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Read Ebook: Zur freundlichen Erinnerung by Graf Oskar Maria

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Ebook has 1058 lines and 30736 words, and 22 pages

ZUR FREUNDLICHEN ERINNERUNG--ACHT ERZ?HLUNGEN

von

OSCAR MARIA GRAF

INHALT

Zw?lf Jahre Zuchthaus. Sinnlose Begebenheit. Die Lunge. Ohne Bleibe. Etappe. Michael J?rgert. Ein dummer Mensch. Ablauf.

ZW?LF JAHRE ZUCHTHAUS

Weit hatte es der Schlosser Peter Windel im Laufe einer beinahe zwanzigj?hrigen Arbeitszeit bei der Motorenfabrik Jank gebracht. Als blutjunger Geselle trat er damals in den Dienst und heute war er erster Werkmeister. Seine stumpfe, schweigende Energie, sein fanatischer Lerneifer und seine fast pedantische, aber keineswegs devote P?nktlichkeit hatten ihm Respekt und Achtung verschafft, bei den Arbeitern sowohl, wie bei den Vorgesetzten. Beliebt war er nicht, aber es war keiner in der ganzen Fabrik, der auf ein einmal gesprochenes Wort von Windel nichts gab. Es dauerte allerdings lange, bis er mehr als das Allernotwendigste sprach. Verschlossen, wortkarg und mit jener stoischen Strenge im Gesicht, die schon nahe an der Grenze des Missmuts steht--so kannte man ihn seit Jahr und Tag. Noch dazu war er keineswegs eine Erscheinung. Von Gestalt klein und nicht gerade kr?ftig, etwas vorn?bergebeugt, mit langem Hals, auf dem ein unf?rmiger, zu grosser Kopf mit borstigen, kurzen, schon etwas angegrauten Haaren und weitwegstehenden Ohren sass. Das lederne, scharfe Gesicht machte einen ?berreizten Eindruck. Die tiefliegenden, unruhigen Augen waren von vielen blutunterlaufenen ?derchen durchzogen. Aus dem schroffen Tal der Backen hob sich die plumpe, unregelm?ssige Nase wie ein spitzer H?gel. Griesgr?mig griff die massige, verfaltete Stirne von einer Schl?fenbucht zur andern.

Das Merkw?rdigste an diesem Antlitz aber war der untere Teil. Er schien fast von einem anderen Menschen zu sein, hatte etwas so Hilfloses und Sch?chternes, dass man den Eindruck des M?dchenhaften nicht losbrachte, wenn nicht hin und wieder der ge?ffnete kleine, aufgeworfene Mund die eingerissenen, stark mitgenommenen Z?hne gezeigt h?tte. Kam noch hinzu ein ungew?hnlich kurzes, fast in den Hals gefallenes und nur durch einen ganz kleinen Ballen angedeutetes Kinn, aus dem ein spr?der Knebelbart spritzte wie eine Rettung. Sonst h?tte man buchst?blich der Meinung sein k?nnen, nach dem Hals ginge der Mund an.

Man sagt im allgemeinen, Pedanten, die ihr Dasein fast abgezirkelt genau ableben, h?tten ein sorgf?ltig gepflegtes Erinnerungsverm?gen und verg?ssen die kleinste Kleinigkeit oft jahrelang nicht.

Peter Windel hatte keine Erinnerung.

Schliesslich, dass man irgendwie zur Welt kommt, aufw?chst und allm?hlich auf einen Namen h?rt, dann, in der Schule, noch auf einen zweiten; in die Lehre kommt, etliche Stellen wechselt; dass es einem schlecht oder besser geht, dass man auf einem Gottesacker unter anderen Leuten um ein Grab steht und den Kies auf den Sarg einer toten Mutter oder eines verstorbenen Vaters, eines Bruders oder einer Schwester fallen h?rt und endlich Hinterlassenschaftspapiere, Notariatszimmer und Pfandbriefe zu sehen bekommt,--das erlebt so ziemlich jeder Mensch auf die eine oder andere Weise.

