Read Ebook: Der Nachsommer by Stifter Adalbert
Font size:
Background color:
Text color:
Add to tbrJar First Page Next Page Prev Page
Ebook has 2712 lines and 248044 words, and 55 pages
Der zweite Aufenthalt im n?chst darauf folgenden Sommer war viel weiter von der Stadt entfernt in dem Hause eines Landmanns. Man hat h?ufig in den H?usern unserer Landleute, in welchen alle Wohnstuben und andere R?umlichkeiten ebenerdig sind, doch noch ein Geschoss ?ber diesen R?umlichkeiten, in welchem sich ein oder mehrere Gem?cher befinden. Unter diesen Gem?chern ist auch die sogenannte obere Stube. H?ufig ist sie bloss das einzige Gemach des ersten Geschosses. Die obere Stube ist gewissermassen das Prunkzimmer. In ihr stehen die sch?neren Betten des Hauses, gew?hnlich zwei, in ihr stehen die Schreine mit den sch?nen Kleidern, in ihr h?ngen die Scheiben- und Jagdgewehre des Mannes, wenn er dergleichen hat, so wie die Preise, die er im Schiessen etwa schon gewonnen, in ihr sind die sch?neren Geschirre der Frau, besonders wenn sie Kr?ge aus Zinn oder etwas aus Porzellan hat, und in ihr sind auch die besseren Bilder des Hauses und sonstige Zierden, zum Beispiel ein sch?nes Jesuskindlein aus Wachs, welches in weissem feinem Flaume liegt. In einer solchen oberen Stube des Hauses eines Landmanns wohnte ich. Das Haus war so weit von der Stadt entfernt, dass ich die Eltern nur ein einziges Mal mit Benutzung des Postwagens besuchen konnte, sie aber gar nie zu mir kamen.
Dieser Aufenthalt brachte Ver?nderungen in mir hervor. Weil ich mit den Meinigen nicht zusammen kommen konnte, so lebte die Sehnsucht nach Mitteilung viel st?rker in mir, als wenn ich zu Hause gewesen w?re und sie jeden Augenblick h?tte befriedigen k?nnen. Ich schritt also zu ausf?hrlichen Briefen und Berichten. Ich hatte bisher immer aus B?chern gelernt, deren ich mir bereits eine ziemliche Menge in meine B?cherk?sten von meinem Gelde gekauft hatte; aber ich hatte mich nie ge?bt, etwas selber in gr?sserem Zusammenhange zusammen zu stellen. Jetzt musste ich es tun, ich tat es gerne, und freute mich, nach und nach die Gabe der Darstellung und Erz?hlung in mir wachsen zu f?hlen. Ich schritt zu immer zusammengesetzteren und geordneteren Schilderungen.
Auch eine andere Ver?nderung trat ein.
Ich war schon als Knabe ein grosser Freund der Wirklichkeit der Dinge gewesen, wie sie sich so in der Sch?pfung oder in dem geregelten Gange des menschlichen Lebens darstellte. Dies war oft eine grosse Unannehmlichkeit f?r meine Umgebung gewesen. Ich fragte unaufh?rlich um die Namen der Dinge, um ihr Herkommen und ihren Gebrauch und konnte mich nicht beruhigen, wenn die Antwort eine hinausschiebende war. Auch konnte ich es nicht leiden, wenn man einen Gegenstand zu etwas Anderem machte, als er war. Besonders kr?nkte es mich, wenn er, wie ich meinte, durch seine Ver?nderung schlechter wurde. Es machte mir Kummer, als man einmal einen alten Baum des Gartens f?llte und ihn in lauter Kl?tze zerlegte. Die Kl?tze waren nun kein Baum mehr, und da sie morsch waren, konnte man keinen Schemel, keinen Tisch, kein Kreuz, kein Pferd daraus schnitzen. Als ich einmal das offene Land kennen gelernt und Fichten und Tannen auf den Bergen stehen gesehen hatte, taten mir jederzeit die Bretter leid, aus denen etwas in unserem Hause verfertigt wurde, weil sie einmal solche Fichten und Tannen gewesen waren. Ich fragte den Vater, wenn wir durch die Stadt gingen, wer die grosse Kirche des heiligen Stephan gebaut habe, warum sie nur einen Turm habe, warum dieser so spitzig sei, warum die Kirche so schwarz sei, wem dieses oder jenes Haus geh?re, warum es so gross sei, weshalb sich an einem andern Hause immer zwei Fenster neben einander bef?nden und in einem weiteren Hause zwei steinerne M?nner das Sims des Haustores tragen.
Der Vater beantwortete solche Fragen je nach seinem Wissen. Bei einigen ?usserte er nur Mutmassungen, bei anderen sagte er, er wisse es nicht. Wenn wir auf das Land kamen, wollte ich alle Gew?chse und Steine kennen und fragte um die Namen der Landleute und der Hunde. Der Vater pflegte zu sagen, ich m?sste einmal ein Beschreiber der Dinge werden oder ein K?nstler, welcher aus Stoffen Gegenst?nde fertigt, an denen er so Anteil nimmt, oder wenigstens ein Gelehrter, der die Merkmale und Beschaffenheiten der Sachen erforscht.
