Read Ebook: Auf dem Staatshof by Storm Theodor
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Ebook has 125 lines and 13451 words, and 3 pages
Ich habe nicht von mir zu reden.
Etwa zwei Jahre sp?ter um Ostern kehrte ich als junger Doctor promotus in die Heimat zur?ck. Schon vorher hatte man mir geschrieben, dass das fortdauernder Sinken der Landpreise den Verkauf des Staatshofes n?tig machen werde, und dass Anne Lene aus einem immerhin noch reichen Erbin wahrscheinlich ein armes M?dchen geworden sei. Nun erfuhr ich noch dazu, dass auch ihre Verlobung sich aufzul?sen scheine. Die Briefe des Br?utigams waren allm?hlich seltener geworden und seit einiger Zeit ganz ausgeblieben. Anne Lene hatte das ohne Klage ertragen; aber ihre Gesundheit hatte gelitten, und sie befand sich gegenw?rtig schon seit einigen Wochen zu ihrer Erholung draussen auf dem Staatshof, wo man eins der kleineren Zimmer in dem oberen Stockwerk f?r sie instand gesetzt hatte.
Obwohl ich seit ihrem Brautstande nicht an sie geschrieben, so konnte ich doch nicht unterlassen, noch am Tage meiner Ankunft zu ihr hinauszugehen. --Es war schon sp?tnachmittags, als ich den Staatshof erreichte. Die alte Wieb fand ich draussen auf dem Wege an einem Heck stehend, von wo ein Fusssteig ?ber die Fennen nach dem Deiche zu f?hrte. Sie hatte mich nicht kommen sehen, da sie den R?cken gegen den Weg kehrte, und als ich unvermerkt ihre harte Hand erfasste, vermochte sie mich erst nicht zu erkennen. Bald aber trat ein Ausdruck der Freude in das alte Gesicht, und sie sagte: "Gott sei Dank, dass du da bist, Marx! So eine treue Seele tut uns gerade not!"
"Wo ist Anne Lene?" fragte ich. Die Alte zeigte mit der Hand ins Land hinaus und sagte bek?mmert: "Da geht sie wieder in der Abendluft!"
Etwa auf dem halben Wege nach dem Haffdeiche, der hier n?rdlich von dem Hofe die Landschaft gegen das Meer hin abschliesst, sah ich eine weibliche Gestalt ?ber die Fennen gehen. "Setz nur den Kessel ans Feuer, Wieb", sagte ich, "ich will sie holen, wir kommen bald zur?ck."--Nach einer Weile hatte ich Anne Lene erreicht. Als ich ihren Namen rief, stand sie still und wandte den Kopf nach mir zur?ck. Ich f?hlte pl?tzlich, wieviel von ihrem Bilde in meiner Erinnerung erloschen sei. So lieblich hatte ich sie mir nicht gedacht; und doch war sie dieselbe noch; nur ihre Augen schienen dunkler geworden, und die Linien des zarten Profils waren ein wenig sch?rfer gezogen als vor Jahren. Ich fasste ihre beiden H?nde. "Liebe Anne Lene", sagte ich, "ich bin eben angekommen; ich wollte dich noch heute sehen!"
"Ich danke dir, Marx", erwiderte sie, "ich wusste, dass du dieser Tage kommen w?rdest."--Aber ihre Gedanken schienen nicht bei diesem Willkommen zu sein; denn sie wandte die Augen sogleich wieder von mir ab und begann auf dem Fusssteige weiterzugehen. "Begleite mich noch ein wenig", fuhr sie fort, "wir gehen dann zusammen nach dem Hof zur?ck."
"Aber es wird kalt, Anne Lene!"
