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Read Ebook: Die Witwe von Pisa by Heyse Paul

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Ebook has 88 lines and 12746 words, and 2 pages

Edition: 10

Die Witwe von Pisa

Paul Heyse

?berhaupt scheint mir, dass Sie von den italienischen Frauen eine zu g?nstige Meinung haben.

Wieso? fragte ich.

Ich habe einige Ihrer Novellen gelesen. Nun, dass diese Arrabbiatas und Anninas doch auch im S?den etwas d?nner ges?et sind, als der geneigte Leser sich einbildet, werden Sie selber zugeben. Beil?ufig, und ganz unter uns: sind es Gesch?pfe Ihrer Phantasie, oder Studien nach dem Leben?

Frei nach dem lieben Herrgott, der schwerlich finden wird, dass seine Originale durch meine Bearbeitung gewonnen haben.

Mag sein! Aber Sie leugnen doch nicht, dass Sie sich absichtlich immer die besten Exemplare ausgesucht haben? Da d?rfen Sie sich denn nicht beklagen, wenn man Sie zu den Idealisten rechnet.

Beklagen? Wie sollte ich wohl! Ich finde mich da in so guter Gesellschaft, dass ich froh bin, wenn ich darin geduldet werde. Ebenfalls im tiefsten Vertrauen, Verehrtester: Ich habe nie eine Figur zeichnen k?nnen, die nicht irgend etwas Liebensw?rdiges gehabt h?tte, vollends nie einen weiblichen Charakter, in den ich nicht bis zu einem gewissen Grade verliebt gewesen w?re. Was mir schon im Leben gleichg?ltig war, oder gar widerw?rtig, warum sollte ich mich in der Poesie damit befassen? Es gibt genug andere, die es vorziehn, das H?ssliche zu malen. Sehe jeder, wie er's treibe!

Sch?n! Und vielleicht sogar richtig! Ich verstehe diese Dinge nicht. Aber ich habe immer sagen h?ren, die Poesie solle das Leben widerspiegeln. Nun denn, das Leben hat doch auch seine Kehrseite. Und zur Wahrheit geh?rt Licht und Schatten. Glauben Sie nicht, dass Sie es der Wahrheit schuldig sind, auch von den minder liebensw?rdigen Figuren, die zum Beispiel in Italien herumlaufen, Notiz zu nehmen?

Sobald ich ein Buch ?ber den italienischen Volkscharakter ank?ndige--gewiss! Aber ich gebe Geschichten. Wenn ich lieber Gcschichten schreibe, die mir selbst gefallen, als Schattenrisse von der Kehrseite der Natur, wen betr?ge ich, als solche, die ihr Interesse dabei finden, sich betr?gen zu lassen? Aber Sie haben mich auf die vielberufene Kehrseite neugierig gemacht. Was verstehen Sie darunter?

Hin! Das ist leicht gesagt. Wenn ich nicht sehr irre, ist es die unverf?lschte Naturkraft, die Sie an diesen Weibern anzieht, der Mangel der zahmen und lahmen Pensionats- und Institutserziehung, das Wildw?chsige mit einem Wort.

Und die edle Rasse, nicht zu vergessen; eben jene reiche Anlage, die man viel getroster sich selbst ?berlassen darf als eine von Hause aus d?rftigere Natur--schaltete ich ein.

Einverstanden! Und ich gebe Ihnen auch das noch zu, dass die Leidenschaften unter diesem Himmel sich in einem gewissen grossen Stil, in einer nat?rlichen Erhabenheit austoben, selbst die allerverr?cktesten; dass sogar die Hauptleidenschaft des Geschlechts--diesseits wie Jenseits der Berge--bei aller Komik hier etwas Grandioses beh?lt.

Eine, Hauptleidenschaft?

Ich meine die Sucht, einen Mann zu bekommen. Sie lachen? Ich kann Ihnen sagen, dass mir die Sache ausser Spass ist, seit ich Gelegenheit gehabt habe, ?ber diesen Punkt n?here Studien zu machen.

Auf die ich begierig w?re.

Ich will Ihnen das Abenteuer nicht vorenthalten, obwohl es f?r einen Idealisten, wie Sie sind, kein dankbarer Stoff sein wird. Nur soll mir unser Kondukteur erst etwas Feuer geben. Un po' di fuoco, s'il vous pla?t, Monsieur?-Dieses Gespr?ch wurde in einer sch?nen Sommernacht hoch oben in der Imperiale einer franz?sischen Diligence gef?hrt, die von zwei Pferden und vierzehn Maultieren in kurzem Trabe die breite Strasse des Mont Cenis hinaufgeschleppt wurde. Obwohl der Himmel herrlich ausgestirnt war, lag doch nur ein schwacher Schein auf den T?lern zur Seite des Weges, aus denen die schweren Wipfel der Kastanien heraufragten, so dass man auf den Genuss der Aussicht verzichten musste. Und da Peitschenknall, Zuruf der Maultiertreiber, die neben ihren langgespannten Tieren bergan liefen, und das hundertfache Schellengel?ute auch einen gesunden Schlaf nicht aufkommen liessen, musste ein deutscher Schriftsteller noch zufrieden sein, wenn er dreitausend Fuss ?ber dem Meeresspiegel einen so wohlwollenden Rezensenten neben sich fand, wie mein Coup?nachbar bei aller Meinungsverschiedenheit zu sein schien. Wir waren schon von Turm aus die Bahnstrecke bis ans Gebirge zusammen gefahren, schweigsam jeder in einen Winkel gedr?ckt. Erst der Namensaufruf bei der Verteilung der Pl?tze hatte das Eis gebrochen, da wir uns beide nicht ganz fremd waren.