Diese Eigenschaft nun f?hrte mich, da ich auf dem Lande wohnte, in eine besondere Richtung. Ich legte die Mathematik weg und widmete mich der Betrachtung meiner Umgebungen. Ich fing an, bei allen Vorkommnissen des Hauses, in dem ich wohnte, zuzusehen. Ich lernte nach und nach alle Werkzeuge und ihre Bestimmungen kennen. Ich ging mit den Arbeitern auf die Felder, auf die Wiesen und in die W?lder und arbeitete gelegentlich selber mit. Ich lernte in kurzer Zeit auf diese Weise die Behandlung und Gewinnung aller Bodenerzeugnisse des Landstriches, auf dem ich wohnte, kennen. Auch ihre erste l?ndliche Verarbeitung zu Kunsterzeugnissen suchte ich in Erfahrung zu bringen. Ich lernte die Bereitung des Weines aus Trauben kennen, des Garnes und der Leinwand aus Flachs, der Butter und des K?ses aus der Milch, des Mehles und Brotes aus dem Getreide. Ich merkte mir die Namen, womit die Landleute ihre Dinge benannten, und lernte bald die Merkmale kennen, aus denen man die G?te oder den geringeren Wert der Bodenerzeugnisse oder ihre n?chsten Umwandlungen beurteilen konnte. Selbst in Gespr?che, wie man dieses oder jenes auf eine vielleicht zweckm?ssigere Weise hervorbringen k?nnte, liess ich mich ein, fand aber da einen hartn?ckigen Widerstand.
Als ich diese Hervorbringung der ersten Erzeugnisse in jenem Striche des Landes, in welchem ich mich aufhielt, kennen gelernt hatte, ging ich zu den Gegenst?nden des Gewerbfleisses ?ber. Nicht weit von meiner Wohnung war ein weites flaches Tal, das von einem Wasser durchstr?mt war, welches sich durch seine gleichbleibende Reichhaltigkeit und dadurch, dass es im Winter nicht leicht zufror, besonders zum Treiben von Werken eignete. In dem Tale waren daher mehrere Fabriken zerstreut. Sie geh?rten meistens zu ansehnlichen Handelsh?usern. Die Eigent?mer lebten in der Stadt und besuchten zuweilen ihre Werke, die von einem Verwalter oder Gesch?ftsleiter versehen wurden.
Ich besuchte nach und nach alle diese Fabriken und unterrichtete mich ?ber die Erzeugnisse, welche da hervorgebracht wurden. Ich suchte den Hergang kennen zu lernen, durch welchen der Stoff in die Fabrik geliefert wurde, durch welchen er in die erste Umwandlung, von dieser in die zweite und so durch alle Stufen gef?hrt wurde, bis er als letztes Erzeugnis der Fabrik hervorging. Ich lernte hier die G?te der einlangenden Rohstoffe kennen und wurde auf die Merkmale aufmerksam gemacht, aus denen auf eine vorz?gliche Beschaffenheit der endlich in der Fabrik fertig gewordenen Erzeugnisse geschlossen werden konnte. Ich lernte auch die Mittel und Wege kennen, durch welche die Umwandlungen, die die Stoffe nach und nach zu erleiden hatten, bewirkt wurden.
Die Maschinen, welche hiezu gr?sstenteils verwendet wurden, waren mir durch meine bereits erworbenen Vorkenntnisse in ihren allgemeinen Einrichtungen schon bekannt. Es war mir daher nicht schwer, ihre besonderen Wirkungen zu den einzelnen Zwecken, die hier erreicht werden sollten, einsehen zu lernen. Ich ging durch die Gef?lligkeit der dabei Angestellten alle Teile durch, bis ich das Ganze so vor mir hatte und zusammen begreifen konnte, als h?tte ich es als Zeichnung auf dem Papier liegen, wie ich ja bisher alle Einrichtungen solcher Art nur aus Zeichnungen kennen zu lernen Gelegenheit hatte.
In sp?terer Zeit begann ich, die Naturgeschichte zu betreiben. Ich fing bei der Pflanzenkunde an. Ich suchte zuerst zu ergr?nden, welche Pflanzen sich in der Gegend bef?nden, in welcher ich mich aufhielt. Zu diesem Zwecke ging ich nach allen Richtungen aus und bestrebte mich, die Standorte und die Lebensweise der verschiedenen Gew?chse kennen zu lernen und alle Gattungen zu sammeln. Welche ich mit mir tragen konnte und welche nur einiger Massen aufzubewahren waren, nahm ich mit in meine Wohnung. Von solchen, die ich nicht von dem Orte bringen konnte, wozu besonders die B?ume geh?rten, machte ich mir Beschreibungen, welche ich zu der Sammlung einlegte. Bei diesen Beschreibungen, die ich immer nach allen sich mir darbietenden Eigenschaften der Pflanzen machte, zeigte sich mir die Erfahrung, dass nach meiner Beschreibung andere Pflanzen in eine Gruppe zusammen geh?rten, als welche von den Pflanzenkundigen als zusammengeh?rig aufgef?hrt wurden. Ich bemerkte, dass von den Pflanzenlehrern die Einteilungen der Pflanzen nur nach einem oder einigen Merkmalen, zum Beispiele nach den Samenbl?ttern oder nach den Bl?tenteilen, gemacht wurden, und dass da Pflanzen in einer Gruppe beisammen stehen, welche in ihrer ganzen Gestalt und in ihren meisten Eigenschaften sehr verschieden sind. Ich behielt die herk?mmlichen Einteilungen bei und hatte aber auch meine Beschreibungen daneben. In diesen Beschreibungen standen die Pflanzen nach sinnf?lligen Linien und, wenn ich mich so ausdr?cken d?rfte, nach ihrer Bauf?hrung beisammen.
Bei den Mineralien, welche ich mir sammelte, geriet ich beinahe in dieselbe Lage. Ich hatte mir schon seit meiner Kinderzeit manche St?cke zu erwerben gesucht. Fast immer waren dieselben aus anderen Sammlungen gekauft oder geschenkt worden. Sie waren schon Sammlungsst?cke, hatten meistens das Papierst?ckchen mit ihrem Namen auf sich aufgeklebt.
Auch waren sie wom?glich immer im Kristallzustande. Das System von Mohs hatte einmal grosses Aufsehen gemacht; ich war durch meine mathematischen Arbeiten darauf gef?hrt worden, hatte es kennen und lieben gelernt. Allein da ich jetzt meine Mineralien in der Gegend meines Aufenthaltes suchte und zusammen trug, fand ich sie weit ?fter in unkristallisirtem Zustande als in kristallisirtem, und sie zeigten da allerlei Eigenschaften f?r die Sinne, die sie dort nicht haben. Das Kristallisiren der Stoffe, welches das System von Mohs voraussetzt, kam mir wieder wie ein Bl?hen vor, und die Stoffe standen nach diesen Bl?ten beisammen. Ich konnte nicht lassen, auch hier neben den Einteilungen, die gebr?uchlich waren, mir ebenfalls meine Beschreibungen zu machen.