"Oh, es ist nicht so kalt", sagte sie, indem sie das grosse Schaltuch fester um die Schultern zog.--So gingen wir denn weiter. Ich suchte allerlei Gespr?ch, aber keines wollte gelingen. Es wurde schon abendlich; ein feuchter Nordwest wehte vom Meere ?ber die Landschaft, und vor uns auf dem Haffdeich sah man gegen den braunen Abendhimmel einzelne Fuhrwerke wie Schattenspiel vorbeipassieren. Nach einer Weile bemerkte ich einen Mann an der Seite des Deiches herabsteigen und uns auf dem Fusswege entgegengehen. Es war der Postbote, der zweimal in der Woche f?r die Hofbesitzer die Briefe aus der Stadt holte. Ich f?hlte, wie Anne Lene ihren Schritt beeilte, da er in unsre N?he kam. "Hast du etwas f?r mich, Carsten?" fragte sie und suchte dabei in ihrer Stimme vergebens eine innere Unruhe zu verbergen.
Der Bote bl?tterte in seiner Ledertasche zwischen den Briefen umher. "F?r dieses Mal nicht, liebe Mamsell!" sagte er endlich mit einer verlegenen Freundlichkeit, indem er die aufgehobene Klappe wieder ?ber seine Tasche fallen liess. Er mochte ihr diese Antwort schon oft gegeben haben. Anne Lene schwieg einen Augenblick. "Es ist gut, Carsten", sagte sie dann, "du kannst erst mit uns gehen und Abendbrot essen."--Sie schien das Ziel ihrer Wanderung erreicht zu haben; denn sie kehrte bei diesen Worten um, und wir gingen mit dem Boten nach dem Hofe zur?ck. Die D?mmerung war schon stark hereingebrochen. Von dem Ackerst?ck, an welchem wir vor?berkamen, vernahm man die kurzen Laute der Brachv?gel, die unsichtbar in den Furchen lagen; mitunter flog ein Kiebitz schreiend vor uns auf, und auf den Weiden stand das Vieh in dunkeln, unkenntlichen Massen beisammen.--Wir hatten auf dem R?ckwege, als geschehe es im Einverst?ndnis, kein Wort miteinander gewechselt; als wir schon fast im Dunkeln auf der Werfte angelangt waren, ergriff Anne Lene meine Hand. "Gute Nacht, Marx", sagte sie, "verzeih mir; ich bin m?de, ich muss schlafen; nicht wahr, du kommst recht bald einmal wieder zu uns heraus!" Mit diesen Worten trat sie in die Haust?r, und bald h?rte ich, wie sie die Treppe nach ihrem Zimmer hinaufging.
Ich begab mich zu den alten Hofleuten, die in Gesellschaft des Boten am warmen Ofen bei ihrem Abendtee sassen. Wieb entfernte sich f?r einen Augenblick, um Anne Lene ein Licht hinaufzubringen; dann n?tigte sie mich, an ihrer Mahlzeit teilzunehmen, und ich musste erz?hlen und erz?hlen lassen. Dar?ber war es sp?t geworden, so dass ich nicht mehr zur Stadt zur?ckkehren mochte. Ich bat meine alte Freundin, mir eine Streu in ihrer Stube aufzusch?tten, und schlenderte, w?hrend dies geschah, in den Garten hinaus. Da ich in das Boskett an der n?rdlichen Seite kam, bemerkte ich, dass Anne Lene noch Licht in ihrem Zimmer habe. Ich lehnte mich an einen Baum und blickte hinauf. Es schien alles still darinnen. Pl?tzlich aber entstand hinter den Fenstern eine starke Helligkeit, die eine Zeitlang in die kahlen B?sche des Gartens hinausleuchtete und dann allm?hlich wieder verschwand. Mich ?berkam, w?hrend ich so im Dunkeln stand, eine unbestimmte Besorgnis, und ohne mich lange zu bedenken, ging ich durch die Hintert?r ins Haus und die Treppe nach Anne Lenes Zimmer hinauf.
Die T?r war nur angelehnt. Anne Lene sass an einem Tischchen mit den F?ssen gegen den Ofen, in welchem ein helles Feuer brannte. Unter der Schnur eines P?ckchens, das auf ihrem Schosse lag, zog sie einen Brief hervor; sie entfaltete ihn und schien aufmerksam darin zu lesen. Nach einer Weile bewegte sie die Hand ein wenig, so dass das Papier von der Flamme des neben ihr auf dem Tische stehenden Lichtes ergriffen wurde. Ihr Gesicht trug dabei einen solchen Ausdruck von Trostlosigkeit, dass ich unwillk?rlich ausrief: "Anne Lene, was treibst du da?"