Ein schepperndes Weckerl?uten. Es ist noch tiefste Nacht draussen, die Fenster sind gefroren und hoch herauf verschneit, man h?rt auf den weiten, ?berschneiten Strassen nur seine eigenen Schritte knirschen. Aus Schnee und Dunkelheit kommt langsam eine flimmernde Strassenbahn, dann hinter einer gelben Fensterscheibe ein verschlafenes, ?rgerliches Pf?rtnergesicht, ?her einen Hof viele, dumpf trommelnde Schritte und ineinanderschwimmende Laute, endlich einen glatten Hebel in der Hand, --herumgezogen--und ratsch! ein ganzer Hauskoloss surrt bebend auf, die Riemen klatschen, ?chzen, es h?mmert, feilt, quietscht, kracht, klingt, braust--das wusste Peter Windel seit ewiger Zeit. Zwischendurch freilich auch Sommertage. Ein offenes Fenster, K?hle und D?mmerung und etliche sch?chterne Vogeltriller beim Erwachen. Das meiste der zwanzig Jahre--: N?chte ?ber technischen B?chern, Sonntagnachmittage ?ber dem Zeichenblock und manchmal ein Z?hlen des ersparten Geldes. ?fters als w?nschenswert Streitigkeiten, Z?nkereien mit der halbtauben, beschr?nkten Logisfrau k?nnen noch hinzugez?hlt werden. Das war alles. Peter Windel hatte keine Erinnerung. Er kannte nur Interessen.

Wenn nicht--

Und hier beginnt diese Geschichte.

"Sie sind eine Sau! Vier Wochen kein frisches Handtuch, zwei Monate keine Bettw?sche gewechselt! Wenn das nicht aufh?rt, ziehe ich!" schrie Peter Windel an einem Sonntag seine Logisfrau an.

Wie immer. Das Weib blieb stehen, glotzte ihn an, verzog das Gesichtzu einer weinerlichen Grimasse und winselte ein paar unverst?ndliche Worte heraus. Und weinte erst leise, dann immer unertr?glicher.

Das Fenster stand offen. Es war Sommer. Klar fiel die Sonne in den Hof. Windel riss die Schrankt?re auf, nahm seinen Regenmantel, schob die Frau beiseite und ging.

Vierzig Mark f?r ein Zimmer ist nicht viel und die Frau schn?ffelte nicht, war uralt, hockte den ganzen Tag in der dumpfen K?che und lispelte Gebete. Unreinlich war sie nur von Zeit zu Zeit. Man musste sie dann grob anschreien.--

Auf der Treppe fiel Peter ein, dass er "Die Elektrizit?t als Nutzkraft" vergessen hatte. Er drehte sich rasch um und ging zur?ck. Immer noch stand das Weib in der Zimmermitte, fast unbeweglich und wimmerte. Einen Augenblick mass sie Peter ver?rgert. Dann stampfte er mit dem Fuss auf den Boden.

"Herrgott nochmal!" stiess er heraus, warf seinen Mantel hin, riss die Bettlaken herunter, zog in aller Eile Decke und Kopfkissen ab und warf die ganze W?sche der Frau vor die F?sse, samt dem schmutzigen Handtuch. "Gehn Sie doch in die K?che mit Ihrem Lamentieren und legen Sie mir die Bettw?sche dann herein, ich mach's mir selber!" sagte er noch, nahm vom Nachtkasten das vergessene Buch und schmiss w?tend die T?re zu.

"Meine Lies' ... heut wird's das zweite Jahr!" wimmerte die Frau noch. Und fiel wieder in ihr wimmerndes Weinen.--

Als Peter Windel tief in der Abendstunde nach Hause kam, lag sie quer auf dem Zimmerboden, den Kopf auf die Waschtischkante geschlagen, eine ziemlich grosse Wunde auf der Stirn--reglos, steif.

Eine kleine Lache geronnenes Blut umgab den Kopf. Die Tote musste sich in den hingeworfenen Bett?chern mit den F?ssen verwickelt haben und dann hingefallen sein.

Peter Windel stand und stand. Er f?hlte das Brennen des angesteckten Streichholzes nicht auf den Fingern. Erst als es wieder dunkel war, zuckte er ein wenig, steckte schnell ein neues an und liess es wieder verglimmen. Stand und stand.