Ungef?hr eine Meile von unserer Stadt liegt gegen Sonnenuntergang hin eine Reihe von sch?nen H?geln. Diese H?gel setzen sich in Stufenfolgen und nur hie und da von etwas gr?sseren Ebenen unterbrochen immer weiter nach Sonnenuntergang fort, bis sie endlich in h?her gelegenes, noch h?gligeres Land, das sogenannte Oberland, ?bergehen. In der N?he der Stadt sind die H?gel mehrfach von Landh?usern besetzt und mit G?rten und Anlagen geschm?ckt, in weiterer Entfernung werden sie l?ndlicher. Sie tragen Weinreben oder Felder auf ihren Seiten, auch Wiesen sind zu treffen, und die Gipfel oder auch manche R?ckenstrecken sind mit laubigen, mehr busch- als baumartigen W?ldern besetzt. Die B?che und sonstigen Gew?sser sind nicht gar h?ufig, und oft traf ich im Sommer zwischen den H?geln, wenn mich Durst oder Zufall hinab f?hrte, das ausgetrocknete, mit weissen Steinen gef?llte Bett eines Baches. In diesem H?gellande war mein Aufenthalt, und in demselben r?ckte ich immer weiter gegen Sonnenuntergang vor. Ich streifte weit und breit herum und war oft mehrere Tage von meiner Wohnung abwesend. Ich ging die einsamen Pfade, welche zwischen den Feldern oder Weingel?nden hinliefen und sich von Dorf zu Dorf, von Ort zu Ort zogen und manche Meilen, ja Tagereisen in sich begriffen. Ich ging auf den abgelegenen Waldpfaden, die in Stammholz oder Geb?schen verborgen waren und nicht selten im Laubwerk, Gras oder Gestrippe spurlos endeten. Ich durchwanderte oft auch ohne Pfad Wiesen, Wald und sonstige Landfl?chen, um die Gegenst?nde zu finden, welche ich suchte. Dass wenige von unseren Stadtbewohnern auf solche Wege kommen, ist begreiflich, da sie nur kurze Zeit zu dem Genusse des Landlebens sich g?nnen k?nnen und in derselben auf den breiten herk?mmlichen Strassen des Landvergn?gens bleiben und von anderen Pfaden nichts wissen. An der Mittagseite war das ganze H?gelland viele Meilen lang von Hochgebirge ges?umt. Auf einer Stelle der Basteien unserer Stadt kann man zwischen H?usern und B?umen ein Fleckchen Blau von diesem Gebirge sehen. Ich ging oft auf jene Bastei, sah oft dieses kleine blaue Fleckchen und dachte nichts weiter als: das ist das Gebirge. Selbst da ich von dem Hause meines ersten Sommeraufenthaltes einen Teil des Hochgebirges erblickte, achtete ich nicht weiter darauf. Jetzt sah ich zuweilen mit Vergn?gen von einer Anh?he oder von dem Gipfel eines H?gels ganze Strecken der blauen Kette, welche in immer undeutlicheren Gliedern ferner und ferner dahin lief. Oft, wenn ich durch wildes Gestrippe pl?tzlich auf einen freien Abriss kam und mir die Abendr?te entgegen schlug, weithin das Land in Duft und roten Rauch legend, so setzte ich mich nieder, liess das Feuerwerk vor mir verglimmen, und es kamen allerlei Gef?hle in mein Herz.
Wenn ich wieder in das Haus der Meinigen zur?ckkehrte, wurde ich recht freudig empfangen, und die Mutter gew?hnte sich an meine Abwesenheiten, da ich stets gereifter von ihnen zur?ck kam. Sie und die Schwester halfen mir nicht selten, die Sachen, die ich mitbrachte, aus ihren Beh?ltnissen auspacken, damit ich sie in den R?umen, die hiezu bestimmt waren, ordnen konnte.