Sie blieb ruhig sitzen, ohne sich nach mir umzuwenden, und liess den Brief in ihrer Hand verbrennen.
"Sie sind kalt", sagte sie, "sie sollen heiss werden!"
Ich war mittlerweile ins Zimmer getreten und hatte mich neben ihren Stuhl gestellt. Pl?tzlich, wie von einem raschen Entschluss getrieben, stand sie auf und legte beide H?nde fest um meinen Hals; sie wollte zu mir sprechen, aber ihre Tr?nen brachen unaufhaltsam hervor, und so dr?ckte sie den Kopf gegen meine Brust und weinte eine lange Zeit, in welcher ich nichts tun konnte, als sie still in meinen Armen halten. "Nein, Marx", sagte sie endlich und m?hte sich, ihrer Stimme einen festeren Klang zu geben, "ich verspreche es dir, ich will nicht l?nger auf ihn warten."
"Hast du ihn denn so geliebt, Anne Lene?"
Sie richtete sich auf und sah mich an, als m?sse sie erst nachsinnen ?ber diese Frage. Dann sagte sie langsam: "Ich weiss es nicht--das ist auch einerlei."
Ich blieb noch eine Weile bei ihr, und allm?hlich wurde sie ruhiger. Sie versprach mir, Mut zu fassen, mir und unsrer Mutter zuliebe; sie wollte arbeiten, sie wollte in der kleinen Wirtschaft der alten Wieb die Anf?nge des Landhaushaltes lernen, damit sie einmal als Wirtschafterin ihr Brot verdienen k?nne. Sie sah dabei fast mitleidig auf ihre kleinen H?nde, deren Sch?nheit sie der Not des Lebens opfern wollte. Nur zur R?ckkehr nach der Stadt vermochte ich sie nicht zu bewegen. "Nein, nicht unter Menschen!" sagte sie und sah mich bittend an. "Lass mich hier, Marx, solange es mir noch gestattet ist; aber komm oft einmal heraus zu uns."
So verliess ich sie an diesem Abend; aber ich ging von nun an h?ufig den Weg ?ber die Fennen nach dem Staatshof.--Anne Lene schien ihr Versprechen halten zu wollen; ich fand sie mehrere Male beim Sahnen in der Milchkammer oder am Butterfasse, wo sie abwechselnd mit der alten Wieb den Stempel f?hrte; ja, sie liess es sich nicht nehmen, die Butter zum Kneten in die Mulde zu tun, ganz wie sie es von ihrer alten W?rterin gesehen hatte; sie schien es auch nicht zu merken, dass diese hinterher ganz im geheim die letzte Hand an ihre Arbeit legte. Allein man f?hlte leicht, dass die Teilnahme an diesen Dingen nur eine ?usserliche war; eine Anstrengung, von der sie bald in der Einsamkeit ausruhen musste.
Es war schon in der heissen Sommerzeit, als einige junge Leute aus unsrer Stadt mit ihren Schwestern und Bekannten eine Landpartie nach dem Staatshofe hinaus zu machen w?nschten. Man bat mich um eine Vermittlung bei Anne Lene; und mit einiger M?he erhielt ich ihre Einwilligung.--So waren denn eines Sonntagnachmittags die verwilderten G?nge des Gartens wieder einmal von geputzten Leuten belebt, und man sah zwischen den B?schen die weissen Kleider und die bunten Sch?rpen der M?dchen. Die alte Wieb musste den grossen Kaffeekessel hervorsuchen; dann wurden die mitgebrachten K?rbe ausgepackt und alles vor der Haust?r dem Garten gegen?ber serviert. Als der Kaffee vor?ber war, stiegen die besten Kletterer unter uns in den Gipfel der beiden alten Linden, die zu den Seiten des Hoftores standen, indem jeder das Ende eines ungeheueren Taues mit sich hinaufnahm. Bald war zwischen den h?chsten ?sten eine Schaukel festgekn?pft, und die M?dchen wurden eingeladen, sich hineinzusetzen. "Komm, Anne Lene", rief ein junger, robust aussehender Mensch, indem er fast mitleidig auf ihre feine Gestalt hinabsah, "setz dich hinein; ich will dir einmal eine ordentliche Motion machen!"