Kennen Sie Pisa? fragte er, nachdem er seine Zigarre an der Pfeife des Franzosen angez?ndet hatte.

Ich erz?hlte ihm, dass ich erst vor kurzem volle vierzehn Tage in dieser stillsten aller Universit?tsst?dte der Welt Studierens halber zugebracht h?tte.

Nun, dann kennen Sie am Ende meine Witwe vom Sehen oder doch vom H?ren. Sind Sie nie in der breiten Strasse, die der Borgo heisst, an einem Hause mit gr?nen Jalousien vorbeigekommen und haben aus einem Fenster des ersten Stockwerkes eine schmetternde Sopranstimme jenes Duett aus der "Norma" singen h?ren: Ah sin' all' ore all' ore estreme--?

Ich verneinte.

Danken Sie Ihrem Sch?pfer, sagte er mit einem Seufzer, der aus einer hartgepr?ften Brust zu kommen schien. Sehen Sie, diese Stimme war mein Verderben. Ich bin leider ganz unmusikalisch, sonst h?tte sie mich vielleicht gewarnt, statt mich ins Netz zu locken. Aber wenn man in ein paar Dutzend uns?uberlichen Studentenwohnungen herumgekrochen ist--die besseren m?blierten Zimmer waren, mitten im Semester, schon l?ngst vergeben--, und h?rt dann aus einem reinlichen Hause, an dem der Mietszettel h?ngt, eine Frauenstimme fl?ten, so werden Sie begreifen, dass man eine Stimme des Himmels zu vernehmen glaubt, auch wenn man ein besserer Musikus ist als ich. Ich muss aber erst voranschicken, was ich eigentlich in Pisa zu suchen hatte. Sehen Sie, das h?ngt so zusammen. Ich bin Architekt, wie Sie wissen. In dem kleinen deutschen Raubstaat, den ich als mein engeres, leider viel zu enges Vaterland pflichtschuldigst liebe und ehre, bin ich, ohne Ruhm zu melden, so ziemlich der einzige meines Faches, der etwas zu bauen versteht, was ?ber die landl?ufigen Menschenst?lle von drei Stockwerken hinausgeht. Wenn Sie einmal durch N. kommen sollten, vers?umen Sie nicht, unser neues Zeughaus anzusehen, worin die sieben Landeskanonen sorgf?ltig unter Schloss und Riegel gehalten werden, damit sie nicht ?ber die Landesgrenze wegschiessen. Dieses Arsenal habe ich gebaut und mir dadurch nicht nur den Dank des Vaterlandes, sondern auch die besondere Gunst unseres Serenissimus erworben. Wenn er noch einmal seinen Lieblingsplan ausf?hrt, eine Mauer um sein Land auff?hren zu lassen nach dem Muster der chinesischen, kann ich dieses ruhmreichen Auftrages sicher sein. Vorl?ufig hat er mir seine Huld auf eine unscheinbarere, aber mir angenehmere Weise bezeigt, indem er mich mit einem wissenschaftlichen Auftrage nach Italien schickte. Wir besitzen n?mlich als eine der Hauptsehensw?rdigkeiten unserer Residenz mitten im Schlosspark einen schiefen Turm. B?swillige, unpatriotische Menschen behaupten, es sei mit dieser k?nstlerischen Merkw?rdigkeit sehr nat?rlich zugegangen, da ein sp?ter angelegter Karpfenteich in der N?he dieses ehemaligen Wachtt?rmchens den Boden ringsumher aufgeweicht und so die Senkung verursacht habe. Man kann unseren Landesvater nicht st?rker beleidigen, als wenn man diese hochverr?terische Meinung ?ussert. Als er daher eines Tages auch mich um mein sachverst?ndiges Urteil befragte, war ich Diplomat genug, zu antworten, ich sei, da ich Italien nicht kenne, ausserstande, nachzuweisen, in welchem historischen Zusammenhange unser schiefer Turm mit den ber?hmteren von Pisa, Bologna, Modena u.s.w. stehen m?chte. Nur ein umfassendes Studium des gesamten mittelalterlichen Schiefbaues k?nne zu einer gerechten W?rdigung unserer heimatlichen monumentalen Romantik das Material liefern. Das wirkte. Schon Tags darauf erhielt ich durch Kabinettsschreiben den allerh?chsten Auftrag, eine Kunstreise nach Italien auf ein ganzes Jahr anzutreten, um auf Kosten der Kabinettskasse Studien zu einem umfassenden Werk ?ber die schiefen T?rme Italiens und Deutschlands zu machen. Ich ging um so freudiger darauf ein, weil ich mich vor kurzem verlobt hatte und ohne eine solche h?here Mission mich schwerlich so bald losgerissen h?tte, das gelobte Land endlich mit Augen zu sehen, was ich doch meinem Beruf l?ngst schuldig gewesen w?re.