So war endlich die Zeit gekommen, in welcher es der Vater f?r geraten fand, mir die ganze Rente der Erbschaft des Grossoheims zu freier Verf?gung zu ?bertragen. Er sagte, ich k?nne mit diesem Einkommen verfahren, wie es mir beliebe, nur m?sste ich damit ausreichen. Er werde mir auf keine Weise aus dem Seinigen etwas beitragen, noch mir je Vorsch?sse machen, da meine Jahreseinnahme so reichlich sei, dass sie meine jetzigen Bed?rfnisse, selbst wenn sie noch um Vieles gr?sser w?rden, nicht nur hinl?nglich decke, sondern dass sie selbst auch manche Vergn?gungen bestreiten k?nne, und dass doch noch etwas ?brig bleiben d?rfte. Es liege somit in meiner Hand, f?r die Zukunft, die etwa gr?ssere Ausgaben bringen k?nnte, mir auch eine gr?ssere Einnahme zu sichern. Meine Wohnung und meinen Tisch d?rfe ich nicht mehr, wenn ich nicht wolle, in dem Hause der Eltern nehmen, sondern wo ich immer wollte. Das Stammverm?gen selber werde er an dem Orte, an welchem es sich bisher befand, liegen lassen. Er f?gte bei, er werde mir dasselbe, sobald ich das vierundzwanzigste Jahr erreicht habe, einh?ndigen. Dann k?nne ich es nach meinem eigenen Ermessen verwalten. >>Ich rate dir aber<<, fuhr er fort, >>dann nicht nach einer gr?sseren Rente zu geizen, weil eine solche meistens nur mit einer gr?sseren Unsicherheit des Stammverm?gens zu erzielen ist. Sei immer deines Grundverm?gens sicher und mache die dadurch entstehende kleinere Rente durch M?ssigkeit gr?sser. Solltest du den Rat deines Vaters einholen wollen, so wird dir derselbe nie entzogen werden. Wenn ich sterbe oder freiwillig aus den Gesch?ften zur?ck trete, so werdet ihr beide auch noch von mir eine Vermehrung eures Eigentums erhalten. Wie gross dieselbe sein wird, kann ich noch nicht sagen, ich bem?he mich, durch Vorsicht und durch gut gegr?ndete Gesch?ftsf?hrung sie so gross als m?glich und auch so sicher als m?glich zu machen; aber alle stehen wir in der Hand des Herrn, und er kann durch Ereignisse, welche kein Menschenauge vorher sehen kann, meine Verm?gensumst?nde bedeutend ver?ndern. Darum sei weise und gebare mit dem Deinigen, wie du bisher zu meiner und zur Befriedigung deiner Mutter getan hast.<< Ich war ger?hrt ?ber die Handlungsweise meines Vaters und dankte ihm von ganzem Herzen. Ich sagte, dass ich mich stets bestreben werde, seinem Vertrauen zu entsprechen, dass ich ihn inst?ndig um seinen Rat bitte, und dass ich in Verm?gensangelegenheiten wie in anderen nie gegen ihn handeln, und dass ich auch nicht den kleinsten Schritt tun wolle, ohne nach diesem Rat zu verlangen. Eine Wohnung ausser dem Hause zu beziehen, solange ich in unserer Stadt lebe, w?re mir sehr schmerzlich, und ich bitte, in dem Hause meiner Eltern und an ihrem Tische bleiben zu d?rfen, solange Gott nicht selber durch irgend eine Schickung eine ?nderung herbei f?hre.
Der Vater und die Mutter waren ?ber diese Worte erfreut. Die Mutter sagte, dass sie mir zu meiner bisherigen Wohnung, die mir doch als einem nunmehr selbst?ndigen Manne besonders bei meinen jetzigen Verh?ltnissen zu klein werden d?rfte, noch einige R?umlichkeiten zugeben wolle, ohne dass darum der Preis unverh?ltnism?ssig wachse. Ich war nat?rlicher Weise mit Allem einverstanden. Ich musste gleich mit der Mutter gehen und die mir zugedachte Vergr?sserung der Wohnung besehen. Ich dankte ihr f?r ihre Sorgfalt. Schon in den n?chsten Tagen richtete ich mich in der neuen Wohnung ein.
Den Winter benutzte ich zum Teile mit Vorbereitungen, um im n?chsten Sommer wieder grosse Wanderungen machen zu k?nnen. Ich hatte mir vorgenommen, nun endlich einmal das Hochgebirge zu besuchen, und in ihm so weit herum zu gehen, als es mir zusagen w?rde.
Als der Sommer gekommen war, fuhr ich von der Stadt auf dem k?rzesten Wege in das Gebirge. Von dem Orte meiner Ankunft aus wollte ich dann in ihm l?ngs seiner Richtung von Sonnenaufgang nach Sonnenuntergang zu Fusse fort wandern. Ich begab mich sofort auf meinen Weg. Ich ging den T?lern entlang, selbst wenn sie von meiner Richtung abwichen und allerlei Windungen verfolgten. Ich suchte nach solchen Abschweifungen immer meinen Hauptweg wieder zu gewinnen. Ich stieg auch auf Bergjoche und ging auf der entgegengesetzten Seite wieder in das Tal hinab.
Ich erklomm manchen Gipfel und suchte von ihm die Gegend zu sehen und auch schon die Richtung zu ersp?hen, in welcher ich in n?chster Zeit vordringen w?rde. Im Ganzen hielt ich mich stets, soweit es anging, nach dem Hauptzuge des Gebirges und wich von der Wasserscheide so wenig als m?glich ab.
In einem Tale an einem sehr klaren Wasser sah ich einmal einen toten Hirsch. Er war gejagt worden, eine Kugel hatte seine Seite getroffen, und er mochte das frische Wasser gesucht haben, um seinen Schmerz zu k?hlen. Er war aber an dem Wasser gestorben. Jetzt lag er an demselben so, dass sein Haupt in den Sand gebettet war und seine Vorderf?sse in die reine Flut ragten. Ringsum war kein lebendiges Wesen zu sehen. Das Tier gefiel mir so, dass ich seine Sch?nheit bewunderte und mit ihm grosses Mitleid empfand. Sein Auge war noch kaum gebrochen, es gl?nzte noch in einem schmerzlichen Glanze, und dasselbe, so wie das Antlitz, das mir fast sprechend erschien, war gleichsam ein Vorwurf gegen seine M?rder. Ich griff den Hirsch an, er war noch nicht kalt. Als ich eine Weile bei dem toten Tiere gestanden war, h?rte ich Laute in den W?ldern des Gebirges, die wie Jauchzen und wie Heulen von Hunden klangen. Diese Laute kamen n?her, waren deutlich zu erkennen, und bald sprang ein Paar sch?ner Hunde ?ber den Bach, denen noch einige folgten. Sie n?herten sich mir. Als sie aber den fremden Mann bei dem Wilde sahen, blieben einige in der Entfernung stehen und bellten heftig gegen mich, w?hrend andere heulend weite Kreise um mich zogen, in ihnen dahin flogen und in Eilfertigkeit sich an Steinen ?berschlugen und ?berst?rzten. Nach geraumer Zeit kamen auch M?nner mit Schiessgewehren. Als sich diese dem Hirsche gen?hert hatten und neben mir standen, kamen auch die Hunde herzu, hatten vor mir keine Scheu mehr, beschnupperten mich und bewegten sich und zitterten um das Wild herum. Ich entfernte mich, nachdem die J?ger auf dem Schauplatze erschienen waren, sehr bald von ihm.