Anne Lene bedankte sich, aber ein munteres schwarz?ugiges M?dchen liess sich williger finden; und bald schwenkte Claus Peters die Schaukel, bis die kleine Juliane wie ein Vogel zwischen den Zweigen sass und endlich flehentlich um Gnade schrie.--Claus Peters war der Sohn eines reichen Brauers, und es hiess, sein Vater werde ihm den Staatshof kaufen, sobald er zum Aufstrich komme, und ihm eine gl?nzende Wirtschaft einrichten. Auch schien er in seinen Gedanken sich schon als den k?nftigen Besitzer zu betrachten; denn als wir sp?ter in Begleitung des Hofmanns zwischen den Baulichkeiten herumgingen, fand er ?berall etwas zu tadeln und sprach von Verbesserungen, die hier vorgenommen werden m?ssten, w?hrend der alte Marten mit einem missvergn?gten Brummen nebenherging.
Es war allm?hlich sp?t geworden. Als wir von unsrer Umschau zur?ckkehrten, fanden wir die M?dchen vor der Haust?r versammelt und Anne Lene unter ihnen.
Zwei derselben hatten ihre H?nde gefasst, als k?nnte sie nur mit z?rtlicher Gewalt hier zur?ckgehalten werden. "Ja, wenn wir Musik h?tten!" sagte die eine.--"Musik!" rief Peters, indem er an den dicken Goldberlocken seine Uhr aus der Tasche zog. "Ihr sollt bald Musik haben; in einer halben Stunde bin ich wieder da!"
Er war zu Pferde herausgekommen und rief nun ins Haus nach dem Hofmann. "Bring mir den Braunen, Marten; aber brauch deine Beine!" Der Alte knurrte etwas vor sich hin, aber er tat doch, wie ihm geheissen, und bald ritt Peters im Galopp zum Tore hinaus. Wir andern gingen ins Haus und besichtigten oben den Tanzsaal. Es kam uns eine dumpfe Luft entgegen, als wir die T?r des alten Prunkgemaches ge?ffnet hatten.
Die goldgebl?mten Tapeten waren von der Feuchtigkeit gel?st und hingen teilweise zerrissen an den W?nden; ?berall stachen noch die Stellen hervor, wo vorzeiten die Familienportr?te gehangen hatten. Wir gingen wieder hinab und trugen einen Tisch und einige Gartenb?nke in das leere Zimmer; dann ?ffneten wir die Fenster, durch welche es von den draussen stehenden B?umen schon hereinzudunkeln begann, und die M?dchen umfassten sich und tanzten miteinander. "Wartet!" rief ich, "wir wollen einen Kronleuchter machen!" Denn oben an der Zimmerdecke gewahrte ich noch die Krampe, an der einst die Kristallkrone ?ber der Festtafel des Hauses gehangen hatte. Bald waren zwei Holzleisten aufgefunden und kreuzweis ?bereinandergenagelt.
Anne Lene ging mit den M?dchen in den Garten hinab; und aus dem Fenster sah ich, wie sie die Blumen von den Jasminb?schen und von den rot bl?henden Himbeerstr?uchen brachen. "Pfl?ckt nur", sagte Anne Lene, als eins der M?dchen fragend zu ihr umschaute, "es bl?ht hier doch f?r sich allein." Aber sie selber stand dabei; sie pfl?ckte nichts.--Nach einer Weile kamen alle wieder herauf und machten sich daran, meinen Kronleuchter eins ums andre mit weissen und roten Bl?ten zu bewinden; dann, nachdem an jedem Ende eine Kerze befestigt und angez?ndet war, wurde das Kunstwerk aufgehangen. Die wenigen Lichter konnten den weiten Raum nicht erhellen; aber draussen war schon der Mond aufgegangen und schien durch die Fenster, und es war anmutig, wie die Blumenleuchte mitten in dem ?den Zimmer schwebte und wie der Duft erregt wurde, wenn die M?dchen unten durch tanzten. Pl?tzlich h?rten wir ein Pferd auftraben und einen lauten Peitschenknall.