Erlauben Sie mir zu bemerken, sagte ich, dass nach diesen Mitteilungen Ihre Erfahrungen mit italienischen M?dchen und Frauen mir nicht mehr so beweiskr?ftig scheinen wie vorher. Ein deutscher Br?utigam, der besonders auf alles Schiefgewachsene sein Augenmerk zu richten hat-Im allerh?chsten Auftrage! fiel er mir lachend ins Wort. Aber ein Jahr ist lang, und sowohl der Herr des Landes als die Herrin meines Herzens werden es verzeihlich finden, dass ich mich in den Mussestunden auch mit geradegewachsenen Sch?nheiten besch?ftigt habe. Nein, h?ren Sie erst meine Pisaner Fata. Diese Stadt hatte ich mir f?r den R?ckweg aufgespart. Den Kampanile des Pisaner Doms-den hebt mir auf, Dass ich zuletzt ihn speise!-sagte ich bei mir selbst und dachte volle vier Wochen in Pisa meinen Messungen obzuliegen und vielleicht schon ein St?ck meines Buches ?ber den Schiefbau hier in der Stille niederzuschreiben, damit ich ausser Rissen und Zeichnungen Serenissimo auch etwas zu lesen mitbringen k?nnte. Nun aber, wie gesagt, hatte ich es fast schon aufgegeben, eine anst?ndige Privatwohnung zu finden, als ich todm?de am schw?len Mittag durch den Borgo schlendere und da auf einmal wie vom Himmel herab aus einem Fenster gerade ?ber dem "Camere da affittare" den schmetternden Gesang h?re. Hinaufst?rzen, anpochen und dein Aschenputtel von K?chenm?dchen meine obdachlose Lage schildern, war, wie geistreiche Erz?hler sagen, das Werk eines Augenblicks. Das Ding musterte mich von der Hutkrempe bis zu den Schuhen. Dabei lachte sie und sch?ttelte den Kopf. Nein, nein, sagte sie, hier wird nichts vermietet.--Aber der Zettel? sagt' ich. Und es steht doch deutlich darauf: Im ersten Stock!--ja, aber nicht per gli uomini! meinte sie und wollte schon die T?re wieder zuschlagen.--Was? rief ich, nicht f?r Menschen? Nun beim Himmel, so sollt ihr erleben, dass selbst ein geduldiger Deutscher zu einer Bestie werden kann, wenn nur die Bestien in Pisa ein menschliches Quartier finden!--Ch?, ch? sagte sie, und wollte sich aussch?tten vor Lachen, so sei es nicht gemeint. Nur an m?nnliche Menschen w?rden die Zimmer nicht vergeben. Ihre Herrin sei eine Witwe und beherberge nur Damen. Indessen wolle sie erst einmal anfragen; ich m?chte nur eintreten.--So f?hrte sie mich, immer lachend, durch die K?che in ein sehr sauberes Gemach, wo ein grosses, vierschl?friges Himmelbett stand, eine alte Kommode und einige Rohrst?hle, der Steinboden mit geflochtenen Matten sorgf?ltig belegt; aber was mir am meisten ins Auge stach: ein m?chtiger viereckiger Tisch mitten im Zimmer, gerade so einer, wie er meine Sehnsucht war, um Reissbretter und Mappen bequem darauf ausbreiten zu k?nnen. Hier bleibst du! rief eine Stimme in mir, und wenn es um den Preis w?re, dass du dein Geschlecht verleugnen und am Rocken dieser Omphale Garn spinnen m?sstest. Indem h?re ich, wie nebenan der Gesang und das Klavierspiel pl?tzlich abgebrochen wird und Aschenputtel seine Botschaft unter best?ndigem Kichern ausrichtet. Ich hatte kaum Zeit, mir eine herzbewegende Rede einzustudieren, da geht die T?re auf und meine Witwe tritt herein, in einem Nachtgewande von verd?chtiger Weisse, aber unzweifelhafter Sittsamkeit, die starken, schwarzen Haare in Papilloten, mit einer Haltung und Miene, dass ich sogleich wusste: die war schon einmal auf den Brettern! Aber sie war gar nicht ?bel, kann ich Ihnen sagen. Etwas Anlage zum Fettwerden, die Nase f?r meinen Geschmack vielleicht ein wenig zu stumpf, nicht mehr die allererste Frische, aber f?r eine Witwe ?usserst wohlkonserviert, und ein Paar grosse, schwarze Augen im Kopf, wie--nun Sie k?nnen sich selbst ein passendes Gleichnis dazu suchen; wof?r sind Sie Poet?

Ich, als bildender K?nstler, hatte auf den ersten Blick alle Vorz?ge dieser Dame weg; aber selbst wenn sie zum Titelkupfer f?r mein Werk ?ber den Schiefbau getaugt h?tte: der sch?ne grosse Tisch h?tte sie mir reizend erscheinen lassen. Ich glaube, ich habe in meinem Leben keine gr?ssere Beredsamkeit in einer fremden Sprache entwickelt als jetzt, wo es galt, ihre tugendhaften Vorurteile zu besiegen. Ich sei zwar, sagt' ich, allerdings eine Mannsperson ; aber von einer so weiblichen Gem?tsart, dass ich sogar in meiner Jugend von einer sch?nen Frau das Filetstricken gelernt h?tte. Niemand im ganzen Stadtviertel werde mich jemals betrunken nach Hause kommen sehn, und sittenlose Bekanntschaften hier in Pisa zu machen, liege mir fern. Sogar des Rauchens wolle ich mich enthalten, wenn es ihr unangenehm sei, und gern jeden Preis, den sie f?r das Quartier fordere, unbedenklich vorauszahlen.