Bisher hatte ich keine Tiere zu meinen Bestrebungen in der Naturgeschichte aufgesucht, obwohl ich die Beschreibungen derselben eifrig gelesen und gelernt hatte. Diese Vernachl?ssigung der leiblichen wirklichen Gestalt war bei mir so weit gegangen, dass ich, selbst da ich einen Teil des Sommers schon auf dem Lande zubrachte, noch immer die Merkmale von Ziegen, Schafen, K?hen aus meinen Abbildungen nicht nach den Gestalten suchte, die vor mir wandelten.
Ich schlug jetzt einen andern Weg ein. Der Hirsch, den ich gesehen hatte, schwebte mir immer vor den Augen. Er war ein edler gefallner Held und war ein reines Wesen. Auch die Hunde, seine Feinde, erschienen mir berechtigt wie in ihrem Berufe. Die schlanken springenden und gleichsam geschnellten Gestalten blieben mir ebenfalls vor den Augen. Nur die Menschen, welche das Tier geschossen hatten, waren mir widerw?rtig, da sie daraus gleichsam ein Fest gemacht hatten. Ich fing von der Stunde an, Tiere so aufzusuchen und zu betrachten, wie ich bisher Steine und Pflanzen aufgesucht und betrachtet hatte. Sowohl jetzt, da ich noch in dem Gebirge war, als auch sp?ter zu Hause und bei meinen weiteren Wanderungen betrachtete ich Tiere und suchte ihre wesentlichen Merkmale sowohl an ihrem Leibe als auch an ihrer Lebensart und Bestimmung zu ergr?nden. Ich schrieb das, was ich gesehen hatte, auf und verglich es mit den Beschreibungen und Einteilungen, die ich in meinen B?chern fand. Da geschah es wieder, dass ich mit diesen B?chern in Zwiespalt geriet, weil es meinen Augen widerstrebte, Tiere nach Zehen oder anderen Dingen in einer Abteilung beisammen zu sehen, die in ihrem Baue nach meiner Meinung ganz verschieden waren. Ich stellte daher nicht wissenschaftlich, aber zu meinem Gebrauche eine andere Einteilung zusammen.
Einen besonderen Zweck, den ich bei dem Besuche des Gebirges befolgen wollte, hatte ich dieses erste Mal nicht, ausser was sich zuf?llig fand. Ich war nur im Allgemeinen in das Gebirge gegangen, um es zu sehen. Als daher dieser erste Drang etwas ges?ttigt war, begab ich mich auf dem n?chsten Wege in das flache Land hinaus und fuhr auf diesem wieder nach Hause.
Allein der kommende Sommer lockte mich abermals in das Gebirge. Hatte ich das erste Mal nur im Allgemeinen geschaut, und waren die Eindr?cke wirkend auf mich heran gekommen, so ging ich jetzt schon mehr in das Einzelne, ich war meiner schon mehr Herr und richtete die Betrachtung auf besondere Dinge. Viele von ihnen dr?ngten sich an meine Seele. Ich sass auf einem Steine und sah die breiten Schattenfl?chen und die scharfen, oft gleichsam mit einem Messer in sie geschnittenen Lichter. Ich dachte nach, weshalb die Schatten hier so blau seien und die Lichter so kr?ftig und das Gr?n so feurig und die W?sser so blitzend. Mir fielen die Bilder meines Vaters ein, auf denen Berge gemalt waren, und mir wurde es, als h?tte ich sie mitnehmen sollen, um vergleichen zu k?nnen. Ich blieb in kleinen Ortschaften zuweilen l?nger und betrachtete die Menschen, ihr t?gliches Gewerbe, ihr F?hlen, ihr Reden, Denken und Singen. Ich lernte die Zither kennen, betrachtete sie, untersuchte sie und h?rte auf ihr spielen und zu ihr singen. Sie erschien mir als ein Gegenstand, der nur allein in die Berge geh?rt und mit den Bergen Eins ist. Die Wolken, ihre Bildung, ihr Anh?ngen an die Bergw?nde, ihr Suchen der Bergspitzen so wie die Verh?ltnisse des Nebels und seine Neigung zu den Bergen waren mir wunderbare Erscheinungen.
Ich bestieg in diesem Sommer auch einige hohe Stellen, ich liess mich von den F?hrern nicht bloss auf das Eis der Gletscher geleiten, welches mich sehr anregte und zur Betrachtung aufforderte, sondern bestieg auch mit ihrer Hilfe die h?chsten Zinnen der Berge. Ich sah die ?berreste einer alten, untergegangenen Welt in den Marmoren, die in dem Gebirge vorkommen und die man in manchen T?lern zu schleifen versteht. Ich suchte besondere Arten aufzufinden und sendete sie nach Hause. Den sch?nen Enzian hatte ich im fr?heren Sommer schon der Schwester in meinen Pflanzenb?chern gebracht, jetzt brachte ich ihr auch Alpenrosen und Edelweiss. Von der Zirbelkiefer und dem Knieholze nahm ich die zierlichen Fr?chte. So verging die Zeit, und so kam ich bereichert nach Hause.
Ich ging von nun an jeden Sommer in das Gebirge.
Wenn ich von den Zimmern meiner Wohnung in dem Hause meiner Eltern nach einem dort verbrachten Winter gegen den Himmel blickte und nicht mehr so oft an demselben die grauen Wolken und den Nebel sah, sondern ?fter schon die blauen und heiteren L?fte, wenn diese durch ihre Farbe schon gleichsam ihre gr?ssere Weichheit ank?ndigten, wenn auf den Mauern und Schornsteinen und Ziegeld?chern, die ich nach vielen Richtungen ?bersehen konnte, schon immer kr?ftigere Tafeln von Sonnenschein lagen, kein Schnee sich mehr blicken liess und an den B?umen unseres Gartens die Knospen schwollen: so mahnte es mich bereits in das Freie. Um diesem Drange nur vorl?ufig zu gen?gen, ging ich gerne aus der Stadt und erquickte mich an der offenen Weite der Wiesen, der Felder, der Weinberge. Wenn aber die B?ume bl?hten und das erste Laub sich entwickelte, ging ich schon dem Blau der Berge zu, wenngleich ihre W?nde noch von mannigfaltigem Schnee ergl?nzten. Ich erw?hlte mir nach und nach verschiedene Gegenden, an denen ich mich aufhielt, um sie genau kennen zu lernen und zu geniessen.
