss kein besonders geduldiger Kranker gewesen sein. Wisi hatte ihn nun auch noch zu verpflegen zu allem andern. Er starb dann ungef?hr ein halbes Jahr nach dem Unfall. Seither lebt Wisi allein mit dem Kind."
"Und so blieb von allem gar nichts mehr ?brig als ein kleines Wiseli? Was macht man damit? Aber nein, so traurig wird's doch nicht kommen m?ssen. Das Wisi kann noch gesund werden und alles noch kommen, wie es h?tte sein sollen von Anfang an."
"Nein, nein, dazu ist es zu sp?t", entgegnete die Schwester sehr bestimmt. "Das arme Wisi hat seinen Leichtsinn schwer b?ssen m?ssen. Aber jetzt ist es sp?t geworden." Und fast erschrocken stand sie auf, denn ?ber dem Gespr?ch war die Mitternachtsstunde vor?bergegangen.
Seit einiger Zeit schon war der Oberst ganz still geworden, er hatte sich in seinen Lehnstuhl zur?ckgelegt und war fest eingeschlafen. Onkel Max hatte zwar keinen Schlaf, denn mit der Erz?hlung von dem armen Wisi waren ihm alle Jugenderinnerungen so lebendig aufgestiegen, dass er noch eine Menge von Dingen und Pers?nlichkeiten besprechen wollte. Aber seine Schwester war unerbittlich, sie hielt die Lampe in der Hand und dr?ngte zum Aufbruch.
So half denn nichts. Um aber nicht allein die unwillkommene St?rung zu tragen, weckte er seinen Schwager mit einem so gewaltigen Ruck an seinem Stuhl, dass der Oberst mit einem Schrecken emporschoss, als sei eine feindliche Bombe auf ihn gefahren. Aber sein Schwager klopfte ihm friedlich auf die Schulter und sagte: "Es war nur eine leise Mahnung von seiten deiner Frau, dass wir uns zur?ckziehen m?chten." Der R?ckzug wurde dann vollzogen, und bald stand das Haus auf der H?he ganz still im Mondschein da. Und unten am Berg stand eins, da sollte es auch bald still werden. Jetzt brannte noch ein schwaches L?mpchen drinnen und warf seinen matten Schimmer durch das schmale Schubfenster in die monderhellte Nacht hinaus.
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