Sie h?rte mich ruhig an, und meine r?hrende Beschw?rung schien Eindruck auf sie zu machen. Wenigstens sagte sie endlich, sie selbst habe gar nichts dagegen, aber sie sei eine junge Witwe, und ihr Oheim, der Vormund ihrer Kinder, w?nsche nicht, dass sie ihren Ruf in Gefahr bringe, indem sie die jetzt ?berfl?ssig gewordenen Zimmer an Herren vermiete. Ich fragte sogleich nach der Wohnung dieses klugen Mannes und h?rte zu meinem Schrecken, dass ich nicht hoffen durfte, auch an ihm meine ?berredungsk?nste zu versuchen, da er gerade nach Florenz gereist sei.--So muss ich denn wirklich verzweifeln? rief ich mit so unverstelltem Kummer , dass die gute, ohnehin nicht sehr steinerne Witwenseele zu schmelzen anfing. Kommen Sie nachmittags wieder, sagte sie; ich will sehen, ob es, zu machen ist. Erminia, begleite den Herrn hinaus! --Damit machte sie mir eine Reverenz wie eine F?rstin, die einen Ambassadeur empfangen hat, und ich war in Huld und Gnaden entlassen.

Sie k?nnen sich denken, dass ich in einer nicht geringen Aufregung meinen Risotto in jener Mustertrattorie Italiens, dem "Nettuno" am Lungarno, verzehrte und gerade das Doppelte meiner gew?hnlichen Weinration dazu trank. Ich musste mich st?rken f?r den Fall, an den ich nur mit Schrecken denken konnte, dass ich einen solchen Tisch in Pisa wissen und mich doch wieder, wie schon so oft, j?mmerlich mit einem aus St?hlen, Stock und Regenschirm gezimmerten Notgestell behelfen m?sste.

Und wie ich so gegen drei Uhr wieder die steinerne Treppe hinaufstieg, klopfte mir ordentlich das Herz, als ob es sich nicht um ein St?ck Holz, sondern um die Besitzerin selbst handelte und ich sollte mir eben Bescheid auf einen viel bedenklicheren Antrag holen. Diesmal kam sie mir, schwarz angetan, in etwas gew?hlterer Haartracht entgegen und schien ebenfalls nicht ganz unbefangen. Ich legte mir das zu meinen Gunsten aus und erschrak nicht wenig, als sie mir ohne viel Vorreden er?ffnete, sie habe in Abwesenheit des Onkels die Tante befragt, die ebenfalls meine, diesen Schritt nicht wohl verantworten zu k?nnen. Eine junge Witwe--und dabei senkte sie mit recht t?uschender Versch?mtheit ihre schwarzen Augen--noch dazu wenn sie K?nstlerin war--und in den Jahren, wo man noch nicht auf ein neues Lebensgl?ck verzichtet--Sie werden begreifen, dass es R?cksichten gibt, die man den Seinigen schuldig ist, und der Wunsch meines Oheims, mich wieder verm?hlt zu sehen--ein Galantuomo wie Sie, mein Herr, wird dem Gl?ck einer einzelstehenden jungen Frau nichts in den Weg legen wollen.

Ganz im Gegenteil, meine beste Dame, rief ich lebhaft aus--immer die Augen auf meinen sch?nen Tisch geheftet--, vielmehr w?rde ich ?bergl?cklich sein, Ihnen beweisen zu k?nnen, wie sehr ich Ihre Zur?ckhaltung sch?tze, wie sehr ich Sie wegen der Reize, Talente und Tugenden, die Ihre Person schm?cken, bewundere und verehre. Ja, Sie haben recht, und Ihr w?rdiger Oheim hat recht: ein Wesen wie Sie ist geschaffen, gl?cklich zu sein und gl?cklich zu machen. Der ?rmste, der dieses Gl?ck nur so kurze Zeit genossen hat! Wie lange ist er Ihnen schon entrissen?

Zehn Monate, sagte sie, ohne dass die Erinnerung sie besonders anzugreifen schien. Er reiste nach Neapel, fiel unter die Briganten--und kam nicht wieder. Soll ich Ihnen seine Photographie zeigen?

Damit ging sie mir voran in das Nebenzimmer, das etwas reichlicher m?bliert war und offenbar als eine Art Salon ben?tzt wurde. Hier stand der Fl?gel, ein eleganter Schreibtisch nahe am Fenster, einige bunte Vogelk?fige hingen von der Decke herab, und die W?nde waren mit Portr?ts ber?hmter Theatergr?ssen bedeckt. Im unscheinbarsten Rahmen ?ber dem Sofa, mit einem verstaubten Lorbeerkranz umgeben, sah ich das Bild eines ernsten Mannes in mittleren Jahren, den sie mir als ihren Seligen vorstellte. Auch jetzt konnte ich keine Spur einer Gem?tsbewegung auf ihrem Gesicht entdecken. Die Kanarienv?gel schrien, ein kleines Wachtelh?ndchen kroch unter dem Sofa hervor und fing an zu bellen, Aschenputtel h?rte ich durchs Schl?sselloch hereinkichern, und mitten in diesem Tumult stand meine Sch?ne und sprach ganz gelassen von einem neuen Lebensgl?ck, wobei sie mich einlud, auf dem Sofa neben ihr Platz zu nehmen.

Ich ?usserte ihr meine Verwunderung, dass sie schon zehn Monate allein stehe, ohne von allen Seiten umworben zu werden.--Ich bin w?hlerisch, sagte sie. Ich war zu gl?cklich mit meinem Carlo, um mich der Gefahr auszusetzen, mich an jemand zu binden, der mich weniger liebte als er. Mehrere haben um mich angehalten, noch erst vorgestern ein junger Graf; den h?tte ich auch wohl genommen, aber er war zu jung f?r mich, erst neunzehn Jahre, und ich bin doch schon dreiundzwanzig. Der arme Mensch dauerte mich freilich; aber was wollen Sie? Man kann doch nicht alle heiraten, die vor Liebe zu einem den Verstand verlieren.