Mein Vater hatte gegen diese Reisen nichts, auch war er mit der Art, wie ich mit meinem Einkommen gebarte, sehr zufrieden. Es blieb nehmlich in jedem Jahre ein Erkleckliches ?ber, was zu dem Grundverm?gen getan werden konnte. Ich sp?rte desohngeachtet in meiner Lebensweise keinen Abgang. Ich strebte nach Dingen, die meine Freude waren und wenig kosteten, weit weniger als die Vergn?gungen, denen meine Bekannten sich hingaben. Ich hatte in Kleidern, Speise und Trank die gr?sste Einfachheit, weil es meiner Natur so zusagte, weil wir zur M?ssigkeit erzogen waren und weil diese Gegenst?nde, wenn ich ihnen grosse Aufmerksamkeit h?tte schenken sollen, mich von meinen Lieblingsbestrebungen abgelenkt h?tten. So ging alles gut, Vater und Mutter freuten sich ?ber meine Ordnung, und ich freute mich ?ber ihre Freude.
Da verfiel ich eines Tages auf das Zeichnen. Ich k?nnte mir ja meine Naturgegenst?nde, dachte ich, eben so gut zeichnen als beschreiben, und die Zeichnung sei am Ende noch sogar besser als die Beschreibung. Ich erstaunte, weshalb ich denn nicht sogleich auf den Gedanken geraten sei. Ich hatte wohl fr?her immer gezeichnet, aber mit mathematischen Linien, welche nach Rechnungsgesetzen entstanden, Fl?chen und K?rper in der Messkunst darstellten und mit Zirkel und Richtscheit gemacht worden waren. Ich wusste wohl recht gut, dass man mit Linien alle m?glichen K?rper darstellen k?nne, und hatte es an den Bildern meines Vaters vollf?hrt gesehen: aber ich hatte nicht weiter dar?ber gedacht, da ich in einer andern Richtung besch?ftigt war. Es musste diese Vernachl?ssigung von einer Eigenschaft in mir herr?hren, die ich in einem hohen Grade besass und die man mir zum Vorwurfe machte. Wenn ich nehmlich mit einem Gegenstande eifrig besch?ftigt war, so vergass ich dar?ber manchen andern, der vielleicht gr?ssere Bedeutung hatte. Sie sagten, das sei einseitig, ja es sei sogar Mangel an Gef?hl.
Ich fing mein Zeichnen mit Pflanzen an, mit Bl?ttern, mit Stielen, mit Zweigen. Es war Anfangs die ?hnlichkeit nicht sehr gross, und die Vollkommenheit der Zeichnung liess viel zu w?nschen ?brig, wie ich sp?ter erkannte. Aber es wurde immer besser, da ich eifrig war und vom Versuchen nicht abliess. Die fr?her in meine Pflanzenb?cher eingelegten Pflanzen, wie sorgsam sie auch vorbereitet waren, verloren nach und nach nicht bloss die Farbe, sondern auch die Gestalt, und erinnerten nicht mehr entfernt an ihre urspr?ngliche Beschaffenheit.
Die gezeichneten Pflanzen dagegen bewahrten wenigstens die Gestalt, nicht zu gedenken, dass es Pflanzen gibt, die wegen ihrer Beschaffenheit, und selbst solche, die wegen ihrer Gr?sse in ein Pflanzenbuch nicht gelegt werden k?nnen, wie zum Beispiele Pilze oder B?ume. Diese konnten in einer Zeichnung sehr wohl aufbewahrt werden. Die blossen Zeichnungen aber gen?gten mir nach und nach auch nicht mehr, weil die Farbe fehlte, die bei den Pflanzen, besonders bei den Bl?ten, eine Hauptsache ist. Ich begann daher, meine Abbildungen mit Farben zu versehen und nicht eher zu ruhen, als bis die ?hnlichkeit mit den Urbildern erschien und immer gr?sser zu werden versprach.
Nach den Pflanzen nahm ich auch andere Gegenst?nde vor, deren Farbe etwas Auffallendes und Fassliches hatte. Ich geriet auf die Falter und suchte mehrere nachzubilden. Die Farben von minder hervorragenden Gegenst?nden, die zwar unscheinbar, aber doch bedeutsam sind, wie die der Gesteine im unkristallischen Zustande, kamen sp?ter an die Reihe, und ich lernte ihre Reize nach und nach w?rdigen.
Da ich nun einmal zeichnete und die Dinge deshalb doch viel genauer betrachten musste, und da das Zeichnen und meine jetzige Bestrebungen mich doch nicht ganz ausf?llten, kam ich auch noch auf eine andere, viel weiter gehende Richtung.