"Da kommt die Musik!" hiess es; und alle dr?ngten an die Fenster.--Draussen unter den B?umen hielt Peters; eine kleine d?rre Gestalt klebte hinter ihm auf dem Pferde, Geige und Bogen in der Hand.
Bei n?herem Hinschauen erkannte ich wohl, dass es der alte Drees-Schneider war, ein vielgewandtes M?nnchen, das bald mit der Nadel, bald mit dem Fiedelbogen f?r seinen Unterhalt sorgte, und den die harte Zeit gelehrt hatte, sich manchen derben Spass gefallen zu lassen.--"Nun, Drees, spiel eins auf!" rief Peters. "Mach dein Kompliment vor den Damen!" Aber sowie der Alte die Hand vom Sattel liess und seine Geige unters Kinn st?tzte, r?hrte Peters das Pferd mit den Sporen, dass es ausschlug; und der Alte schwankte und griff wieder hastig nach dem Sattel. Anne Lene stand vor mir; ich sah in der schwachen Beleuchtung, wie die R?te ihr in die Schl?fe hinaufstieg.
"Drees", rief ich, "komm herab, Drees!"--Der Alte machte Anstalt hinabzuklimmen; aber der Reiter lachte und gab seinem Pferde die Sporen. "Marten", sagte Anne Lene zu dem Hofmann, "halte das Pferd, Marten!"--"Oho, Anne Lene!" rief Peters; allein er machte doch keinen Versuch, seine Sp?sse fortzusetzen, und liess es geschehen, dass Marten dem alten Drees herunterhalf.
Gleich darauf waren alle oben im Saal, und nachdem Peters dem alten Musikanten seine Angst durch einige Gl?ser Wein verg?tet hatte, setzte dieser sich auf ein kleines Fass und begann seine St?cke aufzustreichen. Die Paare traten an, und bald wurde unsre Blumenleuchte vom Wirbel der Tanzenden hin und her bewegt. Ich suchte Anne Lene, aber sie musste unbemerkt hinausgegangen sein, und da f?r mich keine T?nzerin ?briggeblieben war, so verliess ich ebenfalls den Saal, in der Meinung, sie unten bei den alten Hofleuten anzutreffen.
Als ich in das Gesindezimmer trat, sah ich indessen nur die alte Wieb, welche eifrig an ihrem Strickstrumpf arbeitete. Sie zog eine Nadel aus dem Brustlatz und st?rte damit in der Lampe, die den ziemlich grossen Raum nur sp?rlich erhellte. Dann sah sie zu mir auf und sagte: "Ihr seid ja gewaltig lustig, Marx! Claus Peters spielt wohl schon den Herrn im Staatshof?"
"Er wird es bald genug sein", antwortete ich, "das ist nicht mehr zu ?ndern!"
Die Alte schwieg eine Weile, und ihre Gedanken schienen sich von dem alten Besitztum der Familie zu dem letzten Nachkommen derselben hinzuwenden. "Marx", sagte sie, indem sie den Strickstrumpf auf den Tisch legte, "warum bist du auch so lange fort gewesen"
"Was h?tte ich denn ?ndern k?nnen, Wieb?"
"Und die zwei langen Jahre!--Wenn nur der Ungl?cksmensch nicht gekommen w?re!" fuhr sie fort, wie zu sich selber redend. "Sie war dazumal noch die reiche Erbtochter; heisst das, sie war so in der Leute M?uler; aber schon als die alte Frau in die Ewigkeit ging, ist nichts ?brig gewesen als die schweren Hypotheken. Gott besser's! Nun soll gar der Hof verkauft werden.--Nicht meinetwegen, Marx, nicht meinetwegen; Marten und ich helfen uns schon durch die ?brigen paar Jahre."