Freilich nicht, erwiderte ich. Was wollten Sie auch mit einem solchen Kinde anfangen? Nur ein reiferer Mann, der das Leben schon kennt, w?rde Ihren Wert ganz zu sch?tzen wissen und Ihnen einigermassen den Verlorenen ersetzen.

Sie seufzte. O die M?nner! sagte sie. Alle sind sie Egoisten! Nur die Jugend hat noch Hingebung und Begeisterung f?r das Sch?ne. Die Reiferen werden kalt und sind nicht mehr f?hig, gl?cklich zu machen.

Es k?me auf den Versuch an, sagte ich, halb arglos, halb um sie zu vcrsuchen; denn ich merkte nun wohl, wie die Dinge standen, und dass die Tante unter gewissen Voraussetzungen ihr Veto gern zur?ckziehen w?rde. Dabei kam mir das ganze Abenteuer so drollig vor, dass der ?bermut sich in mir regte, die Posse noch etwas weiter zu spielen.

Sch?ne Frau, sagte ich, wie heissen Sie eigentlich?

Lucrezia, erwiderte sie und sah mich mit unbeweglichen Augen forschend an.

Sch?ne Lucrezia, fuhr ich fort, vielleicht ist es ein Werk der Vorsehung, dass ich jetzt auf diesem Sofa sitze. Ich bin viel herumgeschweift und habe nirgends gefunden, was ich suchte. Erst in diesem Hause--und dabei schielte ich wieder durch die T?re nach dem sch?nen Zeichentisch--ja, Madonna Lucrezia, erst hier f?hle ich den Drang, zu bleiben und H?tten zu bauen. Sie kennen mich nicht und ich kenne Sie nicht, und es w?re voreilig, heute schon ?ber die Zukunft entscheiden zu wollen. Chi va piano, va sano.

Aber auch lontano, schaltete sie ein. Sie reisen wieder nach Hause?

Es kommt ganz auf Euch an, wie lange ich Pisas L?fte atmen werde, sagte ich mit schamloser Doppelz?ngigkeit und antwortete ebenso hinterh?ltig auf ihre Frage, ob ich schon eine Frau habe: nein, noch nicht, aber ich sei entschlossen, kein halbes Jahr mehr ein Junggeselle zu bleiben.--Da besch?mte mich diese grosse Seele mit dem offenen Gest?ndnis, sie habe vier Kinder; die zwei j?ngsten seien ?ber Tag meist bei der Tante, die beiden ?lteren, von f?nf und vier Jahren, in Florenz bei der Mutter ihres Seligen.--Sch?n, sagte ich, ich hoffe, ich lerne die kleinen Engel bald kennen; ich habe eine wahre Passion f?r alle Haustiere, Kinder, Hunde und Kanarienv?gel.--O Sie sind eine Ausnahme! rief sie schw?rmerisch; mein Carlo wollte immer aus der Haut fahren, wenn die Kinder schrien und die V?gel zwitscherten und ich dazwischen Solfeggien sang. Sie sind gewiss ein Engl?nder, die haben immer so einen aparten Geschmack.--Nur ein Deutscher, sagte ich; aber auch bei uns gibt es Narren genug, die es entweder schon sind, oder doch f?r ein Paar sch?ne Augen sich nicht lange besinnen, es zu werden. Also meinen Koffer darf ich herbringen lassen?

Ich begleitete diese Frage mit einem ehrerbietigen Handkuss, stand auf und empfahl mich so eilig, als ich h?flicherweise konnte, um meinen Sieg nicht wieder aufs Spiel zu setzen. Denn wenn sie mir einen Mietsvertrag vorgelegt h?tte, um mich in Paragraph Eins ausdr?cklich zum Heiraten zu verpflichten, w?re meine ganze Doppelz?ngigkeit zu Schanden geworden.--Ich dr?ckte dem Aschenputtel Erminia ein paar Franken in die Hand, und schon eine Stunde nachher war ich mit Sack und Pack wieder vor der T?r und hielt triumphierend meinen Einzug.

Auch hatte ich die ersten Tage keine weiteren Unbequemlichkeiten von meiner Kriegslist, keine Anfechtungen, weder in meinem Gewissen, noch in meinen vier Pf?hlen. Der ?berrumpelte sch?ne Feind begn?gte sich offenbar damit, mich zu beobachten; denn bei der Kaltbl?tigkeit, mit der das "neue Lebensgl?ck" betrieben wurde, konnte sie sich Zeit lassen, zu untersuchen, ob sie auch kein schlechtes Gesch?ft mache mit diesem wildfremden Zuk?nftigen. Leider schien das Ergebnis ihrer Forschungen t?glich mehr zu meinen Gunsten auszufallen. Und ich machte es auch danach! Einen stilleren, geduldigeren, fleissigeren zweiten Mann, als ich in diesen Tagen darstellte, kann sich keine junge Witwe w?nschen, und wenn ich im Punkte der Z?rtlichkeit manches zu w?nschen ?brig liess, so war dies mit der ritterlichen Diskretion zu entschuldigen, die unsere Zimmernachbarschaft mir zur Pflicht machte. Kam ich von meinen Vermessungsgesch?ften am Kampanile nach Hause, so pflanzte ich mich sofort hinter den bewussten Tisch, um die Resultate in meine Zeichnung einzutragen. W?hrenddessen konnte sie nebenan ihr "Ah sin' all' ore all' ore estreme" oder eine andere schmelzende Kazitilene schmettern, so viel sie wollte: Ich pries, zum ersten Male im Leben, mein stumpfes Ohr, das mir half, dieser Lockung mannhaft zu widerstehen. Ein paarmal schickte sie mir die Kinder herein, die einen greulichen Unfug mit meinen Mappen und anderen Habseligkeiten anstellten, bis ich mit einigen Orangen den Frieden von ihnen erkaufte. Auch in dieser Pr?fung benahm ich mich musterhaft. Ging ich darin in der Abendk?hle am Lungarno spazieren unter dem Schwarm von Studenten, Pisaner B?rgern mit ihren Familien und einigen wenigen Stutzern, die auch hier nicht fehlten-nun Sie kennen ja das alles aus eigener Anschauung-, so begegnete ich regelm?ssig einige Male meiner sch?nen Hauswirtin, die an der Seite einer Freundin mit z?chtigen Witwenschritten dichtverschleiert lustwandelte und, wie ich merken konnte, viele Verehrer hatte. Mancher von diesen h?tte mich wohl beneidet, wenn er gewusst h?tte, wie bequem es mir gemacht wurde. Ich aber begn?gte mich mit devotem Hutabziehen und kam regelm?ssig erst nach Hause, wenn ich wusste, dass sie schon Nacht gemacht hatte. Das geschah sehr fr?h-, denn da sie, wie die meisten Italienerinnen, v?llig ungebildet war und h?chstens einen franz?sischen Roman in der ?bersetzung las, so langweilte sie sich entsetzlich, sobald es dunkel wurde und sie nicht mehr aus dem Fenster sehen und sich bewundern lassen konnte.