Pl?tzlich gab er sich einen Ruck und lief wie ein Irrer davon, liess die T?ren offen, polterte die Treppen hinunter, rannte hastig und totenbleich an Leuten vorbei und meldete das Geschehene auf der Polizeiwache. Als er mit zwei Schutzleuten und dem Polizeiarzt zur?ckkam, waren schon Leute aus den T?ren gekommen und musterten ihn, trippelten nach und blieben an der Eingangst?re stehen mit gereckten H?lsen, brummten, lispelten.

Der eine der Schutzleute schloss endlich die T?re. Man machte Licht in Peters Zimmer, schaute eine Zeitlang auf die Tote, nahm die zwei oder drei schwarzen, verkohlten Streichholzk?pfe auf ein Papier und sagte zu Windel, der s?ulenstarr dastand: "Setzen Sie sich."

Der Arzt beugte sich ?her die Tote, ein Schutzmann pr?fte die Waschtischkante. Der Arzt nickte.

"Setzen Sie sich!" sagte ein Schutzmann strenger.

Peter brach endlich in einen Stuhl.

Die drei lispelten in der Ecke.

Der Arzt steckte seine Instrumente ein, hustete und stellte sich neben die Tote.

Ein Schutzmann nahm neben Peter Platz, einer blieb an dessen Seite stehen.

"Wann haben Sie die Frau verlassen?" fragte der Schutzmann und notierte.

Fragte weiter, mit einer gewissen h?mischen Herausforderung:

"Haben Sie Beziehungen zu der Hullinger gehabt?"

"Nein."

"Wie lange wohnen Sie hier?"

"Und haben schon ?fters solche Streitigkeiten mit der Hullinger gehabt?"

"Ja," sagte Peter.

"Und diesmal?"

"Weil sie mir schon vier Wochen keine frische Bettw?sche mehr gab."

"Sie waren also grob zu ihr?"

"Ja."

Und noch, was er Gehalt h?tte, was er bezahlen m?sse f?r Logis, ob die Hullinger vielleicht eine gr?ssere Hinterlassenschaft in bar irgendwo aufbewahrt, beziehungsweise ob ihm bekannt w?re, in welchen Verh?ltnissen die Hullinger gelebt habe.

Peter antwortete meistens mit Ja oder Nein. Seine Stimme klang zerbrochen und schwer.

"Dann muss ich im Hotel schlafen ... Herr Schutzmann ... wenn die Leiche hier liegenbleiben muss," sagte er endlich hilflos. Er hatte diese Anordnung vom Arzt geh?rt.

Da stand der Schutzmann selbstbewusst auf, sagte: "Sie kommen mit!"-Alle Menschen waren noch auf dem dunklen Hof, und entsetzte Blicke fielen auf die Davongehenden.

Wegen dringenden Verdachts, seine Logisfrau ermordet zu haben, wurde Peter Windel in Untersuchungshaft genommen und in einer Einzelzelle untergebracht. Vier hohe, glatte, mit kahler, graugr?ner ?lfarbe gestrichene W?nde umgaben ihn von nun ab. Unter der Lichtluke stand die h?lzerne Pritsche, daneben der Abort. Auf dessen Deckel konnte man bei den Mahlzeiten den Essnapf oder die blecherne Wasserkanne stellen.

Die erste Nacht lehnte Peter schlaflos an der kalten T?r. Als die W?rter in der Fr?he aufschlossen, mussten sie fest dr?cken, bis seine steife Gestalt nachgab und endlich, als sie w?tend fluchten, mechanisch etliche Schritte in den Raum machte. W?hrend die W?rter die Brotration auf die Pritsche legten und den Kaffee in die blecherne Tasse gossen, stand der Gefangene die ganze Zeit unbeweglich und zusammengeschrumpft da. Sie achteten nicht weiter darauf und schlossen ger?uschvoll wieder die T?r.--

Jetzt war Licht. Die Gef?ngnisuhr schlug sieben.

Peter schaute sch?chtern im Raum herum und begann zu gehen. Ging stoisch die W?nde lang. Immer zehn Schritte der L?nge nach und zw?lf Schritte der Breite nach. Den ganzen Tag, ohne innezuhalten, wenn man Essen oder Abendbrot brachte.--

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