"Es ist wohl so am besten, Wieb", sagte ich; "vielleicht bleibt noch ein Restchen ?brig f?r Anne Lene, so dass sie nicht ganz verarmt ist."
Die alte Frau wischte sich mit der Sch?rze ?ber die Augen. "Es ist grausam", sagte sie kopfsch?ttelnd, "so eine Familie!"
Von oben schallte das Scharren der Tanzenden; im anstossenden Stalle h?rte ich, wie t?glich um diese Zeit, den Hofmann den Karren und die ?brigen Ger?te f?r die Nacht an ihren Platz bringen.
Als ich aufsah, stand Anne Lene in der T?r. Sie war blass, aber sie nickte freundlich nach uns hin und sagte: "Willst du nicht tanzen, Marx? Ich bin oben gewesen; die kleine Juliane sucht dich mit ihren braunen Augen schon in allen Ecken!"
"Du scherzest, Anne Lene; was geht mich Juliane an?"
"Nein, nein, Marx! Nimm dich in acht; Claus Peters tanzt schon den zweiten Tanz mit ihr."
"Aber, Anne Lene!"--Ich trat zu ihr. "Willst du mit mir tanzen?"
"Weshalb denn nicht?"
"Aber ein Menuett, Anne Lene!"
"Ein Menuett, Marx!--Und", f?gte sie l?chelnd hinzu, "nicht wahr, Freund Simon darf dabeisein?"
Als wir gehen wollten, fasste die Alte Anne Lenes Hand. "Kind", sagte sie besorgt, "der Doktor hat's dir ja verboten!"
Aber Anne Lene erwiderte: "Oh, gute Wieb, es schadet nicht; ich weiss das besser als der Doktor!" Und mein Verlangen, mit ihr zu tanzen, war so gross, dass ich mir diese Versicherung gefallen liess.
Als wir oben in den Saal getreten waren, ging ich in die Ecke zu dem kleinen Drees und bestellte ein Menuett. Er bl?tterte in seinen B?chern umher; aber er hatte den alten Tanz nicht mehr darin; wir mussten uns mit einem Walzer begn?gen. Claus Peters trat an den Tisch, schenkte ihm das Glas voll und stiess mit ihm an. "Aufgespielt, Drees!" rief er, "aber kratze nicht so, es kommen feine Leute an den Tanz."
Der Alte setzte sein Glas an den Mund. "Nun, Herr Peters", sagte er, indem er den jungen Menschen mit seinen kleinen scharfen Augen ansah, "auf dass es uns wohlgehe auf unsern alten Tagen!"
"Weshalb soll es uns nicht wohlgehen, Drees?" erwiderte Peters, indem er der kleinen Juliane die Hand bot und sich mit ihr an die Spitze der Tanzkolonne stellte.
Ich trat mit Anne Lene in die Reihe. Der Alte begann seine Geige zu streichen und nickte uns freundlich zu, als wir im Tanz an ihm vor?berkamen.--Ich glaube noch jetzt, dass er damals vortrefflich spielte; denn er war nicht ungeschickt in seiner Kunst, und eingedenk mancher kleinen Freundlichkeit, die er von uns empfangen, mochte er nun sein Bestes versuchen.
Wir hatten lange nicht zusammen getanzt, Anne Lene und ich. Aber es war nicht vergessen; ich f?hlte bald, sie tanzte noch wie sonst. Es ging so leicht zwischen den ?brigen Paaren hin; ihre Augen gl?nzten; sie l?chelte, und ihr Mund war ge?ffnet, so dass die weissen Z?hne hinter den feinen roten Lippen sichtbar wurden; ich glaubte es zu f?hlen, wie die Lebensw?rme durch ihre jungen Glieder str?mte. Bald sah ich nichts mehr von allem, was sich um uns her bewegte; ich war allein mit ihr; diese festen klingenden Geigenstriche hatten uns von der Welt geschieden; sie lag verschollen, unerreichbar weit dahinter.
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