Dieser friedfertige Zustand, der meinen W?nschen sehr entsprach--ein Leben wie im Paradiese, wo Wolf und Lamm in Unschuld nebeneinander hausten--, hatte etwa eine Woche gedauert, da merkte ich, dass das Lamm sich zu wundern anfing, wie zahm der Wolf sich betrage; ja es schien der armen Unschuld ordentlich gegen die Ehre zu gehen, dass sie noch immer ungefressen blieb, da sie sich selbst doch appetitlich genug vorkam. Nun kehrte sich der Naturzustand um, und das Lamm r?stete sich, den Wolf nach allen Regeln zu belagern. Einige Tage blieb es bei frischen Blumenstr?ussen, mit denen ich meinen Zeichentisch geschm?ckt fand, wenn ich nach Hause kam. Dann fand ich, da meine Hausschuhe in ziemlich desolatem Zustande waren, abends ein paar warme t?rkische Pantoffeln vor meinem Bett, die offenbar dem Seligen, meinem Vor-Wolf, geh?rt hatten; ?brigens waren sie noch so gut wie neu. Mittags musste ich mit aller Gewalt ein Fritto von Artischocken und kleinen K?rbissen kosten, das Madonna Lucrezia selbst bereitet haben wollte, und ihr mit einem Glase Chianti Bescheid tun. Erminia, die mit am Tisch ass und die beiden Bimbi f?tterte, hatte wieder genug zu kichern, und nur das H?ndchen knurrte mich feindselig an, als einen Eindringling, der ihm seine Ration zu verk?mmern drohte. Dabei f?hrten wir tiefsinnige Gespr?che ?ber deutsche und toskanische Kochkunst, und ich abtr?nniger Sohn meines Vaterlandes verleugnete sogar das deutsche Sauerkraut gegen?ber den italienischen Artischocken. Das schien ihr bedeutsam genug, um andern Tags einen noch lebhafteren Sturm zu wagen. Denken Sie, was das verschmitzte Gesch?pf sich einfallen liess! Ich bin am Vormittag wie gew?hnlich auf meinem schiefen Turm, nun schon in den obersten Geschossen, und denke an nichts Arges, da h?re ich unten aus der Tiefe zu mir heraufsingen das nur zu wohlbekannte: "Ah sin' all' ore all' ore estreme", und richtig, meine sch?ne Freundin ersteigt herzhaft die langen Wendeltreppen, so dass an ein Entrinnen nicht zu denken war, ich h?tte denn hinter den Pfeilergalerien Versteckens spielen m?ssen. Was sie eigentlich beabsichtigte, ist mir heute noch nicht recht klar; denn von der obersten Zinne sich, entweder allein, oder Arm in Arm mit mir hinabzust?rzen, wenn ich ihr nicht endlich ein festes Heiratsversprechen g?be, dazu war sie ein viel zu praktischer Charakter, viel zu sehr--Italienerin, h?tt' ich beinahe gesagt. Aber ich will Ihren Idealismus nicht kr?nken. Am Ende war es auch bloss die Langeweile, die sie zu mir trieb. Ich nat?rlich stellte mich sehr erfreut, machte die Honneurs des Turnies aufs Liebensw?rdigste, und da wir ganz allein waren, hielt ich es f?r angebracht, ihr wenigstens wieder einmal die Hand zu k?ssen. Sie hatte auch gerade ihren guten Tag. Vom Steigen war ihr wachsbleiches Gesicht etwas ger?tet, und wie sie so die kohlschwarzen Augen ?ber Dom und Baptisterium und Stadt und fernes Gebirge funkeln liess, schien sie mir wirklich keine ?ble Partie. Notabene f?r einen Italiener, der keine Gem?tsanspr?che machte. Ich sagte ihr sehr viel sch?ne Dinge, die das arme Lamm, nach der langen schlechten Behandlung von meiner Seite, mit sichtlichem Behagen einschl?rfte. Nat?rlich wurde ich durch einige z?rtliche Anspielungen und sehr ermutigende Blicke belohnt. Aber ich hatte nicht n?tig, durch Umdrehung meines Verlobungsringes einen guten Geist zu beschw?ren, dass er mich in dieser Versuchung besch?tze, denn ich wusste es ganz deutlich, dass ich ihr bei all ihren kleinen schmachtenden Man?vern im Grunde der Seele so gleichg?ltig war wie die Marmorstufe, auf der sie stand. Und so kamen wir denn nach Verlauf einer Stunde beide ganz wohlbehalten unten auf dem Domplatze wieder an.