Ich habe schon gesagt, dass ich gerne auf hohe Berge stieg und von ihnen aus die Gegenden betrachtete. Da stellten sich nun dem ge?bteren Auge die bildsamen Gestalten der Erde in viel eindringlicheren Merkmalen dar und fassten sich ?bersichtlicher in grossen Teilen zusammen. Da ?ffnete sich dem Gem?te und der Seele der Reiz des Entstehens dieser Gebilde, ihrer Falten und ihrer Erhebungen, ihres Dahinstreichens und Abweichens von einer Richtung, ihres Zusammenstrebens gegen einen Hauptpunkt und ihrer Zerstreuungen in die Fl?che. Es kam ein altes Bild, das ich einmal in einem Buche gelesen und wieder vergessen hatte, in meine Erinnerung. Wenn das Wasser in unendlich kleinen Tr?pfchen, die kaum durch ein Vergr?sserungsglas ersichtlich sind, aus dem Dunste der Luft sich auf die Tafeln unserer Fenster absetzt, und die K?lte dazu k?mmt, die n?tig ist, so entsteht die Decke von F?den, Sternen, Wedeln, Palmen und Blumen, die wir gefrorene Fenster heissen. Alle diese Dinge stellen sich zu einem Ganzen zusammen, und die Strahlen, die T?ler, die R?cken, die Knoten des Eises sind durch ein Vergr?sserungsglas angesehen bewunderungsw?rdig. Eben so stellt sich von sehr hohen Bergen aus gesehen die niedriger liegende Gestaltung der Erde dar. Sie muss aus einem erstarrenden Stoffe entstanden sein und streckt ihre F?cher und Palmen in grossartigem Massstabe aus. Der Berg selber, auf dem ich stehe, ist der weisse, helle und sehr gl?nzende Punkt, den wir in der Mitte der zarten Gewebe unserer gefrorenen Fenster sehen. Die Palmenr?nder der gefrorenen Fenstertafeln werden durch Abbr?cklung wegen des Luftzuges oder durch Schmelzung wegen der W?rme l?ckenhaft und unterbrochen. An den Gebirgsz?gen geschehen Zerst?rungen durch Verwitterung in Folge des Einflusses des Wassers, der Luft, der W?rme und der K?lte. Nur braucht die Zerst?rung der Eisnadeln an den Fenstern k?rzere Zeit als der Nadeln der Gebirge. Die Betrachtung der unter mir liegenden Erde, der ich oft mehrere Stunden widmete, erhob mein Herz zu h?herer Bewegung, und es erschien mir als ein w?rdiges Bestreben, ja als ein Bestreben, zu dem alle meine bisherigen Bem?hungen nur Vorarbeiten gewesen waren, dem Entstehen dieser Erdoberfl?che nachzusp?ren und durch Sammlung vieler kleiner Tatsachen an den verschiedensten Stellen sich in das grosse und erhabene Ganze auszubreiten, das sich unsern Blicken darstellt, wenn wir von Hochpunkt zu Hochpunkt auf unserer Erde reisen und sie endlich alle erf?llt haben und keine Bildung dem Auge mehr zu untersuchen bleibt als die Weite und die W?lbung des Meeres.
Ich begann, durch diese Gef?hle und Betrachtungen angeregt, gleichsam als Schlussstein oder Zusammenfassung aller meiner bisherigen Arbeiten die Wissenschaft der Bildung der Erdoberfl?che und dadurch vielleicht der Bildung der Erde selber zu betreiben. Nebstdem, dass ich gelegentlich von hohen Stellen aus die Gestaltung der Erdoberfl?che genau zeichnete, gleichsam als w?re sie durch einen Spiegel gesehen worden, schaffte ich mir die vorz?glichsten Werke an, welche ?ber diese Wissenschaft handeln, machte mich mit den Vorrichtungen, die man braucht, bekannt, so wie mit der Art ihrer Ben?tzung.
Ich betrieb nun diesen Gegenstand mit fortgesetztem Eifer und mit einer strengen Ordnung.
Dabei lernte ich auch nach und nach den Himmel kennen, die Gestaltung seiner Erscheinungen und die Verh?ltnisse seines Wetters.
Meine Besuche der Berge hatten nun fast ausschliesslich diesen Zweck zu ihrem Inhalte.
Die Einkehr
Eines Tages ging ich von dem Hochgebirge gegen das H?gelland hinaus. Ich wollte nehmlich von einem Gebirgszuge in einen andern ?bersiedeln und meinen Weg dahin durch einen Teil des offenen Landes nehmen. Jedermann kennt die Vorberge, mit welchen das Hochgebirge gleichsam wie mit einem ?bergange gegen das flachere Land ausl?uft. Mit Laub- oder Nadelwald bedeckt ziehen sie in angenehmer F?rbung dahin, lassen hie und da das blaue Haupt eines Hochberges ?ber sich sehen, sind hie und da von einer leuchtenden Wiese unterbrochen, f?hren alle W?sser, die das Gebirge liefert und die gegen das Land hinaus gehen, zwischen sich, zeigen manches Geb?ude und manches Kirchlein und strecken sich nach allen Richtungen, in denen das Gebirge sich abniedert, gegen die bebauteren und bewohnteren Teile hinaus.
Als ich von dem Hange dieser Berge herab ging und eine freiere Umsicht gewann, erblickte ich gegen Untergang hin die sanften Wolken eines Gewitters, das sich sachte zu bilden begann und den Himmel umschleierte. Ich schritt r?stig fort und beobachtete das Zunehmen und Wachsen der Bew?lkung. Als ich ziemlich weit hinaus gekommen war und mich in einem Teile des Landes befand, wo sanfte H?gel mit m?ssigen Fl?chen wechseln, Meierh?fe zerstreut sind, der Obstbau gleichsam in W?ldern sich durch das Land zieht, zwischen dem dunkeln Laube die Kircht?rme schimmern, in den Talfurchen die B?che rauschen und ?berall wegen der gr?sseren Weitung, die das Land gibt, das blaue, gezackte Band der Hochgebirge zu erblicken ist, musste ich auf eine Einkehr denken; denn das Dorf, in welchem ich Rast halten wollte, war kaum mehr zu erreichen. Das Gewitter war so weit gediehen, dass es in einer Stunde und bei beg?nstigenden Umst?nden wohl noch fr?her ausbrechen konnte.