Sie aber musste doch wohl glauben, das Eisen zum Gl?hen gebracht zu haben, denn sie verlor keine Zeit, es zu schmieden. Noch denselben Nachmittag schleppte sie mich in eines der offenen Theater,--ich glaubte, das sogenannte Politeama war's--Sie werden sich erinnern. Vergebens wandte ich ein, dass ich sie zu kompromittieren f?rchte, wenn man uns zwei so ?ffentlich miteinander das Schauspiel besuchen s?he. --Die Sachen sind nun doch schon so weit gediehn, gab sie ganz gelassen zur Antwort, dass Sie mich viel st?rker, als Sie schon getan, ?berhaupt nicht mehr kompromittieren k?nnen. Und wird nicht doch einmal der Schleier fallen m?ssen?--Jawohl, seufzte ich bei mir selbst, die Schuppen werden dir von den Augen fallen, armes Lamm!--und so begleitete ich sie mit heroischer Fassung ins Theater.

Ich glaubte erst, sie habe dieses gemeinsame Vergn?gen nur darum arrangiert, um sich wirklich recht geflissentlich vor aller Welt zu kompromittieren und mich dadurch moralisch zu binden. Aber sie hatte noch eine Nebenabsicht. In den Zwischenakten der ziemlich langweiligen modernen Trag?die, w?hrend deren Lucrezia best?ndig kandierte Fr?chte naschte, trat n?mlich ein S?nger auf, den ich als eine ungew?hnliche Figur schon ?fters auf den Strassen von Pisa studiert hatte. Er schlenderte gew?hnlich, in ein zimmetbraunes, malerisch geschnittenes Tuchwams und weite Hosen von derselben Farbe gekleidet, einen breiten, phantastischen Hut auf die dicken schwarzen Haare gedr?ckt, in Begleitung eines kleinen braunen Weibchens, das ihn f?hrte, durch die Strassen, immer vor sich hin l?chelnd mit einem halb gutm?tigen, halb ironischen Ausdruck, w?hrend das feine scharfe Gesichtchen der Frau einen versteinerten Leidenszug hatte. Ich hatte mir sagen lassen, dies sei ein ehemals ber?hmter S?nger, Tobla Seresi, ein prachtvoller Bariton, der leider den Verstand verloren habe und darum als Operns?nger nicht mehr zu brauchen sei. Denn er habe zuweilen Anf?lle von Tobsucht, wo dann nur seine kleine Frau, die er z?rtlich liebe, ihn zu behandeln und wieder zahm zu machen verstehe. Zuweilen singe er auf den Theatern in den Zwischenakten, um sich etwas zu verdienen; dann stehe das kleine Weibchen immer hinter den Kulissen und beobachte ?ngstlich jede Miene in seinem Gesicht.

Dieser Sor Tobia nun sang, wie gesagt, auch an jenem Nachmittage, und seinetwegen hatte meine Witwe mich hingeschleppt. Denn kaum hatte er die ersten T?ne seiner Arie gesungen, so wandte sich Frau Lucrezia nach mir um, der ich hinter ihr in der Loge sass, und erz?hlte mir weitl?ufig, dass sie selbst eigentlich die Ursache dieses Ungl?cks sei. Vor sechs Jahren, mitten in einem verliebten Duett, das sie mit ihm gesungen--die Oper, die sie mir auch nannte, habe ich vergessen--sei der Wahnsinn bei ihm ausgebrochen. Er habe sie n?mlich heftig an sich gezogen, wie es die Rolle mit sich brachte, und ihr mit rollenden Augen zugefl?stert, wenn sie ihn nicht erh?re, so werde er sie und sich mit einem vergifteten Kartoffelsalat umbringen. Was an dem Zeug wahr sein mochte, weiss ich nicht. Genug, sie schwatzte mir in diesem Stil noch eine Menge Abenteuer vor, damit ich recht einsehen solle, was sie damals f?r ein lebensgef?hrliches Frauenzimmer gewesen sei. Ich h?rte nur halb zu, um nicht den Gesang ganz zu verlieren, der ihr, obwohl sie S?ngerin war, sehr gleichg?ltig zu sein schien. Als es dann zu Ende war, warf sie ihren Strauss auf die B?hne und klatschte mit Ostentation. Einige Amateurs dr?ngten sich aus dem Parterre ins Orchester und reichten dem Sor Tobia einen riesenhaften Strauss, wie ein Wagenrad, auf die Szene hinauf, den er mit seinem stillen ironischen Lachen annahm, unter w?tendem Applaus. Das Volk war sehr liebensw?rdig gegen den armen Irren, und ich h?rte links und rechts Ausrufe des Bedauerns und der Teilnahme an seinem Geschicke. Nur meine Witwe ignorierte ihn ganz kaltbl?tig, f?cherte sich best?ndig K?hlung zu und fing gleich wieder an, verzuckerte Orangenscheibchen zu essen.

Ich gestehe Ihnen, es ?berlief mich eiskalt neben dieser meiner Eroberung; ich war froh, dass sie bald aufbrach, und wie sie meinen Arm nahm und wir nach Hause gingen, kam ich mir recht erb?rmlich vor; ich f?hlte mich in einer so schiefen Lage, dass ich l?ngst zusammengest?rzt w?re, wenn ich ein Glockenturm und nicht ein elastischer Organismus von Fleisch und Bein gewesen w?re. An diesen Tag werde ich denken! Denn glauben Sie nicht, dass es damit schon vorbei war. Meine Sch?ne hatte sich offenbar vorgenommen, heute noch die Sache zwischen uns ins reine zu bringen, unterhielt mich daher von ihren Verm?gensumst?nden, die ganz annehmlich schienen, von dem Gl?ck, das sie ihrem Seligen bereitet, der sie ihrer Sch?nheit wegen von der B?hne weggeheiratet habe, obwohl er selbst Komponist gewesen und ihren Gesang zu sch?tzen gewusst habe. Sehen Sie, sagte ich in meiner Herzensangst und versuchte dabei eine scherzhafte Miene zu machen, das w?rde nun doch ein Hindernis f?r uns bilden. Denn in Deutschland gehen alle s?dlichen Stimmen bei dem best?ndigen Schneewetter zu Grunde.--Sie erwiderte, dass sie dieses Opfer gern bringen w?rde. Die Ehe, setzte sie mit einem pathetischen Seufzer hinzu, die Ehe ist ja ein best?ndiges Opfer auf dem Altar der Liebe!--Aber, sagte ich, die lieben Kinder, wie werden die das rauhe Klima ertragen?--Auch das machte ihr keinen Kummer. Die Bimbi sind ja wohl aufgehoben, sagte sie. Die Tante ?bernimmt die beiden kleinsten, die ?ltesten bleiben in Florenz.--Sch?n! sagte ich und dachte bei mir selbst: O du Rabenmutter! Aber ich l?chelte dabei so verbindlich, dass sie kein Arg hatte; denn das sah ich ihr an, dass sie zum ?ussersten entschlossen war und sich nicht besonnen h?tte, mir ebenfalls einen bitteren Kartoffelsalat anzurichten, wenn sie hinter meine wahre Stimmung gekommen w?re.

Da kam mir eine Eingebung, die ich f?r sehr gl?cklich hielt. Sch?ne Frau, sagte ich, Ihr m?sst mich erst ?ber einen Punkt beruhigen. Ihr sagt, Euer Seliger sei unter die Briganten gefallen und nicht wiedergekommen. Wisst Ihr denn aber gewiss, dass er nicht mehr am Leben ist? Wenn er nun eines sch?nen Tages zur?ckkehrte und Euch reklamierte, oder gar mir einfach den Hals br?che, zum Dank daf?r, dass ich ihm sein Eigentum inzwischen so gut aufgehoben h?tte?

Diese Frage tat ich, als wir schon wieder oben in ihrem Salon auf dem bewussten Sofa sassen, gerade unter dem Bilde des seligen Komponisten. Ich f?gte noch einige weise Reden ?ber die Zweckm?ssigkeit offizieller Totenscheine hinzu und ?ber den Greuel der Bigamie--Warten Sie! sagte sie ruhig, stand auf und schloss ein Fach ihres Schreibtisches auf. Was zog sie daraus hervor? Sie werden es kaum glauben, aber es ist so buchst?blich wahr wie diese ganze Historie: zwei Fl?schchen, beide wohlverkorkt und mit einer Schweinsblase luftdicht zugeklebt, und in jedem ein nat?rliches Menschenohr, kunstreich mit einem reinlichen Schnitt vom Kopfe abgetrennt und hier in Spiritus aufbewahrt! Ecco! sagte sie und hielt mir die Fl?schchen hin, die ich vor Grausen nicht in die Hand zu nehmen vermochte. Dies ist wohl besser als mancher Totenschein. Es sind Carlos Ohren, ich erkannte sie auf der Stelle. Erst kam das rechte; das schickte mir einer seiner Freunde aus Neapel, und ich musste f?nftausend Lire als L?segeld schicken, was ich auch sogleich tat. Aber es kam doch zu sp?t an; denn bald darauf erhielt ich das zweite Fl?schchen und einen zweiten Brief des Freundes, worin stand, die Mordgesellen h?tten das Geld genommen, aber als Quittung dar?ber eben nur das zweite Ohr ausgeliefert; was aus dem Menschen geworden, der daran gesessen habe, sei g?nzlich dunkel, und ich m?sse mich in Geduld fassen. Was sagen Sie zu dieser Zumutung an eine z?rtliche Gattin? Ich mich in Geduld fassen? Nein, bei mir stand es sogleich fest: mein Carlo ist nicht mehr! O er hatte so empfindliche Ohren--und nun wollte man mir einreden, er h?tte ihren Verlust ?berleben k?nnen? Arme und Beine h?tten sie ihm amputieren k?nnen, und er h?tte weitergelebt! Aber mein Carlo ohne seine Ohren--nimmermehr!

Ihr m?sst das wissen, sch?ne Frau, sagte ich, und in der Tat, wenn diese traurigen Reliquien wirklich Eurem Seligen geh?rt haben-So gewiss wie dies mein kleiner Finger ist, sagte sie mit grosser ?berzeugung und betrachtete dabei die Fl?schchen mit so wissenschaftlichem Ernst, wie etwa ein Naturforscher eine neue Amphibienspezies, die man ihm in Spiritus zugeschickt hat. Mich ?berlief eine G?nsehaut.

Dennoch, sagte ich, reicht dieses Verm?chtnis schwerlich hin, Euch ganz frei zu machen. Die Gerichte sind sehr eigensinnig. Sie verlangen ganz andere Beweise, ehe sie einen Menschen aus dem Register der Lebendigen streichen.

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