Vor mir hatte ich das Dorf Rohrberg, dessen Kirchturm von der Sonne scharf beschienen ?ber Kirschen- und Weidenb?umen hervor sah. Es lag nur ganz wenig abseits von der Strasse. N?her waren zwei Meierh?fe, deren jeder in einer m?ssigen Entfernung von der Strasse in Wiesen und Feldern prangte. Auch war ein Haus auf einem H?gel, das weder ein Bauerhaus noch irgend ein Wirtschaftsgeb?ude eines B?rgers zu sein schien, sondern eher dem Landhause eines St?dters glich. Ich hatte schon fr?her wiederholt, wenn ich durch die Gegend kam, das Haus betrachtet, aber ich hatte mich nie n?her um dasselbe bek?mmert. Jetzt fiel es mir um so mehr auf, weil es der n?chste Unterkunftsplatz von meinem Standorte aus war und weil es mehr Bequemlichkeit als die Meierh?fe zu geben versprach. Dazu gesellte sich ein eigent?mlicher Reiz. Es war, da schon ein grosser Teil des Landes, mit Ausnahme des Rohrberger Kirchturmes, im Schatten lag, noch hell beleuchtet und sah mit einladendem schimmerndem Weiss in das Grau und Blau der Landschaft hinaus.
Ich beschloss also, in diesem Hause eine Unterkunft zu suchen.
Ich forschte dem zu Folge nach einem Wege, der von der Strasse auf den H?gel des Hauses hinauff?hren sollte. Nach meiner Kenntnis des Landesgebrauches war es mir nicht schwer, den mit einem Zaune und mit Geb?sch bes?umten Weg, der von der Landstrasse ab hinauf ging, zu finden. Ich schritt auf demselben empor und kam, wie ich richtig vermutet hatte, vor das Haus. Es war noch immer von der Sonne hell beschienen. Allein da ich n?her vor dasselbe trat, hatte ich einen bewunderungsw?rdigen Anblick. Das Haus war ?ber und ?ber mit Rosen bedeckt, und wie es in jenem fruchtbaren h?gligen Lande ist, dass, wenn einmal etwas bl?ht, gleich alles mit einander bl?ht, so war es auch hier: die Rosen schienen sich das Wort gegeben zu haben, alle zur selben Zeit aufzubrechen, um das Haus in einen ?berwurf der reizendsten Farbe und in eine Wolke der s?ssesten Ger?che zu h?llen.
Wenn ich sage, das Haus sei ?ber und ?ber mit Rosen bedeckt gewesen, so ist das nicht so wortgetreu zu nehmen. Das Haus hatte zwei ziemlich hohe Geschosse.
Die Wand des Erdgeschosses war bis zu den Fenstern des oberen Geschosses mit den Rosen bedeckt. Der ?brige Teil bis zu dem Dache war frei, und er war das leuchtende weisse Band, welches in die Landschaft hinaus geschaut und mich gewissermassen herauf gelockt hatte. Die Rosen waren an einem Gitterwerke, das sich vor der Wand des Hauses befand, befestigt. Sie bestanden aus lauter B?umchen. Es waren winzige darunter, deren Bl?tter gleich ?ber der Erde begannen, dann h?here, deren St?mmchen ?ber die ersten empor ragten, und so fort, bis die letzten mit ihren Zweigen in die Fenster des oberen Geschosses hinein sahen. Die Pflanzen waren so verteilt und gehegt, dass nirgends eine L?cke entstand und dass die Wand des Hauses, soweit sie reichten, vollkommen von ihnen bedeckt war.
Ich hatte eine Vorrichtung dieser Art in einem so grossen Massstabe noch nie gesehen.
Es waren zudem fast alle Rosengattungen da, die ich kannte, und einige, die ich noch nicht kannte. Die Farben gingen von dem reinen Weiss der weissen Rosen durch das gelbliche und r?tliche Weiss der ?bergangsrosen in das zarte Rot und in den Purpur und in das bl?uliche und schw?rzliche Rot der roten Rosen ?ber. Die Gestalten und der Bau wechselten in eben demselben Masse. Die Pflanzen waren nicht etwa nach Farben eingeteilt, sondern die R?cksicht der Anpflanzung schien nur die zu sein, dass in der Rosenwand keine Unterbrechung statt finden m?ge. Die Farben bl?hten daher in einem Gemische durch einander.
Auch das Gr?n der Bl?tter fiel mir auf. Es war sehr rein gehalten, und kein bei Rosen ?fter als bei andern Pflanzen vorkommender ?belstand der gr?nen Bl?tter und keine der h?ufigen Krankheiten kam mir zu Gesichte. Kein verdorrtes oder durch Raupen zerfressenes oder durch ihr Spinnen verkr?mmtes Blatt war zu erblicken. Selbst das bei Rosen so gerne sich einnistende Ungeziefer fehlte. Ganz entwickelt und in ihren verschiedenen Abstufungen des Gr?ns prangend standen die Bl?tter hervor. Sie gaben mit den Farben der Blumen gemischt einen wunderlichen ?berzug des Hauses. Die Sonne, die noch immer gleichsam einzig auf dieses Haus schien, gab den Rosen und den gr?nen Bl?ttern derselben gleichsam goldene und feurige Farben.
Nachdem ich eine Weile mein Vorhaben vergessend vor diesen Blumen gestanden war, ermahnte ich mich und dachte an das Weitere. Ich sah mich nach einem Eingange des Hauses um. Allein ich erblickte keinen. Die ganze ziemlich lange Wand desselben hatte keine T?r und kein Tor. Auch durch keinen Weg war der Eingang zu dem Hause bemerkbar gemacht; denn der ganze Platz vor demselben war ein reiner, durch den Rechen wohlgeordneter Sandplatz. Derselbe schnitt sich durch ein Rasenband und eine Hecke von den angrenzenden, hinter meinem R?cken liegenden Feldern ab. Zu beiden Seiten des Hauses in der Richtung seiner L?nge setzten sich G?rten fort, die durch ein hohes, eisernes, gr?n angestrichenes Gitter von dem Sandplatze getrennt waren. In diesen Gittern musste also der Eingang sein.
Und so war es auch.
Add to tbrJar First Page Next Page Prev Page